Bei W. Langewiesche in Barmen sind erschienen:
Blumenlese aus 101 deutschen Dichtern neuerer und
neuester Zeit. Zum Deklamiren für die reifere Jugend in
Gymnasien, Seminarien, höheren Bürgerschulen &c., so wie
zum Privatgebrauch für alle Freunde deutscher Dichtkunst und
Dichter. Herausgegeben von einem der 101. 24 Bogen 8.,
elegant gebunden mit Umschlag in Congrevedruck. 1 Thlr.
Gallerie der Helden: Blücher, Washington, Schill
und Hofer. Vier Lebensbeschreibungen, Deutschlands Jünglingen
und Männern gewidmet von Dr. Rauschnick, Hofrath
Ed. Gehe, Dr H. Döring und L. Wiese. Jn
Einen Band gebundene Ausgabe mit 3 Stahlstichen. 3⅓ Thlr.
P. D. Holthaus, (Schneidergesell!) Wanderungen durch
Europa und das Morgenland. Dritte, verbesserte
Auflage. Mit dem Bildniß des Herausgebers. Geh. ¾ Thlr.
Dr. Franz Horn, Fortepiano. Kleine heitere Schriften.
3 Bände. 8. Geh. 3 Thlr.
Derselbe, Mai und September. Eine Sammlung von Novellen,
Skizzen, Kritiken &c. 2 Bde. 8. Geh. 2¼ Thlr.
Poetisches Kleingewehrfeuer. Epigramme, Reimsprüche &c.
von Teutonius Acerbus, Jan Pol, G. Puteolano,
K. G. Korte und W. Jemand. Geheftet. ⅓ Thlr.
Lies mich! Eine Sammlung von Novellen, Erzählungen,
Dramen, Gedichten &c. Jn Verbindung mit beliebten Schriftstellern
(Ferd. Freiligrath, Franz Horn, Pustkuchen
&c.) herausgegeben von W. Jemand. N. A. 3 Bände
in Taschenformat, elegant gebunden mit Goldschnitt. 3 Thlr.
H. Püttmann, Chatterton. 2 Bände.
1r Bd.: Leben des Dichters.
2r Bd.: Dichtungen (die ausgezeichnetesten des genialen „Wunderknaben“
Chatterton, metrisch übersetzt).
8. Geheftet. 1 ⅚ Thlr.
Dr. Karl Rosenkranz, (Professor in Königsberg), geistlich
Nachspiel zur Tragödie Faust. 8. Geh. Thlr.
Derselbe, die Naturreligion. Ein philosophisch=historischer
Versuch. gr. 8. 1 ⅚ Thlr.
Albert von Starschedel (in Paris), französische Schulgrammatik.
8. Geh. ½ Thlr.
Deutsches Volksliederbuch. Vierte Auflage, 139 ausgewählte
Volks=, Gesellschafts- und andere Lieder enthaltend.
Geheftet. Thlr.
Für
höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht
bearbeitet
und mit Hinweisungen auf die Gedichtsammlungen von
Echtermeyer, Kurz, Schwab, Wackernagel
und Wolff versehen
von
Ernst Kleinpaul,
Lehrer an der höheren Stadtschule in Barmen. ──────
[Abbildung]
Unsere Nationalliteratur, namentlich der (im
engern Sinne) poetische Theil derselben, hat gegenwärtig,
sowohl in höheren Lehranstalten, als unter
den, der Schule entwachsenen Gebildeten eine sehr
erfreuliche Beachtung gefunden. Die Bekanntschaft
mit derselben betrachtet man ─ und mit Recht! ─
als ein nothwendiges Attribut der Bildung, als eine
Quelle des edelsten Genusses. Schriftsteller und
Buchhändler haben sich beeilt, den in dieser Beziehung
laut werdenden Bedürfnissen entgegen zu
kommen: fast mit jeder Woche mehren sich die Auswahlen
deutscher Gedichte, erscheinen neue Ausgaben
anerkannter Dichter und Kommentare zu einzelnen
oder mehreren derselben. Nur die theoretische
Seite der deutschen Poesie hat, nach unserer Meinung,
die volle, verdiente Berücksichtigung noch
|#f0008 : RVI|
nicht gefunden. Denn wenn wir auch über einzelne
Zweige der Dichtkunst nicht nur mehrere ausführliche
gelehrte Werke, sondern auch solche besitzen,
die für ein größeres Publikum berechnet und
dabei zum Theil recht zweckmäßig sind, so fehlt
es uns doch an einer Schrift, die in anspruchsloser
und faßlicher Weise sich über das Ganze der
Poetik, über die Formen sowohl, als über die
Gattungen und Arten derselben verbreitet. Wir
schmeicheln uns deshalb mit der Hoffnung, durch
das vorliegende Werkchen eine fühlbar gewordene
Lücke auszufüllen. Jn wie weit uns das gelungen,
darüber mögen sachverständige Kritiker und diejenigen
entscheiden, die unsere Schrift gebrauchen!
Bei der Beurtheilung, wie bei dem Gebrauch
bitten wir folgende Punkte zu beachten:
1) Wir haben die Lehre von der Dichtkunst
nicht als eine Theorie a priori genommen, sondern
sie durchweg auf die Praxis, auf die Produktionen
anerkannter deutscher Poeten zu begründen und nach
diesen zu bestimmen gesucht. Namentlich ist unser
Bestreben gewesen, die selbstständige nationale
Entwickelung, die unsere Poesie praktisch in
Hinsicht der Formen erreicht, auch in der Theorie
geltend zu machen. Deshalb haben wir zwar die
|#f0009 : RVII|
einmal bekannten und gebräuchlichen Namen aus
der antiken (griechisch=lateinischen) Metrik beibehalten,
aber nicht diese selbst ohne Weiteres auf
die deutsche Dichtkunst übertragen. Daß so unsere
Schrift einen haltbaren praktischen Grund gewonnen,
dürfen wir um so mehr hoffen, als sich ein
uns befreundeter Dichter der Mühe unterzogen hat,
dieselbe mit uns fast Satz für Satz durchzugehen.
Wir fühlen um so größere Verpflichtung, demselben
öffentlich hiermit unseren herzlichen Dank abzustatten,
da einige Paragraphen dem Wesentlichen
nach ganz sein Eigenthum sind, andere auf seine
Veranlassung mehr oder minder erhebliche Aenderungen
oder Zusätze erfahren haben.
2) Es konnte unsere Absicht nicht sein, unsere
Leser zu Dichtern machen zu wollen ─ die Dichter
werden geboren. Allerdings würde es uns
höchlich freuen, wenn hier oder da Einer, der das
göttliche Pfund der Poesie schon in sich trug,
durch unsere Schrift hinsichtlich der Anwendung
desselben zu größerer Klarheit gelangen sollte. Zunächst
aber bezweckten wir bloß, ältere und jüngere
Freunde poetischer Speise für deren Genuß fähiger
und empfänglicher zu machen. Um dabei möglichst
vielen nützlich zu werden, suchten wir unser Buch so
|#f0010 : RVIII|
einzurichten, daß es sowohl unter Leitung eines
Lehrers von den Schülern und den Schülerinnen
höherer Lehranstalten gebraucht werden, als auch
Erwachsenen zum Selbstunterricht dienen konnte.
Für den Schulgebrauch aber, wie für den Selbstunterricht
war es nothwendig, den Text durch
Beispiele zu belegen und zu erläutern. Trotz dem
trugen wir Bedenken, überall Beispiele beidrucken
zu lassen. Denn hätten wir uns rücksichtlich derselben
auch nur auf das Allernothwendigste beschränkt,
so mußte doch das Buch um ein Bedeutendes
theurer und damit sein Wirkungskreis ein
sehr beschränkter werden; überdieß würden die Beispiele
vom literarhistorischen Gesichtspunkte aus
nur eine sehr ungenügende Auswahl abgegeben
haben. Unserm Texte aber eine, auch in dieser Beziehung
vollständige Gedichtsammlung beizugeben,
und so die große Menge ähnlicher Bücher noch
zu vermehren, dazu konnten wir uns für jetzt nicht
entschließen. Wir wählten deshalb einen Mittelweg.
Nur in den, über die Prosodik, die Metrik, die
Versarten und den Reim handelnden Abschnitten
führten wir gleich die nöthigen Beispiele an. Jn
Hinsicht der Theil II. besprochenen lyrischen und
epischen Dichtungsarten aber haben wir uns auf
|#f0011 : RIX|
die unten angegebenen *)anerkannten und weitverbreiteten
Gedichtsammlungen bezogen und deshalb
unserem Buche ein, auf jene Werke verweisendes
Register beigefügt. Wenn wir im Allgemeinen
immer nur einige, nicht alle in den einzelnen
Sammlungen vorhandenen Beispiele angedeutet haben,
und uns auch nicht daran störten, daß sich
wohl die eine oder andere Dichtungsart nicht in
jeder derselben vertreten fand; wenn wir bei der
dramatischen Poesie und den in prosaischer Form
erscheinenden Dichtungen sowohl auf Anführung,
1) Auswahl deutscher Gedichte für gelehrte Schulen, von
Dr. Theodor Echtermeyer. Dritte Auflage. Halle,
Buchhandlung des Waisenhauses. 1842.
2) Handbuch der poetischen Nationalliteratur der Deutschen
von Haller bis auf die neueste Zeit. Vollständige
Sammlung von Musterstücken &c. mit literarisch=ästhetischem
Kommentar. Von Dr. Heinr. Kurz. 3 Theile.
Zürich, Meyer und Zeller. 1840.
3) Fünf Bücher deutscher Lieder und Gedichte. Von Haller
bis auf die neueste Zeit. Von Gustav Schwab.
Zweite Auflage. Leipzig, Weidmann. 1840.
4) Poetischer Hausschatz des deutschen Volkes. Vollständigste
Sammlung deutscher Gedichte &c. Von Dr. O.
L. B. Wolff &c. Leipzig, Otto Wigand.
5) Auswahl deutscher Gedichte für höhere Schulen, von
Dr. K. E. P. Wackernagel. Dritte Auflage. Berlin,
Duncker und Humblot. 1838.
als auf Andeutung von Beispielen verzichteten: so
wird es darüber hier keiner besondern Rechtfertigung
bedürfen.
Was endlich den Abschnitt von den Strophen
betrifft, so sind in demselben die nöthigen Beispiele
dem Texte dann beigegeben, wenn sich solche
nicht in mehreren der angezogenen Sammlungen
fanden.
3) Die Anführung derjenigen Dichter, die sich
in den einzelnen Dichtungsarten ausgezeichnet haben,
soll die Literaturgeschichte nicht ersetzen, wohl
aber dazu dienen, das Studium derselben zu fördern.
Für den Schulunterricht, wie für den autodidaktischen
Gebrauch scheint uns nämlich zur Erreichung
der nöthigen Bekanntschaft mit der Nationalliteratur
und deren Geschichte folgender Weg der
naturgemäßeste und zweckdienlichste: a. Lesen ausgezeichneter
poetischer Produkte mit bloßer Rücksicht
auf das Verständniß des Gegenstandes und die Darstellung
im Allgemeinen; b. Bekanntmachung mit
den Formen der Dichtkunst; c. Bekanntmachung
mit den Dichtungsarten, und zwar auf praktisch=theoretische
Weise: erst lese man aufmerksam
einige Beispiele, dann die Theorie derselben; d. erst
wenn so schon eine ziemlich ausgedehnte Bekanntschaft
|#f0013 : RXI|
mit den vorzüglichern Erzeugnissen der Literatur
und den Verfassern derselben erreicht ist,
erst dann nehme man die Literaturgeschichte
vor. ─ Jst man diesen Weg gegangen, dann
können die geschichtlichen Paragraphen unseres
Werkes auch in mancherlei Weise zu Repitionen
benutzt werden. Freilich nur für die neuere Literaturgeschichte.
Wenn wir diese fast ausschließlich
berücksichtigt haben, so ist es in der Ueberzeugung
geschehen, daß nur sie für den größern Theil des
Publikums, wie für diejenigen Lehranstalten, für
die wir zunächst schrieben, Werth habe. Es ist
hier nicht der Ort, die Gründe für diese Meinung
darzuthun.
4) Wir wollten nicht auf Kosten der Sache
originell sein. Ohne deshalb unserer Selbstständigkeit
etwas zu vergeben, haben wir uns namentlich
in der Lehre von den Dichtungsarten hier und da
gern auf andere Werke bezogen. ─ Möchte das
von uns Benutzte recht viele unserer Leser dazu
veranlassen, sich dem Studium der angezogenen
Schriften (namentlich dem von Gervinus' Literaturgeschichte,
Hoffmeister's Schiller und
Schlegel's: Ueber dramatische Kunst und Literatur)
hinzugeben! ─ Die Gefühle der Hochachtung
|#f0014 : RXII|
und des Dankes, die wir für jene Autoren
hegen, würden den lautesten Wiederhall finden:
unsere Arbeit hätte die beste Frucht getragen und
unserer Mühe wäre der schönste Lohn geworden!
Barmen, Ende März 1843.
Der Verfasser.
[Abbildung]
[Abbildung]
[Abbildung]
|#f0016 : RXIV|Seite 24, Zeile 22 von oben statt „wenn wie“ lies „wenn wir“.
„ 29, „ 1 von unten statt „Jambus“ lies „Trochäus“.
„ 30, „ 19 von oben statt „die Zahl“ lies „die Schaar“.
„ 40, „ 6 von unten statt „Reim o“ lies „Reim so“.
„ 60, „ 1 „ „ „ „§. 49.“ lies „§. 42“.
|#f0017 : RXV|[Abbildung]
A
Accentverse, 9, 34.
Akrostichon, 72.
Akt, 165.
Alcäische Verse, 27.
Alexandriner, 21, 22, 111,
127, 144.
Allegorie, 119, 122 ff.; ─ anthropomorphische,
123; ─ metaphorische,
123; ─ personificirende,
123.
Allegoriendichter, 126.
Alliteration, 38, 39.
Amphibrachysche Verse, 27.
Amphibrachys, 12.
Amphimaker, 12.
Anagramm, 186.
Anakreontische Lieder, 87.
Anapäst, 12; ─ ische Verse, 26.
Anfangsreim, 43.
