Johanna von Weißenthurn Das Manuscript Lustspiel in fünf Aufzügen Personen Personen. Gehrmann, Buchhändler. August, sein Neffe. Flint, erster Commis. Walter, Commis. Emerike Würzig, Herrn Gehrmann's Mündel. Kunigunde, ihre Erzieherin. Herr von Giebel. Heliodorus Jüngling. Madame Wölbing. Albertine, ihre Tochter. Annchen, ein Kind von 8 bis 10 Jahren. Christine, Stubenmädchen. Mehrere Diener in Gehrmann's Buchhandlung. 1. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt August, bald darauf Gehrmann. sitzt an einem Tisch und hat ein Manuscript, welches er ungeduldig aus der Hand legt, und aufsteht. Worte, Worte, Worte! würde hier Hamlet ausrufen. Nie wurden die Hände mehr zum Schreiben, nie die Augen mehr zum Lesen mißbraucht. Nur die Augen? auch die Zeit! die nie wiederkehrende, köstliche Zeit! Bleibt vor dem Manuscript stehen. Manche Aehre mag ihre Körner haben, aber der sie unter den leeren Halmen suchen muß – stürzt mit einem offenen Briefe in der Hand herein. Sie kommt! Sie kommt! Wer? Die Vernunft, die ich vergebens in diesen Blättern suche? Deine Braut kommt. erstaunt. Onkel! Ueberrascht? – aber angenehm, nicht wahr? Da ich noch gar nicht das Vergnügen habe, sie zu kennen – Kennst ja ihren Werth ! 300,000 Gulden – schnell. Durch den Wucher ihres Vaters erworben. Was kümmert dich, wie das Geld erworben ist? wie man es vernünftig umkehren kann, das sey deine Sorge. Ihr Vater war – Mein Freund! mein Handlungsgefährte, und ein Mann, der seinen Vortheil verstand. Ohne den Vortheil der Autoren zu berücksichtigen. bleibt belehrend vor ihm stehen. Höre, August, ich bemerke immer mehr, daß du von unserm Geschäft eine verkehrte Ansicht hast. Mancher Autor würde nicht die Feder eintunken, wenn nicht manchmal die Suppenschüssel zu rauchen aufhörte. Dessen Beruf ist der rechte nicht. Nicht der rechte? – Ist der Magen nicht der Götze, um den sich alles herumdreht? Der Gläubiger muß befriedigt werden, alle andern können warten. Aber müßte nicht das reine Geistes-Product ohne Rücksicht auf Vortheil entstehen? Ohne Rücksicht auf Vortheil? wie wenig geschähe dann auf der Welt! Der reine Geist braucht den genährten Körper; ich brauche dich , du brauchst mich , das erhält die Leute in Athem; darum muß ein kluger Buchhändler keinem Schriftsteller mehr geben, als er von einem Werke zu dem andern nothdürftig braucht. lacht. Darum also – Entsteht jetzt dieses Heraussprudeln aller menschlichen Denkkraft. Mache die Herren reich , und der Verstandesstrom, der sich jetzt in tausend Bächlein von Almanachen, Journalen, Finanzwissenschaften, Oeconomie und Statistik ergießt, wird sich über Nacht wie der Rhein im Sande verlieren. Nur Gewinn treibt die Welt. Mich wird der Gewinn nie treiben, einem Mädchen meine Hand zu geben, das ich nicht liebe. Mit der Liebe mache es wie du willst, aber deine Hand mußt du ihr geben, denn ich habe ja schon alles richtig gemacht. erstaunt. Richtig? ohne mich zu fragen? Die heutige Jugend versteht sich nicht auf's Antworten, sie sagt oft ohne alle Ueberzeugung, nur weil die Alten es so wollen, nein – diesem nein bin ich zuvorgekommen. Sie ist meine Mündel, du mein Neffe; meine Pflicht erheischt, für euer Beider Wohl zu sorgen. Sie hat Geld, du bekommst mein Geld, ich vermähle euch und die Summen, und habe so als Onkel und Vormund meine Pflicht gethan. Mit dankbarem Gemüthe erkenne ich Ihre väterliche Sorge – aber – Sie kennen meine Denkart; die jetzige Erziehung des weiblichen Geschlechts – Entfremdet es der Küche und Kinderstube – rasch. Stellt es auf eine Bühne, wo es oft eine verspottete Bedeutenheit erwirbt. Kurz – die Weiber sollen nichts wissen – Nichts schreiben . Und diese! die Tochter eines Buchhändlers, wer steht mir dafür, daß sie – Eine Gelehrte geworden ist? Deßhalb sey ruhig. Die Mutter starb früh, die Tochter wurde in ein kleines Städtchen zu einer alten Muhme geschickt, in deren Haus, außer dem nöthigen Kalender und Erbauungsbüchern, kein ander Werk anzutreffen ist; und daß sie nicht als Schriftstellerinn auftreten wird, Lacht. dafür bürgt uns dieser Brief. Hält ihm den Brief offen hin. blickt hinein. Was ist das? lacht. Ein Hühnergekratze? nicht wahr? Eine solche Handschrift ist mir noch nie vorgekommen. Und uns Buchhändlern kommen doch allerley vor. nimmt den Brief und buchstabirt. »M – A – I – N.« Soll heißen mein . wie vorhin. »L – Y – V – E – R –« Mein lieber Herr Vormund – das gibt ja der Verstand. liest. »Irre Gütte –« Er sieht seinen Onkel an. Etwas uncorrect – Nur etwas? Liest. »Irre Gütte wihl mir einen –« Jetzt geht es gut – man gewöhnt sich gleich – liest. »Wihl mir einen Mahn gepen.« Soll heißen Mann . »Ihr Beffel ist mir Gesatz.« Etwas altdeutsch, das kommt jetzt wieder auf. liest. »Die Batze ist –« Das soll heißen Base . liest. »Die Batze ist unpätzlich –« Er sieht Gehrmann an und sagt. Onkel – nimmt ihm den Brief aus der Hand und liest. »Die Base ist unpäßlich, und kann nicht mitkommen.« Zu August, Das kann doch Jedermann lesen und verstehen – Liest. »nicht mitkommen: aber sie – aber sie –« ey seht! das kann ich selbst nicht herausbringen. Liest. »aber sie schäkert –« ist denn die alte Frau noch so lustig? Liest. »aber sie schä – schicket –« das muß offenbar schicket heißen. – Liest. »aber sie schicket mich mit der Ku – Kundel –« das ist ein verketzerter Name; wird Kunigunde heißen. Liest. »aber sie schicket mich mit der Kundel. Heute ist Wisch – Wäschtag – bis alles gepickelt – gebiegelt ist, kann ich nicht abkommen. Aber auf den Sonntag, will's Gott, bin ich da.« – Schlägt den Brief zusammen. Diese Hierogliphe ist entziffert. Heute ist Samstag, heute oder morgen kommt sie an, und ich hoffe, du wirst sie schon darum freundlich empfangen, weil dir dieses Actenstück die Versicherung gibt, daß sie nie als Gelehrte auftreten kann. Alle Extreme sind zu fürchten! Hat nicht Apollo an ihrer Wiege gesungen, so hat sie die Dummheit geschaukelt. Nein – nur ein Mädchen, das an dem Busen der Natur – Was Natur! die macht es jetzt wie alle uns're Frauen, und läßt ihre Kinder nicht mehr trinken. He! Anton! Friedrich! muß doch Anstalt treffen, sie könnte ja heute noch kommen. Geht an die Thüre. spöttisch. Wenn alles gepickelt ist. bleibt stehen. Stille! keine Noten zu dem Text gemacht, bis du den ganzen Inhalt des Werkes kennst. Und wenn auch einige Mängel zu Tage kommen, zähle ihr Geld, und du summirst lauter Annehmlichkeiten. Geld macht nicht glücklich. Eine alte Behauptung, Jedermann führt sie im Munde, und hält doch beyde Hände auf, wo etwas zu empfangen ist. Du bist in dem Alter, wo man das Geld wegwirft , ich bin in dem, wo man es aufhebt . Vertraut. Das Kapital kommt in die Handlung, sie dominirt, Ihr zieht drey Prozent, erst wenn Kinder kommen – Sieht ihn an. Was? drey Prozent scheint dir zu wenig? willst du es den jetzigen Kaufleuten nachmachen? mehr Geld in dem Putzzimmer deiner Frau als in der Handlung haben? nichts da! Der Edelmann wandelt , der Kaufmann handelt ; und damit er das bis an sein Ende mit Ehren kann, darum muß er hübsch Bürger und Kaufmann bleiben . Drey Prozent, keinen Groschen mehr; erst wenn Kinder kommen. Herzlich. Ich hebe sie – jedem Jungen ein Legatchen, jedem Mädchen eine Aussteuer – für wen spar' ich denn? Voll Freude. Ja – wenn Kinder kommen – horch! – ein Wagen! er hält! sie wird doch nicht wirklich schon heute! nichts ist gerichtet. Er ist an das Fenster gegangen und schreit. Sie ist's! August, sie ist's! für sich. O weh! die Wäsche ist zu früh trocken geworden. am Fenster. Da haben wir's! Der Wagen ist in der schmalen Gasse stecken geblieben, er ist zu breit bepackt! Schmalztonnen, Käse, Lacht. was? auch lebendige Hühner? Die bringt ja Lebensmittel für den ganzen Winter mit. – Jetzt steigt sie aus – Erschrickt. Nein – Gott behüthe, das wird die Kundel seyn. Die Braut steckt noch im Wagen, kann aus dem Gepäcke nicht heraus. Ruft. Anton! Friedrich! wo stecken denn die Leute! helft doch, helft! macht das große Thor auf, spannt euch selbst vor den Wagen; hinab! hinab! das Glück zieht in mein Haus. Er stürzt durch die Mitte ab. allein. Das Glück? ich fürchte, die gewöhnlichen Begleiter des Reichthums, Zank und Zwietracht, ziehen ein. Nein, guter Onkel, ein Mädchen, das so schreibt, kann eben so wenig meine Gattin werden, als es ein Mädchen werden könnte, die für die Druckerpresse schreibt. Goldne Mittelstraße der weiblichen Bildung, warum verlassen dich Deutschlands Töchter! warum stehen sie nicht wie ehedem lernend , warum stehen sie leh rend neben dem Mann? 2. Auftritt Zweyter Auftritt August. Gehrmann führt Emerike, Kunigunde folgt. Beyde sind wohlhabend bürgerlich nett, aber alterthümlich gekleidet. Kunigundens Tracht ist jedoch mehr zurück. unter der Thüre. Nur hier herein, liebes Kind! Ja – aber meine Sachen – Ohne Sorgen, meine Leute packen ab. Aber die Eyer! die Hühner! Kundel, sieh doch nach. – Muß erst meine Anrede halten. Das hat ja Zeit. Kind, wir sind nicht im Wirthshause; hier muß man Manier zeigen. Aber du kannst ja – Das verstehen Sie nicht. Stellt sich vor Herrn Gehrmann, und macht einen Knix. Heiße Kunigunde Stillfried, diene seit dreyßig Jahren bey Frau Rosalia Meyer, ehrbaren Witwe des Handelsherrn und Rath - Beysitzers Meyer zu Breitenfeld; und weil denn doch im Dienen und Dienen ein Unterschied zu verspüren ist, so hat mich Frau Rosalia Meyer nie als eine Magd , sondern als eine treue Hausgenossin betrachtet, die an Leiden und Freuden ihren gehörigen Antheil nimmt – Aber Kundel – nur den Kopf zu ihr wendend. Bringen Sie mich nicht heraus. Zu Gehrmann. – ihren gehörigen Antheil nimmt. Und weil ich denn eine Person bin, die, wie Euer Gestreng bemerken werden, nicht auf den Kopf gefallen ist, ihre Worte zu setzen versteht, bey Tag und Nacht mit ihrem guten Rathe bey der Hand ist, und der man nebst der todten Wirthschaft, auch wohl die Obsorge über das Lebendige anvertrauen kann – einfallend. So hat Frau Rosalia Meyer ihr das Liebste, ihre Nichte, anvertraut! Um sie dem Herrn Joseph Gehrmann, wohlbekannten Handelsherrn allhier, und seit dem Erbleichen ihres Herrn Vaters, wohlbestellten Vormund der Jungfrau Emerike Würzig zur zeitlichen Versorgung zu überliefern. Führt ihm Emeriken zu. voll Freude. Wird versorgt! wird versorgt! Stößt August an, und sagt leise. So schreie mit, dummer Junge, schreie mit. – Auch soll ich noch hinzufügen, daß sich Frau Rosalia Meyer noch gerne der Zeiten erinnere – lachend. Wo wir einst mit einander Gevatter standen? Das mögen so ein vierzig Jährchen seyn. Das Kind ist vorigen Winter gestorben. lacht. Das Kind kann die ersten Schuhe ausgetreten, und schon einige Paar Stiefeln verbraucht haben. Da nun durch diesen Todfall die Verwandtschaft gelöst worden, so freut sich Frau Rosalia Meyer – Durch die Verbindung ihrer Nichte mit meinem Neffen eine noch engere Verwandtschaft zu knüpfen? Wir freuen uns mit. Stößt August. Wir freuen uns mit. Ich übergebe also das Küchelchen, über das ich 18 Jahre meine Flügel ausgebreitet habe, daß ihm kein Unheil widerfahre. Eure Gestreng mögen es glauben, braune Haare, schwarze Augen und rothe Backen zu hüthen, da darf man die Brille recht auf der Nase haben. Ich habe Tag und Nacht gewacht, Betrachtet Emerike mit Wohlgefallen. und so ist sie denn unter Gebeth und Arbeit herangewachsen, daß Jeder, der sie betrachtet, seine Freude an ihr hat. für sich. Nur der dumme Junge nicht. Nun! was das Aeußere betrifft, das hat Gott gegeben, was in dem Menschen ist, daß er gut, fromm, kein unnützer Kostgänger auf Erden sey – das hat sie von mir . Brav, liebe Frau Kunigunde, brav! mit gesenktem Blick. Jungfer, wenn es Euer Gestreng nicht ungut nehmen. O keineswegs. selbstgefällig. Wurde nicht verschmäht! sehr heiter. Glaub's, könnten ja noch – Wäre doch nicht mehr zu rathen. Aber Kundel – Der Mensch muß auf seinen rechten Titel halten. Alle Hühner gehen uns darauf. Die Menschen gehen dem Federvieh vor. Zu Gehrmann. Ja, Euer Gestreng; man hat zu seiner Zeit auch braune Haare und schwarze Augen gehabt, aber man hat nicht damit herum vagirt, hat sie züchtig zur Erde geschlagen. Nun bin ich freylich darüber in die Jahre getreten, aber was man mit Ehren ist, das ist die Frage. – Jetzt wissen sie hier, woran sie mit dem Menschen sind, jetzt will ich die Hühner versorgen. Ab durch die Mitte. 3. Auftritt Dritter Auftritt Die Vorigen, ohne Kunigunde. für sich. Gottlob, daß sie geht. zu August. Wirst du Sprache bekommen? Zu Emerike. Das ist mein Neffe, liebes Kind. So – nun, der könnte mir schon gefallen! für sich. Wirklich? unwillig. So begrüße sie doch. wendet sich zu ihr. Es ist mir eine Ehre – verneigt sich, und sagt schnell. Die Ehre ist auf meiner Seite. wendet sich ab. Gott steh mir bey! der das Gespräch einleiten will. Wie waren die Wege, liebes Kind? wie war das Wetter? wie geht es der Frau Muhme? wie geht es Ihnen? Danke der Nachfrage, mir geht es gut, aber – zwey Hühner sind unter Wegs darauf gegangen. Thut nichts, hier legen und brüten die Hühner auch. Ja – aber solche – 12 Küchelchen, alle weiß! die Nachbarn sagten, Auf einmal verschämt. ich weiß nicht, ob ich das hier wieder sagen darf? Nur heraus damit, unsre Nachbarn sagen hier auch mancherley. Wie lassen Sie sich denn bey Ihnen vernehmen? Weil die Brut eben ausfiel, als ich Braut wurde, so sagten sie – Verschämt. ich kann es doch nicht herausbringen. Sie sagten wohl, daß die zwölf Küchelchen eine eben so zahlreiche Nachkommenschaft bedeuten? Ach ja! zu August. O Unschuld! zu ihm. O Einfalt! zu ihm, die Hände reibend. Ganz nach deinem Sinn, ganz nach deinem Sinn. Zu Emerike. Wie geht es der Muhme? als ob sie sich darüber freue. Recht gut. Ist sie noch so regsam wie sonst? Sie regt sich gar nicht mehr. Ist sie todt? Ach nein – nur kontrakt ist sie. So? ja – die Jahre kommen. spöttisch zu Gehrmann. Aber es geht ihr recht gut. Das war ja die Unpäßlichkeit, von der ich schrieb. Das hätte man wohl eine Krankheit nennen können. lacht. Ach nein – krank ist sie nicht. Nun, ich denke denn doch – Der mit gutem Appetit ißt, trinkt und schläft, ist ja nicht krank zu nennen? stutzt, und sagt zu August. Das war eine feine Bemerkung! siehst du, sie hat Mutterwitz. Aber sie hat – zu ihm. Die Sybillischen Bücher nicht geschrieben, aber für den Hausbedarf ist sie klug genug. Sprich mit ihr. Nie werde ich der Dummheit meine Hand geben. Sie ist nicht dumm, und wenn auch, an der Krankheit ist noch niemand gestorben. Aber – in ihn hinein redend. Aber deine Superklugheit weiß selbst nicht was sie will. Du bist ja der Vernunft bey Frauen immer aus dem Wege gegangen; bald zu wenig, bald zu viel; abwägen läßt sich die liebe Gottesgabe nicht. Laut. Verzeihen Sie, liebes Kind! hatte da mit meinem Neffen einen Wortwechsel – es betrifft unser Kommerz, und die Jugend will immer klüger seyn als das Alter. Das sagt die Muhme auch. Sagt sie? Ja, sie war immer eine kluge Frau. Rückt einander näher, macht Bekanntschaft – Aber lieber Onkel, wenn – Keine wenn und keine aber . Leise zu ihm. 300,000 Gulden! solche Werke fangen an selten zu werden, und sollen in keinen andern Buchladen in Verlag kommen. Er setzt zwey Stühle. Platz genommen liebes Kind. Er führt sie zu dem einen Stuhl, führt August zu dem zweyten, und setzt ihn unsanft nieder. Niedergesetzt, junger Herr! erst ein höfliches, dann ein freundliches, dann ein vertrauliches Wort gesprochen. Leise zu Emerike. Der junge Mensch ist etwas scheu, Sie müssen ihm Muth machen. Zu August. Sieh sie doch an! gar nicht übel, und das viele Geld! Laut zu Beyden. Ich bin euch überlästig! ihr brennt vor Begierde, euch einander kennen zu lernen. Lernt euch kennen, lernt euch lieben – ich lade Gäste, und in acht Tagen seyd ihr schon Mann und Frau. Schnell durch die Mitte ab. 4. Auftritt Vierter Auftritt Emerike, August. für sich. Daraus wird nichts, lieber Onkel. für sich. Er sieht mich gar nicht an. wie vorhin. Gelehrsamkeit fliehe ich; aber der Verstand darf nicht fehlen. für sich. Der ist wirklich recht scheu. wendet sich schnell zu ihr, so, daß sie etwas erschrickt. Verzeihen Sie, daß ich unser Gespräch nicht früher eröffnet habe. Oh – ich kann schon warten. Mein Onkel geht so rasch zu Werke. Ja – das ist wahr. Ich lasse mir in wichtigen Dingen gerne Zeit. So? lassen Sie sich Zeit? Bey einer Heirath ist so viel zu überlegen. Freylich, freylich! Und ich – und Sie Für sich. ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. Nun, wissen Sie was, Herr Gehrmann hat mir schon gesagt, daß Sie ein wenig scheu sind. Nicht scheu, sondern – verlegen, recht sehr verlegen. Ich auch – zu Hause steht mir der Mund nie still. So? Aber bey Ihnen fällt mir auch gar nichts zu reden ein. für sich. Wenigstens nichts was der Mühe werth wäre. Laut. Würden Sie das Leben in ihrer kleinen Stadt gerne mit diesem geräuschvollen Leben vertauschen? sieht ihn befremdend an. Mein Leben vertauschen? für sich. Das ist ihr zu hoch. Zu ihr. Würden Sie gerne hier bleiben? fröhlich Ach ja! bey uns sind die Häuser schwarz, mit hohem Giebel, hier sind sie weiß; haben viele Fenster, und Lacht. aus jedem Fenster guckt Jemand heraus. Sie lieben die Menschen? Ach ja – besonders wenn sie recht freundlich mit mir sind. verlegen. Das – Das können Sie noch nicht mit mir seyn, weil Sie mich nicht kennen. Freylich. Aber wenn die Leute mich kennen , so haben sie mich alle lieb. Wirklich? Wirklich! weil ich gut, fromm und wirthschaftlich bin, nie um die Kirche herum, immer in sie hinein gehe. Das ist – Für ein kleines Städtchen genug; aber – man hat mir schon gesagt, daß ich damit hier nicht auskommen dürfte. Hat man? – Eine Frau in der großen Stadt brauchte weder fromm noch gut zu seyn, wenn sie nur klug und witzig ist. Das hat man Ihnen gesagt? Nun dachte ich mir, das wird ja doch auch zu erlernen seyn. Rückt näher. Und nun bitte ich den Herrn Bräutigam, daß er sich die Mühe mit mir gibt. steht verlegen auf. Ich – Die Muhme sagte oft: nähen und stricken kannst du, jetzt mußt du nur noch richtig denken lernen. Nun denke ich zwar schon lange, ohne es gelernt zu haben; aber die Muhme sagt, das wäre das Rechte nicht, das würde ich erst von einem klugen Manne lernen. Und nun bitte ich Sie, mich so denken zu lehren, wie es recht ist. lacht. Das dürfte Ihnen schwer werden. Freylich – denn ich lese noch nicht, wie man zu sagen pflegt, alles vom Blatt weg, und das muß man doch aus Büchern lernen, nicht wahr? Man lernt es besser aus dem Umgang mit Menschen. O mit Menschen will ich schon auch umgehen, aber lesen, lesen muß ich auch. für sich. Das Geschlecht verläugnet sich nie. Es ist recht schön, was sie in die Bücher hinein schreiben. Manchmal. Ich könnte das nicht. Schwerlich. Man muß darüber lachen und weinen. Man soll darüber denken . vertraut. Ich habe eines gelesen, in dem es recht traurig zuging. So! – mit Kummer. Er hat sie nicht gekriegt. Nicht! in Thränen ausbrechend. Und sie ist in's Wasser gesprungen. für sich. Romanenlektüre! auch diese zarte Knospe hast du schon verletzt. Laut. Wie erhielten Sie das Buch? Des Nachbars Linchen hatte es mir gegeben; sie wurde hier erzogen, und ist noch nicht lange zurück gekommen. Die ist recht klug in der Stadt geworden, und sie hätte uns alle klug ge macht, aber – es durfte kein Mädchen mit ihr umgehen. Wußte Ihre Muhme um das Buch? Bewahre! – Ich mußte es verbergen. Ich saß immer ganz unschuldig mit der Arbeit neben ihr, und wenn sie ein wenig einnickte, husch! waren die Augen auf dem Buch. für sich. Verwahrlost an allem, nur an Schlauheit erst die Muhme, und dann auch gewiß ihren Mann zu betrügen, ward sie nicht. 5. Auftritt Fünfter Auftritt Flint, die Vorigen. grüßt Emeriken im Vorübergehen, und sagt zu August. Ihr Onkel ist im Hause beschäftigt, es sind Unterschriften nöthig, er wünscht, daß Sie – Ich komme gleich. Will ab. Erst müssen Sie Mademoiselle Emerike Sich artig zu ihr wendend. Das sind wohl Sie? verneigt sich. Zu dienen. Auf das ihr bestimmte Zimmer führen. mit Eile. O lieber Flint, übernehmen Sie das Geschäft – Der Unterschrift? mir fehlt die Firma. Mademoiselle auf ihr Zimmer zu führen. Hier neben an das rothe. – Sie werden für Bequemlichkeit, für ihre Unterhaltung sorgen. Zu Emerike. Entschuldigen Sie mich, Mademoiselle, Geschäfte gehen allem vor. Schnell ab. sieht ihm nach. Auch der Liebe? Sieht Emeriken an, und sagt für sich. Die Braut ist nicht übel. für sich. Wenn ich nur wüßte, wer der Herr ist? geht artig zu ihr. Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten? verlegen. Ja – aber warum? Um Sie auf Ihr Zimmer zu führen. Kann ich nicht allein dahin gehen? lacht. O ja, aber es ist gebräuchlich, daß man die Damen führt. treuherzig. Sind sie denn ungeschickt? lacht stärker. O nein. – für sich. Er lacht, ich habe gewiß etwas Dummes gesagt. für sich. Einfalt, nicht ohne Anmuth. für sich. Das ist kein übler Mensch! artig. Wäre es Ihnen jetzt gefällig? Ja – aber wer sind Sie denn? Des Herrn Gehrmanns Buchhalter. Was! Sie müssen ihm die Bücher hal ten , wenn er liest? sehr heiter. Nein, ich führe nur die Rechnung über die Bücher. fröhlich. Ueber die Bücher? Da könnten Sie mich ja auch ein wenig darin lesen lassen? Recht gern. Was für Bücher wünschen Sie denn? Ey solche, aus denen man klug wird. Das ist der löbliche und eigentliche Zweck der Lektüre. Es müssen aber auch verliebte Leute darin vorkommen. Aha! aus dieser Quelle schöpft man Klugheit nicht. Es ist auch gar nicht nöthig, daß ich gar zu klug werde, nur was man so, um mitzureden braucht. Ich werde mir Mühe geben, solche Bücher für Sie aufzufinden. schnell. Müssen Sie suchen ? ich helfe Ihnen? Zu gütig. Die Leute dürfen aber am Ende nicht in's Wasser springen. Sondern sich nach überstandenen Gefahren froh in die Arme stürzen. mit Theilnahme. Ach ja! Solche Bücher gibt es genug. voll Freude. Wirklich? Ach! Sie sind so freundlich, so gut! – Aber – wie heißen Sie denn? Konrad Flint. Konrad – Flint. Ist Ihnen an dem Flint etwas gelegen? lacht. Gar nicht. So werde ich nur Herr Konrad sagen. Mir ist auch an dem Herrn nichts gelegen. fröhlich. Also Konrad schlechtweg? Ganz nach Belieben. Hören Sie – ich bin Ihnen recht gut. Das freut mich. Mit Ihnen kann ich so vom Herzen reden. Ich wünsche das. Und wenn Sie – aber es wird Ihnen wohl zu beschwerlich seyn? Was denn? Mein Bräutigam hat mir gesagt, es fehle mir der Umgang mit Menschen. Das glaub' ich auch. Nun, da könnten ja Sie mit mir umgehen. Liebes Kind! Für sich. Rührende Unschuld. Ich habe oft gehört, man müsse den Leuten, die uns etwas begreiflich machen wollen, fest in die Augen sehen. verlegen. O ja! – Bey unserm alten Schulmeister ging das nicht. Wenn er schwatzte, so liefen die Augen in der Schule herum, oder fielen gar zu. Aber bey Ihnen würden sie nicht zufallen, ich könnte Tagelang in Ihre Augen sehen. für sich. Flint, sey auf deiner Huth! Habe ich Sie beleidigt? O nein, aber ich – darf ich Sie jetzt bis an Ihre Stube begleiten? Nur bis an die Stube? werden Sie nicht mit hinein gehen? Das würde sich nicht schicken. So? ja – das weiß ich freylich noch nicht, was sich hier schickt ; aber Sie werden mich schon unterrichten. macht eine Bewegung zu gehen. Ist es Ihnen jetzt gefällig? Ja – aber – Sie sagten ja vorhin, hier in der Stadt ließen sich die Frauenzimmer führen . reicht ihr verlegen den Arm. nachdem sie ihm den Arm gegeben, sagt sie mit kindischer Freude. So – ich finde es selbst so viel besser. Aber – wird es sich denn niemals schicken, daß Sie in mein Zimmer kommen? Nur auf die Einladung Ihres Gemahls. schnell. O der wird Sie gewiß einladen; ich werde ihm gleich sagen, daß Sie der sind, mit dem ich umgehen will. Es kann ja auch sonst nichts aus mir werden; aber wenn Sie Geduld mit mir haben, dann geht es, dann geht es gewiß. Geht mit ihm links, durch die Mitte, ab. 6. Auftritt Sechster Auftritt Gehrmann, Madame Wölbing durch die Mitte rechts. Nur geschwinde, Madame; bin heute sehr beschäftigt. Was steht denn zu Diensten? Die Angelegenheit, in der ich komme, bedarf einiger Erläuterung. Dann bitte ich, mir die Ehre Ihres Besuchs in acht bis vierzehn Tagen wieder zu schenken, denn heute – gekränkt. Sie sind wohl reich, mein Herr? stutzt. Wie so, Madame? wie so? Weil Sie nicht wissen, wie lange dem Armen das Warten auch nur eines Tages wird. etwas verlegen. Madame – Verzeihen Sie, ich weiß wohl, daß der Geschäftsmann Augenblicke hat, die ihn nicht zur Anhörung einer Sache geneigt machen, die außer seinem Geschäftskreise liegt. Aber mein Anliegen ist Ihrem Wirkungskreise nicht fremd. Nicht fremd? Hier ist ein Stuhl, hier mein Ohr, nur bitte ich, kurz. Setzt ihr einen Stuhl. bleibt stehen. Alles, was meinem Anliegen vorausgehen sollte, dieser seltsame Empfang hat es in meine Brust zurückgedrückt, und ich begnüge mich nur damit, Ihnen dieses Manuscript zur Durchsicht zu übergeben. Gibt ihm ein Manuscript. Ein Manuscript? von wem? Von einem Frauenzimmer. bey Seite. Das hört nicht auf zu schreiben. Laut. Aber von was für einem Frauenzimmer? darauf kommt alles an. Man sieht mehr auf den Nahmen, als auf das Werk. Sie nennt sich Wölbing. Wölbing? Wölbing? nie genannt, nicht bekannt. – Es thut mir leid, Madame, aber mein Verlag befaßt sich nur mit gediegenen Werken. mit unterdrücktem Gefühl. Wenn Sie dieses nur der Durchsicht würdig finden wollten? Zeitverlust, liebe Madame; ein Buchhändler erwirbt eine solche Fertigkeit, daß er, wie ein zweyter Lavater, den Manuscripten von außen ansieht, was von ihrem Inhalte zu erwarten ist. Ich hege das feste Vertrauen zu diesem Werke, daß ihm eine nähere Bekanntschaft nicht nachtheilig ist. Vermuthlich – selbst verfaßt? Dann würde ich nicht mit dieser Ueberzeugung seines Werthes zu Ihnen sprechen. Um so besser, wenn Sie nicht selbst die Verfasserin sind, so werden diese wohlgemeinten Worte Sie um so weniger verletzen. Vertraut, gutmüthig. Liebe Madame, es entfremden sich jetzt immer mehr Frauenzimmer der Küche und dem Nährahmen; es ist Wohlthat, durch' Schwierigkeiten dem Uebel zu steuern. fast mit Thränen. Diese gute Lehre mag für Manche heilsam seyn, aber auf die Verfasserin dieser Blätter paßt sie nicht. Sie hat es sich lange versagt, sich einem so bemerkbaren Wirkungskreise hinzugeben, bis ihr Unglück sie zwang. Unglück? – Ich erwarte immer weniger von dem Manuscript. Denn wenn die Armuth die Feder ergreift, sieht man es jedem Buchstaben an, daß er sich in eine Brotrinde verwandeln soll. will reden, kann nicht, sagt endlich mit gepreßter Stimme. Wir sind zu Ende, mein Herr! Will gehen. hält sie auf. Nun, nun, Madame, es war so böse nicht gemeint. Es ist nur – ich war – ich werde so sehr überlaufen; Nimmt ihr das Manuscript ab. ich will es doch hier behalten; es gibt ja Ausnahmen! und wenn sie mir das Unglück der Verfasserin, in wenig Worten aber, mit in den Kauf geben wollen – hier steht der Stuhl, setzen Sie sich. Nein, mein Herr, in eine solche Brust möchte ich meinen Kummer und das Unglück der Verfasserin dieses Werkes nicht niederlegen. Sie appellirt nicht an Ihr Mitleid , sie verlangt ein unpartheyisches Prüfen und Erkennen, ob die Erzeugnisse ihres Geistes einer öffentlichen Bekanntschaft würdig sind. – Und – obgleich sie den Gewinn dafür bedarf, um sich und ihre Mutter zu ernähren, so würden Beyde doch verschmähen, ihn zu empfangen , wenn er nicht aus der reinen Anerkennung ihres Verdienstes fließt. Ueberzeugt, daß sie nicht auf der Stufe der jetzt Bewunderung erregenden Frauen steht, hofft sie doch für die Sprache des Herzens ein Publikum zu finden. Und Alles, was ich von Ihnen erbitte, ist – daß Sie diese Blätter bald lesen und mich bald wissen lassen, ob Ihnen eine Auflage davon wünschenswerth ist. Verbeugt sich. 7. Auftritt Siebenter Auftritt August, die Vorigen. tritt rasch ein. Lieber Onkel – Vergebung, wenn ich sie unterbreche, Madame. Mein Geschäft ist zu Ende. Grüßt ihn und geht ab. sieht ihr nach, und sagt nach einer Pause. Die Frau hat geweint. der gerührt dagestanden, sagt etwas unwillig. Das Geschlecht weint immer. Er fährt mit der Hand über die Wange. erstaunt. Ja – aber auch Sie – Nun? auch ich? Trocknen sich die Augen. Es muß Rauch im Zimmer seyn. Nicht doch. Sonst wäre es ja eine Schande. Was? Daß ein Buchhändler weint. Unter die alltäglichen Dinge gehört das wahrlich nicht, und ich bin begierig zu erfahren, was dieses Phänomen hervorgebracht hat. Je nun, ich glaube, ich habe der guten Frau Unrecht gethan. Ich hole sie zurück. hält ihn. Warum? Damit Sie gut machen können. Dazu wird sich schon eine Gelegenheit finden. Da – lies das Manuscript. Also Schriftstellerin? Sie nicht; aber eine Person, für die sie sich mit Wasser im Auge interessirt. Und Sie waren – Etwas absprechend, wie das in meinem Berufe höchst nöthig ist. Aber mit dieser – sie kam mir in die Quere – und ich war mit dieser wohl hart . Lieber Onkel! heftig. Wird man nicht am Ende dahin gebracht? Laufen mir nicht Dichter und Dichterinnen die Dielen ab? Sind sie mit einer ausweichenden Antwort zufrieden? Glauben sie nicht, daß mit ihren Dintenkleksen mir und der Menschheit geholfen sey, während ich ganze Schiffsladungen ihrer Producte als Packpapier versende. Ja – wenn so ein Walter Scott aufträte, der seinen Verleger, mit und ohne Ueberlegung, über Nacht reich macht. Aber du lieber Himmel! seine Liverey tragen Alle, doch – wo ist der Mann für seinen Rock? – Muß eben jetzt wieder einige Tonnen liegen gebliebener Erzählungen für unsere deutschen Auswanderer nach Amerika schicken. Lacht. So viel Wasser im Schiff, und die Matrosen dürfen sich nicht an die Pumpe stellen! Nu – lies – Deutet auf das Manuscript. und laß mich bald wissen, wie viele Wassertheilchen in diesem Meisterwerk enthalten sind. Geht lachend ab. 8. Auftritt Achter Auftritt August allein. Mein Onkel hat Recht! fades Geschreibsel überflutet das Land, und die einst einen Mann so beglückende weibliche Häuslichkeit verliert sich in einem Wettrennen um den Beyfall der Welt. Freylich – Amazonen gab es immer, und was einst dem Mann unnatürlich mit Schild und Lanze entgegentrat, ergreift jetzt die Waffe des Jahrhunderts, und kämpft – mit der Feder in der Hand. Lacht, indem er das Manuscript betrachtet. Von der Unterhaltung meiner unwissenden Braut zu der mit einer vielwissenden Schriftstellerin. Die Extreme berühren sich. Nur ein Geschöpf, das in die Mitte dieser Beyden tritt, könnte mich beglücken. Legt es auf den Tisch. Bin jetzt nicht aufgelegt! Aber – die Frau, die es brachte, hatte Thränen in den Augen, und du wärst nicht aufgelegt, sie so bald als möglich zu trocknen? Das verdient Strafe. Ergreift hastig das Manuscript. Finde sie in diesen Blättern – oder erfahre, daß die Verfasserin werth ist, einer glänzenden , wenn gleich nie unangefochtenen Bedeutenheit entgegen zu gehen. Ab. Ende des ersten Aufzugs. 2. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt Flint. Walter. Diener. zu einem Diener. Dieß Paquet an den Herrn Mörseburg. Es enthält die Finanzbeleuchtungen der letzten Messe. ruft. Halt! der Herr ist zu sehr im Rückstand. Und seine liebste Lectüre ist Finanzwissenschaft. Ja – so geht es. Die Herren wollen Staaten arrangiren, indeß ihre eigene Wirthschaft nicht zu retten ist. Eine Adresse an Baron Kicker, Er reißt die erste ab. der ist solvent . lacht. Und verschlingt alles, was wir drucken. lacht. Und was drucken wir nicht alles? Still! still stören wir das Drucken und Lesen nicht. Für Einen , der bey uns Weisheit sucht, fragen zehn Andere der Thorheit nach; von den Vernünftigen allein wird unsere Thürschwelle nicht abgenützt, nur die Menge treibt das Rad. Schreibt fort. 2. Auftritt Zweyter Auftritt Christine. Vorige. Guten Tag! Was beliebt? Auf dem Zettel steht's geschrieben. Gibt ihm ein Papier. liest. »Frau von Gerber bittet um den neuesten Theater-Kalender!« Winkt einem von den Dienern. gibt ihr ein Buch. Hier, mein Kind. Steht auch darin, wie die Komödianten spielen? Wenn es auch nicht darin steht, das liest man bald in jedem Hauskalender. Wird aufgeschrieben. Schon gut. für sich. Der Conto wächst auch. kehrt um. Haben Sie auch Kochbücher? Welche Buchhandlung hätte die nicht! – Die Classiker dürfen fehlen, aber die Kochbücher nicht. Ich möchte kochen lernen. Das ist löblich. Freilich werde ich die Hände dabey verderben, aber was hilft es; mit dem Stubendienste kommt man zu nichts. Aber in einem Hause, wo die Herrschaft auf eine gute Tafel hält, kann sich eine umsichtige Person doch etwas machen. Aus den Kochbüchern lernt man, glaub' ich, wie man der Herrschaft sparen soll. sieht ihn an. Warum nicht gar! Die Kochbücher sind da, damit man der Herrschaft gedruckt zeigen kann, was man braucht. Wenn man aber auch nur die Hälfte der vorgeschriebenen Quantität nimmt, und die andere Hälfte in die Tasche steckt, so wird die Speise doch gut. lacht. Mamsell! Sie verstehen das Kochen schon. Das Dienen verstehe ich, mein Herr, das Dienen . Wer wollte im Zimmer oder Küche die Launen der Herrschaft ertragen, wenn nicht Gewinn dabey wäre? Nun, wo ist das Buch? Um Vergebung, diese Rubrik hat verschiedene Zweige. Sie haben sich noch nicht erklärt, ob Sie deutsch, englisch oder französisch kochen wollen? Deutsch , mein Herr; denn die andern Sprachen versteh' ich nicht. Auch jene Bücher sind in's Deutsche übersetzt. Ja? Nun, so geben Sie mir alle drey. hat die Bücher schon zusammen gesucht. Hier, Mamsell! nimmt sie. Sie werden meiner Frau aufgeschrieben. steht auf. Halt, Mamsell! Frau von Gerber hat die Kochbücher nicht verlangt. schnippisch. Aber ich . So müssen Sie die Bücher auch bezahlen. erstaunt. Ich? Wirft die Bücher auf den Tisch. Das ist mir noch nirgend vorgekommen. Was? Daß man, wo meine Frau Credit hat, mir Geld abverlangt. Wenn Sie kaufen? lebhaft. Was? Sie, der Sie bis über die Ohren in Büchern stecken, scheinen nicht, wie es in der Welt hergeht, zu wissen? Wo die Frau kauft, kauft die Magd auch; und Jeder, der für meine Frau um Geld arbeitet, arbeitet für mich umsonst . Dem Himmel sey Dank, daß unsereins solche Artikel, die hier zu finden sind, entbehren kann. Schnell ab. lacht. Die hat uns die Wahrheit gesagt. Drey Kochbücher, den einträglichsten Theil der jetzigen Literatur, einem Theater - Kalender zur Zuwage zu geben, hieße zu schleuderisch verkauft. Umgekehrt wäre es besser. 3. Auftritt Dritter Auftritt Jüngling, die Vorigen. süßlich, und etwas phantastisch gekleidet, aber ohne große Uebertreibung. Haben Sie Schiller? Welcher Buchhändler härte den nicht? Wollen Sie alle seine Werke? Bis auf den letzten Buchstaben. So wünschen Sie wohl ein kleines Format? hier ist die letzte Auflage. erschrickt. Was? der große Geist in dieser Zwerggestalt? Der Geist nimmt wenig Raum ein. Man liebt es, in Gesellschaft großer Schriftsteller spazieren zu gehen, und so kann man dieses Format bequem in die Tasche stecken. Den großen Schiller in die Tasche stecken? Das kommt mir ja wie gefrevelt vor. Beruhigen Sie sich; im echten Sinne hat ihn noch keiner seiner Nacheiferer in die Tasche gesteckt. vertraut. Unter die Nacheiferer gehöre ich auch. sieht ihn an. So? Ich treibe Poesie. Die Poesie muß Sie treiben, sonst geht es nicht. Da zünden Sie mir ein Licht auf, es geht auch wirklich nicht. So lassen Sie den Pegasus laufen. sieht ihn an. Ohne ihn bestiegen zu haben? Wenn er Sie nun nicht aufsitzen läßt. Es fehlt mir nicht an Begeisterung. Die Gedanken umgaukeln mich. Die Haine, die Bäche, die Vögel, die Blumen, alle Bestandtheile der Dichtkunst sind da; aber wie ich sie zu einem Ganzen ordnen will, befällt mich eine poetische Starrsucht. Ihr Verstand steht still. Als ob er nie gegangen wäre. Müssen Sie denn dichten? Muß die Sonne auf- und niedergehen? lacht. Die muß . Und ich muß meinen Nahmen unter Deutschlands Dichter setzen. Zu diesen werden jetzt so Viele gezählt, daß es bald keine Ehre mehr seyn wird. Sie verschwinden – meine Zeit wird kommen. Vertraut. Ich habe meinen Schädel betasten lassen. Schlägt auf den Kopf. Das Organ ist da . Wenn es sich aber nicht entwickelt? Es wird, es muß sich entwickeln; um so mehr, da mir das, was die Menschen kalte Vernunft nennen, fehlt, rein fehlt. sieht ihn an. Und dennoch wollten Sie – Durch Phantasie mich von diesem Erdklumpen weg in die Räume der Geister schwingen. Der gemeine Verstand will essen, trinken, schlafen. Phantasie schlürft den Duft einer Rose, bettet sich auf einer lichten Wolke, läßt sich, von dem Hauch eines Zephirs geschaukelt, bis zu den Sternen tragen. lacht. Lassen Sie sich denn nie zu einer gemeinen Suppenschüssel hernieder? Nur dann, wenn das Thier in mir erwacht. zu Walter. Bedanken wir uns. vertraut. Ich habe schon einige Freunde, die mit gespitzter Feder die Kinder meines Geistes erwarten, um sie mit den Geburten der größten Geister zu vergleichen. Also – für das gehörige Lob, das Ambrosia der Dichter, ist gesorgt; aber wo bleiben die Geburten? Das ist es eben, daß die noch, wie in einem Chaos, verwirrt unter einander liegen. Man sagt mir, daß ich ein Wesen brauche, nach dem ich mich bilde. Und das Wesen soll Schiller seyn? Für sich. Nun freylich, der Sperling braucht einen Adler, der ihn zur Sonne trägt. Man sagt, es wären Manche schon bloß dadurch zum Dichter geworden, daß sie sich seine Gedanken aneigneten. Wollen Sie das auch? Ob ich das will? ich lerne seine Worte, ich sauge seinen Geist. Dann kann es Ihnen nicht fehlen. voll Freude. Sie glauben wirklich? Daß Sie Gedichte machen werden. wie vorhin. Die seinen gleichen? Die er für seine eigenen halten würde; es ist schon manchem seiner innigen Verehrer so gegangen. O mein Herr, mein Freund, mein Tröster! Rasch zu Walter. Was kostet das Werk? 20 Thaler. Nur 20 Thaler? Zu Flint. Ich kaufe Unsterblichkeit für 20 Thaler. Hier sind sie. Zählt mit Hast das Geld auf. zu Walter. Das ist eine Ausnahme von der Regel; schlechte Dichter sind sonst gewöhnlich ohne Geld. Ihr Nahme, mein Herr? Flint. Flint! Flint! bitte um den Vornahmen. Konrad Flint. Auch der Vornahme ist nicht poetisch. Aber es thut nichts, ich besinge Sie doch. O ich verbitte – Die Phantasie läßt sich nichts verbiethen, sie erlaubt sich alles . Wenn einst des Heliodor Jünglings Gedichte – der Heliodor Jüngling bin ich – im Druck erscheinen, so finden Sie ein Sonnet auf einen Ungenannten; der Ungenannte, mir aber Wohlbekannte, sind Sie . Ich muß wahrhaftig verbitten. Das sind Sie . hat die Bücher zusammengebunden. Wo soll ich das Werk hinsenden? Hinsenden? Ergreift es mit Hast. ich trage es selbst. Das dürfte Ihnen zu schwer werden. Zu schwer? trug nicht Aeneas seinen Vater? soll mir Schiller nicht ein zweyter Erzeuger werden? – schon durchglüht mich sein Feuer! ich höre seine Glocke! dort kriecht sein Lindwurm! – sein Taucher! er stürzt sich hinab. Der Moment ist da! sehen Sie nicht, daß ich immer höher und höher werde? Die Menschen unter mir, Gewürm im Staube, Ich schwebe, dichte in der Sternenlaube! – Das hat noch Keiner gesagt. Bemerkten Sie den Sprung vom Staube zur Sternenlaube? Der Moment ist da. In acht Tagen das erste Bändchen, es wird vollendet. Der Geist, er treibt, er jagt! Fort, fort, dahin, wo neues Leben tagt. Schnell ab. lacht, zu Walter. Ich glaube selbst, daß sein Moment gekommen ist. Solche Begeisterung führt in's Irrenshaus. Phantasie ohne Verstand hat schon oft den Weg dahin gefunden. 4. Auftritt Vierter Auftritt Vorige. Herr von Giebel, nebst einem Bedienten, der einige Geldsäcke trägt. Kriegt man hier Bücher? Von jeder Sorte, mein Herr! Herr! Herr! Unsereiner ist Herr von . Bitte um Vergebung! Schon gut! Haben vermuthlich die gestrige Zeitung nicht gelesen? Nein! Da steht es drin. Peter! tritt näher. Gib dem Herrn so ein Blatt. BEDIENTER zieht mehrere Zeitungsblätter hervor und gibt ihm eins WALTER O, ich danke! tritt zu ihm. Was für Bücher befehlen Sie denn? sieht ihn an. Ey nun, gedruckte . Ganz wohl, aber in welchem Fache? gleichgültig. Mir gleichviel. erstaunt. Sie werden doch eine Gattung lieber als die andere lesen? Ich lese gar nicht. Sie sind vermuthlich zu sehr beschäftigt? Ich bin gar nicht beschäftigt. Und lesen dennoch nicht? Es macht mir Langeweile. Ja so. sieht ihn an. Ich bin reich. Habe es vermuthet. Habe mir ein prächtiges Haus erbaut. Also lieben Sie die Baukunst? Warum nicht gar – das ist ja ein Handwerk. Das wird jede Kunst, die man ohne Talent treibt. Das Haus ist auch schon eingerichtet. Luster, Spiegel, alles nach dem neuesten Geschmack. Ich zweifle nicht. Schöne Bücher - Schränke – Sie wünschten daher – In die Schränke Bücher. Also – eine Bibliothek? Recht – eine Bibliothek. lächelnd. Das Wort umfaßt viel . grob. Ich kann viel bezahlen . So war es nicht gemeint, ich wollte nur damit sagen, welchen Character die Bibliothek haben soll? sieht ihn an. Character? eine Bibliothek ist ja kein Mensch ? Ob sie für eine Dame oder für einen Mann eingerichtet werden soll? Ey nun – für mich ! Da dürfen die Classiker nicht fehlen. Was sind das für Herrn? Alte Schriftsteller, die – Was? alte Bücher? Die würden in den neuen Schränken gut lassen. Nein, die lassen Sie mir weg. Aber Jeder, der Geschmack zeigen will – Muß neue Bücher lesen. So viel habe ich, seit ich vornehm geworden bin, schon gemerkt, daß der Geschmack neu seyn muß. In manchen Dingen wohl, aber – In allen Dingen, und in Büchern auch. Kommt man wohin, wo ein Buch auf dem Tische liegt, gleich ist es die erste Frage, ist es neu ? Das dürfte wohl auch oft sein größter Werth seyn. Ich habe mir sagen lassen, daß ihr Herren darum immer das künftige Jahr auf ein Buch setzt, obgleich es schon in diesem Jahre fertig geworden ist. lacht. Kommt man hinter unsere Schliche? Nein, alte Bücher lasse ich mir nicht aufhängen, alle müssen von heuer seyn. Dann dürften Sie dem jungen Wein gleichen; der kitzelt wohl den Gaumen, aber gesund ist er nicht. Was braucht denn ein Buch gesund zu seyn? Wenn auch nicht für den Körper, doch für den Geist . Alle gleichen Einband, prächtig. Wie sie befehlen; aber das kostet – Geld? Ruft. Peter! Euer Gnaden! Laß dem Herrn einen Geldsack da. Bedienter setzt einen Sack ab, Walter und Flint sehen einander an. Darf ich um Ihren Nahmen bitten? vornehm. Pamphilius, Edler von Giebel. Sie sind der Glückliche –? mit zufriedenem Lächeln. Der eine halbe Million gewonnen. Jetzt begreife ich. – Kommt Ihnen der Verstand? mir ist er mit dem Gelde auch gekommen. Ein solches Glück – Unter Hunderttausenden der Einzige – bilde mir auch etwas darauf ein. Haben Sie Frau und Kind? Wer wollte sich damit scheren? Also – Geld vollauf, aber keinen Freund – Wer sagt Ihnen das? Zwölf Zimmer in der Reihe, und alle wimmeln von meinen Freunden. Das sind die rechten nicht. Nicht die rechten? Sie glauben wohl, daß es arme Schlucker sind? Nein, meine Freunde kommen in Kutschen gefahren. Glaub' es wohl. In acht Tagen gebe ich ein großes Gastmahl, da müssen die Schränke gefüllt seyn. Aber – wenn Ihnen auch der Inhalt der Bücher gleichgültig ist, so muß ich doch von ihrer Anzahl unterrichtet seyn. ruft. Peter! tritt hervor. Euer Gnaden! Gib das Maß her. erstaunt. Von den Büchern? Von den Schränken. Peter gibt ihm ein weißes Band. Da – drey Ellen hoch, zwey Ellen breit. zu Flint. Das ist das erste Mahl, daß wir unsere Bücher nach der Elle verkaufen. grob. Jeder kauft, wie er es braucht . hat ihm das Band abgenommen. Ich will es besorgen. Sie sind mein Mann! Schlägt ihn auf die Schulter. und – wenn ich zufrieden bin; ich lade den Tag nach meiner großen Tafel zu den Ueberbleibseln einige Menschen, arme Verwandte – können auch kommen. O ich danke! Können auch kommen. Machen sich da die Mühe mit den Büchern, und ich weiß wohl, daß das bey uns reichen Leuten so Sitte ist. – Jede Mühe wird mit einer guten Mahlzeit vergolten. Ich erstaune, Sie in den Gebräuchen der feinen Welt so gut unterrichtet zu finden. Habe mir gleich einen Kammerdiener angeschafft, der bey einigen reichen Leuten diente, die nacheinander zu Grunde gegangen sind. Der gibt mir beym Aus- und Anziehen einigen Unterricht. zu Flint. Wie auch er zu Grunde gehen wird. Wissen Sie, was mir bey meinem vielen Gelde die größte Freude macht? Daß Sie gute Werke üben. Gute Werke? nun ja – nebenbey. So habe ich dem Waisenbuben, der mir das große Loos gezogen, sechs Thaler geschenkt. Nur sechs? und der Gewinn betrug? vor Freude aufschreyend. Eine halbe Million! Da war das Geschenk in keinem Verhältniß. Wie so? Sechs Thaler, und eine halbe Million! Er hat die sechs Thaler nicht verdient. Mein Herr – Er hat's ja nicht mit Willen gethan. Hätte der Spitzbube nicht, wie er so blind hinein tappte, es auch für einen Andern heraus holen können? lacht. Ja, wenn Sie so – Es gab einige empfindsame Seelen, die da meinten, ich hätte den Bengel an Kindesstatt annehmen sollen; aber wer wird sich bey dem vielen Gelde eine solche Last aufbürden. Freylich! Nein, für das hergelaufene Gesindel thue ich nichts – aber, daß die Leute, die sonst von mir nichts wissen wollten, mich jetzt wie ihresgleichen behandeln, wenn sie mich sehen, schon von weitem den Hut abnehmen; das , Herr, das erquickt, das erfreut. Mir ist das sehr begreiflich. vertraut. War bis auf 12 Groschen herabgekommen, und jetzt Mit gemeiner Freude. der große Kerl geht hinter mir her. Deutet auf Peter. Es ist wirklich – Zum Närrisch-, zum Rasendwerden. Manchen armen Teufel hätte es um den Verstand gebracht, mich nicht! Das Glück weiß seine Kinder schon zu finden. Herr! der nicht die Freude erlebt, sich als ein armer Schlucker zu Bette zu legen, und mit einer halben Million wieder aufzustehen, der erlebt nichts auf der Welt. – Aber ich muß fort – es gehen immer Leute ab und zu, die mein Haus und die Einrichtung besehen; und ich komme gar zu gern dazu, wenn sie vor meinem Gold und Silber so mit offenem Maule da stehen. Und Sie beneiden. Recht, und mich beneiden . Sehen Sie, das, das ist das große Glück auf der Welt, von Reich und Arm, von Jung und Alt so beneidet zu werden. Nun – vergessen Sie nicht, sechs Schränke, drey Ellen hoch, zwey Ellen breit. Neue Bücher, der Einband prächtig, und – bey dem großen Mittagessen ein Gast an meinem Tisch. Vertraut. Dürfen auch einstecken, wird genug da seyn; und – was meinen Sie, für die armen Teufel dort, jedem eine Flasche Champagner. – Sie lassen mich leben! hoch! ja, ja – er wird geschickt, er wird geschickt. Ab durch die Mitte, sein Bedienter folgt. lacht. Kommen denn heute in diese Niederlage der menschlichen Weisheit lauter Thoren? Ein herrliches Geschäft – alles, was nur heuer gedruckt ist, bringen wir an Mann. Solche Käufer wären nöthig, damit der Verbrauch mit den ungeheuren Erzeugnissen des Jahrhunderts gleichen Schritt halten könnte. 