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Entwurf
einer
systematischen Poetik,
nebst
Collectaneen zu ihrer
Ausführung. ────────────

Zweyter Theil. ──────────────────

Leipzig,
bey Breitkopf und Härtel.
1804.

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Poetik. ──────

Zweytes Buch.

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Dieses zweyte Buch, welches einen kurzen Grundriß zur
besondern Poetik, oder zu einer Theorie der Dichtungsarten
enthält, besteht aus folgenden Unterabtheilungen.


A) Erster Abschnitt. Von der göttlichen Poesie.


a) Erstes Kapitel. Von der göttlichen Poesie oder
einer idealen Weltgeschichte als Bedürfniß des
religiösen Glaubens überhaupt.


b) Zweytes Kapitel. Von der biblischen Poesie
insbesondere.


B) Zweyter Abschnitt. Von der menschlichen Poesie.


a) Erstes Kapitel. Von der lyrischen Poesie.


1) Erster Unterabschnitt. Von der höhern lyrischen
Poesie.


2) Zweyter Unterabschnitt. Von der niedern
lyrischen Poesie.

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b) Zweytes Kapitel. Von der darstellenden Poesie.


1) Erster Unterabschnitt. Von der historischen
Poesie.


2) Zweyter Unterabschnitt. Von der beschreibenden
Poesie.


3) Dritter Unterabschnitt. Von der didaktischen
Poesie.


4) Vierter Unterabschnitt. Von der allegorischen
Poesie.


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Erster Abschnitt.

Von der göttlichen Poesie. ────── |#f0012 : E488|
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Erstes Kapitel.

Von der göttlichen Poesie oder einer idealen Weltgeschichte als Bedürfniß
des religiösen Glaubens überhaupt. ──────


§. 1.


Der Jnhalt der göttlichen Poesie ist eine durch
göttliche Begeisterung den Seelen offenbarte
ideale
Weltgeschichte, welche, wie wir oben
bewiesen haben, ein unumgängliches Bedürfniß für
den religiösen Glauben ist.


Anmerk. Ohne noch hier anzunehmen, was weiter
unten klar werden wird, daß die Schriften, welche von
den Christen unter dem Namen Bibel begriffen werden,
das Bedürfniß der Offenbarung im Engern Sinne vollkommen
befriedigen, betrachten wir hier den Begriff der göttlichen
Poesie a priori, wie er schon von der Psychologie postulirt
wird. Wer an eine solche ideale Weltgeschichte
glaubt, kann auch, wenn er consequent seyn will, keine
andre Quelle für dieselbe anerkennen, als göttliche
Begeisterung.
Das Zeugniß der Sinne kann uns ungewöhnliche
Begebenheiten beurkunden, aber allein kann es |#f0014 : 490|

uns über göttliche Dinge keinen Aufschluß geben, weil Gott
in einem Lichte wohnt, dahin kein sinnliches Auge dringen
kann, weil das ideale Prinzip der Welt in der Erscheinung
als Erfahrungsobjekt nicht gefunden wird. Was die Vernunft
betrifft, so offenbart sie uns zwar schon einen Aufruf
zum höhern Leben im religiösen Gewissen. Der
Tugendhafte, wenn er seinen Willen allein nach der Form
der Gesetzlichkeit bestimmt, weiß, daß Gott sey, denn
Gott, das gesetzliche Wesen, handelt durch ihn. Keinen
andern Aufschluß giebt aber die Vernunft nicht. Die
Vernunft kann also den religiösen Glauben, daß das
gesetzliche Prinzip auch zugleich die Erscheinungswelt allmächtig
lenke, nur postuliren. Will die menschliche Vernunft
sich von der Wirksamkeit ihrer Willensbestimmung durch
Gott in der Erfahrungswelt überzeugen, welches sie als
receptives Vermögen erheischt, so bedarf sie dazu einer höhern
Begeisterung, welche die sichtbaren Begebenheiten in
einem idealen Lichte verklärt, und den Plan Gottes zeigt,
nach welchem er die Schicksale des Menschengeschlechts nur
darum anordnet, daß dasselbe zur Gemeinschaft mit ihm gelangen
könne.


§. 2.


Vorausgesetzt, daß sich in der Erfahrung Traditionen
und Urkunden fänden, welche auf die Würde
einer göttlichen Offenbarung Anspruch machten, so fragt
es sich, nach welchen Kriterien der Mensch die Aechtheit
derselben zu beurtheilen habe.

|#f0015 : 491|


§. 3.


Da das religiöse Gewissen die höchste
Quelle alles menschlichen Wissens ist, der Mensch aber
nichts glauben kann noch darf, was seinem höhern
Wissen widerspricht, so dürfen erstlich diese
Urkunden des religiösen Glaubens dem religiösen
Gewissen
nicht widersprechen, sondern
müssen dasselbe bekräftigen.


Anmerk. 1. Etwas anders ist zu sagen von dem
niedern mehr sogenannten Wissen der gewöhnlichen
nach physischen und Verstandesgesetzen geordneten Erfahrung.
Dieses historische Wissen beruht ohnedieß nur auf
Hypothesen, ist und bleibt ewig Stückwerk, und kann nur
von falschem Witze und menschlicher Aufgeblasenheit einer
Offenbarung entgegengesetzt werden. Letztere muß sogar
ihrer Natur nach dem beschränkten Verstande unwahrscheinlich
seyn, weil sie Gegenstände darstellt, welche nicht für
sein Forum gehören.


Anmerk. 2. Der religiöse Glaube ist zwar, wie
wir oben bewiesen haben, seiner Natur nach ästhetisch.
Er unterscheidet sich aber eben dadurch von den profanen
ästhetischen Empfindungen, daß er ein praktisches Jnteresse
hat, und das Gewissen bekräftigen soll. Das
höhere Leben der Tugend muß sich selbst erscheinen, muß an
sich selbst glauben. Da es sich auf eine für den Verstand |#f0016 : 492|

unerklärliche Jdealität der Freyheit gründet, kann es sich
nicht anders objektiv werden, als im Lichte der Schönheit.
Das Gefühl dieser höhern Schönheit ist aber eben deswegen
heilig, weil es den Menschen stärkt, von neuem dem
Aufruf zum Handeln Genüge zu thun. Dadurch widerspricht
jedoch der Glaube dem Gewissen keinesweges,
daß er den moralischen Zwang aufhebt, und das
Gute aus Liebe vollbringen läßt. Vielmehr ist dies die
natürliche Folge der Offenbarung. Der durch den Jmperativ
zum zweckmäßigen Handeln aufgeforderte Mensch
lernt die höchste Zweckmäßigkeit als Schönheit mit religiöser
Andacht anschauen, seine Knechtschaft verwandelt sich in
Kindschaft, die Achtung für den moralischen Zwang in
Enthusiasmus. Auch dadurch widerspricht eine Religionslehre
nicht dem Gewissen, wenn sie irrige menschliche Begriffe
von Gerechtigkeit umstößt. Christus z. B. schlägt in
seinen Parabeln die Anmaßung aller derjenigen nieder, welche
sich auf die Verdienstlichkeit ihrer Werke berufen und
deswegen einen besondern Lohn verlangen. Dieser göttliche
Richter richtet gewöhnlich und auch hier die Menschen nach
ihren eigenen Grundsätzen. Haben jene Menschen das Gute
wegen des Lohns gethan, so war die Triebfeder ihrer Handlung
nicht rein. Sie verdienen keinen Vorzug. Sie waren
blos Spekulanten, die das entferntere Nützliche dem nähern
vorzogen. Thaten sie das Gute aus Achtung für den moralischen
Zwang, so sind sie ja nach ihrem eigenen Geständnisse
unnütze Knechte. Sie thaten, was sie zu thun schuldig
waren. Hätten sie aber das Gute aus Enthusiasmus, |#f0017 : 493|

aus einer höhern Neigung für dasselbe gethan, so würden
sie im Gelingen desselben, in der Reinheit ihres Herzens
ihren Lohn finden, keinen Vorzug verlangen, den sie schon
haben, und sich über die Bekehrung anderer, über die Verbreitung
der Seligkeit freuen.


§. 4.


Da das Postulat des Glaubens eine befriedigende
ideale Weltgeschichte ist, in welcher Gott, das gesetzliche
Wesen, als Bestimmer der Weltschicksale zu
gesetzlichen Zwecken erscheint, und die zum Bewußtseyn
der Vernunft gekommenen Menschen in seine Gemeinschaft
aufnimmt, so müssen zweytens die Offenbarungsurkunden
wirklich eine solche vollständige
ideale
Weltgeschichte enthalten, welche die Entwicklung
aller Wahrheiten der rationalen Psychologie in der
Zeit symbolisch zeigt, mit den für die Sinne realen
Weltbegebenheiten den genausten Zusammenhang hat,
hinreichend ist, den praktischen Enthusiasmus, die
höhere Begeisterung der Andacht zu erwecken, also in
jedem Herzen fortgesetzt werden kann, und auf das
menschliche Leben auch den entschiedensten Einfluß hat.


Anmerk. Jn diesem § wird der Begriff einer idealen
Weltgeschichte näher aus einander gesetzt und nach seinen
Kriterien bestimmt. 1) Jn einer solchen idealen
Weltgeschichte muß Gott als das gesetzliche Wesen erscheinen |#f0018 : 494|

, welches die Welt zu absolut gesetzlichen Zwecken bestimmt,
die Menschen immer deutlicher über diese Bestimmung
belehrt, und die Menschheit in die göttliche Gemeinschaft
aufnimmt. Da eine Geschichte Succession in der
Zeit voraussetzt, so kann die Jdealität dieser Geschichte
nicht auf einmal und in Allen Momenten der Zeit erscheinen,
sondern sich nur nach und nach, je mehr sich das Ganze entwickelt,
darthun. Die Seelenwelt kündigt sich hier als eine
successiv sich organisirende Totalität an, die der absoluten
Gesetzlichkeit immer näher kommt. Es ist daher ein sonderbarer
Vorwurf, der z. B. dem alten Testamente von vielen
Gegnern der Bibel gemacht worden ist, daß darin weder
Gott noch die Menschen in einem rein idealen Lichte erscheinen.
Gott kann sich den Menschen nicht anders zeigen,
als sie ihn verstehen, als sie ihn zu sehen verdienen.
Christus läßt in einer seiner Parabeln einen Knecht zum
Herrn sagen: Herr, ich furchte mich vor dir, denn du bist
ein harter Mann. Und der Herr antwortet: Wenn du
wußtest, daß ich ein harter Mann bin, so richte ich dich aus
deinem Munde, du Schalk. Eben so richtete der Nazionalgott
Jehova sein Volk aus dessen Munde, weil die Menschheit
einer reinern Ansicht noch nicht würdig war, und vermöge
der Gesetze der geistigen Organisation noch nicht seyn konnte.
Allein die ideale Geschichte muß in so fern vollständig
seyn, daß alle an sich zufällige Ereignisse eine vorbereitende
weissagende Beziehung
auf irgend eine große
Hauptbegebenheit haben, wo das menschliche Leben ganz
zum göttlichen wird, wo die Menschheit erscheint im |#f0019 : 495|

reinen Gegensatz mit der physischen sterblichen Welt, als
selbst gesetzlich, des Anschauns, der absoluten Gesetzlichkeit
Gottes gewürdigt und theilhaftig der göttlichen
Natur.
(2. Epist. Petri Kap. 1. V. 4.) ─ 2) Diese
ideale Weltgeschichte muß ferner die Entwicklung aller
Wahrheiten der rationalen Psychologie in der Zeit, symbolisch
unter heiligen Mysterien zeigen. Ob sie gleich
über das sinnliche reale hypothetische Wissen der Erscheinungswelt
hinausgeht, und nicht vor dessen Richterstuhl gezogen
werden kann, so können die Wahrheiten, welche sie
vorträgt, doch nicht von den Wahrheiten der rationalen
Psychologie verschieden seyn, da die rationale Psychologie,
wie oben bewiesen worden, auf dem religiösen
Gewissen beruht, und ganz allein aus ihm herzuleiten ist.
Gerade die rationale Psychologie ist es, die eine solche Offenbarung
im engern Sinne postulirt, damit sie ihre Wahrheiten
in der Erscheinungswelt a posteriori wiederfinde.
Sie kann zwar die Erfahrungen der empirischen Seelenkunde
mit dem Verstande nach ihren Grundsätzen ordnen. Allein
diese Anwendung bleibt immer Hypothese. Sie bedarf also
des religiösen Glaubens, als verbindendes Mittelglied
zwischen ihrem absoluten Wissen und den Erfahrungen des
innern Sinnes. Dieser religiöse Glaube kann nicht anders
erlangt werden, als wenn die ganze Erscheinungswelt
mittelst göttlicher Begeisterung zum Symbol der absoluten
psychologischen Wahrheit wird. Die höchste Wahrheit der rationalen
Psychologie ist die gesetzliche Freyheit, der Wille Gottes.
Dieser kann nie ganz als Objekt erscheinen in der empirischen |#f0020 : 496|

Seelenwelt. Allein letztere muß uns im Lichte der höchsten
Schönheit als eine Organisation vorkommen können,
in der sich die göttliche Freyheit gleichsam spiegelt, deren unsichtbares
Centrum eben die Freyheit ist. Dadurch, daß die
Menschheit erzogen werden muß, erscheint sie bestimmt
durch die Nothwendigkeit. Hat aber die Erziehung
zum Zweck, die Menschheit zur Theilnahme an der göttlichen
Freyheit gelangen zu lassen, so treffen am Ende Nothwendigkeit
und Freyheit, wie die Endpunkte einer Kreisperipherie,
zusammen, und die Erziehung der Menschheit
erscheint als eine schöne geistige Organisation.
Jndem sich in der Menschheit das Bewußtseyn entwickelt,
an der göttlichen Natur Theil zu haben, sieht die Menschheit
ein, daß sie sich selbst mit erzogen habe, weil sie durch
die Freyheit, an der sie nun Theil hat, nothwendig bestimmt
ward. So wie alle körperliche Natur ein Symbol des Geistes
ist, eben so ist es auch die geistige. Alle geistige Organisation
ist ein Symbol der Freyheit. Diese Bemerkung
ist der Schlüssel zu einer Philosophie der Erziehung einzelner
Menschen. Sie ist auch der Schlüssel zur Erziehung des
Menschengeschlechts. Die ideale Weltgeschichte hat die Erziehung
des Menschengeschlechts durch Gott zum Jnhalt.
Demnach giebt obige Bemerkung auch das Kriterium an die
Hand, woran man eine wahre religiöse Weltgeschichte erkennen
muß. Gesetzt also, eine in heiligen Büchern enthaltene
Geschichte zeigte uns die Menschheit in drey Perioden: erstlich
als Theil der physischen Natur geleitet vom physischen
Jnstinkt, aber glücklich und ohne Sünde, weil die physische |#f0021 : 497|

Natur reingesetzlich ist, wiewohl ohne moralisches Selbstbewußtseyn;
zweytens in ihrem Abfall von den Gesetzen
der physischen Natur, im Zustande der daraus nothwendig
folgenden Erbsünde, in steter Furcht vor dem göttlichen Gesetzgeber,
zu dessen höherer Natur sie sich nicht emporschwingen
kann, nicht werth, ihn in seinem reinsten Lichte zu erblicken,
schwankend zwischen dem niedern Jnstinkt, dem
sie nur zur Hälfte entsagt hat, und der höhern Gesetzlichkeit,
die sie ahnet; drittens aufgenommen in die göttliche
Natur,
indem sie den höhern Jnstinkt der Liebe gefunden,
ihren Gesetzgeber, durch sein eigenes Veranstalten, versöhnt
hat, so würde diese religiöse Weltgeschichte die
einzig wahre Ansicht der Dinge enthalten. Daß der
Uebertritt des Menschen vom Jnstinkt zur Selbstbestimmung
als eine Sünde anzusehen sey, die an der Nachkommenschaft
bis ins tausendste Glied gestraft werden mußte, ist
a priori eben so leicht einzusehen, als es leider durch die
Erfahrung aller Zeiten bestätigt wird. Der Gang der instinktmäßigen
Natur ist zugleich rein=gesetzmäßig,
und wird gestöhrt, sobald ein Naturwesen sich selbst bestimmen
will. Sobald der Mensch werden wollte, wie Gott,
und selbst erkennen, was gut und böse sey, mußte er sich
auch des Jnstinkts schämen, der ihn maschienenmäßig, wiewohl
zu seinem Glücke bestimmte, und mußte sich selbst vor
dem Richterstuhl der höchsten göttlichen Freyheit verachten.
Gott konnte sich ihm also in der Erscheinungswelt nur als
ein zürnender Gott zeigen. Der Mensch, verführt von dem
bösen Dämon einer egoistischen scheinbaren Freyheit, war |#f0022 : 498|

nun sich selbst überlassen, wagte mit menschlicher Klugheit
seine Thierheit zu lenken und eigenmächtige Eingriffe in das
Meisterwerk der Natur zu thun, blieb ihr ewiges unglückliches
Spielwerk, und vermochte sich nicht einmal mit dem
Verstande von seiner Selbstbestimmung zu überzeugen. Er
stand also getrennt von dem moralischen Gesetzgeber,
dessen Heiligkeit ihn unaufhörlich verdammte, den er umsonst
durch Opfer zu versühnen suchte. Er war sich des Guten
als einer ihm vorgeschriebenen Richtschnur bewußt, aber er
fand in dem Guten keine Freude, und die Freuden des Jnstinkts
waren für ihn nicht schuldlos mehr. Er ward ein
Knecht des furchtbaren Gottes in der höhern Sphäre, in
welche er durch das Schicksal hinaufgerissen war, in welcher
er sich nicht behaupten konnte. Der stolze Trieb nach
Selbstbestimmung, verbunden mit Sinnlichkeit, zeigt also
den Menschen, der sich der höhern Moralität bewußt wird,
in der Erscheinungswelt als ein unvollkommnes mit der Erbsünde
behaftetes Wesen. Der heilige Gott steht dagegen
von ihm getrennt, mit einer unerbittlichen Strenge, der
nicht genug gethan werden kann, wie denn auch die neuere
Moralphilosophie, weil sie auf eben diesem Gesichtspunkte
stehen geblieben ist, das radicale Böse behauptet, und den
Kontrast zwischen der Heiligkeit Gottes und der menschlichen
Verkehrtheit oder Schwäche nicht aufzuheben vermag.
Denn sobald der Mensch den Schein der Selbstbestimmung
zu erlangen sucht, und sich als ein von der Natur getrenntes
Wesen betrachtet, erklärt er sich auch fähig der Jmputation,
und dieser Jmputation nach, wiewohl sie im eigentlichen |#f0023 : 499|

Sinne nicht statt finden kann, muß er sich ursprünglich
verachten. Mit einem Worte, das moraliche Gewissen
allein als bloße Anforderung sich in das gesetzliche Wesen
aufnehmen zu lassen, ohne den Glauben an eine erfolgte
Aufnahme, muß a posteriori in der empirischen Psychologie
als ein Uebel, als eine nothwendige Strafe dafür angesehen
werden, daß der Mensch sich gegen die Naturgesetze
auflehnte. Allein nach der religiösen Weltgeschichte ließ
Gott die Menschen fallen und in ihren eigenen Augen verächtlich
werden, um sie nun desto höher zu erheben. Es
bedurfte in der Geschichte der Seelen eines feierlichen Akts
der Versöhnung. Es mußte die menschliche Natur
in der Erscheinungswelt der göttlichen einmal vollkommen
genug thun. Dieses war nicht anders möglich,
als daß sich die göttliche mit ihr vereinigte. Denn Gott
kann nur Gott genug thun. Jndem der Mensch die
Versöhnung annahm, indem er glaubte, daß die
strenge Tugend, die göttliche Freyheit, mit voller Consequenz
in Menschengestalt gewohnt, daß Ein Mensch dem
niedern Leben ganz entsagt, und Gott allein gelebt habe,
lernte er auch an sich selbst, an die Möglichkeit seiner Erhöhung
glauben. Das moralische Gewissen durfte ihn
nun nicht mehr ursprünglich verdammen. Er setzte ihr die
ästhetische Evidenz entgegen, daß Gott mit der
Menschheit vereinigt gewesen sey, daß Gott die Menschheit
ganz in sich aufgenommen habe. Das Gesetz war erfüllt,
die Strafe hinweg genommen, und an die Stelle des Gesetzes
trat der Glaube. Der Mensch lernte den furchtbaren |#f0024 : 500|

Gott lieben, der ihm zum erstenmal in der Erscheinungswelt
im Lichte der höchsten Schönheit und Zweckmäßigkeit
gezeigt ward. Dieser Gott der Liebe erschien ihm
nicht mehr als Herr, sondern als Vater. Der Mensch
lernte seine eigene vergötterte Natur lieben, denn er
glaubte an ihre mögliche Reinheit. Der Glaube
an Gott ward mit dem Glauben an die menschliche Natur
eng verbunden. Von nun an konnte das Gesetz nicht mehr
tödten, d. h. die sinnliche Natur niederschlagen. Der
Glaube hatte sie lebendig gemacht. Der Glaube
hatte sie geheiligt. Was nicht aus dem Glauben kam,
blieb Sünde. Denn der Verstand kann sich von der Moralität
keiner Handlung überzeugen. Aber der Glaube
kann es. Er ist die einzige reine Triebfeder. Dieser Glaube
ward das Gefühl der göttlichen Freyheit selbst, der
Geist Gottes, welcher die Menschen trieb. Gott, wie Minucius
Felix sagt, verließ mit dem Christenthum jeden andern
Tempel, um in dem Menschen zu wohnen. Von
nun an mußte die Menschheit inne werden, daß ihr Gott
ein dreyeiniger Gott sey, der Vater ein Gott der
Liebe, dessen liebender Wille oder Caussalität die Welt zur
höchsten Schönheit und Zweckmäßigkeit bestimmte, um in
ihr sein Bild zu finden. Er hatte einen Sohn (λογος),
der ihm genug that, durch den, und um deßwillen die Schöpfung
da war, die Substanz und Seele der anschaulichen
innern und äußern Erscheinungswelt, beyde hält zusammen
zur Totalität der Geist der Liebe, der von beyden ausging,
alles belebte, heiligte und mit ihnen vereinigte. Diese |#f0025 : 501|

drey ὑποϛασεις (oder προσωπα) machen nach dem Symbolo
Athanasiano
Eine οὐσιαν, Ein Selbstbewußtseyn,
Ein göttliches Hauptwesen aus. Man sieht hieraus, wie
die Mysterien der religiösen Weltgeschichte, welche die Christen
bekennen, mit den Wahrheiten der rationalen Psychologie
übereinstimmen, wie tief sie in der Natur des menschlichen
Geistes gegründet sind. Die aus dem moralischen
Gewissenssatze hergeleiteten Seelenkräfte verweisen auf vier
Vernunftideen: Caussalität, Substantialität, Totalität,
und absolutes göttliches Selbstbewußtseyn, deren letzte die
drey ersten in sich vereiniget. Die Metaphysik, der menschliche
Verstand kann diesen Jdeen keine Materie geben. Aber
in den Mysterien seiner Weltgeschichte findet der religiöse
Glaube, was er sucht, was das Wissen nur ahnen kann.
Schon Augustin erläutert sich das Geheimniß der Dreyeinigkeit
durch eine Analogie mit den Seelenkräften, und die
ganze physische Natur trägt von der heiligen Trias die unverkennbarsten
Spuren. Wie armselig müssen also dem tiefern
Denker die Einwendungen eines Dudithius vorkommen,
der in Eins und Drey einen Widerspruch findet, wie geistlos,
wiewohl gutgemeynt, die Zweifel derjenigen, welchen
die Jdee der Versöhnung der Gottheit unwürdig scheint ─
Diese Bemerkungen weiter auszuführen, muß der Theologie
überlassen bleiben. Uebrigens fügen wir hier noch hinzu,
daß mit der Behauptung, die ideale Weltgeschichte zeige die
Entwicklung der psychologischen Jdeen symbolisch, keinesweges
der Wirklichkeit und Wahrheit dieser Geschichte
Abbruch geschieht. Wenn die ganze Natur im Raume ein |#f0026 : 502|

Symbol des Geistes ist, der doch selbst der Materialist
die Realität nicht abspricht, warum soll die Geschichte,
die das Göttliche in der Zeit darstellt, nicht auch symbolisch
und dennoch innig mit der physischen Realität verwebt
seyn? Hiermit sagen wir also nicht, daß die religiöse
Weltgeschichte poetische Allegorie im gemeinen Sinne
dieses Worts sey. Dieses haben wohl auch zum Theil Theologen
andeuten wollen, doch unsrer Meynung nach mit Unrecht.
Die vom historischen Realismus verführten Sprachforscher
und Aufklärer der Bibel können indeß der Sache der
Religion wenig schaden, wenn sie uns aufmerksam darauf
machen, daß Adam vielleicht eine mystische Person, die
Menschheit bedeute, daß die Schöpfungstage sechs Zeiten
gewesen, daß Elohim ein Plural sey u. s. w. Die Hauptwahrheiten
der Religion bleiben immer dieselben. 3) Um der
idealen Weltgeschichte ihre historische Realität zu sichern,
behaupten wir im § ferner als Kriterium ihrer Aechtheit,
daß sie mit der Historie im profanen Sinne in einem innigen
Zusammenhange stehen müsse. Es muß den Hauptbegebenheiten,
die die religiöse Geschichte erzählt, ihr wirklicher
Platz in der Zeit angewiesen werden können. Sie
muß nicht als das Hirngespinnst eines einzelnen müßigen
Kopfes, sondern als ein Phänomen, das einen großen
Theil der Menschheit betrifft, anzusehen seyn. Jhre Einwirkung
auf die Seelen muß historisch als Factum erwiesen
seyn. Hierzu gehört aber nicht, daß diese ideale Weltgeschichte
im historischen Tageslichte erscheine. Dies
würde vielmehr ihrem Wesen ganz zuwider seyn. Sie |#f0027 : 503|

schwebt als ein unbegreifliches Geheimniß über dem Ganzen.
Sie ist geistigen Ursprungs, und muß also in nächtliche
Mysterien eingehüllt bleiben. Sie ist ein Wunder, sie darf
also für profanen Augen nicht zu durchschauen seyn. Ein
neuerer Gegner der Bibel, welcher seine Gemeinheit besonders
dadurch beurkundet, daß er vom Christus verlangt, er
hätte seine höhere Offenbarung unter Donner und Blitz geben
sollen, dann würde sie überzeugend gewesen seyn, dieser
meynt, die Gottheit Christi aus dem geringen Stande, in
welchem er gebohren worden, zu widerlegen. Wir alle,
meynt er, würden, wenn wir die Wahl gehabt hätten, zum
mindesten Kaiser geworden seyn. Allein gerade dies beurkundet
die Gottheit Christi, daß sein gestiftetes Reich als
ein geistiges und der weltlichen Macht entgegengesetztes erscheint.
Denn wir beten nicht den Gott der physischen
Macht, wir beten den heiligen und wahren an, dem
die physische Macht selbst auch in dieser Welt unterworfen
seyn sollte. Wäre Christus als August gebohren,
und hätte seine Religion unter dem Siegel der Reichsgesetze
verbreitet, so hätte es niemals Märtyrer, sondern nur Christen
mit den Lippen gegeben, wie wir leider späterhin aufzuweisen
haben, als die christliche Religion zur Staatsreligion
wurde. 4) Dieser idealen Weltgeschichte letzter Zweck
muß seyn, ein Muster der Tugend im Lichte der höchsten
Schönheit darzustellen, und durch dies Anschaun der göttlichen
Freyheit
in Menschengestalt, eine fortdauernde
Andacht zu erwecken. Sie darf also nicht blos phantastisch,
sie muß zugleich moralisch seyn. Die Religionsurkunden |#f0028 : 504|

vieler Völker erzählen von Menschwerdungen
Gottes. Brama kam vielmals auf die Erde herab, und
der chinesische Foe ist durch einen Sonnenstrahl gezeugt, von
einer Jnngfrau gebohren. Allein das sind phantastische
Mährchen ohne idealische Wahrheit. Es fehlt ihnen das
hohe Muster der Moralität, das allein im höchsten Lichte
des Schönen erscheinen kann. Sie zeigen nicht die göttliche
Freyheit
im Gegensatze mit der menschlichen Natur
und ihren siegreichen Kampf mit der Welt. Nur allein
das Anschaun der höchsten Tugend in ihrer Verklärung kann
die Andacht erwecken, welche der Mensch für sein höheres
Leben bedarf. Die Niedrigkeit der Seelen geht zwar zu
unsern Zeiten so weit, daß man alle Andacht für Schwärmerey
ausgiebt, weil man die Andacht, wie alle Moralität,
für eine beschwerliche Fessel hält. Jndessen ist das
Bedürfniß der Andacht zu einer seligen Gemüthsstimmung
unläugbar. Nun darf zwar eine ideale Weltgeschichte den
Aberglauben nicht begründen. Jndessen ist es ihr auch nicht
zuzurechnen, wenn Aberglaube und Hierarchie sich ihrer bemächtigt.
So ist z. B. die Lehre Christi, der mit so viel
Bestimmtheit wider das Pfaffenthum seines Volks aufstand,
an jeder Entheiligung unschuldig, die sie in der Folgezeit
entstellte. Die Quelle einer solchen idealen Weltgeschichte
ist göttliche Begeisterung. Diese Geschichte ist die
einzige, deren Quelle ihre Lauterkeit durch sich selbst, durch
ihr alleiniges Daseyn beweisen soll. So wenig man eine
Empfindung des Schönen Jemandem eindemonstriren kann,
eben so wenig kann eine solche Geschichte einen stärkern Beweis |#f0029 : 505|

für sich anführen, als die Andacht, welche sie erweckt.
Kein Betrug, keine irdische Absicht darf da obgewaltet haben,
wo sie in ihrem höchsten Lichte erscheint. Gott kann
sich nur in reinen Seelen offenbaren. Muhamed ist eben
deswegen ein falscher Prophet, weil er ein Egoist war, und
ein irdisches Reich stiftete. Soll sich die Begeisterung
andern Seelen mittheilen, so bedarf es mehr, als bloßer
historischer Traditionen. Diese Traditionen müssen nicht
bloß historisch, sie müssen moralisch und ästhetisch
ächt
seyn. Die Hülfsmittel zur Andacht, welche eine
solche ideale Weltgeschichte eingiebt, müssen also den entscheidendsten
Einfluß auf das Leben haben. Es muß diese
Geschichte, wie z. B. durch die christlichen Sakramente, in
jedem Herzen fortgesetzt werden können. Sie muß auch
in so fern vollständig seyn, daß sie Weissagungen enthält,
bis ans Ende der Zeit, z. B. das Gericht. ─ Nur
dadurch wird sie idealisch und göttlich. Sie umfaßt
das ganze ungeheure Gefild der Jahrtausende, betrachtet
es unter dem höchsten Gesichtspunkte, und zeigt die Einheit,
welche das Ganze zusammenhält.


[Abbildung]

|#f0030 : E506|
[Abbildung]

Zweytes Kapitel.

Von der biblischen Poesie insbesondere. ──────


§. 1.


Die Aechtheit der Bibel als Offenbarungsurkunde
aus dem christlichen Gesichtspunkte nach den im vorigen
Kapitel angegebenen Kriterien a priori einer Offenbarung
im Engern Sinne überhaupt zu erweisen, kommt
der Theologie oder Gottesgelahrheit zu, und
wird auch vermöge der von uns gemachten Bemerkungen
nicht schwer seyn. Die Poetik betrachtet nur
die Bibel, als angenommene göttliche Poesie,
ihrer Poesie nach. Ohne uns also weiter darauf einzulassen,
ob die Bibel allen oben angegebenen Anforderungen
an eine ideale Weltgeschichte Genüge leiste,
in wie fern diese sich auf das moralische Gewissen, auf
Psychologie und Geschichte als solche beziehe, liegt es
uns hier nur ob darzuthun, daß die Bibel aus dem
Standpunkte des Christenthums angesehen, die höchste
Poesie, die vollkommenste ideale Einheit sey, der die
Organisation des menschlichen Geistes fähig ist, daß |#f0031 : 507|

sie die moralische Natur des Menschen im Lichte der
reinsten Schönheit zeige, und also Andacht und Begeisterung
in jeder unverdorbenen Seele erregen müsse.


Anmerk. Es ist die höchste Jnconsequenz, wenn
man, wie bisher geschehen ist, blos im alten Testament
Poesie findet. Lowths poesis Sacra nimmt nur diese
Richtung. Der Fehler liegt darinnen, daß man keinen
Begriff von Poesie hatte, der würdig genug gewesen wäre.
Man fürchtete zu viel den falschen Nebenbegriff von Erdichtung,
um nur die geringste Anwendung davon auf das neue
Testament zu wagen. Man vergaß die Jdee der Jnspiration,
welche die Bibel begründet. Man meynte, nur
ein besonderer poetischer Styl, nur Liederform u. s. w. mache
das Wesen der Poesie aus, da selbiges doch die Darstellung
des Jdealen durch die Sprache ist. Man sah nicht ein,
daß das alte Testament bey allen seinen einzelnen poetischen
Schönheiten erst durch das Christenthum ein vollkommnes
poetische Ganze geworden sey, man sah nicht ein, daß die
religiöse Andacht die Poesie des Lebens sey, und daß man
dem Christenthum seinen ganzen Einfluß auf das menschliche
Herz raubt, wenn man seine heilige Urkunde nur kritisch,
philosophisch, historisch betrachtet. Die Hinneigung vieler
unsrer besten Köpfe zum Katholizismus wird manche Theologen
endlich vielleicht aus ihrem Schlummer wecken. Luthers
Absicht war es gewiß nicht, dem Geiste des Christenthums
die Richtung zu geben, die er späterhin leider genommen
hat. Aberglaube und Mißbräuche wollte er abschaffen, |#f0032 : 508|

die Hierarchie erschüttern. Aber er war so weit entfernt,
der Bibel ihre poetische Kraft zu nehmen, daß seine Uebersetzung
vielmehr eins der größten Kunstwerke unsrer Sprache
ist. Was hilft alle Kritik, alle philologia sacra, alle
Sprachkenntniß, wenn die theologischen Nachforschungen
in den Nebenquellen uns die von dem Katholizismus mit
standhafter Consequenz behauptete Hauptquelle der Jnspiration
als einer fortgehenden Tradition rauben? Jst nicht
diese Jnspiration der Seelen, als mündliche Tradition, auf
welche sich Jrenäus, Origines und andre Kirchenväter berufen,
weit älter, als die Sammlung des christlichen
Testaments? Was hilfts, daß man die Hebraismen des
neutestamentarischen Styls aufsuche, uns mit wichtiger
Miene z. B. zu bemerken gebe, Gericht halten, Werke
thun u. s. w. heiße lehren? wenn man mit dem Ausdruck
dem Gedanken sein Mark, seinen Nerven nimmt? Der
wahre Freund der Aufklärung wird ihre Wohlthaten anerkennen.
Er wird sie aber keine Fehltritte thun lassen. Wenn
die Aufklärung dahin geht, alle Begeisterung, allen Enthusiasmus
zu tödten, den Gott in die Sprache, wie in
die Seele legte, so ist sie der gerade Weg zum Materialismus.



§. 2.


Die Bibel muß von der Poetik erstlich nach ihrem
Hauptinhalte, sodann nach ihren einzelnen
poetischen Formen betrachtet werden. 1) Nach
ihrem Hauptinhalte ist sie ein ideales Ganzes. |#f0033 : 509|

Sie ist, wenn man die oben angeführte Eintheilung
der menschlichen Poesie auf sie anwenden darf, ein
Kunstwerk der darstellenden Poesie. Sie
enthält eine die Erfahrungen der profanen Historie begründende
und eng mit dem Menschenleben verwebte
ideale Weltgeschichte. Daher ist sie vorzüglich
als ein Werk der historischen Poesie anzusehen,
wiewohl sie zu gleicher Zeit beschreibend, lehrend
und symbolisch, d. h. allegorisch ist, im realsten
Sinne dieses Worts. Als historische Poesie
enthüllt die Bibel in allen Schicksalen der Menschenwelt
eine große Organisation, bestimmt und gelenkt
durch die freye Caussalität Gottes, um diese göttliche
Freyheit zum Selbstbewußtseyn in der Menschheit gelangen
zu lassen. Diese Jdee einer sich selbst producirenden
Freyheit scheint ein Zirkel zu seyn. Allein
jede Organisation oder Selbstproduktion in der Zeit ist
ein geheimnißvoller Zirkel, den nur die ideale innere
Einheit des Geistes, die Ewigkeit, aufheben kann.
Die Hauptidee der Bibel, auf welche sich alle vorhergehenden
und folgenden Begebenheiten beziehen, kann
für den Christen keine andre seyn, als die Gottheit
Christi.


Anmerk. Unsre alten ehrlichen Deutschen sangen
in ihrem Liederbuche: „Seele, wilt du Frieden finden, such |#f0034 : 510|

bey keiner Kreatur, laß was irdisch ist dahinden, Schwing
dich über die Natur, Wo Gott und die Menschheit in Einem
vereinet, Wo alle lebendige Fülle erscheinet.“ ─
Dies war ihr Glaube, in diesem lebten und starben sie. Er
war ihnen Bürge für ihre eigene Hoheit, für ihre eigne
Unvergänglichkeit. ─ Späterhin ist durch eine materialistische,
(doch nur halb wissenschaftliche) mathematische,
physische
Ansicht des Weltgebäudes, durch den
sogenannten theistischen Begriff einer allmächtigen Gottheit,
die alle die unzähligen Sternenheere regiert, und durch
den groben historischen Realismus die wohlthätige Jdee des
moralischen liebenden Gottes unsrer Väter verdrängt, alles
höhere Menschengefühl bey vielen Menschen im eigentlichsten
Verstande erdrückt worden. Man wagte nicht mehr
sich vorzustellen, daß der, welchen der Weltkreis nicht faßt,
wie Luther sagt, in einer Krippe geweint haben sollte, daß
der furchtbar große Naturgott die Menschheit so geliebt
haben sollte, um mit seiner ganzen Fülle in ihr zu wohnen.
Gleichwol ist und bleibt der Spruch: Also hat Gott die Welt
geliebt u. s. w. der Schlußstein des ganzen biblischen Systems.
Nur durch diese Wahrheit erhebt sich die Bibel zur
Würde einer vollkommen idealen Weltgeschichte, die in
das Menschenleben den entschiedensten Einfluß haben kann.
Es ist hier von keiner der unzähligen Menschwerdungen und
Vergötterungen die Rede, die bey den heydnischen Nazionen
geträumt worden sind. Die Heyden vergötterten aus
Schmeicheley Menschen nach dem Tode, dachten sich phantastische
Wunderwesen, welche zuweilen die Menschen= |#f0035 : 511|

gestalt annahmen, um als bloße Erscheinungen unter uns
zu wandeln. Aber diese Götter waren immer objektiv außerhalb
der Menschheit hingestellt. Es war eine ewige
Kluft zwischen der Gottheit und der sterblichen Natur. Das
Wesen des Christenthums hingegen besteht darinnen, daß
der Gott zugleich wahrer Mensch war, besteht in einer
innigen engen Vereinigung der göttlichen und menschlichen
Natur. Nur dadurch, daß der Gott, der nichts als das
Gute wollte, menschlich fühlte, menschlich litt,
erhebt sich das Christenthum als einzig ächte Humanität
über alle inhumane Fabeln des Heydenthums. Der Enthusiasmus,
den die Leidensgeschichte Christi in so vielen
Menschenseelen erregt, ist allein durch das Bedürfniß erklärbar,
das göttliche Prinzip der Dinge, die höchste reinste
Liebe im Kampfe mit der fühllosen Natur dargestellt zu sehen.
Eine ideale Weltgeschichte, welche uns diesen
Kampf im vollsten Glanze zeigt, welche die tiefste Erniedrigung
und die größte Erhöhung neben einander stellt, ist zu
gleicher Zeit die Geschichte eines jeden menschlichen Herzens.
Der Sieg, den sie verkündet, muß jedes Herz zu einem
ähnlichen Siege anfeuern. Auf dieses mit ästhetischer Ruhe
verbundene praktische Jnteresse gründet sich vorzüglich der
Glaube an ihre historische Wahrheit. ─ Und diesen Glauben
verlangt sie, wie ihn unsre Natur verlangt, kein Wissen
giebt sie nicht, kann und darf sie nicht geben. Was
seyn soll, muß seyn. Das ist die wahre Ueberzeugung.
Was in der Welt siegen soll, muß siegen. Das ist die Jdee,
aus der alles göttliche Handeln kommt. Die höchste Schönheit |#f0036 : 512|

, ist auch die höchste Wahrheit, die aller Realität erst
Werth giebt. ─ Wenn es also die Hauptbegebenheit der
Bibel ist, daß die Gottheit in der menschlichen Natur zum
Selbstbewußtseyn kommen, daß der Sohn Gottes Mensch
werden sollte, so müssen alle vorhergehenden Erzählungen
im genausten Zusammenhange mit ihr stehen, wenn die Bibel
als ein ideales Ganze betrachtet werden soll. Denn die
heilige Weltgeschichte ist für die Reflexion als eine Organisation
in der Zeit anzusehen, deren Theile alle harmonisch
zusammen stimmen. Es mußte also ein Volk geben, dessen
Traditionen bis zu dem Ursprung der Welt hinauf reichten,
das durch alle Zustände, welche der Mensch zur Kultur zu
durchgehen pflegt, durchgegangen war, so daß es füglich
in dieser Rücksicht die ganze Menschheit repräsentiren
konnte. Dieses Volk mußte von je her eine sich immer
mehr entwickelnde reinere Vorstellung von der Gottheit gehabt
haben, als andre Nazionen. Hierzu war anfangs die
Einheit Gottes schon allein hinreichend. Denn das absolut
gesetzliche Wesen, das alles nach seiner Form bestimmt,
duldet keine andre Götter außer sich. Es mußte
also dieses Volk mit vollem Grund sich für ein erwähltes
Volk Gottes halten. Gott mußte demselben durch dazu
berufene Männer sein Land angewiesen, seine religiöse und
bürgerliche Verfassung organisirt haben. Es mußte eine
wahre Theokratie statt gefunden haben, Gott mußte
wie einheimisch bey dieser Nazion geworden, Wunder und
Weissagungen mußten eng in das Leben derselben verflochten
seyn. So schildert uns die Schrift das hebräische Volk. |#f0037 : 513|

Die Offenbarungen, deren sich dasselbe rühmte, waren zugleich
eine vollständige religiöse Geschichte der Menschheit
von Anbeginn. Sie berichten uns, der Mensch sey nicht
etwa, wie es einem Diodorus Siculus vorkommt, ein αὐτοχθων
aus Schlamme zufällig geboren, sondern Gott ähnlich
in äußerer Gestalt, von Gottes Hand geformt worden,
aber instinktmäßig, wie die übrige Natur, nur ein lebendes,
begehrendes Wesen (‎‏היח שמכ‏‎). Nachher habe er aber
Gottes Vorschrift übertreten, habe die ihm gesetzte Schranke
des Naturinstinkts niedergerissen, sich dessen geschämt, wie
Gott frey erkennen wollen, das Gute und Böse, sey so des
Paradieses verlustig worden, und das Erbübel habe seinen
Anfang genommen. Von da an beginnen schon die mysteriösen
Weissagungen, welche das Volk Gottes durch alle
Perioden seiner Geschichte begleiten. Es ist unbegreiflich,
wie manche selbst denkende Gottesgelehrte der Vorzeit an der
Aechtheit der drey ersten Kapitel in der Genesis haben zweifeln
können, da sie die Grundlage der ganzen biblischen
Weltgeschichte sind. Von nun an sehen wir, wie sich der
Mensch von der Gottheit immer mehr entfernt, und sich
vermißt, ein für sich selbst bestehendes Wesen zu seyn. Aber
ganz verläßt Gott die Menschheit nicht. Er ist noch zu den
Zeiten der Erzväter der Gott der Familiengeschlechter, doch
er ist ein furchtbarer erzürnter Gott, der selbst große Naturbegebenheiten,
wie die Sündfluth, als moralische Strafen
verhängt. Späterhin ist er ein kriegerischer Gott, ein Herr
der Herrschaaren. Er macht durch Mosen die Jsraeliten
zum Volk, verleiht ihnen den Sieg, giebt ihnen Land, Gesetze |#f0038 : 514|

, Richter und Könige. Er läßt durch Samuel Prophetenschulen
gründen. Gottbegeisterte Männer wohnen auf
den Höhen in der freyen Natur und vereinigen den Geist der
Dichtkunst mit dem Geiste der Weissagung. Sie erwecken
die Helden Jsraels zu großen Thaten, strafen sie im Namen
des höchsten Gesetzgebers. David versetzt die heilige Poesie
auf den Berg Zion und in den Tempel, giebt ihr den feurigsten
lyrischen Schwung, aber auch zugleich das wärmste
Jnteresse für das Herz. Keiner dürstet, wie David, nach
Offenbarung. Keiner sehnte sich, wie er, es anzuschauen
das unbekannte Wesen, das sein Schicksal und die Schicksale
seines Volks zu einem höhern Weltenplane hinlenkt, das
seinem Saamen ein neues Reich, Jsrael einen größern Helden
verspricht, als alle, die es bis jetzt beherrschten. Salomos
Glanz und Reichthum giebt der heiligen Poesie ein
üppiges stolzes Gewand. Aber Gott liebt nicht den eiteln
Glanz dieser Welt. Er zieht seine Hand von Salomo ab.
Der Glaube erlischt in Salomos Herzen. Mißmuth, zweifelnder
düsterer Sinn und Abgötterey entheiligen Salomos
Alter. Das Reich wird nach seinem Tode zerrüttet. Die
Zeiten des Unglücks, die durch die Ueppigkeit vermehrten
Bedürfnisse, das Sittenverderbniß, verdrängen die Religion
aus den Seelen, aber machen auch die Sehnsucht nach den
göttlichen Jdeen lebhafter im Geiste einzelner edlerer Männer.
Trotz des Spottes mancher ihrer Zeitgenossen beharren
diese Propheten in der Zuversicht auf das Urwesen, halten
ihrem Vaterlande seine Vergehungen vor, und machen
es auf seinen Verfall, aber auch auf seinen künftigen Erretter |#f0039 : 515|

aufmerksam. So wie die Geschichte der Erzväter,
wo Gott in der Natur dem Menschen noch näher war, eine
naiv schöne Poesie ist, so hat in der prophetischen Poesie
der alttestamentarische Styl die letzte Höhe der Heftigkeit
und des Grausenden erreicht. Denn Gott hat sich fast
ganz von seinem gesunkenen Volke getrennt, und diese Trennung
des gesetzlichen Wesens von der verderbten Menschenwelt
muß die Phantasie der letztern zu einer leidenschaftlichen
Düsternheit stimmen. Was die Propheten weissagten, geschieht.
Der Untergang des hebräischen Staats zieht auch
den Tod der hebräischen Poesie, zugleich mit ihr aller wahren
Religiosität nach sich. Wie bey den Römern die Jdee
der Vaterlandsliebe, so war auch in der jüdischen Provinz
Judäa die begeisternde Jdee der Gottheit kraftlos geworden.
Nach alten von den Sternen herabgekommnen, von allen
orientalischen Völkern anerkannten, von allen jüdischen Propheten
wiederholten Weissagungen soll mit dem Anfang des
fünften Jahrtausend ein errettender Gesalbter das göttliche
Leben, das mit dem Paradiese verlohren ging, in einem
höhern himmlischen Glanze herstellen, den Fürsten der
Welt überwinden, und als Menschensohn die Regierung
der Welt antreten. Die Juden erwarten den Geweissagten
mit Ungeduld. Sie hoffen von ihm Befreyung vom
ausländischen Joch, neuen weltlichen Glanz, sie hoffen, er
werde ein ausschließender Wohlthäter ihrer Nazion seyn.
Und dieser Messias, aber mehr als ein weltlicher Fürst der
Juden, das geistige Licht aller Völker, die im Dunkeln wandelten,
wird geboren. Alle Kennzeichen treffen zusammen, |#f0040 : 516|

um ihn, wiewohl noch insgeheim, zu seinem furchtbaren
großen Berufe einzuweihen. Der neue Messias sollte aufgehen,
aus der Höhe, plötzlich erscheinen, wie ein Stern
aus dunkler Nacht, aber aus Betlehem kommen, und vom
Stamme Davids seyn. Und geleitet von den Sternen finden
die Weisen den neugebornen Christus, aus Davids
Stamm in Betlehem. Aus der Dunkelheit einer heiligen
Nacht, welche symbolisch seine Wiege umschattet, in der
die Himmelsgeister den Menschen einen höhern Frieden verkünden,
geht auf die neue Erleuchtung der Gemüther über
die Erde. Das Geräusch der unheiligen Welt verbirgt die
größte Begebenheit, welche die Geisterwelt auszeichnet, die
Geburt des Sohnes Gottes, durch den die einzig wahre
Religion verbreitet werden sollte. Er, der bestimmt war,
die göttliche Freyheit in sich zu finden, er, der aufgerufen
war, das lehrende Vorbild, die neue belebende Seele der
Menschheit zu seyn, mußte der Sohn einer Jungfrau seyn
durch den Geist Gottes. Das Kind wird dem Herrn dargestellt
in seinem Tempel, und prophetische Seelen weissagen
Marien von ihm, er sey gesetzet zum Fall und zum Auferstehen
vieler auf Erden, und zu einem Zeichen, dem widersprochen
wird, und ein Schwert werde dringen durch die
Seele seiner Mutter, auf daß offenbar würden der Herzen
Gedanken. ─ Das Kind wächst, wird stark im Geist, und
seiner hohen Bestimmung sich immer deutlicher bewußt.
Schon als Knabe sitzt er unter den Lehrern im Tempel.
Wisset ihr nicht, sagt er zu den ihn suchenden Eltern, daß
ich seyn muß in dem, das meines Vaters ist? ─ Vor ihm |#f0041 : 517|

her geht Johannes, der Prediger in der Wüste, und verkündet
laut, daß er dem Herrn seinen Weg bereite. Jesus
läßt sich von Johannes taufen. Gott selbst erleuchtet in
diesem Augenblick beyder Seelen und erklärt ihn für seinen
Sohn. Von nun an ist Jesus voll des heiligen Geistes und
seines höchsten Berufs gewiß. Er sieht die Menschheit um
sich her in ihrer Ermattung. Alle haben den Wunsch besser
zu werden, keiner den Muth, alle haben den Namen Gottes
im Munde, keiner den Glauben an ihn im Herzen. Sie
ringen nach zeitlichem Genuß, und verachten ihn, wollen
Glück, und verstehen nicht die Kunst glücklich zu seyn. Sie
dienen dem Mammon und dem Fürsten dieser Welt, und
heucheln den Dienst des Ewigen. Sie besitzen in Angst und
klügelnder Sorge das Leben, und zittern vor dem Tode.
Sie fühlen sich unwürdig der Ewigkeit, und haben auch keine
Sehnsucht nach ihr. Der Gott der Rache hatte die moralische
Welt wie in Trümmern geworfen. Auf der Erde
krochen nichts, wie egoistische, vom Fürsten der Finsterniß
beseßne, in sich verschloßne, von sich abgewandte, von
keinem Hauche der Liebe erhobene Wesen. Es war keine
Einheit des Willens, keine helle lichte Jdee, an der sich die
bessern Seelen erkennen, zu der sie sich sammeln konnten.
Es ist ein banger Stillstand in der geistigen Natur. Und
der Geist Gottes, die unbekannte Stimme, treibt Jesus
hinweg von den Freuden der Erde, über welche er erhaben
ist, welche ihm widerstehen, weil sie nicht mehr Freuden der
schuldlosen Natur, sondern der Verderbtheit und klugen
egoistischen Ueberlegung sind, treibt ihn hinweg in die Wüste. |#f0042 : 518|

Und noch einmal macht der Fürst der Welt einen Versuch auf
die Menschheit des Sohnes Gottes. Er tritt zu ihm, der
Verführer, stellt ihn auf einen hohen Berg und zeigt ihm
alle Reiche der ganzen Erde in einem Augenblicke. „Bete
mich an, sagt er zu ihm, so soll alles dein seyn.“ ─ Aber
Jesus verschmäht das Reich eines weltlichen Messias, das
die Juden erwarteten, und antwortet: „Es steht geschrieben,
du sollt Gott deinen Herrn anbeten und ihm allein dienen.“
Und mit diesem Entschlusse wird er sich ganz der
eigenen Gottheit bewußt. „Es steht geschrieben, sagt er
zum Satan, du sollst Gott deinen Herrn nicht versuchen.“
Von nun an fühlt er, daß seine Stunde gekommen ist, von
nun an zeigt sich nur Gott in seiner reinen Seele. Er tritt
in die Welt, allein auf gegen die Welt, mit vollem Bewußtseyn
seiner göttlichen Freyheit, mit vollem Bewußtseyn,
daß er gekommen sey in dies Chaos der irdischen Geister,
der neue moralische Schöpfer zu werden, die bange
Hemmung in den Gemüthern, die Schranken zwischen den
Seelen aufzuheben, und mit dem Hauche der Liebe die Erde
von neuem zu beleben. Als Gott kann er die von Gott verlaßne
Menschheit nicht achten, als ihr neuer Schöpfer muß
er sie lieben, indem er in ihr den Wiederschein seiner eignen
Gesetzlichkeit ahnet. Er weiß es, daß in ihm der Urgeist
ist, der Himmel und Erde bewegt, er weiß es, daß
er eher war, denn Abraham, daß er eine Herrlichkeit bey
Gott hatte, ehe denn die Welt war, daß durch ihn alle
Dinge geworden sind. Den Gott, den die Propheten nur
außer sich ahneten, den die Menschen nur dem Namen nach |#f0043 : 519|

nannten, um ihn zu fürchten und sich und andre mit dem
Worte zu quälen, den sieht Jesus in sich von Angesicht zu
Angesicht in voller Reinheit, als Gott der Liebe. Und
das alte Schicksal erfüllt sich, Gott und die Menschheit,
die ganz von einander getrennt waren, sind in Einem
Mittler vereint. Jesus weiß, daß er von oben herab gekommen
ist in die Welt, aber er weiß auch, wohin er geht.
Er selbst hat sein Schicksal in und durch Gott zum Besten
der Welt bestimmt, und er folgt mit freyer Selbstbestimmung
diesem nothwendigen Schicksal. Die in ihren eignen
Augen gesunkne Menschheit bedarf eines schuldlosen Opfers,
eines Vorbilds, an das sie glauben könne, um an sich selbst
zu glauben, eines wahren Menschen, der ganz allein Gott
lebte und starb, der sich ganz heiligte für die menschliche
Natur, damit der Geist der Wahrheit zu ihr komme. Die
Menschheit bedarf die Hinwegnahme des erblichen moralischen
Uebels in dieser Welt, vermöge dessen sich jeder als ein
blos sinnlich kluges Wesen selbst verachten muß. Sie muß
ihrer Aufnahme in die göttliche Freyheit, in die höhere vollkommne
himmlische Natur sichtbar gewiß werden. Der erzürnte
Gott, der mit dem Abfall der Menschen von der Natur
zur Weltklugheit die Strafe der Selbstverachtung und
des physischen Uebels über sie verhängt hatte, mußte ganz
versöhnt werden. An die Stelle der schwachen Erkenntniß
und Weltklugheit, mit welcher jene ewig strafende Selbstverachtung,
die Hölle des Lebens, unauflöslich verbunden
war, mußte die freye göttliche Liebe und der Glaube kommen.
Darum forderten die alten Weissagungen das Leiden |#f0044 : 520|

und den Tod des Messias, damit die Menschheit in ihm
überwinde, mit ihm in lichterer Gestalt wieder auferstehe.
Jesus geht seinen großen Gang mit Unterwerfung, mit Ergebung
in den Willen des Gottes, der sein höheres Selbst
ist. Er geht einher, wie der Herr der Erde, aber ohne
sich der physischen Macht anders, als zur Unterstützung seiner
geistigen Lehre zu bedienen. Seine Wunder sind nicht
Schrecken für die sinnliche Natur, sie sind Wohlthaten, die
das höhere Heil verkünden. Die Blinden sehen, die Gebrechlichen
gesunden, die Todten wandern lebendig, die
schwarzen Dämonen weichen von den krampfhaften beseßnen
gequälten Sterblichen. Allen hilft der Glaube, der Berge
versetzt. Petrus geht auf dem Meer durch den Glauben.
Ein krankes Weib berührt heimlich des Messias Gewand,
und von Stunde an weicht von ihr das Uebel. Die Natur
huldigt dem moralisch lehrenden Gotte der Erde, dem ein
staunendes begeistertes Volk durch das Land nachströmt.
Aber die Schätze, die das höhere Leben tödten, und jedes
Ansehn weltlicher Macht zu gebrauchen, verschmäht er.
Denn eben die Schätze der Erde und die weltliche Macht sind
es, die gedehmüthigt werden sollen, wie die stolze äußere
Ehrbarkeit und das Wissen der Pharisäer vor seinem Richterblick.
Der Sohn Gottes, dessen reine Hoheit die Demuth
gebietet, der Freund der Kinder, der Trost der Mühseligen
und Beladenen, der Versöhner der Gefallnen mit Gott, erscheint
im Gewande der Armuth, aber das Meer giebt dem
Allwissenden die Münze, die er bedarf, um den Fürsten zu
steuern, denen er ihren Zepter nicht entreißen will. Die |#f0045 : 521|

ganze neue Lehre des Wunderthäters ist Glauben und
Liebe. Er verlangt mehr als den bloßen Glauben an das
Wort Gott, das die Juden so oft entweihten. Er verlangt
den Glauben an sich, an den Gott verbunden mit
der Menschennatur. Er allein ist die Wahrheit und das Leben.
Niemand kommt zum Vater, als durch ihn. So
erhebt und heiligt er die Menschheit wieder, die nur einen
furchtbaren Gott außer sich kannte, die in ihren eigenen
Augen gesunken, von der alles wechselseitige Vertraun auf
Seelenreinheit gewichen war. Liebe Gott über alles, und
deinen Nächsten als dich selbst, ist das ganze Gesetz, das er
verkündet. Aber dies Gesetz verlangt mehr, als der alte
Buchstabe. Denn Liebe thut mehr, wie der Gehorsam, und
wer sein eignes Werk thut, mehr wie der Knecht. Darum
legt er das Gesetz der Vorfahren aus mit furchtbarer Strenge.
Mit dem begeisterten Ruf der moralischen Allmacht zieht er
die wieder gebornen Menschenherzen vom Besitze des Zeitlichen,
von der Sorge fürs niedere Leben ab. „Wer den
Pflug ergreift und sieht hinter sich, wer mir huldigen will
und auch dem Mammon, wer Weib und Kind und Eltern
mehr liebt, denn mich, der ist mein nicht werth. Wer mich
verläugnet vor den Menschen, den verläugne ich vor Gott.
Wer sein Leben behalten will, der wird es verliehren, und
wer es verliehren wird um meinetwillen, der wird es gewinnen.“
Die erschütterten längst verhärteten Herzen der
Juden fühlen die Nähe des Reiches Gottes. Aber es kommt
nicht, wie sie es erwartet hatten, es kommt nicht mit äußern
Geberden. Seine Jünger hoffen auf irdischen Vorzug |#f0046 : 522|

in seinem Reich. „Jhr wisset nicht, was ihr bittet. Könnt
ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?“ ─ Aber
er sagt ihnen voraus, daß auch sie ihn trinken müssen diesen
Kelch der Leiden für die Wahrheit seiner Lehre. Dennoch
folgen sie ihm, dennoch glauben sie an ihn. Das Reich
Gottes ist, wie ein Senfkorn, welches ist das kleinste unter
den Saamen. Er hat dieses Saamenkorn der Ewigkeit
ausgeworfen in die Furchen der Zeit, und es dem Schicksale
überlassen. Doch er weiß, daß das Göttliche siegen, durchdringen
muß in aller Zukunft. Darum weiht er seine Jünger
zu ihrer hohen Bestimmung. Sie dürfen nicht sorgen,
was sie reden werden, wenn man sie überantwortet den
Richtstühlen. Er, ihr Lehrer, wird bey ihnen seyn, wohnt
in ihren Seelen, und wird sprechen durch sie, so wie Gott
spricht durch ihn. ─ Und nun nachdem er geordnet hat die
Zwölfe und seine Lehre ausgegangen ist in die Länder, nun
geht er hinab nach Jerusalem seinem großen Ziele, dem
Tode für die sündige Welt zu. Denn es muß alles erfüllet
werden, was geschrieben steht von des Menschen Sohn.
Petrus will ihm wehren. „Hebe dich weg von mir Satan,
spricht Jesus. Denn du meynest was menschlich, nicht was
göttlich ist. Er zieht ein in der heiligen Tempelstadt und
des wankelmüthigen Volkes Zuruf segnet ihn. Die Palmen
des Landes, in dem noch überall Spuren von der Gnade
des Ewigen sind, erschallen noch einmal von dem lauten
Hosianna, zum letztenmal von begeistertem feurigen Prophetengesang.
„Gesegnet sey, der kommt im Namen des
Herrn!“ Aber itzt kommt kein Prophet. Der Sohn selbst, |#f0047 : 523|

der Erbe zieht ein in den Weinberg seines Vaters. Das
Volk Gottes hat seine Bestimmung vollendet, es soll verschwinden
vom Schauplatz der Welt, zerstreut werden unter
die Menschen. Das Reich ist von ihm genommen und den
Heyden gegeben. Ach es muß nach dem Fluch des Schicksals
verdorren, wie der Feigenbaum, der keine Früchte trägt.
Christus sieht die auf ihre alte Heiligkeit stolze Stadt und
weinet über sie. Dieser Tempel soll abgebrochen werden,
und die menschliche Natur allein der Tempel des versöhnten
Gottes seyn. Der Erbe der ewigen Wahrheit, der göttliche
Richter der Erde, findet sein Erbtheil besessen von Feinden,
entheiligt vom Priesterthum, von heuchelnden Predigern
der nur äußern Gesetzlichkeit. Der sein Brod isset,
tritt ihn mit Füßen. Er treibt aus dem Hause seines Vaters
die, welche es durch niedern Eigennutz entweihen, er
schilt die Pharisäer. Er ist in ihren Augen ein Aufrührer,
ein Wahnsinniger. Die Stunde seiner Ueberantwortung
kommt, und er weiß es. Er nimmt Abschied von seinen
Jüngern in heiliger Nacht. Er, das Wort der Liebe, die
allbelebende, allernährende Seele der neugeschaffnen himmlischen
Welt, die neue höhere Natur, die von nun an wohnen
soll in dem Menschengeschlecht, welches der niedern Natur
entsagt hat, ordnet eine neue Speise, einen neuen
Trank, das Fleisch und das Blut seines göttlichen Leibes,
das alle seine Glieder begeistern soll zum höhern Leben. Das
göttliche Blut, das für die Welt vergossen ward, soll aus
dem Einen, der sich opferte, übergehen in alle, in denen
er leben wird. Hier ist keine Bedeutung (wie die Reformirten |#f0048 : 524|

meynen). Es ist die wirkliche Nahrung der christlichen
Gemeinde. ─ Er, der die Welt überwunden hat,
geht nun zum Vater, um seinen Gläubigen die Stätte zu
bereiten. Mit aller Hoheit seines göttlichen Wesens duldet
er nun die Leiden und den Spott blinder Weltmenschen, die
nicht wissen was sie thun, duldet er nun einen Tod, zu dem
er sich aus freyer Liebe im Vertraun auf das höhere Selbst
des Weltalls bestimmt hat. Seine Worte am Kreuz sind
Sphärengesang in den Ohren der Geister, die würdig sind
sie zu fassen. Der bitterste Kelch, die trübste Minute in
der ganzen Geschichte der Seelenwelt, der Augenblick, wo
er ruft: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
verlassen? mit einem Ruf, der durch das innerste Mark
alles Lebens dringt, geht vorüber. ─ Er befiehlt sein
menschliches Jch in die Hände des Gottes der Liebe, dem
er sich nach den Anordnungen des Schicksals opfert. Die
Erde bebt. Er stirbt, und es ist vollbracht. Und von
nun an ist alles himmlisch, von nun an kein Tod mehr,
überall schöpferisches geistiges Leben in der erleuchteten Natur.
Mögen die verfinsterten Juden den Leichnam bewachen,
Christus, der Sohn des Unsichtbaren, der sich in
Gewißheit der väterlichen Liebe dem höllischen Abgrund des
Grabes übergab, hat im Bewußtseyn der Göttlichkeit durch
seinen eigenen Tod den allgemeinen Tod in der Seelenwelt
bezwungen. Mit allmächtiger Hand schmiedet der Gestorbene
tief in der Hölle es an, das undenkbare Ungeheuer,
auf daß kein Gedanke mehr an denselben in den christlichen
Himmel komme. Die Verwesung kann nicht vernichten, |#f0049 : 525|

was einmal vom Worte der Liebe beseelt und neugeboren
war. Ohnmächtig steht der von Gott abgefallne schwarze
Geist der sich frey und klug dünkenden niedern Selbstheit.
Die Menschen haben kein Jch mehr, das mit Stolze von
ihm besessen und gequält werden kann. Sie haben kein Jch
mehr, das Vernichtung verdient. Und Christus, der Schöpfer
des Himmels auf Erden, ist auch der erste, der ersteht
in diesem seinen irdischen Reiche. Boten Gottes sitzen
auf seinem offnen Grabe. Er selbst, der König der Geisterwelt,
tritt unter seine erleuchteten Gläubigen, und legt
die Hände auf sie. „Friede sey mit Euch. Gehet hin und
lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters, des
Sohnes und des Geistes. Siehe ich bin bey Euch alle
Tage bis an der Welt Ende.“ Dann verschwindet er auf
immer sichtbar aus ihren Augen. Aber ausgegossen wird
auf sie die Feuertaufe des Geistes. Und sie thun, wie
ihnen geboten ward. Sie lehren in allen Sprachen der
Fremde, thun Wunder, und sterben den Märtyrertod.
Die Erleuchtung breitet sich aus. Der größte Theil der
gebildeten Erde huldigt dem neuen Glauben. Die übermüthigen
weltlichen Jdole des Götzendienstes werden umgestürzt,
und das Zeichen der Demuth, der über den Stolz
erhabenen göttlichen Liebe, der Trost der Leidenden, das
Kreuz, an das sich so viele sterbende Geschlechter der Menschen
hielten, überall erhöht. Nach langen Jahrhunderten
zogen fremde noch halb rohe Nazionen, Kaiser und Könige
mit abgelegten Zeichen der weltlichen Ehre an der Spitze
ihres Heereshaufen, andächtig zu dem heiligen Ort, wo der |#f0050 : 526|

von seinem Volke verachtete Christus litt. Aber, was mehr
ist als dieses, noch nach langen Jahrhunderten erhob die
wohlthätige Jdee des Gottes und Menschen, des Einzigen,
in dem die Menschheit, nach dem Gesetze des
Schicksals, sich selbst anbeten, sich vor dem Richter
rein nennen darf, die vom niedern Leben gedemüthigten,
unter der Last des Staubes erliegenden Seelen.
Die vor dem Allerheiligen zitterten, lernten ihn lieben,
weil er ihres Gleichen war, weil er, wie sie, kämpfte
und ihre Schwächen hinwegnahm. So war das irdische
Leben des Helden der biblischen Geschichte, das man nur
allein in den Evangelien kurz und rein dargestellt findet.
Menschliche Dichter versuchen umsonst mit dem Schwunge
ihrer Einbildungskraft die Züge jener Wundergeschichte zu
verschönern. Andächtler versuchen umsonst durch weitschweifige
Betrachtungen die Menschen aufmerksamer darauf zu
machen. Nur Christus selbst hat Worte der Ewigkeit. Aufklärer
versuchen umsonst dieses Leben seiner wundervollen
Wirksamkeit zu berauben und es in die gemeine Sphäre profaner
Begebenheiten herabzuziehn, weil es zu innig mit
allen Bedürfnissen des menschlichen Gemüths verwebt ist.
Noch schallt der Name Christus in unsern Tempeln. Aber die
zwey allerwärmenden Jdeen seiner Lehre und seines Wandels,
Glauben und Liebe, sind nur noch in wenigen Seelen.


