Ludwig Thoma Lottchens Geburtstag Lustspiel in einem Akt Personen Personen. Geheimrat Dr. Otto Giselius, Universitätsprofessor. Mathilde, seine Frau. Lottchen, beider Tochter. Cölestine Giselius, Schwester des Geheimrats. Dr. Traugott Appel, Privatdozent. Babette, Köchin bei Giselius. 1. Szene Erste Szene Großes Zimmer. Gemütliche Einrichtung im Biedermeierstil; weiße Vorhänge an den Fenstern. Rechts ein runder Tisch, ein Kanapee, mehrere Stühle; vor einem Fenster ein Lehnstuhl; ein Flügel rechts. Eine Türe in der Mitte, eine Türe links. stellt auf einen weißgedeckten kleinen Nebentisch ein Blumenbukett und ordnet einige Geschenke, die dort liegen. tritt durch die Mitte ein. Nun frage ich zum dritten Mal, wo sind meine Zeitungen? sich halb umwendend. Dort auf'm Flügel. M-ja, richtig. Nimmt sie weg. Es ist merkwürdig, daß ich jeden Tag eine Forschungsreise nach meinen Morgenblättern machen muß. Warum liegen sie nicht in dem dazu angebrachten Behälter? Weil sie der Herr Geheimrat jed'smal herausnimmt und irgendwohin legt. So? Sich nach ihr umsehend. Was machst du denn eigentlich da, Tildchen? Die Geschenk' richt' ich her. Wem und was wird geschenkt? mit leichtem Vorwurf. Unserm Lottche zum Geburtstag. Sieh mal an! Unser Lottchen hat Geburtstag! Du denkst aber wirklich an alles. Er tätschelt ihr die Wange. Man sollte sich derartige Feste schriftlich notieren. Ja, und die Notize verlege. setzt sich in den Lehnstuhl und öffnet eine Zeitung. Lottchen hat Geburtstag? Sich besinnend. Sag mal, wäre es nicht angezeigt gewesen, wenn ich mich an den Geschenken beteiligt hätte ? gemütlich. Eigentlich – ja. Warum sagst du nichts? Du kannst doch den animus donandi bei mir voraussetzen! Nu red' doch net! Seit einer Woche erzähl ich dir, daß wir Lottche was schenke müss'n. Seit einer Woche? Es kann noch länger sei. Dann trifft allerdings mich der Vorwurf der mangelnden Sorgfalt. Ich hab' aber für dich eingekauft. Man heißt das eine negotiorum gestio, eine Geschäftsführung ohne Auftrag, ja. auf den Tisch zeigend. Das Tagebuch in Leder gebunde is von dir. aufgeräumt. Und dazu legst du ihr meine Abhandlung über die specificatio. Was tut sie mit der? vorwurfsvoll. Liebes Kind, hast du eine Ahnung, wie lebhaft die Streitfragen sind? Schon unter Gaius wurden sie aufgerollt ... Also schön, ich leg dei Abhandlung hin. 2. Szene Zweite Szene Von links kommt Babette herein; mit aufgekrempelten Ärmeln, hochrot im Gesichte. Frau Geheimrat, wie is jetzt? Soll ich en Kaffeezopp mache? überlegend. En Zopp? Oder en Zimtkuche? Unser Fräulein Lottche ißt'n als zu gern. Was Ihne weniger Arbeit macht, Babettche. Aber wo is denn Lottche? Sie is gleich nach'm Kaffee weg, un ich soll der Frau Geheimrat sage, bis elf is se lang wieder daheem, un ich glaub als, sie bringt uns e Präsent heem ... Das sieht dem gute Kind gleich. Sie hat so freindlich gelacht, wie sie fort is; aber jetz muß ich in mei Küch. Hernach mach ich doch en Zimmtkuche ... Ab. 3. Szene Dritte Szene Tildchen! Ja? Ich denke gerade darüber nach: wie alt wird denn unser Lottchen? Zwanzig. Deswege mache wir's doch festlicher wie sonst. Dann weiß ich, was mir die ganzen Tage her im Kopf umgegangen ist. Schlägt mit der Hand auf die Stuhllehne. Ja, das war es! Du hast an unser Fest gedacht? Das is nett von dir. Nicht so eigentlich an das Fest ... nein; an etwas anderes, was damit zusammenhängt. Is es wieder dei specicatio? Spe-ci-fi-catio, liebes Kind. Die Verarbeitung einer res mobilis in neue Formen. Schon die Sabinianer waren der Ansicht ... unterbrechend. Und was hat das mit Lottche zu schaffe? zerstreut. Wie? Du sagst, es hängt mit 'm Geburtstag zusamme. Du hast meinen Gedankengang unterbrochen ... Lottchen wird heute zwanzig; du irrst dich darin nicht? gemütlich. Nein. aufstehend. Dann ist es höchste Zeit. Ja, nun ist mir alles wieder klar, was Butterweck schrieb. Darf ich's net wisse? Du mußt es sogar erfahren. Auf und ab gehend. Es war vor vier Wochen, ich las damals über Familienrecht, ganz richtig, so war es, und da kam mir nun dieser Aufsatz unseres vortrefflichen Butterweck vor Augen und erinnerte mich an eine Pflicht, die ich als pater familias zu erfüllen habe. An eine unabweisliche Pflicht. ist neugierig geworden. Willst du net endlich sage – – ? Die Sache liegt klar. Aus dem Pflichtenkreise der väterlichen Gewalt resultiert gerade diese Obliegenheit ganz unzweifelhaft. ungeduldig. Was für e Obliegeheit? Geheimrat Butterweck hat in zwingender Beweisführung dargetan, daß man seine Kinder über gewisse natürliche Dinge aufzuklären hat. Die Folgen der Unterlassung können schrecklich oder beschämend sein. Bleibt stehen. Und siehst du, Tildchen, diese Verantwortung kann ich nicht übernehmen. Ich werde deshalb unser Lottchen aufklären. Über was willst du sie aufkläre? Nun, über das. Da ihn Frau Giselius noch immer verständnislos ansieht. Über das Zusammenleben, über das eventuelle Zusammenleben mit einem Manne. schlägt die Hände zusammen. Haww ich scho so was gehört! entschieden. Der Zeitpunkt ist nicht zu früh gewählt. Und nun ist es an mir, ihre Unerfahrenheit zu