Annomination, 39.
Antibachius, 13.
Antike Versmaaße, 92.
Antispast, 13.
Arie, 99, 184.
Ariette, 184.
Arioso, 184.
Arsis, 11.
Asklepiadeische Verse, 29.
Assonanz, 36─39.
[Spaltenumbruch]Auftakt, 16.
Auftritt, 165.
Aufzug, 165.
B
Bachius, 13.
Ballade, 119, 136─141.
Balladendichter, 141.
Beschreibendes Gedicht, 115.
Binnenreim, 43.
Buchstabenräthsel, 186.
Bucolysche Cäsur, 31.
C
Cäsur, 15; ─ bucolysche, 31.
Cäsuren des Hexameters, 31.
Cäsur, Fußcäsur, 15; ─ männliche,
16; ─ Verscäsur, 15;
─ weibliche, 16.
Cancion, 66.
Cantate, 98─100; ─ geistliche,
99; ─ weltliche, 99.
Cantatendichter, 100.
Catatilenen, 100.
Catatillen, 99, 100.
Cantatinen, 100.
Canzone, 65.
Carricatur, 110.
Cavatine, 184.
[Spaltenumbruch] |#f0018 : RXVI|Charade, 186.
Charakterstück (Lustspiel), 176.
Choliambus, 23.
Chor, 99.
Choreus, 12.
Choriambische Verse, 29.
Choriambus, 13.
Coda der Canzone, 65.
Conversationsstück (Lustspiel),
177.
D
Daktylische Verse, 25.
Daktylisch=spondeische Verse,
29 ff.
Daktylus, 12.
Deutsche Strophen, 58.
Dezime, 68, 69.
Dichter von Allegorien, 126;
─ Balladen, 141; ─ Cantaten,
100; ─ Elegien, 101,
102; ─ Epigrammen, 107;
─ Episteln, 113; ─ Epopöen,
146, 147; ─ Fabeln,
122; ─ Gnomen, 104;
─ Heroiden, 103; ─ Hymnen,
96; ─ Jdyllen, 136;
─ Komödien, 179; ─ Legenden,
129; ─ Lehrgedichten,
115, 116; ─ Liedern,
91; ─ Lustspielen, 179;
─ Mährchen, 133; ─ Novellen,
153; ─ Oden, 94;
─ Parabeln, 126; ─ Paramythien,
126; ─ poetischen
Erzählungen, 127; ─
Romanen, 153, 154; ─ Romanzen,
141; ─ Sagen,
133; ─ Satyren, 111,
112; ─ Schauspielen, 181.
Dichter von Sinnsprüchen, 104;
─ Tragödien, 173; ─
Trauerspielen, 173.
Dichtkunst, 1.
Dijambus, 13.
Dimeter, 17.
Dipyrrhichius, 13.
Dispondeus, 13.
Distichon, 32, 33, 101, 104,
106.
Dithyrambendichter, 98.
Dithyrambus, 97, 98.
Doppeljambus, 13.
Doppelpyrrhichius, 14.
Doppelreim, 44.
Drama, 155 ff.
Drama im engern Sinne, 179.
Dramatische Poesie, 117, 155
bis 184.
Duett, 99. 184.
Duodram, 183.
E
Echo, 44.
Einheit der Handlung, 156.
Einheit des Orts, 158.
Einheit der Zeit, 158.
Eintheilung der Verse, 16─18.
Elegie, 100─102.
Elegiendichter, 101, 102.
Elegisches Distichon, 32, 33.
Elegisches Versmaaß, 101, 103.
Elfsilbler, 28.
Endreim, 43.
Entwickelung, 166.
Epigramm, 104─107.
Epigrammdichter, 107.
Epigramm, ernstes, 105; ─
witzig=satyrisches, 105 ff.
Epilog, 156, 166.
[Spaltenumbruch] |#f0019 : RXVII|Epische Poesie, 117─154.
Episoden, 118, 141, 142,
157.
Epistelndichter, 113.
Epistel, poetische, 112, 113.
Epitritt, 13.
Epopöe, 144.
Epos, 119, 141─147.
Eposdichter, 146, 147.
Epos, ernstes, 146; ─ idyllisches,
146; ─ klassisches,
144; ─ komisches, 146,
147; ─ romantisches, 145.
Erotische Lieder, 86.
Erzählung, 126; ─ poetische,
119, 126, 127.
Exposition, 166.
F
Fabel, 119, 120─122; ─
des Dramas, 156; ─ dichter,
122.
Feenmährchen, 133.
Formen, poetische, 3, 4.
Freiheitsgesänge, 87.
Fuß, 12; ─ cäsur, 15.
Füße der Canzone, 65.
Füße, dreitheilige, 12, 13; ─
viertheilige, 13; ─ zweitheilige,
12.
G
Gasel, 72, 73.
Gattungen der Dichtkunst oder
Poesie, 77 ff.
Gedichte, didaktische, 80, 114 ff.;
─ dramatisch=didaktische, 81;
─ episch=didaktische, 80;
─ Lehr=, 114─116.
Gedichte, lyrisch=didaktische, 80.
Gelegenheitsgedichte, vaterländische,
87 ff.
Gesellschaftslieder, 86, 87.
Gleichklang, 36─55.
Gleichniß, 124.
Glosse, 69.
Glykonischer Vers, 28.
Gnomon, 103, 104; ─ dichter,
104.
H
Handlung, Einheit der, 156.
Hebung, 11.
Heldengedicht, 141; ─ ernstes,
144.
Held des Dramas, 156; ─ des
Epos, 142; ─ der Komödie,
174; ─ der Tragödie, 168 ff.
Hendekasyllabus, 28.
Heroide, 103.
Heroidendichter, 103.
Heroischer Vers, 29 ff.
Hexameter, 29─33, 111, 144;
─ Kleist'sche, 32.
Hiatus, 74, 75.
Homonyme, 186.
Hymne, 94─96.
Hymnendichter, 96.
J
Jdylle, 119, 133─136.
Jdyllendichter, 136.
Jntermezzo, 183.
Jntriguenstück, 176; ─ lustspiel,
176.
Jonikus, fallender, 13; ─ steigender,
13.
Jambus, 12.
[Spaltenumbruch] |#f0020 : RXVIII|Jambus, hinkender, 23.
Jamben, 19 ff.; ─ einfüßige,
19; ─ zweifüßige, 19, 85;
─ dreifüßige, 19, 85; ─
vierfüßige, 19; ─ fünffüßige,
20, 101, 127, 129; ─ sechsfüßige,
21, 22; ─ siebenfüßige,
23; ─ achtfüßige, 23.
Jambische Verse, 19─23, 139.
Jambisch=anapästische Verse,
27, 139.
K
Katastrophe, 157.
Kettenreim, 43.
Kirchenlied, 86, 96.
Kleist'sche Hexameter, 32.
Knittelverse, 35.
Knoten, dramatischer, 157.
Komödie, 167, 173 ff.
Kretische Verse, 25.
Kriegslieder, 87.
Kunstpoesie, 2.
L
Legende, 119, 127─129; ─
ernste, 128; ─ komische, 128.
Legendendichter, 129.
Lehrgedicht, 80, 114─116;
─ Dichter des, 115, 116.
Liebeslieder, 86.
Lied, 83─91; ─ Arten desselben,
85 ff.
Lieder, anakreontische, 87; ─ dichter,
91; ─ erotische, 86; ─
Freiheits=, 87 ff.; ─ geistliche,
85, 86; ─ Gesellschafts=, 86,
87; ─ Kirchen=, 86, 96; ─
Kriegs=, 87; ─ Liebes=, 86.[Spaltenumbruch]
Lieder, Natur=, 86, 90; ─
politische, 87─89; ─ religiöse,
85, 86; ─ Vaterlands=,
86 ff.; ─ weltliche,
85 ff.
Logogryph, 186.
Lustspiel, 173 ff.; ─ dichter,
179; ─ höheres, 175, 176;
─ niederes, 175, 176.
Lyrische Poesie, 79, 82─116;
─ Arten, 83; ─ Eintheilung,
83.
M
Madrigal, 63.
Mährchen, 119, 129─133;
─ dichter, 133.
Makamen, 34.
Maschinerie des Epischen, 118,
145.
Meistersonett, 65.
Melodram, 183.
Metrik, 11─18.
Mittelreim, 43.
Molossus, 13.
Monodram, 183.
Monolog, 166.
Monometer, 17.
Moral der Fabel, 121.
Mythus, 130.
N
Naturlieder, 86, 90.
Naturpoesie, 2.
Nibelungenstrophe, 59.
Nibelungenvers, 22, 127, 139,
144; ─ älterer, 22; ─
neuerer, 22.
Novelle, 119, 151 ff.
[Spaltenumbruch] |#f0021 : RXIX|Novellendichter, 153.
Novellette, 152.
O
Objektive Poesie, 2, 79.
Octave, 61─63, 127.
Ode, 91─94, 95.
Odendichter, 94.
Oper, 167, 181─184.
Opera buffa, 183.
Opera seria, 183,
Oper, ernste, 183; ─ komische,
183.
Operette, 183.
Oratorien, 99.
Ottava rime, 61 ff.
P
Päon, 13.
Palimbachius, 13.
Parabel, 119, 124, 125;
─ dichter, 126.
Paramythie, 119, 125, 126.
Parodie, 184.
Pasquill, 110.
Pause, logische, 15.
Pentameter, 17, 32.
Perepetie, 166.
Persische Vierzeile, 73.
Phaläkischer Vers, 28.
Pherekratischer Vers, 28.
Poesie, 1; ─ Zweck der, 2; ─
didaktische, 80, 81; ─ dramatische,
79, 117, 155─184;
─ dramatisch=didaktische, 81;
─ epische, 79, 117─154;
─ episch=didaktische, 80;
─ Hauptgattungen, 79;
─ lyrische, 79─116.
Poesie, lyrisch=didaktische, 80;
─ objektive, 2, 79; ─ subjektive,
2, 79.
Poetische Epistel, 112, 113.
Poetische Erzählung, 119, 126,
127; ─ Formen, 3, 4.
Posse, 175.
Prolog, 156, 166.
Prosa, 2.
Prosodik, 4─10.
Psalmen, 96.
Pyrrhichius, 12, 14.
Pythischer Vers, 29.
Q
Qualitätsverse, 9.
Quantitätsverse, 9.
Quartett, 99.
R
Räthsel, 185.
Recitativ, 99, 184.
Refrain, 59.
Reim, 36─55; ─ Anfangs=,
43; ─ Binnen=, 43; ─ Bedeutung
des, 46─48, 54, 55;
─ Doppel=, 44; ─ echo, 44;
─ eigentlicher, 42─44; ─
End=, 43; ─ formen, 42─44;
─ gekreuzter, 45; ─ Gesetze
der Bildung, 48; ─
gleitender, 41; ─ identischer,
42; ─ im Liede, 85;
─ Ketten=, 43; ─ männlicher,
41; ─ Mittel=, 43;
─ reicher, 42; ─ Schlag=,
45; ─ schwebender, 41; ─
Stellung des, 44─46; ─
stumpfer, 41; ─ umarmender,
45; ─ ungetrennter, 44.
Reime, unterbrochene, 46; ─
verschränkte, 45; ─ weibliche,
41.
Reimstrophen, deutsche, 58.
Rhapsoden, 97.
Rhapsodie, 96, 97.
Rhapsodisch, 97.
Rhythmus, 11.
Ritornell, 63, 64.
Roman, 119, 147─154.
Romandichter, 153, 154.
Romane, ascetische, 150; ─
ästhetische, 150; ─ ernste,
150; ─ historische, 150; ─
humoristische, 150; ─ komische,
150; ─ Künstler=,
150; ─ pädagogische, 150;
─ philosophische, 149, 150;
─ Räuber=, 150; ─ Ritter=,
150; ─ satyrische, 150;
─ Schäfer=, 150; ─ sentimentale,
150; ─ theologische,
150.
Roman, Wirkung des, 152.
Romanze, 119, 136─141.
Romanzendichter, 141.
Rondeau, 68.
S
Sage, 119, 130─33.
Sagendichter, 133.
Sapphische Verse, 33.
Satyre, 107─112.
Satyre, ernste, 108; ─ komische,
108; ─ dichter, 111,
112.
Scene, 165.
Schauspiel, 167, 179 ff.
Schlagreim, 45.
Schleuderer, 12.
[Spaltenumbruch]Schön, 1.
Schweif der Canzone, 65.
Senkung, 11.
Sestine, 65, 66.
Silben, Eintheilung der, 5 ff.;
─ Messung der, 5 ff.;
─ räthsel, 186; ─ wägung,
5 ff.
Singspiel, 181, 183.
Sinnspruch, 103, 104.
Sittenlustspiel, 176; ─ stück,
176.
Skansion, 14.
Skazon, 23.
Sonett, 64, 111.
Sonettenkranz, 64, 65.
Spenser'sche Stanze, 63.
Spondeus, 12.
Sprache, accentuirende, 10; ─
quantitirende, 10.
Stanze, 61─63, 111, 144;
─ regelmäßige, 62; ─ unregelmäßige,
62, 63; ─
Spenser'sche, 63.
Stimmreim, 36─38.
Streitgedicht, 69, 70.
Strophen, 56─74; ─ antike,
58, 60, 61; ─ alcäische,
61; ─ asklepiadeische,
60; ─ ausländische, 61─74;
─ deutsche, 58─60; ─
gleichmäßige, 56; ─ moderne,
58, 61 ff.; ─ sapphische,
61; ─ ungleichmäßige, 56;
─ zweizeilige, 58; ─ drei=,
vier=, fünf=, sechs=, siebenzeilige,
59; ─ acht=, neun=,
zehn=, elf=, zwölf=, dreizehnzeilige,
60.
Subjektive Poesie, 2, 79.
[Spaltenumbruch] |#f0023 : RXXI|T
Takt, 12.
Tendenz-Romane, 148 ff.
Tenzone, 69, 70.
Terzett, 99.
Terzine, 63, 127.
Tetrameter, 17.
Theater, 160 ff.
Theatralisch, 159 ff.
Theatralische Wirkung, 160 ff.
Thesis, 11.
Tragödie, 167─173.