§. 3.


So weit von der biblischen Poesie nach ihrem
Hauptinhalte. Die besondern Formen, welche |#f0051 : 527|

die Poesie des alten Testaments an einzelnen Orten annimmt,
sind schon von vielen Gottesgelehrten bestimmt
worden, und erfordern eine eigene Bearbeitung.


Anmerk. Als Stücke der höhern lyrischen Poesie
sind zu merken: 1) die hebräische Ode. Daß auch sie ursprünglich
mit Musik verbunden war, zeigt die Ueberschrift
vieler Psalmen: Lamnazeach, wenn dies anders richtig
mit dem Vorsänger oder vorzusingen übersetzt wird. Denn
die Erklärung der Worte, welche musikalische Jnstrumente
u. dgl. bedeuten, ist sehr ungewiß. Zur eigentlichen Ode
kann man die Psalmen rechnen, wo Einer spricht, es sey
nun David oder ein anderer Verfasser. Der lyrische Jdeengang
der Psalmen hat viel Aehnlichkeit mit dem horazischen.
Das Gedicht beginnt mit einem Aufruf, einer begeisterten
Frage, mit einer feyerlichen Vorbereitung zum Gesang, mit
einer Sentenz. Die Uebergänge sind rasch und kühn, es
giebt historische Digressionen, und oft verliehrt sich der Dichter
in einer Episode, in einer Allegorie, und schließt mit ihr.
Doch bleibt er auch wohl seinem großen Gegenstande, welcher
gewöhnlich das Lob Gottes ist, getreu. Oft wechselt
der erhabene Styl mit dem sanften Schönen und Reizenden
ab. 2) Die hebräische Hymne. (Ode in Liederform,
wo mehrere Chöre mit Jntermezzos und auch einzelnen
Stimmen abwechseln, z. B. Psalm 8.) Hierher gehören
auch die Siegeshymnen Mosis, der Debora und Davids.
Die älteste dieser Art ist das Danklied Mosis am
rothen Meer. 3) Die Prophezeyungen, Orakel und Visionen |#f0052 : 528|

, welche ebenfalls im höchsten Odenschwunge sind.
Besonders ist hier die Sammlung zu merken, bey welcher
Jesaias zum Grunde liegt. Ezechiel ist der hebräische
Aeschylus. Die bilderreiche, in Ansehung der Zeiten unbestimmte
Sprache der Hebräer ist für die Orakel sehr passend.
Als Stücke der niedern lyrischen Poesie kann man merken:
1) die hebräische Elegie, die oft im Tone der
Nänie, oft ein ruhigeres ἐπικηδειον ist. Hier sind besonders
die Klagelieder des Jeremias anzuführen, eine Sammlung
in Form der Todtengesänge gewöhnlich in fünf
Theilen und dramatisirend. Die Verse sind alphabetisch,
das Metrum langsam, schleppend, vielsylbig. Die Hebräer
hatten ganze Elegieensammlungen, mehrere Psalmen
sind rührende Elegieen. Vorzüglich schön ist die Elegie
Davids auf Sauls und Jonathans Tod mit einem Chor.
2) Die lyrische Jdylle der Hebräer. Lyrische Gedichte
im naiven Hirtenton. Hierher kann man den Propheten
Amos rechnen. ─ Die einzelnen Stücke der darstellenden
Poesie bey den Hebräern sind: 1) historisch. a) erhabene
Geschichte.
Als Heldengedicht kann man die
Bücher Moses ansehen, der in mehrerm Betracht der Homer
der Hebräer ist. Einzelne dramatische Stücke giebts
in den Propheten, die oft personifiziren und handeln lassen.
Das Buch Hiob, das hohe Lied Salomonis, sind beyde
dramatisirt. Doch ist es keine eigentliche Handlung, weswegen
wir das erste zum Lehrgedicht, das andre zur Allegorie
zählen. ─ Erhabne Geschichte in Liederform, wie altyrinchische
Hymnen ─ kleine historische Psalmen, z. B. 78. |#f0053 : 529|

Einige nennen dergleichen Stücke Jdyllen, im weitsten
Sinne des griechischen Worts, wo es ein kleines vollendetes
Ganze heißt (εἰδυλλιον). b) Geschichte, die mehr zum
niedern Schönen Stoff giebt ─ z. B. historische Jdyllen.
Hierher kann man das Buch Ruth, manches aus
dem Leben der Erzväter rechnen u. s. w. 2) Die darstellende
Poesie der Hebräer hat auch vorzüglich didaktische
Stücke aufzuweisen. Hierher gehören a) Lehrgedichte in
bistorischer Form, z. B. das Buch Hiob, eins der erhabensten
glänzendesten Gedichte des Alterthums, das aber
nicht ganz zu den Nationalwerken der Jsraeliten zu gehören
scheint. Es liegt zwar eine dramatische Geschichte zu
Grunde. Allein der Hauptgegenstand ist der Streit Hiobs
und seiner Freunde, und Gottes Ausspruch, eine Theodizee
wegen des Uebels in der Welt, welche Ergebung in den
Willen, in die höchste Weisheit und Majestät Gottes verlangt.
b) Lehrende Systeme. Hierher kann man das
Predigerbuch oder die predigende Weisheit Salomons rechnen.
Die Hauptlehre ist Vergänglichkeit und Hinfälligkeit
der menschlichen Dinge. Also ist Zusammenhang im Ganzen.
c) Sammlung von Sentenzen, ‎‏כילשמ‏‎. Die
Sprüchwörter und kurzen Sentenzen, und überhaupt der
gnomische Styl ist der hebräischen Poesie als Poesie vorzüglich
eigen. ─ Hierher gehören die Sprüche Salomons.
Sie haben eine Einleitung, und alsdann folgen abgerißne
Parabeln und Sprüche. Nachahmungen davon sind das
Buch Sirach und die Weisheit Salomons in griechischer
Sprache. d) Lehrgedichte in Liederform, z. B. manche |#f0054 : 530|

Psalmen, die alphabetischen. 3) Es giebt auch beschreibende
Gedichte, Beschreibungen in Liederform. Manche
Psalmen sind hierher zu rechnen, die nicht den freyen
lyrischen Charakter haben, sondern die Majestät Gottes im
Weltall schildern. 4) Endlich giebt es auch allegorische
Gedichte. Hierher kann man im alten Testamente nach
christlicher Auslegung besonders das hohe Lied Salomons
rechnen. Es ist eine mystische Allegorie, die nur erst
durch das Christenthum volle Bedeutung erhielt. Gott
liebt die Seelenwelt, wie schon nach hebräischer Vorstellungsart
Jehova seine Nazion, und sie wird mit ihm vermählt.
Christus deutet auch oft auf diese Allegorie,
wie er sich überhaupt als moralischer Lehrer der Parabeln
bedient.


[Abbildung]

|#f0055 : E531|

Zweyter Abschnitt.

Von der menschlichen Poesie. ────── |#f0056 : E532|
|#f0057 : E533|
[Abbildung]

Erstes Kapitel.

Von der lyrischen Poesie. ──────


§. 1.


Die lyrische Poesie ist diejenige, in deren
Produktionen die Empfindung des Schönen ganz frey
und an keinen individuell bestimmten Gegenstand gebunden
erscheint.


§. 2.


Da die Gemüthsstimmung des Dichters sich entweder
auf das höhere oder auf das niedere
Schöne richten kann, so giebt es eine höhere und
eine niedere lyrische Poesie.


[Abbildung]


Erster Unterabschnitt.

Von der höhern lyrischen Poesie.


§. 1.


Die Gedichte der höhern lyrischen Poesie,
welche nicht durch eine zufällig hinzukommende be= |#f0058 : 534|

sondere Form einen andern Namen erhalten, wollen
wir im Allgemeinen Oden nennen.


Anmerk. Diese griechische Benennung ist ursprünglich
musikalisch, wie die ganze lyrische Poesie von
der Lyra herstammt, welche Merkur erfand. ─ Ὠδος
heißt nach einigen Grammatikern der große Becher, der bey
den griechischen Gastmählern mit Gesang herumgegeben
wurde. Sonach wäre Ode und Skolion oder Tafellied ziemlich
synonym. Man ist indeß bey allen Nazionen übereingekommen,
alle lyrische Gedichte höherer Art, sobald sie
durch keine besondere zufällige Form einen andern Namen
bekommen, Oden zu nennen.


§. 2.


I) Theorie der Ode. 1) Da die Materie der
Ode eine lyrische durch kein Objekt fixirte Gedankenreihe
ist, welche die Stimmung des höhern Schönen
nährt, so ist alle Einheit, welche diese Dichtungsart
verlangt, nur darinnen zu suchen, daß die
Empfindung des höhern Schönen in ihr herrschend
bleibe. Das höhere Schöne hat mehrere Unterarten.
Das Große, das Starke, das Heftige, das Erhabene.
Diese können in einer Ode mit allen ihren Modificationen
unter einander abwechseln. Selbst das
niedere Schöne kann darein verwebt werden. Nur |#f0059 : 535|

darf es nicht überwiegend seyn. Am allerwenigsten
darf es unter einer Modification erscheinen, welche
das höhere Schöne stöhrte.


Anmerk. Da die Stimmung zum höhern Schönen
eine ungewöhnliche Gemüthsbewegung ist, welche im Menschen
mehr durch Leidenschaften, als durch kaltes Denken
gewirkt wird, so ist begreiflich, warum einige den wesentlichen
Jnhalt der Ode in Schilderung der Leidenschaft
gesetzt haben. Allein die Schilderung der Leidenschaft, die
dunkle heftige Empfindung macht eigentlich nicht das Gedicht,
sondern der Sieg, welchen die Vorstellkraft der Phantasie
ihr abgewinnt, wenn sie das Begehren des Gemüths
im hellen Lichte der Schönheit zeigt. Durch die Leidenschaften
kommt allerdings viel geistiges Leben in die Ode. Die
eigentliche Ode muß aber doch mehr für die Fantasie, als
für das Herz seyn. Darum heißt sie auch oft εἰδυλλιον,
ein kleines Gemälde. Das Herz findet mehr Nahrung in
der Elegie, welche bey der Leidenschaft länger verweilt.
Auch ist der Odendichter oft nur in einer bewundernden
Stimmung, nicht in einer begehrenden. ─ Horaz
scheint in seiner Arte poetica der Ode eine bestimmte Gattung
von Gegenständen anweisen zu wollen. Musa dedit
fidibus Divos, puerosque Deorum et pugilem victorem,
et equum certamine primum et iuvenum
curas et libera vina referre
. Er scheint hier vorzüglich
den Pindar und die andern griechischen Lyriker in Gedanken
gehabt zu haben. Allein man muß die Veranlassung |#f0060 : 536|

der Ode von dem eigentlichen Hauptinhalte unterscheiden.
Die Veranlassung der Ode kann bestimmt
seyn. Die Gedankenreihe selbst ist und bleibt unbestimmt.
Die Veranlassung erweckt im Dichter die Empfindung
des Schönen, und diese nährt er durch willkührliche Gedanken.
Diesen Gedanken nach wechseln im Gedicht Beschreibungen,
Lehren, Erzählungen ab. Aber dies alles sind
episodische Nebenideen, zusammengekettet durch eine freyere
Jdeenassociation. Man hat gefragt, ob eine Ode Handlung
enthalten könnte. Jm eigentlichen Sinne dieses
Worts muß die Frage verneint werden. Die Darstellung
einer Handlung würde die Jdeenreihe nicht durch sich
selbst, sondern durch äußere Umstände ganz bestimmen.
Oden sind also fehlerhaft, wo man sich den Gang der Gedanken
nicht durch die Gemüthsstimmung des Dichters selbst,
sondern durch vorausgesetzte äußere Veränderungen erklären
soll. Wenn also z. B. in einer Ode sich der Dichter eine
geliebte Nymphe denkt, die er verfolgt, und plötzlich ausruft:
„Ha, dich, flüchtiges Reh, dich hab ich erhascht!“
so ist dies nicht zu billigen, weil man sich dabey äußere
Umstände denken muß, die die Jdeenreihe nicht bloß veranlassen,
sondern immerfort nen bestimmen. Es giebt zwar
ganz erzählende Oden, der Einkleidung nach, z. B. die
Weissagung des Nereus, Horaz I. 15. Allein wenn gleich
die Vorbereitung historisch ist, welche uns einen Schauplatz
gleichsam für die Ode bestimmt, so ist doch die Weissagung
des Nereus selbst lyrisch, eine ganz freye, objektiv
unbestimmte Gedankenreihe. Es giebt auch dramati= |#f0061 : 537|

sirte Oden, wo mehrere historisch bestimmbare Personen
sprechen, z. B. Horaz I. 28. Doch auch hier liegt keine
Handlung zum Grunde. Die Gedankenreihe des Gesprächs
ist lyrisch so verbunden, daß man weiter keine äußern Umstände
braucht sie zu erklären. Zwey sprechen. Aber es
ist, als wenn nur Einer spräche. So fließt eins aus dem
andern. ─ Es giebt auch Oden, wo der Dichter sagt,
daß er handeln will, wo er uns Entschlüsse bekannt macht.
Z. B. „Freund, laß die Laub uns schließen“ u. s. w. Klopstock
an den Rheinwein. cf. Horaz I. 27. Hier spricht
Horaz mit seinen Freunden beym Gastmahl. Zwischen den
Worten depone tutis auribus und ah miser kann man
sich zwar eine Handlung denken, als wenn der Freund dazwischen
gesprochen hätte. Allein es läßt sich auch so erklären,
daß Horaz ahnet, was er antworten wird, wie
Klopstock in der Rheinweinode und weiter spricht. Auch
dadurch bekömmt die Ode noch keine Handlung, wenn die
Phantasie des Dichters ihm etwas vergegenwärtigt, wie in
Klopstocks Ode an Ebert: „Leitet den sterbenden Greis!“
Nur muß die augenblickliche Stärke der Begeisterung so groß
seyn, daß man sich die Handlung als phantastisch, nicht als
wirklich denkt. Klopstocks Wingolf ist ein künstliches
dramatisches Odengebäude. Für solche und ähnliche Stücke
sollte man mehr den Ausdruck lyrische Scene gebrauchen.
Wo wirkliche Handlung zum Grunde liegt, ist es
eine historische Dichtungsart, und die lyrische Form zufällig.
─ Will man übrigens, wie Klopstock einmal in seiner
Gelehrten Republik, jeden Entschluß in der Seele, jedes |#f0062 : 538|

Schwanken, Zweifeln u. s. w. eine beginnende Handlung
nennen, so läßt sich dawider nichts einwenden, allein dann
ist das Wort nicht kunstmäßig gebraucht. ─ So viel zur
Erläuterung des Satzes, daß die Ode keinen objektiv bestimmten
Jnhalt habe.


Anmerk. 2. Am wirksamsten ist der Gang der ästhetischen
Empfindungen in der Ode, wenn das Gedicht mit
dem Heftigen, Starken, Großen oder Feyerlichen beginnt,
und mit dem Erhabenen schließt. Denn dies ist der natürliche
Gang des menschlichen Geistes. Doch kann man den
Dichter hierin nicht beschränken. Nur müssen die Uebergänge
aus einer Untergattung des Schönen in die andere
nicht widernatürlich und zu kontrastirend seyn. Man kann
hier viele interessante Bemerkungen machen, wenn man die
schönsten Oden nach theoretischen Bestimmungen analysirt.
Man nehme z. B. d. Horaz. Ode III. 11. Erst das Feyerliche
─ dann folgt ein heiteres Bild des reizend Schönen.
Dann das Starke, hierauf das Schauerliche, und der Schluß
ist erhaben. ─ Jn der Ode Augustam amice pauperiem
pati (III
. 2.) beginnt das Starke, dazwischen ist ein Lichtstrahl
sanfter Liebe geworfen, dann folgt das Heftige, hierauf
kommt eine hohe Empfindung. Das Bild der Tugend,
welche die Erde verläßt, ist erhaben, und die Ode schließt
wieder mit dem Starken. Da die Empfindung des höhern
Schönen eine ungewöhnliche Gemüthsstimmung voraussetzt,
so wird der Odendichter seine Seelenkräfte entweder durch
einen feyerlichen Anruf zu seinem Gesange sammeln, oder |#f0063 : 539|

er wird mit einer heftigen und lebhaften Frage beginnen:
Quo me Bache rapis? ─ Wohin wird mein Gesang verschlagen?
Uz. ─ oder eine starke große Sentenz an die
Spitze seiner Jdeenreihe stellen: Iustum et tenacem etc.
Da die Ode eine gewisse Freyheit der ästhetischen Empfindung
behauptet, so wird sie am Schlusse das Erhabene, wie
ein Epiphonem lieben, das einen unbestimmbaren Nachhall
in der Seele zurückläßt. Das niedere Schöne, welches sich
in der Ode findet, darf die Kraft der Ode nicht ganz erweichen,
es darf auch durch keine ganz kontrastirende Modification
stöhren oder beleidigen. Z. B. Das Scherzhafte
darf in der Ode eigentlich nicht statt finden. Klopstock hat
zuweilen Scherz in seinen Oden, aber allemal unter einer
edlen Form. Manche anakreontische Gedichte sind vollkommne
Oden. Manche Stücke des Horaz, in welchen die
Freude, die Liebe herrscht, sind nichtsdestoweniger vollkommene
Oden. Denn diese Dichter verbinden immer mit der
Aufmunterung zur Freude, des Gastmahls und des Bechers
den Gedanken an die Vergänglichkeit des Lebens, an den
Tartarus. Huc vina et unguenta, et nimium breves
flores amoenae ferre iube rosae. ─ Linquenda
tellus et domus et placens uxor
─ oder Anakreon
führt uns vom Gastmahl zur Anschauung der ganzen Welt:
ἡ γη μελαινα πινει κ. τ. λ.


§. 3.


2) Da die Ode keinen objektiv bestimmten Gegenstand
hat, aber doch eine Gedankenreihe enthält, |#f0064 : 540|

die, als solche, nicht ganz logisch unvollkommen seyn
darf, so muß in Absicht auf die Gedanken und Bilder
eine künstliche Unordnung herrschen, die auf
einen verborgenen Plan hindeutet.


Anmerk. So wie der Dichter eine zufällige Veranlassung
zu seiner Gemüthsstimmung haben darf, die er
gleich anfangs ankündigt, so kann und muß er auch einen
Hauptgedanken haben, welcher der ganzen Jdeenreihe ein
gewisses Licht giebt. Nur darf dieser nicht als der Hauptgedanke
angekündigt seyn und logisch durchgeführt werden,
sonst würde dies der Phantasie Zwang anlegen. Daher wird
er weder mit dem Hauptgedanken beginnen, noch mit ihm
schließen. Denn nur dadurch bekommt die Jdeenreihe eine
gewisse Unendlichkeit, daß sie zu Anfang und zu Ende frey
ist. Darum verliehrt sich Horaz sehr gern am Ende seiner
Gedichte in die Darstellung eines Bildes, einer Geschichte.
Er will z. B. III. 11. die Lyde rühren durch seinen Gesang.
Diese Absicht giebt er nicht gleich anfangs zu erkennen.
Sondern er ruft den Merkur an, den Erfinder des Gesangs.
Nun erwähnt er erst seine Hauptabsicht, daß er die Geliebte
erweichen will. Dann verliehrt er sich ganz in die
Erzählung der Geschichte eines liebenden großmüthigen Mädchens,
und schließt damit. Hier scheint er sich von seinem
Wege verirrt zu haben. Allein die freye lyrische Unordnung
deutet auf einen verborgenen Plan. Denn Lyde
kann an dieser Erzählung sich ein Beyspiel nehmen. ─
L. III. od. 4. ist die Hauptidee vielleicht, die Horaz hatte, |#f0065 : 541|

den Einfluß der Musen auf die Bildung der rohen Macht
dem Cäsar ans Herz zu legen. Aber sie ist nur mit einigen
Worten in der Mitte angedeutet. Das Ganze ist freye
Phantasie, die sich aber darauf bezieht. Die freye Gedankenreihe
in den Oden, welche die größte Willkühr der
Phantasie behaupten, zeigt sich auch darinnen, daß oft eine
Kleinigkeit dem lyrischen Dichter Gelegenheit zu einer erhabenen
Ansicht des Lebens giebt, z. B. Hor. III. 21. Am
allerschwersten ist der Plan der Pindarischen Oden zu entdecken
und zu behalten, weswegen Erasmus Schmid sie
auch in Tabellen gebracht hat. Gleichwohl ist Pindar mehr
wegen seines üppigen Ausdrucks, wegen seiner Jdeenassoziationen
und Uebergänge schwer. Jm Ganzen bleibt er
immer fast zu viel und zu einseitig bey seinen fürs höhere
Gefühl armen Gegenständen. Er beginnt mit der Hauptidee,
kehrt auch zu derselben zurück. Seine historischen Digressionen,
wodurch seine Öden oft unsern Balladen ähnlich
werden, sind durch die Natur der griechischen Kampfspiele
bestimmt, und nur in Zusammensetzung einzelner Gedanken
findet man lyrische Unordnung. Man kann dann wohl, wie
die Dichterin Corinna, mitunter von ihm sagen: der Same
müsse mit der Hand gestreut, nicht in ganzen Säcken ausgeschüttet
werden. Klopstocks Oden sind voll tiefen Gefühls,
und die herrschende Empfindung läßt seine Phantasie
nicht sehr herumschweifen. Nur die einzelnen Uebergänge
machen den Plan zuweilen schwer. Ramler und Uz haben
mehr den Horaz nachgeahmt.

|#f0066 : 542|


§. 4.


3) Da die Ode eine höhere Gemüthsstimmung
voraussetzt, welche durch keinen äußerlich bestimmten
Gegenstand genährt wird, also nicht bleibend seyn kann,
so muß sie ihrer Natur nach kurz und ihr Styl gedrängt
seyn. Keiner Dichtungsart kommt die hohe
Sprache zu, welche die Ode hat, weil in ihr der Dichter
allein spricht, und seine erhabenen Empfindungen
mittheilt.


Anmerk. Weder Pindar noch Rousseau machen von
dieser Regel der Kürze eine Ausnahme. Pindars Oden
nähern sich oft mehr der Natur von Erzählungen in
lyrischer Form unsrer Balladen. Nur in dieser Qualität
kann man sie nicht zu lang finden. Der Engländer Prior
hat Oden von fünf und dreyßig zehnzeiligen Strophen.
Rousseaus Oden pflegte Klopstock Dissertations lyriques
zu nennen. Sie sind zuweilen mehr Lehrgedichte in lyrischer
Form, als wirkliche Oden. Ueberhaupt kommt es bey
Classification der Gedichte auf das an, was die Hauptsache
ist. A potiori fit denominatio, wie wir schon bemerkt
haben. Es kann ein Dichter erzählen und lehren wollen,
und seiner Gedankenreihe dabey eine freyere lyrische Form
geben, als wär er an seinen Gegenstand nicht gebunden.
Dann ist er kein lyrischer Dichter, wenn er auch noch so
viel lyrische Stellen einmischt. Wiederum kann ein Dichret
nur erzählen. Wenn aber seine Erzählung ihrer
Natur nach Nebensache, Einkleidung, und nichts als das |#f0067 : 543|

Symbol einer höhern Gemüthsstimmung ist, so ist sein
Gedicht dennoch eine Ode, z. B. die beyden Musen;
Skulda von Klopstock; Bachum in remotis rupibus vidi.
Hor
. Es ist ein kleines vollendetes Gemälde von einer Empfindung
des höhern Schönen, die nicht an einen äußern
Gegenstand als Jdeal fixirt ist. Was erzählt wird, erregt
als Handlung nicht das Hauptinteresse, ist auch nicht
objektivisirte Jdee, sondern ist nur die Schilderung, das
Sinnbild einer interessanten Gemüthsstimmung. ─ Uzens
Theodizee, und Drydens Ode auf den Cecilientag stehen
vielleicht gerade auf der Gränze zwischen dem Lehrgedicht,
der Erzählung und der Ode. ─ Eben wegen der nothwendigen
Kürze, welche die Ode verlangt, ist ein großer Dichter
an nichts leichter zu erkennen, als an der Art, wie er zu
schließen versteht. ─ Der Styl der Ode muß kräftig und
gedrängt seyn, kann ans Außerordentliche gränzen. Denn
in der Ode koncentrirt sich so zu sagen die Quintessenz der
Dichtkunst. Wenn der Styl auch zuweilen seinem Gegenstande
zufolge natürlicher ist, so darf er doch nie gedehnt seyn,
wie der elegische. Daher das, was die Theoretiker bey den
Uebergängen den lyrischen Sprung nennen. Alle gewöhnliche
Mittelideen werden weggelassen. Kein andrer Dichter
wie der Odendichter darf mehr so denken wie Rousseau: Lecteur,
s'il faut tout vous dire, ne me lisez point
.


§. 5.


4) Da der Styl der Ode gedrängt, kurz und
kräftig ist, so paßt für sie auch nur ein Metrum von |#f0068 : 544|

kurzen Versen, welches den Strom der Rede in engen
Schranken hält und dadurch erhöht. Vorzüglich sind
die strophischen Versarten auf sie anzuwenden, weil
diese am meisten das Gepräge der Vollendung haben.
Der Styl der Ode ist der vollendeteste von allen, und
bedarf auch einer vorzüglich musikalischen Sprache.
Die einzelnen lyrischen Sylbenmaaße, in wie
fern sie für besondre lyrische Empfindungen passen, haben
wir schon oben genauer bestimmt.


Anmerk. Bey den Griechen war die lyrische Poesie
zuweilen nicht nur mit Musik, sondern auch mit Wendungen
des Tanzes verbunden. Daher in den Oden
und Chören Strophe, Antistrophe, Epodos. Daher
und wegen der Musik mußte die Antistrophe dem Takt nach
der Strophe correspondiren. Alcäus, Sappho, Horaz u.
s. w. haben monostrophische Oden. Diese hießen eben wegen
der Beziehung auf den Tanz, der hier wegfiel, auch
ϛασιμα. Bey den neuern Nazionen hat man den Reim
für die Ode angenommen. Aber auch hier sind Stanzen
oder besondere Reimsysteme nöthig, um dem Metrum die
gehörige Vollendung und Rundung zu geben. Bey den
Jtalienern sind besonders die Canzonen für die höhere lyrische
Poesie. Sie haben auch ihre Ballata und Contraballata,
Volta, Rivolta
und Stanza, wie die
Griechen ihre Strophen und Antistrophen, Epoden
angenommen. Manche Sonnette von Petrark sind vollkommne |#f0069 : 545|

Oden, wiewohl die Form des Sonnets für den
lyrischen Schwung eigentlich zu peinlich ist. Boileau sagt,
es sey vom Apoll zur Marter armer Dichterseelen erfunden.
Nur Petrarks hoher Geist konnte in diese niedliche
Form freyes himmlisches Leben bringen. Abraham Cowley,
der Vater der englischen Odenpoesie, hat die in diesem § behauptete
Regel, daß die strophischen Versarten für das
Wesen der Ode, als des vollendetesten Gedichts, nöthig
sind, vernachlässigt. Allein pindarisch wird dadurch eine
Ode nicht, wenn gar keine metrische Symmetrie statt findet.
Für das griechische Ohr war gewiß Pindar musikalisch genug.
Die französische Ode hat oft abwechselnd kurze und
lange Verse in ihren Stanzen, und diese Mischung trägt,
wie Fenelon bemerkt, viel zur Harmonie bey.


§. 6.


5) Die Ode nimmt verschiedene zufällige Formen
an, oder sie bekommt auch, ihrem veranlassenden
Jnhalte nach, zuweilen Nebenbenennungen, ohne daß
in beyden Fällen der Hauptname Ode ganz verlohren
ginge.


Anmerk. Es giebt, wie wir bemerkt haben, a) dramatisirte
Oden, z. B. Selmar und Selma in Klopstock,
Horaz und Lydia. Das Gespräch muß aber doch Eine einzige
lyrische Jdee seyn, ohne Handlung, sonst wird es ein
darstellendes historisches Gedicht, wo die lyrische Form zufällig
ist, eine lyrische Scene. b) Oden in Briefform. |#f0070 : 546|

Die Odendichter reden oft im Anfange ihrer Gedichte einen
Freund an, den sie sich als gegenwärtig denken. Oft hat
die angeredete Person ihrem Charakter nach wenig oder gar
keinen Einfluß in das Gedicht, z. B. Horat. Lib. II. 3.
moriture Delli, Posthume Posthume
─ Es müßte
denn seyn, daß der Dichter eine gewisse Wahrheit gerade
diesem Freunde ans Herz legen wollte. Zuweilen lernt man
doch den Freund, an den die Ode gerichtet ist, aus dem Gedichte
kennen, z. B. Albi, ne doleas. Hor. Hieraus
sieht man Tibulls elegischen Charakter. Klopstocks Oden
an Gleim. ─ Dieses macht noch nicht die Briefform. Zuweilen
ist letztere jedoch unverkennbar, z. B. Horat. I. 20.
Vile potabis etc
. und Klopstocks Gedicht: Cidli, du weinest
und ich schlummre sicher ─ c) Zuweilen giebt auch
eine besondere Modifikation des Schönen der Ode
einen eigenen Charakter. Wir haben das Satyrische zwar
zum niedern Schönen gerechnet, allein bemerkt, daß es auch
eine heftige Satyre gebe, die sich dem Erhabenen nähert.
Es giebt daher satyrische Oden. Archilochus soll dazu
den Jambus gebraucht haben. Daß Horaz auch wohl dergleichen
gemacht haben mag, zeigt seine Palinodia L. I.
od
. 16. und sein Buch Epoden. Man hat dergleichen
satyrische Oden, wo gewöhnlich ein längerer Jambe mit
einem kürzern abwechselt, nach der Bemerkung des Hephästion
Epoden genannt, welche Benennung auch von deutschen
Dichtern gebraucht worden ist. Scaliger findet in
dem Ausdruck weiter nichts, als einen Anhang von Oden.
Alle Epoden des Horaz sind nicht geradezu satyrisch. Z. B. |#f0071 : 547|

gleich die erste an den Mäzen ist nur ein Scherz. ─ Das
schöne Gedicht: Beatus ille, hat nur einen satyrischen
Schluß, der eigentlich nicht recht paßt. ─ Wegen der
Veranlassung zu manchen Oden haben sie auch zuweilen
eigne Benennungen erhalten. d) Epinicia, wurden bey
den griechischen Spielen dem Sieger gewidmet. Daher die
Pindarischen Olympionicae, Nemeonicae, Pythionicae,
Isthmionicae
. Man sollte dies nicht Siegeshymnen
übersetzen. Denn Hymne, wenn man endlich einmal eine
feste Kunstsprache einführen will, muß für die Gesänge bleiben,
wo nicht blos der Dichter, sondern mehrere zusammen
singen. e) Das Melos, Liebesgedichte (ἐρωτικα) in
freyerm Odenschwung, soll der Lyriker Alcwan erfunden
haben. Hierinnen ist Sappho vor allen berühmt. f) Die
Scolia der Griechen. Zuweilen sangen mehrere zusammen
bey den Gastmählern. Dann mochten es keine Oden, sondern
mehr gesellige Lieder seyn. Allein zuweilen ward nach
der Reihe gesungen, von jedem Einzelnen, der alsdann eine
Myrte oder einen Lorbeer auf dem Haupte und in der Hand
trug. Diese Scolia, wie wir aus dem sehen, was davon
auf unsre Zeiten gekommen ist, sind wahre Oden im freysten
lyrischen Schwung, enthielten das Lob eines berühmten
Mannes, z. B. das berühmte ἐν μυρτου κλαδι auf den Aristogiton
und Harmodius, auf den Aiar, oder eine Lebenssentenz.
Das Scolion des Timocreon Rhodius wider den
Reichthum, das gewiß bey unsern Festen nicht gesungen
werden würde, weil unsre Feste gern nichts wie Beweise des
Reichthums seyn möchten. ─ Der berühmte Päan (im uneigentlichen |#f0072 : 548|

Sinn des Worts) des Aristoteles. ─ Woher der
Ausdruck Scolion kommt, darüber ist man nicht einig. Es
wird behauptet, daß dem besten Sänger ein Becher als
Preis zuerkannt ward. Vielleicht kommt auch daher der
Ausdruck Ode.


§. 7.


II) Die Hymne ist ein Gedicht der höhern lyrischen
Poesie in Liederform, unter Voraussetzung,
daß es von mehreren Menschen bey einer feyerlichen
Gelegenheit gesungen werde.


Anmerk. Man muß also in genauer Kunstsprache
Ode und Hymne von einander ganz unterscheiden, und der
Sprachgebrauch der Dichter beobachtet auch den Unterschied.
Die Ode ist eine freye erhabene Phantasie des Dichters, die
eine Veranlassung haben kann und auch nicht. Die Hymne
hat die bestimmte Veranlassung, bey feyerlicher Gelegenheit
von einer Menge Menschen gesungen zu werden, und also
die Liederform. Zwar nennen die Alten zuweilen kleine Gebete
der Dichter, die an irgend eine Gottheit gerichtet sind,
auch wohl Hymnen. Λαβουσα μικρον ὑμνον. Anacr. θ.
Horat. L. I
. 30. ist förmlich ein kleiner ὑμνος κλητικος,
wie ihn die Griechen nannten, (nach Art der ersten Ode der
Sappho) und so mag die Hymne, für welche Cythere das
Täubchen an den Anakreon verhandelte, auch gewesen seyn.
Eigentliche Hymnen sind aber Chorgesänge, wie Horat.
L. I
. 21. und das carmen saeculare. ─ Daß das Lob |#f0073 : 549|

göttlicher Wesen die Veranlassung zu einer Hymne seyn
müsse, ist dem Sprachgebrauch nach nicht nothwendig.
Man hat Hymnen an das Licht (Abr. Cowley), an das
Grab, auf Publicität u. s. w. Schillers Gesang an die
Freude ist ganz eigentlich eine Hymne. Der Marseiller
Kriegsgesang von de Lille wird auch eine Hymne genannt.


§. 8.


1) Da die Hymne ein höheres lyrisches Gedicht
ist, so ist ihr Hauptinhalt eine Empfindung
des höhern Schönen. Da aber die Veranlassung
feyerlich ist, und vorausgesetzt wird, daß mehrere
singen, so wird nicht jede Untergattung des rührend
Schönen passend seyn. Diese Untergattungen werden
auch nicht so unter einander abwechseln, wie bey der
Ode. Denn das leicht bewegliche Gemüth des einsamen
Dichters geht eher aus einer Empfindung in die
andere über, als sich die Stimmung einer Menge
Menschen bey einer feyerlichen Gelegenheit verändert.
Es muß also mehr Einheit der Empfindung in der
Hymne seyn, als in der Ode, und das Große, das
Feyerliche durchaus herrschen.


Anmerk. Besonders muß der Aufang der Hymne
ein προσωπον τηλαυγες seyn. Man betritt ein Heiligthum.
Gewöhnlich ists ein Anruf, der die Hauptver= |#f0074 : 550|

anlassung enthalten muß, die die Singenden feyerlich
stimmt. Die sogenannten homerischen Hymnen sind
sehr simpel zu Anfang, wie überhaupt. Allein dies sind
mehr kleine historische Stücke, und können kaum zur lyrischen
Poesie gezählt werden. ─ Callimachus ist weit lyrischer.
Wie feyerlich ist nicht der Anfang seines Hymnus an
die Ceres. Man sieht den ganzen Schauplatz voll begeisterter
zum Gottesdienst versammelter Menschen vor sich. ─
Auch beym Schluß einer Hymne darf sich die Phantasie nicht
so frey verliehren, wie bey einer Ode. Denn die Veranlassung
zur Hymne ist feyerlich. Sie soll eine heilige Gemüthsstimmung
zurücklassen. Der Odendichter folgt seiner
Laune, beginnt mit Anstrengung oder Erhabenheit, und
endet leicht, oder auch umgekehrt. Die Hymne muß mit
eben der großen Empfindung enden, wie sie begann.
Auch in den homerischen Hymnen wird zum Schluß wenigstens
ein Gruß an den Gott wiederholt. Mesomedes
Hymne an die Nemesis hat den Charakter der Stärke und
des Grausenden. Darum ist auch die letzte Jdee, mit
welcher der Dichter schließt, der Tartarus. ─ Uebrigens
können sich in der Hymne selbst auch lichtere Bilder und reizend
schöne Empfindungen zeigen, wenn es die Jdeenreihe
so mit sich bringt. Nur kann die Phantasie sich nicht so
ganz denselben überlassen, wie bey der Ode.


§. 9.


2) Da die Hymne ein lyrisches Gedicht ist,
folglich die subjektive Stimmung der Singenden mehr |#f0075 : 551|

die einzelne Gedankenreihe bestimmt, als umgekehrt
die objektive Gedankenreihe die Gemüthsstimmung, so
ist auch der Plan der Hymne frey und lyrischen
Unordnungen
unterworfen. Da aber die Hymne
zugleich die Liederform hat, folglich auf mehrere
Menschen berechnet ist, und mehrere Menschen, zumal
bey feyerlicher Veranlassung, nicht so leicht von einem
Gedanken auf den andern übergehen, so bleibt hinwiederum
der Hymnendichter dem Gegenstande, der ihm
Veranlassung zum Gedicht giebt, mehr getreu, als
der Odendichter.


Anmerk. Die historischen Hymnen der Alten enthalten
mehrentheils die Thaten eines Gottes. Diesem Gegenstande
bleiben die Dichter getreu. Diese Hymnen sind
hier jedoch weniger anzuführen, weil sie schon mehr darstellende
Poesie sind. Davids Hymnen (s. oben)
enthalten das Lob Jehovas, aber er nimmt seine Bilder ohne
gezwungene Ordnung aus der ganzen Natur. Daß es bey
Zeiten christliche Hymnen gegeben, beweist die Stelle beym
Plinius Epp. Lib. X. 97. quod essent soliti carmen
Christo, quasi Deo dicere secum invicem
. Die Thaten
Christi sind auch hier der Hauptgegenstand, wie wir aus
den katholischen Messen sehen. Doch bestimmt ein einzelner
meist die Empfindung der Gedankenreihe. Die meisten
Hymnen des Prudentius sind in Ansehung der Gedankenreihe
lyrisch, z. B. Cathemerinon liber. Auch von Augustin |#f0076 : 552|

haben wir Hymnen. ─ Das Requiem oder die
Todtenmesse: Dies irae, dies ille, ist ganz lyrisch. ─
Alle geistliche Lieder der Neuern darf man nicht unter der
Kategorie von Hymnen aufführen. Die neuesten geistlichen
Lieder zumal sind mehr Lehrgedichte, gnomische Gedichte
in Liederform. Jn unsern ältern Gesangbüchern giebt es
noch eher wahre Hymnen, weil sich darinnen noch höhere
Poesie findet. ─ Popes allgemeines Gebet, Rousseaus
und Cramers Psalmen sind im wahren Hymnenton; auch
Klopstocks geistliche Lieder und manche seiner Oden.


§. 10.


3) Jndem die Hymne mehr die Empfindung beschäftigt,
als dem Geiste eine bestimmte objektive Anschauung
giebt, indem sie das Werk eines hohen lyrischen
Moments ist, der die Menschen begeistern soll,
verlangt sie auch eben so wie die Ode Kürze, Gedrängtheit.
Da sie aber durch die Liederform
etwas herabgestimmt wird, und für mehrere Menschen
berechnet ist, überdem ihr Plan etwas regelmäßiger
ist, als der der Ode, so leidet sie auch etwas mehr
Ausdehnung als letzteres Gedicht. Die Sprache der
Hymne muß wegen der feyerlichen Empfindung in hohem
Styl seyn, doch nicht ganz so ungewöhnlich,
wie der Odenton. Denn mehrere Menschen
zusammen können seltener die freyen Wendungen des
Ausdrucks nehmen, als der Dichter allein.

|#f0077 : 553|


Anmerk. Der historische Ton der alten griechischen
Hymne ist ohne allen lyrischen Schwung. Aber man findet
auch Hymnen, die wahrscheinlich in den Mysterien gesungen
wurden, wie die τελεται des vorgeblichen Orpheus.
Diese sind lauter Ausrufungen, lauter Epitheten, folglich
ganz lyrisch. Auch in der griechischen Anthologie findet
man Hymnen an den Bachus, an den Apoll in dieser Art.
Natürlich dürfen solche Hymnen nur kurz seyn. Denn sie
sind nichts als lyrische Benennungen des Gottes ohne Zusammenhang.
Unsere Litaneyen können damit verglichen
werden.


§. 11.


4) Das Metrum der Hymne darf nicht ganz
so viel Mannichfaltigkeit enthalten, als das der Ode.
Die Liederform verlangt eine gewisse leichtere
Faßlichkeit für das Ohr.


Anmerk. Die Griechen hatten anfangs den Hexameter
in ihren Hymnen. Das Metrum paßt für den historischen
Styl, ist zu ausgedehnt, aber doch ziemlich gleichförmig.
Doch haben die Alten auch in Strophen und
Antistrophen und noch freyern Versmaaßen ihre Hymnen
gesungen. Viele ihrer tragischen Chöre im Sophocles und
Euripides sind vollkommne Hymnen auf das Lob eines Gottes.
Horaz hat sein Carmen saeculare in Monostrophen
gedichtet. Die christlichen lateinischen Dichter haben zuweilen
sogar sapphisches Sylbenmaaß, oft aber auch ein leichteres |#f0078 : 554|

trochäisches oder jambisches Metrum, und so ist es
gewöhnlich bey den neuern Hymnendichtern geblieben, welche
Stanzen und Reime angenommen haben. Manche alte Kritiker
hielten den Jamben für unverträglich mit der Hymne.


§. 12.


5) Zufällige Formen und besondere Veranlassungen
haben auch der Hymne zuweilen noch besondere
Namen gegeben, ohne jedoch die Benennung
der Gattung dabey ganz aufzuheben.


Anmerk. Hierher kann man rechnen: 1) die
Kriegslieder. Tyrtäus hat zwar die elegische Form.
Seine Gedichte nähern sich aber den Hymnen. Mehr romantisch
sind Gleims preußische Kriegslieder ─ und Weissens
Amazonenlieder. 2) Die Siegeshymnen hießen bey
den Griechen Päane. Dies waren also keine Epinicia,
wo Sieger in Spielen besungen wurden, sondern feyerliche
Danklieder nach gewonnener Schlacht, wie unser Te Deum.
Der Ausruf ἰη παιαν soll bey diesen Liedern gewöhnlich gewesen
seyn. Doch brauchen die Griechen auch zuweilen das
Wort Päan von andern Liedern beym Opfern, z. B. im
Homer. Es giebt auch Skolien, die Päane genennt wurden,
z. B. Atiphrons Päan auf die Hygieia, des Aristoteles
Päan auf den Hermias, ein feuriges Loblied auf die Tugend.
3) Die gottesdienstlichen Gesänge vor dem Altar
nannte man Hymnen insbesondere. Die in den Mysterien
gewöhnlichen hießen dann zuweilen τελεται, und bestanden |#f0079 : 555|

fast aus lauter Epitheten. 4) Dithyramben. Haben mehr
den Charakter des Heftigen als des Feyerlichen. (Der
Ausdruck soll daher kommen, daß Bachus zweymal geboren
worden, δις θυρας ἀμειβων. Andere meynen, daher,
daß, nach dem Archilochus, ein Diener des Bachus so geheißen.)
Dem sey wie ihm wolle, so ist der Styl der dithyrambischen
Hymnen auf den Bachus im höchsten Grade lyrisch,
das Metrum wechselnd und voll kurzer Sylben gewesen.
Man erfand und setzte neue lange Worte dazu zusammen.
Aeschylus nennt den διθυραμβον μιξοβοαν. ─
Die Dithyramben des Pindar sind verlohren gegangen.
Eine Gattung davon hieß Hyporchema. Auch Lobgesänge
auf andre Götter, den Silen, die Cybele, den Priap u.
s. w. heißen zuweilen Dithyramben, wiewohl auch dafür
wieder andere Sylbenmaaße statt fanden (s. oben). Die
Dithyramben wurden von der freysten Musik begleitet, welcher
φρυγιος νομος hieß. Die dorische Harmonie hingegen
(δωριϛι), welche bey den Tibiis statt fand, konnte auf den
Dithyramben nicht angewendet werden. Sie war ernst und
besänftigte mehr, als daß sie hinriß. ─ Die Neuern verstehen
unter den Dithyramben Gedichte, wo der höchste lyrische
Rausch in Sprache und Sylbenmaaß ausgedrückt ist.
Sie setzen also ungewöhnliches Genie voraus. Die Ode des
Horaz: Quo me Bache rapis, mag wohl noch die einzige
Dithyrambe von Werth seyn. Die Jtaliener, Franzosen
und Deutschen haben die dithyrambische Manier nachgeahmt,
am neusten Voß und de Lisle. Klopstocks geistliche
Oden nähern sich zuweilen der Dithyrambe. Nur ein solcher |#f0080 : 556|

Dichter kann das mit Glück. Denn die größte Freyheit und
Fessellosigkeit verlangt auch die größte Sicherheit. Sonst
gilt von dem Dichter das Wort des Horaz: Vitreo dat
nomina ponto
. 4) Es gab hymnos κλητικους, φυσικους,
μυθικους
u. s. w. Man rufte die Götter, oder
hypostasirte Naturerscheinungen, Tag, Nacht. Man erzählte
die Reisen der Götter, (wie Homer, die des Apoll)
und begleitete sie mit Segenswünschen (ἀποπεμπτικους).
Man erzählte die Genealogie der Götter (γενεθλιακους)
u. s. w.


§. 13.


III) Die Heroide ist ein Gedicht der höhern
lyrischen Poesie in Briefform, unter Voraussetzung,
daß irgend ein berühmter Held der Fabel oder Geschichte
einem andern seine Empfindungen in einer
merkwürdigen Situation seines Lebens schriftlich mittheile.



Anmerk. Die Heroide ist also von der Ode in
Briefform noch zu unterscheiden. Dort schreibt der Dichter,
hier ein fingirter Held der Geschichte. Daher auch der Ausdruck
Heroide. Sulzer bestimmt das Wesen der Heroide
nicht richtig, wenn er sie zur Elegie rechnet. Das elegische
Sylbenmaaß und der gedehnte Ton, welchen diese
Dichtart beym Ovid hat, mochte Sulzern, wie auch einen
andern englischen Kunstrichter, in seinem Versuch über Pope
zu dieser Behauptung bestimmen. Allein nicht allemal ist |#f0081 : 557|

der Erfinder einer Dichtart gleich so glücklich, sie vollkommen
zu organisiren. Wenn auch Ovid wirklich die Heroide
erfunden und damit die griechische Elegie zu verbessern
gemeynt hätte, so ist noch nicht die Folge, daß er in
der Ausführung ganz glücklich gewesen sey. Auch zweifelt
man, ob die in seinen Werken vorhandenen Heroiden alle
von ihm sind. Man kennt die spielende, mehr witzige als
empfindungsvolle Manier dieses Dichters. Er konnte also
die Heroide nicht über den Ton der tändelnden, höchstens
zärtlichen Elegie erheben. Wenn man dagegen die Jdee
dieser Dichtungsart an sich betrachtet, wenn man bedenkt,
daß merkwürdige Helden und Heldinnen der Geschichte ihre
leidenschaftlichen Empfindungen in großen Situationen einander
mittheilen sollen, (ein äußerst glücklicher Gedanke)
so folgt daraus, daß diese Empfindungen solcher Seelen nothwendig
zum höhern Schönen, zur höhern lyrischen Poesie
führen müssen, und daß es nur ein Fehler des Dichters
ist, wenn er, wie Ovid, elegisch bleibt. Man kann
also behaupten, daß erst mit Popes berühmten und wahrhaft
erhabenen Heroide von Heloise an Abelard diese Dichtart
ganz ausgebildet worden ist. Wenn die höhere lyrische
Poesie die Liederform verträgt, warum sollte sie nicht auch
die Briefform vertragen? Wenn es im Fache des niedern
Schönen poetische Episteln giebt, so mußte der menschliche
Geist nothwendig auch auf die Erfindung erhabener poetischer
Briefe verfallen. Natürlich war es da, daß man
Helden und merkwürdige Menschen an einander schreiben
ließ. Klopstock verweigert in seiner Gelehrtenrepublik den |#f0082 : 558|

poetischen Briefen den Namen von Gedichten. Vermuthlich
hatte er die Sendschreiben in Gottscheds Manier in Gedanken.
Denn sonst ist kein Grund von dieser Behauptung
einzusehen. „Der Himmel selbst, spricht Pope, erfand
die Schrift zur Hülfe des Unglücklichen, für irgend einen
verbannten Liebenden, oder ein gefangenes Mädchen. Der
Buchstabe lebt, er spricht, er haucht den Athem der Liebe,
kommt warm von der Seele, und giebt treu ihr Feuer wieder.
Die jungfräulichen Wünsche zeigen sich in ihm ohne
Furcht. Er erspart ihnen die Schamröthe, gießt das ganze
Herz aus, erhält die süße Gemeinschaft von Seele mit
Seele, und bringt einen Seufzer vom Jndus zum Pole.“
Warum sollte also die Briefform eines Gedichts, selbst eines
erhabenen Gedichts unwürdig seyn? ─ Freylich ist es thörig,
wenn der italienische Dichter Crasso Adam an Eva, ein
anderer Gott den Vater an die Jungfran Maria schreiben
läßt. ─ Allein die französischen Dichter, welche den Cato
an den Cäsar, Hannibal an Flamminius, Montezuma an
Cortes, Carl den Ersten an seinen Sohn, Gabriele an
Heinrich den Vierten, Leonora an den Tasso schreiben lassen,
haben die Jdee der Heroide sehr gut gefaßt, die Ausführung
sey übrigens, wie sie wolle. Es ist gar nicht nöthig,
daß die Leidenschaft der Liebe in der Heroide herrsche. Eben
so wenig darf die Heroide, wie Eschenburg thut, als ein
dramatisches Gedicht aufgeführt werden, wenn gleich
die Personen im Ovid und andern Dichtern einander antworten.
Dramatisch ist blos das Gedicht, dessen Gedankenreihe
durch eine dargestellte Handlung bestimmt wird. |#f0083 : 559|

Die Personen in der Heroide sind aus der Geschichte. Aber
ihre Briefe sind Monologen, die sich in der Seele entwickeln
ohne äußere verändernde Umstände. ─ Es giebt
auch Oden, wo historische Personen sprechen, z. B. Nereus
im Horaz, und man nennt das doch nicht dramatisches Gedicht.
─ Da die Heroide zu den höhern lyrischen Dichtungsarten
gehört, und die schreibenden Personen in großen
Situationen sind, so ist das Heftige herrschend und eine
außerordentliche Sprache allerdings auf sie anzuwenden.
Weil aber die Natur des Briefes den lyrischen Ton wiederum
mildert, so ist deshalb der Styl etwas natürlicher,
die Uebergänge dürfen nicht ganz so rasch seyn, als in der
Ode. Aus diesem Grunde haben auch die Dichter oft dazu
das elegische Sylbenmaaß gewählt. Die Jtaliener gebrauchen
dabey die Terzinen. Bey keiner Nazion hat diese
Dichtungsart mehr Anhänger und auch Widerspruch gefunden,
als bey der französischen.


[Abbildung]

|#f0084 : E560|
[Abbildung]
Zweyter Unterabschnitt.

Von der niedern lyrischen Poesie. ──────


§. 1.


Die lyrischen Gedichte, in welchen das niedere
Schöne herrscht, wollen wir, wenn sie nicht durch eine
besondere Form, oder Modisication des Schönen eine
andere Benennung erhalten, Elegieen nennen.


Anmerk. Daß die Elegie (von ἐλεον λεγειν)
ursprünglich ein Klagegesang über den Tod eines Freundes
bedeute, scheint Ovid Amor. L. III, el. 9. andenten zu
wollen, wo er den Tod des Tibulls beweint. Flebilis indignos,
elegeia, solve capillos, ah nimis ex vero
nunc tibi nomen erit
. Horaz nennt die elegos miserabiles.
─ Er sagt, man kenne den Erfinder derselben
nicht. Wenn die Ode zur Leyer gesungen ward, so
scheint die Elegie mehr zur Tibia gesungen worden zu seyn,
und auch dies zeigt ihren Ursprung in den Todtenfesten.
Didymus definirt dies Gedicht θρηνον ἁδομενον προς αὐλον.
Späterhin ist man dahin übereingekommen, ein jedes
empfindungsvolle Gedicht, in welchem das niedere Schöne,
besonders das Sanfte herrscht, Elegie zu nennen, wenn |#f0085 : 561|

der Dichter selbst spricht. Die Elegie correspondirt also
völlig der Ode. Sie ist für die niedere lyrische Poesie, was
die Ode für die höhere ist.


§. 2.


I. Theorie der Elegie. 1) Da die Elegie
ein lyrisches Gedicht ist, so wird die Gedankenreihe
nicht durch einen äußern Gegenstand, der dargestellt
werden soll, sondern durch die Gemüthsstimmung
des Dichters bestimmt. Alle Einheit, welche
diese Dichtungsart verlangt, ist, daß die Empfindung
des niedern Schönen in ihr herrschend sey. Da
es aber mehrere Unterarten des niedern Schönen giebt,
das Sanfte, die Grazie, das Niedliche, das Naive,
so können alle diese darinnen abwechseln. Selbst das
höhere Schöne kann darinn statt finden. Nur muß
es so modificirt seyn, daß kein Contrast, keine
Stöhrung dadurch veranlaßt werde.


Anmerk. „Die Elegie, sagt ein Kritiker, ist ein
leidenschaftliches Selbstgespräch.“ Dies ist richtig,
in sofern die Leidenschaft nicht heftig ist. Die Elegie
unterscheidet sich von der Ode dadurch, daß der Dichter
sich seiner Leidenschaft mehr überläßt. Der Schwung der
Phantasie ist gebundener. Die Vorstellkraft nicht so lebhaft.
─ Das Herz ist mehr durch irgend einen begehrten Gegenstand |#f0086 : 562|

interessirt. Allein dieser Gegenstand ist an sich
nur die Veranlassung zum Gedicht. Nicht er soll
geschildert werden, sondern die Seelenstimmung des Dichters
im Lichte der Schönheit. Man darf aber auch in der
Elegie eben so wenig wie in der Ode die Leidenschaft
zum Hauptinhalte machen wollen. Denn die Elegie beschäftigt
sich eben so oft mit Gegenständen ruhiger Neigung
und Wünsche, z. B. Sehnsucht nach dem Landleben. ─
Das Sanfte scheint den Hauptton in der Elegie anzugeben,
alle andere Empfindungen, welche die Elegie aufnimmt,
modifiziren sich darnach. Kein Dichter hat deswegen die
Einheit so gut getroffen, als Tibull, weil sich in seiner
sanften Seele alles unter einem elegisch sanften Lichte darstellt.
Deswegen ist es gut, daß die Elegie sanft beginnt
und sanft schließt, wie ein musikalisches Stück in
derselben Tonart. Wenn auch Tibull mit einer Frage, mit
einer Anrede beginnt, so ist beydes doch nicht so heftig, wie
beym Horaz. ─ Auch die Uebergänge aus einer Empfindung
in die andere müssen eine Continuität ausdrücken, sanft
und allmählig geschehn. So geht Tibull im 1. B. Eleg. 3.
sogar aus dem reizend Schönen ins Grausende über. Aber es
ist dieses nur sanftgrausend und der Uebergang selbst
ist nicht schnell. Erst beschreibt er die Freuden Elysiums:
Ac iuvenum series teneris immixta puellis ludit et
assiduus proelia miscet amor
. Dies Bild ist reizend
und hell, nun der Uebergang: Illic est cuicunque rapax
mors venit amanti, et gerit insigni myrtea serta
coma. At scelerata iacet sedes in nocte profunda,
|#f0087 : 563|

abdita quam circum flumina nigra sonant. ─ Durch
den räuberischen Tod mors rapax wird die Seele zwar vorbereitet,
aber das Bild bleibt immer noch schön. Dann
folgt erst die Schilderung des Tartarus. Durch jenen
Uebergang, der zu gleicher Zeit schaurig und lieblich ist,
wird die Continuität erhalten. Horaz hingegen stellt sogleich
dem lachenden Bilde der Freude den Tartarus entgegen.
Er überläßt sich also auch nicht so der Heiterkeit in seinen
Bildern, wie Tibull, sondern eine starke Nebenidee stöhrt
immer die frohe: huc vina et unguenta et nimium
breves flores amoenae ferre iube rosae, dum res
et aetas, et sororum fila trium patiuntur atra
. Dagegen
läßt Horaz auch oft einen plötzlich hellen Lichtstrahl
entstehn, wenn das ganze Gemälde dunkel ist. Tibull
bleibt traurig und klagend, wenn er einmal so begann, und
geht nur nach und nach zu lichtern Bildern über. ─ Das
Naive findet in der Elegie ebenfalls statt, zumal wenn
sich der elegische Ton dem scherzenden nähert z. B.
Tibull. L. 2. el. 3. und 6. Und auch nur unter der
Gestalt der Naivität und der Grazie findet die Modification
des Scherzhaften in der Elegie statt, weil sie sonst zu sehr
contrastiren würde. Jn der Elegie spricht der Dichter
selbst, dessen Seele nie den edeln Charakter verläugnen
darf. Sein Scherz darf also nie so frey seyn, als etwa
der Scherz im Lustspiel, wo eine fremde Person redend eingeführt
wird. Catull und Properz gehn hier oft zu weit,
auch Ovid. Tibull hingegen erhebt sich über alle diese
Dichter durch das Edle seines Scherzes. ─ Die vierte |#f0088 : 564|

Elegie im ersten Buche an den Priap ist voll Grazie,
und man kann sie beynahe galant nennen, ungeachtet
sie einen an sich nicht delicaten Gegenstand berührt. ─
Die Grazie, als die Bewegung beym niedern Schönen
findet also am besten in der Mitte der Elegie statt. Der
Schluß muß wieder sanft seyn, damit man nicht aus der
Tonart falle. Das niedliche paßt für die Elegie am
wenigsten. Es hat zu viel den Charakter der Vollendung.
Eher kann eine Ode sich dem niedlichen nähern,
als die eigentliche Elegie, z. B. Horaz o fons Blandusiae.
─ Die Dichter schildern die Elegie mit
langen Haaren und in weiten Kleidern. Sie kann also
nicht das knappe enge Gewand des Niedlichen vertragen.
Unter allen Gattungen des niedern Schönen haben die
Dichter das Sanfte als herrschend in ihren Selbstgesprächen
gewählt, weil dieses die Wärme des Enthusiasmus
am meisten nährt, am längsten erhält. Jede höhere Empfindung,
die sich mit dem Sanften gar nicht amalgamiren
läßt, ist eine Dissonanz für die Elegie. Ovid hat
diras (Jnvectiven) gegen einen gewissen Jbis geschrieben im
Elegieenton. Allein er gesteht selbst non soleant quamvis
hoc pede bella geri
.


§. 3.


2) Wenn gleich die Elegie keine durch ein Objekt
bestimmte Gedankenreihe hat, so muß doch diese
durch zufällige Gemüthsstimmung entstandene Gedankenreihe |#f0089 : 565|

als solche logisch vollkommen seyn. Nun ist
das niedere Schöne mit einer ruhigern Anordnung
des Verstandes verträglich, ja das Sanfte verlangt
sogar in seinen Jdeen eine leicht sich entwickelnde Begreiflichkeit.
Da nun der Charakter der Elegie
vorzüglich sanft ist, so wird ihr Plan regelmäßiger
und mehr in die Augen fallend seyn müssen, als
derjenige der Ode.