beheben. wie vorher. Hat eens schon so was gehört! Du wunderst dich darüber bloß, weil wir heute zu engherzig erzogen sind. Butterweck weist darauf hin, daß manche Völker des Altertums den jungen Mädchen sogar Unterricht in der Liebe erteilen ließen. Mensch! Otto! Geheimrat! Ich sage das nur zu deiner Beruhigung. Natürlich denkt heute niemand daran, seine Tochter auf zyprische Weise erziehen zu lassen. Vielleicht kommt Ihr mit eurem Butterweck auch noch so weit! Daß en Mann in deine Jahr sich so Zeug aufschwätze läßt. Tildchen, das verstehst du nicht. Gegen den Aufsatz läßt sich nichts einwenden; er war ganz folgerichtig aufgebaut. Meinetwege, aber mußt dann du so was ernst nehme? Welchen Wert haben erkannte Wahrheiten ... Ihr schreibt viel, wenn 's Jahr lang is. ruhig verweisend. Welchen Wert haben erkannte Wahrheiten, wenn wir sie im Leben nicht anwenden? Und wie du auf die Idee kommscht, daß unser Lottche noch extra aufgeklärt werde muß? verständnislos. Hm? Wer sagt dir dann, daß sie's nötig hat? Hast du mit ihr darüber gesprochen? I wo! Ich auch nicht. Also? Glaubst du wirklich, daß junge Mädche so was lerne müss'n, wie d' Grammatik? Jedenfalls kenne ich keinen Weg, eine Tatsache mitzuteilen, als den der Schrift oder der Sprache. Giselius! Ja, keinen andern Weg. Guckst du gar nie aus deiner Stub raus? Und weißt net mehr, was jung is? Was soll das heißen? Daß man so was fühlt und ahnt ... und ... Bleiben wir bei logischen Begriffen! eifrig. Du lieber Gott! Woher's die junge Mädche wisse? Vielleicht singen's ihne die Maikäfer in die Ohre, oder es klingt in der Luft, aber ganz gewiß, an eme schöne Frühlingstag wisse mir alles. Das kann ich mir ja lebhaft vorstellen. Nein! Du kannst dir's net vorstelle. Aber wann du emal Mädche siehst, die lache, und wisse net warum, und die rot werde, und wisse net wie, dann haben sie's grad erfahre. ironisch. Soo? Ja. Das sind romanhafte Ideen, die ihr weiß Gott woher nehmt. Was mit der Lieb zu tun hat, muß e bißche romantisch sei. Nein, Tildchen! Alles, was wir tun, soll zweckmäßig sein und ... Ich mag so was net höre ... Bitte. Die Ehe ist ein Vertrag. Darf man es dulden, daß ein schwaches Wesen diesen wichtigen Vertrag eingeht, ohne klare Erkenntnis in die Pflichten, den Endzweck et cetera? Das et cetera kommt von selber. Ich wollte nur, du hättest Butterweck gelesen! Bleib mir ewek mit dem! Seine Logik ist zwingend. Frau Giselius macht eine abwehrende Geste. Ja! Sie ist es. Er schreibt zum Beispiel ... warte ... mir fällt es gleich ein ... Nachdenkend. Es ist grausam, jede Generation ihre Erfahrungen immer auf ein neues erringen zu lassen. Das is doch grad schö! Was ist schön? Die Erfahrung erringe. Man muß aber schon e Gelehrter sei, wenn em das so schrecklich vorkommt. verzweifelt. Da fehlt eben alles Positive! Meinswege. Jeder fest abgegrenzte Vorstellungsinhalt. Überhaupt, was brauchst du dich um so Sache zu kümmere? Das kannst du ruhig deim künftige Schwiegersohn überlasse. ungeduldig. M-m! Den geht's was an, aber dich net. laut und lehrhaft. Wenn nun aber dieser künftige Schwiegersohn ebenso unerfahren ist? Hernach tut er mir leid. Bitte, beantworte mir in strikter Weise meine Frage. Wie dann, wenn er ebenso unerfahren ist? die Achseln zuckend. In Gottes Name! Dann könnt'r immer noch komme, du un dei Butterweck. Eine Fülle von peinlichen Momenten wäre die Folge. Für ihn und für sie. lacht herzlich. Was müßt das für e Leilaps sei! Mir ist es bitter ernst. Ich weiß persönlich, bis zu welchem Grade man als junger Mann unwissend sein kann. gemütlich. Nu also! verständnislos. Wie? Und doch is unser Lottche da. betroffen. Allerdings. Sie ist da ... Aber warum sollen wir sie nicht im vor hinein auf eine Stufe der Erkenntnis setzen, die wir erst erklimmen mußten? heiter. Otto, wenn du schon die Stuf' ... energisch. Keine Scherze jetzt! Überdies bist du im Irrtum. Ich will dir nur sagen, ich ermangelte damals nicht gänzlich der Erfahrung. lustig. Na! Na! Na! eindringlich. Nein, Tildchen! Ich glaub' net an dei Jugendsünde. Wer spricht von so was? Weil du sagst, daß du net ... nu ja, daß du net ... Daß ich nicht gänzlich der Erfahrung ermangelte. Und ich mache dich mit dieser Tatsache nur deshalb bekannt, weil sie hier nützen kann. lustig. Mir isch die Tatsach neu. Ich muß offen und deutlich reden. hält sich scheinbar die Ohren zu. Hör uff! auf und abgehend. Es war damals, am Tage vor unserer Hochzeit. Ich sagte mir, daß ich so rei ignarus, wie ich war, diesen wichtigen Schritt nicht unternehmen dürfe. Frau Giselius sieht ihm lächelnd nach. Und ich beschloß, mir Aufschlüsse zu verschaffen. Aber Otto! sehr ernst. Ja, und in meiner Not ging ich zu unserm vortrefflichen Zoologen Dr. Busäus. Ihm verdanke ich es, wenn ich einiges wußte. amüsiert. Dem alte Busäus? Ihm, ja. In einer unvergeßlichen Unterredung hat mich der würdige Gelehrte aufgeklärt. lachend in einen Stuhl fallend. Der alt, griesgrämig Jungg'sell? ernst fortfahrend. Und die Erinnerung an jene Stunde ... Zu Frau Giselius, die noch heftiger lacht. Was hast du? Ei, wenn ich das gewußt hätt! Ich hab ihm net emol