Tragödie, antike, 167 ff.; ─
deutsche, 167 ff.; ─ griechische,
167 ff.; ─ moderne,
167 ff.
Tragödiendichter, 173.
Trauerspiel, s. Tragödie.
Travestie, 184, 185.
Tribrachys, 13, 14.
Trimeter, 17.
Trinklieder, 87, 98.
Triolett, 67.
Trochäen, zweifüßige, 23; ─
dreifüßige, 23, 84; ─ vierfüßige,
23, 24, 84; ─ fünffüßige
oder serbische, 24,
101, 129, 144; ─ sechssüßige,
24; ─ siebenfüßige,
24; ─ achtfüßige, 24.
Trochäisch=daktylische Verse,
27, 28, 85.
Trochäische Verse, 23─25,
139, 144.
Trochäisch=jambische Verse, 28,
29.
Trochäus, 12.
[Spaltenumbruch]U
Unregelmäßige Verse, 33.
V
Vaterlandslieder, 86 ff.
Vaudeville, 183.
Vers, 14.
Versarten, 19─35.
Verscäsur, 15.
Verse, abgekürzte, 17; ─ alcäische,
27; ─ amphibrachische,
27; ─ anapästische,
26; ─ asklepiadeische, 29; ─
choriambische, 29; ─ daktylisch=spondeische,
29 ff.; ─ Eintheilung
derselben, 16─18;
─ jambisch=anapästische, 27,
85; ─ jambische, 19─23; ─
Knittel=, 35; ─ kretische, 25;
─ Quantitäts=, 9; ─ Qualitäts=,
9; ─ sapphische, 33; ─
trochäische, 23─25; ─ trochäisch=daktylische,
27, 85; ─
trochäisch=jambische, 28, 29;
─ unregelmäßige, 33 ff.
Versfuß, 12.
Versfüße, 12.
Versfüße, zweitheilige, 12; ─
dreitheilige, 12; ─ viertheilige,
13.
Versglieder, 11.
Vers, glykonischer, 28; ─ heroischer,
29.
Versmaaße, antike, 92.
Versmaaß, elegisches, 101, 103,
104, 106.
Vers, phaläkischer, 28; ─
pherekratischer, 28; ─ pythischer,
29.
Verse, unvollständige, 17; ─
überzählige, 17; ─ vollständige,
17.
Verwickelung, 157, 166.
Viertheilige Füße, 13.
Vierzeile, 104; ─ persische,
73.
Volkslieder, 90.
Volksmährchen, 132.
Volkspoesie, 2.
Vorschlag, 16.
[Spaltenumbruch]W
Wiederholungssatz, 59.
Wohllaut der Wörter, 74, 75.
X
Xenien, 107.
Z
Zeitmessung, 9.
[Ende Spaltensatz][Abbildung]
|#f0025 : EA1:b|[Abbildung]
|#f0026 : EA1:a| §. 1. Die Poesie (als Kunst) oder die Dichtkunst
gehört zu den schönen Künsten. Die
schönen Künste haben die Darstellung des Schönen
zum Gegenstand. (Schön heißt das, was durch die
Verhältnißmäßigkeit und Vollkommenheit aller Theile,
und insofern es eine höhere Jdee veranschaulicht, dem
gebildeten Geschmacke Genuß bereitet.) Sie unterscheiden
sich von einander in den Stoffen, durch
welche diese Darstellung bewirkt, vermittelt wird. Der
Stoff, das Darstellungsmittel der Dichtkunst
ist die Sprache. Demnach wäre die Dichtkunst die
ausgebildete Anlage, das Schöne sprachlich darzustellen,
oder die Fertigkeit, das Schöne mittelst
der Sprache regelrecht zur Anschauung zu bringen.
Anmerkung. Das Wort Poesie bezeichnet mehrere
Begriffe, nämlich: 1) wie oben, die Kunst des Dichtens; 2) die
angeborne Anlage, die Naturgabe zum Dichten; 3) die
Produkte dieser Naturgabe und die der Dichtkunst; 4) Momente
im Leben, und Gegenstände der innern und äußern
Welt, sofern sie ähnliche Eindrücke machen, wie ein gutes Gedicht.
─ Auch zu der eigentlichen Dichtkunst, wenn sie nicht zur
bloßen Verskunst herabsinken soll, ist die erwähnte Naturgabe
(die poetische Ader) nöthig. Wird aber letztere ohne die erstere,
d. h. ohne Bewußtsein der Regeln der Kunst, und ohne Nachahmung
anderer poetischer Produkte, angewendet, so entsteht die |#f0028|
§. 2. Die Poesie wendet sich mit ihren Schöpfungen
vorzugsweise an die Phantasie. Sie hat an
und für sich keinen andern Zweck, als den, Genuß
zu bereiten. „Während andre Mittheilungen durch
die Sprache ihre Wirksamkeit auf irgend einen bestimmten
Zweck, auf die Belehrung des Verstandes,
auf die Lenkung des Willens durch den Verstand und
die Erregung der Gefühle richten, sind ihre Schöpfungen
im Gebiete innerer Anschauungen, der Phantasie,
das freie, nicht von äußerer Wirklichkeit und
ihren Bedürfnissen, Rücksichten und Zwecken beengte
Spiel einer harmonischen Thätigkeit der geistigen
Kräfte.“ (Herling, Theorie des Styls.) Jndeß
lassen sich auch mit ihr bestimmte Zwecke verbinden.
Die wahre Poesie soll über die Schranken, Mühen
und Sorgen des gewöhnlichen Lebens erheben und die
Seele in die höheren Regionen des Jdealen und Vollkommenen
versetzen, nicht aber das Gemüth in hysterische
Träumereien versenken, es verweichlichen und der
ernsten Wirklichkeit entfremden.
Anmerkung. Jnsofern die Poesie die eignen Gefühle
des Dichters oder außer ihm liegende Erscheinungen
darstellt, theilt man sie ein in subjektive und objektive.
§. 3. Der Poesie steht die Prosa entgegen.
Prosa heißt die Art sprachlicher Mittheilung, welche
mittelst des Verstandes Wahrheiten des Lebens,
oder, bei der Täuschung, den Schein derselben zur
Vorstellung erheben oder bestimmte Gefühle erregen
will. Die Prosa strebt nach logischem Zusammenhange, |#f0029|
§. 4. Die Kenntniß der poetischen Formen ist
zur vollen Würdigung der verschiedenen Kunstdichtungen
unerläßlich. Ohne klare Einsicht in die Form wird
sich das Wesen der Poesie der Seele nie ganz erschließen
und kann der Genuß an derselben, da häufig gar
viele Schönheiten in der Form liegen, nur ein unvollkommener
sein. Daher ist jedem Gebildeten, der sich
mit den Meisterwerken unserer Literatur befassen, sich
an ihnen erquicken will, zuvörderst nöthig, daß er sich
mit der Lehre von den poetischen Formen bekannt macht.
Die folgenden Blätter bieten einen Abriß derselben.
§. 5. Die Lehre von den poetischen Formen,
bald einseitig Metrik, bald eben so einseitig
Prosodie, am richtigsten noch Verslehre benannt,
zerfällt in folgende Abschnitte:
1) in die Lehre von der Silbenmessung,
Prosodik;
2) in die Lehre von den Versgliedern,
Metrik;
3) in die Lehre von den Versarten;
4) in die Lehre vom Reime, und
5) in die Lehre von den Strophen.
[Abbildung]
|#f0031 : E5| §. 6. Man theilt in der deutschen Verslehre die
Silben in zwei Hauptklassen, nämlich in lange
und kurze, richtiger: schwere und leichte Silben.
Um zu erkennen, ob eine Silbe lang oder kurz
(schwer oder leicht) ist, hat man zu berücksichtigen:
1) ihre Qualität ─ und zwar a. bei mehrsilbigen
Wörtern, ob sie eine Haupt= und Stammsilbe
oder eine Nebensilbe (Vor- oder Nachsilbe) ist,
b. bei einsilbigen Wörtern, ob sie eine mehr oder weniger
wesentliche Bedeutung hat und zu welcher Wortart
sie gehört.
Die Stammsilben sind an und für sich lang
(schwer), die Nebensilben, sofern sie nicht aus selbstständigen
Wörtern entstanden, kurz (leicht).
Anmerkung. Eine Ausnahme macht das Wort lebendig.
Hier ist die erste Silbe die Stammsilbe, die zweite und
dritte sind Nebensilben. Dennoch legt der Sprachgebrauch den
Nachdruck auf die zweite Silbe, wodurch dieselbe lang und die
Stammsilbe kurz wird. ─ Die Vorsilben ur, miß, ant, un,
vor, auf, an, nach (häufig auch um &c.) sind lang. Die
Nachsiilben haft, schaft, keit, heit, bar, sam, sal,
thum, lein, in, niß, ung, ei, isch, icht, zig, lich, so |#f0032|
Unter den einsilbigen Wörtern sind die mehr
wesentlichen an und für sich lang, z. B. alle einsilbigen
Substantive, Adjective und Zahlwörter, ─ die
weniger wesentlichen kurz, z. B. alle einsilbigen
Artikel, viele einsilbige Fürwörter, Verhältniß=, Umstands=
und Bindewörter, wogegen andere zu diesen
Arten gehörige einsilbige Wörter lang, die meisten aber
unbestimmt sind. Auch die von Hülfszeitwörtern
abgeleiteten einsilbigen Wörtchen (ist, war, hat &c.)
sind meist als kurz, die übrigen einsilbigen Zeitwörter
dagegen als lang anzusehen.
§. 7. 2) ihre Betonung ─ ob sie betont
(hochtonig oder tieftonig), tonlos oder mitteltonig
ist. ─ (Tonlose oder ganz unbetonte Silben
im vollen Sinne dieses Prädikats giebts natürlich
nicht, da zum Aussprechen jeder Silbe ein Ton erforderlich
ist: man versteht darunter nur die, auf welche
verhältnißmäßig am wenigsten Nachdruck gelegt
wird.) ─ Bei richtiger Aussprache einzelner und nicht
zusammengesetzter Wörter ist die Betonung (also der
Wortaccent) fast immer der Qualität der Silben
entsprechend. ─ Die betonten Silben sind lang, die
tonlosen kurz, die mitteltonigen an und für sich unbestimmt,
bald lang, bald kurz.
Beispiel: Männerfreundschaft.
Hier sind die erste und dritte Silbe betont (die
erste hochtonig, die dritte tieftonig, beide auch zugleich
Haupt- und Stammsilben), daher lang; die
zweite Silbe ist tonlos (und Nebensilbe), daher kurz, |#f0033|
§. 8. 3) auch die Verbindung einer Silbe
mit andern und ihre Stellung im Verse, insofern
dadurch ihre Betonung sich ändert, ─ mit andern
Worten: den Vers=, Satz= oder Redeaccent.
Nicht bloß an und für sich mitteltonige, sondern
auch an und für sich vollbetonte Silben werden
dadurch, daß sie mit solchen Silben, welche bei richtigem,
dem Jnhalte entsprechenden Lesen des ganzen
Verses und Satzes vorzugsweise betont werden,
in unmittelbare Berührung kommen, zu wenig betonten
und daher kurzen Silben; und umgekehrt,
nicht bloß an und für sich mitteltonige, sondern
auch sehr wenig betonte Silben dadurch, daß sie
zwischen zwei entschieden kurzen Silben stehen, zu
mehr betonten und deshalb langen Silben.
Beispiele:
1)
Die Silben „klein,“ „kommt,“ „voll“ sind an
und für sich lang, in dieser Verbindung aber mit
Recht kurz gebraucht; und die letzte Silbe in „Härenes,“
so wie in „begeisternder,“ kann, obgleich an
sich kurz, hier ihrer Stellung wegen als lang durchgehen.
§. 9. Der Dichter darf indeß hierin nicht zu weit
gehen. Sobald bei richtigem, dem Jnhalt entsprechenden
Vortrage das geübte Gehör eine von dem Dichter
als lang gebrauchte Silbe gar nicht als betont erkennen
kann, oder umgekehrt, so ist der Vers mangelhaft.
Solche mangelhafte Verse findet man nicht selten auch
bei guten, selbst bei den besten Dichtern; so ist z. B.
schon in dem oben angeführten Beispiel von Göthe
die zweite Zeile nicht untadelhaft, weil bei richtigem
Vortrag auf die als kurz gebrauchten Silben „schließt“
und „hier“ zu viel, und auf das als lang gebrauchte
„ist“ zu wenig Ton fällt, als daß man diesen Vers
dem beabsichtigten (jambischen) Silbenmaaße ganz entsprechend
finden könnte. ─ Ferner:
Freiligrath.
Daß hier im zweiten Verse die Wörtchen „er“
und „der“ als lang gebraucht sind, ist nicht zu rechtfertigen,
und nur die übrigen Vorzüge des Gedichts
vermögen solchen Fehler in etwa zu verdecken, denn
dem Sinne nach gelesen, fällt auf diese zwei ersten
Silben durchaus kein Nachdruck, viel eher einiger auf |#f0035|
unrichtig gebaut, denn dem Sinne nach fällt auf „Gott“
wenigstens eben so viel Accent, wie auf „schuf,“
und auf „die“ viel weniger, als auf „Gott,“ wogegen
─ dem (trochäischen) Versmaaße nach ─ „Gott“
als kurz und „die“ als lang genommen worden ist!
Solche Formfehler können ein Gedicht unerträglich
machen, zumal wenn der Jnhalt keinen besondern Ersatz
bietet, und müssen deshalb möglichst vermieden
werden.
§. 10. Diejenigen Verse, in welchen jede als lang
gebrauchte Silbe schon an und für sich lang und jede
als kurz gebrauchte schon an und für sich kurz ist,
ohne daß Stellung und Zusammenhang ihr einen andern
Charakter geben, hat man wohl Quantitätsverse
genannt (richtiger wäre Qualitätsverse),
wogegen dann die andern, in denen häufig der ursprüngliche
Charakter einer Silbe (Länge oder Kürze)
durch den Vers- oder Satzaccent ins Gegentheil umgewandelt
wird, Accentverse heißen.
§. 11. Eigentlich ist aber jeder deutsche Vers
ein Accentvers, insofern nämlich immer der Accent,
der sinngemäß auf die einzelnen Silben fällt, über den
Charakter der letztern und des Verses entscheidet.
