Die fünfte Fabel. Vom Löwen und andern Tieren. Mit einem bocke, schaf und rind Sich auf ein zeit ein löw verbindt Und sprach: »Es stet uns übel an, Daß wir allhie so müßig gan. Darumb hört zu, was ich werd sagen: Wir wöllen mit einander jagen Im holz und sehn, was wir erlangen, Ob wir auch etwas mögen fangen. Was wir erjagen, sol unser sein, Das wölln wir teilen ins gemein.« Sie liefen hin zu einem wald: Daselbs erwüschten sie gar bald Ein hirsch, mit bhendigkeit ereilen Und denselben in viere teilen, Auf daß ein jeder nem ein part, Wie es vorhin bewilligt ward. Der löw ergrimmet da und sprach: »Ir lieben freunde, tut gemach! Den ersten teil sol ich billch han: Ich bin die allerhöchst person. Den andern teil nem ich auch hin, Weil ich under alln der sterkest bin. Der dritte teil ist billich mein, Drumb daß ich vor euch alln allein Mit laufen mer hab ausgericht, Wie man an meinem schwitzen sicht. Das vierte teil müst ir mir laßen, Oder solt euch meiner freundschaft maßen. Wer mir dasselbig vil misgunt, Der ist zwar nicht des löwen freund.« Die gsellen sahen einander an, Stillschweigens giengen sie davon, Kunten sich nicht am löwen rechen, Keinr dorft kein wort im widersprechen. Die treu ist klein zu diser zeit Bei großen herrn in sonderheit: Ein jeder tut jetzt, wie er mag, Und rafft allzeit in seinen sack. Derhalben ich eim jeden rat, Daß er mit seinem gleich umbgat. Mit gleichem hastu gleiches recht: Er nicht dein herr, du nicht sein knecht. Ganz ferlich ists den armen knechten, Zu streben und zu widerfechten, Gegn große hansen sich vermeßen: Mit herrn ist böse kirschen eßen.