Neunter Gesang 1. Es ist nun Zeit, uns auch nach Fatmen umzuschauen, Die wir, seit Rezia mit Hüon sich ins Meer Gestürzt, im Schiff, allein und alles Trostes leer Gelassen, Tag und Nacht das Schicksal ihrer Frauen Beweinend, und ihr eignes freilich auch. Denn ach! sie weint, sie schreit, sie rauft ihr Haar vergebens; Er ist verweht, mit einem einzigen Hauch Verweht, der ganze Bau der Ruhe ihres Lebens. 2. Was soll nun aus ihr werden, so allein In einem Schiff, von zügellosen Söhnen Des rauhen Meers umringt, die ihren Jammer höhnen, Mit frechen Augen schon, berauscht in feurigem Wein, Verschlingen ihren Raub – was wird ihr Schicksal sein? Zum Glück erbarmet sich der schutzberaubten Schönen Ein unverhoffter Sturm, der in der zweiten Nacht Die See zum Tummelplatz empörter Wogen macht. 3. Die Pinke treibt, indes ein allgemeines Zagen Das Volk entnervt, auf ungewissem Meer Herum gejagt, bald west- bald südwärts hin und her; Bis, da der Winde Wut in sieben schrecklichen Tagen Erschöpft ist, an den Strand von Tunis sich verschlagen Der Hauptmann sieht. Den Zufall, der ihn sehr Zur Unzeit überrascht, in Vorteil zu verwandeln, Beschließt er Fatmen hier als Sklavin zu verhandeln. 4. Denn Fatme, die kaum vier und dreißigmal Den Mai sein Blumenkleid entfalten Gesehn, war eine aus der Zahl Der lange blühenden Gestalten, Die nicht so leicht verwittern noch veralten, Und die mit Reizen von Gewicht, Viel Feur im Blick, viel Grübchen im Gesicht, Euch für den Rosenglanz der Jugend schadlos halten. 5. Des Königs Gärtner kam durch Zufall auf den Platz, Wo alles das um hundert Sultaninen 1 Zu kaufen war. Es schien Bemerkung zu verdienen. Er trat hinzu, besah's und fand es sei ein Schatz. Sein grauer Kopf ward nicht zu Rat gezogen. Es fehlte, dünkt ihn, nichts in seinem Gulistan 2 Als eben dies. Das Gold wird hurtig vorgewogen, Und Fatme duldet still was sie nicht ändern kann. 6. Indes verfolgt mit stets gewognem Winde Der treue Scherasmin den anbefohlnen Lauf. Kaum nahm Massiliens Port ihn wohlbehalten auf, So setzt er sich zu Pferd, und eilt so schnell, als stünde Sein Leben drauf, zum Kaiser nach Paris. Er hatte schon den Märtrerberg 3 erstiegen Und sah im Morgenrot die Stadt noch schlummernd liegen, Als plötzlich sich sein Kopf an einen Zweifel stieß. 7. »Halt«, sprach sein Geist zu ihm, »und eh wir weiter traben, Bedenke wohl was du beginnst, mein Sohn! Zwar sollte das dein weiser Schädel schon Zu Askalon erwogen haben, Obgleich der Wind, der dort in Hüons Segel blies, Dir wenig Zeit zum Überlegen ließ. Doch, wenn wir ehrlich mit einander sprechen wollen, Du hättest damals dich ganz anders sträuben sollen. 8. Denn, unter uns gesagt, es ist doch offenbar Kein Menschensinn in dieser Ambassade. Den Kaiser, der vorhin uns nie gewogen war, Erbittert sie gewiß im höchsten Grade. Am Ende wär es nur ums reiche Kästchen Schade! Denn, wahrlich, mit der Hand voll Ziegenhaar, Und mit den Zähnen da, Gott weiß aus welchem Rachen, Wird deine Exzellenz sehr wenig Eindruck machen. 