§. 12. Eine Zeitmessung im eigentlichen Sinne
des Worts wird also in der deutschen Prosodie nicht |#f0036|
§. 13. Auch die Stärke (das Gewicht, der Grad)
der Betonung kommt in der Regel nur insofern in
Betracht, als dadurch bestimmt wird, welche Silben
des Verses als lang, welche als kurz anzusehen sind.
Es braucht also in gleichartigen größern Versen auch
nicht gerade der Haupt=Satzaccent immer auf dieselbe
Stelle zu fallen. Bei Liedern ist das in Rücksicht auf
den Gesangvortrag oft wünschenswerth, dagegen würde
in andern Gedichten dadurch zu viel Eintönigkeit eintreten.
[Abbildung]
|#f0037 : E11| §. 14. Sowohl in der ungebundenen, prosaischen,
als auch in der gebundenen Rede wechseln
lange und kurze Silben mit einander ab. Dadurch
kommt Bewegung, Fluß in die Sprache. Jn der
gebundenen Rede erfolgt diese Bewegung beständig
nach einer mehr oder weniger regelmäßigen Gliederung
der Zeittheile: sie ist rhythmisch. Auch
bei der Prosa kann von Rhythmus die Rede sein, aber
nie in der Weise und in der Ausdehnung, wie in der
gebundenen Rede. So tritt der Rhythmus als ein
wesentliches Unterscheidungsmerkmal der gebundenen
Rede auf.
§. 15. Durch die rhythmische Gliederung treten
einzelne Zeittheile in stärkerem Tone heraus, als andere.
Die letztern, weniger betonten (gewöhnlich
tonlos genannten) Zeittheile bezeichnet man mit dem
Namen Senkung, Thesis; die erstern, stärker betonten
bilden die Hebung, die Arsis. Die Senkung
besteht aus einer oder aus mehreren leichten
Silben, die Hebung dagegen (wenigstens in den
eigentlich deutschen Versen) stets nur aus einer
schweren Silbe.
§. 16. Mehrere, durch eine Hebung zur Einheit
verbundene Zeittheilchen bilden einen Fuß,
Versfuß oder Takt. Man theilt die Füße ein nach
der Zahl ihrer Zeittheilchen oder der Zahl der Silben,
welche dieselben erfüllen und unterscheidet in der Theorie
gewöhnlich zwei=, drei= und viertheilige oder
zwei=, drei= und viersilbige Versfüße. Wir
führen die Namen derselben hier auf, wenn wir uns
gleich mit der Theorie dieser Eintheilung aus den weiter
unten (§. 20) entwickelten Gründen nicht einverstanden
erklären können.
§. 17. Zweitheilige Versfüße.
1) Der Jambus, Schleuderer, (
[Abbildung]
) entsteht durch
die Verbindung einer leichten und einer schweren Silbe.
2) Der Trochäus, Läufer, auch Choreus oder
Tänzer genannt (
[Abbildung]
) wird gebildet durch die Verbindung
einer schweren Silbe mit einer leichten.
3) Der Spondeus, Tritt (
[Abbildung]
) enthält zwei
schwere Silben.
4) Der Pyrrhichius, Läufer (
[Abbildung]
) hat zwei
leichte Silben. (Siehe §. 20.)
§. 18. Dreitheilige Füße.
1) Der Daktylus, Fingerschlag, (
[Abbildung]
) hat
nach einer schweren zwei leichte Silben.
2) Der Anapäst, Gegenschlag, (
[Abbildung]
) läßt
auf zwei leichte Silben eine schwere folgen.
3) Der Amphibrachys, der Umkürzte (
[Abbildung]
):
eine schwere Silbe wird von zwei leichten eingeschlossen.
4) Der Amphimaker, der Umlängte, auch Kretikus
genannt (
[Abbildung]
): eine leichte Silbe zwischen
zwei schweren.
5) Der Bachius (
[Abbildung]
): auf zwei schwere
Silben folgt eine leichte.
6) Der Palim= oder Antibachius (
[Abbildung]
)
hat nach einer leichten zwei schwere Silben.
7) Der Molossus (
[Abbildung]
) besteht aus drei
schweren Silben.
8) Der Tribachys, der Dreimalkurze (
[Abbildung]
)
enthält drei kurze Silben.
Anmerkung. Die Benennung in Bezug auf 5 und 6
ist nicht übereinstimmend; viele nennen 5 den Antibachius und
6 den Bachius.
§. 19. Sogenannte viertheilige Füße.
1) Der Dijambus, Doppeljambus ( [Abbildung] ).
2) Der Ditrochäus, Doppeltrochäus ( [Abbildung] ).
3) Der Dispondeus, Doppelspondeus ( [Abbildung] ).
4) Der Dipyrrhichius, Doppelpyrrhichius
(
[Abbildung]
).
5) Der Choriambus, Aufsprung ( [Abbildung] ).
6) Der Antispast, Gegenzug ( [Abbildung] ).
7) Der fallende Jonikus ( [Abbildung] ).
8) Der steigende Jonikus ( [Abbildung] ).
9) Der erste Epitritt ( [Abbildung] ).
10) Der zweite Epitritt ( [Abbildung] ).
11) Der dritte Epitritt ( [Abbildung] ).
12) Der vierte Epitritt ( [Abbildung] ).
13) Der erste Päon ( [Abbildung] ).
14) Der zweite Päon ( [Abbildung] ).
15) Der dritte Päon ( [Abbildung] ).
16) Der vierte Päon ( [Abbildung] ).
§. 20. Jn der Praxis der deutschen Verskunst
hat man es im Grunde mit keinen andern Füßen zu |#f0040|
§. 21. Werden mehrere Versfüße so verbunden,
daß sie als ein rhythmisch geschlossenes Ganzes
erscheinen, so entsteht ein Vers. Die richtige Abmessung
desselben nach seinen Gliedern wird Skansion
genannt. ─ Wenn man mit den meisten Theoretikern
alle in §. 17 bis §. 19 genannten Verstheile als Füße
gelten läßt, was wir keineswegs gewillt sind, so lassen
sich die meisten Verse auf verschiedene Weise skandiren.
Erkennt man aber nur Jamben, Trochäen, Spondäen,
Daktylen und Anapäste und sodann regelmäßig= und
unregelmäßig=gemischte (siehe §. 38 ff.) Verse an, so |#f0041|
§. 22. Wie es in der Musik Pausen giebt,
d. i. Stellen, wo der Rhythmus fortgezählt wird, ohne
durch Töne erfüllt zu sein, so erscheinen auch im
Versrhythmus Pausen. Jnsofern diese für die
Stellen, an welchen sie sich befinden, von dem Dichter
aus Rücksicht auf den Bau und den Wohlklang der
Verse absichtlich angewendet werden, namentlich aber,
wenn sie von den Gesetzen der betreffenden Versart
vorgeschrieben sind, heißen sie Cäsuren, (Verscäsuren).
─ Schon dadurch, daß der Wortfuß nicht mit
dem Versfuß congruirt (wie es in den Versen der
Alten fast immer, in deutschen Versen doch häufig der
Fall ist) und also das Wortende innerhalb eines Versfußes
fällt, entsteht oft ein leiser, bei geeignetem Lesen dem
Ohr in etwa vernehmbar werdender Einschnitt, den man
Cäsur, Fußcäsur nennt. Weit stärker aber wird die
Cäsur, wenn sie zugleich in dem betreffenden Verse
eine logische Pause ausmacht, d. h. den Satzverband
als solchen durch Jnterpunktion trennt. (Beispiel
1, Zeile 1, und Beispiel 3, Zeile 2.) Die logische
Pause braucht jedoch nicht immer mit der Verscäsur
zusammen zu fallen, sondern kann auch selbstständig
für sich eintreten. (Beispiel 3, Zeile 1.) Die Verscäsur
ist oft zugleich Fußcäsur (Beispiel 1 und 2),
häufig aber fällt auch die Verscäsur an das Ende |#f0042|
Anmerkung. Die Cäsur bezeichnen wir durch |, die logische
Pause durch
[Abbildung]
, die Verbindung beider durch
[Abbildung]
.
Beispiele:
1)
§. 23. Die logische Verbindung stellt zuweilen an
den Anfang eines Verses eine tonlose Silbe, die in
rhythmischer Hinsicht entweder zu dem vorhergehenden
Vers zu zählen, oder als Unregelmäßigkeit anzusehen
ist. Eine solche Silbe nennt man Vorschlag, Auftakt.
Meist ist der Auftakt eine verwerfliche Licenz,
ein Fehler des Dichters; nur da, wo er absichtlich angewendet
wird, um dem Verse einen bestimmten (malerischen)
Charakter zu geben, läßt er sich rechtfertigen.
Jm Grunde verändert er stets die Versart; den trochäischen
Vers macht er zu einem jambischen u. s. w.
§. 24. Die Verse sind:
I. nach der Zahl ihrer Silben: zwei=, drei=, ─
mehrsilbig;
II. nach der Zahl der Takte: Ein=, Zwei=,
Drei=, Vier=, Fünf=, Sechstakte &c. (Monometer, Dimeter,
Trimeter, Tetrameter, Pentameter, Hexameter &c.)
III. in Rücksicht ihrer Vollständigkeit:
a. vollständig; Beispiel 1, Zeile 1─4;
b. unvollständig ─ es fehlen eine oder zwei Silben
am Ende. Dadurch tritt am Ende des Verses
eine Schlußpause (Katalexis) ein, die eine
schärfere Sonderung desselben von dem nachfolgenden
herbeiführt. Beispiel 3, Zeile 2.
c. abgekürzt ─ es fehlt ein ganzer Fuß oder gar
mehrere derselben; Beispiel 1, Zeile 5; 2, Zeile 4.
Anmerkung. Wo in strophischen Verbindungen längere
Verse regelmäßig mit kürzern wechseln, kann natürlich von Abkürzung
nicht die Rede sein.
d. überzählig ─ es ist am Schluß des Verses eine
Silbe (oder ein Fuß) zu viel. Beispiel 2, Zeile 1.
Beispiele:
1.
1) Wir fassen ein Gesetz begierig an,
2) Das unsrer Leidenschaft zur Waffe dient.
3) Ein andres spricht zu mir, ein älteres,
4) Mich dir zu widersetzen, das Gebot,
5) Dem jeder Fremde heilig ist.
Göthe, Jphigenie.
2.
1) Ein lügenhaft Gewebe knüpf' ein Fremder
2) Dem Fremden, sinnreich und der List gewohnt,
3) Zur Falle vor die Füße; zwischen uns
4) Sei Wahrheit!
Göthe, Jphigenie.
3.
Karl Beck.
|#f0044|IV. nach der Beschaffenheit der Füße:
1) jambische,
2) trochäische,
3) daktylische,
4) anapästische,
5) jambisch=anapästische,
6) trochäisch=daktylische,
7) trochäisch=jambische,
8) daktylisch=spondeische und sonstige mit
Spondeen gemischte,
9) unregelmäßige Verse.
Anmerkung. Eine rein spondeische Versart können
wir nicht annehmen. Es lassen sich zwar mühsamer Weise auch
größere Verbindungen von bloß an und für sich schweren Silben
bewerkstelligen; indeß erhalten diese meist durch den Accent
des Satzes entweder einen trochäischen, oder einen jambischen,
oder einen trochaisch=jambisch gemischten Charakter. Und wenn
wirklich beim Vortrage jede Silbe sich als betont herausstellt,
so sieht das Produkt mehr etwa einer mörtellosen Zusammenstellung
roher Steine, als einem rhythmischen Verse
ähnlich; z. B.
Oft kauft fremd Volk deutsch Korn auf.
[Abbildung]
|#f0045 : E19|§. 25. Der vorherrschende Charakter der jambischen
Verse ist Lebhaftigkeit. Sie bilden den leichtesten,
natürlichsten Rhythmus der deutschen Sprache.
§. 26. Die einfüßigen und zweifüßigen
Jamben sind selten, (Beispiel 1 und 2), auch vollständige
dreifüßige kommen für sich allein nur
wenig vor, (Beispiel 3), häufig aber in Verbindung
mit überzähligen dreifüßigen (Beispiel 4 und 5)
und vielleicht noch häufiger in Verbindung mit vierfüßigen
Jamben (Beispiel 6). Der vierfüßige Jambus
allein wird nicht weniger oft angewandt, (Beispiel 7, 8),
seltner der vierfüßige in Verbindung mit dem fünffüßigen.
Beispiele:
1)
2)
3)
4)
5)
6)
7)
8)
§. 27. Der fünffüßige Jambus ist durch Lessing
in das deutsche Drama eingeführt und wird
seitdem vorherrschend in demselben gebraucht. Außerdem
findet er seine Anwendung in der Stanze, im
Sonett u. s. w. (siehe §. 91 ff.). Die Cäsur erhält
er nach dem zweiten, in der Mitte oder am Ende des
dritten oder wohl auch in der Mitte des vierten
Fußes. Häufig erscheint er mit einer überzähligen Silbe
am Ende.
Beispiele:
1)
2)
Namentlich im Drama wird der Vers oft durch
eine logische Pause unterbrochen.
§. 28. Der aus sechs Füßen bestehende jambische
Vers kommt im Deutschen häufig und in mehreren
Formen vor; nämlich:
1) als einfacher sechsfüßiger Vers. Die Cäsur
schneidet den dritten oder den vierten Takt. Z. B.
§. 29. 2) als Alexandriner, welcher aus sechs
(oft überzähligen) Jamben besteht und nach dem dritten
Fuße immer eine Cäsur hat. Nach französischen
Vorbildern in die deutsche Metrik eingeführt, fand
dieser Vers besonders bei den schlesischen Dichtern des
siebzehnten Jahrhunderts seine Pflege (daher: Jahrhundert
des Alexandriners!). Später wurde er, zumal
durch Klopstock und Lessing, ganz verdrängt und
verpönt. Erst in der neuesten Zeit ist er wieder in
Aufnahme gekommen. Freiligrath verbindet ihn mit
vier- und fünffüßigen Jamben und vermeidet so die
steife Einförmigkeit, die man ihm nicht mit Unrecht
zum Vorwurf macht.
