55. An rechtlehrige aber übel-lebende Geistliche
Ihr sorgt zwar, dass ihr uns den Weg zur Sünde störet,
Doch flieht ihr oftmals selbst, ohn' Ursach nicht, das Licht;
Es ist
der Schrifft gemäss,
was ihr uns
eifrig lehret,
Doch was
ihr andre lehrt,
das
thut ihr selber nicht:
Ihr seydt auf unser Heil meist nur
aus Stoltz
1
bedacht;
Und ihr verdammt euch selbst, weil ihr uns seelig macht.
Fußnoten
1
Aus Stoltz.
Wenn mancher
hitzige Prediger
in sein
Hertz fühlen
und sich selber
prüfen
wolte, so würde er gar leicht befinden, dass wenn er unterweilen seine
Zuhörer bestraffet,
er es minder thue, damit er sie von
dem Sünden-Weg abschrecke;
als dass er sehen lasse, dass
er Macht habe sie zu bestraffen.
Wie mancher
eifert sich
so sehr auf seiner Cantzel, dass er mehr einem
Besessnen,
als einem Diener
Gottes dessen unterscheidendes Zeichen die Sanfftmuht ist,
gleich scheinet? Und wie mancher
donnert
aus
eigennützigem Absehen,
oder
aus Hass
gewisser Personen wieder
solche Dinge,
die von andern vernünfftigen, gelehrten, und gewissenhaften Leuten
vor keine Sünde
gehalten werden.