Bruno Wille Einsiedler und Genosse Einleitung Das deutsche Bürgertum hat einmal, vor drei Jahrhunderten, eine große Kunst aus sich heraus erzeugt, die in den Gebilden eines Dürer und Holbein bis in unsere Zeit lebendig hineinleuchtet, – und ein noch gewaltigere Poesie, als es nach langer Unterdrückung vor hundert Jahren die Willkürherrschaft von König und Adel zerbrach, aus religiös-pietistischer Dumpfheit sich loslöste und aller Welt die Freiheit des Geistes predigte. Das Bürgertum von heute lebt nur noch der satten Verdauung; es fürchtet selbst die Erinnerung an die wilde Zeit seiner Befreiung, an die stürmischen Tage von 1789, und, feig wie in der Politik, wagt es auch nicht mehr in Philosophie und Religion ein kühnes Wort; Hervorragende unter seinen Gelehrten setzen ihren höchsten Ehrgeiz darein, nichts zu sein, als eine »geistige Leibgarde der Hohenzollern«. Keinen neuen Gedanken hat das deutsche Bürgertum mehr erzeugt, und darum ist auch seine Literatur nur noch eine des Luxus und Überflusses, ohne Geisteskraft, ohne Leidenschaft und Größe des Gefühls, und eine Atelierkunst, die nur Spielereien und Nippessachen für ein verweichlichtes Geschlecht schafft. Das Bürgertum ist denkfaul geworden und glaubt in seiner Masse geringschätzig alle Kunst verachten zu können; das Kartenspiel war ihm wichtiger als das Buch. Ein neues Volk drängt gegen dies Bürgertum heran; der Proletarier besitzt kein Erbe aus Väterhand, und mühsam durch eigene Kraft muß er sich erringen, was ihn vor allem fähig macht seine Stellung zu erobern: Kenntnisse, Bildung. Mit junger Frische und zäher Ausdauer sucht er sein Wissen und sein Können zu vervollständigen. Und er bringt mit sich ein neues geistiges Ideal, eine neue Weltanschauung, den festen Glauben an eine höhere und bessere Entwickelung der Menschheit und die Begeisterung, diese Entwickelung fördern zu helfen. Die von dem Bürgertum weggeworfene Fahne der Freiheit des Gedankens und des Wortes hebt er wieder empor und führt den Kampf gegen das Dunkelmännertum aller Art fort, gegen die Verdumpftheit und Erstarrung des geistigen Lebens. Und damit erhält auch der Proletarier die Kraft, eine Kunst der Größe, des Ernstes, der Wahrheit zu verstehen und eine neue eigenartige Kunst aus sich heraus zu erzeugen. In der sozialen Lyrik Bruno Willes kündigt sich ihr Nahen an, denn im Inhaltlichen wie im Formalen steckt etwas Neues, Jungfrisches, noch Ringendes, Tastendes, eine Kraft, die weniger eine harmonische Einheit erstrebt und höchste künstlerische Ruhe, als etwas Aufrüttelndes, Erregendes, welche das Band der alten Formen zersprengt, auch wenn sie eine neue Form erst nur mehr ahnt, als besitzt. Die Kunst des schönen Scheins und des reinen Formalismus, des selbstgefälligen Ateliertums, welche den Geist und den Inhalt eines Werkes geringschätzt und Anfang und Ende des dichterischen Schaffens in dem Wie des Ausdrucks erblickt, hat seit den Tagen Goethes und Heines in unserer Lyrik die Vorherrschaft ausgeübt. Sie entfremdete sich dem Leben, tauchte unter in phantastischen Spielereien, zehrte von den Gedanken und Empfindungen der Vergangenheit und versank in leere Nichtigkeit. Ihr gegenüber muß eine neue Kunst heranwachsen, die in einer poetischen Schöpfung einen geschlossenen Organismus erblickt und ein Erzeugnis der Kunst des Geistes, eine vollkommene Ineinsverschmelzung von Gedanke, Inhalt, Stoff, Gefühl und Form. Denn im Kunstwerk kommt der Form kein Selbstzweck zu, sondern sie soll nur die höchste und naturnächste Verkörperung des Innenlebens sein; das Innenleben aber macht die Bedeutung einer dichterischen Schöpfung aus, und je feiner organisiert dieses Innenleben ist, je großartiger es die Welt wiederspiegelt, desto feiner und großartiger wird auch seine Ausdrucksform sich gestalten. Auch Bruno Wille gehört zu den neuen Lyrikern, welche die Erkenntnisse des modernen Geistes in sich aufgenommen und durch sie die Welt mit besonderen Augen anschauen lernten. Er ist kein Tendenzpoet in des Wortes schlechter Bedeutung, der seinen Gedanken einen wohl rhythmischen, aber dem Wesen nach nur prosaischen Ausdruck verleiht. Die Umwandlung seiner Ideen in Empfindung und Anschauung gelingt ihm fast überall, trotzdem die Neigung zum Abstrakten bei ihm stark ausgebildet erscheint. Das Mitleid mit dem Elend der Armen und Unterdrückten und der zuversichtliche Glaube an die immer höhere Entwickelung der Menschheit und die Befreiung aus den Fesseln der Armut durch den Sozialismus sind zwei Centren seines Empfindungslebens; als dritte Kraft kommt dazu ein schwärmerischer Natursinn, eine ungewöhnlich zarte Empfänglichkeit für das Walten und Weben in Feld und Flur, die oft die unmittelbarsten Töne geistesjunger Naivetät findet. In den Gedichten der ersten Periode, die sich durch ihre Form schon leicht zu erkennen geben, findet dieses Innenleben einen mehr stimmungsvollen lyrischen Ausdruck; auch später, in den Schöpfungen der zweiten Periode, weicht nicht das Träumerische, Gemütstiefe, Zärtliche, aber das Weltbild ist weit großartiger und mannigfaltiger geworden, und damit hat auch das Gefühl eine Steigerung ins Erhabene, Prophetische erfahren, und das Lied wird zu Hymne und Ode, die an biblische Gesänge erinnern. Die Phantasie arbeitet schwer, wuchtig und vielleicht langsam, aber auch deutlich und sicher; die ganze reiche Bildersprache in ihrer Eigenart, die weniger das Stimmungshafte, als ein einzelnes Malerisch-Plastisches sucht hat auf den ersten Anblick hin etwas Dunkles, zuweilen etwas Erklügeltes, aber das Treffende im Vergleich fühlt sich dann doch bald heraus, und das Neue im Vergleich erweist sich als wirklich Geschehenes. Mancher von den Lesern wird nicht die politischen Anschauungen und Ueberzeugungen des Dichters teilen und vielleicht auch seinen Hoffnungen skeptisch gegenüberstehen. Aber ich glaube, Keiner wird sich dem Eindruck entziehen, daß durch diese Lyrik eine edle, reine und ideale Natur zu ihm spricht, die ihren Sinn nur auf das Höchste und Beste gerichtet hat, und ein eigenartiger Poet, der aus sich selbst heraus verstanden sein will und nicht mit einem ästhetischen Schubladen-Maßstab gemessen werden kann. Julius Hart Der Einsiedler »Überall suchte ich und fand sie nur in Wäldern und Büchern.« Einsamer Baum Zersplissen ist mein Haupt Von schwarzem Wolkenwetter; Herbstwind und Regen raubt Die abgestorbenen Blätter: So rag' ich ganz allein Aus ödem Haidekraut Und träume von dem Hain, Der weit verloren blaut. Oft, wenn mit grimmer Wucht Mich packt ein nächtlich Brausen, Raff ich mit jähem Grausen Zusammen mich zur Flucht; Doch halten zähe Schollen Mich an den Wurzeln fest. – Da steh' ich nun mit Grollen, Wild schüttelnd mein Geäst ... Naturverschwisterung Wie ein gezäumter Renner Mit weiten Nüstern lauscht, Wenn frei durch Grases Wogen Der Brüder Rudel rauscht: So horcht mein Haupt und taucht Vom Fenster in die Nacht, Wenn draußen wilder Lüfte Stürmender Drang erwacht. Da neigen sich und flüstern Willkommen Baum und Strauch, Die heiße Stirn umschmeichelt Des Regens kühler Hauch, Und aus der Blätter Rauschen, Aus Sturmes wogendem Laut Tönt rührend eine Stimme Geschwisterlich vertraut. Da ist mir, als erwacht' ich Aus langem schweren Traum: Ich bin ja euer Bruder, Sturm, Regen, Fels und Baum. Weh, daß ich mich verirrte Von euch in fremdes Land, Wo mich ein Fluch in banges Gemäuer hält gebannt! Nun steh' ich hier und breite Die Arme sehnlich aus, In Weh verloren lauschend Dem lockenden Gebraus. O könnt ich Zaubern lernen! Ich spräch ein kräftig Wort, Entrollte stolz den Mantel Und flög' im Sturme fort. Der frühe Tag Tag mit deinen kalten Blicken, Wie so frühe bist du da! Meinen Traum hast du vertrieben, Ach den lieben Traum, darin ich Liebchen sah. Grämlich bleich wie eine Greisin Blickt in mein Gemach die Welt. Weib, du wirst mit öden Händen Nimmer spenden, Was der Traum mir lieb gesellt. Schließe, Tag, dein kaltes Auge, Bleib ein Weilchen noch zurück, Laß mich blind und reglos säumen Und erträumen Heimlich noch ein wenig Glück. Die tröstende Nacht O Nacht, du treue Trösterin! Wenn ich auf meinem Lager zage, So schwebst du vor das Fenster hin Und hörst geduldig meine Klage; Und wenn ins Kissen ich mit Stöhnen Mein thränend Angesicht verhülle, Hör' ich auf einmal eine Fülle Von Wohllaut mir zu Herzen tönen: »Getrost, getrost! Ich bin ja hier! Will dich nach jedem Tage heilen Und werde kommen einst zu dir, Um immerdar bei dir zu weilen. Dann ruhst du, selig von Vergessen Durchschauert, fern vom Tagesrauschen Und magst dem sanften Liede lauschen, Das Winde harfen in Cypressen.