Die sechsundfunfzigste Fabel. Vom Wolf und Hunde. Es gschah in einem winter kalt, Ein wolf lief in ein finstern wald; Des morgens wol vor tag ein stund Begegnet im eins bauren hund, Grüßt in und redt im freundlich zu, Sprach: »Bruder, sag, wie komts, daß du Bist wol gemestet und ganz glatt?« Da antwort im der hund: »Es hat Mein herr tegliche sorg für mich, Daß wol gespeiset werde ich Von seinem tisch, und schlaf auch nimmer Im regen, frost, oder irkeim kummer, Dazu beim ganzen hausgesind Ich stete gunst und freundschaft find.« »O«, sprach der wolf, »du seligs tier, Das glück ist ganz geneiget dir, Weil dir dein herr so freundlich fellt Und dich in solchen eren helt. Möcht mir ein solches widerfarn, Wolt all mein dienst und fleiß nicht sparn Und wer das seligst tier auf erden, Das under alln möcht funden werden.« Da sprach der hund: »Weil dir so gach, Wil ich den dingen trachten nach, Daß du bei meinem herrn aufs minst Erlangest etwan auch ein dienst, Mit dem beding, daß du dich maßest, Gens, hüner ungebissen laßest, Und meinem herren dienest treulich, Aufrecht, in allen sachen freundlich. Wilt das halten und treulich tan, So magst von stund wol mit mir gan.« Der wolf sprach ja; sie giengen fort, Trieben gar vil freundlicher wort, Biß daß der helle tag anbrach. Der wolf den hund noch baß besach, Sprach: »Was schadt dir hinden im nacken? Da hastu einen kalen placken Und wol ein schrammen, drei oder vier, Ob dirs mit flegeln gschlagen wer.« Es antwort im der hund: »Das macht«, Sprach er, »daß ich oft unbedacht Die kelber und die kind anfur Beid auf dem feld und vor der tür, Tet den nachbaurn gar vil zu leid Wie den fremden on unterscheid. Das tet mein herren ser verdrießen, Musts oft mit meinem halse büßen. Des hat mich gar entwehnt mein herr, Daß ich hinfurt kein menschen mer Anfall, wie ich zu tunde pflag, Sonder zusehe nacht und tag, Daß nicht ins haus schleich irkein dieb, Und den wolf von den schafen trieb. Davor muß ich diß zeichen han, Daß ich den leuten schaden tan.« Ob solcher red erschrack der wolf, Sprach: »Lieber bruder Marcolf, Deins herren freundschaft also teur Wil ich vorwar nicht kaufen heur. Ade, mein freund, ich ziehe davon: Zu holze wil ich wider gan Und eßen, was der lieb Gott geit, Denn daß ich leb in ferlichkeit. Drumb bleib du eigen, wie du bist, Mein freiheit mir vil lieber ist.« Es ist vil beßer, sein ein herre Im kleinen haus, denn daß man were Groß gehalten ins fürsten sal, Da mans verjahet all zu mal, Muß oft nicht sehn, das man doch sicht, Daß hie und da unrecht geschicht, Dadurch oft die frommen gewißen Werden zerrüttet und zerrißen. Beßer ist fried bei kleinem gut Denn reichtum, der oft schaden tut Und manchem großen unfall tregt, Wie oben gnugsam angezeigt.