Beispiele:
1)
2)
Anmerkung. Der Name „Alexandriner“ rührt nach
Einigen von einem im dreizehnten Jahrhundert in Paris erschienenen
Gedicht, das die Geschichte Alexanders des Großen
zum Gegenstand hat, oder nach Anderen von einem der Verfasser
dieses Gedichts, dem Mönch Alexander her.
§. 30. 3) als der sogenannte neuere Nibelungenvers.
Derselbe unterscheidet sich dadurch vom
Alexandriner, daß er nach der dritten betonten Silbe
noch eine überzählige tonlose hat, auf welcher unmittelbar
die Cäsur folgt. ─ (Mit demselben Rechte läßt sich
die erwähnte überzählige Silbe in Verbindung mit
dem vierten Fuß als Anapäst betrachten.) Es ist merkwürdig,
welche große Verwandlung die Eine Silbe
hervorbringt: dieser Nibelungenvers gehört zu den
wohlklingendsten und geschmeidigsten, die es giebt.
Beispiel:
Anmerkung. Der ältere oder eigentliche Nibelungenvers
zählt gewöhnlich ebenfalls sechs Hebungen
(der letzte Vers der vierzeiligen Strophe auch häufig sieben oder
acht). Die Senkungen oder tonlosen Silben wechseln jedoch
ganz unregelmäßig mit den Hebungen ab, so daß dieser Vers
keineswegs einen rein jambischen, sondern einen gemischten
Charakter hat. Die Cäsur fällt aber auch hier regelmäßig
zwischen die dritte und vierte Hebung und ist ebenfalls weiblich.
Sofern, wie häufig der Fall ist, auch der neuere Nibelungenvers
an verschiedenen Stellen Anapäste (mitunter auch wohl
Spondeen) statt Jamben enthält, stellt er sich ebenfalls in die
Klasse der gemischten Verse.
Beispiel:
§. 31. Der siebenfüßige Jambus hat, wie auch
der achtfüßige, immer die Cäsur nach dem vierten Takte.
§. 32. Noch müssen wir des hinkenden Jambus,
Choliambus oder Skazon genannt, gedenken.
Er besteht aus fünf Jamben und einem Trochäus.
Durch diese Verbindung erhält er etwas Hinkendes
in seiner Bewegung. A. W. Schlegel beschreibt ihn
folgendermaaßen:
§. 33. Die trochäischen Verse eignen sich zufolge
ihres ruhigen Charakters im Allgemeinen mehr für
ernste Gedichte.
§. 34. Zwei= und dreifüßige Trochäen hat
unter andern Göthe häufig angewendet. Die besonders
von den Spaniern vielgebrauchten vierfüßigen |#f0049|
Beispiele:
1)
2)
3)
§. 35. Fünffüßige Trochäen finden sich im
Deutschen ziemlich häufig. Von ihrer Anwendung
in den serbischen Volksliedern heißen sie serbische
Trochäen.
Beispiele:
§. 36. Die sechsfüßigen Trochäen, wie auch
die siebenfüßigen kommen seltener vor; achtfüßige
sind in neuester Zeit häufig gebraucht worden.
Beispiele:
§. 37. Hier erwähnen wir auch die sogenannten
kretischen Verse, da sie unseres Dafürhaltens im
Wesentlichen trochäischen Charakters sind, indem in
jedem Kretikus die zweite Länge als ein unvollständiger
Trochäus betrachtet werden kann. Sie kommen selten vor.
Rückert hat sie mitunter in den Gaselen gebraucht; z. B.
§. 38. Verse mit bloß vollständigen Daktylen
kommen nur selten vor; dagegen erscheinen oft vollständige
Daktylen in Verbindung mit einem verkürzten
(am Ende), den man jedoch auch als Jambus resp.
als bloße Hebung ansehen kann. Man findet ─ namentlich
in lyrischen Gedichten ─ ein=, zwei=, drei=
und vierfüßige Verse dieser Gattung, fünf- und sechsfüßige
weniger.
Beispiele:
1)
2)
3)
4)
5)
6)
§. 39. Ganze Gedichte von rein anapästischen
Versen giebts im Deutschen bis jetzt wohl noch gar
nicht. Jn manchen Gedichten gemischten Versmaaßes
finden sich aber allerdings hier und da auch reine anapästische
Verse.
Beispiel:
Anmerkung. Der Ungewohnheit wegen wird Mancher
geneigt sein, in diesen und ähnlichen Versen die Anfangssilbe,
wenn sie auch an sich kurz ist, als lang zu nehmen, wodurch der
anapästische Charakter verloren ginge. Das wäre aber ─ hier
wenigstens ─ ganz gegen die Absicht des Dichters, denn das
Silbenmaaß im „Taucher“ besteht offenbar in einer regelmäßigen
Abwechslung von vierfüßigen und dreifüßigen gemischten
Versen. ─ Auf geeignete Weise gelesen, tritt der rein anapästische
Charakter vollkommen hervor. Es liegt dann viel
Schwung und hinreißende Kraft in dieser Versart, und dürfte
daher bei geeignetem Jnhalte ihre häufigere Anwendung wünschenswerth
sein, auch zu ganzen Gedichten, was freilich schwierig
sein mag. Gewöhnen würde man sich bald daran.
§. 40. Gewöhnlich treten die Anapäste in Verbindung
mit Jamben auf. Entweder leitet der Jambus
den Vers ein, oder er vertritt auch noch in einem andern
Takte die Stelle eines Anapästs, oder es wechseln
in mannichfacher Folge Jamben und Anapäste ab.
Solche aus Jamben und Anapästen gemischte Verse
heißen alcäische. ─ Wenn bloß der erste Fuß jambisch,
jeder folgende anapästisch ist und der letzte eine
überzählige kurze Silbe hat (wie in Beispiel 1, Zeile 1, 2),
so wird der Vers auch wohl ein amphibrachischer
genannt, weil er sich dann auch in amphibrachische
Verstheile (
[Abbildung]
) zerlegen läßt.
Beispiele:
1)
2)
3)
4)
§. 41. Wie Jamben und Anapäste, finden sich
auch häufig Trochäen und Daktylen gemischt, und
zwar ebenfalls auf die mannichfaltigste Weise.
Beispiele:
1)
2)
3)
4)
§. 42. Hierher gehören auch folgende im Deutschen
angewendete antike Verse:
1) Der phaläkische Vers, vorzugsweise Hendekasyllabus,
Elfsilbler genannt. Er besteht aus
sünf Takten; der erste derselben ist ein Trochäus, (zuweilen
ein Spondeus), der zweite ein Daktylus, die
drei letzten sind Trochäen.
Schema: [Abbildung]
Beispiel:
2) Der pherekratische Vers: ein Daktylus steht
zwischen zwei Trochäen.
Schema: [Abbildung]
3) Der glykonische Vers.
Schema: [Abbildung]
Beispiel zu 2 und 3:
2)
§. 43. Eine Verbindung von Trochäen und Jamben
läßt sich in vielen, besonders in nach antiken |#f0054|
1) Die choriambischen Verse. Jn diesen wechseln
Trochäen und Jamben gleichmäßig ab.
Beispiele:
1)
2)
2) Die asklepiadeischen Verse:
a. der kleinere asklepiadeische Vers.
Schema: [Abbildung]
Schmeichelnd herrschet das Weib über den Gatten oft.
b. der größere.
Schema:
[Abbildung]
Sel'ge Stunden erlebt nimmer der Mann, welcher dem Himmel trotzt.
§. 44. Der dem antiken nachgebildete deutsche
Hexameter ist ein daktylisch=spondeischer Sechstakt.
Er heißt auch heroischer Vers, da er besonders in
den antiken Heldengedichten seine Anwendung fand.
Pythischer Vers wird er genannt, weil bei dem delphischen
Orakel die Aussprüche der Pythia von den
Priestern in dieses Versmaaß gekleidet wurden.
§. 45. Reine daktylische Hexameter, in denen
dann doch der letzte Daktylus unvollständig (mit
andern Worten ein Jambus) ist, wurden und werden |#f0055|
Die Eigenthümlichkeit des Hexameters hat A. W.
Schlegel in folgendem Gedicht herrlich geschildert:
Der Hexameter.
1) Gleich wie sich dem, der die See durchschifft, auf offener
Meerhöh
2) Rings Horizont ausdehnt, und der Ausblick nirgend umschränkt
ist,
3) Daß der umwölbende Himmel die Zahl zahlloser Gestirne,
4) Bei hell athmender Luft, abspiegelt in bläulicher Tiefe:
5) So auch trägt das Gemüth der Hexameter; ruhig umfaßend
6) Nimmt er des Epos Olymp, das gewaltige Bild, in den
Schooß auf
7) Kreißender Fluth, urväterlich so den Geschlechtern der
Rhythmen,
8) Wie vom Okeanos quellend, dem weit hinströmenden Herrscher,
9) Alle Gewäßer auf Erden entrieselen oder entbrausen. ─
10) Wie oft Seefahrt kaum vorrückt, mühvolleres Rudern
11) Fortarbeitet das Schiff, dann plötzlich der Wog' Abgründe
12) Sturm aufwühlt, und den Kiel in den Wallungen schaukelnd
dahinreißt:
13) So kann ernst bald ruhn, bald flüchtiger wieder enteilen,
14) Bald, o, wie kühn in dem Schwung! der Hexameter;
immer sich selbst gleich,
15) Ob er zum Kampf des heroischen Lieds unermüdlich sich
gürtet,
16) Oder, der Weisheit voll, Lehrsprüche den Hörenden einprägt,
17) Oder geselliger Hirten Jdyllien lieblich umflüstert. ─
18) Heil dir, Pfleger Homers! Ehrwürdiger Mund der Orakel!
19) Dein will ferner gedenken ich noch, und andern Gesanges.
A. W. Schlegel.
§. 46. Die Cäsuren des Hexameters sind sehr
mannichfaltig. Als wesentliche Cäsuren, deren jeder
richtige Hexameter mindestens eine haben muß, gelten
folgende:
1) nach der ersten Länge des dritten Taktes.
Vers 4 des obigen Gedichtes;
2) nach der ersten Kürze des dritten Taktes. Vers 8;
3) nach der ersten Länge des vierten Taktes. Bei
den Alten und den besten Neuern tritt neben dieser
Cäsur noch eine andere auf, und zwar nach der ersten
Länge des zweiten Taktes. Vers 15.
Von den vielen Nebencäsuren (deren eine für die
Fälle unter 2 und 3 immer wünschenswerth ist) erwähnen
wir nur noch die bucolysche, die mit dem
Ende des vierten Taktes eintritt und ihren Namen
von der häufigen Anwendung in den bucolyschen (idyllischen)
Gedichten der Alten herschreibt. Vers 17.
§. 47. Ob die Anwendung des Trochäus im
Hexameter zulässig sei oder nicht, darüber herrschen
verschiedene Meinungen. Für den Gebrauch desselben
sprechen durch ihre Werke Göthe, Platen u. a., dagegen
A. W. Schlegel, dem sich nach seinem Vorgange
in der Elegie „Rom“ viele neuere Dichter angeschlossen
haben. Sollen Trochäen angewandt werden,
so wird immer darauf zu achten sein, daß nicht mehrere
derselben auf einander folgen, und daß die lange |#f0056|
Anmerkung. Hexameter mit einem Vorschlag, wie sie
Ew. v. Kleist in seinem Gedichte „der Frühling“ angewendet
(Kleist'sche Hexameter), haben keine weitere Pflege gefunden.
§. 48. Neben dem Hexameter ─ nie allein ─
erscheint oft ein anderer Vers, der Pentameter. Er
unterscheidet sich vom Hexameter dadurch, daß der dritte
und der sechste Takt bei ihm nur aus je einer Silbe,
und zwar immer aus einer langen bestehen. Sonach
wäre er auch als sechstaktig zu betrachten und die Benennung
Pentameter (Fünftakt) unrichtig. Er ist gewissermaaßen
eine Verdoppelung der ersten Hälfte des
Hexameters (bis zur männlichen Cäsur im dritten Takt).
Jn der ersten Hälfte des Pentameters, besonders im
ersten Takt, kann der Daktylus durch einen Spondeus
ersetzt werden, im ersten Takt auch allenfalls durch
einen Trochäus. Jn der zweiten Hälfte des Verses dagegen
werden ─ der Regel nach ─ die Daktylen immer
beibehalten. Der Pentameter hat eine ständige
Cäsur, die stets nach dem dritten Takte an den Schluß
der ersten Vershälfte fällt.
Anmerkung. Man kann den Pentameter auch, seinem
Namen entsprechend, so skandiren, daß sich nur fünf Füße herausstellen.
Der dritte Fuß ist dann immer ein Spondeus, der
durch die Cäsur durchschnitten wird. Der vierte und fünfte Fuß
werden bei dieser Betrachtungsweise durch zwei Anapäste gebildet.
§. 49. Aus der Verbindung eines Hexameters mit
einem Pentameter entsteht das elegische Distichon
(Doppelzeile).
„Nicht bloß zur Darstellung der sanften Traurigkeit
in der eigentlichen Elegie, dem Klagelied, sondern auch |#f0057|
Beispiele:
1)
4)
§. 50. Sapphische Verse:
1) Der kleinere sapphische Vers besteht aus fünf
Füßen; die zwei ersten sind Trochäen, der dritte ist
ein Daktylus, der vierte wieder ein Trochäus und
der fünfte ein Spondeus.
Beispiel:
2) Der größere sapphische Vers mag aus folgenden
zwei Beispielen kennen gelernt werden:
1) Orgelton und Christengesang stimmten das Herz zur Andacht.
[Abbildung]
2) Wenn des Lieds Wohllaut sich erhebt tönt in der Brust der Nachhall.
[Abbildung]
§. 51. Bei den meisten bisher behandelten Versarten
wird für die Abwechselung und Reihenfolge der
tonlosen und betonten Silben ein genau bestimmtes |#f0058|
§. 52. Zu dieser Klasse von Versen gehören vielleicht
die meisten altdeutschen und die denselben nachgebildeten
Verse, z. B. der eigentliche oder ältere
Nibelungenvers, den wir schon bei Gelegenheit des
neuern jambischen Nibelungenverses in §. 30 besprochen
haben; ferner manche englische oder den englischen
nachgebildete Balladenverse, und endlich wohl
die Mehrzahl der eigentlichen Volkslieder.
