75. Klopstocks Weinlaube Im Junius 1782. Überhangend und frisch, wie an den Wellen des Herzerfreuenden Rheins, schwellen die Reben hier Die der göttliche Sänger In sein Zimmer geleitet hat; Streben freudig empor an das erwärmende Fenster, kleiden die Wand und das Gesimse des Gipses, senken gewölbt sich Um die Scheitel des Weisen her; Wehren jeglichem Strahl, welchen die höhere Sonne sendet, nicht dem, welchen errötende Morgenschimmer verkünden, Und dem freundlichen Monde nicht. Ihre Schatten sind mir wert wie die Schatten der Eiche, kühl wie das Thal, kühl wie die Felsenkluft, Wenn der Finger Aurorens Sie mit bebenden Tropfen schmückt. Ihre Trauben sind noch grün wie die Ranke, leicht Wie das glänzende Blatt; dennoch umschwebet sie Schon die Freude, und edel Ist wie die Freude des Bechers sie. Ich empfand es: denn hell strahlte der Mond, und hell Durch das hangende Laub Jupiters Auge mir; Heller strahlte die Weisheit Von den Lippen des Weisen mir: Der, wenn heißere Glut ihm in dem Busen glüht, Wie die Sonne so hell, wärmend wie sie, und hoch, Mehr als Nektar der Götter In die Seele des Hörers geußt. Schone, schone! denn noch glühet die Seele mir Vom erhabnen Gesang, den du mir gestern sangst! Träufle kühlere Weisheit In dem Schimmer des Mondes mir!