5. Auftritt Fünfter Auftritt Gehrmann. Emerike etwas besser gekleidet. Die Vorigen. Da, liebes Kind, sind Bücher genug, suchen Sie sich nach Gefallen aus. Zu Flint. War mein Neffe nicht hier? Ich verließ ihn auf seinem Zimmer, er hatte ein Manuscript vor sich liegen, das ihn sehr zu beschäftigen schien. Ich gab es ihm selbst, aber darüber muß er nicht seine Braut vergessen. Sie stirbt vor langer Weile. Unterhalten Sie mir das Kind, ich komme bald zurück. Geht durch die Thüre mit Glasfenstern in das Innere des Buchladens. verlegen. Wie soll ich – Ruft ihm nach. Herr Gehrmann! ich muß ihn ja von dem Geschäft unterrichten. Will ihm nach. Das übernehme ich . Geht Gehrmann nach. Die Diener halten sich im Hintergrunde, und gehen endlich auch durch die Glasthüre ab, wo sie aber immer sichtbar bleiben. ist verlegen, reicht Emeriken einen Stuhl, und setzt sich an seinen Schreibtisch. nach einer Pause. Wird er denn nicht mit mir sprechen? Die Feder taugt nicht. Wirft sie weg, und nimmt eine andere. seufzt. Ach! wendet sich rasch zu ihr. Sagten Sie etwas? Nein – ich – Verzeihen Sie. Fängt an zu schreiben. nach einer Pause. Sie sind recht fleißig. Ich erfülle dadurch nur meine Pflicht. Pflegen Sie denn nie von Ihrer Arbeit weg zu sehen? Manchmal. Jetzt nicht? Ich – habe gerade heute so viel zu thun. Aber Herr Gehrmann hat ja gesagt, das Sie mich unterhalten sollen. verlegen. Freylich! Also kann ihm an Ihrer Arbeit nicht viel gelegen seyn. wie vorhin. Ich denke doch. – rückt näher. Aber, ob Sie mit mir sprechen oder nicht, daran ist mir recht viel gelegen. Liebe Mademoiselle – Ich heiße Emerike – Sie sind – ich muß – Will wieder schreiben. rückt näher. Mit mir sprechen , recht viel sprechen, wie soll ich denn sonst gescheider werden? wendet sich mit einem Stuhl zu ihr. Ich fürchte nur – Was? Das unsere Unterredung eine Wendung nimmt, die – Die mir gefällt, gewiß gefällt – denn Ihr Ton ist so sanft – Emerike! Ach! so hat noch Niemand meinen Nahmen ausgesprochen! Er gefiel mir zu Hause gar nicht; – aber – wenn Sie mit diesem Tone Eme rike sagen, dann dünkt mir, es gibt gar keinen schöneren Nahmen auf der Welt. ihre Hand ergreifend. Liebes, holdes Geschöpf! Ach! Steht auf. läßt erschrocken ihre Hand fallen. Was ist Ihnen? Wie Sie mich bey der Hand nahmen, fuhr es mir wie ein Blitz durchs Herz. ist auch aufgestanden. Verzeihen Sie! treuherzig betheuernd. Es that nicht weh! für sich. Rette dich, Flint. Setzt sich wieder zum Schreibtisch. Wollen Sie denn wieder schreiben? Es ist wirklich nöthig – etwas unwillig. Aber Sie sollen mich ja unterhalten. steht auf. Ich will Ihren Bräutigam holen. schnell. Nein, den nicht. Da Sie Unterhaltung vermissen – wie vorhin. Wenn Sie mit mir sprechen, vermisse ich niemand; Etwas verschämt niederblickend. niemand. Liebe, gute Emerike. Ja, gut bin ich, aber im Kopf, nicht wahr, im Kopf ist es bey mir leer? O nein. Ach, das weiß ich wohl. Ich lege mir auch oft den Finger auf den Mund, daß ich nicht alles, was ich denke und fühle, so gerade heraus sage. Reden Sie, wie Sie denken und fühlen. Wie ich fühle? ja – wenn ich so reden dürfte. Mit mir dürfen Sie so sprechen. Mit Ihnen? und Sie würden mich nicht auslachen? mit Feuer. Nur der verdorbene Mensch könnte dieser frommen Einfalt spotten. Offenheit, Gutmüthigkeit, o wie überstrahlen sie die prunkenden Geistesgaben unserer heutigen Modefrauen. Sie werden Ihren Mann lieben , nicht wahr? herzlich. Ueber alles. Ihm vertrauen? herzlich. Von ganzem Herzen. Als gute Wirthin Ihrem Haushalte vorstehen. sich etwas zu Gute thuend. O das verstehe ich. Liebe und Wohlwollen um sich verbreiten. Gewiß, gewiß! auf einmal sich fassend. Nun – so wird Herrn Gehrmanns Neffe recht glücklich seyn. Wendet sich weg. sagt schnell. Nein, der wird es nicht. Emerike! Den will ich nicht glücklich machen. Warum nicht? Weil ich ihn nicht liebe. schnell ihre Hand ergreifend. Sie lieben ihn nicht? Macht Ihnen das Freude? Es sollte nicht, aber – Für sich. wie wird das enden! etwas verschämt. Ich kenne einen Andern, den ich gerne glücklich machen möchte. Einen – Andern? Ja – ich kenne – sehen Sie jetzt immer ein wenig nach Ihrem Schreibtische hin, denn ich möchte Ihnen sagen – Herzlich. daß ich Ihnen recht gut bin. Emerike! Gott! besorgt. Sie nehmen es doch nicht übel? hingerissen. Mädchen! Engel! herzlich. Ich bin noch keinem Menschen so gut gewesen und – wenn Sie mir auch gut sind – Emerike – wir sind auf einem Abwege, lassen Sie uns nicht weiter gehen. Ihre Verhältnisse, meine Grundsätze, ja selbst Ihr Reichthum , alles verbietet mir aus diesem Geständniß Vortheil zu ziehen. Sie sind die Braut eines Andern, und – ich habe nur Achtung für Sie. seufzt. Ach! Und senkt den Kopf zur Erde. 6. Auftritt Sechster Auftritt Die Vorigen. Gehrmann. Walter. kommt lachend. Was Sie mir sagen! solche Narren giebt es? Bücherschränke nach der Elle zu füllen? hat man solchen Unsinn je gehört? Zu Emerike. Nun, Kind, haben Sie Bücher ausgesucht? weinerlich. Nein. Warum nicht? Weil mir hier die Menschen und die Bücher nicht gefallen. Die Menschen gebe ich Ihnen Preis, aber meine Bücher – Ich habe immer gehört, wenn ein Mädchen Braut wird, so hinge der Himmel voller Geigen, nur im Ehestande sähe es zuweilen trübe und wolkig aus. Wenn ich aber schon als Braut das Auge voll Wasser habe, wie soll es denn als Frau mit mir werden? Besser , Kind! Ihr Mann wird Sie auf den Händen tragen, er wird – mit einem Blick auf Flint. Ach nein! er will mich nicht, und ich werde doch keinen Andern lieben. zu Flint. Sie liebt ihn! sehen Sie, sie liebt ihn, und der verstockte Mensch läßt sich gar nicht sehen. entschlossen. Ich will fort! will gar nicht heirathen, will meine alte Muhme pflegen, und ihn vergessen. Ach nein, vergessen werde ich ihn nicht. Aber – zu Tode werde ich mich grämen, dann wird er doch glauben, daß er auf der weiten Welt kein Mädchen findet, das ihn so liebt, wie ich. Geht weinend ab in die Seite des Hauses. zu Flint. Nur ein Mahl mit ihm gesprochen, und eine solche Liebe! der Mensch ist verrückt, daß er das Mädchen nicht will. Reden Sie ihm zu. Ich? Das Mädchen ist mir lieb. Das begreife ich. schnell. Nicht der Münze wegen; sie hat für mich ihren Werth – aber ihre Einfalt, ihre Kindlichkeit, ihre Offenheit! welche Andere hätte das so gerade heraus gesagt? Freylich! Sie müssen sich ihre Unterhaltung eben auch nicht sehr angelegentlich zu Herzen genommen haben, da ich sie so verstimmt antraf. Ich war – Etwas wortkarg? einsilbig? ja – wenn es eine Stadtdame gewesen wäre, da nehmt Ihr gleich das Maul voll. Mein Betragen gegen sie war streng dem Verhältniß gemäß, in dem Ihr Neffe mit ihr steht. Mein Neffe ist ein Klotz! und wenn er sich nicht bequemen will, seiner künftigen Frau Artigkeiten zu sagen, so muß er sich gefallen lassen, wenn es seine Freunde thun. Das Mädchen muß meine Nichte werden. Eben darum – Sie sind sein Freund – Ich habe es heute mehr als jemals bewiesen. Suchen Sie ihn auf, machen Sie die Sache richtig. Ich? Sagen Sie ihm, wie ihn das Mädchen liebt. Es könnte doch ein Irrthum – Was Irrthum? – Die denkt, wie sie spricht. Aber Ihr Neffe – vertraut. 300,000 fl.! hübsch! kreuzbrav! welcher Dummkopf stieße so ein Glück von sich. Es gibt doch Fälle! Und so verliebt! nun – Sie haben es selbst gehört! so verliebt in den Jungen, daß sie, wenn er sie nicht zur Frau nimmt, stirbt. entschlossen. Ich kann Ihren Neffen nicht bereden, Ihren Wunsch zu erfüllen. Nicht? warum nicht? Ich habe meine Gründe! Wie heißen die? Ziererey? Ungefälligkeit? Redlichkeit! ich glaube, daß man zu einen solchen Schritt niemanden bereden darf – und – bin überhaupt genöthigt, Ihr Haus zu verlassen. erstaunt. Was? mein Haus verlassen? Nimmt ihn bey der Hand. Sie waren ja so gerne bey mir! So lange ich es mit Ehren konnte. erstaunt. Verträgt sich das, was ich von Ihnen fordere, nicht mit Ihrer Ehre? Auch nicht mit meinem Gefühl . Wie? So wissen Sie denn – der, dem Sie den Auftrag gaben, einen Andern dahin zu bringen, daß er Emeriken seine Hand reiche, der liebt das Mädchen selbst. erstaunt. Was? wie? Sie lieben das Mädchen? mit Gefühl. Ich liebe – und verlasse sie. Schnell ab. sieht ihm erstaunt nach. Da hat er recht. Da konnte er ihm freylich nicht zureden Armer Teufel! heirathen kann er sie nicht, denn sie liebt nun einmahl meinen Neffen; und das Geld! nein, so lieb ich ihn habe, heirathen kann er sie nicht. Aber, aus dem Hause darf er mir auch nicht. Geschickte Feder – brav – fleißig. Ich locke ihn in mein Zimmer, setze ihn an den Schreibtisch, und lasse so wie von ungefähr das Schloß ab. Die Verliebten sind ja ohnehin wie Irrhäusler zu behandeln; aber – wenn sie ihm gefallen konnte, warum gefällt sie denn meinem Neffen nicht? Habe jetzt einen wichtigen Gang, dann will ich die Sache schon in Ordnung bringen. Das Manuscript, das ich ihm gab, muß langen Inhalts seyn; ja – wenn die Frauen reden oder schreiben, das nimmt kein Ende. Sonst hatten sie nur das letzte Wort in ihrem Hause, aber, wenn das so fortgeht, haben sie es auch bald in der Welt. Nimmt Hut und Stock, den er mitgebracht hat, und geht auf die Gassenseite ab. Wie Gehrmann abgeht, kommt Walter und ein Diener durch die Glasthüre herein. Heute geht es hier sehr ruhig zu. Es ist Mittag. Die leselustige Welt huldigt jetzt einem andern Götzen. 7. Auftritt Siebenter Auftritt August. Vorige. tritt hastig von der Seite des Hauses ein. Geschwinde, lieber Walter mit diesem Manuscript in die Druckerey. Es sollen sich mehrere Setzer damit beschäftigen, ich übernehme die Korrektur selbst, und erwarte es in der kürzesten Zeit. nimmt den Hut. Ich will es besorgen. Geht mit dem Manuscripte nach der Gassenseite ab. geht lebhaft herum. Welche Phantasie! welche Sprache! und die Haltung der Charactere! wie richtig! wie fein! Das Ganze ist so einfach, und doch so kräftig! Ja, wenn die Weiber so schreiben, wer wird ihnen dann abstreiten, daß sie schreiben dürfen . 8. Auftritt Achter Auftritt Madame Wölbing. Die Vorigen. Was beliebt, Madame? Ich wünschte Herrn Gehrmann zu sprechen. Dort steht sein Neffe. war in Gedanken, blickt auf. Womit kann ich – Erkennt sie und sagt freudig. O Madame, sind Sie es? Führt sie vor. Ich habe – Das Manuscript noch nicht gelesen? um so besser, ich komme, es zurück zu fordern. Wie, Madame? Die Art, wie sich Herr Gehrmann über weibliche Talente äußerte, hat das zartfühlende Herz der Verfasserinn verwundet, sie erbittet es sich zurück. Das ist unmöglich, Madame. Ich habe es ihr versprechen müssen. Sie sind außer Stand, es zu halten, die Presse ist bereits damit beschäftigt. überrascht. So schnell? Möge das Herrn Gehrmanns Aeußerung widerlegen, und Ihnen für die Anerkennung des Verdienstes bürgen. gerührt. O mein Herr! Madame, Sie sind bewegt, ist die Verfasserinn Ihnen werth? Sie ist mir alles . Eine Verwandte? Schwester? Eine Tochter , mein Herr. O dann, glückliche Mutter! ein Mädchen, das so denkt, so schreibt – Und so fühlt ! Eine solche Feder darf die Nadel und den Rocken verdrängen. Sie gestehen ihr einiges Verdienst zu? Nur einiges? ich gehörte unter die Widersacher der Schriftstellerinnen, aber diese – wirklich, ich wünsche die Bekanntschaft dieses interessanten Mädchens zu machen. Mein Herr – Halten Sie es nicht für Zudringlichkeit – Ich muß dennoch – Es ist reiner Zoll der Bewunderung. Unsere Lage – Erlauben Sie mir, Sie nach Ihrer Wohnung zu begleiten. Ich muß diese Ehre verbitten. erstaunt. Madame – Wir leben sehr abgeschieden. Ich verlange nicht Ihre Einsamkeit zu stören, nur kennen möchte ich das Mädchen, das so zu meinem Herzen spricht. Ich kann Ihren Wunsch nicht erfüllen. Was verbiethet mir den Zutritt? Unser Unglück! immer dringender. Lassen Sie mich es theilen. Es ruht auf mir und meinem Kinde allein. Haben Sie Mißtrauen? Nein, mein Herr! O so verweigern Sie mir nicht länger – Genug – Sie haben durch die Nachsicht, mit der Sie den ersten Versuch meiner Tochter beurtheilen, beruhigenden Balsam in mein Gemüth geschüttet, das mit sich selbst uneins geworden ist. Diese veränderte Lage der Sache wird meinem Kinde Trost und neuen Muth zur Arbeit gewähren. Meine erste Nachricht hat sie erschreckt, sie leidet – die Mutter darf nicht zögern, sie wieder aufzurichten. Will gehen. dringend. Ich muß Sie begleiten. bestimmt. Durchaus nicht. Ich soll nicht ein Auge schauen, aus dem die Freude eines erfüllten Wunsches strahlen wird? wendet sich bewegt ab. O Gott! Sie sind erschüttert. wendet sich zu ihm und sagt sehr bewegt. Dieß Auge kann Ihren Blick nicht erwiedern. Madame! mit Thränen. Es sieht Gottes Schöpfung nicht mehr. tritt zurück und sagt nach einer Pause. Arme Mutter! Armes Kind! Des Lichts beraubt, und diese Klarheit in ihrem Innern! Gott! mein Gott! doch nicht seit ihrer Geburt? O nein – ihr Auge sah so heiter in das Leben! Unglück, Kummer, überhäufte Handarbeit, durchwachte Nächte um mich – Ihre Stimme bricht, erst nach einer Pause fährt sie fort. Verzeihen Sie – ich hatte alles darnieder gekämpft, aber diese Prüfung war zu schwer – verzeihen Sie, daß ich meinem Schmerz nicht gebiethen konnte. Trocknet sich die Augen. Ist keine Hilfe möglich? Welche Mutter gibt ihr Kind verloren? Der Arzt gibt Hoffnung, und dieser schwache Funke ist mein Lebenslicht. Wenn es mir durch ihre Geistesarbeiten gelingt, ihre Lage zu erleichtern, ihre Sorge um meine Erhaltung zu verringern, so hofft er – Erwarten Sie alles, Madame – morgen – ja – vielleicht schon heute – wo wohnen Sie? Ich werde mich anfragen. Nein! nein – ich beschwöre Sie jetzt um so mehr, mir zu gestatten – Indem ich Ihren Besuch verbitte, erfülle ich einen Wunsch meiner Tochter. Aber in diesem Zustande, wie schreibt sie? Sie denkt, und ich schreibe. Freilich verdunkeln Thränen auch oft meinen Blick, wenn sie mit lebhaften Farben einen Gegenstand schildert, den sie nicht mehr sieht . lebhaft. Ich muß Ihre Tochter sehen. Nein, mein Herr! der Wille – ja, sollte es auch nur eine Laune dieses guten Kindes seyn, ihr Unglück nicht zur Schau zu tragen, ist mir heilig. Sollte es einst meinem Gebeth und der Kunst gelingen, dieses umflorte Auge wieder für das Licht des Tages empfänglich zu machen, dann will ich ihr mit Freuden in Ihnen einen Mann vorstellen, der so warmen Antheil an ihrem Schicksal nahm. Heute, Dringend. heute , Madame! jetzt gleich! Jetzt gehört ihr Unglück nur mir , und ich traue Ihrem Benehmen den Zartsinn zu, daß Sie den Wunsch des Unglücks ehren. Macht ihm eine Verbeugung und geht ab. bleibt wie gelähmt stehen, und sagt nach einer Pause. Sie ist fort! und ich, mit dieser Sehnsucht, mit dem Wunsche, nach Möglichkeit zu helfen, bleibe zurück! Er ruft. Heinrich! Heinrich! kommt durch die Glasthüre. Gehen Sie der Frau nach, geschwinde; beobachten Sie, welchen Weg sie nimmt – Ich will nur – dringend. Ohne Hut! Ich wünsche ihre Wohnung zu wissen, es liegt mir viel, alles daran! Nur fort! nur fort! Er schiebt ihn zur Thüre hinaus, kommt zurück, und sagt. Man soll das Unglück ehren , aber es mildern , es ganz heben , wenn man kann, ist besser . Mag der immer die Schicklichkeit verletzen, der seine Menschenpflicht erfüllt. Ende des zweyten Aufzuges. 3. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt Albertine. Annchen. sitzt nachdenkend an einem Tische. Sie ist ganz weiß, ohne alle Verzierung, gekleidet; ihr Haar ist einfach. zählt. Eins, zwey, dreymal herum. unruhig, für sich. Meine Mutter bleibt lange. sieht an ihr herauf. Nun muß ich wohl wieder abnehmen? Ja, mein Kind. den Strumpf freudig betrachtend. Das wird ein Strumpf! eine Masche wie die andere! Mit Freude. Die Mutter lobte mich gestern, daß ich jetzt so fleißig bin. Warst du das nicht immer? Ach nein! Ehe Sie ins Haus kamen, blieb ich keine Minute auf Einer Stelle. Verschämt. Ich lief sogar mit den Kindern auf der Straße herum und spielte. Das war nicht recht. Das war schlecht! Ich bin ja die Aelteste, und soll meiner Mutter unter die Arme greifen. für sich, mit Schmerz. Ich kann das nicht mehr. freundlich hinblickend. Sie haben mich das gelehrt. mit verstärktem Ausdruck, indem sie aufsteht. Ich kann das nicht mehr. steht auch auf. Wollen Sie in den Garten? Nein – mein Kind. Sie sind so unruhig? Ja – denn ich erwarte – Sich fassend. es ist so ängstlich hier. Oeffne doch das Fenster. läuft hin, öffnet gegenüber das Fenster, und kommt zurück. Darf ich Sie hinführen? Ich kenne ja den Weg. Geht an ihr vorüber. bleibt stehen und sagt traurig. Aber – ich führe Sie so gerne. bleibt auf der Mitte der Bühne stehen und sagt gutmüthig, indem sie ihr die Hand reicht. So führe mich denn. springt freudig hin und führt sie zum Fenster. wie sie dort steht. Ich danke dir. Aber jetzt, Annchen, lasse mich allein. besorgt. Sie sind böse auf mich? O nein. Und schicken mich doch fort? Ich erwarte meine Mutter. Darf ich auf den Abend wieder kommen? Immerhin. Und – wenn ich meine Aufgabe fertig habe, und Sie zufrieden mit mir sind, dann erzählen Sie mir, nicht wahr? mit Erbitterung. Dir? ja, dir darf ich erzählen. Ein Ammenmährchen, das verweigert man uns nicht. Neulich von den Kindern, die ihren Aeltern mit Undank vergolten, und denen es recht schlecht dafür ging. Gehe, mein Kind! Wissen Sie aber, was mir noch mehr Freude macht, als wenn Sie mir erzählen? zerstreut. Nun? Wenn Sie mit uns bethen. ihr die Hand reichend. Du bist ein frommes Kind. Ja, aber so fromm, wie Sie, bin ich nicht. Wenn Sie die Hände falten, und mit den trüben Augen zum Himmel hinaufsehen, da denke ich – der liebe Gott kann Ihnen nichts abschlagen. Und wenn ich Sie nach dem Gebethe ansehe, so ist es mir, als ob Sie ein Engel wären, den mir der liebe Gott vom Himmel schickt. Genug, Kind! Die Mutter sagt alle Tage, mit Ihnen sey der Segen Gottes bey uns eingekehrt; Sie lehrten sie mit der feinen Wäsche umgehen, und jetzt hat sie Arbeit genug. Aber früher sind wir oft hungrig zu Bette gegangen. Annchen – gehst du noch nicht? Gleich, gleich! – Wenn Sie mich fortschicken, geh' ich immer etwas langsam. Aber wenn Sie mich rufen , da möchte ich Flügel haben, um nur recht bald bey Ihnen zu seyn. Bittend. Rufen Sie bald. Sie wissen wohl, ich bin nie weit von ihrer Thüre. Küßt ihr die Hand und sagt schmeichelnd. Werden Sie rufen? ja? bald ? – recht bald, recht bald! Schnell durch die Mitte ab. allein, tritt vor und sagt nach einer Pause. Auch diese Hoffnung vernichtet! es war die letzte! sie erhielt mich aufrecht. Reglos, erblindet, ihr zur Last! Geht ein paar Schritte und sagt dann lebhaft. Ich soll nicht schreiben! nicht aus meinem Innern schöpfen; verhüllt liegt Gottes weite Schöpfung vor mir, und das, was in mir lebt, soll auch verstummen? Wohl hatte mein Vater recht, als ich ihm einst zu seinem Geburtstage ein Gedicht brachte, meine Bücher und Papiere in das Feuer zu werfen, damit ich nicht dereinst verspottet würde, sagte er! Mit Schmerz. Ich bin – ich bin verspottet. Nach einer Pause. Und wie ehrte ich sein Wort! wie erstickte ich den Drang, der mich zum Schreibtisch zog, bis mir Gott das Augenlicht nahm; da erglimmte dieser Funke auf's neue; er sollte mir durch's Leben leuchten, auch er verlöscht! Nacht in , Nacht außer mir! O wäre meine Mutter nicht, ich bäthe Gott um Grabesnacht, dann würde mir wohl. Bleibt mit gesenktem Haupte stehen. 2. Auftritt Zweyter Auftritt Madame Wölbing. Albertine. tritt freudig ein. Albertine! sucht sich zu fassen, und sagt mit scheinbarer Ruhe. Nun, meine Mutter, bringen Sie das unnütze Papier zurück? Nein, mein Kind! hastig. Nicht? War Niemand zu Hause? Man hätte es Ihnen ja wohl gerne gegeben. Man gab es mir nicht. Nicht? Man hat es gelesen. sehr ergriffen. Ge – lesen. Und findet es gut. lebhaft. Gut? Auf einmahl fürchtend. O meine Mutter, Sie täuschen mich. Ich täusche nie. Ihre erste Nachricht schlug mich nieder, nahm mir den Muth zu arbeiten, zu leben, Sie bemerkten diesen Eindruck – und wollen jetzt – Nein, mein Kind! man hat es gelesen, gelobt, gepriesen; und um dich zu überzeugen, daß es kein leeres Lob war – es ist schon unter der Presse. zitternd. Schon? sie in ihre Arme schließend. Es ergreift dich? sehr bewegt. Ja – ja, meine Mutter! dieser schnelle Wechsel! herabgewürdigt, darniedergedrückt, war mein Wirken fast zu Ende – und jetzt! jetzt eröffnen Sie mir durch diese Nachricht eine neue Bahn. Hastig betheuernd. Es ist nicht Ruhmsucht, es ist die reine Freude, nur noch wirken zu können, nur noch nützlich zu seyn. drückt sie an ihr Herz. Für mich . Wen habe ich denn sonst auf der weiten Welt? Bin ich nicht eine Ranke, die sich ohne ihren Stab nicht aufrecht hält? Ja, meine Mutter! für Sie , wie Sie für mich . Athmet tief. Welche Last haben Sie mit dieser Nachricht von meinem Herzen genommen! Ich werde arbeiten! Der Thä tige kann nicht unglücklich seyn. Was meine rege Phantasie mir vorgaukelt – ich werde es erhaschen, festhalten. Als ob sie sähe. Jene Wiese – nie fand ich ihren Blumenschmelz in meiner Kindheit so schön! das Azurblau des Himmels! – seine Sterne glänzen mir noch! Der Wellenschlag jenes Baches! das gemischte Grün jenes Waldes! Horch! seine Bewohner singen. Voll Entzücken. Ich singe mit ! O Mutter! drücke dein Kind an dein Herz; es darf seinen Gefühlen Sprache geben, es darf wieder glücklich seyn. gerührt. Glücklich? heiter. Bin ich es nicht? Schafft das Vermögen, aus der Tiefe meiner Seele zu schöpfen, Gestalten in das Leben zu rufen, sie mit meinem Schmuck, mit meinen Farben zu bekleiden, mir nicht täglich neue Freuden? Jede gelungene Wendung, jeder erleuchtete Augenblick, er ist ein Sonnenstrahl, der mir die Flecken, doch auch die reinen Stellen meiner Arbeit zeigt; und wenn sie die Flecken überstrahlen, die alles Menschliche hienieden trägt, wenn man unser Streben, das Beste zu leisten, erkennt, und unser Zurückbleiben nicht zu strenge tadelt, das begeistert zu neuem Fluge – und das Bessere ersteht. Siehst du nur Blumen? erblickst du nicht die Dornen auf der Bahn? Doch, meine Mutter! was mich diesen Morgen verletzte, waren ja ihre Dornen. Natur gab diese Waffe nur der Rose, der Mensch schlingt sie um alle Geistesblüthen; der bleibt zurück, der ihre Wunden scheut. So fühlst du neuen Muth? vertraut. Schon seit einigen Tagen umschweben mich Gestalten, sie verlangen mit Ungestüm, daß ich sie ordne. Einige zog ich mir nahe herbey, und erlaubte ihnen schon ein leises Geflüster. Doch sie sind wie Kinder, denen an der kleinen Gabe nicht genügt; sie wollen reden, handeln, ihr ganzes Menschenrecht behaupten. Diesen Morgen wies ich sie streng in ihr Nichts zurück, sie gehorchten; doch mit der Freude kehren sie mir wieder, und in der Freude, ach – gewährt man leicht. Mutter! wenn Sie mir, wie immer, Ihre Feder leihen, so beginnen wir gleich. Wie, jetzt, mein Kind? Jetzt! Nicht jeder Augenblick ist dem Dichter hold, er muß ihn erkennen , erhaschen. Jetzt ist ohnehin die Stunde, wo ihre häuslichen Geschäfte ruhen – lassen Sie mich die benützen. Wohl, mein Kind – willst du einen Stuhl? Nein, nein, ich gehe wie gewöhnlich herum. Der Körper kann nicht ruhen, wenn der Geist seine Wanderung beginnt. hat sich den Tisch in die Mitte gerückt, setzt sich zum Schreiben. So laß deinen Genius walten. hat einige Schritte gemacht, bleibt dann stehen, und beginnt langsam. »Dort, wo die Abendsonne den Gipfel des Berges scheidend grüßt – stand eine Burg, deren funkelnde Scheiben dem Wanderer entgegen riefen: erreiche mich, ruhe dann, denn du bist willkommen!« 3. Auftritt Dritter Auftritt Die Vorigen. August Öffnet leise die Thüre. nach einer Pause. »Und aus der Schlucht, wo sich schlängelnd der Pfad neben dem Bergstrom krümmte, kam ein Jüngling – hold und schön – mit geringelten Locken – mit weithin flammendem Auge. – Und der Landmann hielt an das Gespann, und sah ihm entgegen – und die Jungfrau erröthete hold und sah ihm nach –« nachdem sie geschrieben, lächelnd aufblickend. Vorüber ging er? sehr heiter. Er kehrt wieder, doch heilige Pflicht zieht ihn aufwärts. Das Siechbett des Vaters – Immer lebhafter. ihn drückte Blutschuld – er kann nicht sterben, Vergebung bringt ihm – doch stille, geschwätziger Mund – nur weiter – die Höhe erklimmt er. wiederholt. »Und die Jungfrau erröthete hold und sah ihm nach.« dictirend. »Wohl schlingt sich ein Pfad um's Gestein – er überspringt ihn, nur aufwärts, den kürzesten Weg! – Jetzt, jetzt erreicht ist die Pforte; er stürzt durch geräumige Hallen – er suchet das Siechbett des Vaters; die Mutter erblickt ihn zuerst und rufet: O sey uns willkommen!« tritt, hingerissen, einen Schritt näher. blickt auf das Geräusch um sich, und ruft Mein Gott! Steht schnell auf. winkt ihr bittend, ihn nicht zu verrathen. erschrocken. Was ist Ihnen, Mutter? verlegen. Nichts. Ihre Stimme zittert. Es war – lächelnd. Hat Sie mein Jüngling erschreckt? O nein – Das soll er auch nicht, er kömmt als ein Bothe der Freude. Nun – schreiben Sie, Mutter? sehr bewegt zu ihr tretend. Ich kann nicht. besorgt. Sie sind doch nicht krank? Nicht doch – sey ruhig. So fahren wir fort! Nein – nein, unmöglich! Warum nicht? Das Papier ist zu Ende. Schade. – Auch habe ich einige dringende Geschäfte. Und ich kann nicht, wie ehedem, helfen , das Schwere allein verrichten. O Mutter! daß ich so regungslos an ihrer Seite stehe, das schmerzt. Möchtest du nicht auf einige Augenblicke in das kleine Gärtchen gehen? Sie entfernen mich? Die Luft ist drückend hier, ich will Thüre und Fenster öffnen. Der Arzt rieth dir, alle Zugluft zu meiden – folge mir, ich übergebe dich dem kleinen Annchen. Aber wenn ich wiederkomme, leihen Sie mir dann wieder Ihre Feder, wie Sie mir schon lange Ihre Augen leihen? Ich werde Papier besorgen. Will sie fortführen. bleibt stehen, und sagt vertraut. Mutter, ich habe den Jüngling liebgewonnen. unruhig. Komm, mein Kind! So müßte der seyn, den ich lieben könnte. Komm! Ach! ich darf nur das Glück der Liebe schildern, fühlen darf ich es nicht. dringend bittend. Albertine, folge mir. bittend. Rufen Sie mich bald zurück. Wie dort auch Rosen und Veilchen duften, nur an diesem Mutterherzen ist mir wohl. Geht mit Madame Wölbing, die August deutet, daß er sie hier erwarten soll, durch die Mitte ab. sieht ihnen nach, und tritt dann rasch vor. Wie ist mir? So gerührt war ich nie. So schön, so anmuthsvoll, und so unglücklich! und dennoch – dieser kindliche, heitere Sinn. Beym Himmel! dieser erloschene Blick könnte mir gefährlicher werden, als der Flammenblick unserer Schönen. Von dir muß ich mehr wissen, gutes Kind! und – wenn Hilfe möglich ist – schon zurück? Geht Madame Wölbing entgegen. 