47. Erfahrenheit und Klugheit zusammen
Wer niemand
was,
noch
wie es sey zu thun,
darff fragen,
Und nach dem
rechten Zweck
auf
rechtem Wege
zieht;
1
Von dem kan man allein nur sagen,
Dass er mit zweyen Augen sieht.
Fußnoten
1
Und nach dem rechten Zweck auf rechtem Wege zieht.
Es wird
viel Klugheit
erfodert, dass man in allen Sachen sich einen rechten
Zweck
erkiese; wie man aber am besten dazu gelangen könne, das lehret uns am besten die
Erfahrenheit.
Wie manches mächtiges Land, ist gleichsam ausser aller Menschen Achte, und bleibt allezeit in einem ungewissen Stande; weil diejenige, die an dem Helm und Ruder sitzen, sich, nach reifflicher Erwegung des allgemeinen Nutzens, kein
gewisses und unbewegliches Ziel setzen,
wohin sie nachmahls alle ihre Rahtschläge richten solten; sondern ohne was gewisses in Augen zu haben,
täglich hin und her sehen,
und aus den unterschiedenen Zufällen anderer Reiche einen
kleinen Vortheil
zu erzwingen suchen;
so dass sie alle ihre Rahtschläge nach den auswertigen Unternehmungen, die auswertige Reiche und Lande aber dieselbe niemahls nach ihren Rahtschlägen richten.
Hergegen giebt es andere, welche den von ihren klugen Vorfahren
gesetzten Zweck
zwar erkennen, aber mit gleichen Schritten nach demselben nicht zu eilen wissen; sondern aus Mangel
der Erfahrenheit
offtmahls in
irrige Abwege
verfallen, und sich folgends desto weiter von dem gesetzten Zweck
entfernen,
je mehr sie sich demselben zu
nähern
beschäfftigt sind. Weiter: Ein
gechickter Höfling,
der sich an
seines Herrn Hofe
woll aufgeführet, weil er an demselben gleichsam von Kindesbeinen an auferzogen worden, und folgends
denselben woll kennet;
derselbe, sage ich, wird aus dieser Ursach unterweilen an einen
frembden Hof
verschicket, den er gantz
nicht kennet.
Siehet aber nicht ein jeder, dass man sich hierinnen sehr betrüge, sintemahl uns offtmahls dasjenige, was uns an unserem eignen Hofe
angenehm,
an einem andern nicht allein
verdriesslich,
sondern auch unterweilen gar
lächerlich
machet. Ja, wiedersetzet man: Aber ein geschickter Mann kan in kurtzer Zeit den
Unterscheid der Leute
und ihrer
Gebräuche
erkennen. Ich gestehe es; allein dieses ist auch unstreitig, dass er sich in solcher
kurtzen Zeit
offtmahls in solchen
Hass
und so
grosse Verachtung
setzen kan, dass ihm hernach alle seine Geschickligkeit
wegen der späten Erfahrenheit
keinen Nutzen schaffen kan. Man weiss gar wichtige Exempel, es ist aber nicht nöthig dass man dieselbe anführe. Zu dem so weiss nicht gleich ein jeder
Höfling,
wie man mit den
Geschäfften,
noch ein jeder der in den Geschäfften so zu sagen aufgebracht worden ist, wie man an frembden unbekannten Höfen mit den
Geschäfften
umgehen müsse. Mancher weiss zwar insgemein, dass nach des Ritter
Wottons
Bezeichnung,
ein Abgesandter ein ehrlicher Mann sey, den man in die Frembde schickt, um dem gemeinen Besten zu Nutz daselbst wacker aufzuschneiden;
er weiss über dem, dass man alle daselbst vorfallende Raht- und Anschläge
zeitig auskundschaften,
und zeitig davon einen
klaren Bericht
an seines Herrn Hof abstatten muss; er weiss, sage ich, gar woll
was
er zu verrichten habe, allein er weiss nicht
wie
es am besten zu bewerkstelligen. Er kennet die grosse
Landstrasse,
aber nicht die kleine vortheilhaffte
Abwege.
Zum Exempel, will er einen oder andern Schreiber
bestechen,
so richtet er sein
Geschenck
nach der
Wichtigkeit der Sache
ein, und weiss die
Einfältige
von den
Ungetreuen
nicht zu unterscheiden; da doch jene aus der Grösse des
Geschencks
die Grösse des
Verrahts
erkennen, und von Entdeckung der Sache
abgeschrecket
werden: so dass mancher vor
zwey Dukaten
das erhalten, was ihm ohne allen Zweifel wäre abgeschlagen worden, wenn er
zweyhundert
davor angebohten hätte. Oder will er etwas wissen, ist
des Fragens kein Ende.
Nun ist dieses die gröste Thorheit von der Welt, wenn er es mit solchen Leuten zu thun hat, die ihm den besten Bericht ertheilen können: denn diese werden hiedurch
misstrauisch
gemacht,
stehen auf ihrer Hutt,
und geben entweder
keinen
oder was noch schlimmer ist, einen
falschen Bericht.
Da hergegen ein andrer der die
Schliche
kennet, sich ob gleich im täglichen Umgang mit denselben, um ihre Händel nicht im geringsten zu bekümmern scheinet, sondern dieselbe allezeit mit etwas neues das sich an frembden Orten zugetragen, so an sich zu ziehen weiss: dass sie insgemein, entweder aus
Danckbarkeit
eine Vertrauligkeit mit der andern zu belohnen; oder aus
Eitelkeit
so viel Wissenschafft ihrer einheimischen Geschäffte, als der erzehlende von frembden Händeln spüren zu lassen; dass sie, sage ich, von sich selbst und ohne allen Argwohn ihm die
wichtigsten Geheimnüsse
offenbaren. Nullum numen abest, cui sit prudentia, sagt zwar der Poet: man siehet aber auch leichtlich, dass als er diesen Vers geschrieben, er an die
Erfahrenheit
nicht gedacht habe.