Anmerk. Wenn in der Ode oft die veranlassende
Hauptidee künstlich versteckt, weder gern zu Anfang
gesetzt, noch am Ende wiederholt wird, so ist in der Elegie
gerade das Gegentheil. Tibulls erste Elegie beginnt mit
dem Verse Divitias alius fuluo tibi congerat auro, und
der letzte Vers ist Despiciam dites, descipiamque
famem
. Der Dichter kommt also am Schlusse auf dieselbe
Jdee zurück, und erleichtert so die Uebersicht. Die
lyrische Freyheit der Jdeenassoziation zeigt sich also mehr
in der Mitte des Gedichts, indem der Dichter seine Schilderungen
verfolgt, episodische Bilder einschiebt. Doch
kommt auch da Tibull immer auf seine Hauptidee zurück,
und das ist der Charakter der wahren tiefen Empfindung,
ohne welche, wie Boileau sagt, die Elegie uns kalt läßt.
Semper eodem gyro includitur. Die Elegie ist nicht
ein witziges, ein kühnes Werk der Phantasie. Sie ist
weniger himmlisch, als die Ode, sie bleibt an der Erde
gefesselt, unterhält das Herz mit menschlichen Wünschen
und Klagen eines menschlichen Kummers. Hallers sogenannte |#f0090 : 566|

Trauerode beym Absterben seiner geliebten Mariane
ist eine wahre Elegie. Dies zeigt der Plan, welchen sich
der Dichter gleich zu Anfang für seine Jdeen vorzeichnet.
„Nicht Reden, die der Witz gebieret, nicht Dichterklagen
fang ich an, nur Seufzer, die ein Herz verliehret, wenn
es sein Leid nicht fassen kann. Ja meine Seele will ich
schildern von Lieb und Traurigkeit verwirrt, wie sie ergötzt
an Trauerbildern, in Kummerlabyrinthen irrt.“ ─ Und
so bleibt auch Haller seinem Hauptgegenstande durch das
ganze Gedicht treu. ─ Eben so hat Klopstock in seinen
Elegieen einen bestimmten Plan, den er nie verläßt, weil
er durch die Empfindung an ihn gefesselt ist. Seine Elegie,
die künftige Geliebte, hat eine und eben dieselbe herrschende
Jdee. Jn seinem elegischen Gespräch Selmar und
Selma ist nur ein rührender Hauptgedanke, der oft
wiederholt wird, weil sich die zärtlich fühlende Seele des
Dichters in demselben gefällt. ─ Jn jeder Elegie des
Tibulls ist ein Hauptgedanke, der auf eine leicht begreifliche
Weise das Ganze zusammenhält. So ist der Jnhalt der
ersten Elegie des Dichters, Zufriedenheit mit seiner Armuth
bey einem ruhigen Landleben in den Armen seiner Delia.
Gleich anfangs setzt er seine Lage der unruhigen des Reichen
entgegen, der sich im Kriege Schätze erwirbt. Er
schildert sein Landleben, die Gewissenhaftigkeit, mit welcher
er seinen ländlichen Göttern dient. Die pura fictilia,
aus denen die Götter seine Gaben nicht verschmähen sollen,
die parva seges alles deutet auf seine Dürftigkeit. Er
findet alle seine Freuden in Ruhe und Liebe. Er vergleicht |#f0091 : 567|

mit diesen Freuden den kriegerischen Glanz. Er wendet
alle seine Gedanken auf Delien. Er will mit ihr leben, in
ihren Armen sterben. Sie soll ihn beweinen. Er sieht
schon im Geist seine Todtenfeyer. Er ermahnt seine Geliebte
mit ihm das Leben zu genießen, und schließt mit
derselben Verachtung des Reichthums, die er zu Anfang
des Gedichts zeigte. Die dritte Elegie ist in einer
Krankheit auf einer Reise gemacht. Gleich anfangs giebt
der Dichter seine Sehnsucht nach dem Vaterlande, nach Delien
zu erkennen. Dies erinnert ihn daran, wie ungern er sich
von ihr trennte. Er preist die goldne Zeit, wo man noch
nicht reiste, um Schätze sich zu erwerben. Er sieht seinen
Tod voraus. Er denkt sich schon hinab in die Unterwelt,
schildert die Elysischen Gefilde, die Gärten der Liebenden,
den Tartarus. Dann geht ein neues Licht der Hoffnung
in ihm auf. Der Uebergang ist äußerst fein. Er hofft
seine Delia wieder zu sehn. Er ermahnt sie zur Treue.
Er denkt sich den Tag seiner Rückkehr, wie ihm seine Geliebte
entgegenläuft, und schließt das Gedicht mit dem
Wunsch, daß ihm die Morgenröthe dieses Tages bald aufgehn
möge. So kann man alle Elegien Tibulls durchgehn.
Ueberall wird man finden, daß des Dichters Jdeen sich
nach einem leichtbegreiflichen Plane entwickeln, ohne harte
Uebergänge, daß er immer bey einem Lieblingsgedanken
verweilt, auf ihn nach jeder freyen lyrischen Digression zurückkommt.
Dieses thut ein Odendichter, wie Horaz, fast
nie. Uebrigens giebt es erzählende Elegien im Tibull und
Properz. Von diesen gilt eben das, was wir von den
erzählenden Oden bemerkt haben.

|#f0092 : 568|


§. 4.


3) Da die Elegie den Charakter des niedern Schönen,
insbesondere des Sanften hat, so kommt ihr
ein natürlicher Styl zu, ohne solche hervorstechende
Figuren, wie die Ode. Das Sanfte entwickelt sich
leicht. Daher müssen keine schweren Uebergänge, und
lyrische Sprünge statt finden. Jn sofern ist der Elegie
auch ein etwas gedehnter Ausdruck gestattet.


Anmerk. Ovids Ton ist zwar natürlich und leicht,
aber für die Elegie zu witzig. Er spielt mit Worten und
Antithesen. Das mag in dem galantern Theile seiner Gedichte
angehn. Aber er thut es auch, wo er die Sprache
der Empfindung reden will. Die dritte Elegie im ersten
Buche der Tristium ist voll Gefühl. Man sieht, daß eine
wahre Situation diese Klage ausgepreßt hat. Dennoch
läßt er seine Frau bey ihrer Trennung sagen te iubet e
patria discedere Caesaris ira, me pietas, pietas haec
mihi Caesar erit
. ─ Das ist nicht viel besser, als
Hofmannswaldau, der in seinen Heldenbriefen die
Emma an den Eginhard schreiben läßt, er habe mehr
Dinte als Blut für den Kayser vergossen ─ oder: dies
Brieflein schließ ich zu, und meine Kammer auf. ─ ─
Tibull ist in der Sprache der Elegie allein classisch zu
nennen. Er ist natürlich und doch nie prosaisch, wie
öfters Ovid. ─ Properz hat mehr genialische Energie,
als Tibull. Sein Styl ist aber auch schwerer.

|#f0093 : 569|


§. 5.


4) Das Metrum der Elegie muß dem Charakter
des Sanftschönen angemessen seyn, und der Sprache
Raum verstatten, sich ohne Zwang auszubreiten.
Uebrigens nimmt die Elegie noch verschiedene Formen
an, ohne daß dadurch die Hauptbenennung ganz verlohren
gehe.


Anmerk. 1. Von den Distichen haben wir schon
oben gehandelt. Die griechische Elegie, von der wir eigentlich
sehr wenige Reste haben (z. B. das Fragment des
Hermesianar beym Athenäus) behandelte die Distichen mit
mehr Freyheit als die Römer, sie erlaubte sich mehr Nachlässigkeiten,
endete nicht allemal den Sinn mit dem Distichon,
brauchte oft zum Schluß vielsylbige Worte u. s. w.
Außerdem haben auch die Spanier und Jtaliener in ihren
Elegien Terzinen gebraucht. Die Engländer haben oft
lauter männliche Reime in dieser Dichtungsart. Dies ist
für den elegischen Charakter etwas zu hart. Abwechslung
männlicher und weiblicher Reime, ein trochäischer Gang
des Verses und Abtheilung in Strophen scheint für die
deutsche Elegie am besten zu passen, wie Höltys Elegie
auf den Tod eines Landmädchens beweist. Ehemals
brauchte man Alexandriner. Sie haben etwas von der
Natur der Distichen, besonders darinnen, daß sie der
Sprache Raum geben.

|#f0094 : 570|


Anmerk. 2. Es giebt dramatisirte Elegien.
Klopstocks Selmar und Selma. ─ Schon beym Catull
ist eine Unterredung des Dichters mit einer Thür im Elegienton.
Doch verdient das Gedicht nicht den Nahmen
einer Elegie. ─ Es giebt Elegieen in Briefform,
ohne daß man sie deshalb gerade schon zu den poetischen
Episteln zählt. Oft redet Tibull zu Anfang seiner Elegie
einen Freund an. Dies kann man sich auch ohne einen
Brief erklären. Allein Catulls Elegie an den Manlius,
wo er den Tod seines Bruders beklagt, hat die Briefform.
Ovids Elegien, die er ex Ponto an seine Freunde schickte,
haben den Nahmen epistolae. Jhr Ton ist auch oft so
matt, daß man sie zu wirklichen poetischen Episteln rechnen
kann. Die wirklichen poetischen Episteln haben nämlich
schon mehr die Sprache des gemeinen Lebens, und wenig
Lyrisches. ─


Anmerk. 3. Zuweilen bekömmt die Elegie
durch eine besondre Untergattung und Modification
des Schönen, die sie enthält, eigne Gestalt und
Nahmen. So erscheint sie, wenn der Dichter die idyllischnaive
Sprache der Hirtenwelt spricht, als 1) lyrische
Jdylle, z. B. Kleists Amynt. ─ Man hat die lyrischen
Jdyllen
zuweilen Schäferoden genannt.
Wenn man Ode blos im Sinn von ειδυλλιον ein kleines
vollendetes Gemälde nimmt, so mag das gehn. Da aber
die Ode dem Jnhalt nach die Gemüthsstimmung des höhern
Schönen voraussetzt, und eine Schäferwelt nur Empfindung |#f0095 : 571|

des Naiven erwecken kann, so ist es besser, man rechnet
die lyrischen Jdyllen zu den Elegieen. Hor. L. 3.
od
. 13. ist ein ländliches Bild. Allein der Schluß ist doch
mehr im hohen als naiven Styl. Eben so L. III. 18.
Also kann man sie nicht idyllische Oden nennen. Der
Odendichter schildert das Landleben, wie ein philosophischer
Städter, der sich gern damit unterhält, doch darüber erhaben
ist. Das Niedliche will sich zwar mit der eigentlichen
Elegie nicht vertragen. Wenn indeß die elegische
Empfindung sich unter der Modification des Niedlichen
zeigt, und ein besonderes Reimsystem dazu kommt,
so erhält bey den neuern Nazionen die Elegie 2) den Nahmen
Sonnet. Von dem Sonnet als Reimsystem haben
wir schon eben etwas gesagt. Die dort angegebene gewöhnliche
Form ist nicht die einzige. Die Jtalienischen
Kritiker zählen auf 16 Species, welche das Sonnet als
Reimsystem annimmt. Jndeß müssen wir doch auch
ein Wort vom Sonnet, als Dichtart sagen. Man
hat nämlich dem musikalischen Sonnet noch einen besondern
poetischen Charakter angebildet, und darüber Regeln gegeben.
Nimmt man das, was Bettinelli, Boileau
und andere Kunstrichter über das Wesen des Sonnets sagen,
zusammen, so ist wohl der Hauptcharakter des Sonnets
eine zärtliche platonische Empfindung unter der
Form des Niedlichen verbunden mit dem größten musikalischen
Wohlklang. So hat wenigstens das große Original
Petrark den Jnnhalt des Sonnets durch seine Werke bestimmt.
Die Jtaliener und Spanier haben zwar auch |#f0096 : 572|

Sonetti satirici (sonetos burlescos), sonetti pedantesci,
eroici (sonetos heroicos
). Man hat spanische und
französische sehr schöne geistliche Sonnette (von Desbarreaur
und de Modene). Doch das sind Ausnahmen von
der Regel, oft auch verdorbener Geschmack, und ist dabey
nur vom Reimsysteme die Rede. Das eigentliche Sonnet
schwankt seinem lyrischen Jnhalte nach zwischen der Ode und
Elegie. Jnsofern die Ode als Jdyllion, als Kunstwerk
der Phantasie mehr Vollendung hat, als die Elegie,
nähert sich das Sonnet mehr der Ode. Denn die Jtaliänischen
Kunstrichter verlangen Neuheit, Einheit,
Ueberraschung, unerwarteten
Schluß (der zuweilen
beynah epigrammatisch ist) für das Sonnet. Da soll
auch nicht ein rauher Reim, ein unpoetisches Wort, eine
gezwungene Wendung mit unter laufen. Es soll die größte
lyrische und musikalische Vollkommenheit darinnen
seyn. Jndessen, insofern die Ode mehr erhabene Gemüthsstimmung
ausdrückt, das Sonnet aber zärtliche,
romantische, graziöse, naive, niedliche Gefühle ausdrückt,
insofern ist das Sonnet der Elegie näher, und da wir
die Dichtungsarten nach ihrem gewöhnlichen Hauptinhalte
bestimmen, so müssen wir das Sonnet zur Elegie zählen,
wiewohl einige Sonnete Petrarks auch wahre Oden sind. ─
Uebrigens nimmt das Sonnet noch andere zufällige Formen an.
Z. B. die erzählende. Petrark erzählt, Träume, Gesichte,
die er gehabt hat. Es giebt dramatisirte
Sonnette, Sonnette in Briefform. Peinlich und
verdienstlich ist das Sonnet für unmusikalische Sprachen |#f0097 : 573|

allerdings. Für einen scherzhaften oder mit Grazie gedachten
niedlichen Gedanken mag die Form auch bey uns gut seyn.
Aber daß sich der glühende himmlische Genius des Petrark
diese Fessel angelegt, und darinnen glücklich bewegt hat,
das ist wohl zufällig mehr seinen Zeiten und seiner Sprache
zuzuschreiben, als daß es bey andern Nachahmung erwecken
sollte. Jnsofern die Elegie auch zuweilen die Modification
des Scherzhaften und Galanten annimmt, kann
sie außer dem Sonnet noch andre Reimsysteme wählen,
dann erscheint sie unter den Nahmen 3) Rondeau, Madrigal
u. s. w. (s. oben). Das Triolett schwankt seiner
Natur nach zwischen der Elegie und dem Epigramm.
Daß die dreymalige Wiederholung eben desselben Verses und
Gedankens paßt, ist überraschend und sinnreich, und insofern
für den Verstand unterhaltend, wie das Epigramm.
Jnsofern aber der Ausdruck einer schönen Empfindung
damit genährt wird, insofern ist das Triolett elegisch. Le
premier jour du mois de Mai fut le plus beau jour de
ma vie, je vous vis et je vous aimai le premier jour
du mois de Mai. Le beau conseil, que j'y formai!
S'il ne vous deplut, Silvie, le premier jour du moi
de Mai fut le plus beau jour de ma vie
. Dieses auch
von Hagedorn nachgeahmte Triolett dient statt aller Regeln.
Man sieht, die Wiederholung ist nicht bloß sinnreich, sie hat
einen Grund in der elegischen Stimmung des Dichters.

|#f0098 : 574|


§. 6.


II. Das Lied im engern Sinne des Worts
ist ein Gedicht der niedern lyrischen Poesie,
welches seiner Form nach bestimmt ist von mehreren
Menschen mit und ohne gewisse Veranlassung gesungen
zu werden.


Anmerk. Ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß
alles was gesungen wird, zuweilen Lied heißt, kommt der
Ausdruck Lied noch in einem doppelten Sinne vor. Das
Lied im weitern Sinne heißt jedes Gedicht in Liederform.
Also giebt es in diesem Sinne auch historische Lieder,
Lehrlieder u. s. w. Das Lied im engern Sinn ist
ein Gedicht der lyrischen Poesie. Wenn man z. B.
sagt Oden und Lieder, so versteht der ästhetische Sprachgebrauch
unter Lied etwas von Ode und Hymne verschiednes.
Das Lied in diesem Sinne ist bey der niedern lyrischen
Poesie eben das, was die Hymne für die höhere ist,
und correspondirt der Hymne, wie die Elegie der Ode.
Will man also eine systematische Terminologie in die poetische
Theorie einführen, so muß man vom Begriff Lied
vieles ausschließen, was bisher noch zu ihm gerechnet ward.
Nationallieder im höhern Sinne, Kriegslieder, geistliche
Lieder gehören zu den Hymnen. Einige geistliche Lieder,
die meisten moralischen, gehören zu den lehrenden, also
darstellenden Liedern. Nur diejenigen lyrischen
Gedichte, welche eine Gemüthsstimmung des niedern Schönen |#f0099 : 575|

ausdrücken, und auf einen geselligen Genuß dieser Gemüthsstimmung
berechnet sind, müssen ausschließend den
Nahmen Lied führen. Will man die Natur des Liedes aus
der im §. gegebenen Definition näher entwickeln, so ergeben
sich folgende Resultate: 1) der ästhetische Jnnhalt des
Liedes ist eine Empfindung des niedern Schönen, bis zum
Scherzhaften hinab. Da aber der Charakter des Liedes
geselliger Genuß, wahre Humanität ist, so
muß im Durchschnitt für alle Menschen eine gewisse Hauptempfindung
angenommen werden, die der Menschheit würdig
sey, und die gleichsam dem Lied ein Jdeal vorhalte.
Die Stimmung zum niedern Schönen darf also nicht ganz
ohne ein dunkel sie begleitendes Gefühl des höhern Schönen
seyn, wenn der Charakter der Menschheit ganz ausgedrückt
werden soll. Diese Vereinigung zweyer Gefühle giebt eine
Modification, welche wir oben das Edle nannten.
Daher ist der herrschende Hauptton, der im Liede statt
finden muß, die Empfindung des Edlen. Feyerliche
erhabene Stimmung, wie die der Hymne und Ode paßt
nicht für jeden, sanftes, scherzhaftes Gefühl ist auch nicht
in allen Menschenherzen. Aber das Edle soll eigentlich
der Hauptzug im Charakter der Menschheit seyn, wenn wir
sie aus dem ästhetischen Standpunkte im Durchschnitt ansehn.
Hiermit ist keine andre Untergattung des niedern
Schönen ausgeschlossen. Nur müssen sie alle durch den
Hauptton des Edlen modificirt werden, auch dürfen diese
Empfindungen nicht so schnell und leidenschaftlich abwechseln,
wie bey der Elegie, oder der Ode, weil dies dem Haupttone |#f0100 : 576|

widerspräche. Hierdurch wird auch den scherzhaften
Liedern eine Schranke gesetzt, daß sie nicht des Charakters
der Humanität unwürdig werden. 2) Der Gedankeninhalt
des Liedes ist durch kein äußeres Objekt bestimmt,
welches geschildert werden soll, sondern zufällig. Doch
kann eine Veranlassung zum Rundgesange da seyn, dies
muß Anfangs angegeben werden, und giebt dem Gedicht
seine gewisse Einheit. Um den Plan des Liedes faßlicher zu
machen, und die Hauptidee herauszuheben, scheinen die
Refrains erfunden zu seyn. Die Uebergänge und Jdeenassociationen
müssen leicht seyn. Die Empfindungen der
Freude, der Traurigkeit, der gesellige Genuß sind der gewöhnliche
Stoff der Liederdichter. 3) Der Styl muß natürlich,
einfach seyn. Denn nicht der Dichter selbst spricht,
sondern es ist ein Gesang für mehrere Menschen in einer
gemäßigten Gemüthsstimmung. 4) Das Metrum muß
so eingerichtet werden, daß es auf eine leichte faßliche Melodie
gesungen werden kann. Daher verlangt keine Dichtungsart
mehr Gleichmäßigkeit, fließendern Wohlklang als das Lied.
─ Eine sehr große Mannichfaltigkeit und Lebhaftigkeit der
Füße, wie sie bey der Ode statt findet ist für das Lied
nicht passend. ─ Trochäische, jambische, kurze Verse
sind am besten. Die Verse müssen in Strophen seyn,
deren jede die Melodie einmal darstellt. Daher muß der
Sinn bey jeder Strophe enden. Noch leichter wirds für
den Gesang, wenn jede Strophe aus zwey Perioden besieht,
wenn dieselben Einschnitte allemal wiederkehren.
5) Das Lied kommt bey den verschiedenen Nazionen unter |#f0101 : 577|

mancherley Benennungen vor, die von seinen besondern
Veranlassungen hergenommen sind. Die Scolien der Alten
waren mehr Oden. Doch mögen auch einige Lieder gewesen
seyn. Einige Anacreontische Oden nähern sich mehr unsern
Liedern. Manche Epipompeutica, die Hymenäi der Alten
stehn auf der Gränze zwischen der Hymne und dem Liede.
Die Gelegenheit ist festlich, aber ihr Styl, wie wir aus
dem Catull und Claudian sehn, mehr scherzhaft und froh,
als feyerlich. Es gab Hymenäen welche ernsthafter waren,
bey andern wurde die fescennina locutio (Zweydeutigkeiten)
u. s. w. mit eingemischt. Die Refrains Io Hymen, Hymenaei,
Talassio
und andere Acclamationen die dabey
waren, sind bekannt. ─ Jn der alten französischen Provenzalpoesie
hieß das Lied Lais. Soulas bedeutete insbesondere
das lustige Lied. Die Syrventez, wenn man dem
Nostradamus trauen darf, mögen satyrische Lieder gewesen
seyn. Die Tensonen, oder Partiencen waren Streitfragen
über die Liebe, wie sie an den Liebeshöfen abgehandelt wurden,
also dramatisirte Lieder. Das eine Catullische Epithalamium,
der Wettgesang zwischen den Jünglingen und
Mädchen hat vielleicht eine entfernte Aehnlichkeit mit den
altfranzösischen Tensonen. ─ Bey den Jtalienern, wie
wir schon gesehn haben, hießen die Oden Canzonen. Es
gab eine Canzone Pindarica u. s. w. Die Sylbenmaaße
waren hier anfangs freyer und keinesweges in Liederform.
Doch die Canzone Anacrontica gehört mehr hierher. Oft
findet man in der Geschichte der neuern Poesie auch die
Lieder benannt nach dem Styl, in welchem sie gedichtet |#f0102 : 578|

sind. Es giebt Lieder, die sich der Jdylle nähern,
im Bauernton, städtische Lieder im Volkston (Gassenhauer).
So giebt es bey den Spaniern Villanellen, bey den Franzosen
Vaudevilles, die bekanntlich auch in der politischen
Geschichte von großem Einfluß sind. Bey den Franzosen
ist die Gattung der Chansons am meisten ausgebildet worden,
weil diese Nazion für alle gesellige Freude viel Sinn
und Talent hat. Eine Art kleiner besonders im Jdyllenton,
oder im Ton der Galanterie gedichtete Lieder ist das
Madrigal. Es ist von den Provenzalen zu den Jtalienern,
und dann zu andern Nazionen gekommen. Ueber
den Ursprung des Nahmens wird sehr gestritten. Es besteht
gewöhnlich aus 11 bis 13 Versen von ungleicher Länge, wo
auch wohl einige nicht gereimte Zeilen mit unter laufen.
Diese stellen zusammen eine Strophe vor. Wegen der
Freyheit die hier herrscht, hat man auch längere Gedichte
in madrigalischen Strophen gemacht. Es nähert sich auch
deshalb mehr der Elegie, als dem Liede.


§. 7.


III. Die poetische Epistel ist ein Gedicht
der niedern lyrischen Poesie in vertraulichem Briefton.


Anmerk. Sie ist also für die niedere lyrische Poesie
was die Heroide für die höhere ist, und correspondirt
derselben. Sie gehört zur lyrischen Poesie, freylich
nicht im hohen musikalischen Sinne, aber doch insofern,
weil die Gedankenreihe kein Objekt darstellt, sondern willkührlich |#f0103 : 579|

ist, und eine Gemüthsstimmung ausdrückt. Die
Epistolarform findet sich zwar auch bey Lehrgedichten,
z. B. Horat. de Arte poetic. Pope Versuch über den
Menschen. Allein eigentlich sind dies keine poetische Episteln,
denn der Hauptzweck ist die Darstellung eines
Systems, welches seiner zufälligen Form nach jemanden
dedicirt ist. Die Natur einer poetischen Epistel verlangt
eine freye vertrauliche Unterhaltung, ohne bestimmten
darstellenden Jnnhalt; hohen lyrischen Ton darf man also
hier nicht suchen. Vielmehr ist er dem Briefstyl zuwider.
Ja es scheint zu der poetischen Epistel im engen Sinn des
Worts, der Scherz nothwendig zu gehören. Denn es
ist schon eine Art Scherz darinnen, in vertrauten Situationen
des Lebens den poetischen Ton anzunehmen. Ovids
Epistolae ex Ponto sind für wahre Elegieen nicht lyrisch
genug, und für poetische Briefe zu ernsthaft. Man kann
nicht begreifen, warum der Dichter gewöhnliche Klagen in
Gedichte bringe. Es fällt einem dabey die Geschichte aus
des Dichters Jugend ein, wie er bey den Schlägen seines
Vaters, der ihm die poetischen Grillen austreiben wollte,
unwillkührlich in einen Hexameter ausbrach. Eben so sind
Gottscheds und anderer pindarische Lobepisteln eine traurige
Jdee. Also muß der Dichter, der poetische Episteln
schreibt, mit einer Art Jronie über sich selbst seinen Einfall
durchführen. Wollte er auch den schwärmerischen Ton annehmen,
so muß doch eine gewisse Nüchternheit durchblicken,
mit der er sich selbst beurtheilt. Das Scherzhafte ist
in dieser Dichtungsart sonach als herrschender ästhetischer |#f0104 : 580|

Ton anzunehmen, nach dem sich alle andre Empfindungen
modifiziren müssen, wie bey der Elegie das Sanfte,
und bey dem Liede das Edle. Die Gemüthsstimmung
des Dichters, die sie darstellt, muß Laune seyn.
Jn diesem Geiste sind auch die besten Episteln der Dichter
geschrieben. Horaz, Boileau, Addisson, Göcking, Gleim,
Jacobi, Ebert u. s. w. liefern Beyspiele. ─ Veranlassung
und Gedankeninhalt der Epistel sind willkührlich. Horazens
Episteln sind zufällige freye Werke der Laune, er erzählt,
er trägt eine Lebenssentenz vor; aber alles mit sokratischer
Jronie über sich selbst. Man sieht, er will nichts
planmäßiges darstellen, er folgt der augenblicklichen Eingebung
seines Genies. Eben wegen dieser launigen Jronie, die
der Epistel eigen ist, dieser leichten Manier über das Leben
zu scherzen, haben auch viele Lehrdichter, die einen
ernsthaften Zweck hatten, die Form der Epistel gewählt.
Der Styl der Epistel kann natürlich seyn, kann auch zuweilen
höher sich heben, alles, wie es die Laune bestimmt.
Das Metrum muß frey, und nicht sehr von der Sprache der
Prosa entfernt seyn. Horazens Hexameter ist beynahe zu
ernsthaft. ─ Das Elegieenmaaß des Ovid hat zu viel
lyrisches für die wirkliche Epistel; (etwas anders ist von der
Elegie in Briefform zu sagen s. oben). Boileau hat
seine Alexandriner. Die Engländer haben etwas kürzere
jambische Verse in dieser Dichtungsart. Die Deutschen
haben kleine kurze leichte Verse angenommen, und das paßt
im Grunde am besten. Unter mehreren Modificationen
von Empfindungen nimmt die Epistel das satyrische |#f0105 : 581|

auch an, welches man als eine zufällige besondere Form von
ihr ansehen kann. Boileau, Juvenal und Persius liefern
Belege.


§. 8.


Als Anhang zum Kapitel von der lyrischen
Poesie müssen wir hier noch ein Wort von den eigentlichen
musicalischen Gedichten
sagen, welche
gewöhnlich Kantaten genannt werden. Hier erscheint
die lyrische Poesie nicht, wie beym Lied
und der Hymne, für sich bestehend und nur möglicher
Weise auf eine musikalische Begleitung bezogen, sondern
in durchgängiger nothwendiger Verbindung mit
der Musik. Das musikalische Gedicht soll zwar
eigentlich auch die Direction über die Musik führen.
Es ist aber nicht als ein für sich bestehendes Werk zu
beurtheilen, sondern die lyrischen Gedanken, verbunden
mit der Composition machen ein unzertrennliches
ästhetisches Ganzes aus. Die Musik selbst ist hier als
eine Hauptkunst thätig, welche ihre ganze eigene ästhetische
Kraft unter Anleitung der Poesie entwickelt.


Anmerk. 1. Als die Poesie und die Musik noch in
der Kindheit waren, konnten sie auch noch leicht beyde als
Hauptkünste neben einander bestehn. Daher sind die ältesten
Gedichte lyrischer Gattung gewiß musikalisch gewesen, |#f0106 : 582|

d. h. der poetische Gedanke und die Musik waren in nothwendiger
Verbindung, in unzertrennlicher Wechselwirkung.
Nach und nach bildeten sich diese Künste mehr aus. Jede
konnte hinlänglich für sich unterhalten. Sie wurden selbstständig,
sie trennten sich von einander. Die poetischen
Werke wurden zwar ihrer Form nach in Liedern, Hymnen,
Chören, auf die mögliche Begleitung der Musik eingerichtet.
Allein sie thaten doch ihren Effekt auch ohne die Musik, und
wurden als für sich bestehende Werke beurtheilt. Eben so
ward die Musik, ohne Rücksicht auf einen möglichen Text,
den sie begleitet, als Kunstwerk für sich angesehn. ─ Es
ist also bey der großen Cultur dieser beyden Künste eine
Aufgabe entstanden: Wie können sie beyde als gebildete
selbstthätige Hauptkünste wieder mit einander eng vereinigt
werden? Diese Aufgabe ist um so interessanter, je gewisser
es ist, daß diese enge Vereinigung und Harmonie zweyer so
vervollkommten Künste unerhörte Wirkung hervorbringen
müßte. Diese Aufgabe sollte nun billig das musikalische
Gedicht,
die Kantate lösen, wiewohl bis jetzt
es noch nicht geschehn ist. Denn die Jdee des musicalischen
Gedichts
ist noch nicht ganz rein aufgefaßt
worden. Es ist bis jetzt noch mehr der Nahme als die
Sache vorhanden. Nach Crescimbeni sind die Kantaten
eine Erfindung der Jtaliener aus dem siebzehnten Jahrhundert.
Allein diese Nazion hatte zu viel Neigung für die
Musik, als daß sie nicht der Musik dabey das Uebergewicht
über die Poesie hätte einräumen sollen, und so konnte diese
Dichtungsart nicht zur Vollkommenheit kommen. Daher |#f0107 : 583|

die ewigen Wiederholungen und Ausdehnungen der Worte,
die Vernachlässigung der Recitative, die Ungleichheit in der
Melodie, die musikalische Mahlerey in Nebendingen, die
Manieren, Kadenzen, der Lärm der Jnstrumente, welche
den Gesang unverständlich und unwichtig machen. Noch
jetzt dauert in den Kantaten, wie in den Opern, diese Despotie
der Musik fort, und wird nicht eher aufhören, bis
große Dichter und große Musiker zusammen arbeiten und
sich wechselseitig beschränken, damit ein höheres Ziel der
Kunst erreicht werde. Freylich müßte da die Musik von
ihrem glänzenden Reichthum an übertäubenden Tönen etwas
nachlassen. Auch nehmen sich einzelne Kantaten, wie
z. B. Haydns Ariadne, nur für das Fortepiano, sehr gut aus.
Die Poesie würde gewiß durch diese vereinigten nicht isolirten
Arbeiten an Neuheit und Wärme und Metrum gewinnen.
Wie wenig gute Kantaten haben wir, wenn man einige von
Metastasio, Rousseau, Ramler, Meißner ausnimmt.
Die Musiker scheinen selbst die guten Texte zur Composition
zu fliehn, weil sie ihnen zu viele Schranken setzen. ─
Das musikalische Gedicht kann sich zweytens auch deswegen
noch nicht vervollkommnen, weil man noch in der Meinung
steht, es müsse für sich ohne Musik bestehen,
und beurtheilt werden. Dies beschränkt die Freyheit der
Dichter, und macht, daß sie sich nicht so an die Musik anschmiegen
können, wie es seyn müßte. Ein eigentlich musikalisches
Gedicht muß aus ganz kurzen und langen
Versen und Reimen bestehn können, muß aussehn dürfen,
wie kein andres das für sich zu beurtheilen wäre. Die ma= |#f0108 : 584|

drigalischen Strophen kommen ihm am nächsten. Auch
sind die ersten Kantaten in Jtalien wahrscheinlich aus Composition
der freyen Liederchen, die man Madrigale nannte,
entstanden.


Anmerk. 2. Die Kantate gehört ihrer Natur
nach zur lyrischen Poesie. Sie könnte die höchste Tendenz
der lyrischen Poesie seyn in Absicht auf die Vereinigung
der Musik und Dichtkunst, könnte vielleicht mit einer
Art lyrischer Schauspielkunst (decorirten Declamation) vereinigt
werden, und wäre alsdann im lyrischen Fache
eben das, was die Oper für die darstellende Poesie ist.
Denn sie kann den Effekt der Ode, der Hymne, des Lieds,
der Elegie in sich vereinigen, und ein großes lyrisches
Ganzes bilden. Rousseau hält zwar in seinem Diction.
de Musique
die Kantate für ein musikalisches Drama,
verführt vermuthlich von dem italienischen Ausdruck Drammi
musicali
. Allein eigentliche Handlung, die als
solche interessiren könnte, hat die Kantate nicht, sonst
würde sie völlige Oper werden. J. B. Rousseaus mythologische
Kantaten haben zuweilen historische Einkleidung.
Doch ist dies eben das, was manche historische Oden des
Horaz sind. Die Hauptrichtung des Dichters bleibt
immer lyrisch. Oft, besonders in geistlichen Kantaten,
(Oratorien) treten allegorische und andre Personen auf, die
sich in die Stimmen theilen, z. B. Pilger am Grabe, Patriarchen.
─ Allein ihr ganzer Dialog ist doch nur lyrisch.
Einige Klopstockische Bardenoden können als Kantaten |#f0109 : 585|

angesehn werden. Man erklärt sich, oder soll sich
wenigstens ohne Veränderung und Handlung die Jdeenreihe
erklären können. Manche Oratorien sind doch mehr lyrische
dramatische Szenen, als eigentlich lyrische Gedichte. ─


Anmerk. 3. Jn der Kantate ist also keine Gleichmäßigkeit,
wie im Liede, in der Hymne, sondern die Poesie
entwickelt sich in einer freyen Versart zugleich mit der Musik.
Jst es ein leidenschaftliches Selbstgespräch, so darf die Kantate
freylich nicht so lang seyn, als wenn sie dramatisirt ist.
Jm letztern Falle müssen die verschiedenen Stimmen, Baß
Discant u. s. w. nach dem Charakteristischen ihrer Rede
vertheilt seyn. Die ausführliche Theorie der Kantate
gehört mehr in eine Aesthetik, als in die Poetik. Daß die
Kantate mit einer Arie anfangen müsse, haben einige behauptet.
Allein man kann den Grund nicht einsehn. Die
Arie ist der höchste lyrische Moment. Bey sehr lyrischen
Kantaten kann man mit der Arie beginnen, so wie auch die
Ode gleich feyerlich und begeistert beginnt. Bey mehr elegischen
und historischen Kantaten hingegen, ist es natürlicher
mit dem einfachen Rezitativ anzufangen; denn auf das
accompagnirte obligate Rezitativ, und so nach und nach
durch Arioso und Cavatina auf die eigentliche Arie überzugehn.
Freylich kommt alles auf den Jnhalt an, indeß
liebt der Geist eine natürliche Abstufung der Empfindungen,
ein continuirliches Steigen und Sinken. Das Recitativ
erfordert eine ganz freye madrigalische Versart. Es
hat kein ander Gesetz als den Rhythmus. Da der |#f0110 : 586|

Reim, wie wir bewiesen haben, so viel zur Bezeichnung
der rhythmischen Glieder des Perioden thut, so ist er
bey dem Rezitativ nicht so unnöthig, als einige Theoretiker
meynen. Ein Reim, wo die rhythmische Reihe
endet, (dahin muß er kommen) thut allemal eine sehr gute
Wirkung. Daß der Dichter und Musiker richtig declamiren,
die Accente, die guten und schlechten Noten beobachten,
daß die Worte von vorzüglichem Wohlklang seyn müssen,
versteht sich von selbst. Die Arie erfordert ein gleichmäßigeres,
strophisches Metrum. Sie besteht gewöhnlich
aus zwey Hälften mit correspondirenden Reimen, deren
erste die Caprice der Musiker mehr heraushebt, und am
Ende noch einmal wiederholt. Die Wiederholungen müssen
nicht blos musikalische Figuren, sondern auch dichterisch
nothwendig seyn. Für die Arie muß von dem Dichter ein
vorzüglich gefühlvoller Stoff gewählt werden. Wunderbar
klingen die Verse von Rousseau in seiner Kantate contre
l'hiver
in einer Arie: tandis, qu'assis à table dans un
réduit aimable sans soins et sans amour près d'un ami
fidele de la saison nouvelle s'attendrai le retour
. Jn
den Oratorien, wo mehrere Stimmen statt finden, giebt
es Duette, Terzette, Chöre, Chorale u. s. w. ─ Die
eigentlichen Kantaten sind gewöhnlich Monologen, die bey
den Engländern bey Pope und Dryden die Form der Oden
haben, bey den Jtalienern und Franzosen oft mehr elegisch
sind.


[Abbildung]

|#f0111 : E587|
[Abbildung]

Zweytes Kapitel.

Von der darstellenden Poesie. ──────


§. 1.


Die darstellende Poesie ist diejenige, welche
irgend ein bestimmtes Objekt im Lichte der Schönheit,
oder idealisirt schildert, und ihre Gedankenreihe
an dieses Objekt bindet.


Anmerk. Bey der lyrischen Poesie ward durch
die Gemüthsstimmung die objektive Gedankenreihe veranlaßt.
Hier ist es umgekehrt. Der Gedanke, das Objekt geht
voraus und bewirkt die Stimmung. Bey der lyrischen
Poesie ist der Gedanke frey und die Empfindung
gebunden. Bey der darstellenden Poesie ist die Gedankenreihe
gebunden und die Empfindung frey.


§. 2.


Ein Objekt, an welches die Form und Empfindung
des Schönen fixirt ist, heißt ein Jdeal im
weitern Sinne des Worts.

|#f0112 : 588|


§. 3.


Da das Schöne unter einem vierfachen Charakter
erscheint, 1) als frey sich formend zur Gesetzlichkeit,
2) als successiv anschaulich werdend, 3) als
eine leicht zu ahnende begreifliche Totalität, 4) als
Symbol der innern gesetzlichen Geistesnatur, welches
ein Gefühl von Harmonie des objektiven und subjektiven
erweckt; so muß auch ein Objekt, das von der
Poesie idealisirt, oder durch die Sprache in der Zeit
dargestellt wird, diesen vierfachen Charakter haben.
Es muß 1) vor den Augen unsrer Seele sich wie von
selbst frey, ohne Zwang und doch gesetzlich formen, 2)
es muß sich anschaulich entwickeln, 3) es muß am
Ende eine begreifliche Totalität ahnen lassen, 4) es
muß die Harmonie des Subjektiven und Objektiven
fühlen lassen, und dadurch auf unser Selbstbewußtseyn
wirken.


Anmerk. Jedes idealisirte Objekt wirkt also
auf die vier Seelenkräfte. Jndem es sich frey und doch
gesetzlich organisirt, beschäftigt es unsern Willen, indem
es anschaulich entsteht, beschäftigt es unsre Phantasie,
indem es ein begreifliches Ganzes ist, beschäftigt
es unsern Verstand, indem es ein Symbol der innern
Geistesnatur ist, beschäftigt es unsre Vernunft,
als das höchste Selbstbewußtseyn. Mit einem Worte: es |#f0113 : 589|

erregt in uns ein Gefühl von der Harmonie aller dieser Seelenkräfte,
das Gefühl der Schönheit.


§. 4.


Der Mensch wird durch seine vier, im Gewissenssatze
ausgedrückte Seelenkräfte, wenn er sich dieselben
in der höchsten Vollkommenheit vorzustellen, und ausser
sich zu objektivisiren sucht, auf vier Jdeale
(im engeren Sinne des Worts) oder objektivisirte Jdeen
geleitet. Das Jdeal, welches der Wille sucht, der
sich bestimmen will, ist die gesetzliche Freyheit.
Das Jdeal, welches die Phantasie sucht, die anschauen
will, ist die Substanz, das Jdeal, welches
der Verstand sucht, der verstehn will, ist eine
begreiflich zusammenhängende Allheit (Welt,
System). Das Jdeal, welches die Vernunft
sucht, ist ein höchstes gesetzliches Selbstbewußtseyn
mittelst aller Objekte. Nun ist das Schöne
ein Schein vom Jdealen im Realen. Jedes Objekt,
welches im Lichte der Schönheit erscheint, (Jdeal
im weitern Sinne), wird also mehr oder weniger
sich auf eine oder die andre Ansicht des Jdealen im
engern Sinne beziehn. Die Dichtkunst, welche Gedankenobjekte
idealisirt darstellt, wird also sich nach
einem von diesen vier Polen aller Jdealität vorzüglich |#f0114 : 590|

wenden. Sie wird entweder vorzüglich den Willen
zu beschäftigen und das Jdeal desselben, die
Freyheit herauszuheben suchen (historische Poesie),
oder die Phantasie, und das Jdeal derselben
die Substanz nach allen ihren gleichzeitig
existirenden Theilen anschaulich machen (beschreibende
Poesie
), oder sie wird den Verstand
vorzüglich beschäftigen und das Jdeal desselben (das
System) darstellen (didactische Poesie) oder endlich
die Vernunft, indem sie das Jdeal derselben, das
Selbstbewußtseyn durch Harmonie des Objektiven
und Subjektiven darzustellen sucht (allegorische
Poesie).


Anmerk. Wenn also das Jdeal im weitern
Sinne vermöge des Gefühls der Schönheit auch alle vier
Seelenkräfte harmonisch beschäftigt, so wird es nichts destoweniger
Eine vorzüglich interessiren. Und dies giebt die
vier Gattungen der darstellenden Dichtkunst.


§. 5.


Da in der Erscheinungswelt von den vier Vernunftidealen
Analogien existiren müssen, da alle
Verstandesbegriffe sich auf sie beziehen, so wird sich
die darstellende Poesie oft nur damit begnügen, ein
Objekt zu schildern, das irgend eine besondre Analogie |#f0115 : 591|

mit den Jdealen hat, und dadurch eine von den
vier Seelenkräften interessiren. Es wird also eine historische
Poesie geben, welche mehr das Begehrungsvermögen,
als die Freyheit interessirt,
indem sie Begebenheiten von geringern Werth darstellt.
Es wird eine beschreibende Poesie sich finden, die
nur einzelne Ansichten von individuellen Objekten giebt.
Es wird eine didactische Poesie geben, welche nur
einzelne Lehren darstellt, welche den Verstand mehr
insofern er Witz oder Begriffsvermögen ist, nicht nach
seiner allumfassenden Tiefe interessirt. Es wird eine
allegorische Poesie geben, welche die Vernunft
nur einzelne Symbole enträthseln läßt. Jn allen diesen
Fällen wird sich das Objekt auch mehr im Lichte
des niedern als des höhern Schönen zeigen. Es
giebt also in Ansehung des Objekts und der Empfindung
in jeden von den vier Gattungen eine höhere
und eine niedere darstellende Poesie.


[Abbildung]

|#f0116 : E592|
[Abbildung]

Erster Unterabschnitt.

Von der historischen Poesie. ──────

I.

Von der historischen Poesie überhaupt.


§. 1.


Die historische Poesie idealisirt Objekte, welche
den Willen und das Begehrungsvermögen besonders
beschäftigen. Sie stellt Handlungen dar.


Anmerk. Eigentlich sollte man eher drastische
Poesie sagen, als historische. Denn der Ausdruck historisch
erweckt den Nebenbegriff von Erzählung. Man
muß den Ansdruck historisch hier weder von blos wirklichen,
noch von blos erzählten Thatsachen verstehn. Uebrigens
muß man Handlung und Begebenheit von
einander wohl unterscheiden. Begebenheiten sind Erscheinungen
in der Zeit, welche auf einander folgen. Diese
kann auch der beschreibende Dichter darstellen. Der
historische Dichter schildert Handlungen, das heißt,
Kraftäußerungen vernünftiger und sinnlich begehrender Wesen
nach der Jdee von Zwecken.

|#f0117 : 593|


§. 2.


Da die dichterische Handlung (fabula)
eine dargestellte Willensthätigkeit seyn soll, welche
idealisirt als ein schönes Objekt erscheine, so muß
sie alle vier Eigenschaften haben, die wir oben
von einem Jdeale verlangten. Sie muß 1) ohne
Zwang vor unsern Augen, wie ein bloßes Spiel des
Zufalls entstehn und doch immer mehr eine gesetzliche
Einheit ahnen lassen, nach der sie sich organisire, 2)
sie muß anschaulich, mannichfaltig, lebhaft seyn, 3) sie
muß am Ende eine vollkommene, begreifliche Totalität
darstellen, 4) sie muß das Gefühl einer Weltordnung
in uns erwecken, die sich nach unsern subjektiven Jdeen
von Zweckmäßigkeit richte.


Anmerk. Wenn also 1) scheinbar zufällige Begebenheiten
zu einer Handlung sich organisiren müssen,
wenn eine gesetzliche Einheit geahnt werden soll, so
kann diese in nichts anders bestehn, als in einem gewissen
Hauptzweck,
auf den sich die Willensthätigkeit bezieht,
auf dessen Erreichung unsre Aufmerksamkeit gespannt
wird. Der Zweck mag an sich gut oder böse seyn, wenn er
nur wichtig ist, nur das höhere oder niedere Begehrungsvermögen
zu interessiren vermag. Derjenige, für dessen Hauptzweck
und Charakter wir uns interessiren, heißt der Held
der Geschichte. Damit aber die Handlung, die poetisch dargestellt |#f0118 : 594|

wird, einem freyen Spiele des Zufalls gleiche, muß
der Plan etwas verborgenes haben, und sich nur nach und
nach entwickeln. Daher Horazens Behauptung, daß man
nicht den Trojanischen Krieg vom Ey der Leda anfangen
müsse. Vt iam nunc dicat, iam nunc debentia dici
pleraque differat et praesens in tempus omittat
. Daher
auch in den Erzählungen die Episoden, welche nicht
zufällig, sondern künstlich verborgene Theile des Plans seyn
müssen. Bey den besten Dichtern geben die Episoden Aufschluß
über die Sache selbst, zeigen wichtige Folgen der
Handlung, oder entwickeln verborgene Ursachen derselben.
So scheint in Milton die Erzählung des Engels vom Kriege
gegen die Teufel Episode. Allein sie erklärt uns den Grund,
warum Satan der Zerstörer des paradisischen Glückes werden
mußte. Darum wird die halbe Geschichte der Odyssee
als Erzählung episodisch eingeschaltet, und die Eroberung
Trojas beym Virgil. Das Mährchen im Oberon, das Scherasmin
erzählt, scheint eine zusällige Episode. Es erklärt
uns aber den Grund von Oberons wunderbarer Theilnahme
an Hüons Schicksal. Die Episoden sind jedoch nur in erzählenden,
nicht in dramatischen Gedichten zu gestatten.
Hier muß mehr Ordnung seyn. ─ Uebrigens muß bey
aller Verborgenheit des Planes sich der Zusammenhang des
Ganzen doch nach und nach immer mehr errathen lassen.
Man muß aus dem vergangenen auf das zukünftige schliessen,
und den handelnden Personen ihr Schicksal weissagen
können. Nur so organisirt sich die Handlung in der Zeit
frey und zweckmäßig. 2) Um die Handlung anschaulich und |#f0119 : 595|

lebhaft zu machen, muß sie in einem etwas kürzern Zeitraum
hineingedrängt werden, damit sich das Einzelne als
werdend darstellen lasse. Auch aus diesem Grunde gebraucht
der erzählende Dichter Episoden, verweist manche
vorhergehenden und folgenden Begebenheiten in dieselben,
und concentrirt dadurch den Moment der Willensthätigkeit.
Homer ist hierin dem Virgil vorzuziehn, in zehn Haupttagen
geschieht bey ihm mehr, als in einem Jahre des Virgils.
Wenn der Dichter zu große Zeiträume umfaßt, sieht er sich
genöthigt zu allgemeinen abstracten Begriffen seine Zuflucht
zu nehmen, und dann wird das Gedicht, wie beym
Silius Jtalicus, Lucanus, Voltaire, zur rednerischen Historie.
Um der Anschaulichkeit willen begeht Homer oft Unordnungen,
wiederholt sich u. s. w. Ferner muß, um die
Handlung lebhaft zu machen, die Willensthätigkeit etwas
angestrengt, die Aufmerksamkeit auf den Ausgang gespannt
werden. Dies ist nicht anders möglich, als wenn dem
Hauptzweck Schwierigkeiten und Hindernisse in den
Weg gelegt werden. Hieraus entsteht zu gleicher Zeit eine
gewisse Verwicklung (δεσις, Aristot. ein Knoten,) der
am Ende die Entwicklung (λυσις) vollkommen entsprechen
muß. Zur Lebhaftigkeit der Handlung bey der Verwicklung
und Entwicklung gehört auch das, was Aristoteles
περιπετεια und αναγνωρισις nennt. Alles dieses
findet zwar in höherer Potenz nur in dramatischen Werken
statt, weil hier die Hauptmomente oder Katastrophen
der Handlung mehr concentrirt sind. Allein es ist auch auf
andre historische Gedichte anwendbar. Die Peripetie |#f0120 : 596|

ist eine plötzliche Veränderung der Glücksumstände, die
überrascht und anders ausfällt, wie man erwartete, z. B.
wenn der Bote, welcher ankommt, den Oedipus mit seiner
Nachricht alle Furcht zu benehmen, ihn gerade einen unglücklichen
Aufschluß giebt. Die Erkennung, z. B.
wenn Odysseus aus seiner Narbe erkannt, und dadurch der
Handlung eine plötzliche Wendung gegeben wird. Die
Erkennung ist auch bey fröhlichen Begebenheiten oft als
sogenannter Theatercoup sehr gewöhnlich, und trägt durch
ihr Ueberraschendes zur Lebhaftigkeit der Handlung bey.
Jm Oedipus Tyrannus trifft Erkennung und Peripetie zusammen,
und giebt der λυσις einen fürchterlichen Effekt.
3) Die Handlung muß ferner eine begreifliche Totalität darstellen,
sie muß Einheit, Zusammenhang der Theile, Vollkommenheit
zeigen, wenn man bey der Auflösung auf sie
zurückblickt. Dieses begreifliche Zusammenstimmen der
Theile ist das, was man gewöhnlich die Wahrscheinlichkeit
oder ideale Wahrheit der poetischen Handlung
nennt. Aristoteles in seiner Poetik c. 10. 23. unterscheidet
hierdurch die historische Poesie von der Geschichte. Sie ist
gleichsam das Jdeal, welches der Geschichte vorgehalten
wird. Die Geschichte soll streben so begreiflich zu werden,
wie das historische Gedicht, und insofern hat Quinctilian
recht, wenn er die Geschichte ein von metrischem Zwang
freyes Gedicht nennt. Es wird also eine Haupteinheit
verlangt, die nicht blos in der Zeit sey, ein Synchronismus
der Begebenheiten, sondern in und durch die Jdee
des Hauptzwecks. Alle Nebenbegebenheiten und Zwischenvorfälle |#f0121 : 597|

müssen sich begreiflich auf die Hauptbegebenheit
beziehn. Sind also zu viel und zu mannichfaltig verwickelte
Begebenheiten aufgehäuft, die an der Leichtigkeit des
Begreifens hindern, so ist dies ein Fehler. Fehlerhaft ist
also hierinnen das Gedicht des Ariost, wenn gleich dessen
romantischer Charakter ein größeres Herumschweifen der
Phantasie entschuldigt. Denn es ist nicht anders möglich,
als daß man die Schicksale des einen Ritters über den Schicksalen
des andern vergesse. Zumal da die Erzählung unaufhörlich
unterbrochen wird. Fehlerhaft sind Trauerspiele,
wie das des Corneille Clitandre im altspanischen Geschmack,
wegen der zu vielen Nebenpersonen, Nebenintriguen, Vertrauten
u. s. w. ─ Die Wahrscheinlichkeit, welche
für eine poetische Handlung verlangt wird, ist doppelt.
Es bedarf das historische Gedicht einer psychologischen
und einer kosmischen Wahrscheinlichkeit. Denn wenn
eine Handlung begriffen, logisch vollkommen erklärt
werden soll, muß man die Gründe theils in den Charakteren
der Denk- und Handlungsweise der Personen,
theils in der kosmischen Verbindung der Begebenheiten
aufsuchen. Die Handlung als Willensthätigkeit
muß zugleich ein lebendes Sittengemälde seyn (διανοια und
ἠθος sind die psychologischen Ursachen der Willensthätigkeit).
Die Charaktere können also idealisirt, aber
sie müssen wahrscheinlich, und ihren Handlungen angemessen
seyn. Da der Charakter im Menschen bleibend ist,
so muß er sich auch durch die ganze Handlung treu bleiben,
d. h. er muß gut durchgeführt seyn. ─ Rein vollkommne |#f0122 : 598|

und eben so durchaus böse Charaktere, die ohne allen Kampf
sich zum Guten oder Bösen bestimmen, giebt es vielleicht
gar nicht. Der Dichter muß also dergleichen nicht darstellen,
weil ihnen die Wahrscheinlichkeit fehlt. Sie haben
auch keine Lebendigkeit, weil sie nicht durch Leidenschaften
und Neigungen angetrieben werden. Sie erscheinen
als bloße Maschienen des Dichters, um die Begebenheit
herbeyzuführen. Sie sind Gedankenwesen, Abstracta.
Jeder Charakter muß eine Jndividualität haben.
Menschen, wie Jago, die gern hetzen, und boshaft intriguiren,
giebt es. Lady Makbeth, das Weib, die aus ihrer
Sphäre tritt, ist begreislich. Miltons Satan hat Charakter
und Leidenschaft. Aber diese Charaktere stehn vielleicht
an der Gräuze. Klopstocks Satan ist schon mehr
Gedankending, der Begriff des Bösen. Daher muß sich
auch der Dichter vor blos allegorischen Personen hüten,
welche nicht zugleich mythologisch und historisch individuell
sind, wie die alten Götter. Wenn Voltaire glaubt,
das Wunderbare des Heldengedichts für aufgeklärte Nazionen
durch allegorische Personen genießbar zu machen,
so irrt er. Die Zwietracht u. s. w. sind wenigstens
keine Personen für eine Handlung. ─ Ferner muß
sich der historische Dichter in Acht nehmen, daß er die Charaktere
nicht etwa blos beschreibt. Homer läßt seine
Personen selbst handeln. Die Charakteristik der Jünger im
Messias ist, als lyrische Schilderung unübertrefflich
schön. Aber die Handlung läßt sie kalt. Silius Jtalicus
schildert den Charakter des Hannibal, wie ein Geschichtschreiber |#f0123 : 599|

. ─ Auch dürfen die Dichter nicht etwa den Charakter
im bloßen äußerlichen Betragen setzen. Manche dramatische
Dichter glauben schon alles gethan zu haben, wenn
sie einen Gecken, eine stolze Adliche Französisch reden lassen,
wenn der Eilfertige eilig ist, der Schwätzer schwatzt, der
Lügner lügt u. s. w. Alsdann nähert sich das Lustspiel
schon mehr der Posse. ─ Wenn es zur psychologischen
Wahrscheinlichkeit gehört, daß der Charakter sich
treu bleibe, so ist damit nicht gesagt, daß er seinen Entschlüssen
treu bleibe. Er kann sich umstimmen lassen, wie
Makbeth, wie Clavigo. Nur muß die Möglichkeit dieser
Veränderung in seinen Neigungen begründet seyn. ─ Was
nun die kosmische Wahrscheinlichkeit, d. h. den
Zusammenhang der Begebenheiten betrifft, so versteht es
sich, daß man sie mit der physischen nicht verwechseln
müsse. Der Dichter hat seine eigne Welt, die von der
natürlichen ganz verschieden ist. Hat er das Wunderbare
in dieselbe aufgenommen, so kann er es auch
wirken lassen. Nur darf er es sich auch hier nicht zu leicht
machen, und durch keinen Deus ex machina ganz unerwartet
das Schicksal lenken lassen. ─ Jupiter beym Homer
wägt zwar das Loos der Helden. Es ist aber der
Ausgang nicht seiner Willkühr, sondern dem Schicksal unterworfen,
welches seinen festen Gang fortgeht. ─ Wenn
Wieland den Hüon auf dem Arme eines Geistes von der
wüsten Jnsel dahin tragen läßt, wo Amanda ist, so ist dies
ein wenig gewaltsam. Denn es ist durch nichts vorbereitet.
Es scheint mehr eine Aushülfe zu seyn. Oberon lenkt das |#f0124 : 600|

Schicksal der Liebenden. Allein man hätte vorher einen Blick
auf seinen ganzen Plan thun müssen, um dies nicht zu
mährchenhaft zu finden. ─ Jm Oedipus entwickelt sich
das Schicksal wunderbar, aber man ahnt gleich von vorn
herein und nach und nach immer deutlicher den Gang der
Begebenheiten. Es ist alles in einander nach Naturgesetzen
gegründet, wenn gleich eine höhere wunderbare Natur zum
Grunde liegt. ─ Zur kosmischen Wahrscheinlichkeit
kann man auch bey Gedichten, wo wirkliche Geschichte zu
Grunde liegt, die Beobachtung eines gewissen Kostüme
d. h. Ueblichen in äußerer Decoration des Gedichts rechnen,
und daß man dem Geiste der dargestellten Zeit gleich bleibe.
Wo man voraussetzen kann, daß die Geschichte genau bekannt
ist, wird der Zuhörer durch Widersprüche verwirrt.
Wenn Kamoens in seinem Gedichte die heidnischen Götter
mit katholischen Helden zusammenstellt, ist dies wider die kosmische
Wahrscheinlichkeit. ─ Milton braucht die Fabel nur
zu Vergleichungen. Das geht. Endlich gehört zur Totalität
einer Handlung eine gehörig vorbereitete befriedigende
Auflösung,
die nichts zu wünschen übrig lasse. Der
Verstand muß Alles, worauf seine Aufmerksamkeit gerichtet
war, enträthselt haben. Das Gedicht darf hier weder
zu wenig noch zu viel enthalten. Tod und Begräbniß
des Hektors in der Jliade, gehört noch zum Plan des Ganzen,
wenn man auch den Zorn des Achilles als den
Stoff des Gedichts und überhaupt das Gedicht als ein Ganzes
annimmt. Denn erst mit dem Begräbniß des Hectors
konnte die gespannte Aufmerksamkeit ganz befriedigt werden. |#f0125 : 601|

Zumal bey den Griechen war das Schicksal des Leichnams
nicht gleichgültig. Eins fließt in der Jliade aus dem andern.
Aus dem Zorn des Achills, der nicht selber kämpfen
will, folgt die Niederlage der Griechen, die Absendung und
der Tod des Patroclus, daraus der Tod und das Begräbniß
Hectors. Nur hier endigen sich alle Folgen des Zankes
im ersten Buche. ─ Aber das Ende des Gedichts
darf auch nicht zu wenig enthalten. Man tadelt es am
Don Carlos, daß man über das Schicksal des Prinzen am
Ende keine völlige Auskunft erhält, an Wallenstein, daß
die Thecla verschwindet. So lange der Verstand noch nach
etwas zu fragen hat, kann auch die Empfindung des Schönen
nicht vollkommen seyn, die ihre letzte Höhe am Ende
des historischen Gedichts erreichen soll. 4) Jn dem historischen
Gedicht muß bey der Auflösung eine Stimmung zurückbleiben,
die wenn auch der Ausgang schauerlich ist, doch
eine gewisse Ruhe wegen Harmonie des Schicksals mit der
Ordnung in unserm Geiste giebt. Diese höhere Harmonie
giebt bey höhern historischen Gedichten die Empfindung
des Erhabenen, bey niedern die des reizend und lebendig
Schönen.


§. 3.


Da der historische Dichter entweder die menschliche
Freyheit in ihren höhern Kämpfen darstellen,
und damit die Empfindung des rührend Schönen erwecken,
oder nur die Thätigkeit des niedern Be= |#f0126 : 602|

gehrungsvermögens schildern, und die Empfindung
des Lebendigschönen beabsichtigen kann, so giebt
es eine höhere und eine niedere historische
Poesie.
Jn beyden Fällen wählt der Dichter eine
oder mehrere von folgenden Formen. 1) Form der Erzählung,
2) dramatische Form, er läßt die
handelnden Personen selbst sprechen, 3) Liederform,
4) Verbindung eines eigentlichen Dramas mit Schauspielkunst
und Musik (Schauspielform).


[Abbildung]


II.


Von der höhern historischen Poesie.


§. 1.