§. 53. Es giebt auch Verse, in denen selbst die
Hebungen nicht gezählt werden, sondern bei denen
das Maaß des Verses nur entweder von der logischen
Abtheilung des Satzes oder von der zufälligen
Stellung des Reims abhängt. Zu dieser Gattung gehören
unter anderm auch die Makamen, eine Art gereimter
Prosa, welche besonders durch Rückert aus
Persien nach Deutschland verpflanzt wurde.
§. 54. Von den bessern Kunstdichtern werden die
unregelmäßigen Verse keineswegs immer aus Bequemlichkeit
gewählt; vielmehr wird von ihnen die Freiheit,
die solche Verse gestatten, häufig zu rein künstlerischen
Zwecken benutzt. Dies geschieht, indem sie die Stellung
der Silben in den Versen und namentlich die Zahl
und Vertheilung der tonlosen Silben dem betreffenden
Gedanken möglichst entsprechend zu machen suchen. Je
nachdem der Gang des Gedichts (in Bezug auf den
Jnhalt) mehr munter oder mehr ernst, mehr leidenschaftlich
oder mehr ruhig &c. wird, häufen oder vermindern
sie die Zahl der tonlosen Silben u. s. w., nehmen
dabei auch auf den rhythmischen Wohlklang die
erforderliche Rücksicht. Da kann es dann nicht fehlen,
daß unregelmäßige Verse mitunter vor den regelmäßigsten
den Vorzug verdienen.
§. 55. Gemischte Verse, bei denen die im vorigen
Paragraphen dargelegten Rücksichten nicht stattfinden,
die vielmehr Licenzen aller Art an sich tragen, pflegt
man auch Knittelverse zu nennen. Jn naiv=komischen
Gedichten sind dieselben oft von (relativ) großer
Wirkung; als Versart betrachtet, nehmen sie aber
die letzte, unbedeutendste Stelle ein.
Beispiel:
[Abbildung]
|#f0060 : E36| §. 56. Neben der Betonung und dem Rhythmus
erscheint im deutschen Versbau als drittes (jedoch
nicht nothwendiges) Element der Gleichklang.
Er ist entstanden aus dem Streben, den innern Zusammenhang
sprachlich verknüpfter Vorstellungen eindringlicher
zu machen, oder den Eindruck der Hauptvorstellungen
zu verstärken und zwar durch Einwirkung
auf das Gehör. Welcher Art diese Einwirkung ist, das
läßt der Name schon ahnen: es wird derselbe Klang
dem Ohr mehrmals vorgeführt; die Bedeutung aber,
welche dieselbe für die Poesie hat, wird sich ergeben,
wenn wir die Beschaffenheit der verschiedenen Gleichklänge
werden kennen gelernt haben.
§. 57. Der Gleichklang bezieht sich
A. auf einzelne Vokale. Diese Art des Gleichklangs
heißt Assonanz, Stimmreim. Sie entsteht,
wenn in mehrern Wörtern, namentlich in den betonten
Silben, dieselben Vokale herrschen. Die Assonanz
tritt entweder in einer Reihenfolge von Wörtern oder
am Ende der Verszeilen auf. Jm erstern Falle ist sie
besonders dann von günstiger Wirkung, wenn die
assonirenden Wörter verwandte Bedeutung haben. ─ |#f0061|
„Das Wichtigste bei der Assonanz ist und bleibt
immer die Uebereinstimmung der Laute mit dem jedesmal
herrschenden Gefühl, und es ist nur etwas sehr
Allgemeines und zugleich Beschränktes, wenn wir bemerken,
daß z. B. der Freude und Lust, wie auch dem
Leid und Weh das i, dem Unbestimmten und dem
Grellen, der Wehklage das e oder ä; der Bewunderung,
dem Erhabenen, dem Entschlossenen das a, dem
Staunen, der Trauer das o, der Furcht, dem Schrecken,
dem Gräßlichen das u, dem Unklaren, dem sich Erhebenden
das ö und ü, der Erschütterung, der Angst,
dem Schmerz das ei, au und eu entspricht.“ (Dilschneider.)
─ Die Assonanzen sind jedoch im Deutschen
noch nicht besonders viel benutzt worden. Sie
sagen unsrer Sprache auch nicht so zu, als den an
Vokalen reicheren, sogenannten romanischen Sprachen.
Beispiele:
1)
2)
3)
4)Die Lüfte.
§. 58. Der Gleichklang kann sich ferner beziehen
Bauf einzelne Consonanten: in mehreren
nicht zu weit von einander stehenden Wörtern finden
sich nämlich dann am Anfange dieselben Mitlaute.
Der dadurch entstehende Gleichklang, Alliteration
genannt, ist der schon in der ältesten Zeit und da fast
ausschließlich in der deutschen Poesie gebrauchte. Wie
sehr er derselben angemessen ist, das bekundet seine
häufige Anwendung in der Sprache des gemeinen Lebens.
Wir führen nur einige Beispiele an: frank und
frei, Haut und Haar, hoffen und harren, Kling und |#f0063|
Beispiele:
1)
2)
3)
4)
§. 59. Eine Verbindung der Assonanz und Alliteration
hat in der Annomination statt. Die Annomination
besteht in der Zusammenstellung solcher Wörter,
die einem gleichen Stamme angehören. Sie
wird da angewendet, wo eine Hauptvorstellung besonders
hervorgehoben und zur lebendigsten, geistigen Anschauung
gebracht werden soll.
Beispiele:
1)
2)
§. 60. Bezieht sich der Gleichklang
C. auf ganze Silben, (mit Ausnahme der dem
Hauptvokal vorhergehenden Laute,) d. h. sind nicht
nur die Vokale, sondern auch die darauf folgenden
Consonanten betonter Silben (und sämmtliche Laute
der in denselben Wörtern etwa vorkommenden Nachsilben)
von gleichem Klange, so bildet er den eigentlichen
Reim. *) Daß der Reim unserer Sprache
natürlich und angemessen sei, läßt sich ebenfalls schon
aus dem häufigen Gebrauch desselben in der Sprache
des gewöhnlichen Lebens folgern. Z. B. Heute mir,
morgen dir! Heute roth, morgen todt! Schlecht und
recht! Schritt und Tritt! Gehen und stehen! Wie gewonnen,
so zerronnen! Borgen macht Sorgen! Eile
mit Weile! Mitgegangen, mitgehangen! Jn Saus und
Braus! Ehstand, Wehstand! Aufgeschoben, ist nicht
aufgehoben! Gut und Blut! u. s. w.
Anmerkung. Jn der rohen Volkssprache ist sofgar die
Neigung zum Reim o stark, daß sie oft ein Wort willkührlich
ändert, um es mit einem andern reimend zu machen, z. B.
wie der Herre, so's Gescherre (Geschirr); wie die Alten sungen,
so pfiffen die Jungen; Gunst ist nicht umsunst; u. s. w.
§. 61. Jn besonderer Rücksicht auf die Beschaffenheit
der reimenden und der denselben folgenden
Silben erhalten die Reime verschiedene Eintheilungen
und Benennungen. Jn der bei weitem größten
Zahl deutscher Gedichte hat man es in dieser Beziehung
nur mit männlichen und weiblichen Reimen zu
thun. Männlich oder stumpf heißt der Reim,
wenn er lediglich von betonten Silben gebildet wird, ─
z. B. Ohr und Rohr, Glanz und Kranz, er=
scheint und geweint, ─ weiblich, wenn auf die
reimenden betonten Silben noch eine übereinstimmende
tonlose folgt, z. B. geboren, verloren; glänzen,
kränzen. Treten nach der betonten Reimsilbe noch
zwei übereinstimmende tonlose Silben ein, so nennt
man den Reim gleitend, z. B. Geborener, Ver=
lorener; Bekränzende, glänzende. Der Charakter
unserer Sprache erschwert die Anwendung dieses
Reimes, besonders wenn er als Endreim auftreten
soll; wo er aber ungezwungen sich findet, ─ meist nur in
kürzern Versen ─ ist er gewöhnlich von schöner Wirkung.
─ Schwebend wird der Reim genannt, wenn
auf die reimende volltonige Silbe noch eine mitteltonige
folgt, z. B. kraftvoll, saftvoll; Bereitung, Zeitung.
Der schwebende Reim wurde bisher selten absichtlich
und selbstständig angewendet, gewöhnlich geht er als
weiblicher Reim mit durch, obgleich er offenbar von
demselben sich durch größere Kraft unterscheidet. Doppelt=gereimte
Spondeen, wie „Märzschnee,“
„Herzweh,“ ─ „Jagdspeer,“ „Schlachtheer,“ stören
noch mehr, wo sie als weibliche Reime auftreten wollen;
mit Absicht als besondere Reimgattung gebraucht,
Anmerkung. Von diesem ist in den folgenden Paragraphen
des Abschnittes ausschließlich die Rede.
Der reiche Reim entsteht, wenn dem identischen
Reim (also den gleichen Wörtern) ein wirklicher
Reim entweder unmittelbar folgt, oder, was häufiger
ist, unmittelbar vorangeht.
Beispiel:
§. 62. Als besondere Reimformen sind außer |#f0066|
1) der Anfangsreim ─ die ersten Worte verschiedener
Verse bilden den Reim.
2) der Binnenreim ─ zwischen Anfang und
Ende eines und desselben Verses erscheinen Reimklänge,
z. B.
3) der Mittelreim ─ die Mitte des einen reimt
mit der Mitte des andern Verses, wobei, wie beim
Anfangs- und Binnenreim, der Endreim nicht ausgeschlossen
ist.
Beispiele:
1)
2)
4) der Kettenreim ─ das Ende eines Verses
reimt mit der Mitte des folgenden, z. B.
5) der Doppel= (und mehrfache) Reim ─
zwei oder mehrere Wörter eines Verses (besonders dem
Schlusse zu) reimen mit den entsprechenden des andern.
Beispiele:
1)
2)
6) das Echo. Es entsteht, wenn an das Endwort
eines Verses das mit demselben reimende Wort sich
unmittelbar anschließt.
Beispiel:
§. 63. Sieht man auf die Stellung, welche die
einzelnen Endreime einnehmen, so unterscheidet man:
1) ungetrennte Reime.
Schema: aabb, aaabbb u. s. w.
Wenn viele oder doch mehrere mit demselben
Reim endenden Verse in ungetrennter Folge auftreten,
so bedient man sich für dieselben auch des Ausdrucks
Schlagreim.
Beispiel:
Lob des Goldes.
2) gekreuzte. abab.
3) umarmende. abba.
4) verschränkte. abcabc oder abcbac.
5) unterbrochene.
§. 64. Jn den ältesten poetischen Produkten
unserer Sprache finden wir mehr die Alliteration, als
den eigentlichen Reim angewendet. Später aber trat
die erstere sehr zurück: der Reim (im engern Sinne)
wurde fast allein angewendet und mit seiner Ausbildung
wuchs die Bedeutung, welche man ihm beimaaß.
Er galt als ein so wesentliches Erforderniß
poetischer Produkte, daß nur das Poesie genannt
wurde, was reimte. (Und bis auf den heutigen Tag
finden sich der „Gebildeten“ viele, die da meinen, nur
im Reime liege der Unterschied zwischen Poesie und
Prosa: was sich reime, sei poetisch, was nicht reime,
gehöre der Prosa an.) Jn der letzten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts, als namentlich durch Klopstock die
antiken Versmaaße in die deutsche Metrik eingeführt,
und vorherrschend gebraucht wurden, fielen manche ─
und unter ihnen namhafte Dichter ─ ins Extrem
und erklärten den Reim nicht nur für ein entbehrliches,
sondern sogar für ein der wahren Poesie nachtheiliges
Element. Man betrachtete ihn nur als eine Spielerei,
die zum Kitzel des Ohrs diene, aber für die darzustellenden
poetischen Gedanken gar leicht zum spanischen
Stiefel, zum Prokrustesbett werde. Unsere größten
Dichter der neuern Zeit huldigen weder dem einen,
noch dem andern Extrem. Jhnen ist der Reim
eben so wenig ein unbedingt nöthiges, wesentliches |#f0070|
§. 65. Soll der Reim auf die Leser und Hörer
die im vorigen Paragraphen angegebenen, in Absicht
gestellten Wirkungen haben, so muß er (mehr oder
weniger) unter dem Einfluß folgender Sätze und Gesetze
gebildet und angewendet werden:
1) Nicht alle Gedichte vertragen den
Reim; nicht allen steht er gleich gut.
Am meisten eignet sich der Reim für die lyrische
Poesie; das Lied selbst kann ihn nur schwer entbehren,
Nur bei denjenigen lyrischen Gedichten, die eine starke,
leidenschaftliche Aufregung schildern, ist seine Anwendung
nicht durchweg zu empfehlen. ─ Jn den Epopöen
antiken Charakters wird der Reim nie heimisch werden;
dagegen pflegt das romantische und neuere Epos
in Strophenformen aufzutreten, die den Reim nothwendig
fordern. Ebenso wird in denjenigen epischen
Dichtungsarten, welche den lyrischen Gattungen am
nächsten stehen, wie namentlich die Ballade und Romanze,
der Reim immer mit Vortheil angewendet. ─
Ob der Reim sich für das Drama eigne oder nicht,
darüber kann man ebenfalls keine ausschließenden Bestimmungen
aufstellen. Denn wenn sich auch behaupten
läßt, daß der Natur des Dramas, insonderheit des
Trauerspiels ─ einzelne lyrische Stellen natürlich ausgenommen!
─ der Reim nicht zusage, so kann man
wiederum auch den großen Erfolg nicht in Abrede
stellen, mit welchem er von einzelnen Dichtern, z. B.
von Göthe im Faust, in dramatischen Dichtungen
angewendet wurde.
§. 66. 2) Das Versmaaß gereimter Dichtungen
muß einfach, die Verschlingung der
reimenden Verse darf nicht zu verwickelt
sein. ─ Am wenigsten paßt der Reim für die, den
quantitirenden Sprachen entnommenen Odenversmaaße,
auch gereimte Hexameter und Pentameter dürften
leicht einen unangenehmen Eindruck machen. Ganz
bestimmt darf man aber auch über diesen Punkt nicht
absprechen. Der Binnenreim wenigstens wurde mitunter
auch von den Alten angewendet und auch ein
Reim-Spondeus am Ende des Hexameters scheint
uns den Charakter dieses Verses wenig zu beeinträchtigen.