gedankt! verweisend. Mir gibt diese Erinnerung die ernste Mahnung, daß ich mich meiner Pflicht nicht entziehe. Im Gegenteil; jetzt brauchst du dich gar nimmer zu strapaziere ... Hm? So lang's Zoologe hat! Es ist heute nicht schwer, darüber zu lachen, aber damals habe ich es bitter empfunden, daß so viel von einem Zufalle abhing. Denke dir, wenn Busäus verreist gewesen wäre? Damals? Ja, oder krank? Oder selbst nicht in der Lage? steht auf und geht nahe zu ihm. Dann, du Tolpatsch, hätt' ich dir vielleicht was ins Ohr gesagt. geht zum Lehnstuhl, nimmt die Zeitung und setzt sich. Wir wollen über all das reden, wenn du einmal ernsthafter gestimmt bist; jedenfalls bin ich mir vollkommen darüber klar, daß und warum ich mit unserm Kinde über diese wichtigen Dinge reden muß. Fängt zu lesen an. Daß und warum, jawohl! 4. Szene Vierte Szene Die Türe in der Mitte wird halb geöffnet, und man hört die laute und fröhliche Stimme von Cölestine Giselius, die sogleich eintritt und unter der Türe nach rückwärts spricht. trägt einen Blumenstrauß. Es ist nit notwendig, Babettche, ich dank vielmals; ich werd schon was finde, wo ich den Strauß nei steck. Ganz eintretend, zu Frau Giselius. Gute Morche, Tildche! Ei, wo is denn unser Geburtstagskind, daß ich mein Glückwunsch anbring? ihr entgegengehend. In der Stadt, Stinche. Nei, was du wieder für Geld ausgegebe hast. Nimmt ihr den Strauß ab. Den stelle mir aber in die Mitt. Sie nimmt eine Vase, die auf dem Flügel steht, steckt den Strauß hinein und stellt ihn auf den Tisch. sieht den Professor, der hinter seiner Zeitung steckt. Mit einem Knicks. Allerergebenst, Herr Geheimrat! ohne auszusehen. Guten Morgen! zu Frau Giselius. Was macht se denn in der Stadt? Sie muß was besorge; wahr scheinlich will sie uns auch e Präsent mache. Zur Feier des Tags? Nei, wann ich denk, daß der klei Spatz heut zwanzig Jahr alt werd! Ich mein immer noch, ich muß sie im kurze Rock sehe. Es ist fast schad, Stinche. Und jetzt werd se euch bald aus'm Nescht fliege. Da is noch gar kei Aussicht! Du, glaub das net! Vor du guckst, is se weg. Wann's ebe sei muß ... Ich muß d'r doch was erzähle ... Sieht nach Professor Giselius, der in seine Zeitung vertieft ist. Ich wollt scho vorgescht're, aber du warscht net daheem. Mit dem Kopf auf Giselius deutend. Un mit dem do kann m'r doch über nix Gescheidt's redde. neugierig. Von Lottche was? Hör als zu! Am Samstag wart 'r doch auf'm Kränzche bei Nonebergs. Isch d'r da nix aufgefalle? nachdenkend. N-nei. Ei, mir hat doch die Musovius erzählt, daß en neugebackener Privatdozent beim Lottche die Kur geschnitte hat. Ach, die hört's Gras wachse. eifrig. Gib nor acht! Ich bin also gescht're zum Kaffee wieder bei d'r Musovius, un auf emol kommt en B'such, en junger Mensch un macht ei eckich Kompliment nach dem annere, un wie mir'n endlich glücklich in ein Stuhl drin hawwe, pischpert mir die Musovius ins Ohr: Du, das isch er ... gespannt. Der ...? Deim Lottche die Kur geschnitte hat. Wie sieht er dann aus? Wie se halt aussehe. Mit dem Kopf nach Giselius deutend. Und mit die Gedanke immer wo anders. Ich kann mir gar net denke ... Er werd wohl net sehr stürmisch gewese sei. Du weißt ja, wie die Gattung Nach dem Professor hin nickend. die Kur macht. Ich hab' wohl gesehe, wie so e junger Mann unserm Lottche e Limonad gebracht hat ... Das is viel. Aber getanzt hat'r net mit ihr. Er werd vielleicht net könne; aber hör' zu. Die Musovius bringt natierlich möglichscht bald 's Gespräch drauf, daß ich die Tant bin von Fräulein Giselius, und da werd er rot, wie e Institutmädche und fangt en ganz vernünftige Dischkurs an, wie's ihr geht, und ob sie gut heimgekomme isch vom Kränzche, und halt so weiter, fascht wie e normaler Mensch ... Guck emol! Und ich hab'n bißche aufgemuntert und hab' auch in's Gespräch ei'fließe lasse, wie m'r nächschtens den Geburtstag von unserem Lottche feiern. Da könne Sie sich e bißche angenehm erweise, sagt die Musovius, und er sagt, er muß so bald Auf Giselius hinüber nickend. unserer Kapazität do sein Antrittsbesuch mache. Is er auch Jurist? Nei. Er isch Zoolog. Zoolog? Sie fängt herzlich zu lachen an. Ei, was hoscht du dann? setzt sich auf einen Stuhl und lacht ausgelassen weiter. Ich muß mich setze. Was amüsiert dich dann so? Ich erzähl dir's schon, Stinche; laß mich nur erst Luft kriege! Zoolog is'r! Lacht auf ein neues. Wann du hörst, was mir für e Debatt geführt hawwe, du lachst dich krank ... zu Giselius hin nickend. Mit d'r Kapazität? Natierlich! Du glaubst net, was der für Mücke im Kopf hat! Ich kann mir's denke. Nei, auf des kommscht du deiner Lebtag net. Un ... Wieder in Lachen ausbrechend. un von der Zoologie is auch die Red ... neugierig. Mach e bißche zu! Du, was die für e Roll spielt in meim Lebe! Lacht. über seine Zeitung weg. Was bedeutet dieser Heiterkeitsausbruch? Ich will grad erzähle, was für väterliche Pflichte du entdeckt hast. aufstehend. Das ist doch eine Frage, die nur zwischen dir und mir Sich besinnend. aber – ja! Gut, meine Schwester soll ihre Meinung sagen; sie könnte in gewisser Beziehung sogar authentisch darüber urteilen. Was