Zu der Gattung der höhern historischen Poesie
gehören: A) die Epopöe oder das eigentliche
Heldengedicht.
Dies ist die Erzählung einer grossen
Begebenheit in der Geschichte, bey deren Entscheidung
die Willensthätigkeit in höchster Anstrengung,
und die Macht, welche das Schicksal der Welt nach
des Dichters Begriffen lenkt, mit vorzüglichem Einfluß
erscheint.

|#f0127 : 603|


Anmerk. Da der Stoff 1) eine große Begebenheit
in der Geschichte ist, so muß der Dichter
dieselbe uns wichtig zu machen wissen, indem er ihre ausgebreiteten
Folgen zeigt. Daher läßt Virgil den Aeneas immer
als Vater der Römer auftreten. Gleich anfangs giebt
er den Zweck seiner Reisen an tantae molis erat, Romanam
condere gentem
. Aeneas steigt in die Unterwelt,
um seine Nachkommenschaft zu sehn. Die Episode ist nicht
überflüssig. Homer giebt den Zorn des Achills an, als eine
Begebenheit von sehr wichtigem Einfluß ἡ μυρι Αχαιοις αλγε
εθηκε. Die Odyssee enthält zwar mehr ein häusliches
Sittengemälde und Reiseabentheuer. Man könnte sie wegen
ihrer Naivität eine heroische Jdylle nennen. Allein
sie steht doch mit der Begebenheit des trojanischen Kriegs
in einem genauen Zusammenhang, das Schicksal des Odysseus
ist an das seines Vaterlands geknüpft. Die Götter
selbst nehmen Antheil daran. Das Heldengedicht ist also
ein großes Gemälde, ein Stück aus der Weltgeschichte. Der
Dichter bedarf dazu eines weiten Schauplatzes, den er mit
großen und kleinen Gegenständen der Natur decorirt. Seine
Beschreibungen, seine Gleichnisse müssen dazu beytragen,
die Größe, die Wichtigkeit der Geschichte anschaulich zu
machen, sie mit dem ganzen Weltall in Zusammenhang zu
bringen. Es paßt auf ihn was Dante sagt, che non é
impresa di pigliar a garbo descriver al fondo tutto
l'universo
. Daher äußern die epischen Dichter auch oft,
daß sie der Beschreibung ihres Gegenstandes unterliegen.
ἀργαλεον δε μοι εϛι θεον ὡς παντ' ἀγορευειν. Sie möchten |#f0128 : 604|

hundert Zungen haben, um alles auszusprechen. Und doch
verlangen dergleichen Beschreibungen mehr Ruhe, wie die
des Lyrikers, dessen Phantasie, ohne fixirt zu seyn, überall
herumschweift. Weil die Begebenheit Einfluß auf einen
großen Theil der Menschheit hat, und sie gleichsam von
Grund aus aufrührt, so ist es natürlich, daß der Dichter
dabey Sitten, Kenntnisse, Religion, Charaktere eines ganzen
Zeitalters schildert, z. B. Homers und Tasso's Catalogus.
2) Da im Heldengedichte die menschliche Freyheit
im Kampfe und die Willensthätigkeit in der größten Anstrengung
gezeigt wird, so müssen die Begebenheiten entscheidend
seyn. Daher gewöhnlich kriegerische Begebenheiten,
Kampf auf Leben und Tod den Jnhalt ausmachen,
wo der einzelne Mensch vergessen wird (z. B. Il. ε. 689.).
Augenblicke, wie die im Homer, νυξ δ' ἡδ' ἡε διαρραισει
ϛρατον ἡε σαωσει. Venit summa dies et ineluctabile
tempus ─ una salus victis nullam sperare salutem.
Virg
. Daher lieben die Heldendichter den Contrast zwischen
Glück, Frieden und Tod, recht fühlbar zu machen, und
setzen das reizend schöne dem erhabenen entgegen, wie Homer
im 6ten und 22sten Buch der Jliade. Tassos Armida.
Fingal von Ossian 1stes B. zu Ende. Messias fünfter Gesang.
─ Oft auch zeigt sich reine Kraft und Anstrengung,
wie zu Anfang des eilften B. d. Jliade. Ungeachtet
also die Personen, welche hier auftreten, oft Helden
sind (im engsten Sinne des Worts), so giebt es doch auch
Epopöen, deren Haupthelden nicht kriegerisch sind. So
Adam und Eva in Milton. Denn der kriegerische Satan |#f0129 : 605|

ist nicht, wie Batteux glaubt, die Hauptperson. Es ist
nämlich nicht nöthig, daß in der Epopöe der Hauptheld siege
und seinen Zweck erreiche. Ein Hauptheld muß indeß
immer da seyn, der sich durch Charakterstärke und bewundernswürdige
Eigenschaften auszeichne, um den sich die
große Begebenheit dreht, dem alle andre Charaktere untergeordnet
sind. Nur dadurch wird die große Begebenheit
concentrirt, so zu sagen personisizirt, bekömmt Einheit und
Jnteresse. Dieser Held muß, wenn wir mit ihm sympathisiren
sollen, Leidenschaften haben, im Kampf mit sich
selbst und dem Schicksal erscheinen, wie Achilles, nicht,
wie pius Aeneas, blos eine Maschine des Dichters und der
Götter seyn. Die Handlung muß dadurch an Anschaulichkeit
gewinnen, daß alles auf dem Einen beruht. Der
Hauptheld der Jliade handelt zwar sehr lange gar nicht.
Sein Zorn ist aber doch die Ursache der ganzen Wendung,
welche die Dinge nehmen. Einige behaupten, Achill zürne
zu lange, sey zu lange unthätig. Allein nach dem Plane
des Gedichts, sollen die Folgen des Zorns dieses Helden
beschrieben werden. Dieß ist der Stoff des Gedichts.
Alles hängt davon ab, und folgt daraus, selbst der Tod des
Hectors. Mithin bleibt der Dichter seinem Gegenstande
ganz treu, wenn er den Achill lange ruhen läßt. Er will
nicht Achills Handlungen allein, er will die Folgen seiner
Unthätigkeit zeigen. Gerade daß er so lange hinter der
Szene bleibt, während andre Helden große Thaten verrichten,
daß man nur immer hört, Er sey noch größer als sie,
gerade dadurch wird die Erwartung gespannt. Jupiter |#f0130 : 606|

ehrt ihn, darum begünstigt er die Trojaner. Schon daß
er seinen Waffenbruder Patroclus sendet ist für die Bedrängten
eine große Hülfe. Und nun endlich erscheint er, handelt
kurz, und gebietet Entscheidung, wie ein Gott, wodurch
er der erregten Erwartung völlig entspricht. Hector,
wendet man ein, schadet dem Achill, durch das Jnteresse,
das seine Liebenswürdigkeit einflößt. Es ist wahr,
Achill ist rauh und wild. Es ist ein großes, wunderbares
Naturwesen mit heftigen Leidenschaften, voll Rachsucht und
Grimm. Doch er ist beharrlich in seinem Entschluß, er
hat auch gefällige Eigenschaften. Dies zeigt sein Betragen
gegen den Priamus, gegen die Herolde, welche die Briseis
fortführen, seine treue anhängliche Freundschaft für den
Patroclus. Uebrigens ist er ein Nazionalheld der Griechen.
Was kann Homer dafür, daß Hector mehr für unsern Sinn
ist? Achill ist der Sohn einer Göttin, größer, stolzer und
in seiner Lage nicht schlechter. Ueberhaupt ist die innere
Organisation der Jliade zu einer ganzen vollkommnen Handlung
unverkennbar. Mag sie ein Werk des Zufalls, mehrerer
Menschen seyn ─ so ist sie doch weit mehr durch einen
innern Schöpfergeist zusammengehalten, als die Aeneide,
welche ausgemacht das Werk eines einzigen ist. ─ Der
Hauptstoff, der Zorn des Achilles als eine Ursache
großer Folgen, eine Kette von Begebenheiten, ist, wie wir
bewiesen haben, vollkommen bis zum Ende durchgeführt.
Das Hauptinteresse ist das des Achills, der Thetis,
des Jupiters, daß der ungerecht beleidigte Achill
gerochen werde. Mag darinnen eine Jnhumanität |#f0131 : 607|

des Schicksals liegen. Dies ist vielleicht zu tadeln. Aber
dieses Hauptinteresse wird doch durchgeführt. Es zeigen
sich Schwierigkeiten. Agamemnons Rede wird von
den Griechen mißverstanden. Sie wollen nach Hause kehren.
Aber da wäre Achill nicht gerochen worden. Ulysses
hält die Einschiffenden ab mit Hülfe der Götter. Man will
den Krieg durch einen Zweykampf enden. Aber dann wär
Achill nicht gerochen worden. Die Götter verhindern die
Erfüllung des geschloßnen Bundes. Die Griechen sind
tapfer. Juno steht ihnen bey, ─ aber die Trojaner sollen
siegen. Denn sonst wär Achill nicht gerochen. Nun
empfängt er aber auch die Strafe für die Erfüllung seines
leidenschaftlichen Wunsches. Er verliehrt seinen Freund
Patroclus. Dies ist der Weltlauf im Ganzen dargestellt.
Nimmt man dazu die mannichfaltigen Leidenschaften
der Menschen und Götter, ihre Jntriguen wider einander,
die alle harmonisch in den Plan des Schicksals wirken, so
sehr sie wider einander laufen. ─ Sieht man auf die
Mannichfaltigkeit der Charaktere, die sich immer treu bleiben,
die selbst in äußern kleinen Umständen consequent geschildert
werden, (z. B. in der Art, wie die Helden, der wildromantische
Diomedes, der bejahrte Nestor daheim in ihren Zelten
gefunden werden,) so ist die Einheit gar nicht zu läugnen.
Einzelne Stellen mögen von den Rhapsoden eingeflickt seyn,
der Styl ist allerdings zuweilen sehr verschieden. Das Gedicht
mag selbst im Geiste des Dichters rhapsodisch existirt
haben, wenn er die Schreibkunst nicht kannte. Das Ganze
lag doch in seiner Seele. Einzelne Schlachtbeschreibungen |#f0132 : 608|

sind zu langweilig, zumal für uns, es giebt Widersprüche
in der Schilderung des Schlachtfelds, in der Geschichte
der Helden. Doch sind deren wenige. Einige
Wiederholungen zeigen von Schwäche, z. B. Il. VIII. 70.
wo Jupiter das Loos des Treffens wägt, ist diese Jdee weit
kraftloser, als wo er das Schicksal Achills und Hectors
wägt, im zwey und zwanzigsten Buch. Hier ist vermuthlich
Nachahmung eines andern Rhapsoden. Jm Ganzen
genommen ist aber doch ein Hauptheld, ein Hauptinteresse.
─ Wenig Dichter haben vermocht ihren Haupthelden
die Würde, die Theilnahme zu verschaffen, wie
Homer. Aeneas ist ohne alle Selbstthätigkeit, er ist
undelicat, gefühllos gegen die Dido. Träume und Weissagungen,
sein Vater Anchises leiten ihn. ─ Klopstock
hat seinen Helden zu sehr von Seiten der physischen Allmacht
gezeigt. Jm Evangelio ist es der moralische Gott,
verbunden mit der Menschennatur. Darum ist der Messias
im Evangelio weit liebenswürdiger, als in der Messiade. ─
Der Kampf im fünften Gesang, das Gericht ist mit den
wirklichen Leiden des verlassenen Christus am Oelberg nicht
zu vergleichen. Es ist erhaben und feyerlich, aber zu mystisch,
zu dunkel gehalten ─ als daß es aller Theilnahme
erregen sollte. ─ So viel von dem Helden des Heldengedichts.
3) Da das Heldengedicht gleichsam eine Periode
der Universalgeschichte in einem Moment anschaulich
darstellt, so muß es auch, um die Begebenheit zu erklären,
die Mächte, welche das Schicksal lenken, nach der Vorstellungsart
des Zeitalters schildern. Daher verlangen die |#f0133 : 609|

Dichter Aufschlüsse von den Musen, und man hat von jeher
das Wunderbare zur Hauptingredienz der eigentlichen
Epopöe gemacht. Kein Heldengedicht aus der neuern Geschichte
wird glücken, so wenig, wie Silius Jtalicus und
Lucanus glücklich gewesen sind. Die Geschichte muß sich
in das Unbegreifliche, in die Fabelwelt verliehren.
Unbekannte Mächte müssen mit Theil daran haben. Daher
bringen die Epiker Himmel und Unterwelt in Verbindung
mit der irdischen Begebenheit, und suchen sich aus höhern
Ursachen dieselbe begreiflich zu machen, wodurch
sie auch die Wichtigkeit der Handlung mehr ins Licht setzen,
z. B. der Götterkampf in der Jliade. Für die Würde der
eigentlichen Epopöe schickt sich jedoch mehr das höhere
Wunderbare aus der Götterwelt, welches auf die ganze
Weltordnung Beziehung hat, als blos phantastische Mährchen
von Zauberern, wie im Tasso, Schiffe und Wälder
und Pferde die weissagen, Stürme in einen Schlauch eingesperrt
u. s. w. Die Odyssee nähert sich schon mehr dem
romantischen Gedicht; bey den Reisen des Odysseus
hat man also das Abentheuerliche, die Somnia Iouis gern.
Jm Tasso verliehrt durch die vielen romantischen Mährchen
das Ganze an Größe. Er richtete sich etwas nach dem
Geschmack seines Zeitalters. Hätte er es ganz thun können,
wär sein Geist nicht zu idealisch gewesen, so hätte
er vielleicht eben das Glück gemacht, wie Ariost. So
schwankte er aber zwischen dem reinen und dem seinen Geschmack,
und that keinem ganz Genüge. Ossian kennt das
Wunderbare nicht, einige Geistererscheinungen ausgenommen |#f0134 : 610|

. Allein Ossians Gesänge gehören auch mehr unter
die Gattung des romantischen Gedichts, als daß
sie eigentliche Epopöen seyn sollten. Glovers Leonidas ist
auch ohne das Wunderbare, aber es ist auch keine eigentliche
Epopöe. Uebrigens muß selbst das Wunderbare
eine Art physische und psychologische Wahrscheinlichkeit
haben, damit es dem Menschen begreiflich
werde, die wunderbaren Kräfte müssen menschlich handeln.
Es muß mehr Bewunderung als Verwunderung
erregen, also zweckmäßig seyn.


§. 2.


Der im vorhergehenden angegebene objektive
Stoff der Epopöe bestimmt nun auch den ästhetischen
Jnnhalt
derselben. Die Hauptempfindung,
welche in ihr herrschen muß, ist das Große.
Nach ihr modifiziren sich die übrigen.


Anmerk. Das Heldengedicht muß mit dem Großen
beginnen und mit dem Großen enden, in beyden Fällen einfach
seyn, der Stoff selbst ist hinlänglich, diese Empfindung
zu wecken. So schließt Homer mit dem Grabe des Hektors.
Ως ὁι γ' αμφιεπον ταφον ἑκτορος ἰπποδαμοιο. Es ist
als wenn man am Grabe einer Welt stünde. Die Hauptempfindung
ist also nicht tragisch, wie Marmontel glaubt,
nicht stark, nicht heftig, sondern Bewunderung der
Größe des Schicksals. ─ Man sieht Glanz, Herrlichkeit, |#f0135 : 611|

heroisches Leben, und am Ende löst sich alles auf in eine
allgemeine ruhige Jndifferenz des Schicksals. Am Ende
der Jliade wird eben der Hektor bestattet, welcher im zwölften
Buche, wie ein verderblicher Gott, das Lager der
Griechen anzündete. Achills Zorn ist befriedigt, seine Ehre
wieder hergestellt. Aber er hat auch gebüßt für seine Leidenschaft.
Die allgemeine Weltordnung erscheint hier in
einem Moment, unter der Ansicht eines Ganzen. Daher
ist über die Epopöe eine große Stimmung verbreitet, welche
sich dem Erzähler mittheilt, welche alles modificirt. Das
Starke, das Heftige, das Schreckliche, findet in der
Mitte der Handlung statt. Aber immer muß die Jdee der
Größe jeden Contrast wieder aufheben. Auch das reizend
schöne muß zuweilen gefunden werden, damit die
Anspannung nicht zu groß sey. Daher führt uns Homer
aus dem Schlachtgewühl ins häusliche Leben, erinnert uns
an die Eltern, Weiber, Kinder, für welche gefochten wird.
Nur darf man sich nicht zu sehr darein verliehren. Tasso ist
selbst mit dem Rinald in die Schlingen der Armide gefallen.
Da das Heldengedicht wegen seiner Länge in verschiedene
Stücke, Bücher, Rhapsodien, Gesänge getheilt wird, so
muß jedes Buch ebenfalls mit einer großen Empfindung
schließen, und das folgende mit einer starken muntern beginnen.
Das Große muß als herrschend bey jeder Pause
im Gedicht angetroffen werden. Nur muß die Größe
nicht so vollendete Ruhe geben, wie am Ende des Werks,
sondern muß mit einer Art bangen Erwartung verbunden
seyn, in Ansehung dessen, was kommen wird. Daher |#f0136 : 612|

schließen die heroischen Dichter einzelne Gesänge gern mit
Bildern der Nacht vor dem Schlachtmorgen, z. B. Iliad. α,
besonders schön schließt Il. η. wo Jupiter die ganze Nacht
durch donnert, auch Il. θ. Ossian Fingal erstes Buch, wo
man die Geister in der Nacht wehklagen, und zuweilen nur
den Schall des Schildes hört. ─ Tasso 2ter Gesang,
wie die christlichen Helden dem Morgen entgegen sehn, weil
sie Jerusalem zu erreichen wünschen. Mirano ad or ador
se raggio alcuno spunti, o rischiari della notte il bruno
.
Die folgenden Bücher beginnen dann mit der Morgenröthe
erwartungsvoll. ─ Das Sanfte, die Grazie, das
Naive, alles findet sich im Homer, der eine lichte heitere
Ansicht von der ganzen Welt giebt. Aber immer kehrt das
Starke, das Schreckliche wieder, und das Große mildert
den Gegensatz. Auch das Lächerliche hat Homer in
seine Gedichte aufgenommen, spätere Epopöendichter haben
es nicht gewagt. Vulkan, der im Olymp herumhinkt, Thersites,
Ajax, der in das ονθος βοων fällt ─ (dies hat denn
doch der Nachahmer Virgil aufgefaßt und im certamine navali
nachgeahmt.) Jn der heitern Phantasie des Griechen
ist dies keine Dissonanz.


§. 3.


Da der Heldendichter als Erzähler sich nicht
ganz in der Handlung verliehren, sondern den Faden
immer in der Hand, und den Blick auf das Ganze behalten
muß, sein Stoff aber so wichtig, so ausgedehn |#f0137 : 613|

ist, so geziemt sich für ihn ein lichter, gleichmäßiger
einfacher schöner
Styl, ohne lyrische Spannung.
Er muß eine gewisse Hoheit und Selbstständigkeit,
Ruhe beobachten, die des Jnnhalts
würdig sey. Er muß natürlich erzählen, damit der
Geist nicht durch unnütze Figuren bey der Größe des
Werks ermüdet werde. Man kann also dem Styl
der Erzählung den Charakter des Edlen beylegen.
Das Metrum muß der Sprache die größte Ausdehnung
zulassen, in seinem Gange stark, feyerlich, ruhig
seyn.


Anmerk. Homer ist hier völlig Jdeal. Wenn er
auch die Größe seiner Gegenstände als unerfaßlich angiebt,
ganz unterliegt er nicht. Sein Geist behält eine lichte nüchterne
Vorstellkraft, die ohne allen lyrischen Schwung ist.
Wenn er auch noch so rührende Szenen schildert, er selbst
nimmt nicht Theil. Er schwebt, wie ein anschauender Gott
über dem Ganzen. Wie ruhig ist die Wiederholung Il XXII.
vs. 78─91. ουδ' ἐκτορι θυμον ἐπειθον
. ─ Die Personen
reden mit der heftigsten Leidenschaft, wiewohl auch
immer im einfachen Styl. Er selbst der Erzähler bleibt
zwar nicht gefühllos, das zeigen seine Epitheten φιλον ὑιον,
δειλοι βροτοι. Aber im ganzen zeigt er, um mit dem Horaz
zu reden, aequam mentem in rebus arduis. ─
Dies ist die höchste moralische Maxime der Epopöe. Keine
andere, so viel auch Le Bossu dafür sagen mag, liegt nicht zu |#f0138 : 614|

Grunde. Deswegen läßt sich Homer auch nicht darauf ein,
lyrische Selbstgespräche zu halten. Er sucht seine Selbstständigkeit
darin, daß er den Sinn des Lebens, die Objekte
auffaßt und idealisch ausbildet. ─ Ossians Erzählungen
haben nicht den ächten epischen Ton. Es sind mehr
lyrische Erinnerungen. Hier ist Odeuschwung. Dies
ist eine andre Gattung. Ossians Gedichte sind auch kürzer,
sie sind mehr romantische Heldengedichte, als Epopöen.
Der Schauplatz ist dunkler gehalten, und läßt dem subjektiven
Gefühl mehr Spielraum. Homer dagegen, bey
dem alles lichte Anschauung seyn sollte, durfte sich nicht dem
lyrischen Gefühl hingeben. Milton hat zwar lyrische
Einleitungen. Sein Styl ist schon körnigter, sentenzenreicher,
phantastischer als der des Homer. Diesen höhern
Schwung erheischt der Gegenstand. Aber er hat doch den
epischen ruhigen licht darstellenden Ton genauer
gehalten, als Klopstock. Klopstocks Epopöe ist
im religiösen Hymnenton. Es sind Blumen aus einer
höhern Welt. ─ Aber die Welt selbst ist nicht dargestellt.
Der Sprachausdruck ist oft zu angespannt. Aus
diesem Grunde wird das Gedicht wegen der epischen Länge
für das anhaltende Lesen schwer. Doch wie viele lesen auch
den Homer, den Tasso auf einmal durch? Klopstocks Gegenstand
setzt in dem Erzähler ein hohes religiöses Gefühl
voraus. Er muß also seine Erzählung immer unterbrechen,
durch Aeußerungen der Andacht. Milton konnte seine
Welt schon mehr episch darstellen, Klopstock konnte sie
nur ahnen. Milton ist ein größerer Heldendichter in Ansehung |#f0139 : 615|

der Handlung. Klopstock hat eine Begeisterung,
die ihm einen wahren Prophetenton giebt. Jn manchen
einzelnen Versen der Messiade liegt das ganze Gefühl der
Ewigkeit. Das kann uns Milton nicht geben. Aber Charakter,
Darstellung, lebendig epischer Styl ist mehr in dem
Englischen Dichter zu finden. ─ Was nun das Metrum
betrifft, so paßt der Hexameter wegen seines majestätischen
Ansangs, wegen seiner Ausdehnung am besten. Homers
Hexameter in der Fortdauer gelesen sind die Fluthen des ruhig
sich wiegenden Ozeans. Milton braucht die Jamben.
Tassos Stanzen haben den Charakter sanfter Ruhe besonders
durch die beyden Schlußzeilen und die weiblichen Endreime.
Allein Tassos Gedicht giebt mehr die Empfindung der erhabenen
Grazie. Dazu paßt die Stanze.


§. 4.


B. Das romantische Heldengedicht ist
die poetische Erzählung abentheuerlicher und wunderbarer
Begebenheiten aus kriegerischen Zeiten, welche mehr
Situationen aus dem Leben einzelner Helden sind, als
daß sie eine Ansicht von der Weltordnung im Ganzen
geben.


Anmerk. 1. Der Zorn des Achill im Homer hat
Einfluß auf ganze Nationen. Das Schicksal kriegführender
Mächte ist nothwendig damit verbunden. Jm Ariost hingegen
ist die eifersüchtige Liebeswuth des Orlando, die Geschichte |#f0140 : 616|

des Astolfo, des Ruggiero u. s. w. Hauptsache, und
daß ein großer Krieg dabey geführt wird, ist zufällig. So giebt
auch Ariost seinen Jnnhalt an: Le Donne, ei Ca
valier, l'arme, gli amori, le cortesie, l'audaci imprese
io canto, che furo al tempo, che passaro i
Mori d'Africa il muro
u. s. w. Also eine Menge abentheuerlicher
Begebenheiten rafft hier der Dichter zusammen,
und stellt sie dar. Die Begebenheiten sind zu der Zeit des
Kriegs. Aber das ist nur zufällig. Er will nicht Eine
wichtige Handlung, er will recht verwickelte Begebenheiten
von Privatpersonen schildern. Tasso hingegen, ob er gleich
zum romantischen Gedicht sich hinüber neigt, auch in seinen
discorsi keinen Unterschied zwischen Epopöe und Rittergedicht
anerkennt, kündigt seinen Jnhalt doch im Ton der
förmlichen Epopöe an. Die frommen Waffen singt er,
und den Feldherrn, der Christi großes Grab befreyte. Das
ist also Eine wichtige Handlung, und er schließt damit, daß
Goffredo vor dem eroberten Grabe nieder knieet. Das
Abentheuerliche, das Ueberraschende ist also im romantischen
Heldengedicht die Hauptsache. Das Wunderbare
was hier vorkommt ist nicht das höhere Wunderbare,
das sich auf die letzten Weltursachen bezieht, sondern
das niedere Wunderbare, das Mährchenhafte. Zauberer,
Riesen, Gnomen u. s. w. sind hier die Haupttriebfedern,
weil man keine Ansicht der ganzen Weltordnung verlangt,
das höhere wunderbare würde sogar hier stöhren,
weil es zu viel Licht giebt. Das romantische Gedicht
will dunkel gehalten seyn. Man will sich hier gar |#f0141 : 617|

nicht orientiren. Es ist dies eine besondere Richtung, welche
die Poesie bey den neuern Nazionen genommen hat. Die
Phantasie, die hier recht eigentlich zu Hause ist, will sich
verliehren in einzelnen Situationen des Lebens. ─ Weil
oft der Stoff für dergleichen Gedichte aus den Ritterzeiten
genommen wird, so nennt man sie auch Rittergedichte.
Der ästhetische Jnhalt ist also das romantisch
schöne,
mithin die Grazie (s. oben von den Untergattungen
des Schönen.) Man könnte das romantische
Gedicht mehr zu den historischen Gedichten des niedern
Schönen zählen, wenn nicht der kriegerische Stoff
der Empfindung eine herrschende Heftigkeit und Hoheit
mittheilte. Der Styl muß leicht seyn, kann
ans Galante gränzen. Da die Phantasie hier vorzüglich
spielt, so kommt dem Dichter sogar der Ton einer Jronie
mit sich selbst und des Scherzes zu. Jhn haben Wieland
und Ariost angenommen, die hier Muster sind. Wieland
hat Einfachheit des Plans vor Ariost voraus, wenn er
gleich minder poetisch ist. Das beste Metrum ist die
Stanze.


Anmerk. 2. Kleinere romantische Gedichte in
Liederform und Volkston, in welchen heroische und andere
abentheuerliche besonders grausende Begebenheiten dargestellt
werden, nennt man Balladen oder Romanzen
im weiten Sinne. Die englischen und altschottischen
Balladen geben hier das beste Muster. ─ Der Jnnhalt
muß abentheuerlich seyn, aus der Ritter=, Kloster=, |#f0142 : 618|

Geisterwelt. Der Nahme mag vom Tanz herkommen,
denn es ward bey diesen Volksliedern in Jtalien getanzt,
und man findet hier und da noch solche rhapsodische Aufführung.
Anfangs waren es nicht einmal Erzählungen. Aber
späterhin wurden sie auch dramatisch. ─ Der Volkston
erlaubt hier Scherz und selbst einen Grad von Gemeinheit.
Der Ausdruck poesia volgare, den die Gedichte
in der italienischen Volkssprache führen, ist hier recht
eigentlich angewandt. Das Metrum muß fließend, strophisch
und für den gemeinschaftlichen Gesang eingerichtet
seyn. Uebrigens hieß Romanze bey den Jtalienern zuweilen
auch das größere romantische Gedicht. Oft besteht
es auch bey ihnen wohl mehr aus einer Menge einzelner
Romanzen, als daß es Ein Ganzes ausmachen sollte. ─


Anmerk. 3. Das romantische Gedicht wählt
oft zum Jnhalt das ganze Leben irgend eines Helden, und bedient
sich dabey der dramatisirenden Form. Dergleichen
dialogisirte heroische Biographien, oder dramatisirte
Romane werden oft von ihren eigenen Verfassern mit
wirklichen Dramen verwechselt. So brachte Shakespear
das Leben der Englischen Könige auf die Bühne. Szenen
aus so einer Biographie darzustellen und mit Schauspielkunst
zu verbinden, insofern das sich mit der Enge einer Bühne
verträgt, ist nicht tadelhaft. Denn die Schauspielkunst
kann vielleicht auf mehrere Arten der Poesie angewendet
werden, als man bis jetzt denkt, und die Aesthetik wird
wohl thun, wenn sie Drama und Schauspiel ganz |#f0143 : 619|

von einander trennt. ─ Nur muß man dergleichen dramatisirte
Biographien nicht als wahre Dramen und
Tragödien betrachten. Denn sonst wären sie fehlerhaft.
Wenn man also hier eine neue Eintheilung macht, und diese
dramatischen Geschichten zum romantischen Gedicht
rechnet, wohin sie auch gehören, so rettet man eine ganze
Menge Werke des Genies von dem Vorwurf der Unvollkommenheit.
Warum soll sich alles unter das Joch des
Aristoteles beugen? warum soll überall ein Drama seyn?
das Genie thut recht, sich nicht an die einseitigen Regeln
zu binden, und stets neue Formen zu erfinden, nur muß es
ihnen auch bestimmte Nahmen geben. Die heroischen
dramatisirten
Biographien haben also noch einen weitern
Jnhalt, als das gewöhnliche romantische Gedicht.
Dieses umfaßt nur Situationen. Hier wird oft ein ganzes
Leben dargestellt. Wie der eigentliche Roman, eine
Untergattung der niedern historischen Poesie, den Charakter
und die Handlungsweise eines Menschen aus der bürgerlichen
Welt entwickelt, eben so haben die dramatisirten
romantischen Biographien
die Entwicklung eines
heroischen Charakters zum Hauptgegenstand, der
ästhetische Jnhalt des Gedichts ist das Romantische.
Das Leben muß voll verwickelter Schicksale seyn. ─ Das
Gedicht kann auch größere Decorationen vorschreiben, als
die eigentliche Tragödie, weil nicht nöthig, ja nicht einmal
möglich ist, daß alles davon auf die Bühne gebracht
werde. Der Styl kann zuweilen selbst scherzhaft seyn.
Denn es ist eine Darstellung des ganzen Lebens, wie |#f0144 : 620|

darinn alles bunt durch einander geht. Daß die Personen
ihrem Charakter angemessen sprechen müssen, versteht sich
von selbst. Ein großer Theil der Shakespearschen Stücke
ist nicht zur Tragödie, sondern zum romantischen Gedicht
in dramatisirender Form zu rechnen. Das beste Muster
für diese Gattung giebt des Englischen Dichters Heinrich
der vierte, wo der genialische Charakter des Kronprinzen
geschildert wird, und Göthes Götz von Berlichingen.
Am besten ists hier, wie auch Shakespear thut,
daß Prosa und Metrum mit einander abwechseln, da
es in einem dergleichen Gedichte bald höhere lyrische Momente,
bald gemeinere Situationen giebt. ─ Schillers
Wallenstein und seine Jungfrau gehören auch hierher. Es
sind mehr dramatisirte romantische Gedichte, als Tragödien.


§. 5.


IC. Die Tragödie ist die Darstellung einer
heroischen Handlung, welche die Empfindungen
des höhern Schönen erweckt, in vollkommner Form
des Drama d. h. zu dem Zweck eingerichtet, mit der
Schauspielkunst verbunden zu werden.


Anmerk. Die Tragödie ist für die darstellende
Poesie ungefähr das, was die Ode für die lyrische
war. Wir nannten die Ode das vollkommenste lyrische Gedicht.
So ist auch die Tragödie gleichsam die höchste Potenz
der darstellenden Poesie. Dem Heldendichter gehn weit |#f0145 : 621|

eher Fehler hin, als dem tragischen, weil hier jeder Fehler
gegen das Ganze eher gefühlt wird. Sophocles ist ein
vollkommnerer Dichter, wie Homer, dieser aber ein größerer.
Der Jnnhalt der Tragödie wird gewöhnlich nach
dem Aristoteles in das φοβερον και ἐλεεινον gesetzt, an
welches der griechische Philosoph das menschliche Auge gewöhnt
wissen will. Jndessen machen weder jene Leidenschaften,
noch ein unglücklicher Ausgang das Wesen des
Trauerspiels aus. Einige fanden darinnen einen Unterschied
zwischen Epopöe und Tragödie, daß in der ersten
der Held siegen, in der letztern unterliegen müßte. Allein
was heißt dies unterliegen? Soll der Hauptheld allemal
sterben? Dies ist nicht immer der Fall. Brutus
läßt seine Söhne hinrichten. Dies giebt dem Voltaire,
dem Alfieri Stoff zu einem Trauerspiel. Brutus ist
Hauptheld. Aber er stirbt nicht. Soll unterliegen
heißen seinen Zweck verfehlen? Auch wieder nicht; wie oft
erreicht ein Held gerade seinen Zweck durch den Tod, wie
oft siegt er über seine niedere Natur, wie Antigone.
Daß in der Tragödie nothwendig Fürsten und Könige handeln
müssen, gehört auch nicht zu ihrem Wesen, wiewohl
jene Personen öfter in tragische Verhältnisse kommen, wie
andere. Man kennt längst auch das bürgerliche Trauerspiel.
Also ist der Jnnhalt der Tragödie in eine heroische
Handlung zu setzen, in einen großen Kampf der Frey=
heit mit dem Schicksal, mit dem niedern Begehrungsvermögen.


|#f0146 : 622|


§. 6.


Da die Tragödie die Form des Dramas
annimmt, und zu dem Zwecke eingerichtet ist, vorgestellt
zu werden, so muß der Plan der Handlung
vorzüglich faßlich, dieselbe gut eingetheilt, und in jeder
Rücksicht vollkommen seyn. Das Kunstwerk muß in kurzer
Zeit vorgestellt werden, daher wird auch eine schnelle
Uebersicht desselben erfordert, und jeder Fehler weit leichter
gefühlt. Daher muß das überflüssige Episodische
vermieden, und der Verstand bey aller Anschaulichkeit
im Einzelnen immer auf die Einheit der Handlung
aufmerksam gemacht werden. Aus ähnlichem Grunde
wird die Einheit des Orts Vorzug eines guten
Trauerspiels seyn, zumal da sie dazu beyträgt,
das Ganze in einen Moment der Anschauung zu
concentriren.


Anmerk. Die sogenannten drey dramatischen Einheiten
sind allerdings Erfordernisse zu einem vollkommnen
Trauerspiele, wenn gleich dadurch das Trauerspiel noch
nicht schön wird. Es giebt große tragische Dichter, die sie
nicht beobachten, und schlechte, die sie beobachten. Die
Regel ist deshalb doch in der Natur der Sache gegründet.
Was 1) die Zeit betrifft, so darf eine Vorstellung nach
der Uebereinstimmung aller Dichter und Kritiker nicht viel
über drey Stunden dauern, weil sonst die Anfmerksamkeit |#f0147 : 623|

natürlich ermüden würde. Hieraus kann man nun zwar
nicht folgern, daß die Handlung selbst wie im Oedipus,
in den Horaziern u. s. w. nicht über diese Zeit hinaus währen
dürfe. Das wäre die Regel der Wahrscheinlichkeit zu
weit getrieben. Ueberdem kann angenommen werden, daß
einige Zeit in den Zwischenakten verfließe. Die ideale
Zeit, die in der wirklichen vorgestellt wird, kann also etwas
länger seyn. Voltaire verstattet etwa vier und zwanzig
Stunden. Corneille ist hierin auch sehr streng, und sie haben
nicht unrecht. Die Tragödie ist ein concentrirtes Kunstwerk.
Selbst bey der Epopöe war die Kürze der Zeit ein
Vorzug, geschweige denn bey der Tragödie. Je kürzer die
Zeit ist, desto mehr gewinnt die Handlung an individueller
Anschaulichkeit und Einfachheit. Shakespear läßt einmal
die Zeit als Chorus auftreten und erzählen, daß während
dem Akt sechzehn Jahre verflossen seyn. Dies ist witzig,
und paßt für das romantische dramatische Gedicht. Aber
nicht für das eigentliche ernste Drama. Das Lustspiel kann
eher wider diese Regeln handeln. Allein bey der Tragödie
muß alles vermieden werden, wodurch der Verstand beleidigt,
und nächstdem die Empfindung gestöhrt werden könnte.
2) Was den Ort betrifft, so trägt seine Einheit allerdings
auch zur einfachen Faßlichkeit des Plans bey. Denn
man kann aus der Decoration allein noch nicht gleich die
geographische Veränderung merken, die mit Verwandlung
der Szene vorgegangen ist. Wenn Shakespear seine Personen
bald in Schottland, bald in England auftreten läßt,
so ist das immer eine Freyheit, welche hätte vermieden werden |#f0148 : 624|

können, nämlich insofern eine wahre Tragödie, nicht
ein romantisches Gedicht beabsichtigt wird. ─ Pedantisch
würde es freylich seyn, der Wahrscheinlichkeit wegen zu verlangen,
daß immer derselbe Platz bliebe. Die neuern
strengen Kritiker verlangen also nur Eine Gegend, z. B.
den Umkreis eines Pallastes. Bey den Alten war die
Einrichtung ihrer Bühne, und besonders der Chor, der seit
dem Euripides die Bühne nie verließ, die Ursache von strenger
Beobachtung der Regel. Sie nahmen gewöhnlich einen
öffentlichen Platz an. Corneille giebt den Rath, man solle
die Szene nicht zu deutlich bestimmen, und das ist sehr richtig.
Es ist auch eine zu große Bestimmtheit in ästhetischer
Rücksicht, Beschränkung für die Phantasie. Verwandlung
der Szene vor unsern Augen mag bey romantischen
Darstellungen, Opern und Lustspielen sehr gut angehn.
Aber beym Trauerspiel stöhrt sie die ernste Einfachheit
des Ganzen. Die Alten halfen sich viel durch ihren αγγελος,
der das erzählte, was hinter der Szene vorging.
Wenn indeß, um diese Einheit des Orts zu beobachten,
große Unwahrscheinlichkeiten entstehn, wenn z. B. der Thürwärter
an demselben Ort Wache hält, wo Makbeth sich zum
Morde des Königs entschließt, die geheimsten Verschwörungen,
wie z. B. im Cinna, und nach einigen Umarbeitungen
im Fiesko in öffentlichen Zimmern abgehandelt werden, so
ist dies beynah schlimmer, als die Verletzung der Regel.
3) Muß die Handlung selbst im Trauerspiel einfach
seyn, und die strengste Einheit haben. Das ist für das
Trauerspiel eine unerlaßliche Regel. Wird der Verstand |#f0149 : 625|

durch Verwicklungen zu sehr beschäftigt, hat er zu viel zu
grübeln, über die Triebfeder der Handlungen, über die Umstände,
(wie z. B. im Don Carlos wegen Posas Tod) so
hat der Geist keine Muse, das Erhabene des Ganzen zu empfinden.
Jm Lustspiel, in der Oper, hat der Verstand
wegen der Munterkeit der Gemüthsstimmung Spielraum.
Es kann ihm, wie z. B. in Figaros Hochzeit Stoff zu grübeln,
gegeben werden. Daher heißt die Fabel des Lustspiels Jntrigue.
Die höhere Tragödie sollte nie zum Jnhalt
eine Jntrigue haben. Die besten Trauerspiele, der Oedipus
Coloneus, die Antigone sind ganz einfach, ohne verwickelte
Situationen. Oedipus Tyrannus ist verwickelter und steht
hier gewissermaßen an der Gränze. Allein die Verwicklung
ist doch planmäßig, es geht alles so leicht und faßlich auseinander,
daß der Verstand keinen Zweifel behält, und das
Ganze eben so schnell ahnet, als übersieht. Die Einfachheit
der Handlung wird durch Ein herrschendes Hauptinteresse,
durch die Beziehung des Ganzen auf das Schicksal
weniger Personen bewirkt. Jn dem erzählenden Gedicht
kann viel eingeschaltet werden. Aber in der Tragödie
hat man keine Zeit auf Nebendinge zu sehn. Es ist der
höchste Moment der Thätigkeit (ακμη). Daher muß es
keine überflüßige Personen geben, die offenbar blos Behelfe
des Dichters sind. Jhre Menge verwirrt den Zuschauer.
Man weiß nicht, ob sie nöthig werden seyn, oder nicht.
So haben die französischen Tragiker ihre Zuflucht immer zu
Vertrauten genommen, z. B. Corneille in dem Horaz.
Voltaire in seinem Oedipus hat auch zwey Vertraute. Das |#f0150 : 626|

sind Behelfe des Dichters, damit man die Gesinnungen der
handelnden Personen erfahre. Allein sie sind unnütz und
erschweren die Uebersicht des Ganzen, weil man nicht weiß,
wie viel sie zur Handlung beytragen werden. Auch hierinnen
war der Chor der Alten gut. Er vertrat die Stelle
der Vertrauten, die handelnden Personen klagten ihm
ihr Leid, er ermahnt, tröstet sie, hierdurch ward das Unnatürliche
der vielen Monologen gemildert, und dennoch die
Aufmerksamkeit durch keine überflüssigen Charaktere von den
Hauptcharakteren abgelenkt. ─ Ferner wird die Einfachheit
der Handlung gestöhrt, wenn zwar nicht ganz
unthätige, aber doch solche Nebenpersonen mit vorkommen,
die ihre Plane für sich haben, auf die man aufmerksam
gemacht wird. Shakespear und andre romantische
Tragiker versahn es hierinnen nicht selten, selbst Corneille
im Cid hat die Liebe der Jnfantin ohne Grund mit eingewebt.
Die Alten sind auch hier einfacher. Personen, wie Hämon
in der Antigone kommen selten vor, und dieser ist doch auch
nicht ganz unnütz. Antigone ist zwar über allen Kampf
erhaben, indeß vermehrt das Verhältniß mit Hämon das
Hauptinteresse, und die Heldin selbst nimmt oft auf das
Glück Rücksicht, dem sie entsagen muß, z. B. 816. Αχεροντι
νυμφευσω ─ ─ ανυμεναιος αγομαι. Auch wird
Creon durch des Hämon Tod wegen seiner Halsstarrigkeit
bestraft. Hämon kann also da seyn im Plane des Stücks,
er hätte auch den einfachen herrlichen Charakter zeigen müssen,
den er entwickelt. Er hätte aber mehr mit der Antigone
selbst in Verhältnisse gebracht werden sollen. Man |#f0151 : 627|

sieht, wie wenig die Alten die Liebe als eine tragische Leidenschaft
ansahn. Es war noch nicht die schwärmerische
Jdee von Seelenvereinigung damit verbunden. Ein neuerer
würde es sich nicht haben nehmen lassen, statt eines blos
lyrischen allgemein gehaltenen Chors über die Liebe, eine
Szene zwischen dem Hämon und der Antigone anzubringen,
und dann wär Hämon vielleicht als minder überflüssig erschienen.
Die Neuern zumal die Franzosen bringen dagegen die
Schilderung der Liebe selbst in die alten Fabeln. Beym
Racine ist sie fast immer die Haupttriebfeder der Handlung.
Allein das ist wider alle kosmische Wahrscheinlichkeit,
da der übrige Charakter der alten Helden zu dieser romantischen
Liebe nicht paßt. Jn Voltaires Oedipus muß wenigstens
Philoklet in die Jocaste verliebt seyn. Jm Jnnius
Brutus hat Titus Brutus Sohn für die Tullia eine
Leidenschaft, die sich im Sinne der ächten Rittergalanterie
zeigt. ─ Durch solche Widersprüche im Hauptinteresse
verliehrt auch die Handlung an Einfachheit.
Voltaire hat dadurch den Titus liebenswürdiger machen,
die Handlung mehr verwickeln wollen. Und darüber hat
Plan und Charakter an heroischer Simplicität verloren. ─
Um die Einheit der Handlung zu erhalten, muß der
Dichter einen solchen Stoff wählen, der an sich gehörige
Ausdehnung erleiden kann. Wenn er sich genöthigt sieht,
mehrere Begebenheiten an einander zu reihn, mehrere
Handlungen zu vereinigen, so ist dies schon Armuth in
der Materie. So tadelt Corneille sich selbst wegen seines
Horace. Horaz hat eine doppelte Gefahr zu bestehn, |#f0152 : 628|

und das giebt gewissermaßen zwey Handlungen, die nicht
nothwendig mit einander verbunden sind. Beym Shakespear
ist oft genialischer Jdeenreichthum die Ursache von einer
doppelten Handlung. So z. B. hat Romeo anfangs
eine andere Liebe, welche ihn einen ganzen Akt durch peinigt.
Jm Hamlet, welches mehr ein Charakterstück
ist, fehlt der rasche Gang der Handlung. Tragischer
ist Makbeth, dessen blutdürstiger Ehrgeiz von Verbrechen
zu Verbrechen unaufhaltsam fortgeht. Die einfache
Organisation der Handlung verlangt endlich eine proportionierliche
Disposition ihrer einzelnen Theile. Da dem
Zuhörer Ruhepunkte gegeben werden müssen, so hat man
die Eintheilung in Akte erfunden. Jndeß muß ein Akt
allemal so schließen, daß eine neue Erwartung entsteht,
die im folgenden befriedigt wird, wenn gleich er auch schon
den Anfang einer Auflösung erhalten muß, weil sonst keine
Ruhe möglich wäre. Unrecht ists, wenn mit Einem Akte
die Handlung so weit vollendet scheint, daß man keinen
folgenden vermuthet, wie z. B. im Otto von Wittelsbach,
im Clavigo. Die Zahl von fünf Akten ist zwar zufällig angenommen,
ist aber doch in der Natur der Sache gegründet.
Jede Handlung hat, wie Aristoteles sagt, einen Anfang,
eine Mitte, ein Ende. Wenn man für den
Anfang, und für das Ende einen Akt rechnet, so bleiben
drey für die eigentliche Verwicklung übrig, und das ist eine
richtige Proportion. Da in der Tragödie alles concentrirt
seyn muß, so muß alles Ueberflüssige vermieden werden.
Es ist keine Erzählung, es ist die Thatsache selbst, |#f0153 : 629|

die idealisch nach Ursache und Wirkung verknüpft, ohne
alle Episoden vor unsern Augen vorgeht. Gleich anfangs
(in der Protasis) muß das Hauptinteresse angegeben werden.
Oft helfen sich die Dichter auch durch einen Prologus. Jn
den folgenden Akten kann das Jnteresse durch die Hindernisse
immer steigen. Jm dritten Akt ist die Mitte gleichsam
die letzte Höhe erreicht. Von nun an muß die Verwicklung
aufhören, und die Auflösung beginnen. Diese Eintheilung
ist also zugleich eine richtige proportionirliche Vertheilung
der Zeit, welche der Zuhörer für den Genuß des Kunstwerks
anwenden will. Er will nicht zu schnell die Auflösung des
Ganzen erfahren, er will auch nicht zu lang hingehalten
werden. Auch will er nicht etwa im fünften Akte Klagen
über den im vierten zu früh verstorbenen Helden hören. Die
Handlung selbst soll alle Zeit füllen. Man nehme den Cid
des Corneille. Jm ersten Akt erfahren wir Rodrigos Liebe,
und zugleich zeigt sich ein Haupthinderniß ─ der Streit der
Väter. Der erste Akt endet mit dem Kampf des Cid zwischen
Ehre und Liebe. Man erwartet, ob er den Vater
seiner Geliebten zum Zweykampfe fordern werde. Dies geschieht
im zweyten Akte. Der Knoten schürzt sich immer
mehr. Rodrigo fordert den alten Grafen und tödtet ihn.
Die Geliebte verlangt vom König Gerechtigkeit gegen den
Mörder ihres Vaters, den sie liebt. Ende des zweyten
Akts. Der dritte Akt enthält die Mitte, die Höhe
der Handlung. Die beyden Hauptpersonen, die Liebenden
treten gegen einander auf, im vollen Gefühl ihrer verwickelten
Situation. Rodrigo bringt sein Leben seiner Richterin. |#f0154 : 630|

Hier ist eine Art Stillstand, man genießt einen der schönsten
romantischen Momente, dieses merkwürdige Schauspiel,
wie Elmire ruft Rodrigue devant moi! ─ Mit dem
Ende des dritten Akts wird man aufmerksam auf die Entwicklung
gemacht. Die Handlung neigt sich. Der Feind
greift das Vaterland an, und Rodrigo wird vom Vaterland
aufgefordert, den Verlust des Feldherrn, den er tödtete,
zu ersetzen. Sein Sieg veranlaßt den König selbst der
Schiedsrichter zu seyn. Er tritt auf die Seite der liebenden
Herzen, und versöhnt ihre durch Meynungen getrennten
Gemüther. ─ So viel von den Akten. Bey den Griechen
kann man oft sieben bis acht Akte zählen, wenn man
nach den Chören geht. Kleinere Abtheilungen heißen Szenen.
Die Kritiker verlangen hier zu jedem Abgehn und
Kommen von Personen mit Recht einen Grund im Plane
des Ganzen. Sie verlangen die Verkettung der
Scenen. Das Theater soll nicht ganz leer werden. Daß
Personen auftreten, welche nicht zusammen in Verbindung
siehn, dies würde eine zu große Abtheilung geben. Das
würde einem Akt gleichen. ─


§. 7.


Da der objektive Jnhalt des Trauerspiels eine
heroische Handlung ist, so wird der ästhetische
Jnnhalt
oder die subjektiven Empfindungen, welche
erweckt werden sollen, nothwendig zur Gattung des höhern
Schönen gehören. Alle Modificationen desselben |#f0155 : 631|

, die sich auf Schrecken und Mitleid gründen, und
die man insbesondre tragisch nennt, finden hier
statt. Die herrschende Hauptempfindung muß
das eigentlich Erhabene seyn, weil die Handlung
concentrirt ist, und Freyheit und Schicksal in
einem Kampfe zeigt, der sich doch durch die Hoheit
des Helden harmonisch enden soll. Alle andre Empfindungen
müssen sich darnach richten, müssen diesen
Charakter annehmen. Was den Gang in Abwechslung
der ästhetischen Gefühle betrifft, so läßt sich folgende
Regel behaupten. Die Tragödie muß mit einer
großen Stimmung beginnen, auf das Starke,
Heftige, Schreckliche
fortgehn, und mit dem
Erhabenen schließen.


Anmerk. Die besten Trauerspiele beginnen mit dem
ästhetisch Großen. Denn es muß eine schauerliche
Erwartung erregt werden von den Dingen die kommen
sollen. Sophocles versteht dies am besten. Jm Oedipus
Tyrannus, das bittende Volk vor dem Könige auf den
Knieen mit Zweigen in den Händen. Jm Oedipus Coloneus,
der hohe blinde Greis geführt von seiner Tochter in
einer einsamen Gegend, sich nahend dem Ort, wo sein
Schicksal erfüllt werden soll. Die Antigone, welche im
Vorhof in der Nacht der Jsmene ihren Entschluß mittheilt.
─ Jn der Elektra der Pädagog, welcher den Orest in die |#f0156 : 632|

Stadt seiner Väter mit der Morgenröthe einführt. ─ Eben
so weiß Shakespear sehr gut ein Trauerspiel anzufangen.
Jm Hamlet, die nächtlichen Wachen, die schon von dem
Gespenst erzählen, im Makbeth der Hexentanz im Sturm,
während der Schlacht. Die französischen Tragiker fangen
ihre Trauerspiele mit vertraulichen Unterredungen ohne Kraft
an, wo der Jnnhalt vorläufig erzählt wird. An die Stelle
des großen Anfangs im griechischen Oedipus ist beym Voltaire
eine Unterredung gekommen, zwischen Philoklet und
Dimat, zwey Nebenpersonen. ─ Cäsars Tod fängt besser an.
César tu vas regner, ─ eben so auch Brutus: Destructeurs
des Tyrans etc
. Lessings Emilia Galotti,
welche nur gegen das Ende wie von Ungefähr ein Trauerspiel
wird, hat zu Anfang einen schwachen Monolog.
Man findet selten bey den neuern Tragikern einen
guten Anfang. ─ Wenn auch nicht allemal mit einer
großen Empfindung, so sollte doch wenigstens das Trauerspiel
mit einer Anstrengung beginnen, die von dem gewöhnlichen
Leben abzieht. Diese Anstrengung muß aber doch
ruhig seyn. Aeschylus selbst, so heftig er ist, so wild,
jammervoll, kriegerisch
seine ἑπτα επι θηβαις
gleich anfangs sind, beginnt doch mit einer etwas gefaßten
Rede des Eteokles. Hierauf kommt erst der αγγελος vs. 40.
mit einer kriegerischen Erzählung, welche äußerst stark
und heftig ist. ─ Jn den Eumeniden ist auch erst mehr
grausendes und großes. Das ειδωλον der Klytaimnästra
und der Chor der Eumeniden zeigt sich etwas später. Prometheus
beginnt mit einer starken Empfindung. Der Anfang |#f0157 : 633|

des Agamemnon ist am besten decorirt. Der
Wächter unter dem Sternenhimmel, der das Feuersignal
von Trojas Einnahme erwartet. Sehr schön und romantisch
schauerlich ist der Anfang der Jphigenia in Aulis. Agamemnon
vor seinem Zelte des Nachts, in Unterredung mit
seinem alten Sclaven. ─ Dies vom Anfang. ─ Mit
der Handlung selbst nimmt nun auch der Wechsel der Empfindungen
zu, die wegen des raschen Gangs der Tragödie
immer steigen müssen. Es muß aber eine gewisse Continuität
in diesen Empfindungen herrschen. Das Große muß
immer schauerlicher, bänger werden, dann muß das
Starke folgen. Denn diese Empfindung paßt am besten
zur Willensthätigkeit, die sich immer mehr entwickelt. Wenn
auch nun ein reizend schöner Augenblick dazwischen geworfen
wird, so darf er doch nie erweichend seyn. Er darf
keine Dissonanz machen. Das Lächerliche darf nicht in
der eigentlichen Tragödie zu finden seyn. Jm Makbeth hat
Shakespear wohl hier und da gemeine Stellen, aber doch
nichts Lächerliches. Es ist ein eigentliches Trauerspiel.
Hamlet ist schon mehr romantisches Gedicht, und so
erträgt man die Scherze des Polonius. ─ Jn der wichtigsten
Situation, tritt nun gewöhnlich das Heftige, das
schreckliche ein. Hier zeigen sich die meisten Contraste.
Mit der Auflösung muß sich das Heftige zum Wehmüthigen
hinneigen, und das Ganze mit dem Erhabenen
schließen. Der Zorn des Schicksals ist gestillt, das Opfer
ist gefallen, und mit Hoheit gefallen zur Ehre der menschlichen
Natur. Der disharmonische Streit der Kräfte hat |#f0158 : 634|

aufgehört. ─ Am besten wirkt also am Schluß ein Seufzer
des Chors über die Menschenschicksale im allgemeinen.
Dies läßt einen erhabenen Nachklang in der Seele zurück.
Starker Schluß thut selten gut. Voltaires Brutus
schließt stark und affectirt ─ Rome est libre, il suffit
─ rendons graces aux Dieux
. Der Schluß mag in
den Römischen Charakter passen, denn die Römer waren,
um ihre Empfindungen zu verbergen, Schauspieler, und
Voltaire mag wunder gedacht haben, wie kräftig er geschlossen
habe. Aber ästhetisch hat Alfieri den Schluß weit besser
getroffen, weil er wehmüthig schließt del sangue libera
sorge Roma ─ infelice padre
! ─ Das Volk: Dio
di Roma
! ─ Brutus sich das Antlitz bedeckend Io sono
l'uom più infelice, che sia nato mai
. ─ Die Antithesen,
die körnigten Sentenzen zum Schlusse sind bey den
Franzosen zu finden. Die Deutschen schließen oft so matt,
wie sie anfingen. Schillers Jungfrau hat einen erhabenen
Schluß. Shakespear schließt immer mit einer Art Pomp,
gleichsam mit einem prächtigen Trauerzug zur Ehre der Gefallenen.
Auch dies kann zuweilen eine erhabne Stimmung
bewirken. Doch die simple Art, wie gewöhnlich der Chor
der Alten schließt, wird von keinem Neuern erreicht.


§. 8.


Da das Trauerspiel die Ansicht einer concentrirten
erhabenen
Handlung giebt, und die handelnden
Personen, welche hier nach der dramatischen |#f0159 : 635|

Form selbst sprechen, in den höchsten Situationen
des Lebens sich befinden, so hat hier auch eine weit
gedrängtere lyrische Sprache statt, als im Heldengedichte,
welches die Form der ruhigen Erzählung hat.
Jndeß darf die Sprache des Cothurns nicht so außerordentlich
seyn, wie die des lyrischen Dichters. Sie
muß etwas natürlicher und einfacher seyn. Denn die
Personen, die sprechen, sind der wirklichen Welt näher,
als der Odendichter. Der tragische Styl hält also im
Ganzen genommen zwischen dem Styl der Ode und
dem des Epos das Mittel. Man kann ihm den
herrschenden Charakter der Hoheit geben, und er
hat seine nähere Bestimmung durch den Chor der Alten
bekommen. Da aber verschiedene Personen nach
einander auftreten, so versteht sich, daß eine gewisse
Abstufung im Styl statt haben, daß alles auf Charakter
und Situation berechnet seyn muß. Denn der
Mensch, den Verhältnisse und Leidenschaft auf einen höhern
Standpunkt gesetzt haben, spricht anders als der
kältere und gewöhnliche. Jndessen muß man auch
diesem, wegen der Hauptstimmung eine von der gemeinen
unterschiedene Sprache geben. Der Jnhalt des
Trauerspiels giebt jeder Person eine lyrische Würde,
und die Regel der Jllusion oder treuen Nachahmung
der Natur darf hier nicht dagegen angeführt werden. |#f0160 : 636|

Aus diesen Gründen wählt auch die Tragödie am liebsten
ein Metrum, das sich zwar ursprünglich nur
wenig über den rhythmischen Gang der prosaischen
Sprache erhebt, aber nicht ohne herrschendes Gesetz
ist, und bey zunehmender Lebhaftigkeit der Handlung,
in lyrische Sylbenmaaße leicht übergehn kann.


Anmerk. Der Styl des Heldengedichts ist leichter
seinem Charakter nach zu bestimmen, weil Eine Person, der
Erzähler in der Regel das Wort führt, und weil, um den
Contrast zu vermeiden, die redend eingeführten Personen
sich nach dem Erzähler etwas richten müssen. Der Styl
des Trauerspiels hingegen ist schwerer seiner Einheit nach
zu charakterisiren, weil da eine Menge verschieden handelnde
Personen nach einander auftreten. Die Geschichte
der tragischen Dichtkunst giebt auch hier die beste Auskunft.
Das Trauerspiel ist seinem Ursprunge nach bey den Griechen
lyrisch. Es entstand weniger aus der Aktion der
Rhapsoden, welche einzelne epische Stücke mit einer Art
äußerer Decoration vortrugen, als aus den dithyrambischen
und satyrischen Chören bey den gottesdienstlichen Festen.
Der Chor, der den τραγος bekam, mochte wohl Anfangs
nur Vorstellungen aus dem Stegreif aufführen. Erst
Thespis unterschied einen bestimmten Schauspieler vom
Chor, der auf der Bühne agirte, und vom Chor unterstützt
ward. Nun wurden nach und nach erst die ernsthaften
Trauerspiele erfunden. Aeschylus that den zweyten Schauspieler |#f0161 : 637|

und eine Kleidung desselben, Sophokles den dritten
und die Decoration hinzu. Und nach und nach soll man
auch noch einen vierten Aktor zuweilen gebraucht haben,
dessen Reden aber Horaz, vermuthlich weil er die obige
Regel von Einfachheit der tragischen Handlung gefühlt
hat, sehr beschränkt. Der Chor, der also der Ursprung
der alten Tragödie war, hielt auch das Ganze zusammen,
ungeachtet seine Gesänge immer mehr beschränkt und
in die Zwischenakte verwiesen wurden, war er doch in der
Regel stets zugegen. Jm Sophokles z. B. im Ajax tritt
er zuweilen ab. Jm Euripides ist er immer da. Wenn er
der Vertraute der handelnden Personen ist, durch den Coryphäus
mit ihnen spricht, wider alle gewöhnliche Wahrscheinlichkeit
der Freund von allen ist, die ihm noch so fremd
sind, wie z. B. in Euripides Jphigenia in Aulis, aller Geheimnisse
verschweigt, wie in der Medea des Euripides keinen
an seinen Handlungen hindert, so haben einige Kunstrichter
ihn für ein nothwendiges Uebel gehalten, das allein
historisch zu erklären, der Jllusion schädlich gewesen sey,
und das die alten Dichter der unentbehrlichen Einrichtung
der Bühne wegen nicht hätten abschaffen können, so gern sie
es gewollt hätten. Allein hier hat man die Natur des
Chors, wie auch den Sinn der Regel von der Jllusion ganz
verkannt. Der Chor, wenn ihm gleich Horaz actoris partes
giebt, ist keinesweges in der vollendeten Tragödie als dramatische
Person anzusehn, am wenigsten als eine assistirende
Nebenperson. Aeschylus macht ihn zwar zuweilen
gar zur Hauptperson, z. B. in den Supplicibus die Danaiden |#f0162 : 638|

. Jn den Eumeniden ist zwar Orest die Hauptperson,
aber der Chor sein beständiger Begleiter. Jn dem Prometheus
kommt er auf Maschienen herab. Jn den Persern
ist er Prologus und klagt mit über die Niederlage der Armee.
Jn den ἑπτα ἐπι θηβαις zeigt er sich gar so sehr lebendig,
daß ihm Eteokles deswegen Vorwürfe macht. Allein
Aeschylus war der alten ursprünglichen Tragödie näher, wo
oft einige aus dem Chor aufgetreten waren und agirt hatten.
Sophocles und Euripides hingegen unterscheiden den Chor
schon weit mehr von den Schauspielern, und diese Form hat
auch Aristoteles bey seinen Definitionen immer vor Augen.
Der Chor hat hier mehr das Ansehn einer lyrischen Person,
welche das Ganze zusammenhält. Er ist für die Tragödie
das, was der Erzähler im Heldengedichte ist. Er
giebt der Handlung einen herrschenden Ton. Dies erhellt
aus folgenden Gründen: 1) der Chor ist im Sophocles
und Euripides unpartheyisch und ohne Leidenschaft,
er nimmt nur einen entfernten Antheil an der Geschichte. Er
ist der Vertraute aller. Das sind Greise, die schon wenig
Jnteresse mehr am Leben nehmen, darüber mit Ruhe reflectiren,
oder Unterthanen und Bürger, die sich auf dem
Standpunkte der Resignation befinden, also das Ganze
mit mehr Freyheit beurtheilen können. Darum ermahnt
auch der Chor in allen Dingen zur Mäßigung, er sucht
die erhitzten Gemüther zu besänftigen. Er empfiehlt den
Gleichmuth, die Mittelmäßigkeit, das friedliche Leben ohne
Ehrgeiz nnd Leidenschaft (z. B. in Iphigen. Aul. μακαρες,
ὁι μετριας θεου μετα τε σωφροσυνας μετεχον λεκτρον
|#f0163 : 639|

Ἁφροδιτας γαλανειᾳ χρησαμενοι κ. τ. λ.) Dieser ruhige
contemplative Charakter des Chors zeigt hinlänglich, daß er
keine dramatische Person sey, daß er nicht einmal mit unsern
Statisten zu vergleichen sey. Als dramatische Person
würde er zu kalt seyn. Es würde unbegreiflich seyn,
warum er z. B. die Medea am Kindermord nicht hindert,
da er doch beym Euripides davon spricht, er wolle es thun.
(Freylich hätte dies der griechische Tragiker weglassen können.)
Jst er aber eine poetische, lyrische Person, so
kann die Regel der Jllusion auf ihn nicht in der Strenge angewendet
werden, wie auf die eigentlichen Schauspieler.
Alsdann ist er vielmehr gerade dazu da, uns zu erinnern,
daß das ganze Schauspiel eine idealische Täuschung sey.
2) Zwischen den Akten singt der Sophokleische Chor Gesänge,
welche zwar nach der Horazischen Regel auf die Handlung
Beziehung haben, aber doch ohne Leidenschaft sind. Es
sind Maximen, Reflexionen, die uns von dem Augenblick
abziehn, und den Blick aufs Schicksal im allgemeinen richten.
Diese Gesänge erhalten die hohe Empfindung in den
Zuschauern, und lassen doch die Handlung ruhen. Oft sind
es Hymnen auf die Götter, die gerade dahin passen, oft
das Lob eines Landes z. B. Oedip. Colon. 670. oft eine
Betrachtung über den Menschen Antigon. 332. u. s. w.
Wäre der Chor eine dramatische Person, so würde er
nicht Zeit haben solche allgemeine Reflexionen anzustellen, er
würde während den Akten nicht in allgemeinen Sentenzen
sprechen, sondern sich zur Fortsetzung der Handlung vorbereiten.
Auch hieraus erhellt, daß der Chor nicht eine Person |#f0164 : 640|

der Handlung, keine Menge von Schauspielern sey, sondern
daß er ein wunderbares, ideales, lyrisches Wesen
sey, welches die Theile der Handlung zu Einem poetischen
Ganzen verbindet. 3) Nimmt man auf den Bau des griechischen
Theaters Rücksicht, betrachtet man z. B. das Theater
des Bachus, wie dessen Plan von Reisenden nach den
alten Schriftstellern wieder hergestellt worden ist, so findet
man, daß sich das Proscenion, wo die eigentlichen Schauspieler
standen, um eine ziemliche Höhe über das Logeion
oder die Thymele bey den Griechen erhob. Das Logeion,
der Ort des Chors war also niedriger. Der Chor stand also
auch im physischen Sinne nicht auf der Höhe der Handlung.
Er glich mehr einem im Sinne des Stücks decorirten Orchester.
Als lyrisches Orchester, als eine Gesellschaft von
Sängern ertheilte er der Handlung eine gewisse Jdealität
und verhinderte einen zu groben Begriff von Jllusion. Er
verwandelte die theatralische Handlung in eine Art Concert
und Oratorium. Als decorirtes Orchester gab es doch
dem Auge eine Art von Jllusion, indem die Sänger im
Sinne des Stücks angekleidet waren, und sich also desto
eher in die Reden der Schauspieler mischen konnten. So ist
also auch Horaz zu verstehn, wenn er sagt tibicen traxit
vagus per pulpita vestem
. Der Chor war ein decorirtes
Orchester. Uebrigens mag bey den Römern (Vitruv ist
freylich in Angebung der Maaße nicht bestimmt und läßt
also die Sache dunkel) das pulpitum, der Ort des Chors
etwas anders gewesen seyn, als bey den Griechen das Logeion,
weswegen einige Alterthumsforscher auch behaupten, |#f0165 : 641|

das pulpitum sey höher gewesen, als der Ort der Schauspieler.
Uebrigens hat der Ausdruck pulpitum vielleicht
einen weitern und engern Sinn. ─ Nach diesen Bemerkungen
läßt sich das Wesen des Chors folgendermaßen
angeben: Er ist eine lyrische Person, eine Anzahl vereinigter
Sänger und Rhapsoden, welche eigentlich ursprünglich
das Ganze der Handlung vortragen und interpretiren.
Jnsofern repräsentirt der Chor den Dichter. Er ist das
Fundament, auf welchem sich das Gebäu der Handlung
erhebt. Durch den Chor werden wir immer daran erinnert,
das Ganze sey eigentlich eine Vorstellung, keine
Wirklichkeit. Denn der Chor macht den Erzähler, wie
der Heldendichter. Er zieht moralische Folgen aus der
Handlung, sagt zuweilen voraus, welche Person sich nähert,
was geschehn werde, und erhält dadurch die ruhige
Würde des Ganzen. Die Handlung selbst ist leidenschaftlich.
Die Personen sind in Leidenschaft. Wär wahre Nachahmung,
und höchste Jllusion der Zweck der Tragödie, so
würde alle ideale Ruhe und Nüchternheit des Kunstwerks
verlohren gehn. Denn es ist keine Person da, welche die
volle Besinnung hat, wie bey der Epopöe der Erzähler.
Deswegen ist der Chor da, als ein außerdramatisches
Wesen, das die Uebersicht des Ganzen giebt. Um nun aber
doch der Jllusion etwas zu gestatten, nimmt der Chor
die äußere Gestalt von Personen an, welche möglicher Weise
interessirte Zuschauer bey der Handlung gewesen seyn können.
Doch gehn neuere Kunstrichter zu weit, wenn sie deshalb
behaupten, der Chor repräseutire ein ideales Publikum |#f0166 : 642|

. Allerdings benutzt der Dichter diese Gelegenheit,
seinem Publikum zu zeigen, was es beym Anschaun der Handlung
denken müsse. Jndem aber der Chor dem Publikum
gleichsam vordenkt, nimmt er Theil an der Schöpfung des
Kunstwerks und geht in die Person des Erzählers über. Wie
selbst bey den gemeinsten Kunstvorstellungen immer jemand
auftritt, der das Volk aufmerksam macht auf den Sinn des
Schauspiels, wie selbst unter dem Pöbel Sänger mit
Schildereyen herumgehen und sie erklären, so erklärt auch
der Chor den Sinn des Stücks. Sonach ist der Chor der
Alten mehr, als der Chor der Neuern, der nur zwischen
den Akten singt, z. B. Esther von Racine Act. I. Sc. 5.
oder wie der beym Shakespear, der gewöhnlich den Prologus
macht. Er muß sich in die Handlung mischen, und
bey der größten Lebhaftigkeit derselben die Ruhe wieder herstellen,
damit Eine ästhetische Tonart im Ganzen herrsche.
Da nun der Chor zum Wesen der Tragödie im höchsten
Sinne des Worts nothwendig gehört, da man sich nicht
einbilden muß, das Schauspiel verlange eine vollständige
Jllusion, (denn man soll eben dies Bewußtseyn der Kunst
haben, welche die Natur nachahmt und verschönert,) so
wird auch der Chor den Styl der Tragödie nothwendig
bestimmen. Er selbst wird ganz im Odenton sprechen, und
die handelnden Personen müssen eine davon nicht sehr abweichende
Sprache führen. Denn eine allzueinfache würde
gegen den Chor zu sehr abstechen. Auch will man nicht
eine wirkliche, man will eine idealisirte Natur. Auch die
Neuern, welche den eigentlichen Chor nicht mehr haben, |#f0167 : 643|

haben doch die etwas lyrische Rede für das Trauerspiel
beybehalten. ─ Die figurirte Sprache, welche bey
dem Heldengedicht nicht statt hat, findet sich im Trauerspiel,
besonders die heftigen, starken, leidenschaftlichen Figuren.
Antithesen, Metaphern, Aufhäufungen, zuweilen
Sentenzen, nur muß keine übertrieben werden. Die Sentenz
paßt für das Trauerspiel, weil die Personen der erhabenen
Handlung selbst im Momente der Leidenschaft
des Schreckens einen gewissen Blick auf das Ganze und
Allgemeine behalten müssen. So macht die Sophocleische
Sentenz immer Eindruck, z. B. Antigone 523.
Oedip. Colon
. 607. ─ ─ Allein Euripides liebt schon
mehr die philosophische Sentenz, wie sie bey Streitigkeiten
in der sokratischen Schule statt hatte. Diese ist bey
der Handlung unnatürlich. Die Franzosen pflegen auch zu
viel allgemeine Maximen aufs Theater zu bringen, damit
der Zuhörer etwas zu merken habe. Die Antithese paßt
wo Kampf und Streit ist, weil sie einen Contrast gut darstellt.
So braucht sie Sophocles, z. B. Antigone vs. 88.
Bey den französischen Tragikern ist sie aber oft müßiges
Verstandesspiel. Die Metapher, die vergleichende Zusammenstellung
ist in Scenen, die Gehalt haben, dem Tragiker
ganz natürlich. Denn der leidenschaftliche Mensch
gebraucht die ganze ihn umgebende Natur als Sinnbild
seiner Gemüthsstimmung, z. B. Othello, der das Leben
der Desdemona mit dem Lichte in Vergleichung bringt, das
er in der Hand hat. Wenn Lady Makbeth sagt: scheine die
Blume, und sey wie die Schlange darunter. So kann das |#f0168 : 644|

nicht kräftiger, und zugleich natürlicher ausgedrückt werden.
Die Rede, in der Makbeth die Wunden des Dunkan mit
Lücken im Weltall vergleicht, zu denen das Verderben hereinbricht,
haben einige Kunstrichter zu schwülstig gefunden,
und psychologisch mit der heuchlerischen Verlegenheit des Königsmörders
erklären wollen. Allein sie wär auch ohnedem
passend. Shakespear wendet den hohen Styl nur auf leidenschaftliche
Scenen an, Sophocles und Aeschylus dagegen
sind oft schwülstig in der Diction, weil sie auch ganz gewöhnliche
Dinge in neuen Wendungen sagen wollen. Welch
ein Metapher ist nicht z. B. επτα επι θηβαις vs. 373.
σπουδη διωκων πομπιμους χνοας ποδων
, um das Gehen
auszudrücken. Und es ist hier nicht einmal mehr eigentlicher
Chorgesang. Sophocles läßt seine Boten oft in künstlicheren
Wendungen reden, als ein Pindar sprechen würde;
hierinnen ist der Styl des Euripides simpler. ─ Was
nun das dramatische Gespräch der Tragödie insbesondere
betrifft, so muß es allerdings idealer gehalten werden,
als im Lustspiel. Die Hoheit der Verhältnisse, der heroische
Charakter der Personen, giebt den Unterredungen eine
gewisse Würde, die aber nach jeder Sinnesart anders modifizirt
seyn muß. Monologen sind den tragischen Personen
natürlich, wegen der Heftigkeit ihrer Empfindungen und
den wunderbaren Situationen. Nur müssen sie, wie bey
Shakespear, wahrer Ausbruch des Gefühls seyn. Mehr
Jnterjektionen, als kalte Betrachtungen. Daß der Prologus
und der Chor sich den Zuschauern nennt und zu erkennen
giebt, ist zwar wider die Jllusion. Denn wirklich handelnde |#f0169 : 645|

Personen werden nicht Dinge sagen, die ihnen selbst
bekannt sind. Allein Chor und Prologus sind lyrische
Personen, sollen eben die Jllusion mehr beschränken und die
Vorstellung der Handlung in die ideale Welt hinüber ziehn.
Die Jdeenassoziation in den Dialogen muß lyrisch
seyn, nicht blos durch die Handlung und den Verstand,
sondern oft durch freye willkührliche Wendungen der Phantasie
bestimmt. Eine zu gemeine Lebhaftigkeit des Dialogs
wird von den Griechen vermieden. Shakespear hat oft zu
wenig Pathos. Dagegen haben die langen Tiraden, worinn
jede Person ruhig alles abhandelt, was sie zu sagen hat,
etwas unnatürliches und unterbrechen den Gang der Handlung.
Hierinn fehlt besonders die französische Tragödie.
Beym Sophocles finden sich zuweilen lange Reden und Erzählungen.
Sie sind aber allemal durch die Handlung selbst
herbeygeführt. Jn den schlechten Trauerspielen sprechen die
Personen nicht um der Handlung willen, sondern weil der
Dichter geschwätzig ist. Das Metrum der Tragödie
wird auch durch die Natur des Chors bestimmt. Die
neuern haben ein eintöniges gewählt, z. B. die Alexandriner,
die Jamben. Allein die Griechen lassen Jamben,
Trochäen, selbst Hexameter und lyrische Sylbenmaaße,
jedoch nach einer gewissen Continuität abwechseln. Dies
paßt besser für die herrschende hohe und doch lebendige Empfindung
des Ganzen. Die Prosa ist nur fürs bürgerliche
Trauerspiel, beym Shakespear wird sie von Jamben und Reimen
unterbrochen. Für die Werke seines fessellosen Genius
ist dies die beste Einkleidung. Allein viele seiner Tragödien |#f0170 : 646|

sind eigentlich dramatisirte romantische Gedichte. Makbeth
ist eine wahre Tragödie im höhern Sinn. Diese hat aber
auch ihren Chor, der das ganze zusammenhält, nämlich
die Hexen. Wird dieser Chor von der vortrefflichen Reichardischen
Musik begleitet, so giebt er dem Stück eine höhere
lyrische Haltung nach griechischer Art.