4. Auftritt Vierter Auftritt Madame Wölbing. August. kommt eilig zurück, und sagt mit dem Tone des Vorwurfs. So wenig achten Sie – schnell. Ihr Befehl ist übertreten, aber es geschah in der reinsten Absicht, zürnen Sie nicht. Der Geist, der in dem Manuscript waltet, welches Sie mir brachten, Ihr Benehmen Madame, das Unglück Ihres Kindes, dieß alles erzeugte in mir den lebhaftesten Wunsch, Ihr Unglück genau zu kennen, um Ihnen nach Möglichkeit nützlich zu seyn. Mein letztes Wort war – Eine Bitte – ja – ein Befehl, mich nicht gewaltsam in Ihr Vertrauen einzudrängen. Die Schicklichkeit ist verletzt, doch in der Reinheit meiner Absicht werden Sie Entschuldigung finden. Wer sind Sie, Madame? wo lebten Sie früher? wie entwickelte sich das Talent Ihrer Tochter, wann trat die schreckliche Epoche ein, die ihr das Augenlicht nahm? Welche Ereignisse gingen diesem Unglücke voran? – Es ist nicht Neugierde, die diese Fragen an Sie thut, es ist ein Herz, das von dem lebhaftesten Wunsche durchdrungen ist, Ihnen nach Möglichkeit zu helfen. Ihre Fragen zu beantworten, müßte ich Wunden aufreißen, die – Trauen Sie mir den Willen zu, sie zu heilen . nach einer Pause. Wohlan! es sind Jahre an meinem Schmerz vorüber gegangen, ohne daß ein theilnehmender Mensch fragte – was drückt dich so schwer? Ihrer Stimme möchte ich vertrauen, denn was durch Ihr Auge so forschend in meine Seele dringt – betheuernd. Ist reines Gefühl! Ich will es dafür erkennen. So hören Sie denn die Verkettung von Begebenheiten, die das Unglück meines Kindes herbeyführten. – Wir lebten in Hamburg, mein Mann war Kaufmann, reich und geachtet, weil ihm sein Wort heilig war. Unser Vermögen wuchs durch seine Klugheit und Sorgfalt, und in unserer Mitte stand ein gutes Kind. Ihre Tochter? Meine einzige Tochter. Ihr Talent zur Dichtkunst entwickelte sich früh; aber der nur auf stille Häuslichkeit sehende Vater schreckte es in der Knospe zurück, und suchte es, auch wohl mit spottender Härte, ganz zu unterdrücken. Ich begreife und billige das. Albertine war schön. mit Wärme. Sie ist es noch ! mit Wehmuth. O nein, mein Herr, denn Ihr Blick, der mehr sagte, als die Zunge je vermag – spricht ja nicht mehr. mit Feuer. Doch, Madame, doch! Viele warben um sie, aber sie kannte ihre Bestimmung, und erhielt ihr Herz frey, denn sie war dem Sohne eines der reichsten Korrespondenten meines Mannes verlobt. Also – verhandelt. Die Zeit, wo ich meine Tochter verlieren sollte, rückte heran. Der Freyer kam, sein Aeußeres konnte gefallen; aber seine Denkart stieß ein so feinfühlendes Herz, wie das meiner Tochter, zurück. Sie liebte ihn nicht. Ach, mein Herr, sie konnte ihn nicht einmal achten , der Tag der Trauung rückte heran; das Opfer war geschmückt, und schon both man der zitternden Braut den Arm, sie an die Stätte zu führen, die so manches Gelübde der Freude, aber auch so manches der stillen Hingebung aufnimmt, als man meinen Gatten eilend hinaus rief. Wir blieben in Erwartung zurück; in einer kurzen Frist wurde der Bräutigam zu meinem Manne gerufen; unsere Bestürzung wuchs; die Erwartung eines Unglücks lag auf jedem Gesicht, und als bald darauf mein Gatte leichenblaß in das Zimmer trat, verkündete er uns den Sturz seines Hauses. Gott! in diesem Augenblick. Ein Schiff war gescheitert! – Er hielt es für unredlich, seinen künftigen Eidam nicht noch vor der Vermählung davon zu unterrichten. Durch seine Hülfe war Rettung möglich, er verweigerte sie, und – reiste ohne Abschied fort. Der Schändliche! Albertine fühlte das nicht. Das Unglück ihres Hauses schlug sie nieder. Das in diesem Schiffbruch gerettete Lebensglück richtete sie wieder auf. Das Vermögen meines Mannes reichte nicht hin, seine Gläubiger zu befriedigen. Albertine besaß ein bedeutendes Vermächtniß ihrer Tante – sie gab es hin. – Gute Tochter. O mein Herr! diese Benennung verdienen viele , aber eine Tochter, die wie diese jedes Talent, jede erlernte Kunst aufboth, um ihre Eltern vor Hunger zu schützen – Ihre Stimme bricht. Es erschüttert Sie! Tief mein Herr! tief! denn die Epoche, die ich jetzt berühre, wo wäre die Gattin, die sie mit trockenem Auge erz ählen könnte! Nun, Madame, nun! WÖLBING Mein Mann, – unfähig ein unthätiges, seinem Kinde zur Last fallendes Leben länger zu tragen – fand sein Grab in den Wellen. Entsetzlich! Was die Gattin, was die Tochter bey diesem immer gesteigerten Unglück litt – erlassen Sie mir die Schilderung. – Es gibt Gefühle, für die man keine Worte hat. Wir verließen die Stadt, den Schauplatz unseres Glückes und uns'rer namenlosen Leiden. Wir kommen hier an – fremd – doch wegen Albertinens feiner Handarbeit bald gesucht, und ein Augenblick des stillen Kummers trat an die Stelle der Verzweiflung. Aber – was die Thränen über den Verlust des Vaters nicht vermochten, ihr Auge bis zur Blindheit zu schwächen, das vollendete die Nachtarbeit beym düstern Lampenschein. Ich stand von einer Krankheit auf, in der sie mich sorglich pflegte; und als meine emsige Wärterin wieder meine fleißige Ernährerin werden wollte, vermochte sie nicht mehr die Farben zu unterscheiden, sie entdeckte es mir ängstlich, bath Gott auf ihren Knien um ihr Augenlicht – aber er nahm es ihr ganz . Sagten Sie heute nicht, es sey Hülfe möglich? Da es nur Schwäche, da keine Verletzung des Auges sichtbar ist, so tröstet mich der Arzt, daß – wenn ich ihr eine sorgenlose Zukunft bereiten könnte – voll Freude. Das können Sie – Sie hat auch jetzt noch Tage, wo sie die Gegenstände wie durch eine Wolke erblickt, und – wenn sie dichtet, so glaubt sie oft zu sehen. Madame – ich muß Ihre Tochter sprechen. Sie meidet die Blicke eines Fremden. Bin ich fremd? mit diesem Herzen voll Bewunderung, Achtung – Lie – o Madame, denken Sie, daß Sie einen entfernten Sohn hatten, daß es seinem Fleiß gelang, sich Glücksgüter zu erwerben, und daß er kein größeres Glück kennt, als sie mit Ihnen theilen zu können. Ich fürchte jede starke Gemüthsbewegung – mit Hast. Bereiten Sie sie vor – erfinden Sie ein Mährchen – nein, nein, bey dieser reinen Seele sey alles rein und wahr. Sagen Sie, wie es kam, wie mich ihre Dichtung entzückte, ihr Unglück rührte, schildern Sie ihr mein Verlangen, meine Sehnsucht, sie zu sprechen – nur bald, Madame, sehr bald – und hier Er legt eine Börse auf den Tisch. eine Kleinigkeit auf Abschlag des Honorars für das Manuscript. erstaunt. Diese Summe mein Herr – lebhaft. Ist zu klein, zu gering, ist nur eben das, was ich bey mir hatte; das Verdienst Ihrer Tochter wird, muß seine Anerkennung finden. Immer wärmer. Sie wären arm? Sie wären unglücklich? Wo ist die Mutter, die über ihr sehendes Kind Freudenthränen weinen kann? Sie weinen sie über das erblindete . Leben Sie wohl; bereiten Sie Ihre Tochter auf meinen Besuch vor, – schnell, – ohne Zeitverlust. Sie sehen meine Sehnsucht, Madame, lange läßt sie sich nicht unterdrücken; bald – recht bald bin ich zurück. August will fort, in dem Augenblicke öffnet sich die Thüre. 5. Auftritt Fünfter Auftritt Albertine tritt hastig unter die Thüre. Die Vorigen. ruft unter der Thüre. Mutter! Mutter! geht ihr entgegen und führt sie vor. So allein, mein Kind? bleibt auf der Seite, wo die Mutter steht. Annchen ward abgerufen, und es litt mich dort nicht allein, leicht läßt der Schmerz sich in dem Busen bergen, indeß die Freude jede Schranke bricht. Was ist dir denn so Freudiges begegnet? Ich saß in der Laube, das Geisblatt steht in voller Blüthe, ich labte mich an seinem Dufte; da durchzückte ein Lichtstrahl – es war nicht Wirklichkeit – nein – dieser Nacht wird kein Tag mehr folgen – nur die Freude, die heute meine Brust durchglüht, ließ mich glauben, es durchzucke mein Auge ein Strahl des Lichtes. freudig. Hoffe, mein Kind! O was könnte ich heute nicht hoffen, da mir der kühne Wunsch, noch zu wirken, heute in Erfüllung geht. Ja viel, viel hoffe ich; Etwas wehmüthig. nur eines nicht. Und dieses eine , Kind? Fast sollt' ichs auch der Mutter nicht vertrauen. hastig. Dann schweige jetzt. Nein, nein – Sie kennen dieses Herz, wie Gott es kennt; Sie werden diese Regung nicht mißkennen. ist wegen August verlegen. Mein gutes Kind! Man rief Annchen von mir; sie soll die Tochter unsers Nachbars heute noch zur Kirche führen. Ich weiß davon. Da sagte sie, es sey unrecht, daß man ein sehendes Mädchen führen müsse; mich , meinte sie, würde sie gerne führen, wenn ich – Mutter – es war ein Kindergeschwätz; aber es hat mich tief erschüttert – weil das unmöglich ist. Unmöglich? Wer soll die Blinde lieben? drückt schnell Madame Wölbing mit sichtbarer Rührung die Hand, und geht schnell ab. heftig erschrocken. Wer ging hier? verlegen. Es ist – es war – Wir waren nicht allein? Nein, mein Kind. Und ich schüttete mein Herz vor Ihnen aus! Sey ruhig. Nein, nein – in meiner Rede lag – Der gegenwärtig war, wird diese Ergießung deines Herzens nicht mißbrauchen. mit Angst. Es war ein Mann? Ja, mein Kind. Und Sie warnten mich nicht? Du kamst so plötzlich. – Und ich sprach den Wunsch nach einem Glück aus, das für mich nicht zu erreichen ist. Er hörte es tief bewegt. Er wird mich verspotten. Nein – der spottet nicht. Wer ist es, wer war es? Herrn Gehrmanns Neffe, der sich für die werdende Schriftstellerin sehr interessirt. O Mutter! Er hat mir auch für deine Arbeit Geld gebracht. zitternd. Geld? Du zitterst. Vor Freude, Mutter! vor Freude, daß ich für Sie arbeiten kann. O mein Kind! Umarmt sie. Du fliehst die Menschen, und ich möchte gern aller Welt zeigen, wie ich in meinem Kinde glücklich bin. Jetzt fasse dich; diese Begebenheit hat dich erschüttert; wenn du ruhiger bist, dann will ich dir von diesen Neffen mehr erzählen. Will es mir doch fast ahnen, daß er wie der Jüngling, dessen Schicksale du zu entwickeln beginnst, zu Glück und Segen für uns eingetreten ist. – Nun, Albertine, ich ergreife die Feder! wo sind wir geblieben? – »er trat ein, die Mutter erblickt ihn zuerst – und rufet: O sey uns willkommen!« O Mutter! was in mir vorgeht, ist so fremd, so unerwartet! mit diesem Aufruhr in der Brust kann ich nur fühlen, denken kann ich jetzt nicht. Sich in ihre Arme werfend, mit einem kindlichen Ton. Nein, Mutter! denken kann ich jetzt nicht. Sie gehen Arm in Arm zurück, der Vorhang fällt. Ende des britten Aufzuges. 4. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt Emerike. Kunigunde. sitzt rechts, ein Haufe Bücher auf dem Tisch, sagt nach einer Pause. Kundel! sitzt auf der andern Seite, wendet den Kopf hin. Jungfer! Mir wird die Zeit lang. seufzt. Mir auch! Was in den Büchern steht, versteh' ich nicht. Wird ja nichts Vernünftiges hinein geschrieben. springt auf. Wenn das so fort geht – Fahren wir heim. Heim? Tritt lebhaft vor sie hin. Daß es hieße, ich hätte mit meinem vielen Gelde in der Stadt keinen Mann bekommen? Ist des Nachbars Liese hübscher als ich? hat sie mehr Geld als ich? Der Vater hat sie nur einmal mit dem Leder nach der Stadt genommen, und richtig, die Liese und das Leder fand ihren Mann. seufzt. Ich sitze mit meiner Waare noch auf dem Markt. Daß mir die Leute hier alle ausweichen, geht nicht mit rechten Dingen zu. Du weißt, Kundel, wie du zu Hause deine Noth hattest, wenn ich nur vor die Thüre trat, weil mich die Mannspersonen so angafften. Aber hier – hier brauchst du mich gar nicht zu hüthen, Kundel, Weinerlich. wer sieht mich denn hier an? Und wer sieht mich an? Wer bekümmert sich darum, ob ich auf meine Fragen die gehörige Antwort habe. In Breitenfeld – die Kirche liegt nur zehn Schritte von uns, aber ich brauchte, um hinein zu kommen, immer eine volle Stunde, weil die Leute, die mir begegneten, den Mund nicht zu Hause ließen, sich menschenfreundlich um das Thun und Lassen ihrer Nachbarsleute bekümmerten, aber hier ist bey dem grüß dich Gott, auch gleich das – behüth dich Gott! Keins bekümmert sich um das andere. Um mich würden sich die Leute schon bekümmern; aber – Kundel, lache mich nicht aus; aber ich glaube, verzeih' mirs Gott! die Nachbarin hat mich häßlich gemacht. Ey, da ist nicht zu lachen; sie ist längst als eine Zauber-Base bekannt; darum konnte sie auch von ihren fünf Töchtern noch keine unter die Haube bringen. Ja – wenn die ihre Hände im Spiel hat – Gewiß, gewiß! sie hat mich nie leiden können – und wie wir in den aufgethürmten Wagen stiegen, und fort fuhren, hat sie überlaut gelacht. Vertraut. Darum sind uns auch die zwey Küchelchen von der letzten Brut daraufgegangen. – Kundel! die hat mich so häßlich gemacht. Lassen Sie sich doch betrachten. Sieht sie an. Ja wahrhaftig! ängstlich. Nicht wahr, Kundel? Die Nase – Krumm? ganz krumm? Das nicht, aber – Verdreht? Auch nicht – aber – Sage es nur heraus, ein ganz ander Gesicht? Anders kommt es mir wirklich vor Auf einmahl ängstlich. aber – was hat sie denn aus mir gemacht? Du hast noch dein altes Gesicht – an dem ist ja auch nichts zu verderben; aber ich, Kundel – ich begreife jetzt wohl, daß mich Herr Flint nicht liebt. Wer ist der Flint? Ach Kundel! das ist ein lieber Mensch! dem würde ich mit Freude meine Hand geben. erstaunt. Was, Jungfer? treuherzig. Er nimmt mich nicht, ich habe es ihm schon zu verstehen gegeben, daß er mir lieber als Herrn Gehrmanns Neffe wäre – aber die Nachbarin, Kundel – er nimmt mich nicht. Und darf Sie auch nicht nehmen. Herr August Gehrmann, und kein anderer, wird Ihr Mann. lebhaft. Nein Kundel, ehe ich den nehme, ehe würde ich ins Wasser springen. Was? so gottlos sind Sie geworden, nicht nur das Gesicht, auch die Seele ist verdorben! ins Wasser springen? den Himmel verscherzen? eine üble Nachrede hinter sich lassen? und das alles, um – Um nicht einen Mann zu nehmen, den ich nicht lieben kann. Mann ist Mann! und ein Mädchen muß ihn heut zu Tag nehmen, wie er die Hand ausstreckt. Und zieht man in diesem Glückstopf eine Niete, so wird uns das, was wir hier abbüßen, von der großen Erdenschuld dort abgerechnet. 2. Auftritt Zweyter Auftritt Gehrmann. Die Vorigen. legt Hut und Stock ab. Noch immer allein? Ist der Junge noch nicht zum Vorschein gekommen? seufzt. Ach nein – der ist gewiß fort. Wer ist fort? Der gute Herr Flint. für sich. Der ist nicht fort, den hab ich eingesperrt. Laut. Es macht mich wirklich unruhig. Mich auch. Sich so versteckt zu halten. Sie geben ihm zu viel Arbeit. Wem? Dem Herrn Flint. Ich rede ja nicht von dem, sondern – der Mensch ist mir nie so ungehorsam gewesen. Geht herum. Ja – wie Sie ihm heute in dem Buchladen sagten, daß er mich unterhalten sollte, so hat er es auch nicht gethan – sondern in einem weg geschrieben, und auf das Papier gesehen. Aber Kind, von wem reden Sie denn? Ey – von Herrn Flint! Immer von Herrn Flint! Für sich. Hätte ich auch da einen Fehlschuß gethan? Laut. Hören Sie, mein Kind, der Herr Flint ist ein recht guter Mensch! einfallend. Ein recht lieber Mensch! So? Hm! ja – er kann auch für Andere ein lieber Mensch seyn; aber Sie sollten nur meinen Neffen vor Augen haben. Das hab' ich ihr auch gesagt. weinend. Wie kann ich ihn denn vor Augen haben, wenn er sich nicht bey mir sehen läßt. für sich. Sie hat recht. Er hat mir selbst gesagt, daß ich nur aus dem Umgange mit Menschen klug werden kann, und kein Mensch geht mit mir um. Es ist als ob wir aller menschlichen Liebe aus dem Wege gereist wären. für sich. Jetzt fängt die Alte auch an. Ich, die in unserm Städtchen bey Lust und Schmerz, bey Kindtaufen und Sterbefällen zu Gast und Rathe gezogen wurde – ich sitze hier wie Hagar in der Wüste! kein Mensch fragt, kein Mensch antwortet mir. So warte Sie doch nur, bis es etwas zu taufen oder zu begraben gibt. Laß die Kutsche anspannen, Kundel; wir wollen fort! Auch fort? Alles fort? Das ist gegen meinen Auftrag. Er lautet ausdrücklich, Sie Ihrem Eheherrn zu überliefern. Wenn sich aber kein Eheherr finden will? Wird sich finden, muß sich finden. Nur Geduld, und wenn der Bursche Sie nicht nehmen will – habe zwar schon viele Leipziger-Messen mitgemacht – thut nichts! hier steht auch noch ein Mann! Stellt sich vor Emeriken hin. erschrickt. Ach du lieber Gott! lacht. Makulatur? Nicht wahr, Kind? Erschrecken Sie nicht; das alte Buch, im Pergament-Einbande, ist nur ein wenig von seiner Stelle gerückt – aber ich weiß, in der Ehestands-Bibliothek müssen die alten Klassiker noch mehr als in der übrigen Welt dem Franzband und dem Goldschnitte weichen. Ich trete zurück, liebes Kind, ich trete zurück. Leise zu Kunigunden. Liebe Jungfer Kunigunde, da Sie sich auf Ihre Redekunst doch etwas einzubilden scheint, rede Sie ihr zu, es soll Ihr Schade