97. An die Fürstin Gallitzin, geborne Gräfin von Schmettau Am 28. August 1794. Schwebe, mein Geist, In der Röte dieses Morgens, In der Feier dieses Tages; Segen des Himmels umwallet ihn in glänzendem Strom! Schöner war nicht Sein älterer Bruder, Der die Neugeborne Freundlich und froh Nahm aus den Armen der gesegneten Nacht. Er hielt sie empor, Gen Himmel empor, in strahlendem Arm, Und der Ewigkeit Segen Umsäuselten sanft das mitkundige Kind. Willkommen! Willkommen! Erwünschter Tag! Dein wehender Flug Ist erfreuender, labender mir, Als selbst in Hesperiens Gärten mir war Des Frühlings Kuß; Als in Ätnas Thalen mir war Duftende Wallung der kühlenden Luft. Leben des Menschen, Ein Wunder dem Forscher! Sich selber ein Rätsel, Wünschet, in Erde gehüllet, der Geist. Sein Wunsch ist Befehl! Die umhüllende Erde gehorcht! Umgürtet mit Kraft, Erhebt er den Arm; Dienstbar wallet und steht Auf seine Befehle der Fuß. Auf Wogen erschallender Luft Tönt der Gedanke! Es schwebet auf Seufzern, Schwimmt in der Thräne, Strahlet in freudigem Blick Die Empfindung, und fleugt Wie Bienen von Blume zu Blume; Steigt wie der Adler Gen Himmel empor! Sohn und Krone der Natur, Steht in seiner Kraft Der stolze Mensch, Bis ein Hauch der Luft, Der des Wurmes schonte, Den Sohn und die Krone der Natur Stürzet in Staub. Leben der Natur, Bist nicht wahres Leben! Frönest dem Tode, Der Made Genoß! Wie in ersten Tagen Des verheißenden Lenzes Das Kind im Garten Der geschnitzten bunten Stäbe sich freut, Unkundig des Lebens, Das neben dem Stabe, Gehüllet in Erde, Sich keimend bewegt: So freut sich der Mensch Des nichtigen Lebens, Und hält für die Pflanze Des Gärtners Stab. Himmlischem Samen Entsprosset die Pflanze Geheimeres Lebens. Wer spähte die Fasern Der untersten Wurzel? Den Sprößling des Himmels Nährt himmlischer Tau, Im segnenden Strahl Der ewigen Sonne! Wie heißet das Licht Der ewigen Sonne? Sein Name ist Wahrheit! Wie heißet die Glut Der ewigen Sonne? Ihr Name ist Liebe! Schauer der Ehrfurcht, Der Freude Schauer, Beben mir, o Geliebte! durch Mark und Gebein, Beim Gedanken an dich, Die du sonnest im Strahl Der ewigen Sonne! Heb', o Geliebte! Heb', o Gesegnete des Herrn! Auf deinen Schwingen, Zur ewigen Sonne, Heb', o Geliebte, mich empor!