9. Ja, wenn Herr Hüon selbst, mit stattlichem Geleite Von Reisigen, Trabanten und so fort, Und mit der Tochter des Kalifen an der Seite Herein geschritten wär, und hätte selbst das Wort Geführt, und mit gehörigen Grimassen, Wie einem Ritter, Duc und Pair Geziemt, auf rotem Samt, von goldnen Quasten schwer, Die Sachen überreicht – da wollt ich's gelten lassen! 10. Da kommt des Aufzugs Pracht, die Feirlichkeit, der Glanz Der Sultanstochter, an der Hand des stolzen Gatten, Kurz, jeder Umstand kommt dem andern da zu Statten, Und trägt das Seine bei, die Sache rund und ganz Zu machen. Karlen bleibt nichts weiter einzuwenden, Er hat den Glauben in den Augen und in Händen; Der Ritter hat sein Wort gehalten als ein Mann, Und fordert frei was ihm kein Recht versagen kann. 11. Das alles geht auf einmal in die Brüche, Freund Scherasmin, wenn du nicht klüger bist Als der dich abgeschickt. Wohlan, was Rats? was ist Zu tun? – Das beste wär, auf allen Fall, er schliche Mit seinem Kästchen sich ganz sachte wieder ab Eh jemand ihn bemerkt, und ritt im großen Trab Geraden Wegs nach Rom, dem Freiport aller Frommen, Wo hoffentlich sein Herr inzwischen angekommen.« 12. So sprach zu Scherasmin sein beßrer Genius: Und da er ihm nach langem Überlegen Nichts Klügers, wie ihn dünkt, entgegen Zu setzen hatte, war sein endlicher Entschluß, Der guten Stadt Paris das Schulterblatt zu weisen, Und sporenstreichs nach Rom zu seinem Herrn zu reisen. Er übersteigt die Alpen, langet an, Und gleich sein erster Gang ist – nach dem Lateran. 13. Allein, umsonst ermüdet er mit Fragen Nach seinem Herrn den Schweizer, der die Wach Am Tore hat, umsonst das ganze Vorgemach, Kein Mensch kann ihm ein Wort von Ritter Hüon sagen. Vergebens rennet er die Stadt von Haus zu Haus Und alle Kirchen und Spitäler fragend aus, Und schildert ihn vom Fersen bis zum Scheitel Den Leuten vor, – all seine Müh ist eitel. 14. Vier ewige Wochen lang, und dann noch zwei dazu, Verweilt er sich in stets betrognem Hoffen, Läßt keinen Tag sich selbst noch andern Ruh Mit Forschen, ob sein Prinz denn noch nicht eingetroffen; Und, da kein Warten hilft, beginnt er überlaut Den großen Schwur des Baskenvolks zu fluchen, Und schwört, so weit der Himmel blaut, In einem Pilgerkleid den Ritter aufzusuchen. 15. Was konnt er anders tun? Sein Geld war aufgezehrt, Und eine Perle nur vom Kästchen anzugreifen, (Das billig hundertfachen Wert In Hüons Augen hat, weil's Oberon ihm verehrt) Eh ließ er sich den Balg vom Leibe streifen! Von einem Pilgersmann wird weder Gold begehrt Noch Silbergeld; er kann mit Muschelschalen Und Litanein die halbe Welt bezahlen. 16. So bettelt nun zwei Jahre lang und mehr Der treue unverdroßne Alte Sich durch die Welt, die Länge und die Quer, Und macht an jedem Port, auf jeder Insel Halte, Fragt überall vergebens seinem Herrn Und seiner Dame nach – bis ihn zuletzt sein Stern, Und ein geheimer Trieb, der seine Hoffnung schüret, Nach Tunis vor die Tür des alten Gärtners führet. 