60. Die Dichtkunst 2. Febr. 1795. Nicht schämet euch zu singen, Ob Dünkel höhnt und grollt! Noch goldner ist, als Gold, Gesang von edlen Dingen! Gesang ward anvertraut, Den starren Geist zu lindern Uns armen Menschenkindern Ein holder Ammenlaut. Wer war's, der dich, Hellene, Zur Menschlichkeit so hoch Vom Wildling auferzog? Des Mäoniden Töne! Wer schuf dich, Römer, fein? Wer weckte Wälsch' und Franken Und Angeln zu Gedanken? Des Liedes Mus' allein! Durch fremder Lieder Halle Entwacht in Deutschland kaum Ein Häuflein dumpfem Traum: Tief träumen noch fast alle. Der wähnt vom Mutterschoß Sich edler, der verengelt; Der lallt und spielt gegängelt, Der kaum der Windeln los. Wo späht ein freier Späher? Gefesselt lahmt Vernunft Durch Machtgebot und Zunft Der Herrscherling' und Seher. Was Ehre sei, was gut, Was schön und herzerhebend: Der Ausspruch hänget schwebend An Wahn und Übermut. O Dichter, lehrt die Menge, Verachtend Groll und Hohn, Durch süßen Ammenton Begeisterter Gesänge! Bald flieht von Herz und Ohr Des Ungefühles Nebel; Der hoch und niedre Pöbel Vernimmt und staunt empor.