« Heue Durch silberne Halme Eisiger Scheiben Dämmert zu mir Ins Dunkel der Mond. – Ich bin ein See, Erstarrt zu Eise, Darin sich spiegelt Der traurige Mond; Dürres Schilf Zittert und flüstert... Ich höre dich weinen Und schluchzen – wie einst. – – – Einst füllt' ich achtlos Dir Tage mit Leide, Bis daß du weintest Aus schluchzender Brust. Wohl hab' ich flehend Geküßt die Thränen, Doch war's geschehen, Daß du geweint. – Jetzt ist dein Auge Längst getrocknet. Doch ewig weinst du In meiner Seele; Und ich muß weinen All deine Thränen, Geliebtes Antlitz, – Und noch viel mehr. Wolke Vom Riesenfelsen, Wolke, niederzieh! Schlag dein Gewand Um mich her und flieh! Zu rauhen Höhen Trage mich empor, Wohin des Menschen Wort sich nie verlor. Wie scheut die wunde Seele diesen Laut! Wie rollt mein Auge, Wenn es Menschen schaut! Doch Fels und Wolke Sind mein stummer Trost; Erhabne Lieder Hör ich, sturmumtost. Beruhigt lieg ich, Wo der Gießbach rauscht, Ein Seelenkranker, So dem Freunde lauscht. Von grüner Matte Zeigt das goldne Licht Des fernen Landes Lächelnd Angesicht. Ohne Dank Selige Sonne, du darfst spenden Blumenkindern warmes Licht; Und die Blumen alle wenden Fromm empor ihr Angesicht. Aber ich bin matt und krank, Weil ich liebte ohne Dank; Meine Seele glutenvoll Weiß nicht, wem sie glühen soll. Wie die Schwäne südwärts ziehen, Wenn der Winter stürmt zu Feld, Will ich kälteschaudernd fliehen Diese liebelose Welt. Auf den Matten blüht mein Trost, Wo die Sonne Blumen kos't, Die ihr sanftes Angesicht Wenden auf zum Liebeslicht. Liliputanisches Frühlingsfest Im blauen Äther wirbelt Ein Ball im Kreiseltanz – Wie trunken sich ein Mücklein Wiegt im goldigen Glanz. Das Frauchen Sonne betrachtet Vergnügt den runden Wicht; Da naht das Mücklein Erde Verliebt dem Sonnengesicht. Und legt mit Lust vom Leibchen Die weiße starre Schale, Sich badend zu verjüngen Im warmen Sonnenstrale. Und sieh! Die Wiesen schimmern Von duftig zartem Grün; Als gelb und weiße Pünktchen Felder und Bäume blühn. Da krabbeln aus den Häuschen Die Liliputaner hervor Und kribbeln in bunten Schwärmen Hinaus zu städtischem Thor. Auf grünem Wiesenplane Faßt jeder Mann ein Weib Und dreht zu zirpenden Weisen Des Liebchens zierlichen Leib. Und wenn ein Pärchen müde, So rastet es am Tisch Und schlückert leckre Tränklein Und kehrt zum Tanze frisch. – Nur ein Figürchen sondert Sich ab vom frohen Schwarm Und wandelt durch die Felder In bitterbösem Harm. Es rollt die Äuglein giftig Und grollt der ganzen Welt. Warum? – Der Liliput ist Verliebt und hat kein Geld. Und heißer zirpen die Fideln, Und trunkner wirbelt der Reihn, Und trunkner wirbelt die Erde Im wärmenden Sonnenschein. Ein weltenfern Kometenvieh Mit ungeschlachtem Schwanz Beglotzt mit dummer Neugier Den Erdenmückentanz. Pflanzenkind Die Winterwolke flieht verdrossen, Den Himmel schmückt ein sanftes Blau. Da lächeln goldig übergossen Gehügel, Garten, See und Au. Und kosend sich die junge Sonne An die entzückte Erde schmiegt. Das Pflanzenkind in stummer Wonne Die zarten Glieder dehnt und biegt. Es schaut empor; sein Lächeln schmeichelt Erquickend wie ein klarer Quell; Und wie von Kinderhand gestreichelt Wird meine düstre Stirne hell. Berg Über Felsen, windumflattert, Klimm ich hoch hinan zum Freien; Droben will ich mich entladen Dieser Qual, im Sturme baden, Neugeboren meine Seele weihen. Berg, vor deinem Riesenantlitz Kann mein Kleinmut nicht bestehen. Sturm, im Brausen deiner Kraft, Die den Forst zusammenrafft, Muß mein Seufzer wie ein Staub verwehen. Frühlingsregen Die grauen Wolken flogen, Umwölbend das Gefild, Und nieder kam gezogen Ein Regen warm und mild. Nun träufelt der Erquickung Thau, Es dampft die zartbegrünte Au; Die Erde hat gesogen Und ihren Durst gestillt. Ein Duft von jungem Leben Den kühlen Hain durchdringt; Die Knospen wonnig beben, Und sachtes Tröpfeln klingt. Durch Erlenbüsche streift der Wind, Mit feuchtem Haar – ein heitres Kind; Ein Säuseln läßt er schweben Aus dem Gezweig und singt: »Sonne, erschließe Das himmlische Blau, Goldglanz gieße Auf grüne Au! Ihr gebadeten Blumen, Laßt die feuchten Äuglein leuchten! Ich schüttle von schwanken Erlen Zum Spiel euch glitzernde Perlen. – Solch bunte Perlen woben Die schwebende Brücke droben Am blauen Himmelssee.« Regen Wohl strömt ein feuchter Segen Und labt das atmende Thal ... Du meiner Seele Regen, Wann strömest du einmal? Stimme der Mutter Lag ich als Kind Schlaflos, ängstlich, Sang die Mutter Mit sanfter Stimme, Bis der Schlummer Die träumenden Augen Leise mir schloß. – Längst verklangen Die Wiegenlieder; Wuchs der Mutter Ueber den Kopf ... Wer singt heut' mir Tröstliche Lieder? Das bist du, Hehre Stimme Im Gebrause Des Frühlingssturmes Und im Flüstern Fallenden Regens. Lauschen will ich und liegen Wie ein Wiegekind; Singe, treue Mutter, Schläfre dein banges Kind! Herbstabend Der Nebelabend kühlt und feuchtet; Die Ferne stirbt in Dämmerduft; Mit mattem Blinzeln nur durchleuchtet Ein Stern die wolkigtrübe Luft. Gedämpfte Glockenlaute beben Weich summend über Stoppelfeld; Aus Wiesenniederungen heben Sich dunkle Massen in die Welt. Ein alter Pflüger mit dem Pferde Zieht müde heim; die Pfeife glimmt; Vom Schäferhund umtummelt, schwimmt Mit Blöken dorfwärts eine Herde. Mit qualmigmatter Rotglut säumt Der Himmel sich; großleuchtend taucht Der Mond empor ... Die Landschaft träumt Vom Tage – schlummerüberhaucht. Herbststurm Ich wandle gern durch ödes Feld Bei abendkaltem Brausen. Aus Wolkenballen Dunkel fällt, Die Stoppeläcker sausen, Der Dornbusch duckt sich, zornumtost, Verdorrte Blätter erschauern... O düstrer Trost, Wenn Wolke, Busch und Haide mit mir trauern! Einst Wie liegt die Welt in Regenfloren So leichenhaft verloren! Der Himmel grau und greise, Die Erde runzlig greise; Und beide weinen leise. Vergilbter Rasen, Moderlaub, Der Bäume schwärzliches Geäst – So trüb verschwommen, Gleich gramgetränkten Grübelein. Mein Haupt ist öde wie im Herbst ein Nest, Und auf dem Herzen preßt Mir kalt und schwer ein Leichenstein. – – Einst lieg ich steif und hager Auf dem Totenlager: All meine Weisheit ist alsdann Ein Büschel Silberhaar, Und all mein Lied Ein reglos bleiches Lippenpaar; All meine Liebe Ein kaltes, starres Herz, Und all mein Werk Zwei schwere Hände auf dem starren Herzen Fern stirbt der Straßenlärm, stumm schaun die düstern Wände Auf meinen greisen Schatz, Der leise schluchzt – in seine welken Hände. Dann – kommt der Leichenmann, Packt alles in den Sarg: Haare, Lippen, Herz und Hände, Und preßt den Deckel fest mit knirschenden Schrauben. Nun mag ich träumen Im Finstern, Stillen, Kühlen ... Und ich träume: Ich bin ein zarter Keim Und grabe heimlich feine Wurzeln, Stemme mich rüstig wider die Krume Und recke neugiervoll mein Köpfchen... Da blendet und umspült mich Entzückend goldnes Licht, So lau, so weich! Horch, wie jauchzend zwitschern Die behenden Vöglein! Mit ihren süßen Kehlen Hüpft mein Kinderherz. Und sieh, auf Zweigen sitzen Viel kleine runde Knospen. Ich nicke ihnen lächelnd zu; Sie nicken wieder Und wollen mit mir spielen. Und wie wir spielen in warmer Sonne, Da wachsen den lieben Kleinen Lauter Flügelchen weiß und rosa, Und zwischen Zweigen und Blättchen schweben sie, Duftige Engelchenschwärme. Dämmerstündchen Dämmerstündchen im frostigen Winter, Dämmerstündchen im traulichen Stübchen ... Wenn da draußen über den harten Knarrenden Schnee ein kragenvermummter Mann mit dampfendem Atem eilt, Ohren und Nase rotgezwickt ... Wolkig umhüllt, mit Schnauben und Stampfen Ziehn zwei Pferde den wuchtigen Wagen ... Und der Schusterjunge im Schurzfell Trabt und haucht in die klamme Hand ... Rötlich strahlt die Straßenlaterne; Über dem schneebelasteten Hausdach Blinzelt der Abendstern. Dämmerstündchen im frostigen Winter, Dämmerstündchen im traulichen Stübchen ... Wärme strahlt der gewaltige Ofen, Muntre Flammen durchäugeln den Spalt; Und ich dehne behaglich die Glieder, Lausche dem lieblich summenden Singsang Des melodisch sinnigen Kessels; Hitzig brät indessen der Apfel, Den lieb Mütterchen mir verehrte. Fernher klingelt ein Schlitten – fernhin; Und die ruhige Seele träumt. Strom der Wahrheit Wenn versunken Licht und Lärmen, Sitz ich bei der Lampe Schimmer Oft im nächtlich stillen Zimmer, Wo Gedanken mich umschwärmen, Auf ein altes Buch gesenkt Meine Stirne ernstbeschwert; Kühlung mir der Nachtwind schenkt Durch das Fenster unverwehrt. Wundersame Lieder sausen Draußen Wind und Wald und Wetter, Und es wehn des Buches Blätter; Welch ein feierliches Brausen! Und ich lausche und ich lausche, An ein Ufer fern entrückt. – Rausche Strom der Wahrheit, rausche! Meine Seele lauscht entzückt. Strebensmüde Nachts in stummer Kammer lag ich Strebensmüd' und lebensbang; Sorgen, irr wie Fledermäuse, Huschten das Gebälk entlang. Geisterhaft ein ernstes Weib Mir zum Trost am Lager wachte, Starrte in die Kerzenflamme; Und da las ich, was sie dachte: »Weine, bis du mit verweinten Augen endlich klar erschaust, Daß die holde Welt ein Trugbild, Dem du niemals straflos traust. – Füllst du stattlich Schrein und Truhe, Bleibt die Seele dennoch leer; Trinkst du von dem Trank der Ehre, Wird dich dürsten mehr und mehr. Und nun Becher, Spiele, Tänze, Festgepränge durch den Saal ... Mitten in dem Rausch der Freude Fühltest du geheime Qual. Voller Liebe und Vertrauen Drücktest du so manche Hand; Als du in das Herz gesehen, Hast du trübe dich gewandt. Einem argen Rosenstrauche Gleicht das Leben, dornbewehrt; Hält die wunde Hand die Rose, Hat ein Wurm den Kelch versehrt. Darum laß die Rosen gleißen, Geh vorbei und blicke kalt! Ueber solche, die entsagen, Hat das Leiden nicht Gewalt.