17. Er setzt sich dort auf eine Bank von Stein, Um, müd und schwach von langem Fasten, Im Schatten da ein wenig auszurasten, Und eine Sklavin bringt ihm etwas Brot und Wein. Sie sieht dem Mann im braunen Pilgerkleide Erstaunt ins Aug, und er der Sklavin ebenfalls, Und, sich mit einem Schrei des Schreckens und der Freude Erkennend, fallen sie einander um den Hals. 18. »Bist du es, Fatme?« ruft an ihrer nassen Wange Der Pilger freudig aus; »ist's möglich? – Ach! schon lange Ließ Scherasmin die Hoffnung sich vergehn! Ist's möglich daß wir uns zu Tunis wieder sehn? Was für ein Wind hat euch in diese Heidenlande Verweht? Und wo ist Hüon und Amande?« »Ach, Scherasmin«, schreit Fatme laut, und bricht In Tränen aus – »Sie sind – Ich Arme! – Frage nicht!« 19. »Was sagst du?« ruft der Alte – »Gott verhüte! Was sind sie? Sprich!« – »Ach, Scherasmin, sie sind –!« Mehr bringt sie nicht heraus! Das stockende Geblüte Erstickt die Red in ihrer Brust – »Sie sind? – O Gott!« schluchzt Scherasmin, und weinet wie ein Kind An Fatmens Hals – »In ihrer vollen Blüte! Das ist zu hart! Allein mir schwante lang vorher Nichts Gutes! Fatme – ach! die Probe war zu schwer!« 20. So bald die gute Frau zum kläglichen Berichte Nur wieder Atem hat, erzählt sie Stück für Stock, Von seiner Abreis an bis auf den Augenblick Der Schreckensnacht – da, beim auffackelnden Lichte Der Blitze, Rezia durch alles Volk, das dichte Auf Hüon drängt, sich stürzt, den Arm in Liebeswut Um den Geliebten schlingt und in die wilde Flut Ihn mit sich reißt, – die traurige Geschichte. 21. Drauf sitzen sie wohl eine Stunde lang Beisammen, sich recht satt zu klagen und zu weinen, Und beide sich, aus treuem Liebesdrang, Zum Preis des schönsten Paares zu vereinen, Das je die Welt geziert. »Nein«, ruft sie vielmals, »nie, Nie werd ich eine Frau, wie diese, wieder sehen!« »Noch ich«, ruft Scherasmin in gleicher Melodie, »Je einem Fürstensohn wie Er zur Seite stehen!« 22. Zuletzt, nachdem er sich wohl dreimal sagen lassen Wie alles sich begab, geht ihm ein schwacher Schein Von Glauben auf, und läßt ihn Hoffnung fassen, Sie könnten beide doch vielleicht gerettet sein. Je mehr er es bedenkt, je minder geht ihm ein, Daß Oberon auf ewig sie verlassen. In allem dem, was er für sie getan, War Absicht, wie ihn däucht, und ein geheimer Plan. 23. Bei diesem schwachen Hoffnungsschimmer, Der wie ein fernes Licht in tiefer Nacht ihm scheint, Entschließt er sich, von Fatmen nun sich nimmer Zu trennen, und, mit ihr durch gleichen Schmerz vereint, Des Schicksals Aufschluß hier in Tunis abzuwarten. Durch ihren Vorschub tauscht er Pilgerstab und Kleid Mit einem Sklavenwams und einem Grabescheid, Und dient um Tagelohn im königlichen Garten. 24. Indessen Fatme und der wackre Scherasmin Die Blumenfelder, die sie bauen, Wie ihrer Lieben Grab, mit Tränen oft betauen; Sieht Hüon, seit sein prüfend Schicksal ihn In jene Einsiedlei voll Anmut und voll Grauen Verbannt, nicht ohne Gram den dritten Frühling blühn. Unmöglich kann er noch sein Heldenherz entwöhnen, Ins Weltgetümmel sich mit Macht zurück zu sehnen. 