wollt'r von mir? eifrig. Also, unser Lottche ... Nein, ich bestehe darauf, daß ich das ... Problem unserer Cölestine vortrage. Ich hab jetzt scho angefange ... Und ich habe bestimmte Gründe, warum ich selbst zunächst einige Fragen stellen will. Wir wollen hier ad hominem demonstrieren. zu Cölestine. Du kannst dich freue. neugierig. So macht doch zu! Gerade mit dir kann ich das ad hominem demonstrieren. Es wär' doch g'scheidter, wann Tildche ... nötigt Cölestine in einen Stuhl, schlägt die Arme übereinander und spricht in lehrhaftem Tone. Du wirst mir den Gefallen tun, nicht wahr, Cölestine, logisch zu folgern und präzis zu antworten? resigniert. In Gottes Name! Und insbesondere möchte ich dich ersuchen, nicht vom Hauptgedanken abzuirren, wie das nun einmal leider der weibliche Fehler ist ... Und ich möcht dich insbesondere gebete hawwe ... Halt dich am Stuhl fescht, Stinche! sich unwillig räuspernd. Du bist zwar schon ziemlich bei Jahren, Cölestine, aber noch im status quo ante, ich meine ... Daß ich sitze gebliewe bin ... Daß du im eigentlichen Sinne Mädchen bist. Was wollte ich sagen? Ja. Nehmen wir an, es würde dich jemand zur Frau begehren. I, wo werd eener! Als Hypothese angeführt, es würde ein Mann um dich werben ... Das gibt's nimmer. ungeduldig. Natürlich gibt es das nicht mehr. Aber konditionaliter, wenn es so wäre, – würdest du nicht doch froh sein, wenn dir eine geeignete Persönlichkeit Aufschlüsse erteilen würde? Von dir möcht' ich gewiß kei'. Ich rede doch ganz im allgemeinen ... Ei, du bischt doch der letzt, den m'r um so was fragt! sehr ungeduldig. Kannst du einen Gedanken nicht vom Persönlichen losschälen? Wer spricht denn von mir? Du selber. Ich? Du willst doch deiner ganze Verwandschaft Instruktione gewe. Denk dir nur, Stinche, er is wie drauf versesse. Ja, sag mir nur g'rad, wie du auf so Idee kommscht? Biet' er sich an, er will mir Aufschluß erteile! verzweifelt. Aber ... Ich dank d'r recht schö für'n gute Wille. Aber ... Un die nämlich G'fälligkeit will er unserm Lottche erweise ... mit lustiger Entrüstung. Hör emol, das geht über'n Spaß! Ich bitte mir endlich Ruhe aus, und daß man hier nicht von einem Spaß spricht! Ernst kann doch so was net sei! Ich wenigstens verbitt mir dei Aufschlüss'. Es ist Ernst, und wenn du mich ruhig angehört hättest, dann wäre ich vielleicht gerade durch dich in meinem Vorhaben bestärkt worden. Durch mich? Aber natürlich, man begegnet bei euch stets einem Widerspruch oder schlechthin der Unmöglichkeit den eigenen Vorteil zu erkennen. zu Frau Giselius. Was hat 'r denn heut? Propter imbecillitatem sexus, wie die Römer zutreffend sagten. Wegen der angebotenen Schwäche des weiblichen Geschlechtes! Du, mir wolle heut vergnügt sei. Komm nur net ins Deklamiere! deklamierend. Ist es nicht unerhört, daß man in einem nützlichen Bestreben von den nächst beteiligten Personen gehindert werden soll? Aber ich sagte schon, daß es sich auf meiner Seite um eine Pflicht handelt, um eine Tätigkeit sohin ... Stinche, drei Wort! Weil unser Lottche heut zwanzig Jahr alt is, will er ihr ... nu ja, du hascht's ja gehört. Er glaubt felsefest, daß ... Lispelt ihrer Schwägerin in die Ohren. Ach, du lieber Gott! Beide lachen ausgelassen. Er laßt sich's net nehme. lacht wieder. Otto! Ich soll wieder was hören von Ahnungen? Aber ich erkläre hiemit ausdrücklich ... Tu, was du net lasse kannscht! 's Lottche wird dich hoffentlich brav auslache, aber das sag' ich dir, heut darfst du mir das Privatissimum net lese. Ich sehe den Grund nicht ein. Gerade heute ... Nei, und heut is emol Feschttag ... Aber ... Un morge heirat sie noch net ... Sich plötzlich an etwas erinnernd, lustig. ... Übrigens, was hat mir denn Stinche erzählt? Denk dir nur, du kannscht dir wahrscheinlich die Arbeit spare ... verständnislos. Hm? Mir hawwe Aussicht, daß mir en Zoologe als Schwiegersohn kriege. Wieso? Gelt, Stinche? Wann mich net alles täuscht ... Und wann unser Lottche will ... Un du auch e bißche gescheit bischt ... Ich verstehe nicht. Ist denn der Kollege Siebenkäs Witwer geworden? Wer redt denn von dem alte Scheps? Nei, e junger, netter Mensch, der sich grad erscht habilitiert hat ... Und bis über die Ohre in dei Tochter verliebt is ... nachdenklich. Ein Zoologe? Freilich, un sehr tüchtig; was m'r hört. Dem Mann brauchst du doch net vorzugreife! zu Frau Giselius. Ich versteh als net ... Ich erzähl dir's dann. nachdenklich. Hm-ja ... in gewisser Beziehung wären hier Kautelen gegeben, wenngleich die Frage offen bleibt ... Denk doch an dein Lehrmeister, Busäus! neugierig. Was isch denn? winkt ihr lustig ab. Wenngleich die Frage offen bleibt, ob man generaliter annehmen darf ... Zu seiner Frau. Wann soll die Vermählung stattfinden? Wart doch e bißche ... Ob's 'm Lottche recht is ... Und bis er sich unser Einwilligung geholt hat. zerstreut. N-ja. Und vor der Erteilung des väterlichen Konsenses könnte immerhin noch Klarheit über diese Dinge verlangt werden. begütigend. Freilich kannscht du das ... In der Form, daß das rechtsgültige Verlöbnis unter einer Suspensiv-Bedingung abzuschließen wäre ... gemütlich. No freilich, so machscht du's. Professor Giselius setzt sich in den Lehnstuhl. Frau Giselius zwinkert ihrer Schwägerin lustig zu, die zu ihr herantritt und halblaut spricht. drängend. Jetzt sag mir nur um Gotteswille, was Ihr mit der Zoologie habt? Ich brenn scho darauf. Hascht du den alte Busäus gekennt? Wo wer ich net? Dem Mann verdank ich mei Lebensglück, Stinche. Cölestine sieht sie fragend an; Frau Giselius flüstert ihr hinter der vorgehaltenen Hand in die Ohren, wobei sie einige Male nach ihrem Mann hinsieht, der wieder in die Lektüre der Zeitung vertieft ist. Kleine Pause. Beide Frauen brechen in herzhaftes Lachen aus. Dem verdankscht du freilich viel. Stell dir bloß vor ... Wann der Mann net gewese wäre! Beide lachen wieder. Babette tritt ein durch die Mitteltüre. 5. Szene Fünfte Szene Es isch wer do. Hält eine Visitenkarte hin. Ei, so gib her! Nimmt die Visitenkarte und liest. Doktor Traugott Appel? Du, das isch er! Sieht sie fragend an. Die Zoologie! richtet an ihrem Häubchen. So führ'n doch gleich rei, Babettche! Was will er dann bloß? Er hat des größt Bukett in d'r Hand ... hastig zu Babette. Geh doch rasch! Babette geht zur Mitteltüre. Is denn 's Lottche noch net da? an der Türe. Ich haww nix von ihr g'sehe. Schau beim Fenschter naus und wink ihr, wann sie kommt. verstehend. Guck emol do! Sie soll sich tummle. Babette langsam ab. 6. Szene Sechste Szene Otto! Rappel dich in die Höh! Mir hawwe Besuch. zerstreut aufschauend. Wozu? ungeduldig. So mach doch! Un gelt, sei e bißche nett zu ihm! Es isch doch der Privatdozent, von dem mir erzählt hawwe. Wegen Lottche! Jetzt schon? mütterlich. Un mach kein Unsinn! Sie richtet an seinem Hemdkragen. Ich bin aber nicht so vorbereitet ... immer noch mit ihm beschäftigt. Dei Krawatt sitzt auch schepp ... so ... un muntre den junge Mensche auf. Pscht! 7. Szene Siebente Szene Unter der Mitteltüre erscheint Dr. Traugott Appel; Gelehrtentypus, blondes, ungescheiteltes Haar, das in der Höhe des Kragens glatt abgeschnitten ist; kurzer Vollbart, dicke Brille, die starke Kurzsichtigkeit vermuten läßt. Gehrock. In der rechten Hand hält er ein großes Bukett, in der linken den Zylinder. APPEL verlegen. Habe ich die Ehre, Herrn Geheimrat Dr. Giselius ...? ernst. Allerdings. rasch einfallend. Das isch die Frau Geheimrat, und ich hab ja schon 's Vergnüche ... APPEL sich nach allen dreien verbeugend. Gewiß ja ... ist meinerseits ... Wolle Sie net ablege, Herr Doktor? APPEL nimmt das Bukett in die linke, den Zylinder in die rechte Hand. Wenn Sie erlauben ... nimmt ihm den Zylinder ab und stellt ihn auf den Flügel. Gewwe Sie her! auf einen Stuhl deutend. Nehme Sie Platz un mache Sie sich's gemütlich! APPEL setzt sich auf den Rand des Stuhles. Das Bukett hält er krampfhaft fest. Ich bin so frei ... Sie sin erscht kurz in unserm Städtche? APPEL. Ja, es werden ungefähr zwanzig Tage ... Un Sie hawwe sich habilitiert? APPEL. Gewiß. feierlich. Als Zoologe? Nicht wahr? APPEL mit einer Verbeugung. Ja. Man hat mir davon bereits gesagt ... einfallend. Mein Mann hat nämlich ein Faible für Ihre Wisseschaft. APPEL mit schüchterner Verbeugung. Es ehrt mich, daß Herr Geheimrat davon Notiz genommen haben. Ja, das habe ich, und ich halte es für einen glücklichen Umstand. APPEL. Ich hoffe, daß es mir vergönnt sein möge, mich dieser Beachtung würdig zu erweisen. M-ja. Und wie gefällt's Ihne dann hier, Herr Doktor? APPEL begeistert. Es ist wundervoll; man kommt mir von allen Seiten so liebenswürdig entgegen, und dann auch das erhebende Gefühl der Tätigkeit ... Hawwe Sie schon angefange mit'm Vorlese? APPEL. Ja, über die Käferfamilie der Bostrichiden Zentraleuropas mit besonderer Berücksichtigung der für den Waldbau in Betracht kommenden, der Splintkäfer, Bastkäfer ... zerstreut und nachdenklich. M-hm, ja – ja. APPEL. Den großen und kleinen Kiefernmarkkäfer, von dem man gerade hier ganz herrliche Brutkammern findet. sieht ihn geistesabwesend an. Es ist mir bisher nicht aufgefallen. APPEL. Wenn sich Herr Geheimrat so sehr dafür interessieren, ich kann Ihnen auch den Bostrichus typographus in schönen Exemplaren vorweisen. Ich wünsch' Ihne bloß, Herr Doktor, daß sich recht viel Studente bei Ihne melde. Sie sin ja so eifrig in Ihrem Fach! APPEL. Bis jetzt haben sich vier eingeschrieben. Da is d'r Anfang schon gemacht ... APPEL. Allerdings kommt immer nur einer ins Kolleg, aber der Pedell sagte mir, daß die Bowlenzeit im Frühjahr die ungünstigste sei. fröhlich. Ach, die junge Leut! APPEL. Ich bedaure das sehr, weil gerade im Mai zum Beispiel die Beobachtung des Rüstersplintkäfers am dankbarsten ist, aber ich hoffe, daß es mir gelingen wird, meine Hörer gerade für diese Käferfamilie zu begeistern. mütterlich. Gewiß wird Ihne das gelinge. APPEL. Ich habe auch die Zuversicht, und wenn ich sehe, daß ein soviel beschäftigter Mann wie Herr Geheimrat sich für unsere Wissenschaft interessiert, so werde ich erst recht darin bestärkt. sehr zerstreut. Hm ... hm ... ja, gewiß. Was hawwe Sie denn für e schön Bukett, Herr Doktor? APPEL verlegen. Ich dachte ... ich hörte ... daß Sie ein Familienfest