« Zukunft Zukunft ist ein Würfelbecher, Der ein Würfelpaar bedeckt. Längst gefallen sind die Würfel; Doch der Wurf ist noch versteckt. Zukunft ist ein Würfelbecher: Längst gefallen ist dein Loos. – Darum blicke auf den Becher Ohne Furcht – und hoffnungslos. Der Tote Aus schwarzem Sarge starrt, Von Morgengrau erhellt, Ein Toter bleich und ernsthaft In die verlassne Welt. Ein müdes Schluchzen irrt Umher im Beigemach; Im starren Totenantlitz Wird keine Rührung wach. In Wonne bricht der Morgen Herein mit rother Glut, Begrüßt von Vogelzwitschern; – Tief ernst der Tote ruht. Er starrt empor und grübelt, Wie es nur möglich war, Daß er von Lust und Leide Gebebt so manches Jahr. Der Träumer Ich war ein Kind, mit großen Kinderaugen, Die nur zu träumerischem Schauen, Nicht zum Berechnen und zum schlauen Erwerben taugen; In dumpfen Stuben bangte mir, ich scheute Gespräche nüchtern kluger Leute Und stahl mich fort mit stiller Wonne Zu Blumen, Gras und Sonne. Dort sog ich Luft wie ein Befreiter, lauschte Den Bienen, Grillen, schwankendem Gesträuch, Das wogengleich im weichen Winde rauschte; Mit Staunen und Entzücken schaute Mein Aug' empor zu ihm, der tief und weithin blaute; Und der bethörte Träumersinn Schwamm mit dem wunderbaren, Wie Schneegebirge klaren Gewölke sanft dahin. So wuchs ich auf; und allezeit getreu Blieb meinem Aug das träumerische Schauen. Doch ich bedachte nie: Der Schatz der Auen Sind nicht die bunten Blumen, sondern Heu; Was blau und rot im Ährenfelde blüht, Ist nicht dem Bauch des Erntesackes hold; Und eines Dichters träumereich Gemüt Trägt wenig Körnchen irdisch Gold. – Nun stehn die Äcker braun und stopplig nackt, Geschorne Wiesen werden bleich und bleicher, Und mir zum Spotte tanzt im fremden Speicher Der plumpe Flegel trocknen Erntetakt. Am Dornstrauch sitz' ich, trübe wie der Himmel; Verwelkte Blätter zerrt ein rauher Wind, Scheucht mürrisch fort das raschelnde Gewimmel; Und träumend starr' ich nach ... ich dummes großes Kind! Der Winter kommt; ich werde frieren, darben Und wie die arme Maus im Stoppelwald Mich nähren von dem Abfall fremder Garben; Vielleicht auch sterb' ich bald ... Mag sein! Doch schließ' ich ohne Reue Und segne dankbar meinen Träumerblick; Er ließ mich lieben Flur und Himmelsbläue, Und diese Liebe war mein Lebensglück. »Ich bleibe« Durch die Nacht mit dumpfem Rauschen Treibt vorbei des Stromes Wut; Und mit träumerischem Lauschen Starr' ich auf die dunkle Flut. Schattenhafte Kähne wallen Mir vorbei, in Nacht hinein; Liebe Stimmen fern verhallen; – Und die Strömung tönt allein. Und verlassen heb ich meine Augen schmerzbethaut empor: Da entschwebt mit hehrem Scheine Ein Gestirn dem Wolkenflor; »Sieh, ich bleibe!« winkt sein Auge. Und die bange Seele zieht Auf zu diesem treuen Auge, – Wie ein Kind zur Mutter flieht. – Wenn dereinst des Todes Grauen Dieses Herz umspült und bricht, Laß noch einmal dich erschauen Ueber Wassern, süßes Licht, Bis den letzten Liebesfunken, Der in meinem Auge scheint, Deine Blicke aufgetrunken Und dem Sternenglanz vereint. Der Genosse »Sieh, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen ... Es wird eine Zeit sein, wo die Thränen abtrocknen von allen Angesichtern und die Schmach genommen ist von allen Völkern ... Ihre Herren müssen heißen Herren ohne Land und all ihre Fürsten ein Ende haben; Dornen werden wachsen in ihren Palästen, Nesseln und Disteln in ihren Schlössern ... Und kein Geiziger wird Herr genannt werden ... Und kein Einwohner wird sagen: Ich bin schwach. .. Sie werden Häuser bauen und auch bewohnen, Weinberge pflanzen und deren Früchte auch essen; sie sollen nicht bauen, daß ein Anderer bewohne, und nicht pflanzen, daß ein Anderer esse; sie sollen nicht umsonst arbeiten. .. Wohlan alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser; und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und eßt; kommt her und kauft ohne Geld, umsonst beides, Wein und Milch ... Und der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein, ihr Nutzen ewige Stille und Sicherheit, daß mein Volk in Häusern des Friedens wohnen kann, in sicheren Wohnungen und in stolzer Ruhe. « Jesaias. Die kommende Sonne »Mutter, gib mir die Sonne!« Ibsen. Es brennt in meinem Gehirn Ein Traum mit gährender Glut, Wie hinter Vesuvius' Felsenstirn Der Erde fieberndes Feuerblut. – Ich träume die kommende Sonne. Und wie des Meeres Fluth empor Zum lockenden Monde schwillt, Wallt meine Seele schmachtend Dem angebeteten Traumgebild Entgegen – der kommenden Sonne. In stummer Nacht, dem weichen Arm Schläfernder Ruh entwunden, Wälz ich mich mit heißem Sehnen, Fülle mit Grübeln zögernde Stunden Und harre der kommenden Sonne. Vom Lager fahr' ich wild empor, Wissende Bücher aufzuschlagen; Ihr starren Züge, laßt mich lesen: Wann wird umnachteten Völkern tagen Die selig machende Sonne? Es treibt mich auf die Gassen hinaus; Da athmen die Gassen Moderluft; Ein steinerner Sarg jedwedes Haus, Die Stadt eine riesige Gruft. – Erbarme dich, kommende Sonne! Und schaudernd durch das Thor der Gruft Flücht' ich hinaus auf offnes Feld, Zu spähen, ob die finstre Luft Ein Morgenschimmer nicht erhellt. Ich ahne die kommende Sonne. Und sieh, des Lichtes Halme schießen Empor vom grauen Himmelsstrande, Wie hinter schwarzem Schildesrande Blutige Speere sprießen. Das sind die Speere der Sonne! Da weicht der Drache der Verwesung Von seinem Nest, der Völkergruft; Er faltet die zackigen Flügel Und kriecht entsetzt in eine Schluft. – Preis dir, siegende Sonne! Nun taucht am froh erröthenden Himmel Empor der rollende Feuerball. Da zittert die Erde, da bersten Die Riesensärge mit Donnerschall. – Preis dir, erlösende Sonne! Die toten Völker stehen auf Und baden im goldig strömenden Licht; Die Leiber blühen schön und stark, Und geistig strahlt das Angesicht. – Preis dir, erweckende Sonne! Die Erde schimmert wie eine Braut Im Schmuck der Blumen und Seen; Hinter üppig grünenden Hainen Marmorhäuser erstehen. – Preis dir, verklärende Sonne! Und aus den Thoren der Marmorstadt Wallt des Volkes festliche Schaar, Bringt Fahnen, selige Lieder, Trunkene Blicke zum Opfer dar Der entzückenden Göttin Sonne. – – So brennt in meinem Gehirn Der Traum mit gährender Glut, Wie hinter Vesuvius' Felsenstirn Der Erde fieberndes Feuerblut. – Ich träume die kommende Sonne. Die leidende Stadt »Eine der ersten Bedingungen zum Glücke ist ein Leben, in welchem die Beziehungen des Menschen zu der Natur aufrecht erhalten bleiben, d.i. ein Leben unter freiem Himmel, bei Sonnenlicht und frischer Luft, Gemeinschaft mit der Erde, mit Pflanzen und Tieren. – Betrachtet nun das Leben der Menschen, die nach der Lehre der Welt leben: Viele von ihnen erreichen das Greisenalter, ohne mehr als ein- oder zweimal im Leben den Sonnenaufgang und Morgen und ohne je die Wiesen und Wälder anders gesehen zu haben, als von der Kalesche oder vom Waggon aus, und nicht nur ohne je etwas gesät oder gepflanzt, oder eine Kuh, ein Pferd, ein Huhn aufgefüttert und aufgezogen, sondern auch ohne einen Begriff davon zu haben, wie die Tiere zur Welt kommen, wie sie aufwachsen und leben. Diese Menschen sehen nur Gewebe, Steine und Holz, das durch menschliche Mühe verarbeitet ist; sie hören nur Laute von Maschinen, Equipagen und Musikinstrumenten; sie riechen nur spirituöse Gerüche und Tabaksrauch; zu Händen und Füßen sind sie umringt von Gewebe, Stein und Holz ...« Tolstoi. Wolke – du weiße Taube im Blauen – Willst du mich locken zu seligem Fluge Über die jugendfröhlichen Wiesen, Über der Wälder jubelnde Häupter, Über den spiegelnden See? – Ach ich kann nicht schwärmen wie eh'. Über Wiesen, über Wälder Seh ich finstre Schatten gleiten, Trauerschatten ... mir wird so weh. Wie ein Wandrer, Der zur sterbenden Mutter eilt, Vor Sorge nicht sieht die Gärten am Wege, Und der Bäume, der alten Freunde, Grüßendes Flüstern überhört: So schwebt vom deutenden Hügel Meine seufzende Seele Achtlos über den Reiz der Flur Zur fern gelagerten Stadt Und umfängt die trübe Stadt Mit leidender Liebe – Wie der weinende Wandrer Die kranke Mutter. Leidende Liebe! Kränze mein williges Haupt Mit dornigen Träumen, Laß mein durstendes Auge trinken Meiner Geschwister Leiden! – Mit Geliebten Leiden ist süß, Und Vergessen ist Sünde. Trübe Stadt, mürrische Schaar Schwärzlicher Dächer in Dunst gehüllt, Steinerne Nester brütender Uebel, Feuchte Kerkermauern, Bange Krankenkammern Meiner bleichen Geschwister! ... Dort am engen Giebelfenster Trauert ein blasses Mädchengesicht Gleich welkender Blume geneigt; Durch die schmalen Finger Schleicht der Faden schlangenhaft Und heftet die matte Hand An das peinliche Gewebe. Finster wie ein Sklavenvogt Schaut vom Hofe die Mauer zu. Drunten im sonneschmachtenden Hofe Sitzt auf kühlen Steinen ein Kind Träumerischen Auges Und spielt mit Hölzchen Und pflanzt die Hölzchen in spärliche Erde Und baut ein Gärtchen Im sonneschmachtenden Hofe. Heimlich aber schleicht das Siechthum Und küßt des Kindes Wange. Wo ist des Kindes Mutter? Sie krümmt den schmerzenden Rücken Am dunstigen Waschfaß, Bis die barmherzige Nacht Die müde Hand ergreift. Der Vater aber steht Auf staubiger Straße im Sonnenbrand Und schwingt mit braunen Armen Den eisenbereiften Stampfer Zum Stoß auf ächzende Steine, Um zu ersticken Der Erde keimende Sehnsucht, Halm und Blumen. – Und Mutter Erde lockte so gern Die Menschenkinder mit Halm und Blumen Zu Kindesliebe und Kindesglück ... O dornige Träume, Schmiegt euch heiß und heißer Um die Erlösung grübelnde Stirn. Wilder lodre mein Sehnen, Lauter rufe mein Flehen: Erlösender Tag, erwache! Früher hebt der erlösende Tag Dann vom Schlaf sein muthiges Haupt; Himmlisches Licht Regnet auf die schmachtende Stadt Die finstern Dächer vergoldend; Wonnige Luft in Strömen Bespült die dumpfigen Mauern Und scheucht aus steinernen Nestern Dunkle Wolken gespenstischer Vögel. O selig, Zu öffnen die Thore der Stadt, Genesende Geschwister Zu führen an den Händen Zur mutterglücklichen Natur, Die mit heißem Sonnenmunde Die bleichen Kinder küßt! Dann schwärmen wir Hand in Hand, Gelockt von fliegenden Wolken, Den weißen Tauben im Blauen, Über die jugendfröhlichen Wiesen, Über der Wälder jauchzende Häupter, Über den wonnespiegelnden See. Straße »Das Licht in uns ist zur Finsternis geworden; und die Finsternis, in der wir leben, ist furchtbar geworden.