Merlin der Wilde An Karl Mayer Du sendest, Freund, mir Lieder Voll frischer Waldeslust, Du regtest gerne wieder Auch mir die Dichterbrust. Du zeigst an schatt'ger Halde Mir den beschilften See, Du lockest aus dem Walde Zum Bad ein scheues Reh. Ob einem alten Buche Bring ich die Stunden hin, Doch fürchte nicht, ich suche Mir trockne Blüten drin! Durch seine Zeilen windet Ein grüner Pfad sich weit Ins Feld hinaus und schwindet In Waldeseinsamkeit. Da sitzt Merlin der Wilde Am See auf moos'gem Stein Und starrt nach seinem Bilde Im dunkeln Widerschein. Er sieht, wie er gealtet Im trüben Weltgewühl; Hier in der Wildnis waltet Ihm neuer Kraft Gefühl. Vom Grün, das um ihn tauet, Ist ihm der Blick gestärkt, Daß er Vergangnes schauet Und Künftiges ermerkt. Der Wald in nächt'ger Stunde Hat um sein Ohr gerauscht, Daß es in seinem Grunde Den Geist der Welt erlauscht. Das Wild, das um ihn weilet, Dem stillen Gaste zahm, Es schrickt empor, enteilet, Weil es ein Horn vernahm. Von raschem Jägertrosse Wird er hinweggeführt Fern zu des Königs Schlosse, Der längst nach ihm gespürt. »Gesegnet sei der Morgen, Der dich ins Haus mir bringt, Den Mann, der, uns verborgen, Den Tieren Weisheit singt! Wohl möchten wir erfahren, Was jene Sprüche wert, Die dich seit manchen Jahren Der Waldesschatten lehrt. Nicht um den Lauf der Sterne Heb ich zu fragen an, Am Kleinen prüft ich gerne, Wie es um dich getan. Du kommst in dieser Frühe Mir ein Gerufner her, Du lösest ohne Mühe, Wovon das Haupt mir schwer. Dort, wo die Linden düstern, Vernahm ich diese Nacht Ein Plaudern und ein Flüstern, Wie wenn die Liebe wacht. Die Stimmen zu erkunden, Lauscht ich hinab vom Wall, Doch wähnt ich sie gefunden, So schlug die Nachtigall. Nun frag ich dich, o Meister, Wer bei den Linden war? Dir machen deine Geister Geheimes offenbar, Dir singt's der Vögel Kehle, Die Blätter säuseln's dir; Sprich ohne Scheu, verhehle Nichts, was du schauest, mir!« Der König steht umgeben Von seinem Hofgesind, Zu Morgen grüßt' ihn eben Sein rosenblühend Kind. Merlin, der unerschrocken Den Kreis gemustert hat, Nimmt aus der Jungfrau Locken Ein zartes Lindenblatt. »Laß mich dies Blatt dir reichen, Lies, Herr, was es dir sagt! Wem nicht an solchem Zeichen Genug, der sei befragt, Ob er in Königshallen Je Blätter regnen sah? Wo Lindenblätter fallen, Da ist die Linde nah. Du hast, o Herr, am Kleinen Mein Wissen heut erprobt, Mög es dir so erscheinen, Daß man es billig lobt! Löst ich aus einem Laube Dein Rätsel dir so bald, Viel größre löst, das glaube! Der dichtbelaubte Wald.« Der König steht und schweiget, Die Tochter glüht von Scham. Der stolze Seher steiget Hinab, von wo er kam. Ein Hirsch, den wohl er kennet, Harrt vor der Brücke sein Und nimmt ihn auf und rennet Durch Feld und Strom waldein. – Versunken lag im Moose Merlin, doch tönte lang Aus einer Waldkluft Schoße Noch seiner Stimme Klang. Auch dort ist längst nun Friede; Ich aber zweifle nicht, Daß, Freund, aus deinem Liede Merlin der Wilde spricht.