Die vierundsechzigste Fabel. Vom neidigen Hund. Ein neidig hund den ganzen tag Gestreckt in einer krippen lag, Die war voll heus; ein hungrigs rind Sich zu derselben krippen findt, Daß es des heues möcht genießen: Das tet dem neidigen hund verdrießen. Er zannet fast und wolt es weren; Das rind solt sich vom heu nicht neren. Da sprach zum hund dasselbig rind: »Deins gleichen zwar man niergend findt. Daß dich verschlingen muß die erd: Des bist mit deinem neid wol wert. Das heu dient nicht zur speise dir; Doch wegerstu dasselb auch mir!« Es sind vil leut von stolzen sinnen, Daß sie irm nehsten das nicht günnen, Davon sie selber gar nicht wißen Und haben sichs auch nicht geflißen, Und wenn sie sehn, daß dem gelingt, Daß in sein kunst zu eren bringt, So haßens wie ein offner feind, Daß im die sonn ins waßer scheint. Etlich han auch die fabel gdeut. Als wenn im eestand ungleich leut, Ein alt man nimt ein junges weib, Welcher er nicht zu irem leib Nach notturft kan den zehend geben, Und gan auch nicht, daß sonst daneben Ein ander solch arbeit ausricht, Dazu er selber war verpflicht, Sondern gleich wie den hund verdreußt, Ders heu verwert, des er nicht gneußt.