« Tolstoi. An düster ragenden Häuserwällen Durch flammenbesäte steinerne Schlucht Branden die rasselnden Wagen, die Menschen – Wie Wellen in klippiger Meeresbucht – Der rote Vollmond taucht empor. Die Menge wühlt und drängt und stößt; Jedweden kümmert nur seine Not – Wie auf dem Deck des lecken Schiffes, Das in den Tod zu sinken droht – Der rote Mond schaut düster drein. Auf glattem Bürgersteige kauert – Gleichwie am Felsenriff das Wrack – Ein Mann mit vorgesunknem Kopfe, Zur Seite einen Lumpensack – Der Vollmond blickt mit düstrer Glut. Die Leute auf dem Bürgersteige Treiben vorbei und blicken kalt; Die Pferdebahn beglotzt im Rollen Mit grünem Auge die Gestalt – Der rote Mond schaut düster drein. Dort drüben lockt die blutige Flamme Dem Schnapswirt manchen Gast ins Haus; Und öffnet sich die dunstige Schenke, Dringt Schelten und Gejohl heraus – Der Vollmond blickt mit düstrer Glut. Des Handelshauses Fensterreihe Ist noch vom Gaslicht grell erhellt; Papier und Pult und blasse Schreiber; Der Chef durchzählt des Tages Geld – Der Vollmond blickt mit düstrer Glut. Nun heult vom Hofe die Maschine Zur Vesper; da entläßt das Thor Viel arbeitsmatte Blusenmänner; Nur der Fabrikschlot stößt empor Zum roten Monde schwarzen Rauch. Ein würdiger Bürger kommt geschritten, Den Lump am Steige trifft sein Blick; Entrüstet mit dem Kopfe schüttelnd Geht er zu Bier und Politik – Und zornrot glüht der volle Mond. Gefallen »So und soviel Prozent, sagt man, müssen jährlich zu Grunde gehen. – Wahrscheinlich gehen sie zum Teufel, damit die übrigen frisch und gesund bleiben können. – Prozent! Wahrlich, schöne Erklärungen hat man jetzt ... solche beruhigend wissenschaftlichen Worte! Man spricht von Prozenten und braucht sich nicht zu alteriren.« Dostojewskij. Umhaucht vom Silberdufte Des üppig blühenden Mondes, Erschauert leise des Parkes Glänzendes Laubgesproß – Wie träumende Seelenjugend Im Kusse lichter Gedanken. Über den Wipfeln fern das Nachtgewölk Flammt bisweilen von Blitzen – Dem dumpfen Schläfer gleich, Den heiße Leidenschaft Zuckend rührt. Aus Büschen und frischen Halmen Atmet der süße Mai; In lauschiger Blättertiefe Dichtet träumend die Nachtigall; Und vom stolzen bleichen Hause An des Parkes Saum Aus erhellten Fenstern Klingt Musik Wie perlendes Glück. Im Garten aber am Eisengitter Steht ein schimmernder Blütenbusch Traurig über die Stäbe geneigt; Die weißen Blüten blicken Wie bange Kinderaugen Auf ein dunkles Menschenbild, Das zu des Busches Füßen Draußen am Gittersockel Reglos kauert. Durch bebende Zweige fällt Zerrissenes Mondlicht Und huscht mit Scheu Über des kauernden Mannes Wüsten Rock und wirres Haar. Seufzend streift vorbei der Nachtwind, Und der weiße Blütenbusch Sinnt in träumender Trauer: »Arme Menschenblüte, Die du gefallen liegst, Verloren für die Sonne, Das Angesicht verwüstet, Auf Stein und Staub! Welch liebeloser Gärtner Ließ so dich darben, dürsten, Daß du verwelkt, gesunken, Zertreten bist in Staub und Stein?« So sinnt in träumender Trauer Der weiße Blütenbusch ... Am Himmel aber flammt es Und rollt und grollt, Als rüsteten sich ferne Wetter Zu heißem Zorne. Das zarte Mondlicht flüchtet Hinter finster ragende Wolken, Und die Nachtigall verstummt ... Nur vom stolzen Hause An des Parkes Saum Aus erhellten Fenstern Klingt Musik wie perlendes Glück. Aus der Thür des Hauses tritt Ein Herr in feiner Tracht, Grüßt zurück »Gute Nacht!« Und kommt gegangen, Leise trällernd. Mit kaltem Blicke Streift er die Gestalt am Gitter Und geht, sein Liedchen pfeifend, Grade zur Laterne An der Straßenmündung. Die Flamme der Laterne flackert; Trüber Staub Wogt vorbei; Rauschend, schaudernd schwanken Des Parkes dunkle Wipfel; Der weiße Blütenbusch Sträubt entsetzt die Zweige, Ringt mühesam zu fliehen Und duckt sich sausend, klagend: »Nun packt der Sturm mein schwankes Holz Und schüttelt mich mit grimmer Faust; Das junge Laub, den zarten Zweig Trifft prasselnder Hagel, derbes Eis, Und schlägt die weißen Blüten nieder Zur gefallenen Menschenblüte.« Grell am Himmel zuckt ein Blitz Und flammt durch alle Wolken Und flammt hernieder blendend Durch des dumpfen Schläfers Geschlossne Augenlider In einen wüsten Traum. Und der Mann auf hartem Stein Hebt verstört vom wüsten Traum Sein wirres Haupt empor, Richtet stöhnend schwer sich auf Und blickt mit wilden Augen Hinan zu flammenden Wolken Und sieht statt flammender Wolken Zornglühende Gesichter, Geballte Riesenfäuste, Hört es droben krachen Gleich zersprengtem Erze Und dröhnen dumpf wie stürzende Mauern Und hört vom stolzen Hause Aus erhellten Fenstern Musik wie perlendes Glück Durch das tobende Wetter höhnisch klingen. Vorstadtlerche »Bist du in dunkler Nacht, wenn Alle du verlassen, Geschritten schon durch einer Weltstadt wirre Gassen? ... Du schreitest lässig heim. Scharf in die Stille fallen Hörst du mit müdem Ohr der eig'nen Tritte Hallen Und klar ihr Echo an den Wänden ... Doch sieh die Häuser dort, wie sie im tiefen Schatten Sich schweigend, drohend-ernst fest aneinander gatten – So steht das Schlechte eng zusammen Und birgt sich feig in dunklen dumpfen Ecken, Um langsam immer weiter sich zu strecken, Wenn rings erlöschen will der Wahrheit Flammen ... Und wie ein Moderduft weht es um deine Stirn, Und heißer jagt dein Blut durch dein ermattet Hirn, In deinen Ohren tönt ein langgezogenes Hallen ... Da packt ein Schauder dich, und du gehst schneller, schneller – Und jagst dem Morgen zu, der stetig heitrer, heller Die Angst von deinem Herzen lacht ... – Bist du in dunkler Nacht, wenn Alle du verlassen, Geschritten schon im Geist durch des Jahrhunderts Gassen?...« (John Henry Mackay.) Stumm lag die Straße unter schwarzem Laken; Verschlafen blinzten der Laternen Flammen; Die öden Pflastersteine schraken Vor meinem Schritt zusammen. Doch mir im Haupte brandete das Blut, Und üppig blitzten die Gedanken – Des Hochgespräches kühne Brut, Bei dessen wild erhabener Glut Ich mit den Freunden saß, in feierlicher Nacht ... Und staunend schaut' ich die Gedankenpracht Und fühlte staunend meines Herzens Weihe; Und meine Seele wuchs zu hehren Sternen, – Wie Rauchschwall wirbelnd sich gen Himmel breitet. Und wie ich schlafen sah die dunkle Häuserreihe, Bedünkt ich mich ein Heiland, Der liebewach sein schlummernd Volk durchschreitet. Doch als ich öffnete des Hauses Thor, Da gähnte schwarz das Haus wie eine Gruft; Und als die finstern Treppen ich empor Getastet bis zum Stockwerk unterm Dach, Da hauchte mir das enge Schlafgemach Entgegen drückend schwüle Luft. Beklommen streckt' ich mich zu Bett Und suchte Schlaf. Doch heiß war meine Stirn, Und rastlos grübelte das müde Hirn. Dann aus der dunkeln Ecke kam geschlichen Die Angst und kroch mit ekler Gier empor Und drückte meine Brust und würgte mich; Und meine Glieder waren totenstarr, Und eine Stimme zischelte mir ins Ohr: »Ohnmächtiger Narr! Der du ein Held Und Heiland dich bedünkt, Da liegst du nun gefällt, Von meiner Faust gefaßt, Wie all dein kummerbleiches Volk, Das hingestürzt von Tageslast Rings unter dumpfen Dächern modert ...« Und wie es zischelnd höhnte, Und wie im Finstern drüben Mein Doppelgänger wimmerte und stöhnte, Da brach mein Herz, da sank mit hohlem Dröhnen Mein Sarg in schwarze Erde; Der Deckel preßte meine dumpfe Stirn, Und die Gedanken starrten im Gehirn. – – Was zwitschert heimlich in der Ferne So süß und morgenfrisch? Was spür' ich wie ein Liebchen schleichen Vom Fenster durch das lauschig stille Zimmer? Bist du es, Dämmerung? Ja! Du bist es, Liebchen! Schon grüßen mich mit geisterhaftem Schimmer Der Tisch, das Polster und die Uhr ... Ihr bleichen, Vom Tod erstandnen Freunde! Ja, es tagt! Wie wonnig meine nachtgequälten Augen Des Lichtes zarte Rieselquelle saugen! Und wie in lichtgetränkten Wolkenräumen Die Lerche selig zwitschert! – O laß mich lauschen, laß mich selig träumen, Zärtlicher Vogel ... Die bange Nacht Verschlief dein Köpfchen, flügelgeborgen, In dunkler Ackerfurche der Vorstadt. Doch als mit hauchendem Kusse der Morgen Dein Flaumkleid rührte, bist du erwacht Und sehnsuchtsvoll auf schlafgestärkten Flügeln Emporgeschwirrt zu frischen Morgenlüften, Wo zwischen grauen Wolkenhügeln Aus rotbesäumten Schlüften Des Tages goldne Quelle bricht. Und auf zum jugendlichen Licht Mit nie versiegender Liebeslust Jubelt die zärtliche Sängerbrust: »Wie bist du süß! Wie bist du süß!