39. Auf Scrifax
Wenn
Scrifax
ohne Scham ein
garstig Wort
hersagt,
Und über
Dunckelheit
1
in meinen Versen klagt,
So dünckt mich dass er nichts, als dieses
Tugend
nennet,
Was in dem
Socrates
davor
Xantipp' erkennet;
Und dass in seinem Kopf vor
Witz
sonst nichtes geht,
Als was im
Mollier desselben Magd
versteht.
2
Fußnoten
1
Und über Dunckelheit etc.
Dass die
Klarheit
der Rede die
erste Tugend
eines Verfassers sey, ist ohne allen Streit: So dass man insgemein befindet; dass die
geschicksten Leute
allezeit am
deutlichsten sprechen.
Plerumque accidit,
sagt
Quintilianus,
ut faciliora sint ad intelligendum et lucidiora multo, quae a doctissimo quoque dicuntur.
Lib. 2. c. 3. Es fragt sich aber, ob nicht unterweilen eine vorgewandte
Dunckelheit,
nicht dem wenigen Verstande des Verfassers, sondern vielmehr der
unbegreifflichen Dummheit seines Lesers
zuzuschreiben sey? Man hätte derohalben wollgethan, wenn man einen oder den andern Vers den man dieses
Fehlers
beschuldiget, angeführet; und hiebey geschickten Leuten Gelegenheit gegeben hätte, entweder
über mich
oder den
Anmercker
zu lachen. Ich habe
Epigrammata,
oder Deutsch zu reden,
Uberschriffte
geschrieben, welche vor allen anderen Poetischen Sachen
sinnreich seyn müssen;
so gar dass auch einige Deutsche dieselbe lieber
Sinn-Gedichte
nennen: gleich als ob alle andere von einem Klotz ohne
Sinn
und
Verstand
könten geschrieben werden. Nun stimmen hierinnen alle, so wol
alte
als
neue,
die uns eine Anweisung sinnreich zu schreiben gegeben haben, überein;
dass es eine der grösten Sinnligkeiten sey also zu schreiben, dass man allezeit einem geschickten Leser etwas nachzudencken lasse.
Nam qui omnia exponit Auditori ut nulla mente praedito, similis ei est, qui auditorem improbat atque contemnit. Demetr. Phaler. de Elocut.
2
Als was im Mollier desselben Magd versteht. Boileau
in seinen Reflexions Critiques über den
Longinus
saget: Dass ihm Molliere mehr als einmahl eine
alte Magd
in seinen Diensten gewiesen, der er unterweilen seine
Possenspiele
vorgelesen; und wenn er befunden,
dass sie nicht einige lustige Fratzen sogleich begriffen,
er auch dieselbe nachgehends
verändert
habe: indem er gemercket, dass dergleichen Oerter auch nachmals
auf der Schaubühne
niemand
zum Lachen
gereitzet hätten.
Boileau
setzet aber hinzu, dass er nicht jederman rahten wolte diesem
kurtzweiligen Exempel
zu folgen. Wie ich mich denn erinnere in
Paris
gehöret zu haben, dass als
Molliere
zum erstenmahl seinen
Malade Imaginaire
auf die Schaubühne geführet; und zwar in einer
Scene
einen
Verwandten
dieses eingebildeten Krancken, welcher den
Apothecker
verhindern wolte jenem ein
Klystir
zu setzen, also vorgestellet habe; dass als der
Apothecker
ihm einige
grobe Worte
gegeben, der
Verwante
endlich in diese Worte ausgebrocben: Allez, allez, Monsieur, je vois bien que vous n'êtes accoutumé à parler qu'à des cus; so hätten alle Zuhörer über dieser
garstigen Redens-Ahrt
sich so sehr
erzürnet,
dass des
Pfeiffens
kein Ende gewesen wäre. Als aber
Molliere
den folgenden Tag in der andern
Vorstellung
die vorigen Worte
also verändert:
Allez, allez, Monsieur, je vois bien que vous n'êtes pas accoutumé à parler à des visages; so hätten hergegen alle Zuhörer weidlich in die
Hände geklopfet,
weil sie befunden, dass diese Worte die Sache eben
so völlig,
aber dabey
auf eine höffliche und witzige Art
ausdrücketen. Wie nun kein Zweiffel ist, dass die vorige
garstige Worte
nicht des Molliere Magd am besten solten gefallen haben: Also dürffte ich fast wetten, dass ohne derer Hülffe, die
letzte
Worte unserm frey heraussprechenden
Scrifax gar zu dunckel
würden vorgekommen sein.