28. Ingeniosa necessitas
Wahr ists! Die Noht lehrt manchem Witz,
Ist seine
zehnte Mus',
und schneidt die Federn spitz;
Noht dringt ihm auf die Mässigkeit,
Und die
Gewohnheit
wird zuletzt
Gewogenheit:
Die eine Tugend folgt der andern auf den Fuss,
Allein was ist der letzte Schluss?
Dem
Anfang
ist das
Ende gleich:
Denn
Witz macht selten klug,
1
die Tugend selten reich.
Fußnoten
1
Denn Witz macht selten klug.
Der
Witz
bestehet in einer gewissen Hitze und Lebhaftigkeit des Gehirns, welche der
Klugheit
zuwider ist, indem dieselbe langsam und bedachtsam zu Werck gehet.
Ein witziger Mann, sagt man, verliert lieber zehn Freunde als einen guten Einfall,
da hergegen ein
kluger Mann lieber zehn gantze Gedichte
verbrennen, als
einen guten Freund
verlieren wolte. Ein gewisser Weltweiser Favorinus genant, nach einem kurtzen Wortstreit mit Käyser Adrian in Sachen die Schule betreffend, hielte vor rahtsam demselben nachzugeben, ob der Käyser gleich Unrecht hatte, und dieses war ohne Zweifel ein Zeichen seines
Verstandes;
Als er aber nachgehends deswegen von seinen Mittbrüdern bestraffet wurde, so antwortete er zwar
witziglich:
Wie solte der nicht recht haben, der dreyssig mächtige Kriegsschaaren zu seinem Dienste hat, verdarb aber hiemit den gantzen Handel, und verlohr den Preiss seiner vorigen
Bescheidenheit,
als es dem Käyser durch einen
Hofschmeichler
hinterbracht wurde. Und so viel denjenigen zum Bericht, welche sich verwundert, dass ich in vielen Orten den Witz von dem Verstand und der Klugheit unterschieden habe.