Überflüssiger Gedancken fünftes Dutzent 1. An seine wertheste Dulcimene, als er dieselbe vor seinem Abschiede küssen dürffte 1. Dulcimene soll ich küssen, Oder bin ich viel zu schlecht Reiner Lippen Art zu wissen? Gib mir doch vor dißmahl recht: Ein subtiler Kuß, mein Liecht, Nimmt dir deine Farbe nicht. 2. Rosen bleiben dennoch Rosen, Ob der Biene gleich beliebt Ihren Blättern Liebzukosen: Drum sey du auch unbetrübt, Denn du solst mein Rosen-Schein, Ich die fromme Biene seyn. 3. Dulcimene bist du böse, Daß ich endlich meinen Sinn Von der blöden Furcht erlöse, Und ein bißgen kühner bin? Ach nimm doch den freyen Lauff Meiner Lust nicht übel auff. 4. Laß mich nur, wer weiß wie lange Du und ich einander sehn. Meinem Hertzen ist schon bange Denn es kan gar bald geschehn, Daß mein ungewisser Fuß Frembder Leitung folgen muß. 5. Itzt bin ich noch bey den Linden, Doch es ist des Glückes-Spiel, Welches mich von dir entbinden Nicht mit Macht entreissen wil, Und so schick ich mit Bedacht Mich zur letzten guten Nacht. 6. Was ich unterdessen lebe Leb ich dir und meiner Lust, Biß ich mich darein ergebe Daß du mich gesegnen must, Und wer weiß ob morgen nicht Mir mein Abschieds Urtheil spriecht. 7. Nun dieweil mir stäts beysammen In ergebner Treu gelebt, Und ingleichen Freundschaffts-Flammen Nach Ergetzlichkeit gestrebt, So gedencke daß ein Kuß Unsern Spaß versieglen muß. 8. Halt mein Liebgen halte stille, Dieses ist mein erstes mal Daß ich meinen Wunsch erfülle, Und vielleicht die letzte Zahl, Von der angenehmen Last Die du mir bereitet hast. 9. Bleib mir nur dabey gewogen, Und gleich wie der Freundschaffts-Bund Dich noch niemals hat betrogen, Also gläube daß mein Mund, Welcher dich so furchtsam küst, Blöde, doch beständig ist. 10. Wilst du meiner bald vergessen So vergiß mich immerhin, Denn weil ich am Leib entsessen An der Seele bey dir bin, Denck ich doppelt, halb vor mich, Und, mein Leben, halb vor dich.