« O Lerchenlied, So labefrisch und rein Wie Blumenthau! So funkelhell Wie junger Sonnenschein, Der über die entzückte Au Rotglühend blitzt! Aus glutverklärten Fenstern lauscht Manch trostverschmachtet Ohr Erquickt zu dir empor. Und du Schwebst mit der hilflos matten, Wehmütig frohen Seele Von bangen Straßenschatten – Du lieber kleiner Heiland – Empor, empor Zu seligem Ruhe-Eiland. Die Wolkenstadt »Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, ... aus dem Himmel herabfahren, zubereitet als eine geschmückte Braut ihre Manne.« (Offenbarung Johannis.) Über rußbestaubten Dächerwogen, Straßendunst und dumpfem Werkgetose, Über all dem bang beladnen Volke Schwebt die Wolke Blendend weiß, wie eine Riesenwasserrose Über schwarzem Kolke. Und hernieder blickt die Reine In den düstern Hof, wo zwischen Mauern, Ungeliebt vom Sonnenscheine, Ein gebeugtes Weib die Jugend muß vertrauern Bei der Nadel fieberhaftem Rasseln. – Blasses Weib, erhebe dein Gesicht Zu der Wolke hehrem Licht! Und ihr Werkelmänner arbeitsheiß, Laßt das Hämmern, laßt des Schwungrads Treiben, Tretet an die trüben Werkstattscheiben, Trocknet von der Stirn den Schweiß, Andachtsvoll den Blick erhoben Zu der weißen Wolke droben! Alle, die durch graue Gassen Grübelnd hasten und einander hassen Um ein karges, hartes Brod, Die um armen Leibes Not In das Morgen schaun mit Bangen, Die gebrochen und verlassen Hüsteln mit gehöhlten Wangen, Die den Tod verzweifelnd suchen, Oder hinter Eisenstangen Schmachtend fluchen, – All die Fensteraugen jener langen Häuserreihen sollen aufwärts schauen Zur verklärten Wolke. In dem matten, wasserblauen Abendhimmel schwimmt das selige Eiland Ruhevoll und glänzend weiß, Wie auf Hochgebirgen keusches Eis. Sanfte Thäler thun sich droben auf; ich schaue Seidenzarte, schneeige Hyazinthenfelder, Auf den Hügeln duftige Apfelblütenwälder Und dazwischen, blitzend gleich dem Thaue, Alabasterne Paläste. Um Geblüm und Blütenäste Hauchen Lüfte, frisch wie auf der Alpenaue, Und da singt es wie von Kinderstimmen. Doch wo weilen sie, die auf den Himmelsthronen Rein und selig wohnen? Dort an weißer Hügel Rändern Stehen sie in schimmernden Gewändern, Eng geschaart. Und sieh, die Einen Hüllen ihr Gesicht und weinen, Andre schauen starr und trauernd, Oft zusammenschauernd, Wie entsetzt, hernieder Auf der Weltstadt wüste Riesenglieder, Die in Staub und Sünde angstvoll keucht. Und in liebendem Erbarmen Möchten sie die Stadt umarmen: »Arme trübe Schwester, hebe Deinen Blick zu uns und schwebe Sehnsuchtsvoll empor, – Wie ein frisch erblühter Silberfalter Sonnetrunken aufwärts fliegt, Während grau und leer sein alter Puppenschrein im Staube liegt.« Auf Leben und Tod Denn wenn den Schnee zum ersten Mal ein Blümlein sieht, Dann wundert sich's, daß also weiß der Schnee, Und Blümlein spricht: »Mich wird der Schnee doch nicht verletzen, Mir weh thun nicht; – er ist so weiß!« (Der Rhapsode der Dimbovitza.) In üppigen Sonnenfluten Badet sich der Park, Der mit glänzendem Blättergewoge Grausteinerne Häuserwälle bespült. Aus schattiger Straßenmündung strömt, Buntblitzenden Wellen gleich, Blütenfarbig geputztes Volk: Mädchen mit buntbebänderten Hüten, Blühenden Augen, schimmernden Zähnen. Das Plaudern plätschert Der Ruhebank vorbei Unter lila blühendem Flieder, Wo ich sitze bei spielenden Kindern. Im Strauche flötet die Nachtigall; Fernes Konzert Weht mit Düften süß heran Und zittert in meiner Seele ... Sanftes Mädchengesicht Unter schüchternem Sommerhut, Blaues Blütenauge, Ich könnte dich lieben! Doch zages Träumen hält mich fest, Und dich entführt die Flut ... Und wieder wehen mit Fliederduft Accorde schmachtend, schwellend; Und meine Seele zittert Von süßem Sehnsuchtsschauer. Sieh, das Weib Im dunkeln Kleide, Stolz, Mit rundem Busen Und schwarzer Augenglut! Mein Herz entbrennt Und pocht in wilder Sehnsucht. Was brennst du so? Ist das die Seele, Die heiß umschlingend Dein zehrend Schmachten stillt? Soll ich ihr folgen, pochendes Herz? – Ich wag' es nicht; Mir wird so schwül und bang. Denn vielleicht – was weiß ich! – Blüht Gift im dunkeln Auge Und verzehrt mir qualvoll Wangen und Seele. – So ist die Liebe! Auf Leben und Tod! Oder ist dies Strahlenauge Mir Quelle ewiger Wonne? – So geh zur Quelle, schmachtendes Herz! Sonst verspült die Flut dein Glück! – Ja, ich gehe! Noch eine Sehnsuchtswelle, Und hingerissen folg' ich, Zu lieben auf Leben und Tod ... Doch wehe! Mir schwindelt; Ich wanke, zu stürzen In glitzernde Wellen Des Menschenstromes. Halt dich fest, bethörte Seele! Jedwede liebliche Welle Ist Liebe auf Leben und Tod! – Doch horch, die Nachtigall lockt so heiß, Berauschend wehen Musik und Duft, Und Menschenaugen blühen so schön ... Wohlauf in den Strom der Seelen, Zu lieben auf Leben und Tod! Geschieden »Zwei einsame Menschen Sie irren durchs Leben, Sie irren und suchen Und suchen und streben ... Zwei einsame Menschen Sie treffen zusammen, In einander fluten Ihre Seelen und Flammen ... Doch ... Sie müssen sich trennen ... Und weiter sie schreiten, Die Ketten klirren – Zwei einsame Menschen Sie suchen und irren.« (John Henry Mackay.) Sie ist gegangen ... horch, Die Flurthür fällt ins Schloß! O mein geschlagenes Herz! Es fühlt ein wildes Stechen, Zuckt wie ein röchelnd Lamm Und möchte brechen. Nun haucht mich kalt die Öde an; Wie eine Sterbekammer ist die Stube, Wenn der zugedeckte Sarg Schwankend schied – Gramverstummt, frostig, leer. Ihr meine Augen, starrt nicht mehr In dieses eisige Grauen, Schließt euch fest wie Totenaugen! Nach Innen will ich schauen: Hier im Tiefgeheimen Seh ich zärtliche Augen von Einst, Sanfte Hände fassen mein Haupt, Auf meinen Lippen glühendes Saugen ... O bleibe, liebewarmer Mund! So wird mein schmachtend Herz gesund, – Wie flammenroter Mohn, Aus thauiger Flur geraubt, Vom Welken heimlich sich erholt Am Kusse des Wassers im Glase Und von der heimischen Wiese träumt ... Träumen will auch ich, Von meiner Wiese träumen – Von dir, mein Lieb – – Ein Stübchen mit lichten Gardinen, Über die graue Straße hoch Emporgehoben zum sonnigen Blau, Wo weiße Wolken weiden Und blitzende Tauben kreisen ... Auf dem Sofa sitzen du und ich; Vor uns auf dem Tische ruht die Zither, Und mit schüchternen Fingern tippst du Auf die Saiten. Ich schaue den Fingerchen zu, Damit sie nicht fehlen, und zähle den Takt. Doch mich verwirrt dein Händchen – Ich möchte das Händchen drücken Und wag' es nicht. Nur um die irren zu leiten, Ergreif ich die Finger Und drücke leise, Wie zaghaft bittend. Da werden die Finger so schwach, Das Händchen liegt bebend in meiner Hand, Dir glühen die Wangen, die Augenlider Sinken schamhaft schmachtend nieder, Der Busen wogt ... O seliges Flammen, Da wir uns schmiegten wild zusammen, Als müßten küssend wir verschmelzen. – So lebten wir fortan Im Stübchen, Frau und Mann, Von Gardinen versteckt Den neugierblickenden Fenstern Der Häuser gegenüber. Wenn ich in feierlicher Nacht Von Hochgesprächen mit den Freunden Heimkehrte wie berauscht Und klopfenden Herzens sacht Betrat das dunkle Stübchen, Dann grüßt vom Lager mein Liebchen, Liebewach, im Dunkeln lächelnd; Und zärtlich knie' ich nieder, Und weich und warm Schlingt sich um meinen Hals dein Arm; Wir kosen und küssen ... gute Nacht! Dann such' ich friedevoll mein Bett Und liege stumm im Dunkeln ... Doch die Gedanken schwärmen Ameisenhaft im Haupte; Und drüben hör' ich Liebchen Sehnlich atmen. Da wallt mein Blut so heiß ... O komm, mein Lieb, o komm Und sei die wilde Flamme, Die den Seligen verzehrt Und erst erlischt, Wenn draußen über Dächerwogen Im Morgengrau die Vorstadtlerche zwitschert ... Vorbei! Zerrissen, zerstoben Wie zarter Morgentraum! Kalt blickt die Welt In meine thränenden Augen; Und meine Thränen wandeln nicht die Welt. – O warum Kann Liebe nicht leben Wie auf der Flur ein Vogelpaar? Die treue Flur Gibt Halme zum Nest und Körnchen. Doch zwei Menschenherzen In steinerner Stadt Brauchen Stube und Kleider und Brod; Und die Stadt ist so grausam hart ... Weinendes Lieb, Geh von deinem armen Schatz, Der dich nicht kleiden und speisen kann; Weinendes Lieb, fahr wohl! – So bist du fortgegangen ... Ich und die Stube wir sind allein, Blicken uns an so leer, Beide vor Gram ganz stumm ... Welch garstiges Gesumm, Bösartig dumpfes Rollen Tönt drunten von der grauen Gasse! Höhnst du, steinerne Stadt? – Wie ich dich hasse, Grausame Gasse, Brandende Menschenmasse! Liebchen Gold »Möchte doch lieber Zigeuner sein, Als Mammonbeschnüffler im güldenen Schrein.« (Detlev von Liliencron.) In kalter Kammer, matt erhellt, Auf elend knochigem Polster lieg ich, Die Füße frostig, den Magen vergällt, Und starre zur mürrischen Decke empor ... Geld! Rundes blondes Liebchen Gold, Sei dem Schmachtenden hold! Laß dein Stimmchen mir erklingen Süß und fein Wie Kristallglas, Gefüllt mit gelbem Wein! Deinen schlangenglatten kühlen Leib Möcht ich streicheln; Das soll der fieberigen Seele Wie Quellenkühlung schmeicheln. Ginge doch die grämliche Thüre auf, Und mein Goldchen wäre da, Und Goldchen sagte: »Ja, Dein bin ich, dein! Und heute soll die Hochzeit sein.« Wie wollt ich springen kummerfrei! Freunde, Freunde, hurtig herbei! Wein her, köstliche Schüsseln her! Laßt uns schlürfen mit Lippen und Augen, Wonnevoll, wie durstige Wurzeln Üppige Regenfluten saugen! Laßt uns taumeln die Nacht entlang Mit Gesang und Gläserklang: »Liebchen Gold soll leben!