96. Abendlied 1793. Groß und rotentflammet schwebet Noch die Sonn' am Himmelsrand, Und auf blauen Wogen bebet Noch ihr Abglanz bis zum Strand; Aus dem Buchenwalde hebet Sich der Mond, und winket Ruh Seiner Schwester Erde zu. In geschwollnen Wolken ballet Dunkler sich die rote Glut, Zarter Farbenwechsel wallet Auf der Rockenblüte Flut; Zwischen schwanken Halmen schallet Reger Wachteln heller Schlag, Und der Hirte pfeift ihm nach. Wohlgeruch entsteigt den Auen Dort in zartgewundnem Duft, Und die jüngsten Stauden tauen Kühles Labsal durch die Luft; Jedes Blümchen saugt mit lauen Lippen, und das Gräschen sinkt Unter Perlen, die es trinkt. Ihre Ringeltauben girren Noch die Täuber sanft in Ruh, Düstre Fledermäuse schwirren Nun dem glatten Teiche zu, Und der Käfer Scharen irren, Und der Uhu, nun erwacht, Ziehet heulend auf die Wacht. Mit dem Köpfchen im Gefieder Schlummern unsre Sänger nun, Es verstummen ihre Lieder, Selbst die lauten Stare ruhn Auf den schwanken Binsen wieder, Nur die Nachtigall allein Freut sich noch im Mondenschein. Wie, auch in der Stille rege Mit dem Anbeginn der Nacht, Nach der mannigfalt'gen Pflege, Nun die Mutter ist bedacht, Daß sie ihre Kindlein lege; Wie sie jedes letzten Gruß Noch belohnt mit weichem Kuß; Also, nach des Tags Getümmel, Schaut der ew'gen Liebe Blick Durch den sternenvollen Himmel Auf die Erde noch zurück; Früh vernimmt sie das Gewimmel Der erwachten Erd', und spät Hört sie den, der einsam fleht. Wenn die Nachtigallen flöten, Hebe dich, mein Geist, empor! Bei des jungen Tags Erröten Neig', o Vater, mir dein Ohr! Von der Erde Freud' und Nöten Steig', o Geist, im Duft der Au! Send', o Vater, deinen Tau!