feiern, und da wollte ich mir die Freiheit nehmen ... Das is aber wirklich aufmerksam von Ihne! APPEL. Ich hatte die Ehre, Ihrem Fräulein Tochter vorgestellt zu werden, und da man mir sagte, daß Ihr Fräulein Tochter heute Geburtstag hat ... Ich glaub, ich hab so e flüchtige Bemerkung gemacht. APPEL. Wenn ich mich recht erinnere, allerdings ... Das is nett, daß Sie das noch wisse ... Wo Sie sich schon mitte in Ihr Tätigkeit gestürzt hawwe! APPEL verlegen lächelnd. Ich habe es mir gemerkt. zum Professor. Denk dir, Otto, der Herr Privatdozent is so liebenswürdig, unserem Lottche eigens zu gratuliere ... nachdenklich. Mm – ja. lebhaft. Und grad jetzt muß Lottche net da sei! APPEL bestürzt. Ist Ihr Fräulein Tochter verreist? Nei, sie is nur in die Stadt. Un muß jede Augeblick zurückkomme. Könne Sie noch e bißche warte, Herr Doktor? APPEL. Ich möchte aber nicht stören, wenn Sie doch in engem Kreise ... Sie störe ganz und gar net; ich will nur emol nachschaue, wo sie bleibt. Ab nach links. 8. Szene Achte Szene Gewwe Sie mir Ihr Bukett, Herr Doktor! APPEL. Ich kann es leicht halten. ist aufgestanden. Cölestine, möchtest du nicht so gut sein, den Herrn Privatdozenten und mich einige Zeit allein zu lassen? erstaunt. Warum? Geh nur! Bitte! an ihn herantretend. Menschenkind, was machscht du dann wieder? eigensinnig. Es ist notwendig; und sage draußen, daß man uns nicht stört! Cölestine geht achselzuckend und sich öfter umwendend links ab. Giselius schreitet nun auf und ab, indes Dr. Appel sitzen bleibt und noch immer das Blumenbukett vor sich hält. – Kleine Pause. 9. Szene Neunte Szene stehen bleibend. Nicht wahr, mein lieber junger Mann, Sie werden verstehen, daß meine Frage an Sie nur vom strengsten Pflichtgefühl diktiert ist? APPEL sehr bescheiden. Wie meinen Herr Geheimrat? Ich meine, daß ich als diligens pater familias dazu verpflichtet bin, und daß mich keine profanen Motive beseelen. Nicht wahr? APPEL eifrig, aber ohne ihn zu verstehen. Gewiß! Vielleicht könnten Sie mir entgegenhalten, daß es richtiger wäre, wenn ich das alles mit meiner Tochter besprechen würde. APPEL schüchtern. Ja, ich weiß nicht ... Doch! Ich sehe diesen Einwand voraus, und ich betone, daß meine erste Absicht auch dahin zielte, aber aus verschiedenen Gründen spreche ich eben doch lieber mit Ihnen. Erstens ... APPEL sich linkisch verbeugend. Es ehrt mich sehr ... ihn unterbrechend. Erstens ist es naturgemäß ein heikles Thema, dessen Besprechung sich zwischen uns leichter ermöglicht. Das geben Sie zu? APPEL hilflos. Wenn Sie glauben ... fortfahrend. Zweitens rechne ich bei Ihnen auf Verständnis und guten Willen, mich anzuhören ... APPEL. Aber gewiß, Herr Geheimrat ... fortfahrend. Auf den guten Willen, bei der Sache zu bleiben, ohne persönliche Einwürfe zu machen. APPEL. Sie dürfen überzeugt sein ... die Stimme etwas erhebend. Drittens und letztens ist für mich der Umstand ausschlaggebend, daß Sie Zoologe sind, denn Sie haben damit schon die Präsumtion für sich, daß Sie von meiner Seite aus keiner Belehrung bedürfen ... APPEL lebhafter. O nein, Herr Geheimrat, ich bin Ihnen dankbar für jeden Hinweis. Bei dem großen Interesse, das Sie unserer Sache entgegenbringen. Interesse ... nun ja. APPEL. Und den gewiß beachtenswerten Kenntnissen, die Sie sich errungen haben ... Davon wollen wir eigentlich nicht sprechen, verehrter Kollege. APPEL. Aber nach dem, was mir Ihre Frau Gemahlin sagte ... betroffen. Was hat meine Frau gesagt? APPEL. Daß Sie von jeher für unsere Wissenschaft das wärmste Interesse hegten ... etwas ungeduldig. Ach wo! APPEL. Und sich viel damit beschäftigten? Fällt mir doch gar nicht ein! APPEL. Ich glaubte aber ... Wo in aller Welt hätte ich die Zeit dazu finden können! Nein! Nein! Derartige Scherze dürfen Sie nicht ernst nehmen. Aber wir wollen auf unser eigentliches Thema zurückkehren ... Er rückt mit dem Stuhl näher an Dr. Appel heran. Sie sitzen einander gegenüber, so daß sich ihre Knie beinahe berühren. APPEL unsicher. Auf unser Thema? Sie werden also Ihren Einwand, daß ich mich richtiger an meine Tochter wenden würde, Sie werden also diesen Einwand fallen lassen? APPEL. Ich verstehe wirklich nicht ... Wir werden uns sofort verstehen, mein lieber ... Sucht nach dem Namen. APPEL sich verbeugend. Doktor Traugott Appel. Wir werden uns rasch verstehen. Und wenn ich Ihnen sage, daß ich vor reichlich zwanzig Jahren in der gleichen Lage einem erfahrenen Freunde gegenüber saß und von ihm Belehrung erbat, so werden Sie unsere jetzige Situation als eine naturgemäße und keineswegs beklemmende ansehen ... APPEL spielt mit seinem Blumenbukett. Gewiß! Eben. Und so wollen Sie sich also nicht länger dagegen ablehnend verhalten? APPEL wie oben. Nein. Dann gehen wir in medias res und beantworten Sie mir die Frage, ob Sie mit dem Wesen der Ehe vertraut sind? APPEL ihn erstaunt ansehend. Mit dem ...? nimmt ihm sanft den Blumenstrauß weg und hält ihn nun selbst in der rechten Hand. Ob Sie mit dem Wesen der Ehe vertraut sind? APPEL verlegen und hilflos. Ich ... ich weiß nicht. väterlich verweisend. Lieber, junger Freund, das ist auch keine präzise Antwort. Ich weiß doch, ob ich weiß! APPEL sehr verlegen. Vielleicht habe ich noch sehr wenig darüber nachgedacht. Ja, glauben Sie, daß hierin irgend etwas aus einem Denkprozesse zu gewinnen ist? APPEL schüchtern fragend. Nicht? Nein! Bester! Teuerster! Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, nicht das mindeste! APPEL immer schüchterner. Vielleicht könnte ich ... Sie wissen also nichts? Rein gar nichts? APPEL. Ich glaube nicht ... bekümmert. Das erschwert natürlich meine Aufgabe sehr! Er steht auf, legt das Bukett auf den Stuhl und geht auf und ab. Das erschwert natürlich meine Aufgabe ganz wesentlich. APPEL. Es tut mir so leid ... sich nach ihm umdrehend. Was hilft mir das? Hm? Ich stehe nun einfach vor der überaus heiklen Pflicht, Ihnen nicht weniger wie alles sagen zu müssen! APPEL. Vielleicht könnte ich zu Hause einiges Sachdienliche lesen und dann mit Ihnen darüber sprechen? Wie? APPEL nimmt das Bukett vom Stuhl weg und hält es wieder vor sich hin. Ich meine, ich könnte vielleicht eingehende Spezialwerke lesen. Ach wo! Das ist nichts. Er sieht Dr. Appel nachdenklich an. Hm! Hm! Hm! Nun stelle ich die Frage an mich, ob es nicht doch besser wäre, wenn ich das Thema mit meiner Tochter durchspräche? APPEL lebhafter. Aber, wenn Sie es für notwendig halten, sprechen Sie, bitte, ruhig mit mir. achselzuckend. Tja! APPEL. Ich lasse mich gerne belehren ... Das sagen Sie so! Setzt sich wieder wie vorher; vorwurfsvoll. Ich hätte geglaubt, daß Sie als Zoologe durch Ihr Studium an dieses Problem wenigstens herangeführt worden wären! APPEL. Meine Spezialität waren von jeher die Bostrichiden. verständnislos. Die ...? APPEL. Borkenkäfer. Das gibt mir nicht viel Hoffnung. Müssen Sie gerade mit Insekten zu tun haben? APPEL lebhafter. Aber wenn sich Herr Geheimrat dafür interessieren, gerade das gesellige Leben der Bostrichiden ist mannichfaltig und lehrreich!.. zweifelnd. Lehrreich? APPEL eifrig. Ja, wir haben geradezu alle Variationen des Zusammenlebens. Die wahllose Polygamie bei den Eccoptogastern und wiederum die Monogamie bei anderen Arten ... So ... so? APPEL. Der wichtigste Käfer, der Buchdruck, Ips typographus, hingegen lebt in Bigamie. M-hm. APPEL. Ich habe über diese Gattung Ips eine größere Abhandlung geschrieben und manche glückliche Entdeckung gemacht. So? APPEL. Es kommt nämlich auch vor, daß der typographus mit drei Weibchen lebt, aber die Regel ist mit zweien. Ja – und? APPEL wieder hilflos. Und? ungeduldig. Wo bleibt das Analogon? Der Vergleich? APPEL. Ein Vergleich der Gattung Ips mit ... mit? ungeduldig. Ach was! Ips! Was helfen uns Ihre Ips? Da sitzen wir jetzt und können von vorn anfangen. Ich habe mir das anders vorgestellt ... APPEL immer schüchterner. Vielleicht gelingt es mir, Ihrem Gedankengange zu folgen ... kategorisch. Nein! APPEL. Sie glauben nicht? Wenn ich mich daran erinnere, wie Ihr großer Vorgänger Busäus unterrichtet war ... Sie kennen seinen Namen? APPEL. Ich kenne sein Werk über die Moschustiere. Davon weiß ich nichts, aber offenbar hat er dabei mehr Analoges gefunden, wie Sie bei Ihren Ips. Und auf rein wissenschaftlicher Basis, denn er war Junggeselle. APPEL steht auf. Entschuldigen Sie, Herr Geheimrat, ich sehe selbst ein, daß mir momentan das rechte Verständnis fehlt. drückt ihn auf den Stuhl zurück. Bleiben Sie sitzen! Wir müssen wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Sie haben offenbar noch nie daran gedacht, welche Pflichten Sie in der Ehe erwarten? APPEL resigniert. Ich habe mich noch nie mit dieser Frage beschäftigt. Gut. APPEL. Da ich keinen speziellen Anlaß dazu hatte. Es ist aber höchste Zeit, mein lieber ... APPEL sieht ihn hilflos an. Sie verlassen sich doch nicht etwa darauf, daß junge Mädchen an einem schönen Frühlingsabend und so weiter, ohne irgendeinen ersichtlichen Grund alles wissen? APPEL. Ich muß offen gestehen ... energisch. Es ist eine ganz unlogische Annahme, sage ich Ihnen. Es ist eine Redensart, die uns über eine Pflicht hinwegtäuschen soll. APPEL resigniert. Gewiß, Herr Geheimrat! Schön, dann wollen wir also beginnen. Appel sieht schüchtern auf sein Bukett nieder. Giselius schlägt die Arme übereinander und sieht ihn über die Brille forschend an. M-ja, wenn es nur nicht so schwierig wäre! Vorwurfsvoll. Sie hätten mir diese peinliche Aufgabe wirklich ersparen können! APPEL steht auf. Es ist wahr, ich habe Ihre Zeit zu lange in Anspruch genommen. grämlich. Bleiben Sie doch sitzen! APPEL sich langsam zurückziehend. Ich möchte wirklich nicht länger stören ... Was soll das heißen, wenn Sie jetzt gehen? Damit wir morgen das nämliche Pensum zu bewältigen haben? APPEL. Vielleicht ist es nicht notwendig ... eigensinnig und etwas lauter. Aber gewiß ist es notwendig; darüber sind wir uns doch im klaren, und überhaupt folgt das schon aus Ihrem Zugeständnisse, daß Sie sich keine Vorstellung machen können von diesem wichtigen Vertrage, den Sie abschließen wollen ... Er steigert seine Stimme, und bei den letzten Worten tritt seine Frau von links ein. Sie sieht erstaunt auf ihren Mann und auf Dr. Appel, der an der Mitteltüre