§. 9.


Da die tragische Poesie mit der Schauspielkunst
verbunden werden soll, so muß der Dichter seine Erfindungen
durch Rücksichten auf die äußern Verhältnisse
beschränken. Die negativen Regeln, welche hieraus
entspringen, gehören in die allgemeine Aesthetik,
weil sie die Verbindung mehrerer Künste betreffen.
Sie beziehn sich besonders auf die Beschaffenheit des
Theaters, auf das Kostume oder Uebliche in der Decoration,
auf die Mimik des Schauspielers, und auf
Geschmack und Stimmung der Nazion, vor welcher
die Vorstellung statt hat. Daß die Tragödie hierdurch
weit mehr beschränkt werde, als die Komödie, folgt
aus dem Ernst der erhabenen Empfindung, die sie erwecken
soll, und der durch keine Unschicklichkeit gestört
werden darf.


Anmerk. 1. Der Tragiker darf dem Theater nicht
mehr Decoration zumuthen, als es nach seiner Beschränktheit |#f0171 : 647|

fassen kann. Die Oper kann das abentheuerliche, das
wunderbare weit mehr in den Decorationen suchen, als die
ernsthafte Tragödie. Wenn dies cock-pit, wie Shakespear
irgendwo sagt, die ungeheuren Gefilde von Frankreich mit
allen seinen Armeen zeigen soll, so kann es nicht fehlen, daß
die Anstrengung im kleinen etwas großes darzustellen, nicht
Veranlassung zu Unschicklichkeiten gebe. Die ernsthafte
Tragödie muß aber alles der Art beleidigende vermeiden.
Da ferner die tragische Handlung vorgestellt werden
soll, so darf das was auf dem Theater vor unsern Augen
geschieht, nicht den Sinnen zuwider seyn, weil das sreye
Spiel der Einbildungskraft nothwendig leiden muß, sobald
ein wahrer Abscheu in uns rege wird. Daher die bekannte
Regel des Horaz, daß Medea ihre Kinder nicht vor dem
Volke umbringen müsse. Wider das Uebliche darf der tragische
Dichter am wenigsten fehlen, noch den Schauspielern
Gelegenheit geben, dagegen zu verstoßen. Jeder Verstoß
wider die Geschichte und Sitten der vorgestellten Zeit fällt
natürlich auf dem Theater mehr in die Augen. Ferner muß
der Dichter den Schauspieler nicht zu Bewegungen und Gesten
veranlassen, welche in Ansehung der Mimik tadelhaft
oder der mahlerischen Gruppirung zuwider wären. Ein Fehler
dieser Art ist die Ohrfeige im Cid. Endlich muß der
Tragiker allerdings auch auf den Charakter seines Publikums
Rücksicht nehmen. Voltaire klagt, daß die frivole
Stimmung seiner Nazion die Bühne zu sehr beschränke.
Shakespear habe viel vorstellen können, was kein französischer
Dichter wagen dürfe aufs Theater zu bringen, wenn |#f0172 : 648|

nicht der ganze Effekt des Stücks durch Einen witzigen Einfall
verlohren gehn solle. ─ Jeder andre Dichter kann auf
den Geschmack seines Publikums wirken, kann erst ein Publikum
zu sich heranheben. Der tragische Dichter kann das
nicht. Denn er hat sich schon durch die Wahl der poetischen
Gattung, in welcher er arbeitet, von der Laune seines
Publikums abhängig gemacht. Will er ganz im Geschmack
einer fremden, einer alten Nazion dichten, so wird er nie
die Lebendigkeit der Darstellung erreichen. Also ist es freylich
besser, es nimmt der tragische Dichter auf sein wirkliches
Publikum Rücksicht.


Anmerk. 2. Die Tragödie nimmt verschiedene zufällige
Formen an, um derentwillen sie zuweilen andere
Beyworte erhält. Schon bey den Alten gab es ein Drama
satyricum
, wo der Chor aus Satyren bestand. Der Gegenstand
war hier heitrer, z. B. der Poliphem des Euripides.
An drey Festen wurden ernste Tragödien gegeben, im vierten
eine satyrische ─ daher der Ausdruck τετραλογια σατυρικη.
─ Etwas dem ähnliches sind die Tragicomödien
der Spanier und andern neuern Nazionen. Man hat geistliche
Dramen, bürgerliches Trauerspiel, (wo die Situation
aus dem gemeinen Leben genommen ist, wenn sie
gleich zu einer heroischen Handlung Gelegenheit giebt.)
Klopstocks Bardieten sind tragische Darstellungen aus der altdeutschen
Geschichte mit Bardenchören. Man nennt manche
(besonders Ritter=) Stücke, die eine Empfindung des
höhern Schönen erwecken sollen, ohne daß der Ausgang |#f0173 : 649|

traurig ist, Schauspiele im Engern Sinne. Unsere
Melodramen, obligate Recitative nähern sich der
Tragödie der Alten. Die Rezitationen derselben werden mit
Musik begleitet. Da hier kein eigentlicher Gesang ist; so
unterscheiden sie sich von der Oper. Der Gegenstand muß
freylich aus der Wunderwelt seyn, z. B. Gerstenbergs Ariadne.
Der Effekt, den diese lyrischen Dramen machen, die
uns in eine höhere Welt versetzen, zeigt, was die Tragödie
der Alten wirken mußte. Denn mit der eigentlichen Oper
darf man die alte Tragödie nicht vergleichen, da die Musik
bey den Alten nur das Gedicht unterstützte, ihre Rezitation
nur eine erhöhte Declamazion war. Unsre Oper ist aber ein
durchaus musikalisches Gedicht. ─ Neuerlich ist der Ausdruck
romantische Tragödie aufgekommen. Wahrscheinlich
versteht man darunter eine Tragödie, welche das
Wunderbare aufnimmt. Das Wunderbare gehört
zwar nicht eben so zum Wesen der tragischen Handlung,
wie es zum Wesen des Heldengedichts gehört. Jndeß
fand es doch bey den Alten statt. Besonders Aeschylus
nimmt seine Stoffe aus der Fabelwelt. Beym Sophocles
sind die Erscheinungen der Götter seltener, des Schicksals
Einwirkung ist mehr durch Orakel u. s. w. ins Dunkle
gestellt. Da die Tragödie Charaktere im Kampfe der
Handlung, im Augenblick des Entschlusses darstellt, so kann
das Wunderbare hier selbst insofern eingreifen, daß unbekannte
Mächte zur Willensbestimmung des Menschen beytragen;
z. B. in Makbeth. Dies vermehrt das Tragische
der Empfindung. Denn die Freyheit, welche der |#f0174 : 650|

tragische Dichter idealisirt, erhält dadurch unsichtbare Feinde,
gegen deren verführerische Eingebungen sie kämpfen
muß. ─ Wir haben indessen das höhere Wunderbare
von dem Romantischen unterschieden. Die romantische
Tragödie,
nach Schillers Sinn, scheint mehr mit
Maschienerien aus einem unsichtbaren Geisterreich, als aus
einer bestimmten Götterwelt verbunden zu seyn. Sie gehört
mehr zu dem, was wir dramatisirtes romantisches
Gedicht nannten, als in die Gattung der Erhabenen Tragödie.



[Abbildung]


III.


Von der niedern historischen Poesie.


§. 1.


Zu den Gattungen der niedern historischen
Poesie
gehört A) das komische Heldengedicht,
oder die Erzählung einer lächerlichen und unwichtigen
Begebenheit im Tone der ernsthaften Epopöe.


Anmerk. Kant sagt vom Lächerlichen, es müsse
sich eine große Erwartung in Nichts auflösen. Wenn gleich
die Definition für alle Arten des Lächerlichen zu eng ist, so
paßt sie doch ganz auf das komische Heldengedicht. Das
Wesen desselben besteht darinnen, daß gewöhnlich der Stoff
geringfügig ist, aber mit großem Pomp angekündigt und |#f0175 : 651|

durchgeführt wird. 1) Der objektive Jnnhalt ist eine
unwichtige Begebenheit, ein kleiner scherzhafter Vorfall,
eine abentheuerliche Erdichtung, deren Helden Karrikaturen
und aus widersinnigen Prädicaten zusammengesetzt sind.
Z. B. Homers Batrachomyomachie, oder Frösch- und Mäuse=
Krieg, der Streit zweyer Staaten über einen geraubten
Wassereymer (von Tassoni) ─ Zachariäs Renomist, Murner
in der Hölle. ─ Zuweilen ist die Begebenheit an sich
auch wichtig. Voltaires Pucelle, sie ist aber doch von einer
lächerlichen Seite gefaßt. 2) Der ästhetische Jnhalt ist
das Lächerliche, dieses wird bewirkt, sowol durch das
Komische im Stoff selbst, als auch durch den wichtigen Ton,
der auf eine Kleinigkeit angewendet wird. Zuweilen herrscht
eine harmlose Lustigkeit, z. B. in Thümmels Wilhelmine,
zuweilen der Ton der Satyre gegen einen gewissen Stand
z. B. in Boileaus Lutrin gegen die Geistlichkeit, gegen einzelne
Menschen, Rosts Vorspiel gegen Gottsched. 3) Der
Styl parodirt ganz das ernsthasre Heldengedicht. Feyerliche
Anrufungen, Beschreibungen, Vergleichungen, alles
wird angewendet, um der Erzählung eine komische Würde
zu geben. 4) Das Metrum ist, wie das der Epopöe. Zuweilen
thut auch eine sogenannte poetische Prosa hier
gute Wirkung, wie in Thümmels Wilhelmine. Diese kann
auch wohl mit Versen abwechseln. 5) Zu dem komischen
Heldengedicht kann man auch als zufällige Form das
travestirte heroische Gedicht rechnen. Jn der eigentlichen
komischen Epopöe wird ein komischer Gedanke ernsthaft
vorgetragen, folglich ist das eine parodirte Epopöe, |#f0176 : 652|

Jn dem travestirten Gedicht wird der Stoff eines ernsthaften
Werks auf eine lächerliche Art erzählt.


§. 2.


B) Die poetische Erzählung im engern Sinn.
Hierunter rechnen wir jede andre Erzählung einer Handlung,
welche die Empfindung des niedern Schönen erweckt.


Anmerk. Wie das komische Heldengedicht der Epopöe,
so steht die poetische Erzählung im System dem Romantischen
Rittergedicht beym höhern Schönen entgegen.
Es giebt besonders zwey Gattungen, 1) die versifizirte komische
Erzählung, in welcher Wieland Meister ist, und
bey welcher auch oft die Modification des Satyrischen statt
findet, 2) der eigentliche poetische Roman. Der Roman
steht an den Gränzen zwischen den Werken der Poesie und
der Beredsamkeit. Es giebt eine Gattung Romane, welche
mehr den Zweck haben, zu belehren, und Charaktere jeder
Art lebendig darzustellen, psychologische Biographieen, z. B.
Sophiens Reisen, und wiederum andere, deren Haupttendenz
ist, als Kunstwerk der freyen Phantasie zu gefallen.
Der objektive Jnhalt dieser poetischen Erzählung ist gemeiniglich
die Entwicklung eines poetischen Charakters, oder
die Darstellung einer natürlichen Leidenschaft, und ihr Kampf
mit den Verhältnissen der geselligen Welt, z. B. Werthers
Leiden. Der ästhetische Jnhalt des Romans ist
also vorzüglich das romantische, das sich dem rührend
Schönen nähert, im pathologischen Sinne des Worts, das |#f0177 : 653|

Sentimentale. ─ Denn was sich der Konvenienz
und den Sitten der Menschen entgegensetzt, hat den Charakter
des Abentheuerlichen, und wird in der Gesellschaft
unglücklich. ─ Der Styl muß natürlich seyn, eine leichte
Erzählung in ungebundener Rede, Briefform u. s. w. Doch
giebt es auch komische Romane, welche sich von der
komischen versifizirten Erzählung nur durch Mangel des
Metrums unterscheiden, und dadurch daß ihre Gegenstände
minder idealisch gehalten sind. Die komische Erzählung
in Versen hat oft idealere Gestalten, z. B. Wielands
griechische Erzählungen ─ aus der Götterwelt. Der
komische Roman dagegen nimmt die Karrikaturen der gemeinen
bürgerlichen Welt, und stellt das Lächerliche davon
dar, z. B. Peregrine Pikle. Zuweilen nimmt aber
auch der komische Roman Gestalten aus einer wunderbaren
Welt, z. B. die Werke von Rabelais, Swift, Voltaires
Micromegas. Zwischen den sentimentalen und
dem satyrisch komischen Romane steht eine Gattung in
der Mitte, der humoristische Roman, im Geist von
Sterne und Jean Paul. Er hat freylich weniger ästhetische
Einheit, als seine beyden Pole zwischen denen er
schwankt, er greift aber tiefer in den Geist des Lebens ein.
Denn das Spiel des Schicksals ist Laune, bald Ernst bald
Scherz ─ und so eine Laune ist der ästhetische Jnnhalt
des humoristischen Romans. Nur darf er nicht die
Phantasie durch zu bunte Arabesken ermüden. Die Engländer
sind hierinnen nüchterner als die Deutschen. Cervantes
Don Quixote
gehört zu den humoristi= |#f0178 : 654|

schen Romanen. Der spanische Humor hat mehr
Grazie, der Englische ist philosophischer. ─ Die Alten
kannten den eigentlichen Roman nicht, weil ihr innerres
bürgerliches Leben weder romantisch war noch mit dem
Abentheuerlichen im Kampf stand. Die Gelegenheit, die
ihre Jugend vorfand, im Kriege wahre Ebentheuer zu bestehn,
machte, daß das häusliche innere gesellige Leben
wenig phantastisches hatte. Da nun der eigentliche ästhetische
Zweck des Romans ist, das gemeine Leben in einem
romantischen Lichte zu zeigen, so konnten die Alten nicht
auf den sentimentalen Roman verfallen. ─ Die
großen Leidenschaften, welche die höhern bürgerlichen Verhältnisse
bey ihnen erregten, ließen die andern, Liebe u. s.
w. nicht aufkommen. Erst mit den Verfall der Staatsverfassungen
und der Sitten wurden die jonischen, milesischen
Fabeln, meistentheils schlüpfrige Romane erfunden, z. B.
Apuleius de asino aureo. Aber die platonische Philosophie
gab auch der Geschlechtsneigung einen andern Schwung.
Man sehnte sich darnach sie zu idealisiren, und da man dies
in der bürgerlichen Welt nicht konnte, so entstand eine Art
von Schäferroman, der aber von dem eigentlichen Geist
der Jdylle sehr wenig hat. So ist er bey den griechischen
Erotikern zu finden, z. B. Longus. Bey den abendländischen
Nazionen gesellte sich das Wunderbare zu den Romanen.
Sie machten mit dem romantischen Gedichte Eine Gattung
aus. König Artus, Karl der Große und ihre Familien waren
hier die Helden, bey den Spaniern erhielt sich der Geschmack
an diesen Ritterbüchern am längsten. Sie hatten |#f0179 : 655|

auch Schäferromane. Allein diese sind mehr galanter Art,
und haben nicht viel mehr von der eigentlichen Jdylle, als
die Jtalienischen. Mit dem Don Quixotte, so wie in Deutschland
mit Theuerdank hatten diese Romane ein Ende. Näher
kamen dem Wesen des eigentlichen Romans die Jtaliener
durch ihre Novellen oder kleine Erzählungen von Begebenheiten
der geselligen Welt, z. B. der Decamerone des
Boccaccio. Allein die französische Nazion scheint zuerst dem
Roman seine neueste Gestalt gegeben zu haben. Jm Cleveland
(von Prevot d'Exiles), in den Schriften von Lesage und
andern, zeigte sich der Roman als Schilderung von Abentheuern
in den geselligen Verhältnissen des Privatlebens.
Noch mehr suchten Richardson und die andern Englischen
Romanschreiber das häusliche und gesellschaftliche Leben in
einem idealen Lichte zu zeigen. Rousseau, Göthe und andere
bestimmten den Charakter des Romans noch näher, indem
sie besonders den Kampf des Naturmenschen und der
naiven poetischen Charaktere mit den Convenienzen und platten
Gemeinheiten der Städtewelt darstellten.


Anmerk. 2. Außer dem komischen erzählenden Gedicht
und dem Roman, giebt es zwar auch noch andre poetische
Erzählungen, z. B. Mährchen, welche die Empfindung des niedern
Schönen erwecken, und doch gehören sie meist wo anders
hin. Einige dieser Art grenzen an die Fabel, z. B. Erzählungen
von Gellert, Hagedorn, einige sind idyllischen Jnnhalts.
Doch werden wir von der eigentlichen Jdylle an einem andern
Ort handeln. Die Jdyllen haben zwar oft die Einkleidung |#f0180 : 656|

von Erzählungen. An sich sind sie aber doch mehr
beschreibende Gedichte. ─ Die moralischen Erzählungen,
die an die Fabeln gränzen, gehören als
Fabeln zur allegorischen Poesie. Andre kleine
Erzählungen sind als Novellen anzusehn, und gehören
also doch zur Gattung des Romans, wenn sie gleich diesen
Nahmen nicht führen.


Anmerk. 3. Zuweilen nimmt die poetische Erzählung
die Form des Liedes an. Viele Volkslieder sind
komische Erzählungen, z. B. John Gilpin bey den Engländern.
Kleine romanhafte Erzählungen, zumal aus der Welt
der Liebe in Liederform, werden zuweilen Romanzen
im engern Sinne genannt, und von den Balladen unterschieden,
die mehr erhabenen Jnnhalts sind. Diese Unterscheidung
ist zwar nicht in der ästhetischen Litterargeschichte
gegründet, kann aber doch von Nutzen seyn.


§. 3.


C) Das Lustspiel ist die Darstellung einer
Handlung, bey welcher nicht sowohl die Freyheit oder
die höhere Natur des Willens, als das niedere Begehrungsvermögen
interessirt ist, und welche die Empfindungen
des niedern Schönen erweckt: in Form
des vollkommenen Drama, zu dem Endzweck eingerichtet,
mit Schauspielkunst verbunden zu werden.

|#f0181 : 657|


Anmerk. 1. Der Hauptunterschied des Lustspiels
von dem Trauerspiele liegt also nicht im Stande der Personen,
(denn es giebt wie gesagt auch bürgerliche Trauerspiele)
nicht im Ausgange (denn nicht alle Tragödien, wie z. B.
Jphigenie) enden traurig ─ sondern darinnen, daß in
der Tragödie die Handlung heroisch ist, die höchste
menschliche Willenskraft mit dem Schicksal zusammengestellt
wird. Jn der Komödie dagegen ist die Handlung mehr interessant
für das niedere Begehrungsvermögen. Es ist hier
Kampf mit Verhältnissen, die sich umändern lassen, nicht
mit dem nothwendigen unvermeidlichen Schicksal. Es giebt
hier auch Entschlüsse, Plane, aber keine heroischen Akte
der Freyheit. Die eigentliche Sphäre des Lustspiels ist deshalb
freylich das gesellige häusliche Leben von Privatpersonen,
weil sich darinnen das niedere Begehrungsvermögen,
und jeder gemeinere eigennützige Trieb der Menschen
am meisten entwickelt.


Anmerk. 2. Der objektive Jnnhalt der Komödie,
in seinem idealen Sinn genommen, ist also eine gewöhnlich
erdichtete Thatsache aus dem bürgerlichen, geselligen,
häuslichen Leben. Das Jnteresse der Haupthandlung
ist ein Jnteresse des niedern Begehrungsvermögens.
Die Charaktere interessiren nicht wegen ihrer einfachen
Hoheit, sondern wegen ihrer Mannichfaltigkeit, Lebendigkeit,
und als treue Nachbildungen der Wirklichkeit. Der
Plan der Komödie kann verwickelt seyn, es kann nächst
dem Hauptknoten noch mehrere Nebenknoten geben, weil |#f0182 : 658|

der Verstand beym niedern Schönen mehr Muße zum rathen
hat, als bey erhabener Gemüthsstimmung. So wie eines
Theils die Einfachheit des Plans nicht verlangt, vielmehr
Mannichfaltigkeit gesucht wird, so ist auch anderntheils
in Ansehung der Vollkommenheit des Ganzen der Zuschauer
nicht so streng, als bey der Tragödie. Die Natur
des Drama fordert zwar auch einen raschen Gang der
Handlung. Allein da die Seele in geringerer Spannung
ist, so läßt man sich auch eher episodische Szenen gefallen,
die mehr Aufschluß über einen Charakter geben, als daß sie
die Handlung weiter bringen sollten. Nur müssen sie an
sich einen Werth haben und eine Stelle verdienen, z. B. die
Szene mit der Dame in Trauer in Lessings Minna von
Barnhelm konnte wohl füglich wegbleiben.


Anmerk. 3. Der ästhetische Jnhalt des Lustspiels
ist das niedere Schöne. Da es mehrere Gattungen
und Modificationen des niedern Schönen giebt, so wird
eine oder die andere vorzüglich in Einem Lustspiele herrschend
seyn. Es finden sich daher in dieser Rücksicht mehrere Gattungen
von Lustspielen. 1) Das edle Lustspiel, wo
die Empfindung des Edeln, und das sanftschöne herrschend
ist, nach der sich alle übrige modifiziren müssen. Dies
ist das höchste Kunstwerk der komischen Muse. Man nennt
einige Stücke dieser Art zuweilen auch Schauspiele im
engern Sinne, s. jedoch was wir oben bey der Tragödie
von diesem Ausdruck bemerkten. Die Vollkommenheit des
Drama muß hier am meisten beobachtet, wider Kostume, |#f0183 : 659|

Nazivnalsitten u. s. w. nicht verstoßen, und ein gewisser
Grad von Jllusion erreicht seyn. Es wird hier am meisten
Charakterzeichnung verlangt. Daher steht auch gewöhnlich
ein Hauptcharakter an der Spitze, z. B. Molieres
Misanthrop, welches man für des Dichters Meisterwerk hält,
ungeachtet es weniger gefiel, als seine Possen. Diderots
Pere de famille, (von dem der deutsche Hausvater eine
schwache sehr verfehlte Nachbildung ist). Der Essigkrämer
u. s. w. ─ Auch die Alten hatten das edle Lustspiel
schon. Dies beweist die sogenannte neue Komödie der
Griechen, von Philemon und Menander, ohne den satyrischen
Chor, und der Uebersetzer des Menander Terenz.
Sein Heavtontimorumenos, seine Adelphi sind hier besonders
zu nennen. Bey den Deutschen ist Minna von
Barnhelm als Hauptmuster anzuführen, wo der heitere
Charakter der Minna und der edle des Tellheim so glücklich
neben einander gestellt sind. Die sogenannten Familiengemälde
unserer Bühne sind meist Versuche in dieser Gattung.
─ Jn dem edlen Lustspiel kann das Lächerliche nur
unter großer Einschränkung statt finden, und das grotesk
komische, das niedere komische muß ganz daraus verbannt
seyn, wenn ästhetische Einheit statt finden soll. Wenn im
Edlen Lustspiel ein trauriger Ton herrschend ist, und die
rührenden Verhältnisse nur am Ende einen glücklichen Ausgang
gewinnen, so nennen dies die Franzosen Comédie
larmoyante
. Man hat diese Art Lustspiele widersinnig finden
wollen, andere z. B. Gellert haben sie vertheidigt. Versteht
man unter jenem Ausdruck eine Vorstellung, welche |#f0184 : 660|

schlechterdings blos weibische Rührung und Niedergeschlagenheit
erregt, wo sich gar keine Empfindung des höhern
Schönen findet, wo blos der glückliche Ausgang am Ende
wieder Muth machen soll, so ist eine solche Tortur des Zuschauers
allerdings wider die Würde der Kunst. Durch
die Tragödie will Aristoteles den Menschen an Schreck und
Jammer gewöhnt wissen. Dieser Eindruck ist wohlthätig.
Wenn man aber in lauter sanfter Trauer hinschmelzen, und
am Ende blos durch eine glückliche Wendung der Dinge wieder
aufgerichtet werden soll, so wird dies schwerlich ein Zuschauer
mehrere Stunden aushalten. Jfflands Jäger geben
bey vielen idyllisch schönen Zügen, das Beyspiel zu so einer
Comédie larmoyante, in mißverstandenem Sinne. 2)
Das feinkomische Lustspiel, die eigentliche Komödie
im engern Sinn, wo das Lächerliche und insbesondere
das Feinkomische herrschend ist. Hier werden
die Charaktere und Verhältnisse nicht nach ganzer
Tiese und Umfang gezeichnet, sondern nur die äußere
lächerliche
Seite von ihnen aufgegriffen, die aber originell
seyn muß. Das edle Lustspiel schildert Menschen,
in menschlichen Lagen, die Komödie schildert nur
die feinen Karrikaturen der bürgerlichen Welt, in bürgerlichen
Verhältnissen. Der Unterschied der Stände und Gewerbe
verzerrt nämlich den allgemeinen Menschencharakter
in der Gesellschaft. Das komische Talent des Dichters
faßt diese lächerlichen Züge auf, und stellt sie dar. Die
Verhältnisse des geselligen Lebens werden hier nicht von ihrer
heitern schönen oder rührenden Seite gezeigt, wie im |#f0185 : 661|

edeln Lustspiel, sondern als kleinliche Labyrinthe, in die
sich der bürgerliche Mensch gefangen hat, wenn er handeln
will. Die Verlegenheiten, in die er dabey geräth, die klugen
spitzfindigen Mittel, wie er sich durch die Convenzion
zu seinem Zwecke durchzuarbeiten sucht, geben hier hauptsächlich
die lächerliche Ansicht. Die Charaktere müssen
also auch hier mehr als je durch die Handlung selbst gezeigt
werden, weil lächerliche Gestalten durch Bewegung an
Wirksamkeit gewinnen. Daher wird die Charakterzeichnung
hier vorzüglich durch die Jntrigue bewirkt.
Weil man den Unterschied zwischen dem edeln und dem komischen
Lustspiel fühlte, in dem ersten gewöhnlich mehr tiefen
Charakter, in dem letztern mehr Jntrigue fand, so machte
man einen Hauptunterschied zwischen Charakterstücken
und Jntriguenstücken. Allein diese Unterscheidung
sollte von der Theorie nicht angenommen werden,
weil sie gar leicht zu Mißverständnissen führen, und fehlerhafte
Stücke entschuldigen kann. Es muß in jedem guten
Stück Handlung und Charakter beysammen seyn.
Die Jntriguenstücke werden fade, wenn die Charaktere
zu flach, allgemein und gewöhnlich gehalten sind, wenn
alles in der Verwicklung gesucht wird. Jüngers Jntriguenstücke
sind vielleicht bey uns die besten. Allein die Personen
sehn sich doch immer einander ähnlich. Das sind
junge verschuldete Leute, verschmitzte Bediente u. s. w.
Hier könnte man eben so gut, wie bey den Römern und Jtalienern
Charaktermasquen brauchen. Jn Schröders Lustspielen
haben die Personen schon mehr individuelles und charakteristisches |#f0186 : 662|

. Das beste Jntriguenstück ist Figaros Hochzeit.
Allein hier sind auch alle Charaktere, wenn gleich
von der äußern Seite, doch nach ganz originellen und frappanten
Zügen geschildert. 3) Das satyrische Lustspiel,
wo besonders das Satyrische herrschend ist, wo das Lächerliche
und die Schwäche des Lasters oder der Thorheit gezeigt
werden soll, die eigentliche Komödie schildert die
komischen Seiten des Menschen, an welchen er eigentlich
nicht Schuld ist, den Einfluß, den die verschiedenen Stände
und Verhältnisse auf die Verbildung seiner äußern Gestalt
haben. Das satyrische Lustspiel sucht besonders die
schwache komische Seite seiner Jrrthümer und eigentlichen
Fehler auf. Das satyrische Lustspiel war bey den
Griechen das erste. Von den satyrischen Chören bey den
ländlichen Festen (κωμη ωδη), welche mit muthwilligen
Neckereyen verbunden waren, hat sie den Ursprung. Nach
und nach verwandelten sich die Jnpromptus in Stücke mit
ordentlicher Handlung. ─ Jn der alten griechischen
Komödie war also das satyrische herrschend, der satyrische
Chor hielt das Ganze zusammen. Es war die Komödie
in Rücksicht der Tragödie ungefähr das, was das
komische Heldengedicht in Rücksicht der Epopöe ist. Daher
parodirt Aristophanes in allen den tragischen Ton.
Auch die sogenannte mittlere Comödie der Griechen nimmt
noch die satyrische Richtung. Nur vermied man mehr die
Personen unter ihren wirklichen Nahmen aufzuführen, und
es näherte sich die mittlere griechische Komödie dem Lustspiel,
das wir das komische genannt haben. Noch Aristoteles |#f0187 : 663|

kannte das Lustspiel nur als Satyre nicht in allen seinen
Veränderungen. Er konnte, als ästhetischer Kritiker, noch
eine neue Periode derselben weissagen, die nachher erfolgte,
nämlich die Zeit der neuen oder edlen Komödie. ─ Da
das satyrische Lustspiel auf eine bald bittere, bald
lustige Weise über die Thorheiten der Menschen spottet,
so sucht es Welt und Menschenleben nicht in einer idealen
Gestalt, sondern in grotesken lächerlichen Formen zu
zeigen. Es bindet sich also an keine dramatische Regel
von Wahrscheinlichkeit, Einheit des Orts, der Zeit, der
Handlung. Es liebt, wie man im Aristophanes sieht, in
seinen Decorationen das Abentheuerliche. Das Genie
folgt hier mit der größten Freyheit seinen Launen, und so
wenig, wie Aristophanes Götter und Menschen schont, eben
so wenig schont er irgend eine dramatische Regel. Unter
allen Gattungen des Lustspiels giebt das satyrische der
Phantasie am meisten Nahrung, wegen seiner humoristischen
Erfindungen. 4) Das groteskkomische Lustspiel,
wo nicht das feinkomische, sondern das groteskkomische
herrschend ist. Hier zeigt sich das ganze menschliche
Leben als auffallende Karrikatur, da in der eigentlichen
Komödie nur seine feinern lächerlichen Nüancen
gefunden werden. Von dem satyrischen Lustspiel unterscheidet
es sich dadurch, daß es nicht wider die Thorheiten
und Fehler gerichtet ist. Das satyrische Lustspiel, wie
wir aber schon gesehn haben, nimmt oft die Form des groteskkomischen
an. Die Gattung des groteskkomischen
Lustspiels ist sehr weitumfassend. Es kann auf |#f0188 : 664|

der einen Seite das romantische mit in sich enthalten,
und auf der andern zum eigentlichen Possenspiel werden,
und das niedere komische als herrschend aufnehmen.
Wenn im satyrischen Lustspiel der Griechen, im feinkomischen
den Franzosen, im edlen Lustspiel den
Deutschen der Preis zuerkannt werden kann, so findet sich
dagegen das groteskkomische in vollkommner Ausbildung
auf dem Spanischen und Jtalienischen Theater,
wo es besonders mit dem romantischen verbunden
ist. Da es dabey auf auffallende Kontraste abgesehn
ist, so zeigt sich hier alles in bunter Mischung, und es ist
weder große Einheit des Plans, noch der ästhetischen Empfindung
nöthig. ─ Man kann hieher die sogenannten
Mysterien und christlichen Schauspiele der abendländischen
Völker, der Jtaliener und Spanier, die Autos, Comedias
de Santos
, die figure, Vangeli, geistlich allegorischen
Zwischenspiele (Moralitäten), einen Theil der Tragikomödien
u. s. w. rechnen. Hier geht heiliges und profanes,
personnifizirte leblose Welt und wirkliche historische Person,
Schäfer und König in wilder Unordnung durch einander.
Den romantischen Charakter behielt das Lustspiel bey den
Spaniern durchaus. Lopez de Vega und Calderone sind
reich an Verwicklungen, stellen das rührende neben das niedrige,
und verbinden den hochtrabenden Styl mit dem gemeinen.
Bey den Jtalienern bildete sich besonders in Gozzis
Geist das groteskkomische und romantische
Lustspiel. Shakespears Lustspiele haben meist auch den
Charakter des Groteskkomischen und Romantischen. |#f0189 : 665|

Die von Foote nähern sich der Posse. Der Englische
Geschmack im Lustspiel geht überhanpt mehr aufs groteske
und niedrige Komische. Doch haben sie auch gute feinkomische
Stücke, z. B. von Sheridan. Das Possenspiel
an sich ist nicht zu verwerfen. Der menschliche Geist bedarf
zuweilen eine stärkere Dosis des Lächerlichen, um erschüttert
zu werden. Damit das Possenhafte jedoch in gewissen
Schranken gehalten werde, damit man nicht den Stoff zum
feinkomischen Lustspiel possenhaft behandle, ist es freylich
am besten, wenn man wie viele Nazionen besondre possenhafte
Charaktere habe, wie z. B. bey den Spaniern
der Gracioso, der Gallega, bey den Jtalienern der Harlekin,
Skaramuz u. s. w., bey den Deutschen das Kasperle,
und das sämmtliche Personal des Marionettentheaters.
Hierdurch bekommt man für das Possenhafte eine eigne
besondere Welt, und geräth nicht in Gefahr, die Schranken
umzuwerfen und es mit dem Feinkomischen verbinden zu
wollen. ─ Auch die Römer hatten an den fabulis Atellanis
eigentliche Possenspiele, wahrscheinlich mit bleibenden
Karrikaturmasken. Die Atellana hatten den Nahmen von
der Stadt Atella; von ihnen waren die fabulae tabernariae
noch unterschieden. Die Personen, die hier vorkamen, waren
von niederm Stande. Jn den fabulis praetextatis kamen
personae nobiliores vor. ─ Uebrigens kann man
auch den Plutus zu den groteskkomischen Dichtern
rechnen, und ihm ist Moliere mehr, als dem Terenz
gefolgt. 5) Die Pastorale oder das Schäferdrama ist
ein Lustspiel, in welchem der naive Jdyllenton |#f0190 : 666|

herrscht, weil der Gegenstand aus der Hirtenzeit genommen
ist. Die favola boscareccia ist bey den Jtalienern vorzüglich
ausgebildet worden. Tasso hat durch seinen Amint das
beste Muster geliefert dem Guarini unendlich nachsteht. Einige
italienischen Kritiker wollen diese Dichtart nicht gelten
lassen, und meynen, die Zusammensetzung, auf der sie beruhe,
sey wider die Regeln aller Wahrscheinlichkeit. Freylich
ist die Schäferwelt so ganz ideal und von unsrer Wirklichkeit
verschieden, es herrscht darinnen zu wenig wahre Thätigkeit,
daß sie sich als Drama nicht gut darstellen läßt,
wenn sie nicht mit Musik verbunden ganz ins Lyrische übergeht.
Der Ausdruck idyllisches Drama hat eben so
etwas contrastirendes bey sich, als der: Schäferepopöe.
Unsre altdeutschen Schäferspiele fallen gewöhnlich ins Lächerliche.
Geßners idyllische Dramen, z. B. Erast, werden
auch aufgeführt keine große Wirkung thun. Uebrigens kann
es auch kleine dramatische Stücke geben, deren Gegenstand
aus dem wirklichen ländlichen Leben genommen ist, in
denen das naive herrscht.


Anmerk. 4. Was den Styl und das Metrum
betrifft, die in der Komödie statt haben, so muß man die
oben bemerkten Gattungen des Lustspiels wohl unterscheiden.
Das edle Lustspiel verlangt einen natürlichen
einfachen Styl, da die Regel der Jllusion bey ihm am meisten
zu beobachten ist. Das feinkomische Lustspiel muß
den geselligen Weltton haben. Für beyde schickt sich also
die Prosa am besten, oder ein Metrum, das ihr am nächsten |#f0191 : 667|

kommt. Das satyrische und groteskkomische
Lustspiel, wie auch die Posse, bedarf allerdings der Versifikation,
des Reims, und eines gewähltern Styls, um die
Würde eines Kunstwerks zu behaupten. Man hat für und
wider das versifizirte Drama im allgemeinen gestritten, ohne
allemal jene Gattungen des Lustspiels dabey gehörig zu unterscheiden.
Der Grund gegen die Versification scheint der
schwächste, der daher genommen ist, daß dadurch Jllusion
und Wahrscheinlichkeit gestöhrt werde. Denn man soll bey
dramatischen Werken nie das Bewußtseyn verliehren, daß
das ganze Kunst sey. Auch vereinigen die französischen Lustspiele
die feinsten Wendungen, die größte Leichtigkeit im
Dialog mit der Versification. ─ Uebrigens nimmt das
Lustspiel im Einzelnen noch verschiedene zufällige Formen an.
Es giebt pièces à scenes détachées, scenes à tiroir, d. h.
einzelne Scenen ohne Verbindung zu einem Drama. ─
Drantatische Sprüchwörter ─ Jntermezzos ─ Vorspiele,
Nachspiele ─ Entertainements ─ Farcen.
Jede Nazion hat besondere Nahmen für dergleichen verschiedene
dramatische Lustbarkeiten. Meistentheils sind sie als
Gelegenheitsgedichte zu betrachten, und die Regeln dabey
nicht zu genau zu nehmen. Man kann auch eine Gattung
des Lustspiels annehmen, in welchem das Niedliche
herrscht, dies wäre die Kinderkomödie. Die Demidramas,
welche Scenen aus der Kinderwelt enthalten, z. B. die
Stücke der Frau von Genlis, von Weiße u. s. w.

|#f0192 : 668|


Anmerk. 5. Was die eigentliche Schauspielkunst
betrifft, so gehören die dahin einschlagenden Regeln in die
allgemeine Aesthetik, und insbesondere in einen Theil derselben,
welcher Mimik heißt.


[Abbildung]


IV.


Von der Verbindung der historischen Poesie mit der Musik.


§. 1.


Die Oper ist die dramatische Vorstellung
einer Handlung, bey welcher sich Poesie, Musik
und Schauspielkunst, als Hauptkünste zu
gleichen Rechten verbinden.


Anmerk. Es ist also die Oper ein durchaus musikalisches
Gedicht, wie wir den Begriff oben bey der
Kantate bestimmt haben, auf die historische Poesie angewandt.
Sie unterscheidet sich von der alten Tragödie und
dem Melodram. Denn in diesen beyden ist die Poesie
die Hauptkunst und die Musik unterstützt nur die Recitationen.
Sie soll aber eigentlich auch nicht so wie bis jetzt, der
Musik den Vorrang einräumen, und selbige von der
Poesie nur unterstützen lassen. Kurz bey der Oper, wie
deren ideale Natur nach dem System festgesetzt werden kann,
sind Poesie und Musik Hauptkünste, haben gleiche
Rechte, müssen einander wechselsmeise beschränken.

|#f0193 : 669|


§. 2.


Da die Schauspielkunst mit der Oper verbunden
wird, diese aber wenn auch nicht eine vollkommene
Jllusion, wenigstens einen Grad von Täuschung
und Wahrscheinlichkeit verlangt, so muß der Jnhalt
der eigentlichen Oper so beschaffen seyn, daß man
sich die Theilnahme der Musik als Hauptkunst erklären
könne. Daher sollte der Stoff der wahren
opera seria aus der Wunderwelt genommen seyn.
Mit der opera buffa braucht man es indeß nicht so genau
zu nehmen.


Anmerk. St. Evremond und mehrere Kunstrichter
haben bekanntlich die Oper für eine ganz ungereimte
Erfindung ausgeben wollen. Nach St. Evremond ist die
Oper nichts anders, als ein lustiges Werk, worinnen Dichter
und Tonkünstler sich einander im Wege stehn, und sich
gleich stark bemühn, eine schlechte Arbeit zu Stande zu
bringen. Dieser Kritiker findet es lächerlich, daß man das
ganze Stück absingt, daß man Befehle nach dem Takt giebt
u. s. w. Allein es müssen hier viele Fälle unterschieden
werden. 1) Die Opera seria oder die ernsthafte Oper verlangt
wegen der ernsten Empfindung, die sie in uns erhalten
soll, einen Grad von Wahrscheinlichkeit, und einen
sorgfältigen Plan. Die Musik soll daran als Hauptkunst
Theil nehmen. Sie soll gleichsam der Aether seyn, in |#f0194 : 670|

welchem sich die Personen und ihre Reden bewegen. Dazu
gehört, daß der Stoff aus der Götter=und Fabelzeit, aus
der romantischen Geschichte, aus der Schäfer=und Mährchenwelt
wie bey Gozzi genommen werde, ohnedem ist keine
Jllusion möglich. Jst das Wunderbare einmal als Princip
der Handlung angenommen, so läßt sich auch die beständige
Haupttheilnahme der Musik wahrscheinlich finden. ─
Der Operndichter muß seine Materie so wählen, daß sie auch
ein romantisches Kostüme und Decoration giebt. Nazionen
wie die Spanier, deren Sitten noch viel romantisches haben,
können allerdings Geschichte für die Oper liefern, z. B. Don
Juan. Auch die morgenländischen Sitten und Kostüme
paßt für die Oper, z. B. Azur. Denn es läßt sich ein
Grad von Wunderbaren mit ihnen verbinden. Der Französische
Axur hat durch seinen wunderbaren Prolog einen
Vorzug vor dem Jtalienischen. ─ Nimmt die opera seria
ihren Stoff aus der wirklichen Geschichte, z. B. La Clemenza
di Tito
, so wird die Darstellung schon an Wahrscheinlichkeit
und Ernst verliehren. Man wird nicht selten durch
Unschicklichkeiten gestöhrt werden. Es thut der Componist
alsdann gut, wenn er die Theilnahme der Musik vermindert,
wenn er die historische opera seria mehr den
einfachen Melodramen, den Tragödien der Alten nähert,
wenn er der Poesie den Vorrang läßt und die Musik blos zu
ihrer Unterstützung anbringt. Sonst wird freylich diese
opera seria ein abentheuerliches Kunstwerk, und man wird
es immer wider alle Wahrscheinlichkeit finden, daß ernste
Helden ihre Gedanken in gedehnten Kadenzen und Manieren |#f0195 : 671|

eröffnen. 2) Die opera buffa der Jtaliener hat sonst gewöhnlich
ein sparsam begleitetes Recitativ. Es nähert sich
also den Lustspielen der Alten, wo die Musik zur Unterstützung
der Poesie da war. ─ Szenen aus dem häuslichen
Leben mit Begleitung der Musik, wenn diese hauptsächlich
Theil nehmen soll, ein edles musikalisches Lustspiel wäre
ein Unding, weil im edlen Lustspiel ein Grad von Jllusion
verlangt wird. ─ Allein die opera buffa soll groteskkomisch
seyn, und das groteskkomische bindet sich nicht an die
Regeln der Wahrscheinlichkeit. Vielmehr sollen da recht
auffallende Kontraste statt finden. 3) Unsere deutschen Lustspiele
mit Gesang und Operetten sind ihrer Form nach ganz
unnatürlich, weil man aus der prosaischen Rede in die lyrische
Arie übergehn soll. Sie können nicht vertheidigt werden.



§. 3.


Der ästhetische Jnhalt der Oper ist das romantische
und das groteskkomische. Metrum
und Styl müssen ganz musikalisch, d. h. auf die
Haupttheilnahme der Musik berechnet seyn.


Anmerk. 1. Das Romantische muß in der
opera seria herrschen. Das eigentlich große und erhabene
wird in der Oper nie Glück machen. Aber das
romantische kann bis zum grausenden steigen. Auch
das idyllischschöne ist, insofern es mit dem romantischen
zusammengränzt, Jngredienz zu einer guten Oper. Eine |#f0196 : 672|

unbestimmte lyrische Decoration des Ganzen, wie z. B. in
Erwin und Elmire thut hier gute Wirkung. ─ Eine gewisse
Continuität und ästhetische Einheit im Wechsel dieser
Empfindungen muß immer beobachtet werden. Hier
müssen Musik und Poesie einander ganz in die Hand arbeiten.
So wächst nach und nach im Don Juan von Mozart das
tragische, bis zum Finale des ersten Akts, und die Musik
überhaupt hat selbst bey ihren heitern Momenten einen Anklang
von der Geisterwelt.


Anmerk. 2. Der Operndichter muß also nie ein
Kunstwerk liefern wollen, das auch ohne Musik gefalle.
Sein Styl, sein Metrum muß lediglich mit beständiger
Rücksicht auf die Verbindung mit der Musik ausgearbeitet
seyn. Der Styl der opera seria ist höchst lyrisch, und
auch die opera buffa muß nicht in zu natürlichem prosaischen
Tone geschrieben seyn, denn sie muß doch, wie das groteskkomische
Lustspiel, ihre Würde als Kunstwerk behaupten.


§. 4.


Da der Hauptcharakter der Oper in Darstellung
einer wunderbaren romantischen Welt besteht, so
wird sie bey Decoration des Theaters vorzüglich auf die
Sinne zu wirken suchen, und sich mit allen übrigen
Künsten, mit Tanzkunst, Plastik, Mahlerey
zu dem Ende verbinden. Dieser äußere Glanz
macht die Oper zu dem zusammengesetztesten aller Kunstwerke |#f0197 : 673|

. Doch darf man sie deswegen nicht für das
höchste Kunstwerk halten.


Anmerk. 1. Durch die Zusammenwirkung so vieler
Künste, die, wie Voltaire sagt, de cent plaisirs font un
plaisir unique
, kann zwar ein großer Sinnenrausch bewirkt
werden. Allein eben durch die Menge von zusammenwirkenden
Theilen verliehrt das einzelne an Kraft. Die Gestalt
des Ganzen ist schwerer zu fassen, die ästhetische
Wirkung der Tragödie ist weit größer, die Tragödie selbst
ein weit erhabneres Kunstwerk, als die Oper mit allem ihren
Sinnenreiz. Hierzu kommt, daß je mehr die Oper auf die
Sinnlichkeit Einfluß hat, desto mehr auch die Phantasie
an eigentlicher Freyheit verliehrt. Den moralischen Werth
der Oper schildert Boileau sehr treffend in der zehnten Satyre,
d'un spectacle enchanteur la pompe harmonieuse,
ces danses, ces heros, à voix luxurieuse,
ces discours sur l'amour seul roulants, ces doucereux
Renauds, ces insensés Rolands et tous ces lieux communs
de morale lubrique
, (von Qvinaut) que Lulli
rechauffa des sons de sa musique
. ─


Anmerk. 2. Die Oper erscheint auch zuweilen als
Jntermezzo, wo eine einfache Handlung von wenigen Personen
durchgeführt wird. Vielleicht gab das Jntermezzo
zum ersten Ursprung der Oper Gelegenheit, den man in
Jtalien zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts setzt. Freylich |#f0198 : 674|

ist die italienische Oper, gerade wie die Kantate,
eine in der äußern Gestalt verfehlte Jdee, weil selbst die
Poesie eines Metastasio nicht im Stande war, die Musik in
ihre Schranken zurück zu weisen.


[Abbildung]

|#f0199 : E675|
[Abbildung]

Zweyter Unterabschnitt.

Von der beschreibenden Poesie. ──────


I.


Von der beschreibenden Poesie überhaupt.


§. 1.


Die beschreibende Poesie idealisirt die Objekte, in
sofern sie die Phantasie, das Anschauungsvermögen
besonders beschäftigen. Sie stellt die Theile dar, welche
an einem beharrlichen Ganzen erscheinen.


Anmerk. 1. Die Handlung, welche von der pragmatischen
oder historischen Poesie dargestellt wird, ist zwar
auch ein Ganzes. Allein es ist ein vorübergehendes
Ganzes. Bey der beschreibenden Poesie liegt allemal ein
beharrliches Ganzes zu Grunde, dessen einzelne Erscheinungen
angegeben werden. Die Erscheinungen selbst
brauchen nicht coexistirend zu seyn; sie können auch nach
einander gefunden werden, z. B. Thomsons Jahrszeiten.
Das Ganze ist aber etwas Beharrliches, die Natur.
Die Erscheinungen, mittelst deren ein Gegenstand beschrieben |#f0200 : 676|

wird, können sich auch wie eine Reihe von Ursachen und
Wirkungen entwickeln. Nur muß der Verstand dabey weniger
interessirt werden, als die Phantasie, sonst geht das
Gedicht in ein Lehrgedicht über. Manilii Astronomicon
schwankt zwischen dem beschreibenden und dem Lehrgedicht.
Hallers Gedicht an die Ewigkeit ist ein beschreibendes
Gedicht.


§. 2.


Da der zu beschreibende Gegenstand unter
einer idealen Ansicht, unter der Form des Schönen erscheinen
soll, so müssen nach den oben festgestellten
Grundsätzen, 1) die Theile desselben vor unsern Augen
nach und nach zwanglos vorbeygeführt werden, 2) sie
müssen in einem anschaulichen und lebendigen Licht erscheinen,
3) sie müssen eine begreifliche Totalität bilden,
4) Es muß dadurch ein Gefühl von Harmonie der Objekte
mit unserer inneren Gesetzlichkeit und ein Selbstbewußtseyn
der letztern entstehn.


Anmerk. Die erste Forderung und die dritte sind
die schwersten für den beschreibenden Dichter. Es liegt hier
allemal ein in der Zeit beharrlicher Gegenstand zum Grunde,
von dem eine Ansicht im Ganzen gegeben werden soll. Nun
kann der Dichter nicht anders als successiv die Vorstellungen
aufführen. Es scheint also die Natur einer Beschreibung in
Worten eine große Ordnung zu verlangen, damit man das
Ganze fasse. Gleichwohl soll diese Ordnung zwanglos, |#f0201 : 677|

nicht prosaisch seyn, und ganz zufällig entstehn. Ueberdem
hat der beschreibende Dichter nicht einmal den Vortheil,
welchen der pragmatische hat, daß sich die einzelnen Theile
allemal in einer nothwendigen Verknüpfung von Ursache und
Wirkung befinden. Bey der Handlung weist jedes Glied
der Vorstellungskette auf das vorhergehende zurück, oder
läßt das folgende ahnen. Bey der Beschreibung soll
der Zusammenhang der Theile mehr die Phantasie interessiren,
als den Verstand. Denn die Phantasie ist
von allen Seelenkräften diejenige, welche mit dem wenigsten
Zwange unterhalten seyn will, welche das Mitarbeiten des
Verstandes am wenigsten duldet. Hieraus läßt sich die
Folge ziehen, daß die beschreibenden Gedichte von allen
darstellenden Dichtungsarten die kürzesten seyn und
am meisten lyrisch gehalten seyn müssen. Die beschreibenden
Dichter wählen daher auch Gegenstände, deren einzelne
Theile wieder als kleinere für sich bestehende Ganze angesehn
werden können, wie z. B. Thomsons Jahrszeiten.
Zachariäs Stufen des weiblichen Alters. So wird der
Phantasie die Uebersicht erleichtert.


§. 3.


Die Phantasie hat ihr Jdeal, im vorzüglichen
Sinne dieses Worts, eben so gut, wie die übrigen
drey Seelenkräfte. Da sie ein Streben nach
Anschauung ist, so muß sie bey dem beständigen
Zeitwechsel etwas Beharrliches suchen, das ihr |#f0202 : 678|

Stoff zu beständiger Anschauung liefere. Jhr Jdeal
ist die Vernunftidee der Substanz, als des
bleibenden Substrats aller Anschauung. Die beschreibende
Poesie wird also die Aufmerksamkeit der Phantasie
entweder auf solche Gegenstände richten, unter
welchen sich der menschliche Geist das beharrliche
Prinzip der Dinge vorstellt, und das Absolute in
dem Werden seiner Erscheinung beschreiben, oder
auf solche, welche nur eine Zeitlang subsistiren, und
ein der Substanz analoges kleineres Ganze ausmachen.
Jm ersten Falle wird das Gefühl des höhern
im andern Falle das Gefühl des niedern Schönen
entstehn. Es wird also eine höhere und eine niedere
beschreibende Poesie geben.


[Abbildung]


II.


Von der höhern beschreibenden Poesie.


§. 1.


Das höhere beschreibende Gedicht schildert
die Erscheinungen von Gegenständen, unter denen
sich die Phantasie das beharrliche Prinzip alles
Werdens (die Substanz) vorzustellen sucht.

|#f0203 : 679|


Anmerk. Hallers Gedicht an die Ewigkeit ist
vielleicht die höchste Richtung, welche die Phantasie in diesem
Felde nehmen kann. Haller schildert durch lauter
Negationen, so zu sagen im Schooße des Nichts das
höchste Daseyn. Ueberall sieht man das Streben des Dichters,
das höchste Beharrliche für die Anschauung, die Substanz
darzustellen. „Und wenn ein zweytes Nichts wird
diese Welt begraben, wann von dem Allen selbst nichts bleibet
als die Stelle, wann mancher Himmel noch, von andern
Sternen helle, wird seinen Lauf vollendet haben, wirst du
so jung, als jetzt von deinem Tod gleich weit, gleich ewig
künftig seyn, wie heut. ─ „Wie eine Uhr beseelt durch
ein Gewicht, eilt eine Sonn aus Gottes Kraft bewegt,
Jhr Trieb läuft ab, und eine zweyte schlägt, du aber
bleibst und zählst sie nicht. ─ Thomsons Jahrszeiten
schildern eigentlich nur veränderliche Erscheinungen.
Allein das Beharrliche, was zum Grunde liegt, ist die
Natur. Die Natur ist eigentlich der Gegenstand, den
Thomson beschreibt, und so gehört sein Gedicht zu den höhern
beschreibenden Gedichten, welchen Rang es nächst
seinem Jnnhalte auch durch seinen Styl behauptet. Thomsons
Frühling zeigt den bildenden Einfluß der Natur auf die
leblose Materie, auf die Pflanzen, auf die wilden Thiere,
zuletzt auf den Menschen. Der Sommer beginnt mit einem
Blick auf die Bewegung der himmlischen Körper, als eine
Ursache der Jahreszeiten. Durch alle diese Schilderungen
vergänglicher Erscheinungen bekommen wir ein Gemälde von
der Natur, als beharrlichem productiven Wesen. ─ Es |#f0204 : 680|

ließe sich eine interessante Untersuchung darüber anstellen,
warum die Alten, welche in allen Gatrungen der darstellenden
Poesie, wenigstens im pragmatischen und didaktischen
Gedicht Meisterwerke aufzuweisen haben, die Jdee des
höhern beschreibenden Gedichts nicht gehabt zu haben scheinen,
zumal da ihre Epopöen und andere Gedichte voll Beschreibungen
sind. Das erste Buch des Manilius Sphaera
mundi aut de universitate
gehört am meisten hierher.
Jn den übrigen Büchern ist mehr die astrologische Lehre zu
finden. Das Schild des Achills in Homers Jliade ist
eine Welt im Kleinen. Es erregt aber mehr die Empfindung
des Niedlichen, als ein erhabenes Gefühl. Das
Scutum Herculis ist gar nicht zu erwähnen. Es ist eine
schwache Nachahmung und auch zum Theil historisch.


Anmerk. 2. Es giebt auch kleinere beschreibende
Gedichte über einen Gegenstand, der die Empfindung
des Erhabenen erweckt. Z. B. Opitzens Vesuv, kriegerische
Gemälde u. s. w. Doch auch hier sieht man immer das
Bestreben des Dichters, eine Ansicht von Natur und Welt
im Ganzen zu geben. So beginnt Opitzens Gedicht Vesuvius
folgendermaßen: „Natur von derer Kraft, Luft, Welt
und Himmel sind, des Höchsten Meisterrecht und erstgebornes
Kind, du Schwester aller Zeit, du Mutter dieser Dinge,
o Göttinn gönne mir, daß mein Gemüthe dringe, in
seiner Werke Reich u. s. w.“ ─ Wenn man bedenkt, wie
zufällig die Gedanken eines Dichters entstehn, so ist es die
größte Rechtfertigung einer Theorie, wenn der Gang, den sie |#f0205 : 681|

a priori den Dichterischen Jdeen als nothwendig vorzeichnet,
auch a posteriori von den Dichtern bey der größten Freyheit
ihres Genius, genommen wird. Die Poetik, wenn sie
sich vervollkommnen sollte, wird demnach als die beste Probe
der menschlichen Theorie anzusehn seyn.


§. 2.


Da die Beschreibung dichterisch seyn und von
allem Zwang des Verstandes frey erscheinen muß, so
wird der Dichter den Plan des Ganzen so viel als
möglich verbergen, und bey aller scheinbaren Unordnung
doch eine vollkommne Ansicht des Gegenstandes
geben müssen.


Anmerk. Bey dem beschreibenden Gedichte soll die
Phantasie besonders interessirt werden, welche sehr leicht ermüdet.
Es darf der Dichter deshalb keinesweges mahlen
wollen. Denn was man hinter einander nach und nach sich
vorstellt, kann man sich nicht ohne Zwang und peinliche
Ordnung zu Einem Hauptbilde vereinigt neben einander
denken. Haller beschreibt die Alpenblumen mit der Genauigkeit
des Botanisten, und geht hierinnen über die Gränzen
seiner Kunst heraus. ─ Der beschreibende Dichter muß
Erzählungen, Lehren, Betrachtungen, lyrische Stücke in
seine Beschreibungen als Episoden einmischen. Denn der
Geist wird es satt, immer nur anzuschaun, und in Bildern
sich zu verliehren. Die übrigen Seelenkräfte wollen bey |#f0206 : 682|

einem längern Gedichte auch nicht ganz unbefriedigt seyn.
Aber alle Episoden und Digressionen müssen doch nicht gewaltsam
herbeygezogen, sondern passend seyn, und am Ende
dazu beytragen, die Ansicht des Hauptgegenstandes zu erleichtern.
Auch muß immer Ein Hauptgedanke im
Plane durchgeführt werden, auf welchen der Dichter zurückkehrt.
So ist z. B. in Thomsons Sommer der Hauptgedanke:
Die Beschreibung eines Sommertags. Er beginnt
mit Sonnenaufgang. Hier folgt eine lyrische Hymne an die
Sonne. Weiterhin kommen noch vor als Episoden die Geschichte
von Damon und Musidora ─ eine Lobrede auf
Großbrittannien, und das ganze schließt mit dem Preis der
Philosophie. Alles dieses ist aber so eng in das Gemälde
eines Sommertags verwebt, daß dadurch das an sich todte
Gemälde poetisch lebendig wird. Der beschreibende Dichter
muß also nicht dem Mahler gleichen, und mit ihm wetteifern
wollen. Er muß mehr der empfindende Mensch seyn,
der vor einem Gemälde steht, und seine Gedanken, als
Nebenideen, die dieses Gemälde in ihm veranlaßt, mittheilt.
Durch diese zufälligen Bemerkungen und Ausgüsse von Empfindungen
bey jedem Theile des Gegenstandes, lernen wir
am Ende ohne allen Zwang das Gemälde selbst kennen und
uns vorstellen.


§. 3.


Die herrschende ästhetische Empfindung in dem
höhern beschreibenden Gedicht ist das starke und |#f0207 : 683|

große, welches letztere nach näherer Beschaffenheit
des Gegenstandes entweder die Modification des Prächtigen
oder Glänzenden, oder Schaurigen
annehmen kann. Der Styl muß, wegen der freyeren
Gedankenreihe im Plane sich dem höhern lyrischen
Ausdrucke nähern, aber wegen der zur Beschreibung
erforderlichen Ruhe, mehr edle Hoheit als heftige
Erhabenheit zeigen. Das Metrum wird wegen der
Größe des Gedichts eine gewisse Ausdehnung und Einfachheit
nöthig haben.