25. Der kleine Hüonnet, das schönste Mittelding Von mütterlichem Reiz und väterlicher Stärke, Das je am Hals von einer Göttin hing, Und wahrlich doch zu anderm Tagewerke Bestimmt, als mit der Axt auf seiner Schulter einst Ins Holz zu gehn, vermehrt nur seinen Kummer. Auch dich, o Rezia, in Nächten ohne Schlummer, Belauscht dein Engel oft, wenn du im Stillen weinst. 26. Tief fühlt ihr beid in dieser Jugendblüte, Daß Abgeschiedenheit euch unnatürlich ist, Fühlt Kraft zu edlerm Tun in eurer Brust, vermißt Des Heldensinus, der unbegrenzten Güte Gleich unbegrenzten Kreis! – Umsonst bemühn sie sich Die Träne, die dem abgewandten Aug entschlich, Dem alten Vater zu verhehlen; Ihr Lächeln täuscht ihn nicht, er liest in ihren Seelen. 27. Und ob ihm diese Welt gleich nichts mehr ist, doch stellt Er sich an Ihren Platz, in das was sie verloren, Was ihnen zugehört, wozu sie sich geboren Empfinden – fühlt aus Ihrer Brust, und hält Die Träne für gerecht, die sie vor ihm aus Liebe Verbergen, tadelt nicht die unfreiwilligen Triebe, Und frischt sie nur, so lang als ihren Lauf Das Schicksal hemmt, zu stillem Hoffen auf. 28. An einem Abend einst – das Tagwerk war vollbracht, Und alle drei, (Amande mit dem Knaben Auf ihrem Schoß) um an der herrlichen Pracht Des hellgestirnten Himmels sich zu laben, Sie saßen vor der Hütt auf einer Rasenbank, Versenkten sich mit ahnungsvollem Grauen In dieses Wundermeer, und blickten stillen Dank Zu ihm, der sie erschuf – gen Himmel aufzuschauen: 29. Da fing der fromme Greis, mit mehr gerührtem Ton Als sonst, zu reden an von diesem Erdenleben Als einem Traum, und vom Hinüberschweben Ins wahre Sein. – Es war, als wehe schon Ein Hauch von Himmelsluft zu ihm herüber, Und trag ihn sanft empor indem er sprach. Amanda fühlt's; die Augen gehn ihr über, Ihr ist's, als sähe sie dem Halbverschwundnen nach. 30. »Mir«, fuhr er fort, »mir reichen sie die Hände Vom Ufer jenseits schon – Mein Lauf ist bald zu Ende; Der eurige beginnet kaum, und viel, Viel Trübsal noch, auch viel der besten Freuden, (Oft sind's nur Stärkungen auf neue größre Leiden) Erwarten euch, indes ihr unvermerkt dem Ziel Euch nähert. Beides geht vorüber, Und wird zum Traum, und nichts begleitet uns hinüber; 31. Nichts als der gute Schatz, den ihr in euer Herz Gesammelt, Wahrheit, Lieb und innerlicher Frieden, Und die Erinnerung, daß weder Lust noch Schmerz Euch je vom treuen Hang an eure Pflicht geschieden.« So sprach er vieles noch; und als sie endlich sich Zur Ruh begaben, drückt' er, wie sie dünkte, Sie wärmer an sein Herz, und eine Träne blinkte In seinem Aug, indem er schnell von ihnen wich. 32. In eben dieser Nacht, von dunkeln Vorgefühlen Der Zukunft aufgeschreckt, erhob Titania Die Augen himmelwärts – und alle Rosen fielen Von ihren Wangen ab, indem sie stand, und sah Und las. Sie rief den lieblichen Gespielen, Mit ihr zu sehen, was in diesem Nu geschah, Und wie zu unglückschwangern Zügen Amandens Sterne schon sich an einander fügen. 