5. Auf den Socrates Was hilfft's dass ich den Socrat preise, Was schadt es, dass sein Weib ihn schalt'? Er war der Welt nach, Ungestalt, Und nach der Götter Ausspruch, Weise: Schön war sein Sinn, sein Leib verstellt, Doch die Benennung ungewiss: 1 Als eine Missgebuhrt betrat er diese Welt; Und schien' ein Gott zu sein, indem er sie verliess. Fußnoten 1 Doch die Benennung ungewiss. Ein Mann, welcher sich berühmte, dass er die Eigenschafften eines Menschen aus dessen Gesicht erkennen könne, kam einsten in des Socrates Schule; und als er auf der Schüler Ersuchen an ihrem Lehrmeister seine Kunst sehen lassen solte, und hierauf denselben als einen eifrigen, neidischen, hinterlistigen und bosshafften Menschen beschrieb; so wurden die Schüler hierüber so erbittert, dass sie diesen Gesichtkucker ohne Zweifel würden ums Leben gebracht haben, wenn sich nicht Socrates in die Mitte gestellet, und dieselbe versichert hätte: Dass er allen diesen greulichen Lastern von Natur ergeben gewesen wäre; durch die Welt-Weissheit aber nach gerade sich derselben entledigt hätte. So dass unser schon offt angezogene Poet mit recht gesaget: Invidus, iracundus, iners, vinosus, amator, Nemo adeo ferus est, ut non mitescere possit, Si modo culturae patientem commodet aurem. Ep. I. lib. I.