Anmerk. 1. Hallers Beschreibung der Ewigkeit ist
durchgängig schaurig. Eine starke Empfindung muß
mit dem Großen verbunden seyn, weil die Anschauung von
etwas Beharrlichen, dessen Wesen man in allen diesen
Erscheinungen fassen soll, ein besonderes Gefühl der concentrirten
und gesammelten Seelenkräfte erfordert. Jn Thomsons
Gedicht ist die herrschende Empfindung das Glänzende,
und für diese Art Gemälde der Natur paßt dies
auch am besten. Denn so erscheint der Gegenstand in einem
hellen Lichte. Der Geist hat eine muntere Stimmung,
dehnt sich weit aus, und umfaßt ohne Anstrengung das
Ganze.


Anmerk. 2. Die beschreibenden Dichter wählen
gewöhnlich die Sylbenmaaße der Epopöe. Kleists Frühling
ist in Hexametern. Thomson hat Jamben. Der Hexameter |#f0208 : 684|

hat den Vorzug, daß er durch seine Mannichfaltigkeit
Gelegenheit giebt die sinnlichen Beschreibungen durch die
Bewegung des Sylbenmaaßes zu unterstützen. Der Jambe
hat den Vorzug, daß er im Ganzen genommen etwas lyrischer
ist, als der Hexameter. Letzterer paßt besser für
Darstellung. Die Darstellungen des beschreibenden
Dichters sollen aber etwas lyrisch seyn. Der Styl soll
zwischen dem epischen und Odentone das Mittel halten,
wie in der Tragödie. Daher sind auch die Jamben gut.
Hallers beschreibende Gedichte sind gereimt. Uebrigens
nimmt das höhere beschreibende Gedicht wohl auch die Liederform
an, und fließt alsdenn gewöhnlich mit der Hymne zusammen.
Z. B. Davids Beschreibungen von Gottes Majestät
im Weltall.


[Abbildung]


III.


Von der niedern beschreibenden Poesie.


§. 1.


Es giebt A) beschreibende Gedichte niederer
Gattung, welche mehr die Ansicht einzelner Gegenstände,
als der Natur oder des absoluten
Werdens
im Ganzen geben, und die Empfindung
des niedern Schönen erwecken.

|#f0209 : 685|


Anmerk. Z. B. die Stufen des weiblichen Alters
von Zachariä ─ das sind Ansichten aus dem menschlichen
und zumal häuslichen Leben, die mehr dazu geeignet sind,
die sanftern Empfindungen zu erregen, als daß sie das
höchste Jdeal für die Phantasie, die Schönheit der Natur
und des Weltalls darstellen sollten.


§. 2.


B) Hierher kann man auch rechnen, das moralische
beschreibende Gedicht
oder die Beschreibung
der menschlichen Sitten. Hiervon
sind besonders zwey Unterarten bekannt, die Jdylle
im engern Sinne und die Satyre im Engern
Sinne, wiewohl noch eine dritte Unterart möglich
ist.


Anmerk. 1. Wir haben gesehn, daß das idyllisch
schöne
und das satyrische bey allen Dichtungsarten
vorkam und dieselbe modifizirte. Dieß gab dann allemal
Jdyllen oder Satyren im weitern Sinne.
Nun giebt es aber auch eine Jdylle und eine Satyre
im engern Sinne, welche eigentlich sichs zum Hauptzweck
machen, die Sitten des Menschen zu schildern. Diese
gehören zur beschreibenden Poesie. Denn die
Phantasie soll eine Ansicht von der menschlichen Lebensart
dadurch bekommen. Die moralische menschliche gesellige
Welt soll dargestellt werden. Nun ist ein dreyfacher Zustand |#f0210 : 686|

des Menschen denkbar in Ansehung seiner Sitten: 1)
der Zustand der rohern Natur, 2) der Zustand der verderbten
Cultur, 3) der Zustand der Religion, die Cultur und
Natur durch den höhern Jnstinct der Liebe vereinigt. Die
Geschichte der Menschheit in den heiligen Büchern zeigt den
Menschen unter diesen drey Ansichten. Die profane Erfahrung
läßt den Menschen nur unter den zwey ersten erscheinen.
Daher haben auch die Dichter gewöhnlich nur die natürlichen
und die cultivirten Sitten des Menschen geschildert, und
man findet nur Jdyllen oder Satyren. Doch kann
sich auch der Dichter religiöse Sitten des Menschen denken,
wie in den ersten Zeiten des Christenthums. Man
sieht also, daß dies System der Poetik auch im Stande ist,
neue Unterarten der Dichtungskunst vorauszusagen, wie
wir anderswo behaupteten. Etwas ähnliches ahnte schon
der tiefe Blick Schillers, indem dieser große philosophische
Dichter eine Vernunftidylle postulirte. Der Ausdruck
ist freylich nicht recht gut gewählt. Denn Vernunft
wird gewöhnlich der Natur ganz entgegengesetzt.
Allein wenn die Vernunft zum Triebe wird, heißt sie
Religion, und es ist alsdann eine religiöse Jdylle
möglich. Das moralische beschreibende Gedicht
gehört zur niedern beschreibenden Poesie. Denn die Sitten
des Naturstandes erwecken die Empfindung des naiven,
die Sitten der Bürgerwelt erwecken den Spott der freyern
Geister, also das Gefühl des Satyrischen. Beydes sind
Empfindungen des niedern Schönen. Ueberdem ist das
menschliche Leben das hier beschrieben wird, für die Anschauung |#f0211 : 687|

der Phantasie zu wenig, um als Jdeal die
Phantasie zu füllen. Also auch aus diesem Grunde gehört
das moralische beschreibende Gedicht zu der niedern
beschreibenden Poesie. Nur allein die postulirte religiöse
Jdylle konnte vielleicht zum höhern beschreibenden Gedicht
gerechnet werden. Denn die religiöse Welt wäre
für die Phantasie bedeutend genug, um sich darunter das
beharrliche Jdeal der Anschauung vorzustellen, und die Empfindung
des erhabenen würde dadurch auch bewirkt werden.
Die Szene des letzten Abendmahls Christi gäbe, z. B. Stoff
zu so einer religiösen Jdylle. Klopstocks Gedicht nähert
sich zuweilen dieser postulirten Dichtart.


§. 3.


Die Jdylle im Engern Sinne ist ein Gedicht der
niedern beschreibenden Poesie, (eine Unterart der moralischen
beschreibenden Dichtungsart) wodurch die Sitten
des Menschen, von Seiten ihrer lebendigen unbefangenen
Schönheit, also vorzüglich im Naturstande
und Landleben für die Phantasie anschaulich dargestellt
werden.


Anmerk. 1. Der Gegenstand ist also eine Ansicht
des noch nicht cultivirten oder ländlichen Lebens. Der
Ausdruck Schäfer= und Hirtengedicht ist freylich etwas
eng. Denn Adam und Eva könnten füglich auch im
Paradiese schon geschildert, Personen einer Jdylle seyn. |#f0212 : 688|

Ueberdem giebt es Fischeridyllen, schon beym Theokrit
(Jdyll. 21.) auch Deutsche von Brouner, Schnittergesänge
(λυτιερσης) auch von Voß und Hölty ─ Winzerlieder u.
s. w. Vossens Louise hat zum Gegenstand die Familie eines
Landgeistlichen. Die Benennung der Alten war noch eingeschränkter.
Sie nannten die Jdylle carmen bucolicum
απο των βουκολων
, weil diese Gattung von Hirten
die wichtigste und angesehenste war. Der Jdyllenton ist gewiß
auch der älteste in der Poesie, weil die Poesie mit Nachahmung
begann, und die ländlichen Sitten der erste Gegenstand
der Nachahmung waren. Ohne Zweifel waren also
die Hirten in Arkadien und Sizilien die Erfinder, da sie am
meisten Muße hatten. Die Fabel hat uns sogar Nahmen
solcher alten bukolischen Dichter als Helden des bukolischen
Gesangs aufbehalten. Daphnis (siehe Virgils 5 Eccloge)
ist für die Jdyllendichter, was Orpheus für die
Odendichter war. Dieser Daphnis, einer von denen welche
sich βωκολιαϛαι nannten, soll ein Sohn des Merkurs und
einer Nymphe gewesen seyn. Sein Tod wurde in den bukolischen
Gesängen besonders gefeyert. Hierher gehört auch
Silen, der Cyclop und andre fabelhafte Personen. Das
musikalische Jnstrument, womit diese Art Lieder begleitet
wurden, war die σιριγξ oder fistula, der Erfinder
Pan. Es waren diese Gesänge zum Theil πορευτικα, welche
die Hirten beym Fortziehen der Heerden sangen, z. B.
die ὁδοιποροι (Theocr. I. 5.). Späterhin mögen die Hirtengedichte
bey den Festen der ländlichen Gottheiten gesungen
worden seyn. ─ Stesichorus, Theokrit und andere gaben dem |#f0213 : 689|

Hirtengedichte die erste gebildete Gestalt. Der Ausdruck
ειδυλλιον paßt am besten, das Wesen des Hirtengedichts
als einer Beschreibung, einer kleinen Schilderung anzudeuten.
Eclogae hießen hernach besonders ausgewählte
Stücke. ─ Theokrit hat nicht alle Gegenstände zu seinen
Jdyllen aus dem ländlichen Leben genommen. Oft behandelt
er auch andre Stoffe im naiven Jdyllenton, z. B.
die Hymenäen des Menelaus und der Helena ─ die Pharmaceutria
u. s. w. Auch Virgil hat bürgerliche Menschen
und Verhältnisse durch die Jdylle gleichsam allegorisch behandelt,
z. B. Pollio, dem Pope seinen Messias nachgebildet
hat. Einige Kunstrichter behaupten, der Jdyllendichter
müsse blos das Glück des ländlichen Lebens, das goldene
Zeitalter und die guten Sitten der Landleute herausheben.
Allein auch hieran haben sich die Dichter nie gebunden. Theokrits,
Virgils Hirten sind zuweilen in ihren Aeußerungen
roh und zänkisch. Geßners Jdyllische Personen werden auch
wohl im Unglück geschildert. ─ Die Jdylle, wie die
Griechen das Wesen derselben auffaßten, soll gerade nicht
lehren, oder gewisse Sitten empfehlen, sondern ein anschauliches
Gemälde für die Phantasie seyn, von
der muntern sichtbaren Natur. Jn diesem Sinne ist Theokrits
sechste Jdylle das schönste Muster. ─ Die Galatee,
welche den Polyphem mit Aepfeln wirft, der am Strande
sitzt und die Flöte spielt. ─ Aber er bemerkt es nicht ─
dann wirft sie den Hund, dieser bellt und sieht ins Meer
u. s. w. Geßners Jdyllen enthalten oft mehr die Sehnsucht
eines Städters nach einer idealen verfeinerten Natur, |#f0214 : 690|

als die Schilderung der lebendigen Natur selbst. Sie nähern
sich schon der dritten Gattung des moralischen beschreibenden
Gedichts, nämlich, der, wo eine gewisse Cultur
der Seele mit dem Naturstande vereinigt gedacht wird. ─
Theokrit hat also mehr Reiz und Leben, Geßner höhere
geistige Schönheit. Voß und Göthe (in Hermann und Dorothea)
stehn zwischen beyden in der Mitte. Die Menschen,
die von diesen Dichtern geschildert werden, sind schon in bürgerlichen
Verhältnissen. Es wird aber von diesen bürgerlichen
Verhältnissen durch die Jdylle als beschreibendes
Gedicht
die lebendigste anschaulichste Ansicht für die
Phantasie aufgefaßt. Da die Phantasie unter allen
Seelenkräften die unbefangenste ist, und ihr das Anschaun
und Verwundern (θαυμαζειν) zukommt, so wird jedes beschreibende
Gedicht dieser Art, selbst bey einem nicht ländlichen
Gegenstande, den naiven Ton haben, und sich der
ländlichen Jdylle nähern. Aus diesem allen sieht man, wie
sich nach und nach das Wesen der Jdylle immer bestimmter
organisirt hat. Deswegen haben wir die Definition
der Jdylle im eigentlichsten Sinne nicht blos auf Darstellung
des Landlebens eingeschränkt, sondern ihren objektiven
Zweck dahin bestimmt, die Sitten des Menschen von
Seiten ihrer unbefangenen und lebendigen Schönheit,
den sichtbaren Reiz des Lebens für die Phantasie
zu beschreiben.


Anmerk. 2. Der ästhetische Jnhalt der
Jdylle, die herrschende Empfindung ist das Naive, und |#f0215 : 691|

weil auch die Schönheit der menschlichen Sitten lebendig dargestellt
wird, die Grazie. Alle andern Gefühle müssen sich
hiernach modifiziren. Das eigentlich lächerliche und satyrische,
was eine heftige bittere Empfindung giebt, muß als
Contrast, vermieden werden. Vossens Jdyllen, in denen
zuweilen das unterdrückte Leben des Bauernstandes dargestellt
wird, geben dann eine bittere Gemüthsstimmung, welche
dem Wesen der Jdylle zuwider ist. Das Leben des
Menschen soll nicht in der Unterdrückung, es soll in seiner vollen
freyen schönen Thätigkeit aufgefaßt werden. ─ Das
Naive die herrschende Tonart ist das Bewußtseyn des instinktmäßigen
Daseyns von seiner Gesetzlichkeit. Es ist also
auch eine bürgerliche Naivität möglich, z. B. wenn
der Bürger bey seinem Erwerb, Handel und Wandel sich
einer gewissen Würde bewußt wird. Von dieser Seite schildert
Göthe zuweilen sehr glücklich den Bürgerstand idyllisch.
Tragische Empfindungen, Klagen über den
Tod eines geliebten Menschen, z. B. des Adonis, des Dafnis,
können auch in der Jdylle statt finden. Nur muß
auch hier der Schmerz mehr von der sichtbaren lebendigen,
naiven Seite gezeigt werden. Der Mensch muß dem Unglück
nicht unterliegen, sondern es muß sich das Leben im
Selbstbewußseyn seiner Schönheit mit unschuldigem Muth,
mit einer gewissen Besonnenheit über die traurige Lage erheben.
Auch hiervon giebt Hermann und Dorothea das beste
Beyspiel. ─ Die 23. Jdylle des Theokrit, wo sich ein
unglücklicher Liebhaber erhenkt, die von Lafontaine und andern
unter dem Nahmen Alcimadure nachgeahmt worden ist, |#f0216 : 692|

ist ein Mißgriff und contrastirt mit dem eigentlichen Wesen
dieser Dichtungsart. So wie die Alten zuweilen das
Wunderbare in ihre Jdylle aufnahmen, so haben neuere
Nazionen das romantische und galante hineingelegt,
besonders die Spanier, Jtaliener, Franzosen. Dies ist der
Charakter der Schäferromane von Cervantes, Florian u. s. w.
Schon in Moschus und Bion ist eine Spur hiervon.


Anmerk. 3. Der Styl der Jdylle muß einfach
seyn, ohne alle Figuren und Metaphern. Denn der
Gegenstand im Ganzen ist schon Gemälde. Die Phantasie
würde bey einem zu lyrischen Styl ermüden. Auch
paßt der einfache Styl am besten für den gewöhnlichen
Stoff dieser Dichtungsart. Hallers Alpen sind mehr
Jdylle als erhabenes beschreibendes Gedicht. Der Styl ist
aber etwas zu bunt. Eben so ist Popes Styl, zuweilen
selbst Geßners Ausdruck nicht einfach genug. Das Metrum
der Jdylle muß für sinnliche Beschreibungen
passen. Daher die Alten und auch die meisten Neuern den
Hexameter hier gewählt haben. Der Reim scheint am
wenigsten hier anwendbar zu seyn, wenn die Jdylle nicht die
Form des Liedes hat. Geßners Prosa ist besser, für
Geßners Manier, als die Hexameter, zu welchen Ramler
sie unformte.


Anmerk. 4. Die Jdylle nimmt verschiedene zufällige
Formen an. Die dramatisirende, die Erzählung,
die Ledersorm. Es giebt sogar Schäferromane, Schäferepopöen |#f0217 : 693|

, Schäferschauspiele. ─ Man muß auch hier bey
der Benennung und Classification des Gedichts auf den
Hauptzweck des Dichters sehn. Jst der Hauptzweck des
Gedichts Beschreibung, Schilderung der Sitten,
so mag die Form immer Erzählung seyn, es bleibt doch eine
Jdylle im Engern Sinne. Jst aber der Hauptzweck
des Gedichts, das Hauptinteresse auf die Handlung gerichtet,
so sage man lieber, es ist ein idyllisches erzählendes
Gedicht. So hat z. B. Vossens Louise mehr den
Zweck, naive Sitten darzustellen und zu beschreiben, als
durch die Handlung zu interessiren. Mithin ist das Gedicht
Jdylle im Engern Sinne. Hermann und Dorothea ist
schon mehr Erzählung idyllischer Art, denn hier hat
die Handlung mehr Jnteresse. ─ Einige Formen scheinen
für die Jdylle nicht sehr zu passen. Schäferroman,
z. B. die ländlichen Jdeen werden darinn über die Gebühr
ausgedehnt. Es ist in den Charakteren, in den Verhältnissen
zu viel Einfachheit, als daß ein solcher Roman nicht
langweilig werden sollte. ─ Eben so ist Schäferepopöe
eine etwas unbehülfliche Form, so schön auch zum
Theil Geßners Tod Abels ist. Die Jdylle im Engern
Sinn wirkt am besten als ein Miniaturgemälde, als eine
flüchtige Ansicht, als eine einzelne Szene. Auch hierüber
giebt uns schon der Nahme den besten Aufschluß. ─
Gleichwohl haben alle neuere Nazionen die Jdylle in dergleichen
unbehülflichen Formen. Es giebt auch französische
Schäferepopöen. Doch da Epopöe eigentlich eine
Erzählung erhabner Art bedeutet, so sollte man die |#f0218 : 694|

größere Jdylle dieser Art lieber zu den schönen Erzählungen,
als zu den Heldengedichten rechnen. ─ Virgils
Georgica haben den Endzweck zu lehren. Es ist also
hier ursprünglich ein didaktisches Gedicht, jedoch in
idyllischer Form ─ keine Jdylle im Engern Sinn.


§. 4.


Die Satyre im Engern Sinn ist ein Gedicht
der niedern beschreibenden Poesie (eine Untergattung
des moralisch beschreibenden Gedichts) in welchem
die Sitten des Menschen im Zustande der cultivirten
Verderbniß von ihrer lächerlichen Seite für
die Phantasie anschaulich dargestellt werden.


Anmerk. 1. Da man bisher keine Theorie hatte,
so konnte man auch die Beziehungen der einzelnen Dichtungsarten
auf einander nicht gehörig bemerken. Man trug
die Theorie der Satyre und der Jdylle einzeln vor, und bedachte
nicht, daß beyde eigentlich zu derselben Gattung, dem
moralischen beschreibenden Gedicht, gehörten. Gleichwohl
wird dadurch die Uebersicht erleichtert. Die Analogie, die
zwischen der Jdylle im Engern Sinn und der Satyre
herrscht, ist ganz klar. Der objektive Jnhalt der
Satyre ist also die Sitte des Menschen im Zustande der
Verfeinerung, welche in der Gesellschaft bis zur lächerlichen
Karrikatur steigt, und in der äußern Gestalt viele contrastirende
Züge hat, weil die Cultur den Jnstinct umsonst
bemänteln will. Bey den Griechen war die |#f0219 : 695|

Satyre, wie wir schon erwähnt haben, mit dem
alten Schauspiel verbunden. Jhr satyrischer Chor bestand
aus jungen Satyrn, welche scherzten, und alten Satyrn,
die im ernstern Tone sprachen. Die Satyre stand in der
Mitte zwischen Komödie und Tragödie. Schon die Römer
unterschieden die Satura von der dramatischen Form. Einige
haben den Ursprung des Nahmens Satyre daher von
den Römern ganz herleiten wollen. Ennius habe zuerst
Saturas geschrieben, mehr zum Lesen, als zum Aufführen,
wiewohl noch in dramatischer Form, ein Gemisch
verschiedenen Jnnhalts. Der Ausdruck Satura bey den
Römern mag nun wie einige wollen a lance, vel lege
oder von den Satyris kommen, dramatischen Personen, qui
cum lance prodibant et canistellis pomorum omni genere
plenis, quibus Nymphas allicerent
. Dem sey,
wie ihm wolle, so bestand die älteste Satyre der Römer,
wie Diomedes sagt, ex variis poematibus und war mit
den Saturninischen Versen, mit der fescennina locutione
in Verbindung. ─ Beym Terentius Varro findet man
Saturas Menippeas in Jamben. ─ Doch hat er auch
ein Gemisch von Prosa und Versen (wie nachher Seneca und
Petronius). Lucilius wählt für die Satyre gleichförmige
Sylbenmaaße. Bey ihm ward die Satyre schon mehr ein
poetisches Ganzes. Es war die Satyre ein genus διηγηματικον
und kam dem beschreibenden Gedicht näher. ─


Anmerk. 2. Der Plan der Satyre als beschreibendes
Gedicht setzt einen gewissen einfachen Hauptgedanken |#f0220 : 696|

voraus, um den sich das Gedicht dreht. Es muß also,
da Thorheit und Laster bey den Menschen so viele Seiten
hat, eine Ansicht besonders herausgehoben werden. So ist
z. B. die zehnte Satyre des Boileau gegen die Weiber
gerichtet. Der Plan, die objektive Gedankenreihe, bekommt
auch durch die besondre Form, welche der Dichter wählt,
eine nähere Bestimmung. Oft ists eine Erzählung, oft
läßt der Dichter eine fingirte Person sprechen, z. B. Boileaus
erste Satyre Damon, ce grand Auteur u. s. w.
Oder der Dichter unterhält sich mit noch einer Person, wie
Horaz mit dem Trebatius. ─ Jmmer muß aber bey der
Reichhaltigkeit des Gegenstandes eine gewisse besondere Gattung
von Thorheiten nach ihrer lächerlichen Außenseite beschrieben
werden. Die Uebergänge und Jdeenassoziationen
haben eine vollkommne lyrische Freyheit wie bey der Jdylle,
und überhaupt beym beschreibenden Gedicht, damit die
Phantasie nicht durch eine zu peinliche Ordnung ermüdet
werde.


Anmerk. 3. Der ästhetische Hauptinhalt ist
das Lächerliche, darnach modifizirt sich das übrige. Sogar
das höhere Schöne, das Heftige kann statt finden,
wie in der juvenalischen Satyre. Man kann daher zwey
Gattungen von Satyren annehmen, 1) die heftige leidenschaftliche,
bittere Satyre, wie die des Juvenal und
Persius; man muß sie aber nicht die ernsthafte nennen,
wie einige Theoretiker thun. Denn das Lächerliche ist
auch im Juvenal herrschend. Eine sogenannte ernsthafte |#f0221 : 697|

Satyre wäre vielmehr ein didaktisches Gedicht. 2) Die
scherzhafte Satyre im leichten Weltton, von der Horaz
und Boilean die besten Beyspiele geben. Jn der ersten Gattung
ist der Wechsel der Empfindungen natürlich lyrischer
als in der andern, der Dichter ist höher gestimmt. Die andre
hat mehr den Ton der geselligen Unterhaltung und den Lehrton.
Die Schilderung der verdorbenen Sitten darf aber
nicht bis ins ekelhafte gehn, weil dadurch der ästhetische
Genuß gestöhrt wird. Juvenal geht hierinnen nicht selten
zu weit, und Horaz hält sich nur eben an der Gränze,
überschreitet sie auch zuweilen, z. B. (L. I. Sat. 5.)


Anmerk. 4. Der Styl der Satyre kann bunt
und mannichfaltig seyn, und läßt die größte Freyheit zu.
Die heftige Satyre verlangt mehr figurirten lyrischen
Ausdruck und Gedrängtheit der Bilder. Juvenal ist hier
Muster. Die scherzhafte Satyre hat weniger poetischen
Styl nöthig. Es gleicht ihr Ton der vertraulichen Unterhaltung.
Die erste Gattung nähert sich der Ode, die andre
der poetischen Epistel. ─ Leichtigkeit, Urbanität,
Jronie, ist die vorzüglichste Tugend der scherzhaften Satyre.
Horaz ist zuweilen zu schwer. Das Metrum ist so mannichfaltig,
als die Einkleidung. ─ Die Alten, wie wir
gesehen haben, hatten Jamben, Hexameter, ließen
Prosa abwechseln. Lucian ist ganz in Prosa, ungeachtet
er viel ästhetische Darstellung hat. ─ Die Neuern haben
die Alexandriner und kürzere Verse. ─ Swifts, Rabners
Satyren sind in Prosa.

|#f0222 : 698|


Anmerk. 5. Die Satyre nimmt beynahe aus
allen möglichen Dichtungsarten willkührliche Formen an.
Jndessen muß man auf den Hauptzweck des Dichters sehn.
A potiori fit denominatio. Jst die Hauptabsicht, ein
anschauliches Gemälde der verdorbenen menschlichen Sitten
zu entwerfen, welches die Phantasie durch sein lächerliches
Aeußeres unterhalte, so kann man das Gedicht immer eine
Satyre im Engern Sinne nennen, die Einkleidung
mag übrigens seyn, welche sie wolle, Erzählung, Drama,
Lied u. s. w. Jst aber das Hauptinteresse nicht auf Beschreibung,
sondern auf Handlung gerichtet, soll
irgend eine andre Seelenkraft außer der Phantasie, unterhalten
werden, so bekommt das Gedicht einen andern
Hauptnahmen, und das Wort satyrische muß blos als
Beywort stehn, um die Modification auszudrücken, z. B.
satyrisches Lustspiel, satyrische Erzählung. ─ Jn
der gewöhnlichsten Form hat der Ton der Satyre im Engern
Sinne am meisten Aehnlichkeit mit dem Lehrton.
Allein die Satyre ist beschreibend, schildert das Lächerliche,
und daß sie dadurch belehrt, ist erst eine spätere
Folge. ─ Das Sinngedicht, von dem wir bey der didaktischen
Dichtart reden werden, weil es den Verstand
besonders interessirt, ist oft mit der Satyre ganz verwandt.
Jndessen bleibt der witzige Einfall, der dem
Verstand gefällt, immer die Hauptsache. Also ist das Epigramm
dieser Art zu den didaktischen Arten zu zählen,
und das satyrische davon ist nur eine Modification. ─
Die Parodie und die Travestirung (den Unterschied |#f0223 : 699|

haben wir schon oben bestimmt) sind auch besondere Formen
der Satyre. Die Parodie bey den Alten soll davon den
Nahmen haben, daß man wenn die Rhapsoden ihre Declamationen
schlossen, zur Erholung, scherzhafte Anspielungen
dazwischen gesungen. Hegemon bey den Atheniensern hat
durch eine Gigantomachie besonders die dramatischen
Parodieen in Aufnahme gebracht. Aus dem Hipponax hat
man Fragmente, woraus man sieht, daß er Homerische Verse
gegen seine Feinde herumgedreht hat. Er mag also die
epische Parodie aufgebracht haben. Bey den Neuern haben
Scarron und Blumauer den Virgil, Marivaux und andere
den Homer travestirt. Man hat eine travestirte Henriade
u. s. w. Die sogenannten Sillen der Griechen und
die Centonen, welche wir schon oben erwähnt haben, oder
Fragmente von Versen, die zu einem neuern Sinne verbunden
werden, sind auch mit den Parodieen verwandt. Die
Boutrimes haben auch zuweilen eine Aehnlichkeit mit dieser
Dichtart.


§. 5.


Zu der beschreibenden Poesie niederer Gattung
kann man endlich auch die Aufschriften rechnen
(Epigrammen im ältesten Sinne des Worts)
oder die kurzen Verse, welche die Bestimmung irgend
eines Gegenstandes angeben, und das Wesen desselben
erklären.

|#f0224 : 700|


Anmerk. 1. Hier erscheint die Poesie, als Nebenkunst,
welche andre Künste unterstützt. Auf die Tempel
der Alten, in ihre Haine, an Bildsäulen, Monumente wurden
Jnschriften gesetzt, welche gewöhnlich ganz beschreibend
waren. Die Aufschriften sind also ihrem Wesen
nach von dem eigentlichen Sinngedicht ganz unterschieden.
Die Aufschriften der Alten waren gemeiniglich kleine
Gemälde des Gegenstandes für die Phantasie, späterhin nahmen
sie freylich auch die Form des Sinngedichts an, das
mehr für den Verstand ist. Folgende Aufschrift aus den
sogenannten homerischen Epigrammen, die in der Anthologie
dem Cleobulus zugeschrieben wird, ist offenbar ein beschreibendes
Gedicht, weil es die Phantasie vorzüglich beschäftigt.
„Seht, ein Mädchen von Erz, bewach ich den Hügel des
Midas, Und so lange der Quell wird rinnen, grünen des
Waldes Wipfel, sich füllen der Fluß, laut rauschen das
wogige Weltmeer, glänzend steigen die Sonn und lieblich
leuchten der Vollmond, werd ich lehnen hier an der vielumweineten
Urne, Und dem Wandrer der Fremde verkünden
das Grab des Midas.“ ─ Hier ist zwar auch eine Erwartung
erregt und eine Auflösung gegeben. Der Verstand
hat aber weniger Jnteresse dabey, als die Einbildungskraft.
Das Ganze ist ein Bild, eine Beschreibung. Man setze
den Fall, auf einer Bildsäule, welche die Victoria mit gebundenen
Flügeln vorstellte, hätte man folgendes Epigramm
gesunden: ρωμη παμβασιλεια τεον κλεος ὁυποτ' ὀλειται
─ νικη γαρ σε φυγειν ἀπτερος ὀυ δυναται, so ist das
auch eine bloße Beschreibung für die Phantasie, welche den |#f0225 : 701|

Sinn der Bildsäule erläutert. Es ist aber zugleich auch ein
witziger Einfall, ein Verstandesspiel. Hier geht also das
Epigramm ins eigentliche Sinngedicht über, welches
wir als eine Unterhaltung des Verstandes zu den didaktischen
Dichtungsarten rechnen.


Anmerk. 2. Man kann noch viele sogenannte
lyrische Gedichte von dem Tadel der Unvollkommenheit
retten, wenn man sie zu den kleinern beschreibenden Gedichten
rechnet, welche die Liederform haben. Der Dichter
kann z. B. wie oft Mathisson eine Landschaft beschreiben,
wenn er nur als Dichter mahlt und nicht mit dem Mahler
im eigentlichsten Sinne des Worts wetteifern will, so wird
man das Gedicht mit Vergnügen lesen.

|#f0226 : E702|
[Abbildung]

Dritter Unterabschnitt.

Von der didaktischen Poesie. ──────


I.


Von der didaktischen Poesie überhaupt.


§. 1.


Die didaktische Poesie (im weitsten Sinne des
Worts) idealisirt Gegenstände, die den Verstand
und das Vermögen zu begreifen, besonders beschäftigen.
Sie stellt Allgemeinbegriffe in ihrer
Verbindung dar.


Anmerk. Weil Allgemeinbegriffe eine Menge
Fälle unter sich enthalten, worauf sie der Verstand anwenden
kann, so nennt man sie auch Lehren. Diese Lehren
sind entweder theoretisch oder praktisch. Die
praktischen, sagen uns, was in gewissen Fällen gethan
werden soll, und sind entweder kategorische oder
technische Jmperative. Die erstern sind allgemeine
moralische Vorschriften,
die letztern sind Regeln.

|#f0227 : 703|


§. 2.


Da die Allgemeinbegriffe und Lehren,
welche die didaktische Poesie darstellt, in einem idealen
Lichte erscheinen sollen, so müssen sie nach den oben aufgestellten
Grundsätzen 1) ohne Zwang des Verstandes,
nicht synthetisch, wie ein vollendetes System, sondern
analytisch, wie eine erst werdende Abstraction, in der
Seele des Dichters entstehn, 2) sie müssen anschaulich,
sinnlich, lebhaft, mit steter Rücksicht auf einzelne
Fälle und Gefühle vorgetragen werden, 3) sie müssen
eine begreifliche Totalität darstellen, 4) sie müssen ein
Gefühl von Harmonie des subjektiven und objektiven,
ein Gefühl der Wahrheit in uns erwecken.


Anmerk. Mehrere alte Kunstrichter haben den
Hesiodus und Theognis blos unter die Versificateure gesetzt.
Empedocles, der seine Grundsätze der Physik in Verse brachte,
wird von den meisten nur als Naturkundiger aufgeführt.
Plutarchus de audiendis poetis nennt den Empedocles
Verfasser eines Werks in Versen, keines Gedichts. Eben
so urtheilt er von Nicander, Parmenides und andern. Der
Kunstrichter mag hier eben so geirrt haben, wie der Dichter.
Er meynt, zum Begriff der Poesie sey eine fabelhafte Erfindung
unumgänglich nothwendig. Aber hierinnen fehlt
er. Alles was Jdeal ist, ist Gegenstand der Poesie.
Jedes System der Wahrheit ist in seinen höchsten Regionen |#f0228 : 704|

poetisch. Also muß es Lehrdichter geben. Der
Verstand, der die Totalität des Daseyns zu umfassen sucht,
muß sich ebenfalls zu idealisiren streben. Quinctilian scheint
den Lehrdichtern, besonders dem Lucretins auch nicht sehr
hold zu seyn. Allein daß die Hauptidee von Lucrez poetisch
sey, zeigt schon der Anfang, der Anruf an die Venus,
deren Zauberkraft das All der Dinge erhält, und die
hohe Begeisterung, mit welcher er von der Weisheit, von
der Erkenntniß der Weltursachen, u. s. w. spricht. Wenn
so ein großer Dichter, wie Lucrez, vom Empedocles sagt,
vt vix humana videatur stirpe creatus, wenn er ihn
sich zum Vorbild wählt, so kann auch Empedocles kein
bloßer Versificateur gewesen seyn. ─ Vom Aratus sagt
Quinctilian, seine Materie sey ohne Jnteresse (sine motu).
Cicero, der jenen Dichter übersetzte, lobt dessen Verse, (eum
ornatissimis atque optimis versibus scripsisse
.) ─
Ovid, der in seinen Gedichten fast vor allen Dichtern Verbeugungen
macht, hält das erhabene Gedicht des Lucretius
so unvergänglich, wie die Welt. Jndeß begeht freylich Lucretius
in einzelnen Stellen den Fehler, daß er seine Wahrheiten
mehr synthetisch und abstract, als analytisch vorträgt,
und zu wenig auf Anschaulichkeit und Styl Rücksicht nimmt.
─ Aus den im §. aufgestellten Grundsätzen erhellt auch,
daß Heyne sich nicht ganz richtig ausdrückt, wann er in seinem
Prooemium ad Georgica sagt: summa vis carminis
didactici in ornatu posita videtur
. Freylich rechnet
er hernach zum ornatus fast die ganze Behandlung des
Themas. Allein man könnte dieses den Worten nach doch |#f0229 : 705|

so verstehn, als ob das ganze poetische Wesen des didaktischen
Gedichts nur im Styl läge, und dieser Jrrthum
ist nicht viel besser, wie jener der alten Kritiker, welche
dasselbe in die Versification setzen. Ungeachtet der
Gegenstand des Lehrgedichts aus abstracten Wahrheiten
besteht, so ist er doch schon an sich eben so poetisch,
als wenn er eine Handlung, eine Empfindung wäre.
Denn diese abstracten Wahrheiten haben, zumal beym höhern
Lehrgedicht, den genauesten Zusammenhang mit der Bestimmung
des Menschen, mit allem, was ihm theuer und heilig
ist. Kein wahrhaft großer Philosoph hat ohne Gefühl geschrieben,
dies beweisen Plato, Spinoza und Leibnitz. Freylich
muß aber der Lehrdichter sein System von der poetischen
Seite darzustellen wissen. Diese Darstellung besteht nun
nicht in einem überflüssigen ornatus, sondern in der Art,
wie die Seele ihre abstracten Jdeen auffindet, an einander
reiht, mit ihren Empfindungen und Phantasieen in
Verbindungen bringt. Der Lehrdichter muß sich als ein
leidenschaftlicher oder zufälliger Erfinder zeigen, der das
System wie aus Nichts, vor unsern Augen entstehen läßt,
doch muß er es nicht aus Grundsätzen förmlich deduciren wollen.
Der Apfel des Newton, das Blatt, welches Leibnitz
findet, aus dem er das principium indiscernibilium
herleitet, gehört ganz eigentlich in das Lehrgedicht. ─
Hierdurch wird auch am meisten das andere Haupterforderniß,
daß alles, wie Heyne sagt, ad vivum repräsentirt
seyn muß, bewirkt. Denn die Erfinder gehn allemal vom
Anschaulichen aus.

|#f0230 : 706|


§. 3.


Das Jdeal des Verstandes, als einer ursprünglichen
Seelenkraft, ist ein durchaus begreifliches
Weltsystem. Er muß dahin streben die Vernunftidee
der Totalität zu realisiren. Die didaktische
Poesie wird also, um den Verstand zu interessiren,
in ihrer höchsten Richtung die allgemeinsten
Wahrheiten darzustellen suchen, welche den Weltlauf
im Ganzen erklären, oder wenigstens sich auf Erklärung
desselben beziehn. Sie wird sich das Absolute
als allumfassend und allbegreifend vorzustellen
suchen, wobey das Gefühl des höhern Schönen
entstehn muß. Nächstdem wird die didaktische
Poesie
auch andre Begriffe und Systeme
von Begriffen zu ihrem Gegenstande wählen, welche
den höchsten Begriffen nur analog sind, welche
eine engere Sphäre von Erfahrungen umfassen, und
auch dadurch wird ein Lehrgedicht den Verstand interessiren,
indem es sein Begriffsvermögen in Ansehung
minder wichtiger Objekte unter der Form der
Schönheit darstellt. Hier wird vorzüglich das Gefühl
des niedern Schönen entstehn. Es giebt also
eine höhere und eine niedere didactische Poesie.

|#f0231 : 707|

[Abbildung]


II.


Von der höhern didaktischen Poesie.


§. 1.


Das höhere Lehrgedicht stellt den Verstand
in Aufsuchung der allgemeinsten Prinzipien dar, durch
welche Welt und Daseyn überhaupt als ein Ganzes
begreiflich wird.


Anmerk. 1. Da die Philosophie sich besonders
mit Nachdenken über den letzten Grund und Zusammenhang
aller Dinge beschäftigt, so nennt man das höhere
Lehrgedicht zuweilen auch das philosophische. Allerdings
wird hier von den Dichtern gewöhnlich irgend ein metaphysisches
System dargestellt, z. B. von Lukrez, das
atomistische, von Pope (essai on Man) der Optimism.
─ Jndessen kann der Gesichtspunkt auch moralisch und
religiös seyn. Z. B. Louis Racine la Religion, ─
Voltaire la Religion naturelle
. Man muß also Philosophie
hier im weitsten Sinne des Worts nehmen.


Anmerk. 2. Nicht immer sucht die höhere didaktische
Poesie ein vollkommnes System über die Welt
darzustellen, wie z. B. Lukrez de rerum natura ─ oft |#f0232 : 708|

wählt sie zum Gegenstand nur einige Hauptgrundsätze,
über ein besondres Kapitel der Metaphysik, die aber
Licht auf das Ganze werfen, und sich also auf die Erklärung
des Ganzen beziehn. Z. B. Haller über den Ursprung
des Uebels. Voltaire le désastre de Lisbonne. Wenn
wir Uzens Ode Theodizee zu der darstellenden Dichtkunst
hinüberziehn, so gehört sie auch hierher. ─ Youngs Nachtgedanken
über Leben, Tod und Unsterblichkeit sind hier vorzüglich
anzuführen.


§. 2.


Der objektive Jnnhalt des höhern Lehrgedichts
ist nicht gerade eine Reihe allgemeiner
Grundsätze,
über das Weltall und seine Bestimmung,
deren Zusammenstellung nach einer logischen
Ordnung die Schule System nennt, sondern irgend
ein Hauptprinzip, das der Verstand auf analytischen
Wege auffindet, welches ihm einen allumfassenden
Blick auf die Erklärung des Ganzen eröffnet.
Je mehr auf dieses Hauptprincip das ganze
Lehrgedicht concentrirt ist, desto mehr Freyheit bekommt
die Jdeenreihe bey der strengsten Einheit. Der Lehrdichter
ist kein Compendienschreiber, sondern ein philosophischer
Geist in dem Augenblick, da er den Grundstein
zu einem System findet. Jn dieser Hinsicht
muß also der Plan des höhern Lehrgedichts ausgearbeitet |#f0233 : 709|

seyn. Es muß kein logisches Geripp
von Begriffen darstellen, sondern einen alles belebenden
Hauptgedanken, der das ganze Daseyn begreiflich gemacht.
Die Art, wie der Dichter diesen Hauptgedanken
findet, und ausbildet, (die analytische
Methode
) das Zusammenwirken aller Seelenkräfte,
des Empfindungs=, Begehrungsvermögens, u. s. w.
um den Verstand bey seinen Arbeiten zu unterstützen,
dies ist der eigentliche Jnhalt des Gedichts, und giebt
den Grund zur Disposition der Gedankenreihe.


Anmerk. Selbst Lukrez, ungeachtet er ein großes
lehrendes Werk schreiben wollte, hat sich wohl gehütet,
eine synthetische logische Disposition zu machen. Er
spricht zwar z. B. V. 65. me huc rationis detulit ordo.
Er hat auch einen gewissen Plan befolgt. Allein er verbirgt
diesen doch so viel er kann. Das erste Buch handelt von
den Atomen, das zweyte betrachtet sie nach ihren Affektionen
und Bewegungen. Jn dem dritten Buch erklärt er
daraus Seele und Lebenskraft, in dem vierten Buch erklärt
er die materiellen Jdeen. Jm fünften und sechsten Buch die
Wunder der Natur. Logisch müßte man das Werk also
ungefähr so abtheilen. Das erste und zweyte Buch handelt
von den Urkräften der Dinge. Die übrigen Bücher von
dem, was aus ihnen entsteht. Jm ersten Buch werden die
Urkräfte an sich, im andern nach ihren besondern Eigenschaften
und Lagen betrachtet. Jm dritten und vierten Buch |#f0234 : 710|

werden die sogenannten geistigen, im fünften und sechsten
Buch die sogenannten körperlichen Naturerscheinungen erklärt.
Das dritte Buch betrachtet die Seele selbst, das vierte Buch
die Erscheinungen und Wirkungen der Seele. Das fünfte
Buch betrachtet die körperliche beharrliche Natur. Das
sechste Buch die Naturerscheinungen. ─ Wahrscheinlich
hat er, oder Empedocles ein philosophisches Werk bey diesen
Poesien zum Grunde gelegt. Wenn auch gleich Lukrez
also ziemlich logisch ist, wenn er auch oft seinen allgemeinen
Jdeengang wiederholt, so beginnt er doch jedes Buch mit
einer freyen lyrischen Digression, mit einem Lobe der Weisheit,
des Epikur u. s. w. Er macht nie logische Eintheilungen,
wenn er sie auch befolgt. Nur hierinn sucht er die
Einheit seines Werks, daß er Ein Hauptprinzip
durchführt, welches er auch gleich anfangs als das Licht
des Ganzen aufstellt. Principium hinc cuius nobis exordia
sumet, ex nihilo nihilum in nihilum nil posse
reverti
. Er ist immer von der ganzen Jdee des epikurischen
Systems durchdrungen, bringt dieses Licht in den
Schauplatz der Natur, und eröffnet uns von derselben dadurch
eben so lebendige als begreifliche Ansichten. So
oft er kann, giebt er mittelst seiner Hauptidee keine logische,
sondern eine poetische und eigentlich philosophische
Uebersicht des Ganzen. Eben so herrscht Eine Hauptempfindung
in dem lukrezischen Gedicht, das hohe Gefühl von
der Würde der Weisheit, die sich über den menschlichen
Wahn erhebt, und in die innere Werkstatt der Natur dringt.
Jndessen ist der Plan des Werks doch vielleicht zu abstract |#f0235 : 711|

gefaßt. Ueberhaupt scheint es besser, wenn der höhere Lehrdichter
die Wahrheit nicht als ein weitumfassendes System
darzustellen unternimmt, wenn er sich auf irgend einen einzelnen
metaphysischen Standpunkt stellt, wie z. B. die Frage vom
Uebel, vom Selbstmord, von der Bestimmung des Menschen,
wie Pope, und von da aus den Blick ins unermeßliche Ganze
hinaus erweitert. Es ist eben so, wie beym Heldengedichte.
Der Heldendichter thut gut, seine Handlung
auf eine einzige That zu concentriren, der Lehrdichter
thut gut, sein System in der Anwendung auf irgend einem
Hauptfall zu zeigen. Die Uebergänge des Lehrgedichts müssen
ohne Zwang des Verstandes nicht wissenschaftlich seyn,
mehr durch willkührliche Jdeen= Assoziation der Phantasie
und der Empfindung bewirkt. Haller fängt sein Lehrgedicht
über das Uebel mit Beschreibung einer Landschaft an,
in welcher die wohlthätige Fülle der Natur überall ausgebreitet
ist, und fährt dann fort: „Und dieses ist die Welt,
worüber Weise klagen.“ ─ Diese Jdeenassoziation ist ächt
poetisch, weil sie so willkührlich erscheint. Eben so folgen
Pope und Young mit vollkommner Freyheit ihrer Laune,
indem sie die philosophischen Gedanken an einander reihen,
wiewohl ersterer gleich Anfangs den Jnhalt seines Gedichts
bestimmt angiebt. Was die Digressionen in dem höhern
Lehrgedichte betrifft, so müssen sie freylich nicht als
unnütze Zierrathen da seyn. Der Gegenstand ist zu ernst,
zu erhaben, um dem Dichter Muße zu vielen Ausschweifungen
zu erlauben. Sie müssen gerade dazu da seyn, das
Hauptprinzip unvermerkt in ein helleres Licht zu setzen. |#f0236 : 712|

Etwas anders ist bey dem Lehrgedichte der niedern Gattung,
bey den szientifischen, artistischen Gedicht. Hier
sind die Digressionen selbst als Schmuck des Ganzen wegen
der mindern Wichtigkeit des Stoffs an ihrer Stelle, und
Home geht zu weit, wenn er den Virgil deswegen tadelt.


§. 3.


Der ästhetische Hauptinhalt des höhern
Lehrgedichts
ist die Empfindung des Großen,
welche nach der vom Dichter genommenen Ansicht entweder
mehr ins Glänzende, oder ins Schaurige
fallen oder ans Starke gränzen kann. Alle übrige
Empfindungen des höhern und niedern Schönen müssen
sich nach jener herrschenden Tonart modifiziren.


Anmerk. Die Abstractionen des Verstandes setzen
eine gewisse Ruhe voraus, welche besonders mit der
ästhetischen Empfindung des Großen und Starken
verbunden ist. Bey Lukrez ist die Hauptempfindung eine
gewisse lichte glänzende Größe. Jn Young herrscht eine
melancholische schauerliche Dunkelheit. Pope hat viel Glanz,
aber weniger Stärke und Hoheit der Empfindung als Lukrez.
Sogar ein Grad des Lächerlichen und Scherzhaften,
insofern es mit der großen Empfindung eines Weisen
verträglich ist, wird von den höhern Lehrdichtern in das
System ihrer Empfindungen aufgenommen. Pope sagt
gleich anfangs zu seinem Freund, laß uns, wo sichs gebühret |#f0237 : 713|

, lachen. Er hat oft einen sarkastischen Ton. Lucret.
L. IV
. 1150. hat ebenfalls eine scherzhafte Stelle, und
fällt bey seiner Schilderung der sinnlichen Liebe, etwas
ins gemeine und ins ekelhafte. Seine materialistische
Ansicht und der Römische Sinn wirken hier freylich zusammen.



§. 4.


Der Styl des höhern Lehrgedichts muß mit lyrischer
Hoheit eine lichte deutliche Darstellung verbinden,
darf weder zu abstrakt, noch wegen der
großen herrschenden Hauptidee im Einzelnen zu figurirt
und bilderreich seyn. Das Metrum muß der Sprache
eine gewisse Ausdehnung gönnen, und Würde haben,
weswegen die Lehrdichter das heroische, die
Jamben und längere gereimte Verse zu wählen pflegen.


Anmerk. 1. Jn Ansehung des Styls ist vielleicht
keiner von den höhern Lehrdichtern ideal zu nennen.
Lucrez hat an vielen, besonders gefühlvollen und mahlerischen
Stellen einen ächt poetischen hohen reinen Styl. Er
ist allerdings unter allen Lehrdichtern hierinnen der Erste.
Aber er hat auch ganz abstrakte Stellen, wo er völlig im
Ton der gelehrten Schulen spricht. Gegen eine ächt poetische
Stelle, wie L. I. vs. 250. ſqq. findet man vielleicht
zehn, wie L. I. 420. ſq. Popes Styl ist, wie immer
zu bunt, oft gemeiner und sarkastischer, als einem ruhigen |#f0238 : 714|

Weisen geziemt. Young ermüdet durch die großen ausgeführten
Figuren, so wie die Urania ein neues sehr ausgezeichnetes
deutsches Lehrgedicht, durch die kleinern ausgeführten
Miniaturgemälde. Göthe hat unter seinen kleinen
lyrischen Gedichten einige kurze Lehrgedichte, die mehr
zu den gnomischen Gedichten (s. weiter unten) gehören. Wie
sein Styl überhaupt Muster des poetischen Styls ist, so
könnte auch der Ausdruck in jenen Gedichten den höhern
Lehrdichtern zum Muster dienen.


Anmerk. 2. Das höhere Lehrgedicht nimmt
mehrere zufällige Formen an. Am meisten Würde hat
es freylich, wenn es, wie im Lukrez, als ein großes Werk
erscheint, das der Dichter vollenden will. Lucrez widmet
das Werk seinem Freunde Memmius Gemellus, mit dem er
ehemals in Athen gewesen war. Allein deswegen kann man
hier noch keine Epistolarform annehmen. Der feyerliche Anruf
an die Venus, der hier noch besser paßt, als beym Ennius,
ist im epischen Ton und läßt ein Werk von langem
Athem erwarten. Eben so geben die noctes serenae vs.
133. die der Dichter durchwachen will, dem ganzen einen
höhern lyrischen Ton. ─ Youngs schlaflose Nächte geben
auch seinem Gedichte eine lyrische Form. Pope hat die Briefform
und dies stimmt auch den Ton des Gedichts etwas herab.
Haller hat auch eine lyrische, und zuweilen erzählende
Form. Auch das poetische Gespräch könnte hier
angewendet werden, nur müßte die Scene, wo die Sprechenden
aufträten, gut, und des Gegenstandes würdig decorirt |#f0239 : 715|

seyn. Das Buch Hiob ist ein Lehrgedicht, in Form einer
Erzählung ─ s. oben von der göttlichen Poesie.


[Abbildung]


III.


Von der niedern didaktischen Poesie.


§. 1.


A) Das didaktische Gedicht zweyter Ordnung,
stellt ein System von Regeln oder Allgemeinbegriffen
dar, welche eine besondere Kunst oder einzelne
Wissenschaft betreffen, und zeigt die Wirkungen des
menschlichen Verstandes unter der Form des niedern
Schönen.


Anmerk. Man hat es zuweilen das scientifische
oder artistische Lehrgedicht genannt, im Gegensatz
des philosophischen, weil gewöhnlich die Regeln einer
besondern Kunst oder Wissenschaft hier dargestellt werden.
Allein auch dieser Ausdruck ist ein wenig eng, wie jener
des philosophischen Gedichts. Wenigstens müßte
man unter dem Ausdruck scientifisch selbst die Philosophie
verstehn, insofern sie nicht als kosmischer
Begriff, sondern mehr als Wissenschaft im Schulsinne
genommen wird. So gehören alle Lehrgedichte, welche
philosophische Wahrheiten scientifisch behandeln,
welche dabey keine Richtung zur Erforschung der höhern |#f0240 : 716|

menschlichen Bestimmung nehmen, sondern sich nur auf
die Kunst zu leben beziehen, zum didaktischen Gedichte
zweyter Ordnung, nicht zum höhern Lehrgedicht.
Gleichwohl sind sie ihrem Jnhalte nach philosophisch.
Man sieht also, daß man das höhere Lehrgedicht nicht philosophisch
nennen kann, wie Eschenburg thut, und daß
man das niedere didaktische Gedicht nur insofern scientifisch
nennen kann, in wie fern man die Philosophie mit
zu den Wissenschaften zählt. So ist z. B. Wielands
Musarion eins der vorzüglichsten Lehrgedichte in erzählender
und Gesprächsform. Der Gegenstand ist die Philosophie,
und es wird der gefährliche Einfluß der philosophischen
Schwärmerey auf das Leben in Kontrast mit der wahren
Kunst das Leben zu genießen gestellt. Allein eben diesem
Jnhalte zufolge, so wie auch dem durchaus scherzhaften
Tone nach ist das Gedicht ein Lehrgedicht zweyter
Ordnung. Es wird hier blos eine heitre Lebensphilosophie,
eine Kunst zu leben vorgetragen, wie sie der Mensch als
Jndividuum auf dem Standpunkte eines epikurischen Skepticismus
zeigen kann. Von Erforschung der höhern Bestimmung
des Menschen und der Welt ist hier nicht die Rede.
Die Platonischen und Pythagorischen Systeme erscheinen hier
nicht als wahre Jdeen dargestellt, die wärmen und die Seele
füllen, sondern als Begriffe zum Spiel des Verstandes.
Sie können also keine Empfindung des höhern Schönen erwecken,
sie sollen es auch nicht dem Plane des Dichters
nach. Lukrez hat vielleicht noch weniger gläubige Resultate
aus seinem Materialismus gezogen, als die epikurische |#f0241 : 717|

Philosophie des Lebens, wie sie Wieland dargestellt haben mag.
Gleichwohl zeigt die Art, wie Lukrez vom Tode und von den
wenigen Bedürfnissen und der Hoheit des Weisen spricht,
daß er uns mit Jdeen füllen, unser Gefühl zu einer höhern
Ansicht der Dinge erheben könne. Wieland hingegen
giebt bey allem Glanz und bey aller Gewandheit im Ausdruck
eben so wenig, wie Ovid, wenn er von erhabenen
Dingen spricht, die Empfindung des Erhabenen. Da er
mehr eine Lucianische Stimmung in uns zu erhalten sucht,
mehr französische Leichtigkeit als brittischen Tiefsinn in seiner
philosophischen Gedankenreihe zeigt, so gehört er zu den sogenannten
scientifischen, nicht zu den eigentlich höhern
Lehrdichtern, eben so, wie er als erzählender Dichter,
kein Heldendichter, sondern ein romantischer Dichter ist. ─
Der objektive Jnhalt des didaktischen Gedichts
zweyter Ordnung ist also jede Kunst oder Wissenschaft. Hier
kann man sagen, nil intentatum nostri liquere poetae;
und es ist ein großer Triumph der Poesie, daß nichts in der
weiten Welt für ihren Zauberschmuck unempfänglich, für sie
zu unpoetisch ist. Athenäus führt den Archestratus an, den
er den Hesiodus der Leckermäuler nennt. Er hat ein Gedicht
de regulis bonae coenae geschrieben γαστρονομια.
Es fing an; λεξω ὀπον καλλιϛον ἁπαν βρωτῶν τε ποτου
τε. Der Sänger dieser didactischen Parodie (denn eigentlich
ist dies eine Parodie auf das didactische Gedicht, wie
Vidas Schachspiel) ist, wie man sagt, selbst sehr mager gewesen.
Macer hat dem Ovid über die Vögel, Schlangen,
Pflanzen ein Gedicht vorgelesen, welches verlohren gegangen |#f0242 : 718|

ist. Bekannt ist auch unter den Neuern die Syphilis
siue morbus gallicus
des Fracastorius, ein sehr dichterisches
Product, über eine äußerst delicate Materie. De Thou
erzählt, als dieses erschienen, habe Sannazarius ausgerufen,
er sey überwunden, ungeachtet er zwanzig Jahr an
seinem Gedicht de partu virginis gearbeitet hatte. Scaliger
setzt den Fracastor dem Virgil an die Seite und das will bey
ihm viel sagen. Scevola Samarthanus über die Säugung
der Kinder. Rapin hat ein Gedicht de hortis geschrieben.
─ Es giebt ein praedium rusticum in 14 Büchern, doch
ist dieß freylich viel zu weitschweifig. Die Troubadours
brachten die Grundsätze der Rittergalanterie in Verse. Dufresnoy
und Watelet haben die Kunst zu mahlen poetisch abgehandelt.
Ovid gar die Kunst sich selbst zu mahlen, de
medicamine faciei
. Lafontaine hat ein Gedicht von der
Chinarinde (Quinquina) in freyen Sylbenmaaßen. ─
Kurz es ist fast kein Hauptgegenstand aus dem Felde der
Kunst und Wissenschaft, der nicht von einem Lehrdichter irgend
einer Nazion zum Stoff eines didactischen Gedichts gewählt
worden wäre. Die Litteratur hat in keiner Gattung
mehr Nahmen aufzuweisen. ─ Jndessen gehn die meisten
von dem falschen Grundsatze des Manilius aus: ornari res
ipsa negat, contenta doceri
. Sie machen die wissenschaftliche
Darstellung zum Hauptzweck, wollen recht gründlich
seyn, nehmen sich einen zu weitläuftigen Stoff und verliehren
darüber das eigentliche Ziel zu gefallen aus den Augen.
Virgil sagt mit vollkommnem Rechte, non ego cuncta
meis amplecti versibus opto
. Es ist weniger der Gegenstand |#f0243 : 719|

, der auseinandergesetzt werden soll, als die Operation
des Verstandes selbst, der auf eine poetische, geistreiche
Art, über denselben nachdenkt. Der Verstand soll
beym didaktischen Gedicht nur insofern interessirt werden,
daß er sich selbst unter der Form der Schönheit erscheine,
daß seine Abstractionsfähigkeit in Zusammenhang mit der
Phantasie und dem Empfindungsvermögen gezeigt werde.
Bey der höhern didaktischen Poesie ist der Zusammenhang
klar, das Streben des philosophirenden Verstandes wegen
der Wichtigkeit der Untersuchungen und ihres Einflusses auf
die ganze Seele, an sich schon ästhetisch. Bey der
niedern didaktischen Poesie ist der Zusammenhang der
abstrakten Wahrheiten mit der Phantasie nicht so
unmittelbar. Es giebt viele Wissenschaften, die eigentlich
mehr Grillenspiele sind, die den Verstand beschäftigen, ohne
den Menschen zu begeistern. Die eigentlich scientifischen
abstrakten Begriffe werden also bey der niedern didaktischen
Poesie am wenigsten ihr Glück machen. Die besten
größern Lehrgedichte der zweyten Ordnung bey den Alten
sind gar nicht wissenschaftlich, sondern enthalten blos Erfahrungen
über Gegenstände der Natur und Kunst, die ästhetisch
sind. ─ Hesiodus εργα και ἡμεραι, besonders die
εργα enthalten so viel philosophische Mythen und moralische
Lehren über die Bestimmung des Menschen, daß man sie
füglich zu den höhern Lehrgedichten zählen kann. Zum
Theil hat aber auch das Werk gnomische Poesie, Sentenzen
ohne Zusammenhang. Zum Theil ist es beschreibende
Jdylle. Virgils Landbau hat beynah zu wenig, |#f0244 : 720|

was den Verstand interessirt, um didaktisches Gedicht
im strengern Sinne zu seyn. Es schwankt sehr in die
Gattung des beschreibenden Gedichts, der Jdylle hinüber.
Eben dies läßt sich von den halienticis, cynegeticis,
von den hortis (z. B. Columella L. X.) und Landgedichten
(bey den Neuern Rapin, Vaniere, de Lisle) sagen.
Erst beym Horaz de arte poetica zeigt sich ein idealisirter
Verstand, der über die Grenzen und Regeln seiner
Kunst wissenschaftlich nachdenkt. Jhm sind Boileau, Pope,
Vida gefolgt. Auch die Araber haben Poetiken in Versen,
und es ist allerdings eine wunderbare Erscheinung, daß der
dichterische Geist in einer freyen poetischen Gedankenreihe,
eben dieser Gedankenreihe Gesetze giebt. Vielleicht ist der
Preis für ein Gedicht de arte poetica, wo sich die menschliche
Seele zugleich als Phänomen und als Jntelligenz zeigen,
wo das Genie in seiner eigentlichen nüchternen Kraft
erscheinen, d. h. sich selbst die Schranken setzen soll, noch
einem künftigen Dichter aufbehalten. Denn Horaz war
nicht Selbstdenker genug, hielt sich ganz an Nebensachen
des Styls, und blieb bey dem von den Griechen eingeführten
Gewohnheitsrechten. Boileau ist wieder Nachahmer
eines Nachahmers, und Vida hat den traurigen psychologischen
Gedanken, einen Dichter erziehn, d. h. ein Wesen
nach Grundsätzen der Freyheit unglücklich machen zu
wollen. Schon daraus, daß die Gedichte über das Wesen
der Poesie, die wir haben, sämmtlich Lehrgedichte der zweyten
Ordnung sind, erhellt, daß der Hauptgedanke noch
nicht getroffen ist. Ein Gedicht über die Poesie muß ein |#f0245 : 721|

höheres Lehrgedicht werden, da die Poesie, und wenn man
sie auch als eine Verirrung des Geistes ansähe, doch auf die
Bestimmung des ganzen Daseyns eine unmittelbare Beziehung
hat. Schillers Künstler geben in dieser Art das
beste Muster. ─ Uebrigens sind artistische Gegenstände,
sogar die Kriegskunst (Friedrich des Zweyten l'art de
la guerre
) Gegenstände der schönen Kunst, oder psychologische
Untersuchungen über die damit verwandten Seelenkräfte
(Akenside's Pleasures of imagination) der beste
Stoff zu einem didaktischen Gedicht zweyter Ordnung.
Hierauf folgen Gegenstände der Natur, die an sich ästhetisch
sind. Daher haben so viele Lehrdichter die Sternkunde,
die Botanik (Savastani, Botanicorum, de la Croix
connubia florum
, welche letztere Jdee poetischer, und
von mehrern Dichtern gebraucht ist, z. B. Darwin the
loves of the plants, the oeconomy of Vegetation
) die
Chemie u. s. w. poetisch dargestellt. ─ Allein hier ist auch
vielleicht die Gränze. Denn die mechanischen Wissenschaften
sind zu trocken. Man hat z. B. über den Schwerpunkt
ein Gedicht Philocentria. Der Gegenstand kann mit poetischen
Jdeen von Anziehung und Liebe in Zusammenhang
gebracht werden. Aber ein langes didaktisches Gedicht wird
er nicht füllen, ohne Langeweile zu machen. Am wenigsten
scheint die eigentliche Medizin Stoff zum Lehrgedicht zu geben,
weil die Jdee der Krankheit für die Einbildungskraft
etwas niederdrückendes Widerliches hat. Gleichwohl hat
man über die Anatomie, über Krankheit, Digestion, Chilisication
u. s. w. Gedichte. Die Anatomie des Auges, des |#f0246 : 722|

Ohres, der Todtenkopf, kann die Poesie zu manchen schönen
und zugleich schauerlichen Gedanken veranlassen. Allein
etwas anders ist die Veranlassung, etwas anders der Gegenstand
als Lehre. Uebersicht aller Wissenschaften ─
(z. B. Dusch die Wissenschaften in neun Büchern) ─ und
eigentliche formale Vernunftlehre sind für die Poesie zu abstract.
Moralische Gegenstände können Stoff des höhern
Lehrgedichts werden, aber für das scientifische
niedere Lehrgedicht passen sie seltener, weil an sich schon
Moral zur kalten Wissenschaft ausgedehnt, für den gefühlvollen
Menschen etwas Widerliches hat. Die einzelnen
moralischen Lehren werden öfter und glücklicher von der gnomischen
Poesie als von der scientifischen dargestellt
─ und von den gnomischen Dichtern sprechen wir weiter
unten. ─ Endlich giebt es auch scherzhafte Künste des
Lebens, die Gegenstände für das scherzhafte Lehrgedicht
sind. So kann man Ovid über die Kunst zu lieben,
Vidas Gedicht über das Schachspiel didaktische Parodien
nennen. Diese geben dem Genie am meisten
Spielraum. Die Regeln, die hier dargestellt werden, sind
meist epigrammatisch (davon weiter unten) und interessiren
mehr den spielenden, witzigen, als den forschenden Verstand.
─ ─ So viel vom objektiven Jnhalt des
niedern Lehrgedichts. Von dem Plane gilt dasselbe,
was schon beym höhern Lehrgedicht erwähnt worden. Die
Empfindungen müssen die Jdeenreihe verknüpfen, nicht die
Schlüsse, und doch muß das Ganze System seyn. Digressionen |#f0247 : 723|

sind hier mehr erlaubt, als beym höhern Lehrgedicht,
weil der Verstand mehr Muße hat.


Anmerk. 2. Der ästhetische Jnhalt des niedern
Lehrgedichts, oder die herrschende Empfindung in demselben
muß vorzüglich die Grazie seyn, und kann an den
feinern Scherz gränzen. Der denkende Verstand muß sich
mit Leichtigkeit bewegen. Horaz in seiner arte poetica,
die noch dazu in Epistelform geschrieben ist, kommt zuweilen
auf das vorige Thema zurück. Die künstliche Unordnung
im Plan muß nicht als Schwäche des Verstandes,
sondern als Leben der Einbildungskraft erscheinen.


