Die achte Fabel. Von einem Edelman. Im zwei und siebenzigsten jar, Da Neuß am Rhein belegert war Von herzog Carol von Burgund, Der nach all irm verderben stund, Erhielts landgrave Herman aus Hessen, Der das mal war in Neuß geseßen, Wie sich der krieg verlengen tet, Daß man nit vil mer zeßen het; Denn, wie man sagt, da man von tregt All tag und nit wider zulegt, Da wird zuletst der haufen klein. Nun het der fürst vor sich allein Ein kue, von der man alle tag Die milch zur speis zu nemen pflag. Beim fürsten war ein edelman, Den facht auch not und hunger an; Der gunt dieselbe kue einst fellen, Schlachtets und aß mit sein gesellen. Das blieb nun etlich tag vertust, Daß es sonst niemand fremdes wust, Jedoch zuletst wards offenbar, Wo dieselb ku hin komen war. Als solchs der fürst nun het vernummen, Den edelman hieß vor sich kummen Und straft in drumb mit worten hart, Wiewol sunst draus nit bösers wart. Denn solchs blieb zwar nit unbedacht, Daß in die not dazu het bracht Und der hunger, das scharpfe schwert, Sonst het er nit der ku begert. Und was zwar keine große schand, Dennoch tets im im herzen ant; Sprach zum fürsten: »So glob ich heut, Daß hören all dis edelleut, Mein dienst keim fürsten sagen zu, Der nit mer hat denn eine ku.« Damit derselbig edelman Gar höflich zeigt den kummer an, Daß bei eim solchen großen herrn Auch edelleut in notturft wern. Doch solt er han rechnung gemacht Und all umbstend der not betracht; Aber auf solchs der bauch nit harret, Er wil damit sein ungenarret. Der hunger und die große not Manchen dahin gezwungen hat, Daß er mit raub den kummer büß: Der hunger macht rohe bonen süß.