« Erwach' ich dann im Bette, Und hellt ein Schimmer Den rauschgetrübten Kopf, – Wo bleibt Frau Sorge, Die gestern noch im Junggesellenzimmer Hüstelnd schlich? Aus gehüstelt hat Fau Sorge! Liebchen Gold Ist mir hold! Auf, glückseliges Gemüt! Neue Freuden sind erblüht. Auf zur Hochzeitsreise! – Am Wagenfenster vorbei Kommen Felder geflogen, Fächerhaft ausgespreizt, Wiesen und Hecken und Dörfer; Blaudämmernde Hügel wogen; Wald und Fluß rauscht vorbei. Mit uns eilt die stralende Sonne Und des Himmels blauende Wonne. Da ... in Bergesschacht Rollen wir dumpf donnernd; Der Tag erlischt; lang herrscht die Nacht; Und Haupt und Augenlider Sinken schläfrig nieder ... Neu zum Licht erwacht, Schau' ich staunend ein Alpenthal, Felsen und Tannen; Droben glüht ein Schneeberg-Greis Im Abendstral Trunken vor Lust; Schäumend stürzt der Gießbach Von seiner Felsenbrust. Hier will ich atmen, trinken Rauhe Lust, Bis der Schnee Stürmisch wirbelnd flockt, Und mich weiche Sehnsucht Nach Italien lockt; Finsternis und Frost, ade! ... O weh! In kalter trüber Kammer, Auf elend knochigem Polster ... Rauchige Decke, grämliche Thüre... Verhauchter Traum, ade! Grausam sprödes Lieb! Ich härme meine Wangen hohl, Zergrüble mir Die Stirne weh nach dir; Möchte gehn zu Waldesgründen Und die Wünschelrute finden; Die soll erspüren Gitter und Mauern, Wo Goldchen sich verbirgt; Da will ich nächtlich lauern, Liebchen zu entführen. Doch sieh! Bei Liebchens Gitterfenster Steht schon ein Mensch und harrt. Das ist – ich bin erstaunt, erstarrt – Mein Freund! Du hier? Vor meines Liebchens Thür? – Da droht sein Aug' und rollt: »O nein! Mein ist das Gold!« Und blitzt wie Messerstich nach mir ... Ach! Freundesmord! – Und schmerzgeschnitten wank' ich fort. Ich blute ... Tückische Dirne Gold! Du aber wirst mit Gier genossen Vom grauen Geizhals droben hinterm Gitter; Und morgen fährst du in Karossen Mit Gecken und Schurken, stellst dich feil Im Börsensaale, wo Gefeilsche gellt, Machst tausend Händlergesichter geil... Metze der Welt! – Elend will ich auf dem hagern Polster lagern Im kalten Dunkelkämmerlein; Träumen von einer Blume, Weiß und rein ... Im Angesicht des Berges »Wehe euch... ihr Heuchler, die ihr gleich seid den übertünchten Gräbern, welche auswendig hübsch erscheinen, inwendig aber voller Totenbein und Unflat sind!« (Jesus.) Ich blicke schweigend auf das weiße Tuch Und tippe sinnend mit dem Tafelmesser; Weingläser klirren, eine Dame lacht, Die beiden Diplomaten reden wichtig, Und Seidenroben duften nach Parfüm. Doch über die Terrasse weht ein Hauch Aus waldiger Bergesschlucht so kühl und rein; Tief atmend schlage ich die Augen auf. Da übergipfelt sich der krause Wald Den Berg hinan, da lagern grüne Matten An Felsgehängen, und mit schroffem Stolz Erhebt der Riese himmelan sein Haupt. »Entzückend!« lispelt meine Tafeldame, Die Gouvernante. « Ceterum censeo, Ich muß es stets betonen, Herr Minister, Erhöhen wir den Schutzzoll! Unser Staat, Verlassen Sie Sich drauf, wird ausgesogen. Das einzige Rettungsmittel ist mein Antrag.« Wie offen blickt das Deputirtenauge – Nur blitzt es heimlich drin: »Wenn es gelingt, O köstlicher Profit!« Ein Vogel kreischt und schlägt mit starkem Fittig Und wiegt sich spähend über Wald und Schlucht; Dumpf tost der Gießbach zwischen Felsgeblöck, Und eine Wolke schattet. Geil grinsend drückt die alte Excellenz Die Patschhand seiner Dame an den Weißbart. Die Gnädige lächelt wie ein Kind – und denkt: »Hat erst mein Mann die Stelle in der Tasche, Dann, Herr Protektor ... warte, alter Ekel!« »Entzückend!« lispelt meine Tafeldame Durch ihre falschen Zähne; »o Natur!« Und blickt hinan zum Angesicht des Berges, – Das sich verfinstert und in Wolken hüllt. Nur auf der Matte ruht noch goldnes Licht; Das lächelt mich wehmütig an. Ich schlage Die Augen nieder auf das weiße Tuch Und tippe sinnend mit dem Tafelmesser. Die Vogelscheuche »Doch das tote Haupt, Blut- und feuerbedeckt, Wild und drohend dort am Zweig Richtend aufgesteckt, – Lautlos gellt sein Schrei In die heiße Welt des Lichts: Nichts von dem war mein, ›Nichts und ewig Nichts! Sah die Sonne nur Kochend in heißem Hof, Wenn von schwülem Dunst Wie von Gift sie troff. Hier in Lumpen häng' ich, Und ich klage – klage – klage Über meines Lebens Leer und stumpf verbrachte Tage ...‹ Bleicher Kläger du, Toter Richter dort, Auf mein Haupt die Schuld, Schuld an diesem Mord! O, auf unser aller Haupt Fällt dies Menschenblut, Und auf unsrer Seele brennt Deine Todesglut. Düster gellt dein Fluch, Deines Mundes Klage, Mitten in unsres Lebens Goldne Maientage ...« (Julius Hart.) Der Lenzwind stürmt dem Gutshof zu Durch Zeilen schwanker Pappeln Und läßt auf braunem Ackerland Die Vogelscheuche zappeln. Am Pappelwege sitzt ein Strolch; Der knotet an einem Strick Und legt die Schlinge zur Probe Zerrend um sein Genick. »Die hält! Ach wohl, nun kannst du gehn Aus dieser verdammten Welt. Nur schade, daß hier unterm Gurt Noch immer der Hunger bellt! O Schande, mit Bauchweh zu verrecken! Giebt Keiner den letzten Happen? – – Vielleicht ist drüben im Hofe Bei den Knechten was zu erschnappen.« – Und müde humpelt die hungerfahle Dürre Lumpengestalt zum Gutshof, Drängt das Thor behutsam auf, Spähend vorgestreckt den Kopf ... Verdammt! Da steht der Gutsherr, Reitstieflig, zornrot das feiste Gesicht; Er pfeift dem Hunde gellend; Schon rennt das Vieh, die Zähne gefletscht ... Hastig zugeschlagen das Thor! Fort! mit schlotternden Knieen ... Fern hält der Arme zitternd, keuchend, Und schüttelt die Händeknochen: »Warte nur! Was ein Sterbender flucht, Ist nicht in den Wind gesprochen. Ihr Reichen rafft uns alles weg Und freßt es in den Magen, Und wollt uns selbst den Abfall Nicht gönnen zum Benagen?« Wutglotzend, knirschend hastet er Auf braunes Ackerland Zur Vogelscheuche und zerreißt Ihr zundriges Gewand; Dem Holzgerippe zieht er an Den eignen Lumpenrock Und seinen schäbigen Filzhut Stülpt er über den Stock; Und schaut sein Werk mit Grinsen an: »Du dürres Lappenluder, Du gleichst fürwahr mir bis aufs Haar Als wie ein Zwilligsbruder. Das bin ich selbst! Nun kann ich Dem reichen Hunde trotzen Und, wenn mein Leib als Aas verwes't, Die Satten frech beglotzen.« – Am Weg ein greiser Pappelbaum Mit niedrigem Geäst, Der hilft dem Strolch zu sich herauf Und hält die Schlinge fest: »Hinein den Hals, du Menschenkind! Ich will dich treulich henken. Spring ab! Nun mag der tolle Wind Die zuckende Leiche schwenken.« – – – Doch drüben auf dem Ackerland Da flattert des Toten Rock, Schüttelt die schlaffen Arme grimm Und zerrt an seinem Stock; Er möchte würgelustig Zum Hals des Feindes zappeln ... Der Lenzwind aber wächst und heult Bedrohlich in den Pappeln. Aufruhr »Und hörst du ein Brausen nicht, grollend und hohl? Horch, das ist das Echo von künftigen Tagen; Es kommt, uns die Kunde der Zukunft zu sagen ...« (John Henry Mackay.) An meinem Lager hält die Nacht Schweigend ihre Leichenwacht. Nur draußen über Häuserdächer streift Ein ruheloser Luftgeist, – Wie Trauergewandung Über Sargesdeckel schleift. Unter den Dächern Modert es zahllos Wie unter herbstlichen Bäumen Gestorbenes Laub ... Die Völker sind tot! Wohl sickert warmes Blut Durch ihre Adern, Wohl heben sie im Morgengrau Augenlider und Häupter: Doch mürrisch wie Gefangne; Und mürrisch strömt es durch die Straße Zu kerkerhaften Mauern, Wo Menschenleiber sich wandeln Zu Räderwerk und Balken, Zu stumpfen Riesenmaschinen, Die stampfen und schaffen und stampfen, Bis draußen der sonnige Tag Wehmütigen Blicks zur Neige geht. Und wieder auf die Straße strömt es, Aufthun sich die dumpfigen Häusersärge, Die Völker strecken sich nieder Und liegen tot. Nur heimlich in den Häupten Keimen Träume, – Wie krankhaft bleiche Keime An Wurzelknollen, die im Keller lagern, Sehnlich tasten Nach warmem Sonnenbade. – An meinem Lager hält die Nacht Finster ihre Leichenwacht. Doch draußen über die Dächer Geht ein Seufzen; Das wird zum Stöhnen, Zu murrender Klage; Zornig stößt ein Wind das Haus, Ein andrer Wind heult auf, Und heran stürmt es Bedrohlich brausend, Wie tobende Aufruhrrotten. Thüre schlottert, Fenster rasselt, Luke klappt, Dachsparren knarren, Losgelöste Ziegel scharren Übers Dach und krachen auf das Pflaster. Aus schnarchendem Schlaf in Federn Schrickt der Bürger empor Und horcht, Wie's im Kamine schaurig heult Und durch den Thürspalt zischt: »Herbei, und schlüpft in die Kammer! Blaset den Narren, blaset!« Und wie am Kirchthurm droben Die Wetterfahne ängstlich kreischt, – Bis ein wuchtiger Windstoß Von verbogener Stange Die Rostige abbricht; Sie schollert übers Kirchendach Und prasselt auf das Pflaster Dem Pfarrer vor das Fenster. Der Straßenwächter fährt zusammen, Entweicht zur nahen Hausthür Und schmiegt sich fröstelnd in die Nische. Drüben an der Anschlagsäule Zerren spöttische Geister Am Papierbefehle Der hohen Obrigkeit Und wirbeln den Fetzen mit Straßenspreu. Hinter der Mauer im Hofe Hebt der einsame Baum Zu den Lüften flehende Arme Und stöhnt und wimmert: »Nehmt mich mit! Reißt mich aus! Fort aus steinerner Wüste, Aus dumpfigen Kerkermauern Hinaus ins himmlische Freie Zu sonnefrohen Geschwistern! Sonnentod »Morgen fallen die Blätter, und ich Denke kommender Ernten Gold; Und so herrlich wird sein kommender Ernten Gold, Daß wir nimmer gedenken fallender Blätter.