33. Und, dicht in Schatten eingeschleiert, fliegt Sie schnell dem Lager zu, wo zwischen Mandelbäumen (Der Knabe neben ihr) die Königstochter liegt, Aus ihrem Schlaf von ahnungsvollen Träumen Oft aufgestört. Titania berührt Die Brust der Schläferin (damit die Unruh schweige Die in ihr klopft) mit ihrem Rosenzweige, Und raubt den Knaben weg, der nichts davon verspürt. 34. Sie kommt zurück mit ihrem schönen Raube, Und spricht zu ihren Grazien: »Ihr seht Das grausame Gestirn, das ob Amanden steht! Eilt, rettet dieses Kind in meine schönste Laube, Und pfleget sein, als wär's mein eigner Sohn.« Drauf zog sie aus dem Kranz um ihre Stirne Drei Rosenknospen aus, gab jeder holden Dirne Ein Knöspchen hin, und sprach: »Hinweg, es dämmert schon! 35. Tut wie ich euch gesagt, und alle Tag und Stunden Schaut eure Rosen an; und wenn ihr alle drei Zu Lilien werden seht, so merket dran, ich sei Mit Oberon versöhnt und wieder neu verbunden. Dann eilet mit Amandens Sohn herbei, Denn mit der meinen ist auch ihre Not verschwunden.« Die Nymphen neigten sich und flohn In einem Wölkchen schnell hinweg mit Hüons Sohn. 36. Kaum war der Morgen aufgegangen, So sucht mit bebendem unruhigem Verlangen Amanda ihren Freund, der seine Lagerstatt, Fern von Alfons und ihr , in einem Felsen hat. So hastig eilt sie fort, daß sie (was nie geschehen Seitdem sie Mutter war) vor lauter Eil vergißt, Nach ihrem Sohn, der noch ihr Schlafgeselle ist, Und ruhig (glaubt sie) schläft, vorher sich umzusehen. 37. Sie findet ihren Mann, im Garten irrend, auf, Und beide nehmen auf der Stelle, Was sie besorgen sich verbergend, nach der Zelle Des alten Vaters ihren Lauf Wie klopft ihr Herz, indem sie seinem Lager Sich langsam nahn! Er liegt, die Hände auf sein Herz Gefaltet, atemlos, sein Antlitz bleich und hager, Doch edel jeder Zug, und rein, und ohne Schmerz. 38. »Er schlummert nur«, spricht Rezia, und legt Die Hand, so leicht daß sie ihn kaum berühret, Auf seine Hand – und, da sie kalt sie spüret Und keine Ader mehr sich regt, Sinkt sie in stiller Wehmut auf den blassen Erstarrten Leichnam hin; ein Strom von Tränen bricht Aus ihrem Aug und badet sein Gesicht: »O Vater«, ruft sie aus, »so hast du uns verlassen!« 39. Sie rafft sich auf, und sinkt an Hüons Brust, Und beide werfen nun sich bei der kalten Hülle Der reinsten Seele hin, in ehrfurchtsvoller Stille, Und sättigen die schmerzlich süße Lust Zu weinen, – drücken oft, um endlich wegzugehen, Auf seine Hand der Liebe letzten Zoll, Und bleiben immer, nie gefühlter Regung voll, Bei dem geliebten Bild, als wie bezaubert, stehen. 40. Es war als sähen sie auf seinem Angesicht Die Dämmerung von einem neuen Leben, Und wie von reinem Himmelslicht Den Widerschein um seine Stirne weben, Der schon zum geistgen Leib den Erdenstoff verfeint, Und um den stillen Mund, der eben Vom letzten Segen noch sich sanft zu schließen scheint, Ein unvergängliches kaum sichtbars Lächeln schweben. 41. »Ist dir's nicht auch (ruft Hüon, wie entzückt, Amanden zu, indem er aufwärts blickt) Als fall aus jener Welt ein Strahl in deine Seele? So fühlt ich nie der menschlichen Natur Erhabenheit! noch nie dies Erdenleben nur Als einen Weg durch eine dunkle Höhle Ins Reich des Lichts! nie eine solche Stärke In meiner Brust zu jedem guten Werke! 