54. Die Meere 1777. Du schmeichelst mein Ohr, Ich kenne dein Rauschen, Deiner Wogen Sirenen-Gesang! Ost-See, du nahmst mich Oft mit kosenden Armen In den kühlenden Schoß! Du bist schön! Nymphe, schön! Vertraute des waldichten Ufers, Oft entschlüpfet der West den Wipfeln des Hains, Und schwebet über dir hin mit gleitendem Flug Du bist schön, Nymphe, schön, Aber die Göttin schöner als du! Lauter, als du, Donnert die Nord-See, Steigend erhebt sich und weiß und gestaderschütternd ihr Fuß! Stärker und freier, als du, Tanzet sie eignen Tanz, Lauschet nicht dienstbar der Stimme Herrschender Winde; Steiget und sinkt, Wenn, mit Wolken umschleiert, In geheimer Halle schlummert des Sturmes Haupt! Ich sah die Kiele Blitzgewaffneter Schiffe Eilen über ihr hin, Wenn die Flagge sank, Und der züngelnde Wimpel sank Und das Säuseln in Hellebeks Buchen schwieg. Wie nennet dich mein Gesang! Nord-Meer, Welt-Meer, Göttin, Unendliche, Erdumgürtende, Wiege der allerleuchtenden Sonne, des himmelwandelnden Mondes und zahlloser Sterne, die in melodischem Tanze sich spiegeln, wenn steiget die Well' und hinab sich senkt. Auf deinen Wassern Schwebete Gottes Geist, Als noch die Erde Lag in traurender Stille, Mutterfreuden kannte noch nicht! Über dir wehet, Hehr und geheimnisvoll, Flutend und ebbend, Sichtbar noch des Allmächtigen Hauch! Auf hoher Entzückung Steigendem Flügel Flog dir entgegen mein Geist; Göttin, ich flehte: Nimm mich, o Göttin, Nimm mich in deinen mächtigen Schoß! Aber du eiltest Stolz mir und donnernd vorbei, Da spannt' ich die Flügel Des Wogendurchwallers, Und schwebte zum ferneren Ufer hin. Du donnertest lauter Am Felsen-Gestade, Ich eilte hinan Das Felsen-Gestade, Und eilte hinab, Da faßt' ich dich, Göttin, Mit nervichtem Arm, In der Felsen-Halle! Über mir hingen Dräuende Gipfel; Strudelnde Fluten Drängten durch Klüfte der Felsen sich durch! Und wohl mir ward In der Göttin Schoß, An der Unsterblichen Wallenden Busen! Heil dir, Heil, Göttin, und Dank, Für den seligen Genuß In der Felsen-Halle!