« »Wenn alle Blätter gefallen sind, Dann bleiben am Baum noch zwei oder drei, Und diese Blätter denken den ganzen Winter dran, Daß sie den Kummer haben sollen, Unterm Frühlingshimmel zu fallen.« (Der Rhapsode der Dimbovitza.) Fern in Winterdunst versunken Liegt die graue Stadt. – Auf bereifter Wiese Träumt ein Frühgeborener Von einer Stadt des Lichtes. – – – In frostigen Dünsten, die zum Himmel qualmen, Verblutet die Sonne. Ein weißes Birkenkind mit bebenden Reisern Starrt bang in die Blutung: O stirb nicht, Mütterchen Sonne! Im zarten Gezweige hängt Rotkehlchen mit blutiger Brust, Das Gefieder schaudernd gesträubt: Die Sonne stirbt, – Wie Blätter und Mücken starben! Ein karges Weilchen am Nachmittag Erhob sie sich und schaute matt Und schräge über die Wiese; Dann ward sie ein verweintes Auge, Und nun ein Tropfen Blut ... Sie stirbt, – wie jüngst die Blätter starben. Lebwohl, lebwohl! Deine Kinder behalten dich lieb. Sieh, drüben das Häuschen, Das oft du belächelt, Grüßt dich wehmütig Mit glühender Fensterscheibe ... Und dicker qualmen die frostigen Dünste. Anfangs müssen sie leuchten wie Nordlicht; Doch ihr rauchiger Schleier siegt, Und düster blutend, Gleich verglühender Kohle, Erstickt im Qualme die Sonne. Russige Wolken ragen empor, Die auf riesigen Rumpfen Unendliche Flockenlasten zusammentragen, Die Welt zu verschütten. Dämmrung stürzt lawinengleich Von Wolkengebirgen; Aus Wolkenklüften haucht der Frost Schneidend über frierende Gräser. Krächzend und flügelklatschend Hastet die Krähe hinweg; Rotkehlchen ist fort, wie sturmverweht; Die verwaiste Birke erschauert, An den Wimpern erfrorene Thränen ... Die Sonne ist tot! – – – In Finsternis versunken liegt die ferne Stadt. Auf erfrorener Wiese Träumt ein Frühgeborener Von einer Stadt des Lichtes. Im Feuernest des Herdes (Moses.) »Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde ... Darum fürchten wir uns nicht, wenn gleich die Welt unterginge, und die Berge mitten ins Meer sänken.« (Psalmist.) Im Feuernest des Herdes ruht Verloren mein düstres Auge; Und grübelnd starrt die Glut Zurück mit rotem Auge. – Glut, was starrst du? Draußen an der Mauer rüttelt Der Sturm mit drohendem Gebraus; An morschen Gliedern Zittert das Haus, – Wie ein zagender Greis. Ein Bangen kommt geschlichen Und flüstert in mein Ohr; Und zur Decke huscht Scheu mein Blick empor: Wenn die Decke birst, –! Da raunt es und zischelt: »Ja, ducke dich nur Und drehe die Augen nach oben! Sieh die Faust der Vernichtung erhoben! Horch, wie die Balken stöhnen! Sie ahnen, daß dies Haus Einst im Sturze dröhnen Wird wie ein gefällter Riese. Wenn dann der aufgewirbelte Staub Sich senkt auf wüste Trümmer, Kommt das Unkraut Mit tastender Wurzel Geschlichen und wühlt sich In morsches Gestein; Halb vergraben aber im Schutt, Lugt zum mürrischen Himmel empor Mit leeren Augenhöhlen Ein bleicher Schädel – Dein bleicher Schädel! Dein kostbar Haupt!« – – Mein Haupt! – Was ich bedient mit täglicher Plage, Wie eine Mutter ihr einziges Kind, Was ich beim Rascheln der Gefahr Geschirmt mit zuckendem Arm – Das liegt nun hoffnungslos verworfen Zwischen Schutt und hämischem Unkraut, Wie ein zertrümmertes Thongefäß! ... Im Feuernest des Herdes ruht Verloren mein angstvoll Auge; Und grübelnd starrt die Glut Zurück mit rotem Auge. Glut, was starrst du? – Da sprüht es in dem roten Auge Begeistert auf; Heiliges Feuer wallt empor Und stürzt auf meine Seele Wie einer Sturmflut Woge; Und die Flammen singen summend Wie Orgelton, wie Sturmesbrausen: »Gieb es auf, dein nichtig Haupt! Dann magst du es getrost verlieren. Sei gleich uns, verbrenne dich! Viele tasten im Dunkeln und frieren. Sieh die fromme Flammenrose Blätterüppig blühen, Licht und Wärme, Liebesgaben, Ihrem Kelch entsprühen! – Selig, wer aus enger Hülle Freudig sich erhebt, Zu erhabenen Himmelsweiten Selbstverloren schwebt! Wie ein stiebend Aschenstäubchen Flieht die Todesnot ... Überselig ist die Liebe, Ist der Opfertod!« Im Kiefernforste »Ein Fremdling trat in meine Wohnung. Ich reichte ihm die Hand; Er setzte sich an meinen Herd und hielt Die Stirne in den Händen Und frug: ›Hast du der Ochsen viel?‹ Und seine Füße waren voll von Staub. – Ich habe nicht gefragt: Von welchem Dorf bist du? Er hatte seinen Sack zu mir dahingesetzt, Und dieser Sack enthielt blos einen Stein.« »Es zehrt An aller Mark der Sünde fressend Feuer; Ein jeder ist verschuldet jeder That, Und jeder trägt auf seiner Seele ungeheuer, Was jeder je an Schuld und Frevel that. Ihr stoßt den Einen tief hinab in Nacht, Den Andern hebet ihr empor zum Licht, – Lehrt ihr die Blinden, was sie sehend macht? Und trocknet ihr der Weinenden Gesicht?« Julius Hart. 1. Versammlung Wie ruhevoll ist eure Versammlung Braunhalsige Kiefern mit dunkelbuschigem Haar! Ihr schweiget, weil euch wohl ist In träumerischem Frieden. Erquickend kraftvoll duften eure Nadeln, Dazu der violette Thymian, Die struppigen Wachholderbüsche, Die knabengleich bei Hochgewachsenen stehen. Es ist so still, ich höre meinen Atem; Ein kleiner Vogel nur schlüpft ziepend im Geäst, Auf zarter Birke zirpt die Grille leise, Und wenn der Wind sich sanft erhebt, Durchwallt ein hauchend Sausen die Versammlung, Und alle Kiefernhäupter nicken, In würdevoller Eintracht sinnend. – Ich weiß mir einen andern Wald; Der wogt im mächtigen Saal; die Wipfel Sind finstre Proletarierköpfe. Die Leuchter an der Decke flammen trübe, Von rauchig schwülem Dunste halb erstickt. Nun schrillt die Glocke, stumm wird das Gebrause, – Wie wenn ein Wald vor dem Gewitter schweigt! Der Führer steht erhöht; wie schwarze Wolken Ballt er Gedanken heiligen Zorns zusammen; Und Spannung hält gefesselt die Gesichter, Und Blitz auf Blitz durchzuckt die Männerherzen, – Bis gleich dem Hagel wilder Beifall prasselt, Und Rufen tönt und donnergleiches Grollen ... O Sonne hinter den Kiefern, Rotglühende Abendsonne! Wie schwimmst du mit Entzücken Im angestralten Himmelsteiche! Du bist entzückt, weil du so schön Den Himmel und das Land bestralst. In tiefen, trunkenen Zügen Und leise schwellend, saugst du Den goldigroten Atem ein Und hauchst ihn liebend In langen Strahlen durch der Kiefern Gassen. Da duften, überstäubt von Glanz, inbrünstig Strohblume, Haidekraut und Thymian; Voll Ehrfurcht steht der struppige Wachholder, Die hochgewachsenen Kiefernstämme gleißen Wie glühende Stangen, ihre Häupter starren Andächtiglich mit staunendem Sausen Hinein in des hehren Weltenfeuers Blendend großen Tropfen... O Sonne, brich mit deiner Glut Auch in den andern Wald, Wirf deine Strahlen in Gesicht und Augen Verhärmter Menschen, Entzückend und erlösend! Bald, o Sonne, bald! 2. Arme Leute Bei düstern Haidekiefern Stehn spärlich magre Ähren, An dürrem Sande saugend, Verzweifelnd, sich zu nähren. Da kauert ein lehmig Häuschen Mit Düngerhaufen und Karren; Kläglich meckert die Ziege, Und struppige Hühnchen scharren. Aus der Thüre humpelt ein krummer Kleinbauer, emporzuspähen Zur bleiern schleichenden Wolke, Zu hungrig krächzenden Krähen. Nur karge Mitleidszähren Vermag die Wolke zu schenken; Dann schleicht sie trübe weiter, Ohne Kraft zu tränken. – Selber arm und traurig, Folg ich der weinenden Wolke Und denk an arme Leute Und leide mit meinem Volke. 3. »Verurtheilt zu lebenslänglichem Galgen« Ich habe geträumt! – Noch pocht mein Herz Von Gram und Grimm empört, Und Thränen der Ohnmacht netzen mein Kissen. Ich ward mishandelt unerhört! ... Doch ruhig! Still! Es war ein Traum! Wie dumpf die Stube! Der Mond scheint hell Wie bläulich brennender Schwefel Und tüncht an die kalkige Wand Mein bäuerlich Fenster grell; Im morschen Holzgetäfel Pickt ein Wurm oder nagt ein Mäuschen; Draußen pfaucht ein Käuzchen Gedämpft im Kiefernforst ... Was hab ich nur geträumt? – Ich ward geknebelt von viehischen Schergen, Vor raubtieräugige Richter geschleppt; Die schrieen funkelnden Auges: »Schuldig!« Eine Menschenmenge brüllte: »Schuldig!«; Es war eine ganze Welt. Doch mein Herz schluchzte: »Nein! Ich bin rein, wie Jesus rein!« Und eine starke Stimme sprach: » Verurtheilt zu lebenslänglichem Galgen! « Und die Menge johlte: »Zu lebenslänglichem Galgen!