Der wahre Traum 1778. Eine Ballade. Wundersam, durch Dunkelheiten, Geht, allheilige Natur, Deines Zaubertrittes Spur; Ahnend folgen die Geweihten; Aber sieh, es irren, gleiten Klüglinge, die selbst sich leiten, Die des Dünkels Irrwischschein Zieht in Sumpf und Pfuhl hinein. Wohl mir, Göttinn, daß zu deiner Hochbeglückten Jünger Schaar, Als die Mutter mich gebar, Du mich lasest, von gemeiner Bahn mich führtest, zu geheimer Weisheit Pfad, wo heller, reiner Jeder Wahrheit Urborn quillt, Und des Forschers Schmachten stillt. Bald, als Feuersäul, erhebet Sich dein Haupt gen Himmel; wir, Voll Begeistrung, folgen dir In die Himmel, neu belebet; Bald, als Wolkensäul', umschwebet Heilig Dunkel uns; dann bebet Ahnungsschauer, der uns mild Lockt in Edens Duftgefild'. Oft, um mütterlich zu walten, Lehr' und Warnung zu verleihn, Wenn Gefährlichkeiten dräun, Muth und Glaub' in uns erkalten, Bei der Rechten uns zu halten, Hüllst du dich in Traumgestalten, Lispelst, in des Schlummers Ruh', Offenbarungen uns zu. So noch gestern. – Freunde, hören Sollt ihr staunend, was geschah, Welches Traumgesicht ich sah; Eu'r Vertrauen zu vermehren, Soll euch dieser Handschlag schwören, Daß ich euch nicht will bethören, Wahrlich dieser Traum nicht sei Ein Gespinnst der Phantasei, Als ich sanft und schlummernd ruhte, Alles Kummers unbewußt, Wohl auf meines Weibes Brust, Horcht, da kam mit hohem Muthe, Wie entsproßt aus edlem Blute, Zu der Eich', an der ich ruhte, Schön gewappnet, angethan Nach der Ritter Brauch, ein Mann; Reichte traulich mir die Rechte, Traulich schlug ich drein, alsdann Seine Red' er so begann: »Müßig ruhst du hier? Ich dächte, Lieber, kämst mit mir; ich möchte Wetten schier, wohin ich brächte Dich, da solltest du gestehn, Daß du nie so was gesehn.« Sonder Säumen thät ich wallen Mit dem Ritter, der mich bald, Wo am dunkelsten der Wald Schattete, bald, nach Gefallen, Leitete durch Felsenhallen, Bald durch Trümmer wild verfallen, Dann der schroffen Kluft entlang, Dann bedroht vom Klippenhang. Endlich langten wir zur Stelle, Zu des Ritters Fehdeschloß, Das ein Zwinger rund umschloß; Brücken, Warten, Zinnen, Wälle, Pforten, Stein so Pfost' als Schwelle, Sicherten für Ueberfälle Diese Burg; als wir davor, Schloß von selbst sich auf das Thor. Aus dem Thore schlich zur Linken, Unterirdisch, wüst' und bang, Ein gewölbter Niedergang; Unter'm Fuß, so thät mir's dünken, Sah ich Leichensteine blinken; Aengstlich folgt' ich, sahe sinken Eine Fallthür; Leichenduft Athmete die grause Gruft. Särge standen hier die Fülle. Einer, schön von Marmelstein, Hatt' ein eigen Kämmerlein. »Hier in dieses Grabes Stille,« Sprach der Ritter, »ist mein Wille, Daß du sehest, Freund, die Hülle Des Gebeins, einst weich und warm, Ach! des Weib's in meinem Arm!« Auf des Todtenmaales Mitte War, von Silber, glatt und schön, Ein gediegner Kelch zu sehn. »Sage, Ritter, sag', ich bitte« – – Zürnend blickt' er, winkt' und litte Nicht zu enden, stieg drei Tritte, Gab den Kelch mir, sah mich an: »Zittre nicht! Du bist ein Mann!« Kaum hatt' er den Kelch gegeben, Als es in dem Wunderding Brausend an zu gähren fing Und mit Macht herauszustreben, Gleich als ob der Traube Leben Perlte drinnen; sich erheben Thät alsbald der weiße Schaum Höher denn des Kelches Saum. Aus dem Schaumgesprudel stiegen Holder Blümlein drei heraus, Wanden sich in einen Strauß; Schaum und Gährung sanken, schwiegen. Schwebend sich im Kelche wiegen Sah ich Ros' und Veilchen, schmiegen Sich um beide, unschuldweiß, Das geliebte Kind des Mai's. Hold und lieblich duftend, blühten Meine Blümlein; plötzlich gohr Schaumgezisch im Kelch empor; Sausend stieg's, verschlang mit Wüthen Meine Blümlein; drauf versprühten Gischt und Blasen, ängstlich mühten, Ach! nicht lieblich, wie zuvor, Meine Blümlein sich hervor. Aschenfarb und welk, verblichen Jede Schöne, süßer Duft Nun verkehrt in Grabesluft! Todesschweiß und Schauer schlichen, Ob dem bangen, fürchterlichen Anblick, über mich; entwichen Wär ich schier. Der Rittersmann. Sah's und hub zu reden an: »Einst hatt' ich ein Weib! Besingen Thät kein Dichter je ein Weib, Schön, wie sie, an Seel' und Leib; Keinem Maler (hundert gingen Stolz zum Werke!) thät's gelingen, Sie auf Leinewand zu bringen; Sie nur malte fein und glatt Einst sich auf ein Rosenblatt. Einst hatt' ich ein Weib!« (Es bebten, Als er's seufzte, perlenklar, Thränen an der Wimper Haar.) »Lieb' und Gegenliebe lebten In uns; Ruh' und Wonn' umschwebten Uns, und Heiterkeit; die webten In des Lebens Ungemach Süße Freuden, Nacht und Tag.« Dennoch – Ach! der Weiber Herzen Sind ein Räthsel allzumal! – Fand sie Kurzweil manches Mal Mir zu brüten Sorg' und Schmerzen, Kalt zu küßen, kalt zu herzen, Leicht mit meiner Ruh' zu scherzen, Meiner Liebe! warm und treu, Immer alt und immer neu! Immer thät das Wunder währen In dem Kelch; es saus'te, stieg, Blühte, welkte, braus'te, schwieg. »Was dies Sträußlein sei, dies Gähren, Sollst du,« sprach er, »staunend hören. Dieser Kelch faßt meine Zähren, Die der Liebe Freudendrang, Und auch Gram, vom Auge zwang!« – Da erwacht' ich bebend. Sehen Thät ich, statt des Traumes Bild, Nur mein Weiblein süß und mild. Ihres Odems leises Wehen, Ihres Busens sanftes Blähen Hieß mein Beben schnell vergehen. Deine Warnung, Nachtgesicht, Dank der Liebe! schreckt mich nicht!