Die dritte Fabel. Vom hungerigen Wolfe. Einsmals im herbst es sich begab, Wie ich durch schrift verstanden hab, Ein alter wolf lief übers felt Und, wie er pflag, nach narung stellt. Er war drei tag also hingangen, Umbsonst gelaufen, nichts gefangen, Daß er vor hunger schier verschmacht. In seinem sin also gedacht: Wer ich doch so wie ander tier, So wer gar wol zu helfen mir, Daß mir schmecket heu, stro und gras, So stünds umb mich vorwar vil baß, Denn daß ich so die welt durchlauf. Ich hab kein gelt, dafür ich kauf: Nein ichs denn hin on den verlaub, So wird mirs grechnet vor ein raub, Es sei ein lamb, gans oder hun: Wie sol ich armer wolf denn tun? Ich hab kein freund, gunst oder gelt: Wolt, daß ich schon wer aus der welt. Weiß nicht, wes mich hinfürder halten: Doch wils den lieben Gott lan walten, Als mich mein vatter unterricht. Wie er hat tan, so tu auch ich. Wils wagen; art schlecht nicht von art: Wem der kopf wird, der scher den bart; Da mags umbsehn, gee, wie es wöll, Iß mit, hang mit, bis gut gesell. Wie ich es findt, so muß herfür, Und stünd der galg da vor der tür! Lief also bei dem holz dahin Auf künftig beut und guten gwin. Da ward er gwar zur selben stund Vor jener hecken einen hund. Er dacht: der hund pflegt wol dem fraß Zu folgen, wo er findt ein as. Der wolf kam neher baß hinzu Und sahe von fern ein schöne ku Auf jenseit einer kleinen hecken. Er dacht: du hast dich gut zu strecken, Über die streucher da zu springen, Ob dirs möcht mit der kue gelingen. Auch ligens da recht auf der erden, Was kan daraus vil wunders werden? Er sprang und meint gewonnen haben: Da war ein tiefes loch gegraben, Da fiel er nein, plumps! überquer Und sprach: »So faren wir daher. Sihe da, ich dörft dirs vor wol sagen, Wer vil wil haben, muß vil wagen.« Er sahe sich umb und wider umb: »Hilf Gott, daß ich hin aushin kum! Würd mir die freiheit wider geben, Ich wolt hienehst beßern mein leben Und zu sanct Frumholt mich geloben. Ach, daß ich wer ein mal dort oben, Ich wolt mein tag kein kelber beißen, Kein lemmer oder schaf zerreißen, Wolt wurzeln graben aus der erden, Und was mir sonst dabei möcht werden; Fleisch eßen wolt ich gar verschwern Und mich mein tag des kummers nern, In ein carthaus mich hin begeben Und beßern da mein sündlich leben Mit beten, fasten, wie sie pflegen; Des wolt ich mich auch gar erwegen.« Zuletst, wie er nu sucht umbher, Fand sich ein loch on als gefer; Wiewol es im war all zu eng, Doch strecket er sich in die leng, Biß er hindurch ins raume kam. Sahe sich weit umb und rief: »Lamb! lamb! Ach het ich, das ich jetzt möcht eßen, Wolt wol der geistlichkeit vergeßen. Der Luther sagt und sein scribenten, Die geistlichkeit sei visipatenten, Sei gar unnütz und nichtes wert, Vergebens Gott damit wird geert. Drumb wil ich hausen immer hin, Ein wolf bleiben, wie ich jetzt bin.« Der wolf tut uns zurkennen geben, Wies stet umb aller menschen leben. Ja, die sich halten für die besten, Werden vor Gott die allerletsten. Der tot und sünd uns nit ee schrecken, Denn wenn wir in den nöten stecken; So globen wir, zu werden frum, Ja, wenn ich von sanct Jacob kum, Dahin ich nimmer wandern wil! Also setzen die leut ir ziel Und meinens auch also zu treffen: Es leßt sich aber Gott nit effen Mit globen zu vil guten werken, Damit wir unsern dunkel sterken, Wiewol der feil in uns so groß, Daß wir nicht ee der sünden los Werden, die wurzel stets beharrt, Biß daß mans in die erden scharrt Und schleht im mit der schaufeln nach. Dennoch muß man, dieweil wir doch Wandern hie auf schlipfrigen wegen, Fleißig den alten schalk ausfegen. Darumb rat ich eim jeden christen, Der seine sel gedenkt zu fristen, Heb an zu stund, beßer sein leben, So werden im die sünd vergeben, Sing nit mit dem rappen: cras! cras! Sondern noch heut von sünden laß. Der groß hauf sagt: es kömt noch wol, Wenn ich dermaleinst sterben sol. Denn tuns der zehen angeloben, Der sie nit eins zu geben haben. Solchs ist der welt gemeine wesen, Wie wir auch von dem teufel lesen: »Cacodemon egrotabat, Monachus fieri volebat; Sed tandem cum convaluit, Mausit ut antea fuit.«