Die fünfundachtzigste Fabel. Vom Löwen und Ochsen. Der löw tet einen ochsen hetzen, Daß er sich vor im müst entsetzen, Tet laufen nach dem stall so gach, Der löw lief im von ferne nach. Und wie der ochs war underwegen, Tet im ein rauher bock begegnen, Sein hörner im entgegen hielt Und mit dem stoß recht auf in zielt. Der ochs im aus dem wege wich Und sprach: »Vor dir forcht ich nit mich; Wenn der löw nicht dahinden wer. Wolt ich dich jetzt wol mores ler, Und sollst erfaren jetzt bei zeiten, Was wer mit einem ochsen streiten, Und wolt dich wol also zumachen, Du soltests über ein jar nicht lachen.« Uns lert die fabel, wenn wir sehen, Daß unserm nehsten ist leid geschehen, Sollens im nicht zum ergsten keren, Damit wir im sein leid vermeren. Es ist jetzt in der welt gemein, Es wil kein unglück sein allein. Wenn einr aus schwachheit fellt zu haufen, Den wil ein jeder überlaufen; So jemand in ein unglück fellt, Gegen demselben man sich stellt, Als wolt sich jeder an im rechen; Da tut niemand zum besten sprechen. Jederman fert in schimpflich an, Als het er selb nie bös getan, Und wer vor seiner tür ganz rein. Derselbig werf den ersten stein. Ich halt aber, wenn er nem ein liecht Und schaut, wie er von innen sicht, Da fund er auch wol etwas kleben, Denn on gebrech mag niemand leben.