D' Marie Maria Seibold war nun schon Drei Jahre in der Kondition Als Kellnerin beim Hackerbräu. Auch war sie fleißig, ehrlich, treu. Das Leben einer Kellnerin Fließt nicht in lauter Unschuld hin. Die Gäste werden leicht frivol, Beeinflußt durch den Alkohol. Sehr häufig zeigt ein alter Mann Gefühle, die er nicht mehr kann; Die Zote ist der letzte Trieb, Der ihm von allem übrigblieb. Die Kellnerin ist das Objekt Für Witze, die man sonst versteckt, Wie meckert so ein alter Greis, Wenn er was Ordinäres weiß! Wie herzlich lacht der Großpapa, Und tut hihi und tut haha! Und denkt sich, eine Kellnerin Nimmt jeden Unflat gerne hin. In dieser Welt der Sinnenlust Blieb Marie immer selbstbewußt, Was sie vernahm, war oft gemein, Jedoch ihr Herz blieb sittenrein. Kein Fähnrich und kein Korpsstudent Erschütterte ihr Fundament. Ja selbst der schönste Offizier Erreichte niemals nichts bei ihr. In ihrem Busen war kein Platz Für Liebe oder einen Schatz. Sie blieb das ganze Jahr allein Und mochte nicht und sagte »nein«. Indessen, wer es recht versteht, Der weiß ja selber, wie das geht, Die Tugend ist ein Zwangssystem Und insofern nicht angenehm. Ihr Gegenteil ist ein Genuß; Man hat sie bloß, weil man sie muß, Man gibt sie weg, sobald man kann, Es fragt sich nur: mit wem und wann. Er hieß mit Namen Konstantin Und kam durch einen Zufall hin. Als Maler brauchte er Kredit Und teilte es dem Mädchen mit. Sie pumpte ihm. Man weiß es ja: Vertrauen bringt die Herzen nah, Und so erwachte auch für sie Der erste Keim der Sympathie. Ein Weib fühlt stets für einen Mann, Dem es mit etwas helfen kann, Die Regung schöner Zärtlichkeit, Die dann naturgemäß gedeiht. Das Wohlgefallen wächst an Kraft, Die Neigung wird zur Leidenschaft, Und wenn das Schicksal sie nicht trennt Kommt das geschlechtliche Moment. Auch hier in dem besondern Fall Ging es wie stets und überall. Am dritten Tag war Konstantin Das Ideal der Kellnerin. Er selber nahm es mehr als Scherz, Denn ein erprobtes Männerherz Gibt mancherlei Gefühlen Raum Und tändelt bloß und merkt sie kaum. Indessen auch im leichten Spiel Verfolgt man das bewußte Ziel, Das jenseits von der Tugend liegt, Die selten kämpft und niemals siegt. Natürlich nahm es Konstantin Als ziemlich selbstverständlich hin, Daß sie ihm gern und liebevoll Das Allerbeste opfern soll. Sie sträubte sich; doch war der Ton Mit dem sie's tat, Gewährung schon. Es klang in das verschämte »Nein« Ganz leise hörbar »ja« hinein. »O Marie, tu nur zimperlich: Was wetten wir, ich kriege dich.« So sprach sehr oft der Konstantin, Indem er heimging, vor sich hin. Die Zeit für einen Sündenfall Ist sicherlich der Karneval, Man hat den Ort, man hat die Zeit, Verführung und Gelegenheit. Man sagt ganz harmlos: »Ach herje, Wie wär's mit einem bal paré.« Man bietet sich zum Schutze an, Damit das Mädchen gehen kann. Das arme Ding, das gar nicht ahnt, Was man so nebenbei noch plant, Sagt höflich: »Ja, da gehen wir.« Es denkt nur an das Tanzpläsier. Das Lamm, das auf der Wiese springt, Folgt seinem Metzger unbedingt Und denkt an keine arge List, Bis daß es dann geschlachtet ist. Der Schmetterling fliegt in das Licht Und denkt an keine Folgen nicht; Der Vogel merkt den Leim erst dann, Wenn er nicht mehr von hinnen kann. Und kurz und gut, manch schönes Kind Ist harmlos, wie die Tierchen sind. So fiel auch Marie ohne Arg Und Ahnung in den Tugendberg. Die Geige klingt, die Flöte pfeift, Wie so ein Walzer uns ergreift! Das Herz des Mädchens quillt empor, Es kommt ihm alles göttlich vor. Tira – la – lala – ach wie gut. Es klopft der Puls, es wallt das Blut. Er tanzt auch links mit viel Geschick, Und immer feuchter wird der Blick. »Mein Herr, Sie tanzen gar zu eng.« »Das kommt von selber im Gedräng'. Entschuldigung, das war mein Knie. Ich höre auf.« »Nein, bleiben Sie.« Wie sich das Arm im Arme wiegt! Wie sich das Herz am Herzen liegt! »Bist du mir gut?« »So sei doch still.« »Nein, sag mir, was ich wissen will!« Es rötet sich das Angesicht. »Ach, Konstantin, ich sag' es nicht, Ach, Konstantin, du weißt es schon!« Da schweigt der süße Geigenton. Sie ist erschöpft. Ein Gläschen Sekt Erleichtert ihm, was er bezweckt, Es kommt nun, wie es kommen muß, Ein langer Kuß, und noch ein Kuß. »Um Gottes willen, Konstantin! Wo denken Sie denn wirklich hin?« »Und sträube dich nicht immerzu, Es gibt kein ›Sie‹, wir sagen ›du‹.« Im Palmengarten wird es schwül, Es steigert sich das Lustgefühl; Wie sich ihr Busen hebt und senkt! Ihr Auge sagt, was sie sich denkt. O Marie, du bist auf der Bahn, Die abwärts führt. So geht es an. Ein Kuß ist so gefährlich nicht, Doch schlimm ist das, was er verspricht. Sie schmatzen wieder. Tätere–tä! Man bläst das Zeichen zum Fraßä Autsch Mädchentugend! Autsch Marie! O kehre um! Jetzt oder nie! Sie bleibt und spricht der Sitte Hohn. Ihr guter Engel ist entflohn, Und nun entwickelt sich im Saal Das wohlbekannte Bacchanal. Es steigern sich bei jeder Tour Die wilden Triebe der Natur; Es fliegt das Bein, es fliegt der Rock, Ein jeder Jüngling wird ein Bock. Beim Tanze, da gilt keine Kunst. Man dreht sich nur in toller Brunst, Man jauchzt besessen, schreit und stampft, Man lacht und brüllt und schwitzt und dampft. Du süße Unschuld, lebe wohl! Das andre macht der Alkohol. Du hast's erreicht, mein Konstantin! Sie ist verloren. Nimm sie hin! Und bei dem letzten Flötenpfiff Erlosch ihr letzter Schambegriff, Sie duldet jeden Händedruck, Verzichtet auf den Tugendschmuck. Und das Programm entwickelt sich, Verliebt, begehrlich, liederlich, Sie ißt noch Weißwürscht, geht zu ihm. Nun sind ja wieder zwei intim. Maria ist nach dieser Nacht In seinem Atelier erwacht, Und von derselben Stunde an Geriet sie auf die schiefe Bahn. Sie schäkert jetzt mit jedem Gast Und freut sich mehr als jede fast, Wenn so ein ordinärer Greis Am Stammtisch was Gemeines weiß.