42. Zu jedem Opfer, jedem Streit Nie diese Kraft, nie diese Munterkeit Durch alle Prüfungen mich männlich durchzukämpfen! Laß sein, Geliebte, daß der Trübsal viel Noch auf uns harrt – sie nähert uns dem Ziel! Nichts soll uns mutlos sehn, nichts diesen Glauben dämpfen!« So spricht er, sich mit ihr von diesem heiligen Ort Entfernend – und ihn nimmt das Schicksal gleich beim Wort. 43. Denn, wie sie Hand in Hand nun wieder Hervor gehn aus der Zell, und ihre Augenlider Erheben – Gott! was für ein Anblick stellt Sich ihren Augen dar! In welche fremde Welt Sind sie versetzt! Verschwunden, ganz verschwunden Ist ihr Elysium, der Hain, die Blumenflur. Versteinert stehn sie da. Ist's möglich? Keine Spur, Sogar die Stätte wird nicht mehr davon gefunden! 44. Sie stehn an eines Abgrunds Rand, Umringt, wohin sie schaudernd sehen, Von überhangenden gebrochnen Felsenhöhen; Kein Gräschen mehr, wo einst ihr Garten stand! Vernichtet sind die lieblichen Gebüsche, Der dunkle Nachtigallenwald Zerstört! Nichts übrig, als ein gräßliches Gemische Von schroffen Klippen, schwarz, und öd, und ungestalt! 45. Zu welchen neuen Jammerszenen Bereitet sie dies grause Schauspiel vor, »Ach«, rufen sie, und heben, schwer von Tränen, Den kummervollen Blick zum heilgen Greis empor: »Ihm wurde dies Gebirg in Frühlingsschmuck gekleidet, Dies Eden Ihm gepflanzt; um Seinetwillen nur Genossen wir's; und Schicksal und Natur Verfolgen uns aufs neu, so bald er von uns scheidet!« 46. »Ich bin gefaßt«, ruft Rezia, und schlingt Ein »Ach« zurück das ihrer Brust entsteiget. Unglückliche! der Tag, der all dies Unglück bringt, Hat dir noch nicht das Schrecklichste gezeiget! Sie eilt dem Knaben zu, den sie vor kurzem, süß Noch schlummernd, (wie sie glaubt) verließ; Er ist ihr letzter Trost; des Schicksals härtsten Schlägen Geht sie getrost, mit ihm auf ihrem Arm, entgegen. 47. Sie fliegt dem Lager zu, wo er An ihrer Seite lag, und, wie vom Blitz getroffen, Schwankt sie zurück – der Knab ist weg, das Lager leer. »Hat er sich aufgerafft? Fand er die Türe offen Und suchte sie, O Gott! wenn er verunglückt wär? Entsetzlich! – Doch vielleicht hat um die Hütte her, (So denkt sie zwischen Angst und Hoffen) Vielleicht im Garten nur der Kleine sich verloffen?« 48. Im Garten, ach! der ist nun felsiger Ruin! Sie stürzt hinaus, und ruft mit bebenden Lippen Den Knaben laut beim Namen, suchet ihn Ringsum, mit Todesangst, in Höhlen und in Klippen. Der Vater, den ihr Schrein herbei gerufen, spricht Umsonst den Trost ihr zu, woran's ihm selbst gebricht: Er werde sich gewiß in diesen Felsgewinden Gesund und frisch auf einmal wieder finden. 49. Zwei Stunden schon war alle ihre Müh Vergeblich. Ach! umsonst, laut rufend, irren sie Tief im Gebirg umher, besteigen alle Spitzen, Durchkriechen alle Felsenritzen, Und lassen sich, um wenigstens sein Grab Zu finden, kummervoll in jede Kluft hinab: Ach! keine Spur von ihm entdeckt sich ihrem Blicke, Und von den Felsen hallt ihr eigner Ton zurücke. 