Anmerk. 3. Der Styl ist beym niedern
Lehrgedicht besonders zu berücksichtigen. Er muß das molle
und facetum haben, was Horaz am Virgil bewundert.
Denn freylich ist die poetische Einkleidung bey dem minder
wichtigen Stoff eine Hauptsache. Einige Dunkelheiten abgerechnet
können die Künstler von Schiller hier zum Muster
dienen. Doch nähert sich dieses vortreffliche Gedicht
dem höhern Lehrgedicht, wie wir dies von einem Gedicht
de arte poetica verlangten. Das Metrum ist wie
beym höhern Lehrgedicht. Der zufälligen Formen
für das niedere didaktische Gedicht giebts unzählige.
Die Epistel ist wegen ihres vertraulichen Welttons
eine vorzüglich gute Form, weil sie den Dichter verhindert
pedantisch zu werden, und sich den Lehrton zu
geben. Jndeß paßt sie doch nicht für alles. Die
Georgica als ein ländliches Gedicht haben eine mehr |#f0248 : 724|

lyrische ideale Form. Es würde da die Epistel weniger gepaßt
haben. Man denkt sich eher einen Sänger auf dem
Lande, als einen Gelehrten mit Schreibmaterialien. Das
Genie, das zwischen mehrern Formen zu wählen hat,
fühlt das passende und unpassende von selbst. ─ Erzählung,
Gespräch,
vielleicht auch Drama kann ebenfalls
die Form des niedern Lehrgedichts werden. Daß Musarion
eines der schönsten Lehrgedichte in erzählender Form
sey, bemerkten wir schon oben. Allein Nathan den
Weisen kann man doch eigentlich kein didactisches
Gedicht nennen. Seine Tendenz mag didactisch seyn. Das
Drama ist hier mehr, wie Form. Das Jnteresse ist die
Handlung, der nach des Le Bossu Verlangen eine Maxime
zu Grund liegt.


§. 2.


B) Das gnomische Gedicht ist eine Reihe kurzer
philosophischer besonders praktischer Lehren ohne genauere
Verbindung in Denkversen.


Anmerk. Bey vielen Nazionen haben die ältern
Weltweisen, welche Schulen stifteten, ihre Meynungen in
kurzen Sprüchen hinterlassen, und dieselben in Verse gebracht,
theils weil die Verse dem Gedächtniß zu Hülfe kamen,
theils, weil sie wirklich die Verbindung der Philosophie
mit der Poesie in ihren höhern Regionen ahnten. Auch
Consucius hat seine Moral auf kurze Maximen gebracht.
Von Pythagoras oder einem seiner Schüler sind die aurea |#f0249 : 725|

carmina bekannt. Hierauf folgten eine Menge Gnomici,
Solon, Theognis, der sogenannte Phocylides und andre ─
ηθικη ποιησις ─ Bey den Lateinern hat man ebenfalls
Sententias von Syrus und Dionys. Catonis disticha.
Bey den Hebräern sind die Sprüchwörter Salomonis damit
zu vergleichen. Verschiedene didaktische moralische Gedichte
der neuern von Gellert, Hagedorn, auch viele geistliche
Lieder, die man nicht als Hymnen ansehn kann, sind unter
die Gattung des gnomischen Gedichts zu rechnen.


Anmerk. 2. Der objektive Jnhalt des gnomischen
Gedichts besteht also aus Lehren der Weisheit,
welche ohne nähere Verbindung, wie Orakelsprüche vorgetragen
werden. Dergleichen besonders praktische Lehren
sind durch das Hauptprincip alle mit einander verwandt.
Unter sich aber haben sie gewöhnlich keine Verbindung. Dies
benutzen die gnomischen Dichter. Jndem sie die Maximen
so fragmentarisch vortragen, bekommt das Ganze einen
heiligen, feyerlichen Anstrich, etwas räthselhaftes,
─ mit einem Worte aus dem Lehrton wird ein Orakelton.
Daher darf man auch weiter keinen logischen Plan im gnomischen
Gedicht suchen. Theognis hat zu Anfang einen
Anruf an den Apoll und die Diana, ─ oft wendet er sich
an den Cyrnus, welchen er belehren will. Uebrigens findet
man unter den Lebensregeln selbst wenig Zusammenhang.
Doch kann auch ein besonderes Kapitel der Moral abgehandelt
werden, z. B. Gellert, die Freundschaft, der Ruhm,
der Menschenfreund u. s. w. auf welches sich die Maximen |#f0250 : 726|

beziehn. Jn eine ganz verkettete Gedankenreihe darf aber
die gnomische Poesie nicht übergehn, wenn sie ihr Wesen behalten
will. Denn sie steht zwischen dem eigentlichen Lehrgedicht
und dem Epigramm in der Mitte. Als moralisches
Epigramm muß jede Sentenz ein kleines gediegenes für sich
bestehendes Ganzes bilden. Der ästhetische Jnhalt,
oder die herrschende Empfindung ist bey längern Sammlungen
dieser Sprüche das Edle. Es muß eine hohe, und
zugleich schöne Stimmung durch diese Lehren in der Seele
erweckt werden. Jn diesem Charakter sinden sich einige
herrliche gnomische Gedichte bey Göthe. ─ Die Sprüchwörter
Salomonis erwecken im Ganzen genommen die
Stimmung des Großen und Starken. Der Styl der
gnomischen Poesie verlangt epigrammatische Präcision und
Gediegenheit. Auch ist er keineswegs durch seinen Gegenstand
von der Verbindlichkeit frey, die Phantasie zu unterhalten.
Theognis ist allerdings zu trocken. Isocrates ad
Nicoclem
klagt darüber, daß die Griechische Jugend den
Theognis nicht liebe. Doch kann man es der griechischen
Jugend nicht verdenken. Theognis kann nicht mit der Natur
der Gnomen entschuldigt werden, wie Harles in seiner
historia linguae graecae will. Denn Simonides hat
auch im Fache der gnomischen Poesie gearbeitet, und seine
Sprache ist immer poetisch, bey aller Simplieität, lebhaft,
anschaulich. Aber seine Gedanken haben auch eine gewisse
Hoheit, welche dem Theognis abgeht. Zum Metrum
haben die gnomischen Dichter gewöhnlich elegische Distichen,
weil sie einen Perioden leicht einschließen und ein |#f0251 : 727|

Ganzes ausmachen. Die Distichen des Dionys. Cato indeß
sind blos Hexameter. Die neuern gnomischen Dichter haben
auch die Liederform. Bey den Alten Deutschen waren schon
die Sprüchwörter gereimt.


§. 3.


C. Das Sinngedicht, oder das Epigramm
im Engern Sinne ist ein kurzes künstliches Begriffespiel,
besonders witzigen, oft auch satyrischen Jnhalts,
das wegen seiner unerwarteten glücklichen Wendung
den Verstand vorzüglich interessirt, in poetischer
Einkleidung.


Anmerk. Man hat seit Lessings Untersuchungen in
diesem Fach das Wesen des Epigramms fast ganz aus seinem
Ursprung herleiten und nach der Natur der Aufschriften
beurtheilen wollen. Allein man bedachte nicht, daß
es eine doppelte Art Epigrammen gebe, welche blos zufällig
zu Einer Gattung zusammengeschmolzen worden sind, erstlich
die blos beschreibenden, einfachen Aufschriften,
welche die Phantasie interessiren, und zweytens, die
sinnreichen Gedanken, die wegen ihrer Künstlichkeit als
Gedankenspiele den Verstand unterhalten. Da die erste
Art für die Phantasie, die zweyte für den Verstand ist, so
beziehen sie sich auf verschiedene Seelenkräfte, müssen also
von der Theorie ihrem Wesen nach getrennt werden. Freylich
klingt es sonderbar, wenn das Epigramm als didaktisches |#f0252 : 728|

Gedicht aufgeführt wird. Allein schon der deutsche
Ausdruck Sinngedicht zeigt an, daß es einen besonders
künstlichen Sinn enthalten müsse. Alles was den Verstand
übt und interessirt, ist didaktisch. Jnsofern gehört das
Epigramm zu den Verstandesübungen und Lehrgedichten.
Der Witz ist das im Scherz, was der Verstand im
Ernst ist, eine künstliche unerwartete Verbindung von Jdeen,
ein Spiel mit Begriffen. Der objektive Jnhalt des
eigentlichen Epigramms ist gewöhnlich witzig, die
unerwartete Richtung eines Gedankens, und weil die Aufschriften
in Kurzem sehr viel sagen müssen, so verlangen
sie auch oft eine rasche künstliche Wendung. Daher
kommt es, daß das ursprüngliche blos beschreibende
Epigramm als Aufschrift nach und nach Gelegenheit gegeben
hat, das eigentliche Sinngedicht, als eine Gattung
von Verstandesspielen zu erfinden. Man sagt gewöhnlich,
das Sinngedicht müsse aus zwey Theilen bestehn, einer
erregten Erwartung und einem unerwarteten Aufschluß.
Damit ist im Grunde nichts anders gesagt, als
daß es einen sinnreichen gemeiniglich witzigen Einfall
enthalten müsse. (Un bon mot de deux rimes ornées.
Boileau
) Denn der Witz hat allemal als Problem verborgene
scherzhafte Aehnlichkeit zu entdecken, Jdeen von einer
eignen neuen Seite zu verbinden. Dieses Problem erregt
Erwartung, und der Aufschluß ist eben, weil er
witzig und neu ist, auch unerwartet. Oft besteht
das Wesen des Epigramms auch in einer getäuschten Erwartung,
die denn den ganzen Gedanken mehr lächerlich, |#f0253 : 729|

als witzig macht. Z. B. ─ Es ist doch wunderbar bestellt,
sprach Veit zu Junker Fritzen, daß stets die Reichen
in der Welt, ─ das meiste Geld besitzen. Oft ists eine
Ungereimtheit ein Widerspruch, der doch einen Anschein von
Richtigkeit hat. Z. B. Wenn dieser Rothkopf ehrlich ist,
so ist er sicher ein Betrüger. Zuweilen auch ein Wortspiel,
wiewohl Boileau das nicht haben will. Oft scheints nur
ein Wortspiel. So läßt sich das Marzialische Epigramm
II. 3. allerdings übersetzen: Du bist nichts schuldig,
Marzian, Nur der ist schuldig, der bezahlen kann. ─
Wenn auch das Epigramm zuweilen eine rührende Empfindung
enthält, so muß doch der Gedanke künstlich gestellt
seyn. Z. B. Gleims Turteltaube ─ oder das Sinngedicht
von Besser: Dies ist die Doris, die Geliebte, die ihren
Canitz eher nicht, als nur durch ihren Tod betrübte. ─
Einige Kunstrichter nennen Katulls Gedicht auf den Tod
des Sperlings ein Epigramm. Allein so niedlich es ist,
so ist es doch mehr ein naives Gemälde, als witzig. Wollte
man auch die Länge nicht in Betracht ziehn. (Wernike
hat wahre Epigramme mit immer steigender Erwartung
und schneller Auflösung, die dennoch lang sind). ─ Doch
die Stellung des Gedankens ist keinesweges künstlich, und
letzteres ist zu einem Epigramm unumgänglich nothwendig.
Das Wort witzig ist freylich um den Jnhalt des Epigramms
zu bezeichnen ein wenig eng, weil der Witz Scherz
voraussetzt. Der Witz ist auch nur eine Modification des
niedern Schönen, nahmentlich des scherzhaften. Das
Epigramm soll aber einen objektiven Jnhalt haben, |#f0254 : 730|

da es ein darstellendes Gedicht ist. Wir haben daher lieber
gesagt, es enthalte ein künstliches Gedankenspiel.
Dies muß bey allen auch ernsthaften Epigrammen seyn.
Z. B. Leser, steh, erbarm dich dieses Falles, Außer Gott,
war in der Welt, was hier liegt, mir Alles. ─ Die
Aufschrift auf dem Tempel der Jsis, die Grabschrift der
Lacedämonier bey Thermopylä so einfach erhaben sie sind,
so ist doch die Wendung künstlich, rasch und unvermuthet.
Der Verstand findet seine Operationen mit
Begriffen unter der Form der Schönheit dargestellt. Der
Plan des Epigramms muß also künstlich seyn. Der Verstand
soll interessirt werden durch ein Gedankenspiel. Hierzu
gehört eine gespannte Erwartung, die immer steigt, wie
sich gewisse Begriffe verbinden lassen, wie sich irgend ein
Problem lösen werde, und dann eine schnelle plötzliche
wenigstens scheinbar befriedigende Auflösung. Daher muß
das Epigramm kurz seyn. Daher sagt ein Kunstrichter
selbst in einem sehr glücklichen Epigramm: Es müsse das
Sinngedicht, wie die Biene, einen Stachel, Honig haben
und klein seyn. ─ Jnsofern der Aufschluß schnell ist, und
die ganze Gedankenreihe auf einen Punkt zusammendrängt,
nennt man ihn auch acumen, pointe. Jst er insbesondere
satyrisch, so heißt er aculeus, Stachel.
Doch kann der Aufschluß auch mehr stark, als spitzig ausgedrückt
seyn. Klopstock sagt in seiner Gelehrtenrepublik:
„Bald ist das Epigramm ein Pfeil, trifft mit der Spitze,
Jst bald ein Schwerdt, trifft mit der Schärfe, Jst manchmal
auch ─ die Griechen liebten so ─ ein klein Gemäld, |#f0255 : 731|

ein Strahl gesandt zum Brennen nicht, nur zum Erleuchten.
─ Das letztere charakterisirt das anthologische
Epigramm, welches oft mehr beschreibend ist, als didaktisch.
Jn so fern es schnell erleuchtet, hat es
etwas von der Natur des eigentlichen Sinngedichts. ─
Der ästhetische Jnhalt des Epigramms ist das
niedliche. Dieses muß in der Regel herrschen, und das
Ganze bestimmen. Denn es wird eine Totalität im kleinen
vollendet dargestellt. Das naive, das sanfte,
das witzige, das satyrische sind alles Empfindungen,
welche abwechseln oder bey einander seyn können. Auch
giebt es einige Epigramme, die sich dem höhern Schönen
nähern. Der Styl des Epigramms ist mannichfaltig.
Er bedarf indeß besonders der Figuren, welche das Verstandesspiel
und den Scherz herausheben, z. B. die Antithese,
der Climax, die Jronie u. s. w. Sunt bona, sunt
quaedam mediocria, sunt mala plura, quae legis
hic: aliter non fit, Avite, liber. Martial
. Uebrigens
erheischt schon der Charakter des Niedlichen eine
vollkommene Tadellosigkeit im Ausdrucke. Simplicität ist
in so fern gut, weil sie die Uebersicht des Ganzen erleichtert,
und eine schnelle Uebersicht wird gerade verlangt. Das
Metrum muß auch so beschaffen seyn, daß sich eine ganze
Periode darin zusammendrängen läßt. Z. B. elegische Disticha,
wie die Alten. Hende casyllaba, weil sie den Charakter
der Naivität haben. ─ Die neuern gebrauchen kurze
Reime. Als zufällige Formen nimmt das Epigramm den
Dialog, die Erzählung an, und andre mehr. Zuweilen |#f0256 : 732|

bekommt es auch eigene Nahmen, von der Gelegenheit,
und seiner Entstehung. Es giebt Jnpromptus, Bouquette,
Symbole oder Wahlsprüche, z. B. auf Ritter=
Schilden (war, wie man aus dem Aeschylus επτα επι Θηβαις
sieht, schon bey den Alten in Gebrauch.) ─ Devisen,
Grabschriften, ─ (letztere gehören auch oft zu den beschreibenden
Epigrammen.

|#f0257 : E733|
[Abbildung]

Vierter Unterabschnitt.

Von der allegorischen Poesie. ──────


I.


Von der allegorischen Poesie überhaupt.


§. 1.


Die allegorische Poesie idealisirt Gegenstände,
welche die Vernunft, oder das Vermögen aus allem
objektiven auf eine subjektive Gesetzlichkeit zu schliessen,
besonders beschäftigen. Sie betrachtet alles, was
sie darstellt, als Hieroglyphe, als Symbol eines
verborgenen höhern Sinnes.


Anmerk. Formal genommen pflegt man die Vernunft,
das Vermögen zu schließen zu nennen. Es
besteht also die Operation der Vernunft in einer mittelbaren
Einsicht. Nach der Logik gebraucht die
Vernunft einen Mittelbegriff. Die Poesie, wie wir
gesehn haben, idealisirt alle vier Seelenkräfte. Die historische
Poesie idealisirt die Operationen des Willens,
die beschreibende die Phantasie, die didaktische |#f0258 : 734|

den Verstand. Die Allegorische wird also im ästhetischen
Gebiete der Vernunft entsprechen. Was in der
Logik Mittelbegriff ist, wird in der allegorischen
Poesie Sinnbild.
Durch das Symbol äußerer Gegenstände
ahnt und vernimmt die Vernunft mittelbar ihr
inneres gesetzliches aber unbekanntes Wesen. Je mehr
sich im Menschen die Vernunft entwickelt, desto mehr wird
sein Geist auch im Aesthetischen die Richtung nehmen,
alles äußere nur als Abbild eines innern reinern Urbilds anzusehn.
Er wird sich gewöhnen, überall einen verborgnen
höhern Sinn zu vermuthen, der nie ganz enthüllt werden
kann. Er wird sich in doppelseitigen Beziehungen und einer
räthselhaften Sprache üben, die ganze Natur wird ihm zu einer
Allegorie des Geistes, welche der wissenschaftliche Naturkundige
zu entziffern sucht.


§. 2.


Da die sinnbildlichen Gegenstände, welche
die allegorische Poesie darstellt, in einem idealen
Licht erscheinen sollen, so muß nach den oben festgestellten
Grundsätzen, 1) die poetische Allegorie keinen
Zwang des überlegenden Verstandes verrathen, sie
muß begriffslos, wie eine freye Phantasie in der Seele
des Dichters entstehn, 2) sie muß sinnlich, anschaulich,
lebendig, individuell seyn, 3) sie muß die Sphäre der
allegorisch individualisirten Begriffe vollkommen erschöpfend
nach allen Beziehungen erklärbar als eine systematische |#f0259 : 735|

befriedigende Totalität darstellen, 4) sie
muß hierdurch ein Gefühl von Harmonie des Subjektiven
und Objektiven, der gesetzlichen Form und Materie der
Begriffe und Anschauungen in uns erwecken.


Anmerk. Die Allegorie, inwiefern sie ihre geistigen
Gegenstände individualisirt, ihnen eine sinnliche Lebendigkeit
mittheilt, und eine fabelhafte oder ideale Welt
schafft, heißt vorzugsweise Mythus. Der Mythus, inwiefern
seine individuellen Züge wieder vollkommene Beziehung
auf ein System allgemeiner Geistesideen haben, heißt vorzugsweise
Allegorie. Sokrates im Plato theilt dem
Philosophen die λογους, dem Dichter die μυθους zu.
Nach diesem Urtheil wäre alle Poesie in ihrer höchsten
Region allegorisch. Denn Mythus im platonischen
Sinne ist wohl so ziemlich mit Allegorie ein und dasselbe.
Allerdings ist auch die allegorische und mythische Poesie
die höchste Dichtkunst, so wie die Vernunft, auf
welche sie sich bezieht, die höchste Seelenkraft ist. Uebrigens
bleibt immer noch einiger Unterschied zwischen Mythus
und Allegorie nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche.
Mythus ist individualisirte Jdealität, welche
die Form der Realität angenommen hat. Ueber die reellen
Züge vergißt der Mensch oft die allgemeinen Beziehungen.
Dies war bey den Alten der Fall. Daher war ihre
Mythologie mehr fabelhafte Geschichte als Allegorie.
Bey der Allegorie wird immer das Bewußtseyn
vorausgesetzt, daß der individuelle Gegenstand als Erscheinung |#f0260 : 736|

blos Abbild eines idealen allgemeinen Gegenstands,
oder der innern gesetzlichen Geistesform sey. Dieses Bewußtseyn
erwacht erst in dem Menschen, bey zunehmender
philosophischer Cultur, wenn er im Besitz des λογος ist.
Daher findet sich die Allegorie bey den Alten mehr in den
Philosophieen, z. B. beym Plato. Daher haben die
neuern an die Stelle der Mythologie den Begriff
Allegorie treten lassen. Dieser Unterschied im Sprachgebrauche
und in der Culturgeschichte zwischen Mythologie
und Allegorie setzt den Künstler in große Verlegenheit.
Nach den im §. angegebenen Regeln sollen die poetischen
sinnbildlichen Gegenstände sowohl sinnlich lebendig
seyn, als auch allgemeine Beziehungen auf die Geistesideen
haben. Und dieses zusammen würde die Theorie Allegorie
im guten Sinne nennen. Die Praxis der Dichter
hat aber zwischen den beyden Erfordernissen der Jndividualität
und Universalität einen Gegensatz gemacht, und
anstatt zwischen diesen beyden Polen zu schweben, sich einem
oder dem andern mehr genähert, wodurch sie fehlerhaft geworden
ist. Die Mythologischen Dichter der Alten,
(wenn sie nicht etwa als historische Dichter zugleich anzusehen
sind, z. B. Aeschylus, sondern blos die Darstellung
der Mythen auch ohne interessante Handlung beabsichtigen,
wie z. B. Hesiodus, Ovid,) haben wenig Werth.
Warum? Weil man sie als allegorische Dichter ansehn
muß. Gleichwohl fehlt ihnen ein Haupterforderniß zur guten
Allegorie, die ganz durchgeführten allgemeinen Beziehungen.
Sie stellten die Mythologie dar, wie sie dieselbe |#f0261 : 737|

vorfanden. Das war ein Aggregat von zufälligen halb
wahren Begebenheiten, welche der Mensch nach und nach in
ein immer idealeres Licht gesetzt, und durch willkührliche
Erfindungen ausgeschmückt hatte. Eitelkeit der Großen und
Schmeicheley der Dichter, Hang zum Wunderbaren, Mysterien
und Philosophieen, wirkliche Geschichte, Enthusiasmus
für berühmte Helden, romantische Gegenden, astronomische,
wissenschaftliche Ansichten, alles trug dazu bey, eine
Mythologie zu bilden, welche viel individuelles
Leben,
aber auch viel abgeschmacktes Mährchenhafte hatte,
das die Vernunft nicht interessiren konnte. ─ Unsere
neuern allegorischen Dichter, etwa den Dante ausgenommen,
haben in den entgegengesetzten Fehler verfallen
müssen. Sie haben keine Nazionalmythologie mehr. Sie
haben keine lebendigen individuellen Züge darzustellen. Jhre
Allegorien halten sich großentheils an die Philosophie
unmittelbar, und sind deswegen kalt. ─ Die Alten
waren für die Allegorie im Großen nicht philosophisch
und für die kleinere Allegorie nicht witzig genug. Wenn
gleich auf alle ihre Geräthschaften von den Künstlern allegorische
Anspielungen angebracht waren, so erhoben sich doch
ihre Dichter nie zur Jdee eines höhern allegorischen
Gedichts, und was man von Allegorien der Alten in den
übrigen Künsten noch aufgefunden hat, zeigt von wenig
ästhetischer Kraft. ─ Den Neuern wiederum fehlt das
mythologische Leben. ─ Es postulirt also die Theorie
eine allegorische Poesie, als die höchste Richtung
für die Dichtkunst überhaupt, welche noch nicht vorhanden |#f0262 : 738|

zu seyn scheint. ─ Jhre Bestimmung wäre die abstracten
religiösen und philosophischen Jdeen der Neuern Zeit für die
Einbildungskraft in Sinnbildern zu individualisiren, und
lebendig zu machen. Vielleicht, weil man dies Bedürfniß
fühlte, hat man neuerlich hier und da von einer christlichen
Mythologie
gesprochen. Der Ausdruck ist unbequem
und unbedachtsam gewählt, wenn man unter Mythus
sich fabelhafte Erfindung willkührlicher Bilder und
Geschichten denkt. Denkt man sich aber unter Mythologie
nur allegorische Jndividualisirung nothwendiger Wahrheiten,
so kann dies Wort auch bey christlichen Jdeen
von einem consequenten Christen geduldet werden. So ist
allerdings Dante Erfinder einer christlichen Mythologie,
d. h. die nothwendigen Wahrheiten von Himmel
und Hölle belebt er durch einzelne allegorische Bilder, die so
individuell sind, daß man das abstract wahre auch unterhaltend
für die Einbildungskraft finden muß. ─ Ein inniges
Grausen ergreift gewiß einen jeden, wenn er liest,
wie Dante im Schlangenthale die Lügner bestrafen läßt.
Der Mensch, der von einem glühenden Wurme gebissen
wird, der nicht schreyt, aber zu gähnen beginnt und in
dumpfer Erstarrung den Wurm betrachtet ─ ist ein so lebendiges
Bild des Entsetzens, als die griechische Mythologie
vielleicht keines aufzuweisen hat. Gleichwol wird niemand
dieses Bild zu den christlichen Glaubensartikeln zählen, wenn
es auch eine christliche Wahrheit allegorisch darstellt. ─
Heutzutage zeigt sich eine große Disharmonie zwischen den
poetischen Geistern vom ersten Range in Ansehung der allegorischen |#f0263 : 739|

Poesie, nahmentlich der Mythologie. Auf der
einen Seite ist durch die zunehmende Aufklärung und ein verfeinertes
Kunstgefühl eine große Sehnsucht der Einbildungskraft
nach den fabelhaften Wesen des griechischen Olymps
entstanden, denen man gern ihr volles Bürgerrecht in der
poetischen Welt wiedergeben möchte. Man findet in den
Griechischen Göttern die Jdeale des höchsten, des ewig seligen
Lebens, und glaubt sich durch die reinere Jdee von der
Gottheit in eine schauderhafte Wüste versetzt. Auf der andern
Seite finden einige, eben den Gedanken, im weiten
Weltall mit Einem Schöpfer allein, und nur durch einen
Mittler mit ihm vereint zu seyn, so grausend erhaben, so
süß melancholisch, die christlichen Jdeen scheinen ihnen von
solcher ästhetischer Kraft, daß sie sich vielmehr durch die
muntern griechischen Phantasieen gestöhrt glauben würden.
Man kann als Repräsentanten der ersten Meynung Boileau
und Schiller (in seinen Göttern Griechenlands), als Vertheidiger
der zweyten Chateaubriand, den Verfasser der Atala
in seinem Genius des Christenthums aufführen. Jn jeder
Parthey stehen Männer von Bedeutung an der Spitze. Allein
große Dichter lieben, wenn sie philosophiren, die Hyperbel
und werden leicht einseitig. Das Christenthum wäre
nicht die höchste Wahrheit, wenn es der Phantasie nicht
auch im Lichte der höchsten Schönheit erscheinen könnte.
Und die griechische Mythologie hat wiederum eine naive lebendige
Schönheit, welche das Christenthum nicht haben
kann, aber auch nicht bedarf. Das Christenthum ist die
Mysterie des Lebens, kann in seiner Reinheit nur von den |#f0264 : 740|

edelsten Seelen gefaßt werden. Die griechische Mythologie
idealisirt nur das äußere individuelle Daseyn. Das Christenthum
eröffnet denen, welche reines Herzens sind, eine
Einsicht in die Geheimnisse des Weltalls. Die griechische
Mythologie verweilt auf der Oberfläche der schönen Natur.
Daß beyde Ansichten von der menschlichen Phantasie gesucht
werden, erhellt aus dem wunderbaren Phänomen von so
vielen vortrefflichen Gedichten, wo christliche Jdeen, und
griechische Mythologie zusammen zu finden sind. Doch
läuft dies immer wider die kosmische Wahrscheinlichkeit,
zumal in der historischen Poesie. ─ Es wäre die höchste
Aufgabe für einen Dichter, deren Auflösung durch unser
Zeitalter nothwendig geworden ist, das griechische Schönheitsgefühl
mit den christlichen Jdeen so zu vereinigen, daß
der Geschmack dabey nicht beleidigt würde. Da die griechischen
Mythen sich auf die sichtbare Natur beziehn, so könnten
sie besonders aus dem Standpunkte der neuplatonischen
Philosophie als Allegorie angesehn, und dabey die christlichen
Jdeen in ein geheimnißvolles Dunkel als der letzte Sinn
des Räthsels gestellt werden. Hätte derjenige französische
Schriftsteller, welcher la guerre des Dieux anciens et
modernes
geschrieben hat, (Evariste Parny) statt ein
komisches Heldengedicht zu schreiben, das nur halbwitzige
Blasphemieen enthält, seinen Gegenstand von der ernsthaften
Seite angesehn, so würde er vielleicht ein neues unbekanntes
Land für den poetischen Genius entdeckt haben.
Doch diese Ansicht mußte ihm bey seiner unheiligen Stimmung
verborgen bleiben. Auch hier, wie z. B. bey der |#f0265 : 741|

Jungfrau von Orleans, bildete sich die Jdee von der komischen
Seite eher aus, wie von der ernsthaften. Die Theorie
kann übrigens hier nur ahnen und weissagen. Der Geist
des Dichters wird durch die Organisation der Gedankenwelt
in seinem Zeitalter von selbst auf den Weg geführt, die
Weissagungen der Theorie zu erfüllen.


§. 3.


Das Jdeal der Vernunft, als einer ursprünglichen
Seelenkraft ist ein allgemeines gesetzliches
Selbstbewußtseyn mittelst der Objekte, die absolute
Harmonie
alles objektiven und subjektiven. Die
allegorische Poesie wird also, um die Vernunft zu
interessiren, in ihrer höchsten Tendenz, die endlichen
Formen der Schöpfung, als Sinnbilder von der innern
Natur des Schöpfers darzustellen suchen, deren
Beziehung auf das Urbild sich nach Begriffen erklären
läßt. Sie wird die Jdeen, welche sich der Mensch
von dem Göttlichen macht, in Allegorien versinnlichen.
Hieraus wird das Gefühl des höhern
Schönen,
und überhaupt die höhere allegorische
Poesie entstehn. Nächstdem wird die allegorische
Poesie auch die niedern Vernunftanlagen oder
das formale Vermögen zu schließen, im allgemeinen,
(ohne Rücksicht auf das materiale Vernunftideal) zu
beschäftigen suchen. Sie wird von Begriffen und |#f0266 : 742|

Wahrheiten jeder Art Sinnbilder darstellen, und den
höhern räthselhaften Sinn mittelbar errathen lassen.
Dies wird vorzüglich die Empfindung des niedern,
des lebendig Schönen erwecken, und so wird es auch
eine niedere allegorische Poesie geben.


Anmerk. Von der allegorischen Poesie, die
sich vornimmt ein allegorisches Objekt darzustellen, und
sich an diese Darstellung bindet, wird man die Allegorie
als Figur des Styls leicht unterscheiden. Von letzterer
haben wir schon oben gehandelt. Diese findet auch
bey der lyrischen Poesie statt, und ist nur ein vorübergehender
Schmuck der Rede. Freylich ist sie eine Hauptfigur
des poetischen Styls. Denn das Bedürfniß des Menschen
zu allegorisiren ist tief in seiner sinnlichen Natur, wie
auch in seiner Vernunft gegründet, welche letztere allen
Dingen der Welt zwey Bedeutungen giebt, eine niedere und
eine höhere, eine individuelle und eine allgemeine. Jedes
zufällige Objekt, möchte man sagen, ist ein Sinnbild seines
urbildlichen Gattungsbegriffs. Menschenschicksale sind Allegorien
auf das Glück im Allgemeinen. Einzelne gute
Menschen geben Allegorien für tugendhafte Eigenschaften ab.
Z. B. Herkules für die Stärke, Orestes und Pylades für
die Freundschaft. Daher in allen Künsten die sogenannte
historische Allegorie z. B. Marius auf den Trümmern
von Karthago ein Sinnbild für die Nichtigkeit der menschlichen
Größe. Diese Bemerkung giebt den Schlüssel zu einer
pragmatischen Geschichte vom Ursprung aller Mythologie.

|#f0267 : E743|
[Abbildung]


II.


Von der höhern allegorischen Poesie.


§. 1.


Das höhere allegorische Gedicht stellt die
Jdeen, welche sich der Mensch von göttlichen Dingen
macht, unter Sinnbildern dar.


Anmerk. Diese Dichtungsart nimmt also die höchste
Richtung, welche die menschliche Poesie nur immer
nehmen kann. Die didactische Poesie kann zwar auch
in die Geheimnisse der Schöpfung eindringen. Allein sie hat
doch mehr mit Verstandesbegriffen zu thun. Sie
drückt das aus, was sich über den Grund und Zusammenhang
der Dinge denken läßt. Die allegorische Poesie
geht weiter. Sie sucht, wiewohl in Sinnbildern, die
höchsten Vernunftideen auszudrücken, welche sich nicht
ausdenken, nur ahnen lassen. Die Mythologie der
Heyden ist also wenigstens ihrer Hauptrichtung nach eine
solche allegorische menschliche Poesie, zu welcher
aber der Schlüssel noch nicht ganz gefunden ist. Mit der
allegorischen Poesie ist der Kreisgang im Gebiete der
Dichtkunst geendet. Wir gingen von der göttlichen
Poesie aus, und enden mit der Gattung von menschli= |#f0268 : 744|

cher Poesie, welche am nächsten an die göttliche gränzt.
Hier zeigt sich aber auch der Unterschied, zwischen göttlicher
und menschlicher Poesie, wahrer Religion und
heidnischer Mythologie am deutlichsten. Die menschliche
Poesie und Mythologie kann das göttliche nur ahnen,
ausser sich in Sinnbildern darstellen. Die göttliche
Poesie hingegen, deren Offenbarungen die Hebräer und
Christen bekennen, lehrt den Menschen die Vernunftideen,
um das göttliche Princip im Geist und in der Wahrheit zu
ergreifen, mittelst der Andacht in sich selbst zu finden, sich
von dem Göttlichen kein Bild zu machen, sondern es unmittelbar
in sich wohnen zu lassen. Hierauf konnten die
Menschen nur durch eine Begeisterung geleitet werden,
die unmittelbar von Gott angezündet ward, hierzu gehörte
die Menschwerdung der Gottheit.


Anmerk. 2. Da wir eigentlich noch kein vollkommenes
allegorisches Gedicht höherer Gattung haben,
so wird die Theorie in diesem Abschnitt noch fast ganz
a priori verfahren müssen. Bey den Alten kann man hierher
die Mythologischen Dichter ex professo rechnen,
d. h. solche, welche die Mythologie nicht als Triebfeder ihrer
historischen Gedichte gebrauchten, sondern dieselbe als einen
Hauptgegenstand im Zusammenhange abhandelten. Allein
die Griechischen und Römischen Dichter waren zu wenig in
die Mysterien eingeweiht, um den höhern Sinn, der in ihrer
Mythologie verborgen liegen mag, zu fassen. Daher
fehlte ihnen die ordentliche planmäßige Darstellung, |#f0269 : 745|

welche das allegorische Gedicht bedarf, damit man den höhern
Sinn errathe. Die mythologischen Gedichte der Alten
sind Aggregate von Fabeln ohne alle nähere Verbindung
zu einem höhern Sinne. Hiermit verlangen wir nicht, daß
ein Palaephatus de Incredibilibus uns vordemonstrire,
wie bey Entstehung dieser Fabeln alles natürlich zugegangen
sey. Eine solche Einsicht in die gesammte Mythologie
mag die Aufgeklärten unserer Tage interessiren, denen
ein munterer Genius der Aufklärungstrieb mit der Fackel unaufhörlich
vorschwebt, die wohl selbst den göttlichen Helden
der Bibel sehr zu ehren glauben, wenn sie ihn den Sokrates
der Christen nennen. ─ Wir fragen hier, was für nothwendige
psychologische Gründe sogar die Heiden bestimmen
mußten, die mythologischen Begebenheiten grade so und
nicht anders zu idealisiren. Ließen sich die philosophischen
Wahrheiten auffinden, welche bey Erfindung der Fabeln,
ohne daß es die Erfinder selbst wußten, die Basis
waren, so hätte man die Mythologie zur Allegorie
erhoben. Allein die alten Dichter hingen zu sehr an dem
Mährchenhaften, hatten keine Uebersicht des Ganzen,
konnten also nur Data zu einem künftigen allegorischen Gedicht
liefern. So muß man z. B. des Hesiodus Theogonie,
die historischen Hymnendichter u. s. w. ansehn. Ovids
Metamorphosen
sind ein wunderbares Phänomen. Der
Hauptgedanke an sich ist für den Ovid und überhaupt
für die Römische Dichtkunst zu genialisch. Daß der römische
Dichter bey einzelnen Stellen den Hesiodus, Theokrit,
Callimachus vor den Augen gehabt hat, ist bekannt. |#f0270 : 746|

Allein außerdem muß er irgend ein griechisches Hauptwerk
zum Grunde gelegt haben, wie dies die Art fast aller römischer
Dichter war. Mehrere Griechen sollen unter dem Titel
μεταμορφοσεων Bücher geschrieben haben, unter andern
Callisthenes. ─ Die Jdee eine allgemeine Geschichte
der wunderbarsten Verwandlungen von Schöpfung der
Welt bis auf die neusten Zeiten zu entwerfen, ist allegorisch,
und eine der glücklichsten muntersten, welche die
menschliche Phantasie fassen kann. Das äußere der Natur
zeigt einen beständigen Wechsel, eine immerwährende Veränderung
der Gestalten. Es ist dem Menschen natürlich,
einen allgemeinen wunderbaren Geist des Lebens bey diesen
Veränderungen vorauszusetzen, der bald diese bald jene
Form annimmt, der die kleinsten und größten Gegenstände
beseelt, für den nichts todt ist. Die körperliche Natur,
eben wegen ihrer Veränderlichkeit erscheint als der Spiegel
des ewigen Geistes, der seine Gedanken in ihr abwechselnd
wiederstrahlt! Diese einzelnen Gedanken des Urgeists, welche
die scheinbar trägen Massen bewohnen, macht die Allegorie
zu mythologischen Wesen. Was bey Leibnitz Monaden,
bey Berkley Gedanken Gottes sind, das sind in der
spielenden Phantasie des Dichters Götter, Menschen,
Thiere und Pflanzen, die bald diese, bald eine andere Gestalt
annehmen, aber immer lebendig, immer im großen
Weltraum zu Hause sind. Sollte Ovid das Große seines
allegorischen Hauptgedankens gefühlt haben? Nach den ersten
Versen des Gedichts, welche ziemlich matt sind, möchte
man daran zweifeln. ─ Jndeß die Geschichte selbst beginnt |#f0271 : 747|

pathetisch genug mit der Weltschöpfung und den Weltaltern
und im letzten Buch wird die Lehre des Pythagoras
von der Seelenwanderung sehr ausführlich abgehandelt. Die
Rede des Pythagoras, die sehr künstlich in den Plan des
Ganzen verwebt ist, scheint gleichsam den höhern Sinn der
Metamorphosen anzugeben, die Allegorie enträthseln zu
wollen. Die Behandlung des Ganzen und der tändelnde
weitschweifige Styl ist aber keineswegs der Jdee würdig, so
interessant und leicht auch die Erzählungen, so glänzend die
einzelnen Beschreibungen seyn mögen. Die Uebergänge von
einer Geschichte zur andern sind wie aus tausend und einer
Nacht, oder aus der Spinnstube genommen, völlig im
Mährchenton, und es ist nicht zu begreifen, wie Wilhelm
Canter hier eine große Kunst bewundern kann. ─ Die
Orakel der Sibyllen bey den Alten, und die Hieroglyphen
(z. B. Horus) welches aber meist untergeschobene Schriften
sind, Lycophrons Cassandra u. s. w. sind auch allegorisch zu
nehmen. Doch fehlt uns größtentheils die Deutung, und
hätten wir sie, das Jnteresse. Unter den neuern Dichtern
macht Dante in der höhern allegorischen Poesie
allein Epoche. Mit vollem Recht sagt er Nuove Muse
mi dimostran l'orse
. Neue Musen zeigten ihm den Pol
zu seiner Schiffarth. Sein Werk haben einige unter die
Epopöen gerechnet. Er scheint es selbst von dieser Seite
angesehn zu haben, da er sich den Virgil zum Führer seiner
Reise wählt. Allein das Werk hat gar kein historisches episches
Jnteresse. Es enthält keine eigentliche Handlung,
sondern eine allegorische Beschreibung. Gleich Anfangs beginnet |#f0272 : 748|

es mit Schilderung von allegorischen Dingen, z. B.
von dem Wald, in dem sich der Dichter befand, von den
wilden Thieren, denen er begegnet, unter welchen die Commentatoren
Wollust, Hochmuth und Geiz verstehn. ─
Ehe er in den christlichen Lethe, den Strom Eunoe getaucht
wird, um ins Paradies einzugehn, sieht er noch in einer
mystischen Vision die Schicksale der christlichen Kirche.
Während des ganzen Gedichts befindet sich Dante auf dem
Schauplatz einer Welt, in der alles Jndividuelle Symbol
von etwas allgemeinen ist. Die historischen Personen
mit denen er spricht sind Repräsentanten irgend eines abstrakten
Begriffs, einer Jdee. So ist seine verklärte Geliebte
seine Beatrice, die himmlische Weisheit. Jn den
wunderbaren Gestalten sterblicher Menschen, die er im
Himmel antrifft, glänzt etwas göttliches, ihrem irdischen
Bild ganz unähnlich. Dante ist also allegorischer
Dichter, und weil er sein ganzes Wissen von den göttlichen
Dingen, und den Geheimnissen des Weltalls mittelst seiner
Symbole uns mittheilen will, so ist sein Gedicht ein höhetes
allegorisches Gedicht, vielleicht das Einzige, das
diesen Nahmen verdient, ob es gleich bey allen originellen
glänzenden Zügen in tausend Rücksichten als sehr unvollkommen
angesehn werden muß.


§. 2.


Zum objektiven Jnhalt hat das höhere allegorische
Gedicht sinnbildliche Gegenstände von
göttlichen Dingen. Es ist also dieser Jnhalt doppelseitig |#f0273 : 749|

, er muß erst sinnbildlich genommen, ein Ganzes
ausmachen, zweytens muß der Sinn, auf den die
Symbole deuten, abstract genommen ebenfalls ein
vollkommenes leicht faßliches Ganzes seyn. Endlich
muß zwischen dem Bilde, und dem was darunter verstanden
wird, eine richtige und passende Beziehung
statt finden, d. h. die Symbole müssen so gewählt
seyn, daß die Einbildungskraft darunter die göttlichen
Jdeen ahnen, und sich mit denselben unter einer faßlichern
Gestalt vertrauter machen kann, da sie in einer
wirklichen religiösen Ansicht denselben gewöhnlich unterliegt.



Anmerk. 1. Der Plan des allegorischen Gedichts
ist wegen seiner Zweydeutigkeit das schwerste Problem,
was ein Dichter auflösen kann. Erstlich muß man die
Reihe der Sinnbilder selbst betrachten. Diese Sinnbilder
können objektiv zu Erzählung von Handlungen,
oder zu Beschreibung vereinigt seyn. Dantes Gedicht
nimmt auch oft die Form des didaktischen Gedichts an. Wie
die Vernunft aus der Harmonie der übrigen drey Seelenkräfte
hervorgeht, so vereinigt die allegorische Poesie,
welche die Vernunft repräsentirt, alle die vorhergehenden
Gattungen der Poesie. Handlung, Beschreibung, alles
kann dem allegorischen Dichter zum Symbol dienen. Er
muß also für seinen Plan zuerst alle Gesetze beobachten, nach
welchen die Handlung, die Beschreibung u. s. w. poetisch |#f0274 : 750|

organisirt wird. Hierin ist Dante so ziemlich tadellos,
wenn man ihn als beschreibenden Dichter ansieht. Zweytens
muß aber auch der Plan so eingerichtet seyn, daß sich
das System der Jdeen, der höhere Sinn der Hieroglyphe
beym Genuß des Gedichts in uns immer mehr ausbilden
kann. Dieses innere System, gleichsam die unsichtbare
Seele der poetischen Welt, welche er erschafft, muß einfach
und begreiflich seyn. Hierin fehlt es vorzüglich bey Dante.
Einzeln sind seine Jdeen herrlich, höchst philosophisch,
rein christlich. Z. B. was er von der Erlösung sagt. Mancher
Theolog gestand, aus dem Dichter mehr Theologie gelernt
zu haben, als von seinen akademischen Lehrern. Aber
im Ganzen ist das Gebäude doch gothisch, zwar kühn,
aber winklicht, voll sophistischer Spitzfindigkeiten. Es fehlt
noch an einem lichten Hauptgedanken, der uns durch dies
Labyrinth geleite. Wenn auch Dante über sein Zeitalter
hervorragt, wie eine Pyramide, so mußte er doch die Dogmatik
seiner Zeit zur Grundlage nehmen. ─ Der höhere
Sinn des allegorischen Gedichts liegt in den gefühlten
Jdeen. Aber jede Kleinigkeit, jeden Nebenumstand der
Erfindung deuten zu wollen, ist eben so fehlerhaft, als
wenn man ein wirklich episches Gedicht, wie Tasso und
Ariosts Werke allegorisch auslegen wollte, wie zuweilen von
den Dichtern und Commentatoren geschehen ist.


Anmerk. 2. Das Symbol soll individuell anschaulich
sinnlich genug seyn, um die Einbildungskraft zu
interessiren, und mit den göttlichen Jdeen vertraulich zu |#f0275 : 751|

machen. Das ist eben das Wesen der allegorischen
Poesie, daß der Phantasie das Anschaun der Jdeen erleichtert
werde. Hierdurch unterscheiden sich die religiösen
Gedichte von den allegorischen. Vidas Christias,
Klopstocks Messias besonders der letztere sind mehr religiöse
Gefühle. Darum hat auch Klopstock mehr eine lyrische
Richtung, als daß er darstellte. Sein Gedicht, insofern
es den Himmel schildert, erweckt mehr Empfindung,
als Anschauung. Warum? weil er die Jdeen selbst in
uns erwecken will. Jdeen können aber eigentlich nicht
dargestellt, sie können nur geahnt werden. Will man
der Phantasie ein Bild geben, so ist dies Symbol. Daher
ist Dante weit unterhaltender für die anschauende Einbildungskraft
als Klopstock. Man vergleiche eine Hymne
des letztern Dichters auf die Gottheit mit der Vision Dantes
im Paradiese, als er sich in den Grundquell der Schöpfung
versenkt. „Ewiger, du bist allein, in deiner Größe vollkommen,
Jeder Gedanke, mit dem du dein eigenes Wesen
durchschauest, ist erhabner und größer, als die stille
Betrachtung auf geschaffene Dinge von dir herniedergelassen.“
Klopstok. Hier ist heiliges Dunkel, negative Bestimmung,
gleichsam das νουμενον. Das Urwesen an sich.
Dante hingegen, da er einen Blick in die Tiefen der
Gottheit thut, erleichtert es der Einbildungskraft. Er sieht
die Substanz des großen Lichtes, drey farbige Kreise in demselben,
er sieht eine leuchtende Heiligenwelt, in Gestalt einer
Rose, von lebendigen Funken und den Engeln umschwebt.
─ Eben so vergleiche man den Triumph Christi im Dante |#f0276 : 752|

mit dem in Klopstok in der Messiade letzten Gesang. ─ Klopstok
schwankt zwischen der eigentlichen lyrisch, d. h. andächtig
gefühlten Jdee und der symbolischen Darstellung, darum
macht sein Gemälde nicht ganz den Eindruck, als das des
Dante, welcher hier rein symbolisch, vollkommen mystisch
gehalten ist. ─ Milton steht zwischen beyden Dichtern
in der Mitte, hat mehr Darstellung als Klopstok, und
höhere erweiterte Begriffe als Dante. Allein Dante dürfte
doch hier seinem Ziele am nächsten geblieben seyn, wenn
gleich viele Fehler wider die kosmische Wahrscheinlichkeit und
überhaupt den Geschmack, z. B. Einmischung von heidnischen
Bildern überall mit unterlaufen. ─ Da die höhere
allegorische
Poesie sich zur Anschauung erhebt,
so ist es dem Dichter natürlich, sich in die wunderbare Gemüthsstimmung
der Visionen, der Träume zu versetzen.
Besonders dem Dante ist es geglückt, einen Schwung
mit seinem Geiste zu nehmen, wie keiner von den andern
menschlichen Dichtern. Seine Träume sind in Augenblicken
geträumt, um mit seinen eignen Worten zu reden, wo die
Seele von ihrem Körper getrennt, in ihren Gesichten am
göttlichsten ist.


§. 3.


Der ästhetische Jnhalt des höhern allegorischen
Gedichts ist das Erhabene. Das ist die
herrschende Hauptempfindung. Denn diese entspricht
dem Selbstbewußtseyn der Vernunft, die sich |#f0277 : 753|

hier in Bildern der Einbildungskraft spiegelt, und die
Harmonie des Schöpfergeistes mit der Schöpfung fühlt.
Alle übrigen Gattungen des höhern Schönen, auch die
edlern Unterarten des reizend Schönen können hier abwechseln.
Styl und Metrum müssen lyrischer seyn,
als in der Epopöe, doch auch eine gewisse Ausdehnung
und ruhige Hoheit haben. Der Dichter sieht außerordentliche
Dinge. Darum ist er in einer ungewöhnlichen
Stimmung. Allein er stellt sie dar. Darum
muß er sich beherrschen können.


Anmerk. 1. Dante geht aus Hölle und Fegfeuer
in den Himmel. Darum geht er vom starken, schrecklichen
grausenden, zum hohen und erhabenen über. Allein das
Erhabene herrscht, weil es die höchste Stufe des Gedichts ist.


Anmerk. 2. Der Styl des Dante ist, nach seiner
eignen Theorie zu sprechen, nicht tragisch, sondern ziemlich
bunt und mit unter gemein, wodurch aber viel individuelles
Leben bewirkt wird. Vielleicht stammt daher der
Ausdruck Commedia, wobey er eine Art Tragikomödien
im Sinn haben mochte. Oft fällt er ins Gezierte. So
sagt er z. B. von zwey Gestirnen, die ihr Licht vertauschen,
qual diverebbe Giove, s'egli è Marte fossero augelli,
e cambiassersi penne
. Antithesen und andere etwas gezwungene
Figuren, passen aber für die außerordentliche Gemüthsstimmung.
Z. B. I' non mori, e non rimasi |#f0278 : 754|

vivo. ─ Oft schimpft er in eben nicht hohen Ausdrücken.
Z. B. di sua bestialitate il suo processo farà la
pruova
. Nicht selten wird er naiv, und es gränzt sein
Styl ans Komische, wie er z. B. mitten im Himmel sich
daran erinnert, daß er aus Florenz kommt. Diese Zusammenstellung
gemeiner Ausdrücke mit den erhabensten
Bildern wirft indeß die Seele hin und her, und thut oft einen
ähnlichen Effekt, als die hebräische Poesie, besonders
der Styl der Propheten durch ein gleiches Mittel bewirkt.
Dante ist übrigens freylich zu rauh und dunkel. Allein
ein Grad von heiligem Dunkel wird zu einer mystischen
Stimmung verlangt. Der lichte edle Styl des Heldengedichts
würde nicht passen. ─ Das Metrum des
Dante, die Terzine, hält sehr gut das Mittel zwischen
dem Lyrischen und Epischen. Jndeß könnte ein höherer allegorischer
Dichter, dessen Erzählung mehr Zusammenhang
hätte, auch freyere Stanzen gebrauchen.


[Abbildung]


III.


Von der niedern allegorischen Poesie.


§. 1.


A) Das allegorische Gedicht niederer Gattung
enthält die sinnbildliche Darstellung von abstracten
Begriffen, Gegenständen oder Begebenheiten jeder Art,
welche sich nicht auf die Enthüllung der letzten Weltursachen |#f0279 : 755|

beziehn, sondern die Vernunft nur als formales
Vermögen von einem Gegenstand auf den andern zu
schließen, und das Gefühl des niedern Schönen beschäftigen.



Anmerk. Hiervon haben wir bey den Alten ebenfalls
nur wenig Beyspiele, weil ihnen bey ihrer Mythologie
die intellectuelle Deutung mangelte. Als allegorisches Gelegenheits=Gedicht
kann man allenfalls das Carmen Claudiani
de nuptiis Honorii et Mariae
hierher rechnen voll
üppiger Schilderungen. Metastasio hat ein ähnliches Epithalamium.
─ Die neuere Poesie mußte wegen der
zunehmenden Reflexion die Allegorien dieser Art sehr frühzeitig
ausbilden. Der berühmte französische Roman von
der Rose in vielen tausend Versen ist ganz allegorisch, sehr
abentheuerlich, für die Phantasie unterhaltend, aber freylich
ohne großen Plan. Er mag eine satyrische Tendenz
haben. Ueber den höhern Sinn sind die Commentatoren
nicht einig. ─ Petrarks Allegorien nähern sich dem höhern
allegorischen Gedicht, wegen ihres tiefern Sinnes,
sind aber mehr lyrisch als darstellend. Jm Englischen,
Jtalienischen und Französischen hat man außerdem eine Menge
Tempel des Ruhms, des Geschmacks, Träume,
Gesichte u. s. w. voll wunderbarer oft planloser aber unterhaltender
Erdichtuug. J. B. Rousseau hat zwey Bücher
Allegorien, die ziemlich kalt sind. ─ Man hat die Wahl
des Hercules (von Metastasio, Lowth u. s. w.) und andre
Gegenstände bearbeitet. Herders Paramythien sind kleine |#f0280 : 756|

allegorische Gemälde, die an die Fabel gränzen. Παραμυθητικον
war bey den Alten ein Trostgedicht. ─ Der Plan
sollte eben so wie beym höhern allegorischen Gedicht in doppeltem
Sinne richtig vollkommen seyn. Es ist der Frage
werth, ob der Dichter die Deutung selbst angeben dürfe?
Ganz abstrakte Personen, unter allgemeinen Nahmen,
Klugheit, christliche Liebe u. s. w. machen freylich das
Gedicht kalt. Besser ists, wenn am Ende der Allegorie
durch eine künstliche Wendung ohne viele Erklärung die Deutung
des Ganzen in helles Licht gesetzt wird. ─ Uebrigens
hat man allegorische Dramen, Prologen und Vorspiele.
Z. B. von Metastasio, Racine u. s. w.


§. 2.


B) Die Fabel im Engern Sinne ist die Darstellung
irgend einer einzelnen praktischen Regel der Lebensweisheit
unter einem aus der nicht moralischen Welt
hergenommenen Sinnbild.


Anmerk. 1. Die Fabel im Engern Sinn, von
der man die oben bey dem pragmatischen Gedicht erwähnte
Fabeln (συϛκσις των πραγματων) unterscheiden muß, verhält
sich zum größern allegorischen Gedicht, wie die
Sentenz der gnomischen Poesie zum eigentlichen Lehrgedicht.
Jn dem allegorischen Gedicht wird ein
System von Wahrheiten bildlich vorgetragen, in der Fabel
ein einzelner meist praktischer Erfahrungssatz. Der objektive
Jnhalt der Fabel ist also doppelt. Erstlich das
Sinnbild aus der nicht moralischen Welt. Zwey= |#f0281 : 757|

tens die sogenannte Moral, oder daraus gezogene Lehre.
Es ist also falsch, wenn einige, z. B. Sulzer, die Fabel zu
den Lehrgedichten zählen. Hier ist eine ganz andre
Gattung. Die Lehrgedichte interessiren den Verstand,
als begreifendes Vermögen. Die Fabel interessirt
die Vernunft, als das Vermögen vom Sinnbild auf
die Wahrheit zu schließen. Die Fabel gehört zu den
allegorischen Gedichten. Das Vergnügen, welches
sie gewährt, liegt darinnen, daß sie anschaulich zeigt, wie
in der nicht moralischen physischen Welt nach ähnlichen
Prinzipien verfahren wird, als in der Welt der Freyheit,
so daß man die instinctmäßige Natur, als Sinnbild der moralischen
brauchen kann. Jedes auch leblose Ding in der
Welt ist das Sinnbild eines Begriffs, hat einen Charakter,
der den Menschen an irgend etwas analoges in seinem Geiste
erinnert. Die Eiche trotzt dem Sturm, aber wird entwurzelt,
das Rohr biegt sich, aber bleibt auf seiner Stelle.
Ruft die Natur dem Menschen nicht dadurch anschaulich die
Lehre zu: trotze nicht! es giebt etwas höheres als dein individuelles
du, so tief dessen Wurzeln auch gehn mögen?
Der Topf von Thon geht mit dem Topf von Eisen auf die
Reise und bricht, und dies zwar nach nothwendigen materiellen
Gesetzen. Geht dies nicht in der Menschenwelt eben so nach
Gesetzen geistiger Organisation? Jn den Thieren zeigen
sich Charaktere, Leidenschaften, welche die menschlichen im
Kleinen oft sehr glücklich satyrisch kopiren. Jst es nicht dem
Menschen natürlich, ihnen Sprache zu geben, sie handeln
zu lassen, und in der Thierwelt einen ähnlichen nothwen= |#f0282 : 758|

digen Zusammenhang nach Principien zu erwarten,
als in der Menschenwelt? Hier ist also mehr, denn ein blosses
Gleichniß. Die Fabel interessirt nicht blos den
Witz, der entfernte Aehnlichkeiten findet. Jhr Jnteresse
liegt tiefer. Es ist das der Vernunft, welche aus den natürlichen
Gesetzen selbst der leblosen oder instinctmäßigen
Natur auf ihr inneres Wesen schließt. Sie ist, wie überhaupt
die Allegorie, weniger ein Gleichniß zur Erläuterung
der Wahrheit, als die sinnliche Seite der Wahrheit,
so wie die ganze Natur, eine sichtbare Evolution des Schöpfergeistes
ist. Am nächsten ist, in Bestimmung des Wesens
der Fabel, und der Allegorie im Allgemeinen der
Sache Herder gekommen, so weit man ohne eine vollständige
Theorie der Poetik und eine rationale Psychologie
nur kommen kann. Aus diesem allen erhellt, daß die Fabel
älter sey, als Aesop (wenn nicht Aesop selbst nur eine
allegorische Person ist, wie nach seinen Biographieen vielleicht
Homer). Wenigstens meynen dies Luther und andere.
Lockmann, Bidpai, wiewohl auch entstellt, zeigen den morgenländischen
Ursprung der Fabel. Sie hängt mit der
alten Mythologie, mit der allegorischen Sprache, mit den
Hieroglyphen, welche so oft die Thiere zur Darstellung der
Wahrheit gebrauchten, nothwendig zusammen. Sie ist eine
Belebung der todten Natur, eine Prosopopöe, sie giebt
den Thieren als Jnstinctwesen eine freye, moralische Natur.
Sie ist also rein poetisch. Es ist ein Mißgriff zu dem
schon die Griechen Anlaß geben, wenn man die Fabel
für ein ursprünglich rhetoretisches Product hält, das |#f0283 : 759|

nachher von der Poesie durch den Styl poetische Einkleidung
bekommen soll. Alsdann wäre freylich die poetische
Fabel ein didaktisches Gedicht, wenn sie den Zweck hätte
zu lehren. Die Fabel will aber nur gefallen als eine
Ansicht von der Harmonie der Welt im Kleinen. Daß Menenius
Agrippa die Römer durch eine Fabel überzeugt; beweist
nicht die Macht der Beredsamkeit, sondern der Poesie,
welcher die Beredsamkeit klüglich ihre Kunstgriffe ablernt.
Aristoteles handelt von der Fabel in seiner Rhetorik unter
dem Nahmen λογος. Die Fabeln des Stesichorus und Aesop,
die er anführt, sind politisch und rhetorisch. Allerdings
hört der Mensch leichter auf Wahrheiten, die ihm unangenehm
sind; wenn man sie symbolisch vorträgt. Deshalb
mögen die Redner, (welche ein Witzling nach des Aristoteles
Erzählung mit Ammen vergleicht, die das Muß den Kindern
voressen und mit ihrem Speichel versetzen,) die Fabel
von den Dichtern entlehnt haben. Socrates, der zufolge
eines göttlichen Traums, Aesops Fabeln in Verse brachte,
mußte vielleicht für dieses von Rednern und Philosophen an
der Poesie begangene Plagium büßen. Wenn wir übrigens
es zum wesentlichen der Fabel rechnen, daß das
Sinnbild aus der nichtmoralischen Welt genommen
seyn muß, so schließen wir freylich die moralischen Erzählungen
oder die Beyspiele, und die Parabeln,
allegorische Geschichten aus der Menschenwelt aus. Grössere
moralische Erzählungen, wie die des Marmontel, gehören
zum Roman. Die kleinern Erzählungen, Beyspiele
aus der Menschenwelt, kann man, wenn man minder streng |#f0284 : 760|

seyn will, zur Fabel rechnen, weil alle Fabeldichter, Lafontaine,
Gellert, Hagedorn sie mit den eigentlichen Fabeln
verbunden haben. Will man aber streng theoretisch verfahren,
so muß man die moralischen Parabeln und Erzählungen
von der Fabel unterscheiden und zu den eigentlichen
allegorischen
Gedichten niederer Gattung rechnen.
Denn jedes Beyspiel ist im Grunde Versinnlichung
eines allgemeinen Erfahrungssatzes. Jedes individuelle ist
Allegorie von etwas Abstrakten. Ueberdem enthalten
die eigentlichen Parabeln mehr wie das Beyspiel.
Das Beyspiel ist ein Fall in concreto. Die Parabel
ist ein ähnlicher Fall als Allegorie von einem andern
ähnlichen Falle, z. B. Lessings Parabel von dem Pallast
und den Grundrissen. Daß indeß der Mensch in einer
allegorischen Erzählung vorkommt, wo die nicht moralische
Welt zur Grundlage des Ganzen dient, verwandelt die Fabel
noch nicht in Parabel. Denn der Mensch wird alsdann
auch in abstracto als Thier betrachtet. Z. B. in
der Fabel, die Aristoteles anführt, vom Hirsch und Pferd.
Eben dies gilt von Satyrn, Faunen u. s. w. ─ So viel
von dem objektiven Jnhalt der Fabel. Was insbesondere
den Plan betrifft, so wird dieser durch die Natur der
Erzählung bestimmt. Denn gewöhnlich läßt der Fabeldichter
die nichtmoralischen Wesen handeln, weil eine
praktische Wahrheit anschaulich gemacht werden soll.
Jndeß gehn viele Theoretiker zu weit, wenn sie in der Fabel
nothwendig eine wirkliche Handlung suchen.
Oft ist sie Erzählung von einer Begebenheit, die nicht |#f0285 : 761|

nach allen Regeln der poetischen Handlung zusammenhängt.
Zuweilen nur eine Bemerkung irgend eines Phänomens
der Naturwelt, ein Dialog zwischen zwey Thieren u. s. w.
Die Lehre muß in der Fabel nicht vergessen werden, sonst
bekommt sie die Natur des Räthsels. Sie kann voraus geschickt
werden. Dieß vermehrt zuweilen das Jnteresse der
Erzählung, weil der Zuhörer desto leichter die Anwendung
macht, sie kann folgen, welches die Aufmerksamkeit mehr
spannt. Sie kann den handelnden Wesen in den Mund gelegt
werden. Es braucht nicht allemal eine wirkliche Moral,
es kann eine Klugheitsregel, eine psychologische Beobachtung,
nur muß sie merkwürdig seyn. Nicht immer wird
sie, wie in der alten äsopischen Fabel, ohne alle Einkleidung,
schlicht hingesagt. Zuweilen ist sie in einen neuen individuellen
Fall eingehüllt, und die Fabel ist alsdann, wie
manche Lessingische, zusammengesetzt, besteht aus
Bild und Gegenbild. Das letztere muß aber deutlicher
sich auf den Sinn beziehn, als das erste.


