88. Aus dem Schauspiele »Der Säugling« 1. Wie eines Sprößlings sorgsam im Quellenthal Vor frommer Menschen Hütte die Dryas pflegt, So pflegen dein, o zartes Knäblein! Sorgsam die Musen, Apollon sorgsam. Sie wehet Kühlung ihm aus dem Haine zu, Sie netzet mit der Quelle die Wurzel ihm, Sie hält ihn fest, wenn Stürme brausen, Träufelt ihm Tau in die junge Knospe. Wie einen Sprößling, welchen im Quellenthal Vor frommer Menschen Hütte die Dryas pflegt, Wie den die Horen freudig schmücken, Schmücken die Grazien dich, und Cypris. Die Horen hauchen lenzliche Knöspchen auf Mit lauem Odem, malen das junge Grün Mit feuchtem Glanze, mit des Purpurs Tropfen die Blüte, mit Gold die Früchte. Wir geben deinem Namen Unsterblichkeit, Und lehren dich, des Namens Unsterblichkeit Nicht jener Wonne gleich zu achten, Welche der Wahrheit und Schönheit Anblick Und seiner Schöpfung Anblick dem Dichter giebt! Den Beifall überschwebet das Selbstgefühl, Und stürzt sich gern aus lichter Höhe In der Entzückungen reine Woge! Verborgen ist den Menschen der Zwillingsquell, Aus welchem Wahrheit strömet, und Schönheit strömt; Die Musen tränken dich aus jenem, Aber mit diesem betauen wir dich! Holdselig sind wir Töchter des Himmels, sind Auch kühn! entsinken nimmer dem Sternenflug Der Musen, folgten mit den Musen Orpheus hinunter ins Thal des Hades! Wir sind ein Reigen! Schwer zu erreichen blüht Der Weisheit Blume; welcher sie pflückte, weiß, Daß der die ganze Wahl verfehlt, Welcher mit klügelnder Hand uns sondert! Er weiß, was wenig wissen, der Glückliche: Der Schönheit Blüte trage des Guten Frucht! Ein' ist die Pflanze eines Kernes, Welchen der Vater der Götter säte! Du wirst es wissen, Knäblein! Der Biene gleich, Entsaugest du der Blume den Himmelstau, Und deiner Zellen süße Speise Nähret die Weisen der späten Nachwelt. 2. Eh' die Sonne dir lischt, rötet die Frühe dir Oft das Antlitz; du staunst selig dem Abendrot, Und in Thränen der Wonne Beben mondliche Schimmer dir! Auf dem blumigen Schoß säuget die Erde dich, Und die Wölbung des Hains winket dir Ruhe zu; Auf den Wogen des Meeres Wieget trunken dein Auge sich! Mehr als Worte dem Ohr tönen, vernimmt der Mensch Auf des Menschen Gesicht; schöpfen im Auge des Menschen wirst du, und hell wird Dir die Tiefe des Herzens sein! Eh' mit bläulichem Strahl Hesperos' Fackel dir Lischt, begegnet dir oft schmachtender Liebe Licht, In dem rollenden, feuchten Mädchenauge, du Glücklicher! Wie des Hesperos Licht über dem Abendrot Schimmert, schimmert der Blick schmachtender Jungfrauen Über wallende Rosen, Von der bebenden Scham durchglüht. Ach, wir bringen sie dir, Jüngling, entgegen! wir Lehren Jungfraun allein schmachtendes Sträuben! wir Tauen glühenden Nektar In die Blume der Sittsamkeit!