26. Der Kuß 1784. Du Kleine, willst du gehen? Du bist ein Kind! Wie wolltest du verstehen, Was Küsse sind? Du warst vor wenig Wochen Ein Knöspchen bloß; Nun thut, kaum ausgebrochen, Das Röslein groß! Weil deine Wange röter Als Äpfel blüht, Der Augen Blau wie Äther Im Frühling glüht; Weil deinen Schleier hebet, Ich weiß nicht was, Das auf und nieder bebet: Das meinst du, das? Weil kraus wie Rebenringel Dein Haupthaar wallt, Und hell wie eine Klingel Dein Stimmchen schallt; Weil leicht, und wie gewehet, Ohn' Unterlaß Dein schlanker Wuchs sich drehet: Das meinst du, das? Ich sahe voll Gedanken Durch junges Grün In blauer Luft die blanken Gewölkchen ziehn; Da warfst du mich, du Bübin, Mit feuchtem Strauß, Und flohst wie eine Diebin Ins Gartenhaus. Nun sitz' und schrei im Winkel, Und ungeküßt, Bis du den Mädchendünkel Rein abgebüßt! Ach gar zu rührend bittet Dein Lächeln mich! So komm, doch fein gesittet, Und sträube dich!