Die neunundneunzigste Fabel. Vom Pfauen und Kranchen. Der pfau und kranch zusamen saßen, Mit einander trunken und aßen. Der pfau begunt sich rümen ser, Wie er der schönste vogel wer, Und sprach: »Sihe an mein gülden stück, Drin ich mich wie ein könig schmück!« Und zeigt sein spiegeleten schwanz; Damit den kranch verachtet ganz Und sprach: »Villich ich dich verfluch; Du tregst ein rock von grauem tuch, Darin du bist eim bauren gleich, Mich acht man wie ein fürsten reich. Durch meine kleider, schön und zier Helt man von mir mer denn von dir.« Da sprach der kranch: »Ich gib dirs zu, Daß ich nicht bin als schön als du; Damit ich mich zu frieden geb, Wiewol ich mich auch eins erheb: Wenn du im hof must bleiben ligen Und kanst kaum auf den seustall fligen, So kan ich mich ganz hoch erheben Und doben in den lüften schweben. Gar weit beschauen kan die welt, Und welches land mir denn gefellt, Dahin so schwing ich mein gefider Und laß mich meins gefallens nider, Und iß daselbst, was mir gefellt. Mit dir sichs gar vil anderst helt: Du sitzst daheim auf faulem mist, Die welt dir ganz verborgen ist.« Niemand den andern sol verachten, Mit reden im böslich nachtrachten. Es hat ein jeder seine gab, Daran er ein benügen hab. Bistu mit sondern gnaden bgabt, Schau, daß Gott werd dadurch gelobt, Veracht nit den, der sie nit hat, Villeicht er dich mit seiner tat Auch wol kan übertreffen hoch, Daß du ims weit must geben noch. Darumb gib dich mit deim zu fried, Und veracht deinen nehsten nit.