Beispiele:
1)
2)
Ueberhaupt läßt sich der Grundsatz, daß nur bei
kürzern Versen der Reim anzuwenden sei, nicht aufstellen,
eine große Menge von Dichtungen unserer
größten Poeten beweist, wie auch in längern Verszeilen
der gute Reim seine Wirksamkeit behauptet.
Daß aber die Wirkung stärker wird, je näher sich die
reimenden Wörter stehen, leidet keinen Zweifel, und
jedenfalls wird der Eindruck des Reims ein sehr matter
sein, wenn die reimenden Verse weit auseinander
liegen. Das tritt z. B. schon in der Canzone hervor.
§. 67. 3) Da die verschiedenen Reime
auch einen verschiedenen Charakter haben,
so kann nicht jeder derselben für ein bestimmtes
Gedicht passen. Hauptsächlich kommt hierbei
der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen
Reimen in Betracht. Der männliche Reim charakterisirt
sich durch Kraft, Bestimmtheit und Abgeschlossenheit
und eignet sich deshalb für Gedichte kräftigen, ernsten
Jnhalts; im weiblichen Reime dagegen liegt etwas
Weiches, Zartes, Sanftes, darum ist er mehr für
Gedichte, deren Jnhalt ruhige, sanfte Gefühle anzuregen
bestimmt ist. Jndeß wird auch mitunter, um die
Kraft etwas zu mildern, bei sehr kräftigem Jnhalt
der weibliche Reim angewendet, so wie bei Gedichten
zarten Jnhalts zuweilen der männliche Reim, damit
das Zarte, Weiche nicht ins Weichliche, Verschwimmende
übergehe, sondern vielmehr einen festern, bestimmtern
Charakter erhalte. Eine Abwechselung männlicher
und weiblicher Reime sagt begreiflicher Weise vielen
Gedichten besonders zu.
§. 68. 4) Des Reimes wegen darf man
begründete grammatikalische Regeln nicht
verletzen, die Wortfolge nicht willkührlich
und unnatürlich verschrauben, die reimenden
Wörter nicht verstümmeln oder verunstalten,
auch die Sprache weder durch uneingebürgerte
Fremdwörter, noch durch Provinzialismen,
noch durch unedle, gemeine
Ausdrücke entwürdigen.
Viele unserer Dichter, namentlich auch Göthe,
Beispiele:
1)
2)
3)
4)
(Einzelne Reimwörter Göthe's sind sogar der Art, daß
der Setzer aus Schaam für gut fand, Punkte statt Buchstaben
zu setzen.)
Jn einzelnen Fällen, namentlich in komischen Gedichten,
ist allerdings manches zu entschuldigen oder
wohl gar, als dem Jnhalte und Zwecke des Gedichts
entsprechend, zu loben. Doch sind das Ausnahmen; die
Regel aber bleibt in Kraft und es ist ihr eine genauere
Beachtung sehr zu wünschen. ─ Das Streben, die gar
zu oft dagewesenen, gewissermaaßen abgenutzten Reime
möglichst zu vermeiden und dadurch eine originelle
Frische zu erlangen, ist an sich löblich; führt es aber
zu Benutzung von Fremd- und sonstigen ungeeigneten
Wörtern &c., so fällt man offenbar aus der Scylla in
die Charybdis. Hier ist auch Freiligrath zu nennen;
doch rechtfertigen manche seiner Fremdwörter sich dadurch,
daß sie Dinge bezeichnen, die dem Lande &c.,
von dem die Rede ist, eigenthümlich sind.
§. 69. 5) Die reimenden Wörter müssen
in Rücksicht des Satzinhalts, wo möglich, die
relativ größte Bedeutung haben, also Hauptvorstellungen
bezeichnen. ─ Jn dieser Hinsicht |#f0074|
§. 70. 6) Die reimenden Wörter müssen
möglichst innendeutsam und malerisch sein.
„Je mehr die Reimwörter durch ihre, das Ohr treffende
Bewegung, die, den innern Sinn treffende Bewegung
der herrschenden Vorstellungen und Empfindungen
nachahmen, desto besser sind sie.“*) ─ Jndeß darf man
auch hier nicht zu viel verlangen, zumal da unsere
Sprache an vorzüglichen Wörtern dieser Art nicht allzureich
ist. Selbst abstrakte Ausdrücke und Eigennamen
wird man oft als tadellose Reime gelten lassen müssen.
Uebrigens ist dem Dichter zu empfehlen, auch in Bezug
auf den Reim die in §. 57 enthaltene Andeutung
über den innern Charakter der Vokale nicht ganz außer
Acht zu lassen, obgleich er sich daneben vor unnöthiger
und unangenehmer Eintönigkeit beim Gebrauche derselben
zu hüten hat.
§. 71. 7) Endlich ist nöthig, daß der Reim
den in formeller Hinsicht an ihn zu machenden
Anforderungen entspreche.
a. Er muß rein sein, d. h. es muß bei den
reimenden Wörtern in Rücksicht des Klanges Ueberein=
b. Eine reimende Silbe darf nicht unmittelbar
auf eine ungereimte, betonte Silbe
folgen. Wie häßlich ist dieserhalb folgende Reimung:
Bei weiblichen Reimen müssen auch in der Regel
beide Silben jedes der reimenden Trochäen zu einem
einzigen Worte gehören, es sei denn, daß durch das
Gegentheil der Gleichklang für's Ohr nicht gestört würde.
Reime wie „es macht sich“ und „achtzig,“ „das
bedaur' ich“ und „schaurig“ &c. kann man sich immerhin
gefallen lassen, wogegen z. B. K. Simrock's Reim
„ging er“ und „Finger,“ so wie der Freiligrath'sche
„daß er“ und „Wasser“ &c., wenn man von der beabsichtigten
komischen Wirkung absieht, durchaus verwerflich
erscheint.
c. Der Reim darf nicht eine Trennung
des Reimwortes (am Ende der Verse) veranlassen;
außer etwa auch, wenn dadurch eine komische Wirkung
beabsichtigt wird; wie in dem bekannten:
d. Die Reimwörter müssen, auch abgesehen
von ihrer Uebereinstimmung, möglichst wohl= und
vollklingend sein. Unter den Vokalen sind offenbar
e und ä matter und weniger schön, als die übrigen,
besonders u, o, ö, ü, eu, au u. s. w. Unter den, dem
reimenden Vokal folgenden Consonanten scheinen l, m,
n und r den Vorzug zu verdienen. Wenn zwei dieser
vier Consonanten auf einen volltönenden Vokal folgen,
dürfte der Reim in dieser Hinsicht am vollkommensten
sein, z. B. Sturm und Thurm, Palmen und Psalmen
u. s. w. Jndeß sind natürlich auch anders gebaute
Reimwörter nicht zu vermeiden. Sogar solche, in
denen auf den reimenden Vokal gar kein Consonant
folgt, gehen mit durch, z. B. ja, da; ─ obgleich ihnen
eine gewisse Unvollständigkeit des Klanges nicht abzusprechen
ist.
§. 72. Wir dürfen nie vergessen, daß der Reim nur
dem Formellen der Poesie angehört, daß er den Genuß |#f0076|
[Abbildung]
|#f0077 : E56| §. 73. Durch die Verbindung mehrerer
Verse zu einem, als rhythmische Periode abgegränzten,
harmonischen Ganzen entsteht eine Strophe.
Das Wesen der Strophen wird bedingt durch die Zahl
und Art der Verse und durch die Stellung des Reims.
§. 74. Jn Rücksicht auf die Länge der Verse
kann man mit Feldbausch die Strophen eintheilen
in gleichmäßige und ungleichmäßige. Die Verse
der erstern haben alle eine gleiche Anzahl von Versfüßen, ─
doch kann der letzte Vers auch etwas kürzer sein ─ (Beispiel
1); die ungleichmäßigen Strophen sind entweder
aus ungleichen Verspaaren zusammengesetzt (Beispiel 2),
oder es wechseln gleiche Verspaare mit ungleichen (Beispiel
3), oder die gleichen Verspaare werden von einzelnen
längern oder kürzern Versen unterbrochen (Beispiel
4), oder endlich Verse von verschiedener Länge
bilden die Strophe (Beispiel 5).
Beispiele:
1)
2)
3)
4)
5)
§. 75. Neben dem Rhythmus und dem Maaß
der Verse ist (natürlich nur da, wo er stattfindet) der
Reim von großem Einfluß auf die Strophenbildung.
Häufig wird durch den Reim die Sonderung und die
Vermehrung der Verse veranlaßt. So lassen sich in
dem Nachtlied von Göthe die vier ersten Verse, sieht
man vom Reim ab, auf zwei reduciren.
Ganz besonders aber dient der Reim als Binde= und
Abrundungsmittel.
§. 76. Die im Deutschen vorkommenden Strophen
sind entweder deutsche Reimstrophen, oder
antike Strophen, oder endlich sogenannte moderne,
d. h. ausländischen, besonders südeuropäischen Sprachen
nachgebildete Strophen.
§. 77. Die deutschen Strophenformen sind die
wichtigsten und angemessensten für den deutschen Dichter.
Und doch können wir hier nur noch wenig von
ihnen sagen, denn sie zerfallen mit wenigen Ausnahmen
nicht in genau bestimmte feststehende Arten, sondern
ihre Mannichfaltigkeit geht fast ins Unendliche.
Der denkende Dichter wählt für jeden Stoff eine Strophenform,
die ihm für denselben die geeignetste scheint,
─ einerlei, ob sie schon in andern Gedichten sich findet
oder noch nicht, ─ natürlich aber mit der nöthigen
Rücksicht auf den Wohllaut und auf die Gesetze der
Silbenwägung und des Reims. Auch muß er die Strophenform,
die er einmal wählt, in der Regel für das
ganze Gedicht beibehalten.
Nach der Zahl ihrer Verse lassen sich die deutschen
Strophen in zwei= bis etwa dreizehnzeilige eintheilen.
§. 78. 1) Die zweizeilige Strophe kommt im
Alt- und Neu-Deutschen sehr häufig vor, doch wird sie
nicht immer als Strophe abgetheilt, oft tritt sie als
bloßes Reimpaar auf. Jhr gewöhnlichstes Silbenmaaß
ist das vierfüßige jambische oder jambisch=anapästische.
§. 79. 2) Die dreizeilige Strophe findet sich
seltener, aber in den verschiedensten Versarten; in der
Regel reimen alle drei Verse mit einander, oft auch
nur zwei, wo dann entweder der mittlere oder der letzte
reimlos ist. ─ Ueber die nach romantischen Vorbildern
in die deutsche Poesie aufgenommenen, hierher gehörenden
Strophenbildungen, Terzine und Ritornell, siehe
§§. 95, 96!
§. 80. 3) Die vierzeilige Strophe erscheint
mit einem oder mit zwei Reimen nach folgenden Formen:
+ a + a, aabb, abab, abba. Sie findet sich außerordentlich
häufig, und in vielen Silbenmaaßen, besonders
in lyrischen Gedichten; so wie in Balladen und
Romanzen. Eine vierzeilige Reimstrophe mit gepaarten
männlichen Reimen ist auch die Nibelungenstrophe.
Ueber das Sonett siehe §. 97.
§. 81. 4) Die fünfzeilige Strophe tritt in verschiedenen
Formen, meist mit zwei Reimen, zuweilen
mit dem Refrain (Wiederholungssatz) auf.
Anmerkung. Der Refrain ist ein Vers, der in jeder
Strophe eines Gedichts wiederkehrt, meist ungereimt ist und dem Jnhalt
nach oft nur mit dem Ganzen, seltener auch mit den einzelnen
Strophen, in strengem Zusammenhange steht. Er dient in der Regel
dazu, die Pointe des Gedichts, den Hauptgedanken hervorzuheben,
und pflegt beim Gesangvortrag den Chor abzugeben.
§. 82. 5) Jn der sechszeiligen Strophe sind
die Reimstellungen noch mannichfaltiger; die gebräuchlichsten
sind: ababab, ababcc, aabccb. Eine besondere
Art sechszeiliger Strophen ist die Sestine. (Siehe §. 101.)
§. 83. 6) Die siebenzeiligen Strophen haben
ebenfalls mancherlei Formen; nicht selten ist der Refrain
angewendet.
§. 84. 7) Die achtzeilige Strophe wird oft
angewendet, am häufigsten erscheint sie mit folgenden
Reimstellungen: abababab, ababcdcd, ababccdd,
abbcaddc, aaabcccb, aabbcdcd u. s. w. Zu den
achtzeiligen Strophen gehört auch die Stanze. (Siehe
§. 91 ff.)
§. 85. 8) Neunzeilige Strophen finden sich
seltener. Die Reimformen sind mannichfacher Art.
§. 86. 9) Die zehnzeilige Strophe (zu welcher
auch die spanische Dezime gehört, siehe §. 105)
wird schon öfter angewendet, dagegen sind
10) elfzeilige,
11) zwölfzeilige, und endlich
12) dreizehnzeilige Strophen
seltene Erscheinungen, in denen Silbenmaaß und Reimstellung
jedoch in gar vielerlei Weise stattfinden können.
§. 87. Trotz der Bemühungen einzelner, bedeutender
Dichter (wie Klopstock, Voß, Platen), die
antike Strophenbildung einzuführen, hat dieselbe
doch im Ganzen wenig Pflege gefunden, zumal in
neuester Zeit. Gewichtige Stimmen haben sich erhoben
(Göthe, Schiller, Schlegel, Tieck, Uhland)
und den Strophenbau der alten Sprachen als unserer
Sprache nicht angemessen erklärt.
Unter den angewendeten Formen sind folgende hervorzuheben:
§. 88. 1) Die asklepiadeische Strophe. Sie
besteht in der Regel aus zwei asklepiadeischen Versen,
auf welche dann ein pherekratischer und ein glykonischer
folgen. (§. 49.)
