Die fünfundvierzigste Fabel. Vom Hirsch und dem Pferd. Es het ein hirsch ein großen streit Mit einem pferd umb eine weid, Die wolt (wie man berichtet mich) Jedes verteidingen vor sich. Der hirsch mit seinen hörnern hoch Trachtet dem pferd feindlich noch, Biß daß gar aus der weid vertrieb. Das war dem pferd zwar nicht fast lieb, Es wolt nicht gerne underligen. Dacht, wo es widern hirsch möcht siegen. Den menschen rufts umb hilfe an, Da fands zu letzt ein starken man, Der trat mit im auf jenen platz Und legt sich mit dem hirsch in hatz. Ward mit des menschen hilf von stunden Der hirsch vom pferd gar überwunden, Und hielt das pferd vor sich die weid, Daran sich ghaben het der streit. Der mensch, so im geholfen het, Das pferd sich im zueignen tet Und sprach: »Ich hab geholfen dir, Drumb mustu auch jetzt dienen mir.« Und gürt im umb des sattels saum, Tet im auch umb den kopf ein zaum Und in sein maul ein strenges biß Und sprach: »Nun hab vor das auch diß. Weil ich dir gholfen hab zu siegen, Solt dich billich under mich schmiegen.« Horatius, der weise heiden, Tut uns auch rechter kunst bescheiden Und sagt, daß, die wölln armut fliehen, Dem kummer wölln fürüber ziehen, Verlieren dadurch die freiheit hold, Die gar vil beßer ist denn gold, Und müßen den zum herren han, Den sie vorhin nicht gesehen an. So geschicht dem, der das klein verschmaht, Daß er darnach das groß nicht hat.