50. Das Unbegreifliche des Zufalls, daß ein Kind Von seinem Alter sich verliere, An einem Ort, wo weder wilde Tiere Noch Menschen (wilder oft als jene) furchtbar sind, Mehrt ihre Angst; doch nährt es auch ihr Hoffen: »Es kann nicht anders sein, er hat sich nur verloffen Und schlief vielleicht auf irgend einem Stein Vom Wandern müd, in seiner Unschuld ein.« 51. Aufs neue wird der ganze Felsenrücken, Wird jeder Winkel, jeder Strauch Der ihn vielleicht versteckt, durchsucht mit Falkenblicken. Die Unruh treibt sogar, wie unwahrscheinlich auch Die Hoffnung ist ihn dort lebendig aufzuspüren, Sie bis zum Strand herab, wo, unter dem Gemisch Von aufgetürmten Sand und sumpfigem Gebüsch, Sie endlich unvermerkt einander selbst verlieren. 52. Auf einmal schreckt Amandens Ohr Ein ungewohnter Ton. Ihr däucht, es glich dem Schalle Von Stimmen. Doch, weil's wieder sich verlor, Und sie bei einem Wasserfalle, Der mit betäubendem Getöse übern Rand Von einem hohen Felsenbogen Herunter stürzt, sich ziemlich nah befand, Glaubt sie, sie habe sich betrogen. 53. Ihr schwanet nichts von größerer Gefahr, Ihr einziger Gedank ist ihres Sohnes Leben: Und plötzlich, da sie kaum um einen Hügel, neben Dem Wasserfall, herum gekommen war, Sieht sie, bestürzt, von einer rohen Schar Schwarzgelber Männer sich umgeben, Und hinter einem hohen Riff Erblickt sie in der Bucht ein ankernd Ruderschiff. 54. Sie hatten kurz zuvor, um Wasser einzunehmen, Vor Anker hier gelegt, und waren noch damit Beschäftigt: als, mit schnell gehemmtem Schritt, Auf einmal eine Frau vor ihre Augen tritt, Gemacht beim ersten Blick die schönsten zu beschämen Erstaunen schien sie alle schier zu lähmen, An diesem öden Ort, den sonst der Schiffer fleucht, Ein junges Weib zu sehn, die einer Göttin gleicht. 55. Der Schönheit Anblick macht sonst rohe Seelen milder, Und Tiger schmiegen sich zu ihren Füßen hin: Doch diese fühlen nichts. Ihr stumpfer Räubersinn Berechnet sich den Wert der schönsten Frauenbilder (Von Marmor oder Fleisch, gleich viel!) mit kaltem Blut Bloß nach dem Marktpreis, just wie andres Kaufmannsgut. »Hier«, ruft der Hauptmann, »sind zehn tausend Sultaninen Mit Einem Griff, so gut wie hundert, zu verdienen. 56. Auf, Kinder, greifet zu! So ein Gesicht wie dies Gilt uns zu Tunis mehr als zwanzig reiche Ballen: Der König, wie ihr wißt, liebt solche Nachtigallen; Und dieser wilden hier gleicht von den Schönen allen In seinem Harem nichts. Ihr reicht Almansaris, Die Königin, so schön sie ist, gewiß Das Wasser kaum. Wie wird der Sultan brennen! Der Zufall hätt uns traun! nicht besser führen können.« 57. Indes der Hauptmann dies zu seinem Volke sprach, Steht Rezia, und denkt zwei Augenblicke nach Was hier zu wählen ist. »Sind diese Leute Feinde, So hilft die Flucht mir nichts, da sie so nahe sind: Vielleicht daß Edelmut und Bitten sie gewinnt. Ich geh und rede sie als Freunde, Als Retter an, die uns der Himmel zugesendet. Vielleicht ist's unser Glück, daß sie hier angeländet.