Die hundertste Fabel. Von einem alten unkeuschen Man. Als ein geistlicher frommer man Kam zu seim freund und redt in an; Der war nun alt und wol betagt, Jedoch ward er so ser geplagt Von einem fel, der im anklebt, Darin er all sein tag gelebt, Welchs man nennt die geschwinde sucht, Davon herkomt die menschlich frucht. Het lang gelebt in solchem laster, Doch fand er oft dafür ein pflaster. Der geistlich sprach: »Euch freundlich bit, Verwerft mein gute warnung nit, Drumb ich euch jetzt wil han gebeten: Wölt in ein beßer leben treten Und euch hinfür der laster maßen, Von solcher unkeuschheit ablaßen. Dasselb gelangt zu eurem heil Und sterkt den leichnam auch zum teil.« Da sprach der alt: »Billich ablaß Und mich hinfür desselben maß: Denn ich wurd schwach und bin nun alt, Derhalb man nicht mer auf mich halt; Befind auch oftmals, daß mirs schad In beinen und in rückengrad. Man hat mir lang den henker gflucht, Biß er mich zletst hat heimgesucht. Dazu wird mir der stender schwach: Derhalben frag nit mer darnach Und tu euch jetzund angeloben, Wil nit mer dmit zu schaffen haben.« Wie sichs mit disem alten helt, So gets fast in der ganzen welt: Es leßt niemand von sünden ab, Biß man im folget zu dem grab, Und daß mancher die laster meidt, Das macht, daß mans von im nit leidt. Daß einr seins nehsten gut nicht bgert, Das hindert oft der galg und schwert. Wenn jeder möcht seins willens walten, Könt niemand ein stück brods behalten. Gwalt und onmacht tut manchen stillen, Dems sonst nicht manglet an dem willen. Denn ich gehört hab auf ein fart, Ein alter man gescholten wart Für einen wuchrer; sprach der alt Und antwort dem, der in da schalt: »Mit wucher tut sichs gut vermeren: Weiß wol, du wuchertst selber gern, Und felt dir zwar nicht an dem mut, Sondern es felt dir an dem gut; Daß du nit hast die haubtsummen, Drumb kanst nit auch zu wuchern kummen.« Man sagt, es sein nicht alle buben, Die gelts begern und gelts behuben, Sunst würd man manchen frummen gsellen Oft für ein großen buben zelen.