nicht seyn. Gibt ihr einen Beutel. Das in die Sparkasse – auf den Heimweg die ganze Kutsche voll Erbauungsbücher, und – kommt es endlich zur Hochzeit, ich sehe, daß Sie eine Person ist, die auf Ehre hält, Sie sitzt oben an. freundlich. Ach, euer Gestreng – Oben an – an meiner Seite – ein Mann, ein Wort. Ich hole meinen Neffen. Kundel – rede Sie ihr zu, rede Sie ihr zu. Schnell ab. 3. Auftritt Dritter Auftritt Emerike. Kunigunde. Ein lieber Herr! Wiegt den Beutel. gesprächig, leutselig; solchen Leuten kann man nichts abschlagen. Ja, der die gehörige Art kennt, sein Fuhrwerk zu lenken, der findet überall seine Bahn. Das wäre ein Eheherr geworden, wenn ihn der liebe Gott zur rechten Zeit erleuchtet hätte. Die wird von Vielen versäumt. Zu Emeriken. Jetzt wird die Sache ernst; ich habe schon manch nutzloses Wort zu Ihnen gesprochen, aber jetzt muß meine Rede voll Salbung seyn. Nicht Ihr Gesicht, Ihr Herz ist verunstaltet, daß es seinen rechtmäßigen Bräutigam vor der Thüre stehen läßt, und einem Herrn Flint sein Kämmerlein öffnet. Stützt die Arme in die Seite. Wer ist der Herr Flint? mit niedergeschlagenem Blick. Herrn Gehrmann's Buchhalter. Was hat der Herr Flint? ein Paar Pfennige spärlichen Einkommens? Die würden sich neben Ihren 300000 Gulden gut ausnehmen. Geld sucht Geld ! das ist all mein Lebtag so gewesen. Wenn Herr August kommt, so seyen Sie hübsch freundlich mit ihm, und sehen Sie ihn so an, wie Sie immer des Schulmeisters Sohn ansahen. Da hätte es bey einem Haare auch Feuer gegeben, aber ich habe es immer wieder ausgeblasen – ja, wer jedes Lichtchen brennen lassen wollte, was sich die unerfahrene Jugend anzündet; – geschwinde ein Löschhörnchen darauf, damit sie nicht muthwillig alle Kerzen verflackern, die Gott zu unserer Freude brennen läßt, und dafür im Alter in einer egyptischen Finsterniß sitzen. Will jetzt unsere Herrlichkeiten vollends auspacken. Das Leinenzeug, das Kupfergeschirr. Wenn Ihre Augen nicht mit ihm fertig werden, und ich das Kupfergeschirr so in das rechte Licht in der Stube herumstelle – dem widersteht er nicht; nein, nein, dem widersteht er nicht. Durch die Mitte ab. allein. Wenn ich nur mit Herrn Flint reden könnte! – Ich will zu ihm in den Buchladen – aber – sie sagen ja hier um das dritte Wort: das schickt sich nicht. – Ich will ihm die Bücher zurücktragen, ich sage ihm, ich habe diese schon alle gelesen, er soll mir andere geben; ja, das geht, das geht. Packt die Bücher zusammen. 4. Auftritt Vierter Auftritt Flint In dem Seitenzimmer. Emerike. klopft an die Thüre. bleibt stehen. Wer klopft? Jungfer Emerike! voll Freude. Sind Sie es, Herr Flint? O nur herein, nur herein! Legt die Bücher auf den Tisch. Ich kann nicht. Warum nicht? Das Schloß ist abgelassen. geht hin. Der Schlüssel fehlt. Herr Gehrmann hat ihn abgezogen. Ich will ihn von ihm fordern. Er wird ihn nicht hergeben. Warum nicht? Er hat mich eingesperrt; versuchen Sie, ob kein anderer Schlüssel – Gleich, gleich – Will fort, bleibt stehen. aber – warum hat er Sie eingesperrt? Weil ich fort wollte. So? – Dann hatte er recht. So suchen Sie doch – Dann lasse ich Sie auch nicht heraus. Ich verspreche Ihnen im Hause zu bleiben. Gewiß? Gewiß! Verhalten Sie sich ganz ruhig; ich ziehe die Schlüssel von allen Thüren ab, einer schließt gewiß. Schnell links durch die Mitte ab. 5. Auftritt Fünfter Auftritt Gehrmann, August Durch die Mittelthüre rechts. zieht August herein. Da ist er, da bring ich ihn! Sieht sich um. Wo ist denn die Braut? Onkel – hören Sie mich! Kein Wort! Nie werde ich meine Hand biethen – 300000 Gulden in Empfang zu nehmen? Um dafür meine Freyheit zu verkaufen? Du bist ein Narr! jeder Ehemann dünkt sich heut zu Tage frank und frey. Ich denke nicht, wie jeder. Du denkst wie gar keiner; denn keiner schlüge, um das einsylbige Wörtchen ja auszusprechen, eine solche Summe aus. Ich finde mein Glück nicht in klingender Münze. Ohne Münze findet man es auch nicht. NB. Diese Scene muß sehr lebhaft gesprochen werden. Wie können Sie mir zumuthen, dieses ungebildete, unwissende Geschöpf – Sie hat für alles, was sie nicht weiß, kontante Entschuldigung. Noch vor wenigen Tagen wäre es mir vielleicht möglich gewesen, Ihrem Spekulations - Geiste dieses Opfer zu bringen, heute – nicht mehr. aufmerksam. Und warum nicht mehr? Gestatten Sie mir, in einem ruhigen Augenblick über meinen künftigen Lebensplan mit Ihnen zu sprechen. Ueber einen Plan? Wenn Sie ruhig sind. schreit. Ich bin ruhig! Heraus mit dem Plan. Noch ist mir selbst Vieles dunkel. Weil das Licht der Vernunft fehlt. Meine Lage ist wirklich sonderbar. ungeduldig. Blättere nicht so lange in dem Buche deiner Thorheit; schlage das Kapitel auf, wo geschrieben steht, daß du toll bist. Onkel! nur bis morgen – Keine Sicht! heute ist der Wechsel zahlbar. Nun denn – auch heute . Nach einer Pause. Onkel! ist es Ihnen nie vorgekommen, daß auch der weiseste Lebensplan an einem zufälligen Ereignisse scheitern kann? Wie ich mir auch meine Zukunft denken mochte, heute hat sie sich anders gestaltet. Wie hat sie sich gestaltet? Sprich doch nicht mit Umschweifen, wie die Autoren schreiben, um dem Buchhändler nur den Bogen voll zu machen. Sinn in wenig Worten, das verkaufe mir. Nun denn – ich liebe! erstaunt. Du? jetzt? mit Feuer. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo ich fühle, daß nicht kalte Berechnung, daß nur willenlose Hingebung unser Glück machen kann. heftig. Willenlos? Hirnlos! Ich weiß, daß ich Ihnen mißfallen muß . heftig. Muß! muß! muß ! – In dem Augenblicke sich zu verlieben, wo ich dein Herz für meine Mündel brauche! Hattest du nicht durch dein ganzes Leben Zeit genug? Mein Los ist heute erst gefallen. Verliebt! Wendet sich schnell zu ihm. In wen verliebt? – Wer ist sie? was treibt sie? was hat sie? voll Feuer. O sie hat Schätze, die – Schätze? Jetzt nimmt es doch eine bessere Wendung. Also – nichts Hergelaufenes? reich und – will reden. Laß mich rathen! Wer könnte das seyn? Vermögliche Mädchen kenne ich viele; aber die hat Schätze ! schnell. Sie dürfen nicht denken – Daß es Goldbarren, Demantblöcke sind? nun freylich nicht, aber doch geprägte Münze? Das Gepräge ihrer Seele . Was Seele! Der innere Werth – Was innerer Werth! Ob der Einband Löschpapier oder Maroquin ist, darauf sieht die Welt, darauf kommt es an. Die Natur hat alles für sie gethan. Und das Glück? was hat das Glück für sie gethan? nach einer Pause. Nichts! erstaunt. Nichts? rein nichts? Sie ist sehr arm. Arm? sehr arm? Wo sind denn ihre Schätze? mit Feuer. Die hat sie! die kann ihr Niemand rauben. Schnell. Anmuth! Duldung! Würde! kindliche Hingebung! geläuterten Verstand! anspruchlose Bescheidenheit! Frohsinn! Frömmigkeit! jede weibliche Tugend! und ein Herz! Onkel! mein Wort ist gelöst, ich habe Ihnen Schätze genug genannt. Nichts für die Kiste! nichts für die Kiste! Aber alles für das Glück meines Her zens . Wer ist sie? Vermuthlich, wie Aphrodite, aus dem Schaume des Meeres entstiegen? Ohne Aeltern? ohne Nahmen? Ihr Vater war ein Kaufmann. Und kein Geld? da muß Papa schön gewirthschaftet haben! Was treibt sie? mit Beziehung. Etwas, das Andere reich macht, indeß es dem, der sich damit beschäftigt, kaum die Brotrinde gibt. Da bin ich doch neugierig. Sie ist – Schriftstellerin – in höchstem Erstaunen. Schrift – Nun ist Ihnen ihre Armuth wohl begreiflich? losbrechend. Aber deine Tollheit ist es mir nicht. Du , der sich über die weibliche Schreibewuth lustig machte; du wolltest jetzt eine Frau nehmen, die ihrem Manne keinen Strumpf stricken, ihm die Suppe versalzen und das Essen verbrennen wird. Onkel! hören Sie mich! heftig. Du sollst mich hören. Es gibt Ausnahmen, die – Und es gibt Narren, die heute gut finden, was sie gestern verworfen haben. Du kannst für deine Thorheit Entschuldigung finden, aber in meinem Alter ändert man nicht über Nacht Meinungen und Grundsätze. Ich gebe dem Manne die Feder , und dem Weibe die Nadel in die Hand. Ich will keine Nichte, die mir beym Frühstück die Träume der letzten Nacht in wohlgereimten Versen vorliest. Arm! – Ich liebe das Geld – aber arm hätte sie noch seyn mögen, nur nicht gelehrt . Eine Frau, die mehr Tinte braucht, als ihr Mann Wein trinkt, kommt nicht in mein Haus. Geht lebhaft herum. Ich habe nie behauptet, daß die Gabe, aus seinem Innern zu schöpfen, Gefühle und Gedanken mitzutheilen, nur ein Vorrecht des Mannes sey. Nur, daß sich Viele diesem lockenden Spiele ohne wahren Beruf hingeben, ihre Pflichten versäumen, ohne der Welt einen Gewinn dafür zu hinterlassen, das habe ich getadelt; und ich glaube, daß ich bey meiner Wahl diesem Grundsatze treu geblieben bin. Gut – wandle deinen Narrenpfad, wir Beyde haben nichts mehr mit einander zu schaffen. ihm nachgehend. Onkel! heftig. Ich enterbe dich! kalt. Ich besitze Fähigkeiten, meinen Unterhalt zu erwerben. weich. Du willst – du kannst mich verlassen? Wenn Sie mein Lebensglück dem Geldgewinn opfern – So hat sie dich umstrickt? Durch Unschuld und Güte. Durch verführerische Worte, durch verbuhlte Blicke. lebhaft. Nein – hören Sie, und erstaunen Sie immer mehr. Noch fiel kein Blick von ihr auf mich, und noch hat sie kein Wort mit mir gesprochen. erstaunt. Und dennoch – mit Wärme. Und dennoch fühle ich mein Schicksal auf ewig mit dem ihrigen vereint. Ueber das Herz entscheidet der Augenblick, er hat über mich entschieden; denn was ich in jenem Augenblicke sah und hörte, ergriff die Seele und befriedigte den Verstand. Schnell. Sie kränkten diesen Morgen die Mutter , die Ihnen das erste, aber doch so gelungene Werk einer armen erblinde ten Tochter brachte. etwas betroffen. Was? erblindet? lebhaft fortfahrend. Das Benehmen dieser Frau rührte Sie, wie mußte erst mich die beyspiellose Lage dieser Unglücklichen ergreifen, der ich in die geheimsten Falten ihres Herzens sah! Die Mutter verweigerte es, mich zu ihrer Tochter zu führen, ich schlich ihr nach, trat unbemerkt in das Zimmer, und – o hätte ich Raphaels Pinsel, um diesen Moment vor Ihre Seele zu führen! ich sah, ich hörte wie die Arme eine Welt in ihrem Busen weckte, wie sie der Mutter mit begeisterter Heiterkeit ihre Gedanken dictirte – der Mutter, die sie auf anderm Weg nicht mehr ernähren kann. Onkel! folgt diese Schriftstellerin nicht ihrem Berufe? gerührt, aber ärgerlich aufschreiend. Aber – wenn sie blind ist! Aber sie wird es nicht bleiben . Ich habe mit ihrem Arzte gesprochen, Hilfe ist mög lich . Schmerz, Angst und Kummer haben das Flämmchen in ihrem Auge gelöscht, die Freude soll es wieder anzünden. Die Mutter hat sie auf meinen Besuch vorbereitet, ich eile hin. Herzlich. Onkel! Sie sind nicht hart, nur Ihr Geschäft hat eine Rinde um Ihr Herz gezogen; kommen Sie, sehen Sie, prüfen Sie! Nicht Ihr Vermö gen , nur Ihren Segen will ich für mein Glück. Schnell ab. sieht ihm nach. Da läuft er hin! Mitleid kann man mit der Armuth und der Blindheit wohl haben, aber heirathen muß man sie nicht. Sonst richten die Augen das meiste Unheil an, die hat ihn ohne Augen gefangen. Aber ich, der ich ohne Brille sehe, daß da nichts Kluges herauskommen kann, soll ich ihn in's Verderben rennen lassen? – Der Bürgermeister wird Rath schaffen. – Der Bettelfamilie ein Stück Geld – zwey Postpferde; über Nacht ist sie weg – und er heirathet meine Dreymahlhunderttausend-Gulden-Braut! Denn das kann man doch nur in Fieberhitze, daß man ein reiches, sehendes Mädchen um ein armes, blindes ausschlagen kann. Will ab. 6. Auftritt Sechster Auftritt Gehrmann. Emerike Kommt voll Freude gelaufen. durch die Thüre, wo August abging. Herr Gehrmann! lieber Herr Gehrmann! Was gibt es? Ach, die Freude! ungeduldig. Nun? Ihr Neffe ist mir eben auf der Treppe begegnet. Voll Freude. Er will mich nicht. So? Und ich will ihn auch nicht! Ach, ich bin so voll Freude! für sich. Und ich möchte rasend werden. Aber warte, Söhnchen! kannst du meinen Plan durchkreuzen, ich kann es auch. Sie muß fort! sie muß heute noch fort! Schnell ab. Ich muß fort? mit tausend Freuden! aber den Herrn Flint nehme ich mit. Legt ein Tuch auf den Tisch. Da sind alle Schlüssel im Hause, Einer schließt gewiß. Nimmt ein Paar Schlüssel, geht hin und bleibt stehen. Aber wenn er mich auch nicht will? Mit Zuversicht. Ey, der will mich, der will mich gewiß. Klopft an der Thüre. Sind Sie noch hier? Freylich! hat einen Schlüssel probirt. Mit dem geht es nicht – ha – jetzt! Sie macht auf. Nur heraus, lieber Herr Flint! 7. Auftritt Siebenter Auftritt Flint, die Vorige. Ist das eine Behandlung? Herr Gehrmann gibt mir Arbeit in seinem Zimmer, ich schreibe, und wie ich fertig bin, finde ich mich eingesperrt. Das war recht. Wie? Sie wären ja sonst fortgegangen, und ich hätte nicht die Freude gehabt, Ihnen zu sagen, daß ich frey bin. Herrn Gehrmann's Neffe – schnell. Will mich nicht. Schlägt die Augen nieder. Es wird sich ja wohl ein Anderer finden. verlegen. O – gewiß – Meinen Sie? Hunderte werden sich glücklich schätzen. Ich will nur Einen – aber den , den ich liebe . Sie lieben? herzlich. Recht von Herzen! aber ich möchte nur wissen – Was? Ob er mich wieder liebt? Gewiß! Aber – wie werde ich es denn erfahren, wenn er mir es nicht sagt? Er fürchtet Sie zu beleidigen. schnell. Gewiß nicht. Ihr Reichthum – Sie könnten es für Eigennutz halten. Nein, nein! O wären Sie arm! schnell. Würden Sie mich dann lieben – Erschrickt. das heißt – ob Sie glauben, daß mich der Mann dann lieber nehmen würde? Mit Freuden! Nun, wissen Sie was? ich kann ja mein Geld in's Wasser werfen. Emerike! Engel! Ich brauche nicht viel – aber – nein – es ist so süß, denen geben zu können, die etwas brauchen. In's Wasser werfen wir es nicht, wir theilen es mit den Dürftigen. Wir – aber ich weiß ja jetzt immer noch nicht, ob er mich will? hingerissen, ihre Hand ergreifend. Er will! voll Freude. Und ich will auch, und die Muhme wird gewiß auch wollen – wir gehen zu ihr, sie willigt ein; und wissen Sie was – ich tauge doch nicht in die große Stadt, wir leben bey meiner Muhme. Wir lieben, warten und pflegen sie, dann liegt Gottes Segen auf uns und unserm Gelde, dann sind wir glücklich! mit Herzlichkeit. Selig! als ob sie mit Kunigunden spräche. Kundel! brauchst mit deiner Waare nicht mehr auf dem Markte zu sitzen. Emerike hat doch einen Mann gefunden; einen lieben, braven, hübschen Mann, der ihr treu seyn wird – Bis in's Grab! Gehen Hand in Hand ab. Ende des vierten Aufzuges. 5. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt Albertine. Annchen. tritt mit Annchen ein. Bist du schon festlich gekleidet? Ja wohl! wenn Sie nur sehen könnten, wie hübsch ich bin. Die Amtsräthin hier neben an hat mir ein Kleid von ihrer Tochter geschenkt. Ich darf mich auch nicht viel bewegen, damit jede Falte in Ordnung bleibt. Die Leute sagen, ich sähe darin wie ein Fräulein aus. Gibt sich Ansehen. Dein Haar ist wohl mit Blumen geschmückt? Ja – hier auf der linken Seite zwey schöne Rosen; sie wollten mir auch einen großen Strauß an die Brust stecken, aber – das litt ich nicht. Warum nicht? Weil ich schon einen hatte, der mir lieber ist. Von wem? Ich fand ihn auf der Bank im Garten, Sie hatten ihn von den Blumen gebunden, die ich Ihnen diesen Mittag brachte, und dort vergessen. Die Blumen sind schon welk, neigen das Haupt, wie ich es neige. Und doch sind sie mir so lieb! Der Käthe ihr Brautkranz ist recht hübsch, aber mein Sträußchen würde ich ihr doch nicht dafür geben. Halt, Annchen, versprich nicht zu viel! Wenn ich den Kranz dafür eintauschen, und Ihnen bringen könnte, dafür gäbe ich mein liebes Sträußchen her. Höre, Annchen! hast du den Herrn gesehen, der früher hier war? Was sollte ich nicht? Ich habe ihm ja die Thüre gezeigt; aber er blieb lange unentschlossen stehen, ob er sie öffnen sollte, gab mir dann ein Stück Geld, und hieß mich gehen. Das machte mich recht ängstlich, aber – weil er so freundlich war, faßte ich doch wieder Muth, und dachte – der wird ihr nichts zu Leide thun. War er freundlich? Fast so freundlich, wie Sie es sind, wenn ich Ihnen einen kleinen Dienst erzeige. Und wie sah er – aber – man wird auf dich warten. Ach nein, es sind noch nicht Alle beysammen; und wenn sie auch warten müßten, fragen Sie nur. schüchtern. Wie sah er aus? Recht hübsch! Der Käthe ihr Bräutigam gilt für einen hübschen Burschen, aber der reicht ihm das Wasser nicht. lächelnd. Er gefällt dir? Recht sehr! Wenn es einmal mit mir so weit kommen sollte, wie heute mit der Käthe, und ich einen solchen Mann bekäme, der wäre mir schon recht. Wirklich? seufzt. Aber damit hat's noch lange Zeit. Sprach er viel mit dir? Ja wohl, und seine Stimme war so sanft – so gut – er sagte: liebes Kind – aber so hat noch Niemand liebes Kind zu mir gesagt. Erzähle mir alles, was er sprach. Nun, er sagte: liebes Kind – warten Sie, ich will so reden, wie er. Ahmt ihm nach. Liebes Kind – er hieß mich Kind , weil er nicht wissen konnte, daß ich schon eine Brautjungfer sey – liebes Kind – wohnt hier nicht eine Frau mit ihrer Tochter, die – hier hielt er inne; aber ich verstand ihn doch, und führte ihn zu Ihrer Thüre. seufzt. Die erblindet ist – wollte er sagen. Er sagte es nicht. Als ich der Mutter das Geld brachte, schlug sie die Hände zusammen, sagte, es sey viel werth, und fragte mich, ob ich ihm auch dafür gedankt? Nun wird es Zeit, Annchen; gehe nun dahin, wo Lust und Frohsinn deiner warten. Ach nein! wenn ich Sie traurig weiß, kann ich nicht fröhlich seyn. gibt ihr gerührt die Hand. Liebes Kind! freudig. Das war fast so, wie er es sagte. Gehe jetzt – Ich werde aber doch immer an Sie denken; und wenn ich neben der Käthe in der Kirche stehe, will ich den lieben Gott bitten, daß er mich auch einmal neben Ihnen so stehen läßt. unruhig. Nie, nie – schweige davon, ich bitte dich. 2. Auftritt Zweyter Auftritt Madame Wölbing. Vorige. im Eintreten. Annchen! man fragt nach dir. Gleich, gleich! Zu Albertinen. Wenn der Herr wiederkommen sollte, so halten Sie ihn doch so lange auf, bis ich aus der Kirche wiederkehre; denn ich habe mich für das Geld gewiß zu wenig bedankt, ich habe nur so ein wenig mit dem Kopfe genickt. Man wartet auf dich! zu Albertinen. Ich werde nicht lange ausbleiben. Die Andern mögen tanzen und guter Dinge seyn, ich Streichelt ihre Hand. bin lieber hier . Man hört hinter der Scene eine Weiberstimme rufen: Annchen! Annchen! Gleich, Mutter, gleich! Leise zu Madame Wölbing. Sie ist heute wieder recht traurig. Gutmüthig. Wenn ich ihr nur eins von meinen Augen geben könnte! ich sähe auch mit einem noch genug. Schnell ab. 3. Auftritt Dritter Auftritt Albertine. Madame Wölbing. Bist du jetzt gefaßt, Albertine, einen Mann zu empfangen, der so warmen Theil an deinem Schicksal nimmt? unruhig. Noch nicht, meine Mutter, noch nicht! Wie soll ich seiner dringenden Bitte länger ausweichen? Soll er in dem Mädchen, das seine Achtung so hoch über das gewöhnliche Weib stellt, Ziererey und gewöhnliche Weiberlaune argwöhnen? Könnte er das? Allerdings, mein Kind. Dann muß ich ihn sprechen. Nur Eines beantworten Sie mir. Glauben Sie, daß der Wunsch, mich kennen zu lernen, nur aus der reinen Theilnahme für das, was ich leiste, entspringt? Ich glaube es. Mutter! haben Sie in seiner Miene nichts von dem feinen Spott bemerkt, mit dem der überlegene Mann die Versuche des Weibes – selbst wenn er sie nicht ganz verdammen kann, so gerne lächerlich macht? Nein, die Anerkennung deines Talents kam aus den Herzen. schnell. Ich fürchte nicht seinen Tadel , nur seinen Spott ! Er soll streng , aber er soll redlich seyn. Seine Rüge soll mich belehren , aber sein Witz soll mich nicht er bittern . Können Sie das von ihm erwarten, so bringen sie ihn. Er ist in der Nähe. Ach! es ist das erstemal, daß ich vor einem Manne stehen soll, dem ich durch das Auge nicht in die Seele blicken kann, und – mit Erröthen denke ich daran – der doch schon so tief in meiner Seele gelesen. Beobachten Sie ihn, und wenn er unwerth wäre – einfallend. Würde deine Mutter dann seine Fürsprecherin seyn? Vertraue ihm und mir . Ich hole ihn. Geht durch die Mitte ab. nach einer Pause, die Hand auf das Herz legend. Was willst du, Herz? es gilt hier nur einer kalten Untersuchung meines Ver standes , dir gilt es nicht. Klopfe leise, daß du, wo man Stärke sucht, meine Schwäche nicht verräthst. 4. Auftritt Vierter Auftritt Madame Wölbing. August. Albertine. im Eintreten leise zu Madame Wölbing. Sprechen Sie , Madame. vortretend. Albertine! Herr August Gehrmann, der deine schriftstellerischen Versuche mit so viel Nachsicht beurtheilt hat, wünscht dich näher kennen zu lernen. zitternd. Mein Herr! Die Bilder Ihrer Einbildungskraft sind es, die mich mit dieser Zudringlichkeit in Ihre Nähe führen, und ich ersuche Sie, darin keine sträfliche Neugier, sondern nur die Huldigung zu erkennen, die man Ihren Verdiensten schuldig ist. Verzeihen Sie, wenn ich diese freundlichen Worte nur mit Beklommenheit erwidere. Der Zustand, in dem Sie mich sehen, mein Unglück, das mir nicht erlaubt – mit Feuer. In Jedem, der sich Ihnen nähert, den Eindruck zu bemerken, den diese rührende Gestalt – ALBERTINE wendet sich, und ruft Mutter! tritt zu ihr, so daß Albertine in die Mitte kommt. Was willst du, mein Kind? Sagen Sie diesem Herrn doch, daß mein Ohr der Schmeicheley, wie mein Auge dem Licht des Tages verschlossen ist. Es ist nicht Schmeicheley, es ist – Ich brauche einen Freund, einen Rathgeber, einen unpartheiischen Beurtheiler. Als solcher sind Sie mir willkommen. Schnell. Ich leiste wenig, und es bedarf Entschuldigung, daß ich dieses Wenige der Welt mittheile. Nur meine Lage, mein Unglück; nur meine Liebe zu meiner Mutter kann mich entschuldigen, sonst nichts, mein Herr, sonst nichts. Der mit solchen Kenntnissen, mit solcher warmen Phantasie die Feder ergreift, bedarf keiner Entschuldigung – er theilt den Reichthum mit, den Zufall, Glück und Fähigkeit in seine Seele gelegt haben – sollt' er ihn verprassen? Schnell. Ihre Bemerkungen sind richtig , Ihre Behauptungen sind wahr , Ihre Sprache verräth die feinste Erziehung, Ihre Einbildung mahlt mit den lieblichsten Farben, und Ihr Gemüth – es muß gut, es muß fromm seyn, weil sich Ihre Seele in Ihren Worten ausspricht. Ach, mein Herr! der, dem die Gegenstände nach und nach verschwinden, den Finsterniß umgibt, der sucht sich einen Tag in seinem Innern zu bilden. – Auch ihm glänzt eine Sonne! Auch ihm flimmern Sterne; aber alles nimmt nur seine Farbe an, er braucht den mit dem wahren Tag vertrauten Richter, der, was jener aus Nacht und Finsterniß herauf fördert, von den Schlacken reinigt. Bittend. Wollen Sie das seyn? hingerissen. Mädchen! Engel! tritt zurück. Nein – Sie können es nicht seyn. Das Mitleid macht Sie zu einen bestochenen Richter, oder – es wird mir schwer zu sagen – oder Ihr Spott bedient sich einer Waffe, die – mit Gefühl. Nein, ich bin wahr ! und wäre ich es nie gewesen, vor dir, du reine Seele, müßte ich fleckenlos stehen. Mit Hast. Ich kenne Ihre Lage, Ihre Verhältnisse, Ihre Tugenden, die ganze Verkettung Ihrer Unglücksfälle; Albertine, ich biete Ihnen Ersatz. erstaunt. Sie? mir? Noch nie stand ich mit diesem Gefühle der Hingebung vor einem sehenden Mädchen, wie ich hier vor der Erblindeten stehe. Voll Feuer. Mein Los ist geworfen! Mein Ideal hat Leben . Albertine! werden Sie mein? sehr erschüttert. Gott! erstaunt. Mein Herr! mit steigendem Gefühl. Nur ein stilles, häusliches Glück kann ich Ihrer Tochter bieten, nur eine Mahlzeit, die mein Fleiß erwirbt, und ihre Liebe würzt; aber Frohsinn, Eintracht, Genügsamkeit und Zufriedenheit werden ihre Kränze uns bieten, und ich werde in der Sorge, in der Liebe für eine solche Gattin, und in der Achtung für eine solche Mutter glücklich, selig seyn. sich in ihre Arme werfend. O meine Mutter! Gehrmann tritt ein, und bleibt im Hintergrunde stehen. Das Folgende wird sehr lebhaft gesprochen. Bedenken Sie, mein Herr – Ich habe alles bedacht. Der Zustand meiner Tochter, ihr Unglück – Es erhöht meine Liebe. mit Wehmuth. Sie wandelt in ewiger Nacht. Nein, diese Nacht wird schwinden. Ihr Arzt gibt Hoffnung, Gewißheit – er verbürgt sich, daß – wenn ihre Thränen nicht mehr fließen – tritt lebhaft vor, und hebt beyde Hände zum Himmel. Gott! ist es dein Wille, daß ich die Welt und was ich liebe, wieder erblicke, so preise ich dich und deine Wunder. Jeder Gedanke ist ein Gebeth. Jeder Blick in deine Sternenwelt ist die Erkenntniß deiner Größe, deiner unendlichen Liebe. Doch – willst du diese Augen deinem Lichtmeere nicht mehr öffnen, so werde ich trauern – dulden – aber murren werde ich nicht. hingerissen. O mein Kind! mein gutes Kind! zu August. Ich läugne es nicht, auch ich habe Hoffnung; und heute, gerade heute senkte sich dieser Engel des Himmels liebend zu mir herab. Aber so lange diese Hoffnung nicht Gewißheit wird, kann ich das Schicksal eines armen blinden Mädchens nicht an das eines glücklichen Mannes knüpfen. bittend. Albertine! Es erhebt mich, daß ich in diesem Zustande das Herz eines würdigen Mannes rühren konnte – aber ich verhehle mir nicht, daß Ihre Neigung nur eine Wirkung des Mitleids ist. Bittend. Werden Sie mein Freund, mein Führer auf einer Bahn, wo auch oft der Sehende strauchelt; und sehe ich einst die Sonne wieder, und dieses Wohlwollen für mich lebt noch in Ihrem Herzen, dann – werden Sie mir mehr. Sich rasch zu ihrer Mutter wendend. Doch früher nicht, früher nicht! Nein, Albertine! ich liebe nicht nur Sie , ich liebe Ihr Unglück . Ich setze meinen Ruhm, meinen Stolz darein, es zu theilen, zu mildern – werden Sie mein ! Nein – ich berge es Ihnen nicht, daß Ihre Stimme zu meinem Herzen spricht, und daß ich dem Glück, Ihre Gattin zu werden, nur mit Kummer entsage; aber Leiden und Prüfungen mancher Art haben mich stark gemacht; ich werde meinen Grundsätzen auch dieses Opfer bringen. Gehrmann hat sich im Hintergrunde, nahe an der Thüre, auf einen Stuhl gesetzt, springt jetzt auf. 5. Auftritt Fünfter Auftritt Gehrmann, die Vorigen. schreit. Das sollen Sie nicht! erschrickt. Gott! Mein Onkel! Herr Gehrmann! Sie hier? Mich dünkt, ich bin hier nöthig. rasch. Keine Härte! Ihr Neffe hat – ängstlich. Meine Mutter! führen Sie mich fort. Halt, Madame! lassen Sie mich doch die Gestalt näher betrachten, die ohne Augen solche Wunder wirken kann. heftig. Keinen Spott! Daß sie den Neffen gefangen, mag freilich nicht unter die Wunder gehören, denn man weiß, wie diese leichte Waare an jeder Staude hängen bleibt; aber daß der Onkel wie ein Schulknabe vor ihr steht, und sie bittet, seinen Neffen zu nehmen, das dürfte wohl unter die Wunder gehören; zumal da der Onkel bey allen seinen Handlungen hübsch den zeitlichen Gewinn vor Augen hat. außer sich. Onkel! Sie billigen – Nein, billigen kann ich diese Heirath nicht, aber zugeben muß ich sie. Mein Herr – Nichts übel genommen, Madame; weiß noch von diesem Morgen her, daß Sie etwas empfindlich sind. Und wenn Sie erst hören werden, daß ich diese blinde Nachtigall wollte über die Gränze bringen lassen – Onkel – Stille – Ihr seht ja, ich bestrafe mich selbst. Komme eben vom Bürgermeister, verlangte seinen Beystand gegen eine Verführerin – mit Schmerz. Großer Gott! Diese Beschimpfung! Stille! ruhig! es ging zu meiner eigenen Beschämung aus. Denn als ich ihm den Nahmen des Mädchens nannte, sah er mich starr an. Endlich rief er: Diese Frau! diese Tochter! Herr! Ja – wenn mein eigener Sohn das Mädchen wollte, ich schlüge ein. Tugend! du behauptest deine Rechte. Er sagte mir Ihren wahren Nahmen, ich erröthete; denn unter uns, Madame, ich glaube, daß ich gegen Ihren braven Mann noch etwas im Rückstande bin. – Ich eilte hieher, trat ungesehen ein, und seit ich das liebe Kind so reden hörte, ist mir an dem Gelde und auch an ihren Augen nichts mehr gelegen. Zu August. Sie sey dein ! schnell. Nein, mein Herr! auch Sie darf das Mitleid nicht betrügen. Wollten Sie eine Nichte, die Ihnen nicht die kleinste kindliche Pflege leisten kann? Ich bin mit dem Glücke zufrieden, theilnehmende Menschen gefunden zu haben – und neben meiner Mutter noch einen würdigen Mann zu lieben. Mehr darf ich nicht. Onkel! Mutter! Still! für dich ist hier nichts mehr zu thun, nur ich als Buchhändler habe noch ein Geschäft. Zu Madame Wölbing. Madame, mein Neffe sagte mir, das Manuseript, welches Sie mir diesen Morgen brachten, sey nicht mit Gold zu bezahlen; wohl – so empfange sie denn das Honorar in einer Münze, deren sich noch keine Schriftstellerin rühmen konnte, in einem Mann. Legt ihre Hände zusammen. 6. Auftritt Letzter Auftritt Annchen, die Vorigen. läuft auf Albertinen zu. Hier ist der Brautkranz! Was ist das? Wer ist das Kind? Die Tochter unserer Nachbarin. Albertine lehrte sie. Lesen, schreiben, und auch bethen . Aber wie kommt sie zu dem Kranz? Sie führte ein Brautpaar zur Kirche. Und wie es jetzt zum Tanze ging, schenkte mir die Braut den Kranz; ich flog damit her, weil ich sie gar zu gerne in einem solchen Kranz sehen möchte. zu Albertinen, die mit zitternder Freude da steht. Albertine! das ist ein Wink der Gottheit! mit dem Ausdrucke der höchsten Freude. Er ist's! Mutter – sagte ich Ihnen nicht, daß heute schon zweymal ein Lichtstrahl mein Auge durchzuckte? – Jetzt wieder! außer sich. Allmächtiger Gott! schnell. Sie sieht! Nein, nein! noch ist's nur Dämmerung, der Tag wird folgen, und wie ihn tausend Kehlen froh begrüßen, begrüß' ich jubelnd diesen ersten Strahl. Faltet die Hände, und sagt im dringenden Gebethe. O Vater! gib aus deinen tausend Sonnen nur einen Funken mir! sprich: es sey Licht! Mit Zuversicht zu den Andern. Er wird es sprechen! hofft! vertraut! vertraut! im Herzen flammt es schon, es wird den Ausgang durch das Auge finden. Ja, Mutter! Freunde! Gatte! ich werde sehen, ich werde glücklich seyn. drückt Albertinen herzlich die Hand. Sie wird – sie wird glücklich seyn, Wendet sich zu Madame Wölbing. und wir auch, Madame, wir auch; und alle gute Menschen theilen unser Glück! Ende