steht und die Hand auf der Klinke hat. 10. Szene Zehnte Szene Was gibt's denn, Giselius? Zu Dr. Appel. Und Sie, Herr Doktor, wollen uns doch net verlasse? APPEL. Herr Geheimrat schienen mir den Wunsch auszusprechen ... ärgerlich zu seiner Frau. Siehst du, da haben wir's! Genau, wie ich sagte. Rerum ignarus. Der junge Mann hier hat nicht die geringste Ahnung davon, wieso und warum er heiraten will ... erstaunt. Der Herr Doktor? Deine Einwendungen haben sich als hinfällig erwiesen; jetzt wären wir ja soweit, daß wir uns auf deine berühmten Ahnungen verlassen müßten, das heißt, wenn ich leichtfertig genug wäre, meine Tochter in voller Unkenntnis ihrer Zukunft zu lassen. Ja, hat der Herr Doktor ...? Jawohl, er hat erstens zugestanden, daß er selbst nichts weiß und zweitens dessenungeachtet meine Belehrung nicht angenommen. APPEL in größter Verlegenheit. Verehrter Herr Geheimrat! 'n Augenblick. Ich muß direkt frage, lieber, guter Herr Doktor, hawwe Sie denn um unser Lottche angehalte? APPEL. Ich habe mir diese Freiheit allerdings nicht genommen. schlägt die Hände zusammen. Aber Otto! In was für Verlegenheite bringscht du dann unser Kind? eigensinnig. Das war doch die gegebene Voraussetzung – und übrigens hast du selbst die Tatsache behauptet. Ich? Du und Cölestine. Kann m'r denn dich kein Augeblick allein lasse? Mußt du mit deine Schrulle partout Konfusione anrichte? APPEL. Ich habe mir diese Freiheit allerdings nicht genommen. Herr Doktor, jetzt müsse Sie mir hoch un heilig verspreche, daß Sie keim Mensche e Sterbenswörtche sage. APPEL. Ich habe mir diese Freiheit allerdings nicht genommen, indes muß ich bekennen, daß mir der Gedanke seit einigen Tagen nicht fremd ist ... Ich weiß nicht, ob Sie mir erlauben, darüber zu sprechen. Jetzt is scho das Bescht, frei von der Leber weg. APPEL. Seit ich Ihr verehrtes Fräulein Tochter gesehen habe, richteten sich meine Gedanken auf ein stilles Familienglück ... Und hawwe Sie das unserm Lottche gesagt? APPEL. Nein! Das hätte ich mir nun und nimmermehr erlaubt, und ich entschloß mich auch nur schwer zu dem Wagnis, heute meine Glückwünsche darzubringen. heiter, mit einem Blick nach ihrem Mann, der links im Hintergrunde steht und nachdenklich zur Decke aufsieht. Und da sin Sie ihm in die Händ gefalle? Resolut. Wisse Sie was, Herr Privatdozent, so in der G'schwindigkeit laßt sich net Ja und Ame sage, aber wann alles in Ordnung is, und unser Lottche will, hernach Ihm die Hand entgegenhaltend. sin mei Geheimrat und ich auch keine Rabeneltern. APPEL linkisch. Ich darf also meine Hoffnung ... ohne seine Stellung zu verändern. Veto. So komm doch her, Giselius! Ich lege mein Veto ein, wenigstens in solange nicht durch eine erschöpfende Aussprache volle Klarheit geschaffen ist ... 11. Szene Elfte Szene Durch die Mitteltüre kommt lebhaft und fröhlich Lottchen herein, hinter ihr Cölestine. Lottchen eilt auf ihre Mutter zu und umarmt sie stürmisch. Mutterche, ich hab's! Du wirst gucke! Schau doch um, Lottche! Mir hawwe Besuch. bemerkt jetzt erst Dr. Appel, der sich oft und linkisch verbeugt, sie geht auf ihn zu und gibt ihm die Hand. Gute Morche, Herr Doktor! Das is schön, daß Sie sich bei uns sehe lasse. APPEL. Ja – – – jawohl! zu ihrer Mutter. Ich hab' was für dich. Aber siehst du dann net, daß der Herr Doktor für dich Blume gebracht hat? Zu deim Geburtstag. Sich wieder an Dr. Appel wendend, der sein Bukett immer noch in der Hand hat. Für mich? APPEL. Ja ... Jawohl ... nimmt ihm das Bukett ab. Das is aber zu liebenswürdig, daß Sie an mich gedacht hawwe. APPEL. Das habe ich ... gewiß ... Die schöne Rosen ... APPEL. Und ich müßte ... ich wollte eigentlich mit meinen Glückwünschen eine Frage verbinden ... Ja, eine Frage, aber ich weiß nicht Sich hilflos nach Giselius umsehend. ob es mir gestattet ist ... resolut. Lottche! Der Herr Doktor Appel hat bei uns um dei Hand angehalte. sehr fröhlich. In der Zwischepaus? Es kommt so überraschend ... Dr. Appel nett ansehend. Ich hab mit dem Herrn Dokt'r bloß 'n paarmal gesproche ... Das isch nit von heut auf morge; du mußt dir das ruhig überlege. der vorgetreten ist. Und du wirst auch mit mir vorher eine ernste Unterredung haben. ärgerlich. Heiliger Bimbam! APPEL. Ich wäre sehr glücklich, wenn Ihre Entscheidung einigermaßen günstig für mich ausfallen würde ... Mutterche, gelt, da gibt's kei Hin und Her? So was muß gleich oder gar net sei. Dr. Appel lustig ansehend. Un ich glaub als, ich sag Ja ... Kindche! dazwischen tretend. Ich bitte ... faßt ihn energisch am Ärmel. Du, jetz mach nix drei! Ich möcht aber doch zuerst das sagen. Ich hab' ja wohl net gewußt, ob ich einmal Stockt. heirate werd, und ich hab' gedacht, mich nützlich zu mache, und ich wollt' in der Klinik vom Professor Musovius eintrete, und da hab' ich Zu ihren Eltern. und da hab' ich ohne euer Wissen den Hebammekurs durchgemacht. Was hascht du, Kindche? Den Hebammekurs hab' ich absolviert, daß ich auch emal allein auf die Füß stehe könnt ... umarmt Lottchen. Ach, du lieb's Ding! Du gut's! zu Appel. Junger Mann, damit ist die Sache allerdings wesentlich anders – – – Vorhang.