« 58. Dies denkend, geht, mit unschuldsvoller Ruh Im offnen Blick, und mit getrosten Schritten, Das edle schöne Weib auf die Korsaren zu: Allein sie bleiben taub bei ihren sanften Bitten. Die Sprache, die zu allen Herzen spricht, Rührt ihre eisernen entmenschten Seelen nicht. Der Hauptmann winkt; sie wird umringt, ergriffen, Und alles läuft und rennt, die Beute einzuschiffen. 59. Auf ihr erbärmliches Geschrei, Das durch die Felsen hallt, fliegt Hüon voller Schrecken Den Wald herab, zu ihrer Hülf herbei. Ganz außer sich, so bald ihm was es sei Die Bäume länger nicht verstecken, Ergreift er in der Not den ersten knotgen Stecken Der vor ihm liegt, und stürzt, wie aus der Wolken Schoß Ein Donnerkeil, auf die Barbaren los. 60. Sein holdes Weib zu sehn, die mit blutrünstgen Armen Sich zwischen Räubertatzen sträubt, Der Anblick, der zu Tigerwut ihn treibt, Macht bald den Eichenstock in seiner Faust erwarmen. Die Streiche fallen hageldicht Auf Köpf und Schultern ein mit stürzendem Gewicht. Er scheint kein Sterblicher; sein Auge spritzet Funken, Und sieben Mohren sind schon vor ihm hingesunken. 61. Bestürzung, Scham und Grimm, von einem einzgen Mann Den schönen Raub entrissen sich zu sehen, Spornt alle andern an, auf Hüon los zu gehen, Der sich, so lang er noch die Arme regen kann, Unbändig wehrt; bis, da ihm im Gedränge Sein Stock entfällt, die überlegne Menge (Wiewohl er rasend schlägt und stößt und um sich beißt) Ihn endlich übermannt und ganz zu Boden reißt. 62. Mit einem Schrei gen Himmel sinkt Amande In Ohnmacht, da sie ihn erwürgt zu sehen glaubt. Man schleppt sie nach dem Schiff, indes das Volk am Strande Auf den Gefallnen stürmt, und tobt und Rache schnaubt. Ihm einen schnellen Tod zu geben, Wär's auch der blutigste, däucht sie Gelindigkeit: »Nein«, ruft der Hauptmann aus, »um desto längre Zeit Der Tode grausamsten zu sterben, soll er leben!« 63. Sie schleppen ihn tief in den Wald hinein, So weit vom Strand, daß auch sein lautstes Schrein Kein Ohr erreichen kann, und binden ihn mit Stricken Um Arm und Bein, um Hals und Rücken, An einen Baum. Der Unglückselge blickt Zum Himmel auf, verstummend und erdrückt Von seines Elends Last; und laut frohlockend fahren Mit ihrem schönen Raub nach Tunis die Barbaren. Fußnoten 1 Sultanin, IX. 5, (Sequin) eine Türkische Goldmünze, deren Wert hier, wo es auf eine sehr genaue Bestimmung nicht ankommt etwa einem Goldgülden oder halben Maxd'or gleich angenommen werden kann. 2 Gulistan, IX. 5. Ein Persisches Wort, welches Blumen – oder Rosengarten bedeutet, bekannt aus einem unter diesem Namen in die vornehmsten Europäischen Sprachen übersetzten Gedichte des berühmten Persischen Dichters Sahdi, oder Scheik Mosleheddin Saadi von Schiras, der um das Jahr Christi 1193 geboren wurde, und bis 1313 unsrer Zeitrechnung gelebt haben soll. – Der Gebrauch dieses Wortes an dieser Stelle bedarf wohl keiner Rechtfertigung. 3 Märtrerberg, IX. 6. Montmartre bei Paris, so genannt, weil nach ehemaligem gemeinem Glauben der heilige Dionysius Areopagita mit seinen Gefährten S. Rustikus und S. Eleutherus den Martertod auf diesem Berg erlitten haben soll.