Anmerk. 2. Der ästhetische Jnhalt der Fabel,
die herrschende Hauptempfindung ist das naive. Denn
die instinctmäßige Natur erscheint hier im Selbstbewußtseyn
ihrer Jdealität. Die nicht moralische
Welt zeigt sich handelnd nach geistigen Gesetzen. Dies giebt
ästhetisch betrachtet die Empfindung des Naiven. Nächstdem,
weil in der Fabel das Wunderbare bis zur Bizarrerie
getrieben wird, wird die Empfindung des Scherzhaften
am häufigsten erweckt werden, nicht selten auch |#f0286 : 762|

das satyrische Gefühl, wegen der menschlichen Schwächen,
die unter der thierischen Gestalt gegeisselt werden.
Zuweilen nähert sich auch die Fabel dem höhern Schönen.
Einige Fabeln Lessings sind rührend, z. B. vom Lamm
und der Juno, die des Babrias Αηδων και χελιδων ebenfalls.
Lafontaine erhebt sich nicht selten mit Einbildungskraft
und Gefühl, wiewol er im Ganzen genommen mehr
Naivität und Grazie zeigt. Durch den ästhetischen
Jnhalt wird auch der Styl der Fabel bestimmt. Von dem
Styl der Fabel kann man drey Gattungen annehmen, den
ganz einfachen der Griechen, den Lafontainischen
geselligen Weltton, den epigrammatischen Styl Lessings.
Das Centrum des durch diese drey Punkte bestimmten
Zirkels ist von wenigen Fabeldichtern getroffen. Das
beste Muster giebt uns Babrias in den paar griechischen
Fabeln, die wir noch haben. Sein Styl ist einfach, edel,
naiv. Einfach muß der Styl der Fabel seyn, weil der
Gegenstand, wegen seiner praktischen Tendenz eine gewisse
Würde hat, und das Ganze leicht durchschaut werden muß,
wie jede nüchterne Lebensphilosophie. Lafontaine versteigt
sich zuweilen, wiewol im Scherz, in die Regionen
der Metaphysik, z. B. der Cartesischen. Hier geht er freylich
über die Sphäre der eigentlichen Fabel hinaus; und
sein Styl wird dann minder einfach: Wenn er die Parthey
der Thiere nimmt, und eine gewisse geistige Natur derselben
behauptet, so ist seine Philosophie allerdings der Theorie der
Fabel gemäß. Doch ist das mehr Reflexion über die Fabel,
als eigentliche Fabelpoesie. Die Lafontainische Fabel ist |#f0287 : 763|

Poesie der Cultur, die der Griechen Natur. Auch hier
zeigt sich die Wahrheit der Bemerkung, welche sich durch
das ganze Feld der Dichtkunst machen läßt, daß die neuere
Poesie sich mehr auf Reflexion, als auf Naturnachahmung
gründet. Uebrigens wär es pedantisch, wenn
man wegen der Einfachheit alle Munterkeit (Lepidezza
nach Bertola), interessante selbst müssige Züge verbannen
wollte. Edel muß der Styl der Fabel seyn, damit sich
auch in kleinen Gegenständen die Würde der Kunst behaupte.
Die Lafontainischen Scherze, die Titel, die er den Thieren
giebt maitre, capitaine u. s. w. sind in seiner Sprache
nicht unedel. Lafontaine hat den höhern Weltton getroffen.
Die deutschen Fabeldichter Gellert, Hagedorn fehlen
oft wider den edeln Styl. Jhre Natürlichkeit, ihr Scherz,
gränzt zuweilen ans Platte. Dagegen ist der Styl des
Phaedrus, den Desbillons und andere nachahmten, wieder
zu geziert, zu sehr voll Ansprüche, um ganz edel zu
seyn. Ueberhaupt zweifelt man an der Aechtheit des Werks
wegen seiner Latinität. ─ Naiv muß endlich der Styl
der Fabel seyn, weil man sich ein Publikum von großen
und kleinen Kindern denkt, welche man durch Mährchen
unterhalten, unterrichten will. Eine gewisse Treuherzigkeit
bey Erzählung dieser wunderbaren Dinge, thut die beste
Wirkung. Bey den Alten ist sie natürlich, bey Lafontaine
ist diese Treuherzigkeit, diese Naivität schon mehr schalkhaft.
Jn den Fabeln aus den Zeiten der Minnesinger ist
viel Naivität. Auch trägt hierzu die alte Sprache sehr bey.
Da der Styl der griechischen äsopischen Fabeln zu einfach |#f0288 : 764|

war, um dichterisch zu seyn, da der Styl des Lafontaine
zu galant und geschwätzig war, um immer edel
zu seyn, so suchte Lessing einen Mittelweg. Er kehrte
zur Kürze der Alten zurück, verschmähte die tändelnde,
oft nur sogenannte poetische Einkleidung, die ambitiosa
et otiosa ornamenta
, allein er suchte der Fabel durch neue
sinnreiche Wendung und durch einen edlern Styl ästhetische
Würde zu geben. Oft ist der Styl der Lessingischen Fabel
so musterhaft, wie der Styl des Babrias. Aber zuweilen
wird er epigrammatischer, als es sich mit der Naivität
verträgt. ─ Das Metrum der Fabel darf sich nicht
sehr über den rhytmischen Gang der Prosa erheben. Denn
die Fabel nähert sich dem Ton der geselligen Unterhaltung.
Hendecasyllaben, Choliamben (wie Babrias), Jamben mit
und ohne Reim, kleine madrigalische Strophen (wie Jtalienische
Fabeldichter sie gebraucht haben) passen am besten.
Lessings Prosa hinwiederum ist poetisch und lebhaft genug,
um sich von der Sprache des gemeinen Lebens zu unterscheiden.
─ Uebrigens kömmt die Fabel unter mancherley
Formen und Nahmen vor. Die Alten (nach Aristoteles)
unterscheiden die Aesopische Fabel, wo Thiere, libische,
wo Menschen auftreten, (λογοι αισωπειοι λιβυκοι).
Es gab Sybaritische, Aegyptische u. s. w. vom Nahmen
der Erfinder. Apologen hießen mehr die rednerischen
allegorischen Beyspiele, welche die Menge belehren
sollten. (λογος απο λογου). Μυθοι hießen die poetischen
Erfindungen jeder Art. Hesiodus erzählt eine Fabel
und nennt sie αἰνος grauis admonitio. Jm Plato, |#f0289 : 765|

in der Sammlung der griechischen Aesopischen Fabeln steht
abwechselnd λογος und μυθος. ─ Die Neuern scheinen
unter Apologen Fabeln und Erzählungen zusammen zu begreifen,
z. B. Pfeffel in seiner ersten sehr schönen Fabel:
„Ein Sträußermädchen von Athen u. s. w. So, Leser,
denk auch ich von meinen Apologen.“ ─ Es giebt dialogisirte
Fabeln, es giebt einen ganzen Fabelroman. Den
bekannten Reinecke Fuchs, wahrscheinlich französischen Ursprungs
aus den Zeiten der Fabliaux. Ja der Fuchs stand
im Mittelalter bey dem französischem Volk so sehr in Ansehn,
daß man sogar allegorische Geschichten von ihm auf die Bühne
gebracht haben soll. Sonach hätte man auch Fabeln
in Schauspielform aufzuweisen.


§. 3.


C) Das Räthsel ist die kurze allegorische
Umschreibung eines Gegenstandes, die in der Absicht
gegeben wird, daß man selbigen aus den angeführten
symbolischen Eigenschaften errathe.


Anmerk. Das Räthsel verhält sich zu den übrigen
Gattungen der allegorischen Poesie, wie das Epigramm
zur didaktischen. Wie jenes muß es kurz
nnd niedlich seyn, wie jenes ist es mehr ein Spiel des
Witzes, als der höhern Geistesanlagen. Das Räthsel
interessirt zwar auch die Vernunft, als Vermögen zu
schließen. Aber nur durch scherzhafte Aehnlichkeiten. Die
Umschreibung im Räthsel gehört zur allegorischen Poesie |#f0290 : 766|

, nicht zur beschreibenden. Denn es werden nicht
die wirklichen Eigenschasten des verschwiegenen Gegenstandes
angegeben, wie bey einer Beschreibung, sondern symbolische.
Die Erde heißt ein Haus mit einem kristallnen
Dache. Der Regenbogen eine Brücke u. s. w. Ein Räthsel,
das ein Gedicht seyn soll, muß aber solche Bilder und
Jdeen in uns erwecken, die wahrhaft ästhetisch sind, und
das Gefühl des höhern oder niedern Schönen reizen. Auch
muß ein vollkommner Plan, eine Totalität im Kleinen darinnen
anzutreffen seyn. Die Gedanken müssen einen witzigen,
wenigstens scherzhaften Zusammenhang haben. Es
muß eine Einheit des Gedankens, wenigstens des Wortes
darinnen herrschen, dessen einzelne Sylben und Buchstaben
nach neuen Zusammensetzungen, oder dessen verschiedene Bedeutungen
beschrieben werden. Der ästhetische Jnhalt
des Räthsels ist das niedliche. Das Räthsel stellt im
Kleinen eine Totalität dar. Doch giebt es auch Räthsel,
die eine Empfindung des höhern Schönen erwecken, z. B.
das Räthsel des Sfinx, das Oedipus errieth, das Räthsel
vom Schlaf, vom Schatten im Athenäus, die meisten
Räthsel von Schiller. Styl und Metrum muß epigrammatisch
seyn. Es giebt mehrere Arten von Räthsel.
Z. B. Charaden, wo die einzelnen Sylben eines
Worts beschrieben oder anders zusammengesetzt werden, Logogryphen,
Anagrammen, wo dies mit einzelnen Buchstaben
geschieht, welche man umkehrt, hinwegdenkt oder
vorsetzt. Auch hier muß der Stoff poetisch epigrammatisch
seyn. Z. B. Amor, Roma. Dies verstehn die Franzosen |#f0291 : 767|

am besten. Z. B. diene nur der Schluß eines Logogryphe
von rosée si vous otez toutes les deux (r und e ersten
und letzten Buchstaben) je suis un mot fort précieux,
qu'à l'amant, que a sçu lui plaire, l'amante ne dicte,
que des yeux
. ─ Gewissermaßen kann man hierher
auch andre Spielereyen der Dichter rechnen, wenn Anfangsbuchstaben
von Worten oder Versen einen besondern Sinn
haben, wenn die Verse hingeschrieben eine Figur bilden,
eine Künsteley, welche man bey den Alten findet. Z. B.
Syrinx Theocriti, Ara, securis, Alae von Simmias
Rhodius. Das πτερυγιον (das Räthsel auf den Amor)
ist ein erhabenes Gedicht. Die Räthsel sind von jeher in
Ansehn gewesen. Bey den alten Völkern waren die Orakelsprüche
oft Räthsel. Homer, fabelt man, soll aus Gram
über ein unauflösliches Räthsel gestorben seyn. Die Hirten
in den Jdyllen der Alten geben sich Räthsel auf. Ein Räthsel
war das Unglück Thebens und der Familie des Lajus.
Bey den Griechen gab man sich Räthsel auf unter Androhung
gesellschaftlicher Strafen, im Fall sie nicht aufgelöst
werden konnten. Die Dichter gaben sich Räthsel in Versen,
und lösten sie auf in demselben Sylbenmaße, z. B.
Sappho beym Athenäus. Oft war die Auflösung gleich
mit dem Räthsel in einem Gedichte verbunden. Clearch hat
ein ganzes Buch über die Räthsel geschrieben. Er nimmt,
wie Athenäus sagt, sieben Gattungen an. Daß die Alten
auch Charaden und Logogryphen hatten, sieht man aus dem
Athenäus X. 17. Gryphus hieß bey ihnen eine verfängliche
und zweydeutige Aufgabe. αινιγμα eine dunkle allegorische |#f0292 : 768|

Andeutung. Aus dem Plutarch sehn wir, daß diese Räthsel
auch die Form des Scolions hatten. ─ Jndeß hat
beym Athenäus Räthsel eine zu weite Bedeutung. Jede
scherzhafte Aufgabe in der Gesellschaft, jede Art Pfänderspiel
hat bey ihm diesen Nahmen. Z. B. sagen, welche
Stadt in Asien, welcher Vers im Homer mit einem gewissen
Buchstaben anfängt. Man hatte ganze logogryphische
Dramen, wo Buchstaben die Personen waren. Selbst Sophocles
soll in einem Satyrischen Drama ein Buchstabenballet
aufgeführt haben, vielleicht etwas ähnliches, wie das Ballet
zu Ehren des Königs Stanislaus, welches Sulzer unter
dem Wort Anagramma anführt, wo Jünglinge mit Schilden
tanzten, auf denen gewisse Buchstaben von Gold geschrieben
waren. Pindar hat eine Ode ohne sigma gedichtet,
als Auflösung einer scherzhaften räthselhaften Aufgabe.
─ Euripides beschreibt den Nahmen Theseus, indem er
räthselhaft die Gestalt der Buchstaben von einem Landmann
beschreiben läßt. Mehrere in der Geschichte berühmte politische
Räthsel führt Athenäus an. Heutzutage glücken den
Dichtern die Räthsel am besten, und sie werden auch am
meisten geliebt, weil man sich gern mit der Poesie kurz abfindet.
Dies zeigt einen überwiegenden Haug zum niedlichen
,
andern Theils aber auch zum allegorischen und mystischen
an, wie in jedem philosophischen Zeitalter. Daß die
Räthsel der Philosophie verwandt sind, bemerkt schon
Clearch, beym Athenäus. Wer nicht bessere Nachrichten
hat, möchte aus der jetzigen Räthselsucht beynah das Ende
aller Poesie prophezeihn. Denn das System der Poetik |#f0293 : 769|

schließt mit dem Räthsel. Sie hat den poetisirenden
menschlichen Geist durch alle Kreisgänge seiner Organisation
verfolgt, die Hauptpole für die beschriebenen Kreise gefunden,
und trifft in der kleinsten letzten Windung jener
großen Spirallinie, in dem Räthsel, wie sichs für
eine Organisation gehört, das vollkommene Bild des
Ganzen wieder an. Denn die Poesie im Ganzen, als
die geistige Schöpfung, ist, gleich der materiellen Natur,
ein Räthsel, dessen Schlüssel der Geist in sich selber
trägt.

|#f0294 : E770|
[Abbildung]


Allgemeine Schlußanmerkung.


Kriterien der alten und neuen Poesie als Grundlinien
zu einer kritischen Geschichte der Dichtkunst.


Wenn die Poetik sich zur vollkommenen Theorie ausbilden
sollte, wozu dies Buch die ersten Grundsätze als Hypothesen
a priori enthält, so müßte die Geschichte der
Poesie nach ihren bestimmten Perioden eben so sicher daraus
folgen, wie der letzte Satz im dreyzehnten Buch des Euklides
aus allen vorhergehenden. Gegenwärtiger Versuch enthält
nur die Grundidee des Ganzen, und bescheidet sich gern
noch einer scharfbestimmten Terminologie und Politur
im Einzelnen zu bedürfen, welche vielleicht Männern von
beharrlicherem philosophischen Nachdenken und größerer Gelehrsamkeit,
als der Verfasser besitzt, aufbehalten ist. Daher
können auch hier nur einige Bemerkungen mitgetheilt
werden, wie die Geschichte der Poesie bearbeitet werden
müsse.


Jedes Volk hat seine Nazionalpoesie, die nach Willkühr
zu sinken und zu steigen scheint. Jndeß muß eine Universalgeschichte
der Poesie möglich seyn, weil sich der menschliche |#f0295 : 771|

Geist psychologisch betrachtet, nach Grundsätzen entwickelt.
Nun giebt es, wie wir gesehn haben, eine göttliche
Poesie,
durch welche gewisse Völker als Repräsentanten
der ganzen Menschheit ausgezeichnet, und Perioden
einer idealen Weltgeschichte dargestellt werden.
Diese, welche die Menschheit durch alle Zeiträume ihrer Erziehung
begleitet, wird auch die verschiedenen Epochen der
menschlichen Poesie andeuten. Wenn wir die Religionsgeschichte
zu Rathe ziehn, (s. oben) finden wir den Menschen
in drey verschiedenen auf einander folgenden idealen Zuständen
aufgeführt, welche bey einzelnen Völkern eben so, wie
im Ganzen statt haben müssen. Zuerst macht der Mensch
einen Theil der instinctmäßigen Natur aus, und erscheint
ohne allen Gebrauch der Freyheit. Denken wir uns denselben
als das edelste Thier, insofern er sich noch nicht von
der Natur getrennt hat, so ist auch noch keine Kunst möglich.
Er besitzt blos Kunsttriebe, wie die Biene und
der Biber. Sein Leben ist Poesie, wie die ganze Natur
um ihn her Poesie ist. Aber er selbst ist sich noch nicht der
poetischen Kraft seines Geistes bewußt. Er selbst und
alles, was er treibt, ist ein Kunstwerk der Natur. Seine
Sprache kann sich zum Gesang erheben, aber mit eben
so wenig Bewußtseyn, bestimmter Objektivität und Fortdauer,
wie wir in dem Gesange einer Nachtigall voraussetzen.
An Tradition, und schriftliche Aufbewahrung der
Gedichte ist hier nicht zu denken. Augenblickliche Stimmung
macht den Dichter, die Wälder der Einöde horchen
ihm, die ganze Natur nimmt Theil an seinem Gesang. Dies |#f0296 : 772|

ist das Zeitalter, welches die poetische Geschichte späterer
Tage so reizend zu schildern weiß, wo Daphnis der Jdyllendichter,
wo Silen, Orpheus und andre Helden der
Fabel gesungen haben sollen. Buchstäbliche Aufbewahrung
dieser Gesänge ist nicht denkbar. Giebt es in einer solchen
Periode vor Erfindung der Buchstabenschrift Tradition,
so ist diese nur als eine fortwährend sich ausbildende
Poesie anzusehn, vermöge welcher der jüngere Dichter durch
das Beyspiel des ältern angefeuert, den Jnhalt gewisser
Volksgesänge auf eine neue Art darstellt. Wenn also erst
mit Verbreitung der Buchstabenschrift, der Gedanke objektivisirt
in einen Begriff verwandelt, fixirt wird, so ist in
dem ersten poetischen Zeitalter einer Nazion weder ein
Homer, noch ein Ossian, möglich. Der wahre Ossian
mag allerdings anders gedichtet haben, als das ist, was
Makpherson von ihm gedichtet hat, dem man bey aller
originellen Simplicität, doch so manche nachgeahmte Stelle
aus Homer, Aeschylus, Milton u. s. w. nachweisen kann.
Dies erhellt ans dem Jrrischen Fragmente, und selbst das,
was man in der Ursprache von Ossian aufzeigt, ist gewiß
durch die Tradition nachfolgender Barden, entstellt. Die
Gedichte, die wir unter dem Nahmen Homers haben, können
in dieser Gestalt wohl schwerlich vor Erfindung und Gebrauch
der Buchstabenschrift vorhanden gewesen seyn. Homers Metrum
und Beschreibungen sind in jeder Rücksicht so genau, so
objektiv bestimmt, daß man die Einwirkung der Schriftsprache
auf seinen Geist nicht verkennen kann. Jede Vollendung
und Ründung des Gedankens ist erst dann denkbar, |#f0297 : 773|

wenn der Mensch anfängt, außer sich durch bleibende
sichtbare
Zeichen darzustellen. Eben so wenig würden
wir die ächten feurigen Naturgesänge der alten Barden haben,
wenn auch Carls des Großen Sammlung der Bardenlieder
noch vorhanden wäre. Der zweyte Zustand,
in welchem wir den Menschen finden, ist der, welcher mit
einer gewaltsamen Trennung desselben von der übrigen Natur
beginnt. An die Stelle des Naturtriebes tritt eine gewisse
Ahnung von Freyheit, statt natürlichen Eigenschaften
erschafft sich der Mensch Convenzionen und Sitten. Die
Erkenntniß, welche vorher höchstens symbolisch in der Hieroglyphe
vorhanden war, wird in abstrakten Begriffen dargestellt,
und durch die Schriftsprache allgemein objektivisirt.
Erst in diesem zweyten Zeitalter, in dem Zeitalter der
Cultur beginnt die wahre Poesie, als eine Kunst.
Der Mensch stellt sich nun der Natur gegenüber und sucht
ihr ähnliche Wirkungen hervorzubringen. Weil er aber dem
Naturstande immer noch ziemlich nahe ist, weil er sich
durch die Cultur in einem minder glücklichen Zustande befindet,
als er in den Zeiten der Rohheit war, so träumt
er sich in den Naturzustand zurück, schmückt denselben
durch Fabeln aus, und stellt die sichtbaren äußern Naturgegenstände
mit Auffassung aller Züge ihres individuellen Lebens,
ja sich selbst und seine Götter nur als Naturwesen in
einem idealen Lichte dar. Dies ist der Charakter der
alten Poesie, wie sich dieselbe bey den Griechen im Original,
bey den Römern in der Kopie fand. Es ist nun
auch sehr erklärbar, warum der scharfsinnige Aristoteles das |#f0298 : 774|

Prinzip der Poesie (nämlich der Alten, die er beobachtete)
in die Nachahmung setzte. Ungeachtet der Mensch
schon idealisirte, war er sich doch dessen nicht so sehr
bewußt, weil seine Sehnsucht nach der Natur, ihm den verlornen
Naturstand schöner vorstellte, als er gewesen seyn
mochte. Zweytens weil die Wirklichkeit selbst noch
nicht so schlecht war. Jn diesem Zeitpunkte sammelte ein
Homer die Traditionen, welche jeden Helden der Vorzeit
schon nach und nach idealisirt hatten, und stellte den Menschen
als Naturwesen mit großen aber edeln Leidenschaften
dar. Jhm folgte Aeschylus, Sophocles und andre. Die
Verbreitung der Buchstabenschrift, die städtische Schaubühne
welche die Poesie concentrirte, gaben dem poetischen Gedanken
mehr Ründung und objektive Vollkommenheit. Ungeachtet
durch die Staatsverhältnisse die Menschen zusammengedrängt
und an einander gerieben wurden, so daß wohl
zuweilen ein außerordentlicher Charakter, wie die Antigone
des Sophocles, eine Erscheinung aus der Vernunftwelt,
gesehn wurde, so behielt doch auch die dramatische Poesie
der Griechen den Homerischen Sinn für die Schilderung der
individuellen lebendigen Natur. Eben dieser Sinn zeigte
sich in der lyrischen Poesie, und der Theokritischen Jdylle.
Der dritte Zustand endlich, in welchem der Mensch
aus einem idealen Standpunkte betrachtet, gefunden wird,
beginnt mit einer höhern Offenbarung. Die Sitten
sind auf dem höchsten Grad der Verderbtheit, die Wirklichkeit
ist so tief gesunken, daß der Geist alles Jnteresse am
Leben verliehrt, das Glück ist aus den Herzen gewichen, |#f0299 : 775|

und die Sinnlichkeit hat Ekel am Genusse. Da erwacht ein
inneres Licht im Menschen, und zeigt ihm eine höhere
göttliche allgemeine Bestimmung. Der Mensch wird auf
den Himmel verwiesen, der Sorge für das irdische Glück,
das ohnedieß ein unvollendetes Gebäude bleibt, entladen.
Von nun an muß die Poesie einen andern Charakter bekommen.
Dies geschah mit Verbreitung des Christenthums.
Mit dem Christenthum beginnt die neue Poesie. Durch
das Christenthum verlernte es der Mensch, die Lebendigkeit
des natürlichen individuellen Daseyns, als den höchsten
Zweck anzusehn. Er ward zu hochgesinnt, alle Jdealität
in der äußern objektiven sichtbaren Natur zu suchen.
Er kehrte den Blick nach Jnnen, wo sich ihm ein neuer
bisher unbekannter Quell geistigen unsichtbaren Lebens öffnete.
Wenn der Schatten des Achills in der Odyssee lieber
auf Erden der Knecht eines Bauers seyn wollte, als in der
Unterwelt ein König, so dachte sich der Christ dagegen nichts
herrlicheres als im Himmel ein Königthum. Er verlor also
die bestimmten Conture der Dinge aus den Augen. Das
Prinzip der Poesie war nicht mehr Nachahmung einer
vergangenen Naturwirklichkeit, wie zu den Zeiten des
Aristoteles, sondern Darstellung einer idealenkünstlichen
unsichtbaren
Welt. Daher will schon Vida
einen Dichter erziehn, während Horaz ihn nur bilden
wollte. Wie die alte Poesie, (die griechische oder
mythologische) nicht die Gegenwart schilderte, sondern den
Blick um eine ganze Epoche rückwärts in einen Naturstand
äußerlich idealer Gestalten warf, eben so zeigt die neue, |#f0300 : 776|

(christliche philosophische) Poesie, welche auf dem Standpunkt
der Offenbarung steht, keineswegs den Menschen,
wie er itzt seyn sollte, erleuchtet von der Religion ─ sondern
sie wirft den Blick um eine ganze Epoche rückwärts in
den Zustand der Cultur, und schildert uns die Welt unter
der Herrschaft der Sitten und Convenzionen. Die alte
Poesie schilderte die sichtbare und individuelle Natur,
weil sie dieselbe für das Jdeal des Daseyns hielt; sie
blickte rückwärts, weil sie ihr Jdeal hinter sich in einer kräftigeren
Vorwelt suchte. Die neue Poesie schildert den
convenzionellen cultivirten Zustand, nicht weil dieser
ihr Jdeal ist, nicht weil sie ihr Jdeal rückwärts sucht,
sondern weil ihr der Naturzustand zu wenig, dagegen der
Zustand der Cultur der einzige Weg ist, durch welchen der
Mensch zum höhern Jdeal, welches vorwärts liegt, gelangen
kann. Die alte Poesie nahm eine Richtung,
welche den Menschen beruhigen mußte, sie zeigte die äussere
Gestalt der Natur, welche immer harmonisch ist.
Selbst wenn sie, wie in der Tragödie, den Menschen im
Unglück darstellte, verwies sie ihn auf die grausend schöne
Jdee des Fatums, und hingestützt auf Grazien und Musen
empfing er, wie Schiller sagt, den Pfeil mit freundlich
dargebotner Brust vom sanften Bogen der Nothwendigkeit.
Er fand seine schönste Bestimmung darinnen der Natur
als integrirender Theil anzugehören, er fühlte ihre Schönheit,
und liebte sie, selbst wenn er vom geheimnißvollen
Gang ihres Schicksals niedergetreten ward. Die neue
Poesie nimmt eine Richtung, welche die Absicht hat, den |#f0301 : 777|

Menschen eher zu empören als zu beruhigen. Sie will
ihn von der sichtbaren Natur entfernt halten. Sie will alle
Bande, die ihn an sie knüpfen zerreißen, damit er sich einer
höhern idealen Natur, die in ihm selbst ist, in die Arme
werfe. Die neuere Poesie bringt also nicht Harmonie,
sondern Contraste hervor, um aus diesen Contrasten
eine höhere Harmonie einst hervorgehn zu lassen. Darum
stellt sie gern das gestaltlose Zeitalter der Cultur dar,
weil sich der Mensch in demselben mit sich selbst, mit seiner
Sinnlichkeit in Entzweyung befindet, weil er darinnen
kämpft, um das religiöse Prinzip zu erringen. Darum
zeigt sie den Menschen immer auf der einen Seite in der
tiefsten Verderbniß und Erniedrigung, auf der andern als
ein Wesen, das auf eine gottähnliche Jdealität Anspruch zu
machen hat. Die alte Poesie beginnt mit dem naiven,
weil sie nur allein die Jdealität der instinctmäßigen
Natur fühlt. Alle übrigen Empfindungen des niedern
und höhern Schönen modifiziren sich nach jener herrschenden
Hauptempfindung. Jn den Helden der Alten findet
man, wie wir oben aus Beyspielen ersehn haben, Naivität
mit Hoheit verbunden, Naivität in der Heftigkeit
u. s. w. Das höhere Schöne ist nie ganz getrennt von dem
niedern Schönen. Die alten Dichter sind des Großen,
Starken, Heftigen, Hohen fähig. Nur das himmlisch
erhabene,
wie schon von uns bemerkt worden ist, fehlt
ihnen ganz und muß ihnen fehlen, weil die Alten die unsichtbare
Welt des Geistes, und ihre Harmonie mit der
Natur, nach geschehener Trennung von der Natur nicht |#f0302 : 778|

kannten. ─ So zeigt sich die alte Poesie zuerst im Homer,
welcher als der erste Dichter, und die Quelle derselben angesehn
werden kann. Die neue Poesie beginnt mit der
Allegorie. Denn ihre Epoche hat den Dante an der
Spitze. Den Charakter der Naivität, der individuellen
Lebendigkeit hat sie nicht, weil die Zweydeutigkeit der
Allegorie sich nicht mit Naivität verträgt. Dagegen
zeigt sie alle Grade des rührenden Schönen. Geist und
Natur sind in der größten Trennung. Das heftige, das
starke, das große, das schauderhafte ist geschildert, ohne
Beymischung des niedern Schönen. Darum entsteht
auch, wenn die Trennung aufgehoben wird, das himmlisch
Erhabene.
Uebrigens hat die neue Poesie eine
sehr alte Quelle, das größte Meisterwerk des Geistes, die
Bibel. Homer hatte zwar auch Fabeln und Mythologie,
die er nur zu sammeln brauchte. Allein die höchste Form
der Schönheit mußte er selbst zu seinem Stoffe hinzuthun.
Die neue Poesie hingegen hatte die göttliche Poesie
zur Quelle, zum Muster, da die Bibel von der Genesis
an bis zur Offenbarung Johannis ein großes poetisches Ganzes
ist, das die ideale Weltgeschichte vom Anfang bis zum
Ende der Zeit in sich begreift. Durch die Bibel steht die
neue Poesie in Verbindung mit dem Kunstgeschmack der
ältesten Völkerschaften des Orients. Die Tendenz der
neuen Poesie ist also vielleicht eben so alt, als die Tendenz
der alten. Denn dieser Contrast eines innern geistigen
Jdeals und der äußerlich erniedrigten Menschheit,
die Verbindung des kühnsten Gedankens mit den gemeinsten |#f0303 : 779|

Ausdrücken des Lebens, eine erhabene Ansicht des Weltgebäudes,
der tiefe philosophische Blick in die grausende Nacht
eines gestaltlosen Geisterreichs, alles das, was in der
neuen Poesie oft nur Nachahmung ist, findet sich bey den
hebräischen Dichtern ursprünglich. Allein vor Ausbreitung
des Christenthums war die göttliche Poesie ein Nationalgeheimniß
der Juden. Sie konnte deshalb auf die menschliche
Dichtkunst keinen Einfluß haben. Erst als die Wissenschaften
wieder auflebten, und die christliche Religion mit
ihren wohlthätigen Jdeen die barbarischen Völker kultivirt
hatte, wurde die Stimmung, welche die Bibel aus dem
Orient ins Abendland verpflanzte, Veranlassung, nach ihr eine
neue Poesie zu bilden. Diese heißt also mit Recht die
Neue. Dagegen die griechische Poesie mit Recht die
Alte. Denn vor dem Christenthum war sie diejenige,
welche in der damals gebildeten Welt den Ton angab. Auch
ist der griechische Geschmack an dem naiv schönen
nothwendig eher, älter, wird bey den Menschen, im Durchschnitt
genommen, eher ausgebildet, als das Gefühl des
geistig schönen, wie dieses aus den oben festgestellten
Grundsätzen bewiesen ist. Daß übrigens die neue Poesie
von der Religion ihre Bildung erhalten hat, läßt sich leicht
darthun. Dante schuf eine christliche Mythologie,
Milton, Ariost, Tasso folgten ihm auf neuen Wegen.
Durch die Troubadours ward Petrark gebildet. Shakespear
ergriff den innersten Geist des Lebens. Allein war nicht die
romantische und zugleich philosophische Stimmung des
Zeitalters, welches alle jene Originaldichter aufzog, ein |#f0304 : 780|

Werk des Christenthums, dessen mystisches Licht sich mit der
Nacht der gothischen Barbarey vereinigte, um wunderbare,
für die alte griechische Welt unerhörte poetische Gestalten
hervorzubringen? Das reine Christenthum an sich betrachtet,
hat eine einfache Tendenz und ist den mährchenhaften
Erfindungen der Poesie abhold. Durch die höhere Andacht,
welche die Anbetung Christi erweckt, soll das Leben
selbst in Poesie, und die Lebensart des Menschen in
eine religiöse Jdylle verwandelt werden. Der Mensch,
den sich die griechische Poesie in der rückwärts liegenden Fabelwelt,
als ein vollkommnes Naturwesen dachte, soll
durch das Christenthum einem zweyten höhern Naturstande
entgegengeführt werden, welcher der Himmel heißt, wo die
Reflexion, die Entzweyung aufhört, und an die Stelle des
individuellen Naturinstincts, der allgemeine Vernunftinstinct
der Liebe tritt. Wäre diese Poesie des Lebens völlig
zu realisiren, so würde die objektive Poesie, die blos
in der Gedankenwelt statt hat, aufhören müssen. Sie würde
eben so wenig, wie zu den fabelhaften Zeiten des Orpheus
denkbar seyn. ─ Da nun aber die Wirklichkeit den
Jdealen des Christenthums widerstrebt, da der Mensch seinen
Himmel kaum in wenigen Augenblicken zu realisiren vermag,
so hat der Genius des Christenthums die wohlthätigen Träume
der Phantasie aus einer poetischen Gedankenwelt nicht
von der Menschheit verscheucht. Er mußte aber natürlich
die Gattung der Poesie am meisten begünstigen, die seinen
Jdealen am nächsten war. Dies konnte die alte griechische
Poesie nicht seyn, weil diese nur das irdische |#f0305 : 781|

individuelle Daseyn idealisirte. So mußte also eine neue
Poesie entstehn, welche in der idealen Weltgeschichte freylich
um eine ganze Epoche hinter den Aussichten des Christenthums
zurück ist, und der göttlichen Poesie der Hebräer
am nächsten kommt. Hier erscheint der Mensch in dem Zustand
der Kultur und der Reflexion, auf der einen Seite
verachtend sein individuelles Daseyn, auf der andern aufblickend
zu einer allgemeinen idealen göttlichen Natur, in
welche er sich aber noch nicht aufgenommen fühlt. Wenn
wir den Unterschied der alten und neuen Poesie durch
die einzelnen Gattungen der Dichtkunst verfolgen, so ergeben
sich folgende Charakterzüge. Jn der lyrischen Poesie
der Alten herrscht idealisirte Sinnlichkeit, und
individuelles Leben. Die Oden von Pindar, Anakreon,
Horaz, sind eine Reihe wohlgeordneter Bilder, welche die
Anschauung beschäftigen. Der Gegenstand bezieht sich gewöhnlich
auf äußerliche Gestalt und Schönheit, Kampfspiele,
Gasimahle, sinnliche Liebe u. s. w. Das Gedicht hängt
objektiv als ein lebendiges Gemälde zusammen, es ist ein
Jdyllion im eigentlichsten Sinne des Worts. Die Einbildungskraft
bestimmt, wie Horaz das Muster giebt, den
Plan. Die lyrische Poesie der Neuern hat durch die
religiöse Umänderung der Jdeen einen ganz andern Schwung
bekommen. Der Horazischen und Anacreontischen Poesie
steht Petrark, der pindarischen, Klopstok entgegen.
Der gebildete Mensch hat das Hauptinteresse für den äussern
Glanz verlohren. Nur höhere Jdeale begeistern
den neuern Odendichter. Seine Helden müssen mehr über |#f0306 : 782|

sich selbst, als über andre siegen. Die Liebe für das
Jndividuum findet der neue Lyriker nur dann gerechtfertigt,
wenn dies Jndividuum ihm als Abglanz des Urbilds
aller Schönheit überhaupt erscheint. Hoheit und Reinheit
des Charakters werden von ihm gepriesen, und Vorzüge,
die in einer unsichtbaren Welt gelten. Der Plan der neuern
Ode wird weniger durch die objektive Gedankenreihe und
die Einbildungskraft, als durch die Empfindung des
Dichters bestimmt. Sie ist weniger Bild, als Herzenserguß.
─ Was die darstellende Dichtkunst betrifft,
so ist nicht zu läugnen, daß in der historischen Gattung
die alte Poesie weit über die Poesie der Neuern steht.
Auch dies ist aus der Umändrung der religiösen Jdeen und
der geselligen Einrichtungen zu erklären. Zur Ausbildung
der historischen Poesie gehört vorzüglich ein Zeitalter
voll Thatkraft, deren Wirkungen in die Sinne fallen.
Die religiöse oder wenigstens philosophische Jdee von Nichtigkeit
der menschlichen Dinge ist dem Unternehmungsgeiste
wenig günstig. Und hätten auch die Charaktere der neuen
Welt eben so viel Energie, als die der Alten, wo Staatsverfassung
und heroische Verhältnisse die Jugend zu Thaten
spornten, so hat sich doch der Mensch überall mit so viel
kleinlichen Mitteln in seinen kriegerischen und bürgerlichen
Arbeiten umgeben, daß diese Massen weit schwerer in
Bewegung gesetzt werden können. Jm Kabinett durch die
Feder, durch mathematische Plane, höchstens durch lange
Reihen von Feldstücken wird mehr bewirkt, als durch das
Schwerdt. Die neuern Thaten geben also der Einbildungskraft |#f0307 : 783|

um so weniger Nahrung, je weniger ihre Wirkungen
in die Sinne fallen, je weniger der einzelne Mensch
durch sich selbst handelt. Jm Homer tritt Ajax auf dem Kampfplatz
und alle zittern. Der neuere Held ist fürchterlicher
durch seine Geistesenergie als durch sein äußeres Selbst. Die
historische Poesie der Alten zeichnet die Charaktere als
wunderbare Naturwesen voll heftigen Leidenschaften, und
so wird mehr individuelles Leben bewirkt, als bey den
Neuern, welche die innern unsichtbaren Tiefen der Seele
darzustellen suchen. Daher hat die Neue Poesie den Roman
erfunden, weil ihr das Heldengedicht im eigentlichen
Sinne fremd ist, weil im Roman sich vorzüglich die
Seele entwickelt. Ueberdem ist das Jnteresse für Vaterland
und Nazion bey den Neuern schwach. Denn Philosophie
und Religion geben dem Menschen ein allgemeines Vaterland.
Wenige Handlungen interessiren die ganze Menschheit
selbst. Selbst die Entdeckung einer neuen Welt mag vielleicht
mehr eine Epopöe für Seefahrer und Handelsleute geben.
Daher sind unsre neuen Epopöen, die diesen Nahmen
verdienen, sämmtlich religiösen Jnhalts, oder neigen
sich zur allegorischen Poesie hin, wodurch der besondre
individuelle Stoff einen Werth im allgemeinen als Jdee
bekömmt. Da das historische Gedicht der Neuern an
Werth der Handlung und Lebendigkeit der Charaktere
verlohren hat, so hat man diesen Verlust anderwärts her ersetzen
müssen. Hieraus muß man sich bey den Neuern die
Verwicklung der Handlung, die Aufhäufung von Personen
in den epischen Gedichten und Tragödien erklären. |#f0308 : 784|

Je größere Dichter die Alten waren, desto einfacher waren
sie hierinn. Schon Euripides erfand mehrere Situationen,
weil er sich schwächer fühlte. Daher stammt auch bey den
Neuern die Erfindung des abentheuerlichen romantischen
Gedichts. Zu dieser Gattung gehört Ariost, großentheils
Tasso und selbst die Shakespearische Tragödie. Weniger
Scenen braucht allerdings Sophocles, einen Charakter, z. B.
den Oedipus darzustellen, als Shakespear. Aber freylich,
was den Charakteren der Neuern an Lebendigkeit abgeht,
gewannen sie wieder an Liebenswürdigkeit, innerer Jdealität,
feiner psychologischer Zeichnung. Die Gefühle und
Leidenschaften der neuern Menschen haben eine Herzlichkeit,
ein Jnteresse, eine Tiefe, von der sich die Alten keinen Begriff
machen konnten. Schon Virgil, wenn gleich sein
pius Aeneas ihm mißlang, weiß (besonders in den letzten
Büchern) das Herz durch manchen sanften Zug zu interessiren,
welcher dem Homer entgehn mußte. Virgil war der
Umwandlung der religiösen Jdeen auf der Erde näher, und
die edlern Geister jener Zeit hatten vielleicht schon eine Ahnung
von dem neuen Schwung, welchen die Seelenwelt
nehmen würde. Brutus der letzte Bürger war gefallen.
Aber die Menschheit sollte ein Bürgerrecht im Himmel erhalten.
Darum zeigen sich in der neuen Poesie die Menschen
von bisher nie geahnten Seiten. Die Krieger im Tasso fechten
nicht für eine Helena, sie fechten für das Grab ihres
Gottes. Alle Leidenschaften nahmen durch diese und ähnliche
Jdeen eine andere Wendung. Wenn Ulysses und Penelope
sich ohne alle Ueberspannung aus häuslicher Gewohnheit, |#f0309 : 785|

und individuellex Neigung lieben, wenn alle Bande der
Verwandschaft bey den Alten mehr für zufällig, als für
nothwendig gehalten wurden, so fühlt sich dagegen ein Olint
für Sophronie, ein Semida für Cidli geschaffen, so dehnt
der neugeborne Mensch alle Bande der Geschlechter in eine
Ewigkeit aus. Dies giebt den poetischen Gefühlen eine
schwärmerische Heftigkeit. Ein Charakter wie Hamlet,
ein Monolog wie der des Richard im Kerker, öffnet allein
schon die Aussicht in eine neue von den Griechen nicht gekannte
Welt. Freylich sind ein Eteokles, ein Orestes
bessere Helden für eine Handlung, aber Hamlet ist
eine ungewöhnlichere Erscheinung. Ein Adam, der in der
Schöpfung zuerst erwacht, ein Eloah, der zum erstenmal
den Ewigen Gott vor sich sieht, sind Wesen, die eine neue
Periode in der Geschichte der Menschheit, die Entwicklung
der tiefsten philosophischen Einsicht in das All der Dinge
verkünden. Die neue Tragödie, das Shakespearsche Drama
bringt nicht, wie die griechische, den Menschen mit dem
Geschick in Einigkeit, versöhnt ihn nicht durch das Band
der Schönheit mit der Natur, sondern sie läßt ihn in beständigem
Kampfe, damit er, durch die Freyheit, das Bewußtseyn
des Himmels erringe. Auch hierdurch verliehrt die historische
Poesie der Neuern an Schönheit, gewinnt aber
vielleicht an philosophischem Jnteresse. Ein anderer Reiz,
welchen die neue historische Poesie vor der alten voraus
hat, besteht in dem Romantischen, als einer neuen
Gattung des Wunderbaren. Homers Götterwelt hat
zu viel Licht, erregt selten Grausen, man möchte etwa |#f0310 : 786|

den Götterkampf der Jliade, das eilfte Buch der Odyssee
u. s. w. ausnehmen. Aeschylus übertrifft hier den Homer
durch den Schatten des Darius, durch sein Furienchor
u. s. w. Allein wie weit bleibt Aeschylus hinter Shakespear
zurück, wie weit die Maschienerie des Homer hinter
der des Tasso, Dante und Milton. Die Religion hat
den Menschen einen Sinn aufgeschlossen, welcher den Alten
fremd war. Eine wohlthätige Nacht eröffnet das Auge der
Seele, und sie sieht Dinge, die sie mit dem Tod und allen
Schrecknissen des Jenseits vertraut machen. Freylich verliehrt
durch diese oft unerklärbare Maschienerie das Werk
der Neuern nicht selten an ästhetischer und logischer
Vollkommenheit. Aber es gewinnt für die Einbildungskraft
an Jnteresse. Die neuere Poesie gleicht hierinnen
einer minder regelmäßigen Schönheit, welche durch
einen tiefen Zug oft anziehender ist, als das vollkommenste
Gesicht. Endlich gewinnt auch die neue historische Poesie
zuweilen durch gewisse Contraste des komischen und tragischen,
des gemeinen und edeln, die sich die alte nicht erlaubt
haben würde, (ob sie gleich aus dem wirklichen Leben
im Zustande der Cultur aufgegriffen sind), und durch lebhaftere
Beschreibungen. Wenn man die Gleichnisse Ariosts,
Dantes und Homers gegen einander hält, so findet man in
den erstern Dichtern oft ein lebhaftes hervorstechendes Colorit,
das dem alten Griechen mangelt. Letzterer hält sich
nur an die Natur, selten daß er von einer besondern menschlichen
Erfindung, oder aus dem häuslichen Leben seine Bilder
hernimmt, auch sind dies dann nicht immer die glücklichsten |#f0311 : 787|

. Ariost hingegen und andre neuere Dichter setzen
in ihren Gleichnissen alles, was Kunst, Wissenschaft und
menschliche Erfindsamkeit ihnen darbietet, zusammen. ─
Eine einzige Gattung der pragmatischen Poesie hat in
dem neuen Zeitalter in Vergleichung mit ihrem Zustande
bey den Alten gewonnen, und das ist das Lustspiel,
besonders, das feincomische, weil die alten, wie Aristophanes
zeigt, beym groteskkomischen stehen blieben, unsere
gesellschaftlichen Verhältnisse dagegen und der Unterschied
der Stände mehr Karrikaturen hervorbringen, als die Alten
aufzuweisen hatten. Auch hat das Zeitalter der Cultur
und künstlichen Freyheit, den Humor, die Laune erzeugt,
welche den Alten ganz mangelt. Was übrigens
die Einrichtung der Schauspiele betrifft, so zeigt sich
auch hier der Unterschied der alten und neuen Poesie.
Die Alten arbeiteten bey allen ihren Kunstwerken in großen
colossalischen Massen, weil sie das Auge durch außerordentliche
Gestalten zu füllen suchen. Daher, und wegen den
bleibenden Charakterrollen im Lustspiel, gebrauchten sie
Masken. Die Neuern suchen in allen Dingen mehr die
Seele. Sie verlangen, daß weniger die äußere Gestalt,
als die Mine des Schauspielers wirke. Auch ist man dem
Schauspieler bey uns näher, als in den alten Theatern. ─
So viel von der historischen Poesie. ─ Was die beschreibende
Poesie betrifft, so ist schon bemerkt worden,
daß die Neuern hierinnen den Vorzug haben. Die Alten
kannten die Natur weniger im Großen, weil ihre mythologischen
Jdeen den Blick beschränkten. Daher findet |#f0312 : 788|

man bey ihnen das höhere beschreibende Gedicht gar nicht.
Jn der Jdylle muß man, aus oben angezeigten Gründen,
den Alten den Vorzug lassen. Geßner giebt die
Manier der neuern Jdylle an. Sie nähert sich aber bey
ihm schon einer Gattung, welche für uns noch in der Zukunft
liegt, der religiösen Jdylle. ─ Satyre und
Epigramm, findet in dem Zustande der Kultur so viel
Nahrung, daß die Neue Poesie hierinnen der Alten leicht
den Preis abgewinnen kann. Jm didactischen und allegorischen
Felde hat die Neue Poesie ihr eigentlichstes
und originellstes Gebiet. Denn hier giebt ein philosophisches
Zeitalter den meisten Stoff. Wir haben schon zu anderer
Zeit bemerkt, daß hier noch manches unentdecktes unbenutztes
Land liege. ─ Aus dieser kurzen pragmatischen
Geschichte der Dichtkunst kann man das Resultat ziehn, daß
der Unterschied der alten und neuen Poesie in nothwendigen
psychologischen Ursachen gegründet sey. Jede von
beyden hat ihre besondre originelle Richtung. Jn welchem
Fache die eine Original ist, kann es die andre schlechterdings
in dem Grade nicht seyn. Man sollte demnach die alte
Poesie zwar immer als beschränkendes Muster zur Bildung
des Geschmacks, nie aber als ein Muster, welches das
schöpferische Genie zu Nachbildungen reizt, ansehn.

|#f0313 : E789|
[Abbildung]
Register. ──────

Die Seitenzahlen laufen durch beyde Theile fort.


A.


Aeschylus 74. Uebersetzung seines Furienchors 79. Antithesen
99. Beschreibung des Schlachtmorgens 124. Wortsynthesen
273. Jnterjectionen 284. Amphibolieen 322.
Pleonasmen 324. tragische Metra 408. Anfang der
Trauerspiele 633. sein Chor 638. Schwulst 644.


Aesop 758.


Alexandrinische Dichter 200.


Alfieri sein Brutus verglichen mit Voltaire 634.


Anacreon. Niedliche Stellen 156. Naive 198.


Appollonius Rhod. hat Naivität 201.


Apulejus 190. 191. Hermes Trismegistus 467.


Arabische Dichter lieben die Allegorie 310. ob sie den
Reim erfunden 353. haben Poetiken in Versen 720.


Archestratus 717.


Ariost Roland, verglichen mit Othello 99. Alcina mit
Tassos Armida 171. seine Laune 190. romantische Beschreibungen
191. Allegorieen 312. sein Plan 597. 616. Beschreibungen
verglichen mit Homer 786.


Aristoteles sein Prinzip der Nachahmung 9. 774. κυριον.
ξενικον 249. über Chiasmus 316. sein Päan 554. Theorie
der Handlung 595. 6. über das tragische 621. über die
Fabel 759. 64.

|#f0314 : 790|

Aristophanes seine Satyre ist schmutzig 185. parodirt die
Tragiker 662.


Athanasius 501.


Athenäus über Räthsel 766 ─ 68.


Ausonius s. Cento 314.


B.


Babrias 409. 762.


Barden 353. 773.


Baumarchais, Figaro 662.


Bentley ist zu scharfsinnig in Erklärung der Dichter 257.
über Cäsur 396. über Sapphisches Metrum 423.


Blumauers travestirte Aeneis 187.


Blair über Horaz 309. über die Figuren 317.


Boileau über Poesie und Musik 15. über Wortspiele 266.
729. über Epitheta 277. über Sonnet 545. über die Elegie
565. über die Oper 673. Satyren 696. Dichtkunst 720.
übers Epigramm 728. über Alexandriner 411.


Büffon 339.


Bürger Uebers. des Homers 330. Onomatopoien 373.


C.


Camoens 600.


Catull, niedliche Stellen 159. hat Grazie 169. ist humoristisch
190. Wechselgesänge 477.


Cervantes 653.


Chateaubriands Atala 203. über den Genius des Christenthums
739.


Cicero Paronomasie 265. von der Allegorie 309. genera
dictionis
333. Uebers. der Apolog. Socr. 339.


Claudian falsche Jnversion 280. Epithalamien 577. 755.


Cleobulus Epigramm übersetzt 700.


Corneille (P.) 96. Clitandre 267. 97. Cid 268. 626. 29.
47. der Reim wird ihm schwer 376. seine Declamation |#f0315 : 791|

436. über die dramatische Einheiten 623. 24. Nebenpersonen
625. Horace 627.


Cowley, unmusikalischer Schluß 391. ohne Strophen 545.


D.


Dante 74. verglichen mit Sophocles 85. Ugolinos Traum
übers. 115. sanfte Stellen 165. πολυσυνδετον 281. seine
Mythologie 738. ist allegorisch 747. über die Erlösung
750. verglichen mit Klopstock 751. sein Styl 753.


Delisle und Boileaus Uebers. der Sappho 424. Dithyramben
555.


Dryden, Ode auf d. Cecilientag 543. 86.


E.


Edda 354.


Engländer zu bilderreich fürs sanfte 166. sind humoristisch
189.


Ennius Onomatopoie 372.


Euripides Beyspiel des Sanften 161. ist zu sentenziös 301.
schließt einfach 303. Jphigenie 633. sein Chor 637. 38. 39.
Räthsel 768. hat am meisten Situationen 784.


Evremond über die Oper 669.


F.


Florian 179.


Fracastorius 718.


G.


Gellert 659. 725. 763.


Geßner 246. 343. idyllische Dramen 665. Jdyllen 689. 90.
Tod Abels 693.


Gleim, Beyspiel des Glänzenden 123. Anakreontische Nachahmungen
158.


Göthe, der Charakter seiner Poesie ist hohe Grazie 179. ist
Muster für den poetischen Styl 270. Götz von Berlichingen |#f0316 : 792|

620. Clavigo 628. schildert den Bürgerstand idyllisch
691. Bestimmung des Romans 655. sein gnomischer Styl
714.


Grays Dorfkirchhof 167.


H.


Hagedorn 573. 655. 763.


Haller, Beyspiel des Großen 105. Elegien 566. An die
Ewigkeit ist beschreibend 679. seine Alpen 692.


Hebräische Dichter, lieben den αθροισμος 87. haben poetischen
Dialekt 277. Bilder aus dem gemeinen Leben 290.
Prosopopoien 291. verwechseln die tempora 295. lieben
Antithesen 298. der Parallelismus 300. ob sie den Reim
gekannt 352. ihre Elegieen 528. ihr Charakter 779.


Hephästion Definition der kurzen Sylbe 385. über Epoden
546.


Herders Paramythien 755. über Fabel 758.


Hermann über Rhythmus 342. Metrik 392. über Pentameter
398.


Hermesianax 569.


Herodot über Homer und Hesiodus 11. 310.


Hesiodus Beyspiel des Ekelhaften 85. Scut. Herc. 680.
εργ. και ἡμερ
. 719.


Heyne über das didactische Gedicht 704.


Hiob heftige und grausende Stellen 87. 112. ein Lehrgedicht
529.


Hölty 424. 29.


Homer 75. Epanalepsis 76. Beyspiel vom Heftigen 77.
Gräßlichen 78. Aengstlichen 84. grausenden 118. hohen
130. liebt die Contraste und erhabene Grazie 132. Priamus
Anrede an Achill übers. 136. hohe Grazie 177. Thersites
181. Naivität dieses Dichters 195. Hymnus in Venerem
179. häuft die Nahmen 279. seine epitheta sind |#f0317 : 793|

nomina propria 280. seine Beschreibungen sind nicht
müßig 286. Vergleichungen und Gleichnisse 287 ─ 90.
γοργοτης 294. schließt ohne Epiphonem 302. Climax
305. Schwur 307. Hyperbel 308. 288. Räthsel 310. 767.
Allegorie 311. Amphibolieen 322. Nachricht vom Tod des
Patroklus, analysirt 329 ─ 31. Uebersetzung in Jamben
330. musikalische Sprache 348. 50. Hiatus 401. rhythmischer
Ausdruck 404. metrischer Ausdruck 405. 6. Wiederholungen
595. Plan der Jliade 600. 605. Odyssee 603. 9.
Eatalogus 604. Schluß der Jliade 610. einzelner Bücher
612. sein lächerliches 612. Ton der Erzählung 613. kannte
die Buchstaben 772. seine Charaktere verglichen mit den
Neuern 775. 84.


Horaz 73. hat Grazie 168. Beyspiel der Catechrese 257. der
Metonomie 259. pleonastische Epitheta 279. hat zu lange
Parenthesen 282. schließt ohne Epiphonem 303. ist oft zu
metaphorisch 309. Allegorie 311. schlechter Wortklang 351.
Accent wider das Metrum 403. über Jamben 408 ─ 16.
Jonisches Metrum 425. über die Ode 535. historische Oden
536. 37. Jdeengang seiner Oden 538. 40. 43. dramatisirte
Oden 545. Epoden 546. Hymnen 548. verglichen mit Tibull
563. idyllische Oden 571. Episteln 580. über den Chor
637. 40. Satyren 697. de arte poetic. 720.


J.


Jesaias, grausende Pracht 113. Allegorie 310.


Johannes Evangel. Beyspiel des himmlisch erhabenen 143.


Jtaliener Ursprung ihres heroischen Sylbenmaaßes 389.


Justinian Chiasmus 316.


Juvenal 351. 697.


Jvain vom Ritter Hartmann hat Naivität 204.

|#f0318 : 794|

K.


Kants Sittengesetz 39. Beyspiele des Großen 108.


Kleists amphibrachische Hexameter 416.


Klopstock 68. Beyspiel des Heftigen 89. ist weniger grausend
als Milton 118. glänzende Stellen 123. Uebergang aus
dem Großen ins Erhabene 127. erhabene Grazie 134.
Naivität 200. über die Endigung deutscher Worte 276.
Beyspiel von Sermocinatio 283. Prosopopoien 292. Epiphonem
303. Amphibolieen 320. 22. über Position 387.
deutscher Daktylus 388. über Quantität der Sprachen 390.
Spondeenmangel 391. über seine lyrischen Metra 396. 97.
Hiatus 402. über rhythmische Perioden 345. über metrische
Bewegung 405. seine Jamben 409. über den deutschen
Hexameter 417. Ode Salem 421. Clarissa 424. die Sommernacht
425. Lehrling der Griechen 429. Hermanns Schlacht
480. dramatische Oden 537. 43. 45. über poetische Episteln
557. Elegieen 566. Plan seiner Oden 541. seine Charaktere
598. 608. sein Erzählungston 614. über Handlung und Leidenschaft
537. über das Epigramm 730. seine Bardieten
648. 480. über Declamation 436.


L.


Lamotte und Lafaye über den Reim 375.


Lafontaines Fabeln 762. 63.


Lessing, seine Jamben 409. Emilie Galotti 632. Minna
von Barnhelm 658. 59. Nathan 724. über d. Epigramm
727. 28. Parabel 760. Fabeln 761. 62.


Longin Definition des Erhabenen 210. über Sylbenmaaß
381. Metrum 393.


Longus (Sophista) hat Naivität 201.


Lucan 307.


Lucilius liebt die Tmesis 276.

|#f0319 : 795|

Lukrez. Große Stellen 110. erhabene 130. sanfte Größe 166.
hat Laune 190. Tmesis 276. Plan des Gedichts 707. 709.
11. sein Styl 713. 17.


M.


Macpherson, sein einfacher Styl 270.


Manilius 676. 680. 718.


Marzial 729. 31.


Mathissons 161. Adelaide 304. beschreibende Lieder 701.


Mesomed Hymne an die Nemesis 131. 550.


Metastasio niedliche Stellen 160. Beyspiele der galanten
Poesie 593.


Milton, grausende Stellen 118. Gebet von Adam und Eva
übersetzt 120. Penseroso 166. Einmischung der Mythologie
296. 600. Erzählungston 614.


Minnesänger hatten noch poetischen Dialect 363. Fabeln
763.


Minucius Felix 500.


Moliere Precieus. 267. Misanthrop 659.


N.


Newton über Geometrie 24.


Nonnus Paraphras. des Johannes 278.


Notkerk 46.


O.


Odins Höllenfarth 119.


Opitz, von der Poeterey 10. hat Naivität 204. Wortsynthesen
274. sein Vesuv 680.


Ossian 68. Große Stellen 111. grausende 115. Wehmuth 137.
seine Vergleichungen sind genauer wie die Homerischen 290.
ob er gereimt 354. sind seine Gedichte Epopöen? 610. Schluß
seiner Gesänge 612. sein Erzählungston 614. über seine
Aechtheit 772.

|#f0320 : 796|


Otfried Evangel. 355.


Otway 94.


Ovid niedliche Stellen 160. Grabschrift des Phaeton 182.
Metamorphos. Anfang 261. Antimetabole 316. seine Pentameter
419. über die Elegie 560. dirae 564. seine Heroiden
557. sein Elegieenton 568. Epistolae ex Ponto 570. 79.
de arte amandi
722. Plan seiner Metamorphosen 745.


P.


Pervigilium Veneris 158.


Petrark heftige Stellen 103. Antithesen 105. hat die Provenzaldichter
benutzt 105. stellt das himmlisch erhabene dar
140. Beyspiele von Grazie 171. Reimsysteme 357. Sonnette
572. Allegorien 755.


Phädrus 763.


Pindar Beyspiele hoher Grazie 178. der Hypallage 259.
260. lyrischer Plan 541. Poesie des Styls 270. asigma 768.


Platos Republik 12. über Wortdefinitionen 37. tropischer
Styl 268. Rhythmischer Schluß 339. über Rhapsoden und
Declamation 433. 36.


Plutarch über Empedocles 703.


Pope, Eloise 139. allgemeines Gebet 552. über die Briefe
558. s. Messias 689. Essai on man 707. 13.


Properz 170. 563. 68.


Prudentius, Hymnen desselben 551.


Psalmen, Hypallage 262. Flügel der Morgenröthe 264.
Vergleichungen 286. abwechselnde Chöre 478. lyrischer Plan
derselben 527. Cramers Uebers. 552.


Q.


Quinctilian über κακαφατον 314. über die Figuren 318.
über Amphibolie 320. über κακοζηλον. κοινισμος 325. über
Rhythmus 337. über rhythmische Perioden 345. über Aratus
704.

|#f0321 : 797|

R.


Rabner 184. über den Reim 374.


Racine frostiges Wortspiel 265. Jnversion 280. Parenthese
281. Hypotyposis 283. sein Chor 642.


Ramler 294. 412. 541. 583.


J. B. Rousseaus Oden, oft Lehrgedichte 542. Cantaten
584. 86. Allegorieen 755.


Rhythmus de Anone Episc. 355.


S.


Sakontala Beyspiele des niedlichen 155.


Salomons hohes Lied 155. 299. 530. Predigersprüche 310.
529.


Sappho niedliche Stellen 159.


Scaliger (Joseph) Skoliond. Harmodius 547. comische
Wortsynthesen 273. (Jul. Cäs.) über Figuren 317. perspicuitas
319.


Shakespears Makbeth 76. Othello 76. Fluch des Lear
verglichen mit Sophocles 81. 82. Laune 189. Naivität 202.
Anachronismen 295. Antithesen 297. tragische Metra 408.
dramatische Biographieen 618. verletzt die Einheiten 623.
Hamlet, Romeo, Makbeth 628. sein Chor 642. seine Metaphern
643. Monologen 644. das Wunderbare 649. Lustspiele
664. verglichen mit den Alten 786.


Schiller 120. 268. liebt die Distributio 299. Wallensteins
Lager 480. Gedicht an die Freude, eine Hymne 549. über
die Stanze 371. über Jdylle 686. Räthsel 766. seine Künstler,
Muster eines Lehrgedichts 721.


Simonides Beyspiele des Edlen 179. gnomische Gedichte
726.


Simmias Rhodius πτερυγιον 767.


Sophocles, Beyspiele vom Ekelhaften 85. 101. Beyspiel
des Großen 109. 110. d. hohen Naivität 198. der Hypalla- |#f0322 : 798|

ge 259. Metapher 263. braucht zu viel Antithesen und ironische
Antiphrasen 269. hat Hexameter 418. Chor in der
Antigone 426. im Oedip. 431. beobachtet die Einheiten 623.
25. sein Haemo in der Antigone 626. Anfang seiner Trauerspiele
631. sein Chor 639. seine Sentenzen 643. lange Reden
45. Buchstabentanz 768.


Strabo sein Urtheil von der Poesie 10.


T.


Tasso Beyspiel vom himmlisch erhabenen 139. ist nicht
schlüpfrig 174. Beyspiele von Grazie 175. Metapher im
Amint 263. musikalische Sprache 350. hat Alexandriner
390. Allegorieen 312. sein Catalogus 604. sein Wunderbares
609. Schluß seiner Gesänge 612. sein Plan 616. seine
Charaktere 784.


Theognis 725. 26.


Theokrits Naivität 199. Jdyllen 689. 91.


Thomsons Edward 109. Jahrszeiten 682. 83.


Tibull, sanfte Stellen 161. hat Grazie 170. Accent wider
das Metrum 403. seine Pentameter 420. Jdeengang 562.
63. 66. 67.


Trobadors 31. 35. 577.


U.


Uz 541. Theodicee 543. hat amphibrachische Hexameter 417.


V.


Vida, sein Schachspiel 293. 717. Ars poet. 418. 720. 775.
Christias 751.


Virgil, Beyspiele des Grausenden 119. des Sanften 163.
der Synecdoche 256. der Hypallage 261. 62. Archaismen
276. ὑπερβατον 281. Pleonasm. Ellips. 282. Hypotypos.
283. Suspensio 293. Anticipatio
295. unpassende |#f0323 : 799|

Nachahmung des Homer 307. Chiasmus 316. Amphibolie
322. Parenthesis 324. Onomatopoia 345. ὁμοιοτελευτον
351. Elision. Hiatus 400. metrischer Ausdruck
406. Allegorieen 312. sein Aeneas 608. allegorische Jdyllen
689. Georgica 720. hat viel rührendes 784.


Voltaire, Mahomet 73. 97. Pücelle 293. temple de goût
97. über die Scanfion der Alexandriner 412. sein episches
Verdienst 595. über Allegorie 598. Nebenpersonen und Jntriguen
im Trauerspiel 625. 27. Anfang seiner Trauerspiele
632. über Nazionalgeschmack 647. komische Nomane 653.


Voß 427. 555. 690. 91. seine Louise 693.


W.


Wernike 729.


Wieland, sein Scherz hat Grazie 180. Beyspiel d. Suspensio
293. deutsche Stanzen 371. Episode im Oberon 594.
hat mehr Plan, als Ariost 617. Grazien 205. Musarion
716.


Winsbeck 356.


Y.


Youngs Antithesen 298. Metaphern 308. Nachtgedanken
708.

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Einige den Sinn entstellende Druckfehler verbessere
man folgendermaßen: ──────


S. 22. Z. 13. statt Elementarlehre lies Elementenlehre.


─ 74. ─ 9. statt ευδομεν l. ειδομεν.


─ 74. ─ 19. statt ἡλιοςκαλω l. ἡλιου καλω.


─ 129. ─ 2. von unten statt Erdenland l. Erdentand.


─ 142. ─ 6. von unten statt prosaischer l. prophetischer


─ 143. ─ 7. statt dem Tode l. der Rede.


─ 157. ─ 17. statt verwirrt l. verirrt.


─ 268. ─ 2. statt er l. es


─ 270. statt §. 10. l. §. 5.


─ 276. ─ 6. statt fregit l. comminuit.


─ 520. ─ 10. statt wandern l. wandeln.


─ 616. ─ 6. statt muro l. mare.


─ 670. ─ 12. statt morgenländischen: und Azur l. morgenländische
─ Axur.


─ 731. ─ 4. von unten statt hende casyllaba l. hendecasyllabi.


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|#f0326 : E802|
|#f0327 : E803|
|#f0328 : E804|