Moritaten und Balladen Das Abenteuer des Gymnasiallehrers In Freising lebte ein Professer, Der nicht aus Zufall Josef hieß; Nein, er verdient den Namen besser Durch alles, was er unterließ. Ein Philolog und deutscher Gatte, Kannt' er die Liebe nur als Pflicht, Die Zweck zur Volksvermehrung hatte, Doch keine andern Reize nicht. Nun hörte er von den Kollegen, Wie man in München sich ergötzt. Er war schon im Prinzip dagegen, Und war im Vorhinein verletzt. Er suchte gleich in diesen Bildern Den eigentlichen Wesenskern, Um sie mit Abscheu dann zu schildern; Denn alles andre lag ihm fern. Doch als er sich damit befaßte, Beschloß er auch, dorthin zu gehn, Um dieses Treiben, das er haßte, Sich einmal gründlich anzusehn. Und so kam Josef an die Stätte, Wo Bacch- und Venus sich vereint, Wo unsre Scham – wenn man sie hätte – Am Grabe unsrer Unschuld weint. An hundert hochgewölbte Büsten Umtanzen uns und drängen her, Und will man hier sich recht entrüsten, So sieht man dort schon wieder mehr. Die Sittlichkeit ist hier nur Fabel, Und jeder merkt, hier weilt sie nie. Das Auge schweift bis an den Nabel, Und weiter schweift die Phantasie. Ein Rausch kommt über Josefs Sinne, Und ihn ergreift ein Schönheitsdurst. Mit einmal sind ihm deutsche Minne Und deutsche Treue ziemlich wurst. Er stürzt sich in die Freudenwoge Und fragt ein Mädchen: »Willst auch du?« Sie sagt: »Sie sind wohl Philologe? Man kennt's am abgelatschten Schuh; In Ihrem Barte hängen Reste Von Linsen und von Sauerkohl! Ich danke Ihnen auf das beste, In mir – da täuschen Sie sich wohl?« Mein Josef konnte es nicht fassen, Was seiner Tugend widerfuhr; Er wollte sich herunterlassen – Und dem Geschöpf mißfiel es nur! Schon fühlt' er Ekel vor dem Treiben Und fühlt' sich von Moral umweht; Man kann ja niemals reiner bleiben, Als wenn ein Mädchen uns verschmäht. Indessen war im Schicksalsfügen Für Josef Härtres aufgespart. Er stürzte nochmal ins Vergnügen Und kämmte vorher seinen Bart. Das zweite Mädchen – angesprochen – Hatt', etwas minder preziös, Mit manchem Vorurteil gebrochen Und sagte bloß: »Ach, Sie sind bös!« Sie hatte einen, der bezahlte, Er hatte einen Domino, Mit dessen Gunst er sichtlich prahlte, Und beide waren herzlich froh! Wie ein Moralprinzip verschwindet Selbst aus dem stärksten Intellekt, Wenn man ein hübsches Mädchen findet Und eine Flasche guten Sekt! Auch Josef mußte dies erfahren, Und an sich selbst sah er die Spur Der ewig gleich unwandelbaren, Das All beherrschenden Natur. Schon wollt' er sich im Walzer drehen Und sucht' im Tanze den Genuß; Doch mußte er sich eingestehen, Daß man auch dieses lernen muß. Er mühte schwitzend sich im Kreise, Er drehte sich nach rechts und links, Versucht's auf die und andre Weise Und fand's unmöglich schlechterdings. Er wußte zwar von den Hellenen, Wie man im Auftakt sich bewegt, Doch lernt' er leider nicht bei jenen, Wie man das Schwergewicht verlegt. Mit stattlichem Gelehrtenschuhe Trat er dem Mädchen auf die Zeh'; Sie bat ihn flehentlich um Ruhe, Denn auf die Dauer tut es weh. So blieb ihm nichts mehr, als zu trinken; Er war Germane, und er trank Und durft' in Seligkeit versinken Mit seinem Mädchen, und versank. Er dacht' an Bacchus und Tribaden, Wie so der Wirbel um ihn schwoll; Schon fühlte er die zarten Waden, Und wurde glücklich, – wurde voll. Es jauchzt um ihn mit gellen Tönen, Ein jeder Busen atmet wild, Die Haare lösen sich der Schönen, Und immer wilder wird das Bild. So hat es Juvenal beschrieben! So hat es Martial geschaut! Ein Prosit allen, die sich lieben! Und Evoë für jede Braut! Was ist Moral! Nur eine Blase, Steigt kränklich im Gehirne auf. Die Sünde kommt uns in die Nase Und nimmt von selber ihren Lauf. Et cetera! So ging es weiter. Was hilft die Philologenzunft! Auch Professoren werden heiter Und werden wild in ihrer Brunft. Nach so viel Sekt und Süßigkeiten Schmeckt uns die Weißwurst und das Bier. Der Abschluß ist das Heimbegleiten Für jedes Paar. Warum nicht hier? Auch Josef saß in einem Wagen Und fühlte, wie an ihn sich preßt', Was hier nicht unbefangen sagen, Doch sich sehr einfach denken läßt. Er fühlte seine Pulse hämmern, Doch wußt' er nicht, was sonst geschah; Denn seinen Sinn umfing ein Dämmern, Daß er nichts mehr Genaues sah. Er stolpert hastig über Stiegen Und fällt auch irgendwo ins Bett, Und muß sehr lang darinnen liegen – Das übrige war wundernett. Er hat die Zeit bis abends sieben Bei diesem Mädchen zugebracht, Und fuhr alsdann zu seinen Lieben Nach Freising etwa um halb acht. Als er daheim nun angelangte, War er von solcher Müdigkeit, Daß seine Frau um ihn sich bangte; Sie macht' das Bett für ihn bereit. Und Josef hat sich ausgezogen Und sprach, daß er erkältet sei, Und hat noch dies und das gelogen, Denn eine Frau frägt vielerlei. Daß Lügen kurze Beine tragen, Das zeigte sich hier wunderbar; Denn Josef ward so ganz geschlagen, Daß hier für ihn kein Ausweg war. Er trug – da gibt es kein Entrinnen Und kein Erklären so und so – Er trug aus duftig weißem Linnen – – Das Höschen seines Domino – –!