« Nun packten mich die Henkersknechte Und schleiften mich zum Galgen; Ich ward mit der Schlinge gewürgt; Doch ohne zu sterben! Und täglich sollt ich so Den Galgen leiden, ohne zu sterben, Im Herzen die Stimme der Unschuld. – Sei ruhig, Herz, und poche nicht! Zerblasen ist alle Gefahr; Es war ein Schaum, ein Gaukeltraum! – Ach wohl, es war Gedankenschaum, Und doch – so bitterlich wahr! Die Schergen, die Richter, die Henker, den Galgen, Ich kenne sie insgesammt, Kenne die Welt, die mich verdammt Zum Galgen Zeit des Lebens. Wie heißt der Galgen? Mangel, Not, Sorge um Stube, Kleider und Brod, Knechtung, Schmähung reinsten Strebens! Verfluchte Welt, die mich umfängt, Tagtäglich an den Galgen hängt, Verfluchte Welt! ... Auf! Hinaus! Ich halt es nicht aus Auf dem Lager in dumpfiger Kammer, In traumdurchdünsteter Folterkammer. Hinaus in die nächtliche Landschaft! ... Hu, wie glutig Der Mond in zackiger Wolke rollt! Gleich der Augenkugel blutig Von feuerschwangrem Drachen Mit aufgerissenem Rachen! Das Auge blinzelt, scheint zu brechen, Zwinkert dann mit tückischem Stechen, Rollt wieder auf und glotzt mich drohend an. Drache, nun erkenn' ich dich! Du bist der Fürst der verhaßten Welt, Die mich am Galgenstricke hält; Und während Kröten und Unken Heulten und schnurrten in Moor und Gaasen, Hat dein zorngeblähter Bauch Schwüler Träume giftigen Hauch Mir ins Fenster geblasen ... Ha, was seh ich! Du hast dein Auge verloren, Zackiger Drachenleib, Und bist geschwärzt vom Tod! Da liegt die Augenkugel triefend rot Auf düsterm Kiefernforste, Dem rauchige Brunst entloht – Ein glühendes Ei im brennenden Neste! Ja brenne nur, unholde Veste Der alten Welt, sammt Galgen und Henkern! Mit Flüchen will ich deine Funken Schüren, bis du in Asche gesunken. – – – Nun allen Sorgen fern, Wend ich mich um – Zum Morgenstern, Der leuchtend groß wie eine weiße Wasserrose, Verzückt wie ein Prophet, Am milchigen Himmel steht. Wölkchen schwimmen goldfischgleich; Das graue Korn erschauert; Freudig blitzt es auf im windgekräuselten Teich; Erwachte Wasserspatzen Zwitschern froh und schwatzen Im frisch durchhauchten, wogenden Rohr; Und aus thauversilberten Halmen Steigt die Lerche, das Auge im Glanz, empor Mit seligem Tirili. 4. Die Sonnenblume Auf sandiger Haide am Kiefernforst Kauert ein Häuschen gedrückt An Fenster, Dach und Lehmgewand Verwahrlost und zerstückt. Des bretternen Stalles Thüre klafft, – Verkauft sind Schaafe und Ziegen; Im Dünger ein letztes Hühnchen scharrt, Und mürrisch brummen die Fliegen; Und in der Stube, da quarrt das Kind, Das Weib, das zornige, schilt, Des Häuslers Stimme, trunken und rauh, Lästert dazwischen wild ... Am Fenster die schlanke Sonnenblume Erbebt in geheimem Leid; Aus Schutt und Unkraut strebt sie scheu Und starrt in die Ferne weit. Dort hinter vergilbtem Kartoffelkraut Und blondem Stoppelhaar Erglänzt der Himmel so goldig zart, Wie Gesang so wunderklar. Im Dufte dort mit schmetternder Glut Verblüht die Abendsonne; – O schmachtende Seele, starre hinein Und trinke dir einzige Wonne! – Und die Blume – am taumelnden Sonnenball Hängt schwärmerisch starr ihr Angesicht, Ihr gelbumlodertes frommes Gesicht, Versunken im Licht, ertrunken im Licht. Die breiten graugrünen Blätter spreitet Sie sehnlich in zitternder Scheidetrauer, Und hinter der sinkenden Sonne gleitet Ihr Sinnen hinunter mit Andachtsschauer. 5. Der Mohnkopf Im herben Wind, am Dornenzaun, Bei toten, raschelnden Ranken, Verödet muß dies Greisenhaupt Die trüben Tage durchwanken. Und aschendürr und aschenfahl, Von Gram gebeugt, hinab Zur wüsten Erde starren: Du meiner Hoffnung Grab! – Ach wohl, im Sommer! – als flammend heiß Im Blauen die Sonne stand, Da war von üppigen Träumen Mein jugendlich Haupt entbrannt. Ich loderte glutig und dünkte mich selbst Solch herrlicher Flammenbronnen Und wollte im Herbste Garten und Flur Besäen mit roten Sonnen. Doch als er kam, der Herbst – da ward Ich zage wie welkendes Laub, Und als ich neigte mein Haupt zur Saat, Da war manch Körnlein taub. Und etliches fiel auf dürres Gestein, Der Vogel hat es gepickt, Und etliches wird, wenn es keimt, zertreten Oder von Dornen erstickt. Und etliches hat der barsche Sturm Geschleudert – weiß nicht wohin – Auch den vermessenen Jugendtraum Gezaust mir aus dem Sinn. – Nun steh ich hier am Dornenzaun Bei toten, raschelnden Ranken Und muß mit ödem Greisenhaupt Die trüben Tage durchwanken. O Jugend, du fliegst kühn und rasch, So wie die Schwalbe schnellt; Doch, gleich der Schnecke träge, schleicht In Ewigkeit die Welt. 6. Ich will! Hoch stand ich auf dem Dach' und sah seltsamste Morgenglut: Rings wogte über die Häuser hin ein Meer von Brand und Blut. Es brüllte die schwarzrot qualmende Schlacht; mit zornigem Knattern schossen Behelmte Feinde zu uns empor; doch es trotzten fest die Genossen Wie Felsen im schlagenden Hagelsturm; verheerende Bomben schwangen sie Und manchmal durch das Schlachtgetos' die Marseillaise sangen sie. Ihr wollust-girrendes Mordlied pfiff eine Kugel an meinem Ohr; Da bäumte sich meine Seele jäh, gleich wütiger Schlange, empor, Den Sprengball zuckte die krallende Faust nach den feindlich stürmenden Massen Und schmiß des Todes reißende Saat hinunter mit jauchzendem Hassen. Und dumpf ... Ein Rollen ... ein Peitschengeklatsch und Getrappel ... goldflirrender Schein, Und sieh! die Morgensonne stralt ins offene Fenster herein; Im Bette lieg' ich; – es war ein Traum! Nicht Kugeln, – die Schwalben girren Und schießen um mein ländliches Dach, und droben im Mattblau schwirren Lichtfrohe Lerchen. Durch thauige Flur trabt munter das Pferd mit dem Wagen; Drauf sitzt der junge Bauer und schmaucht sein Pfeifchen mit Behagen. Und fährt so sicher hinein in die Welt. Ich aber, ich seufze und schwanke Und bin auf bangem Lager hier ein zweifelnder Gedanke. Noch hält der zornesglutende Traum mein Herz in banger Stockung, Und schon umschmeichelt mich so süß des Lebens liebliche Lockung. Da schwindelt mir; Verwirrung, Scham, sie überfluten heiß mich; O ich vermessener, armer Thor! Was bin ich? Und was weiß ich? Ich bin nur ein Halm im wogenden Feld und wähnte, ich sei das Feld; Und ich wanke und schwanke in Lieb' und Haß, und mir däucht', ich bewege die Welt. O ich Irrtum und schwächlicher Widerspruch! – Und doch! Was hier erwacht So grimm und kühn, ist Irrtum nicht, ist Zwietracht nicht, – ist Macht. Ich bin die einige Macht, bin Lieb' und Haß mit einem Male, So einig wie Kastanienfrucht und ihre Stachelschale. Und die hassende Liebe, der liebende Haß, so in mir gährt und schafft, Das ist der Menschheit Lebensdrang, ist die weltbewegende Kraft. Ich will! Und dieser Kraftstrom wird durch alle Zeiten wallen, Wird Arme breiten sehnsuchtsvoll und Fäuste drohend ballen. Ich will! Und wenn mein trotziger Mund auch längst im Tode schwieg, Ich will! – Und ewig ist mein Kampf, und ewig ist mein Sieg. Geleitwort des Verfassers Vielleicht ist es dem Leser willkommen, den Verfasser dieser Gedichte auch in begrifflicher Sprache über das, was ihn hier bewegt hat, ein wenig zu hören. Die Titel der beiden Abteilungen dieses Buches bezeichnen zwei Perioden meiner Entwickelung und gleichzeitig zwei dauernde Pole meines Gefühlslebens: aus einem »Einsiedler« habe ich mich zu einem »Genossen« entwickelt, freilich ohne völlig die »Einsiedler«-Natur abzustreifen. Die Gedichte der ersten Abteilung entstanden fast sämmtlich in jenen jüngeren Jahren, als ich, dem Leben der Gesellschaft noch abgewandt, vorwiegend mit »Wäldern und Büchern« verkehrte. Damals richtete sich mein tiefstes und wiederkehrendes Sehnen auf jene Mischung von erhabener Begeisterung und sanfter Ruhsamkeit, welche die einsame Betrachtung gedanklicher und landschaftlicher Gegenstände hervorzurufen pflegt – oder, besser gesagt, die Betrachtung gedanklicher und landschaftlicher Wesen; denn Hochgedanken, Wolken, Bäume und Stürme waren mir seelenvolle Wesen, mit denen ich ergreifende Gespräche führte. Da nun die Menschengesellschaft durch ihre häufige Häßlichkeit und Bösartigkeit mein Stimmungsglück störte, so wurde meine Gemüt zu einer gewissen Menschenflucht und überschwänglichen Einsamkeitsliebe getrieben. Diesem einseitig ästhetischen Bereiche, welches mich bis zur Mitte meiner zwanziger Jahre umfing, wurde ich nun entführt, und zwar besonders durch unsere Riesenstadt, welche mich in das moderne sociale Leben einweihte, meine bisher mehr latenten ethischen Gefühle entwickelte und den Socialisten in mir aus einem Theoretiker in einen lebhaften Praktiker umwandelte. Nun galt mir mein bisheriges Dichten als Schwäche und Sünde, und ein neuer Geist rang in mir nach Gestalt. Ich wollte aus einem »Romantiker« ein »Realist«, einem Ästhetiker ein Ethiker, einem Individualisten ein Socialist, einem Einsiedler ein Genosse werden. Auf dieser neuen Bahn glaubte ich mich nicht in der alten Weise bewegen zu können. Die breiten und unebenen Massen des neuen Stoffes erforderten eine andere Art der Gestaltung. So wurde die liedhafte Harmonie der üblichen Strophe vielfach zerrissen oder gar aufgegeben, während Versbau, Rhytmus und Reim den an Raum und Stimmung ungleichen Entwickelungsphasen meiner Seelenereignisse zu entsprechen suchten. – Was die in diesen Gedichten hervortretenden Welt- und Lebensanschauungen betrifft, so bemerke ich für Leser, welche an diesbezüglichen Einzelheiten Anstoß nehmen, daß ich als höchste Lebensaufgabe die Mitarbeit an der Beseligung der Menschheit betrachte und daß der Grundzug der Gedichte »Genosse« wohl dasselbe ist, was zu der träumenden Wjerotschka (in Tschernyschewky's »Was thun?«) spricht: »Ich habe viele Namen und sehr verschiedene. Mit welchem Namen mich jemand nennen soll, das teile ich ihm mit. Du nenne mich Menschenliebe, das ist mein wahrer Name. Es giebt nicht viele, die mich so nennen, du aber sollst mich so nennen.« Nennt man mich aber Naturalist, Atheist, Demokrat, Socialist oder Anarchist, so lasse ich mir das gefallen, jedoch mit der Bemerkung, daß ich es keineswegs dulde, auf ein Prokrustesbett gestreckt und von irgend einem Parteibegriff vergewaltigt zu werden, und daß daher nicht jede Folgerung aus jenen Begriffen für mich gelten darf. Friedrichshagen bei Berlin; Weihnachten 1890. Bruno Wille.