§. 89. 2) Die alcäische Strophe mit zwei alcäischen
Versen, einem überzähligen jambischen und einem
logaödischen (daktylisch=trochäischen) Dimeter.
§. 90. 3) Die sapphische Strophe. Sie enthält
drei sapphische Verse und einen adonischen.
§. 91. Die Stanze. Unter den modernen, dem
Auslande entlehnten Strophen nimmt die Stanze
(Ottave rime, Octave) als die lieblichste und schmuckvollste
den ersten Rang ein. Sie besteht aus acht gleichlangen,
meist fünffüßig jambischen Versen mit zweifachem
oder dreifachem Reim. Jede regelmäßige Stanze
muß dem Jnhalt und der Form nach ein abgerundetes
Ganze bilden, d. h. der in einer Strophe ausgesprochene
Gedanke muß in derselben zum Abschluß kommen.
§. 92. Es giebt mehrere Arten von Stanzen,
nämlich:
I. Die dem Jtalienischen entnommenen,
regelmäßigen. Diesen liegt der vollständige oder
überzählige fünffüßige Jambus zu Grunde; sie unterscheiden
sich durch die Art und Zahl ihrer Reime.
a. Stanzen mit zwei gekreuzten Reimen. Die
aus acht überzählig=fünffüßigen Jamben bestehende,
also nur weibliche Reime enthaltende Stanze, Siciliano
genannt, kommt im Deutschen selten oder
gar nicht vor. Jn männlichen und weiblichen Reimen
wechselnde musterhafte Octaven hat uns
Rückert in seiner Rose Siciliano geboten.
Der Wechsel hat nach folgendem Schema statt:
1) ab, ab, ab, ab, 2) ab, ab, ab, ab u. s. w.
b. Stanzen mit drei Reimen. abababcc. Die
drei Reime sind entweder durchaus weiblich oder
es wechseln männliche und weibliche ab (der männliche
Reim fällt dann gewöhnlich auf den zweiten,
vierten und sechsten Vers). Die Octaven der letztern
Art verdienen im Deutschen den Vorzug, da
der ausschließliche Gebrauch weiblicher Reime leicht
eine, der Natur unsrer Sprache widerstrebende
Mattigkeit mit sich führt.
§. 93. II. Unregelmäßige Stanzen.
a. Die deutschen Dichter haben sich mancherlei Abweichungen
von den unter 1) angeführten Formen
erlaubt. Sie haben sich weder streng an die Zahl
der Versfüße, noch an die Zahl und Art der Reime
gebunden, sondern fünffüßige Jamben mit vierfüßigen
wechseln, ferner bald bloß gekreuzte, bald
ungetrennte, bald drei, bald vier Reime eintreten
lassen. Ja sogar die Versart hat man vertauscht |#f0082|
und statt der Jamben in Gedichten elegischen Jnhalts
fünffüßige Trochäen gebraucht.
b. Hierbei müssen wir auch der sogenannten Spenser'schen
Stanze, einer vom englischen Dichter
Spenser entweder erfundenen, oder von ihm
ausgebildeten und in seiner „Feenkönigin“ angewendeten
Strophenform gedenken. Sie besteht aus
acht fünffüßigen Jamben und einem Alexandriner,
und hat drei Reime nach dem Schema: ababbcbcc,
es reimen sich also Vers 1 und 3; 2, 4, 5 und 7;
6, 8 und 9. Sie ist auch von deutschen Dichtern,
namentlich in Uebersetzungen, und zum Theil unter
mancherlei Abweichung, gebraucht worden.
§. 94. Das Madrigal. Das Madrigal (wahrscheinlich
so viel wie Schäferlied) ist ein Gedicht, das
eigentlich nicht unter sechs und nicht über elf Verse und
höchstens drei Reime haben soll. Man hat sich aber
selten genau nach der Regel gehalten, und nennt jedes
kleine, in ähnlicher Form erscheinende Gedicht tändelnder
Tendenz ein Madrigal.
§. 95. Die Terzine. Diese, schon von den
Troubadour's gebrauchte Strophenform besteht aus drei
fünffüßigen Jamben, die fortlaufend gekreuzte Reime
bilden, weshalb zum Abschluß der letztern am Ende
des Gedichts noch eine Verszeile beigefügt ist, die mit
dem zweiten Verse der letzten Strophe reimt. ─ Das
Schema ist also folgendes: aba, bcb, cdc, ded, efe,
fgf ... xyx, yZy, Z. Die Terzine eignet sich hauptsächlich
für ernste Gedichte lyrischer oder epischer Gattung.
§. 96. Das Ritornell. Das Ritornell besteht
aus dreizeiligen Strophen (gewöhnlich fünffüßige Jam= |#f0083|
§. 97. Das Sonett. Das Sonett (Klinggedicht)
besteht aus vierzehn fünffüßigen Jamben, von
denen die acht ersten vierzeilige, die sechs letzten dreizeilige
Strophen bilden. Die vierzeiligen Strophen enthalten
nur zwei, und zwar umarmende Reime. Jn den
dreizeiligen Strophen treten entweder zwei Reime in
Terzinenform auf, oder es finden sich deren drei, die
dann in mannichfacher Verschränkung, am häufigsten
in folgenden Formen erscheinen: abcabc, abccba,
abcacb, abbacc, abcbca.
§. 98. Das Sonett ist zunächst durch die schlesische
Dichterschule in Deutschland angebaut worden.
Der bei den Dichtern dieser Schule so beliebte Alexandriner
mußte auch für das Sonett herhalten. ─ Später
wurde es vernachlässigt, bis Bürger (der jedoch in
fünffüßigen Trochäen schrieb) und die Romantiker es
wieder in Aufnahme brachten. Man hat das Sonett
für die verschiedensten Stoffe benutzt. Doch darf ein
gutes Sonett nur einen Hauptgedanken enthalten, der
in der letzten Strophe seine völlige poetische Entwickelung
finden muß.
§. 99. Noch müssen wir des Sonettenkranzes
gedenken. Der Sonettenkranz ist eine Reihe von fünfzehn
Sonetten und nach folgenden Gesetzen gebildet:
1) jedes einzelne Sonett entspricht (in seiner Form)
den angeführten allgemeinen Regeln; 2) die Schlußzeile
des einen ist die Anfangszeile des folgenden Sonetts; |#f0084|
§. 100. Die Canzone. Diese dem Provençalischen
entstammende, meist für elegische Gegenstände
gebrauchte Form ist im Deutschen selten (von Zedlitz
in den „Todtenkränzen“), meist nur bei Uebersetzungen
italienischer Poesien, angewendet worden.
Versmaaß der Canzone ist der elfsilbige Jambus, mit
dem der siebensilbige zuweilen abwechselt. Die Strophen
sind in Rücksicht der Zeilenzahl keinem Zwange unterworfen,
(gewöhnlich finden sich dreizehn, sechszehn oder
elf Verse,) doch müssen sie gleichmäßig gebildet sein.
Jede regelmäßige Strophe zerfällt in drei Abtheilungen.
Die beiden ersten Abtheilungen, Füße genannt, enthalten
eine vom Dichter abhängige Reimverschlingung
─ doch muß dieselbe durch das ganze Gedicht streng
durchgeführt sein! ─ und bilden am Ende eine logische
Pause. Die dritte Abtheilung, die coda oder der
Schweif, schließt sich mit ungetrenntem Reim an die
zweite an. Den Schluß des ganzen Gedichts bildet
eine kürzere Strophe, die in Rücksicht der Verszahl
gewöhnlich mit der dritten Abtheilung der vorhergehenden
Strophe übereinstimmt. Jn dieser Schlußstrophe
redet der Dichter in der Regel die Canzone selbst an,
nimmt Abschied u. s. w.
§. 101. Die Sestine. Die Sestine ist unstreitig
die künstlichste der, dem Süden entlehnten Strophen= |#f0085|
§. 102. Das Cancion ist eine, dem Spanischen
entlehnte lyrische Form. Es besteht in der Regel aus
zwölf (zuweilen aus mehr), in zwei oder drei Strophen
vertheilten trochäischen Versen, die entweder lauter
weibliche oder abwechselnd weibliche und männliche
Reime enthalten. Die Reime der ersten Strophe müssen
sich am Schluß wiederholen. Jn Bezug auf den
Jnhalt ist noch zu bemerken, daß die erste Strophe den
Hauptgedanken enthält, der in der (oder den) folgenden
weiter ausgeführt wird.
Beispiel:
I.
§. 103. Das Triolett. Das Triolett, wahrscheinlich
französischen Ursprungs, besteht in der Regel
aus acht bis zwölf jambischen oder trochäischen Versen
mit zweifachem Reim. Die beiden ersten Verse, welche
einen abgeschlossenen Hauptgedanken enthalten, machen
zugleich den Schluß des Gedichts aus, während der
erste Vers sich auch noch in der Mitte wiederholt. Von
dieser dreimaligen Wiederkehr des ersten Verses hat die
Form ihren Namen. Das Ganze gehört den poetischen
Spielereien an und eignet sich deshalb vorzüglich nur für
tändelnde, scherzhafte Gedichte. Die wenigen Bearbeiter,
die das Triolett im Deutschen gefunden hat, haben
nicht immer streng die darüber geltenden Regeln befolgt.
Beispiel:
§. 104. Das Rondeau. Das Rondeau oder
Ringelgedicht, ebenfalls französischen Ursprungs, soll
eigentlich aus dreizehn, in zwei Strophen vertheilten,
theils zehn=, theils elfsilbigen Jamben bestehen, und
acht männliche und fünf weibliche Reime enthalten.
Die Anfangsworte des ersten Verses müssen als Refrain
am Schluß der ersten, so wie am Schluß der
zweiten Strophe wiederkehren. ─ Die wenigen Rondeau's,
welche wir im Deutschen besitzen, enthalten
mancherlei Abweichungen von den aufgestellten Regeln.
Beispiel:
§. 105. Die Dezime. Die Dezime ist eine, der
lyrischen Poesie Spaniens und Portugals angehörende
Strophenform. Sie besteht aus zehn vierfüßigen Trochäen,
die gewöhnlich zwei oder drei und zwar meistens |#f0088|
§. 106. Die Dezime findet ihre Anwendung bei
den sogenannten Glossen. Die Glosse ist ein Gedicht,
das aus zwei Haupttheilen, dem Thema und den
Variationen besteht. Der im Thema ─ einer, aus
einem andern Gedicht entlehnten vierzeiligen Strophe ─
gegebene Hauptgedanke wird in vier Dezimen weiter
durchgeführt (varirt) und zwar so, daß der letzte Vers
jeder Dezime die wörtliche Wiederholung eines Verses
aus dem Thema ist.
§. 107. Ferner wird die Dezime zu der Tenzone
(d. i. Streitgedicht), einer mit der Glosse
verwandten, ebenfalls spanischen Form gebraucht. Die
Tenzone besteht aus drei Theilen. Der erste Theil, das
Thema, ─ meist eine Strophe von vier vierfüßigen
Trochäen ─ enthält eine Frage, die eine doppelte Beantwortung
zuläßt. Die doppelte Antwort liefern die
beiden letzten Theile. Es vereinigen sich nämlich zwei
Dichter, das Thema nach entgegengesetzten, sich bekämpfenden
Ansichten zu beantworten und zwar in folgender
Form: Jede Antwort ist in so viel Dezimen
gekleidet, als das Thema Zeilen zählt. Jede Dezime
schließt mit einem Reimwort des Thema's und zwar
treten diese Reimworte bei der ersten Antwort in der |#f0089|
Beispiel:
I. Thema.
III.
1)
§. 108. Eine, besonders zu kleinen Gelegenheitsgedichten
häufig gebrauchte Form ist das Akrostichon.
Das Eigenthümliche desselben besteht darin, daß die
Anfangsbuchstaben der Verse unter sich ein Wort oder
mehrere Worte bilden, zu welchem der Jnhalt des Ganzen
in einiger Beziehung steht.
Beispiel:
Der Morgen.
§. 109. Das Gasel ist eine, erst in neuester Zeit
nach orientalischen (persischen) Vorbildern durch Rückert |#f0091|
§. 110. Die persische Vierzeile ist eine Strophenform,
in welcher die beiden ersten Verse mit dem
vierten reimen, während der dritte Vers reimlos bleibt.
An ein bestimmtes Versmaaß braucht sich der Dichter
nicht zu binden, aber die Zahl der Silben muß in den
vier Versen dieselbe sein.
Beispiele:
Das Gasel.
§. 111. Als Zusatz zu der Lehre von den poetischen
Formen sei hier noch bemerkt, daß man, auch abgesehn
von Silbenwägung, Reim, Vers- und Strophenbildung,
bei der Wahl und Stellung der in Gedichten zu brauchenden
Wörter möglichst nach Wohllaut zu trachten
hat, ohne jedoch der Richtigkeit, Genauigkeit und Natürlichkeit
des Ausdrucks dadurch Eintrag zu thun.
Erschöpfende Regeln in dieser Hinsicht aufzustellen,
dürfte weder möglich, noch nöthig sein. Man richte
nur die gehörige Aufmerksamkeit auf diesen Punkt, (d. h.
auf Vokale und Consonanten, Verbindung und Aussprache
aller Wörter;) in den meisten Fällen wird dann
das eigene Gefühl richtig entscheiden. Es sei indeß hier
noch erwähnt, daß die in §. 71 d. in Bezug auf den Reim
gemachte Andeutung auch auf die nicht gereimten Wörter
ausgedehnt werden kann, ferner, daß a) eine zu große
Anhäufung von minder schönen Consonanten, wie s,
z, t, p, ß, tz, sp u. s. w., b) der zu häufige Gebrauch
des Vokals e, besonders auch des unbetonten am
Schluß der Wörter, c) ebenso und noch mehr die gewaltsame
Fortwerfung dieses e an Stellen, wo der
Geist der Sprache die Apostrophirung nicht gestattet,
und d) eine zu lange Reihe von bloß einsilbigen Wörtern,
zumal solcher, deren Qualität und Betonung
zweifelhaft oder unbestimmt ist, ─ dem Wohllaut relativ
schadet. ─ Sodann haben wir schließlich noch des sogenannten
Hiatus zu gedenken. Der Hiatus (die
Klaffung, Gähnung) entsteht, wenn ein Wort mit einem |#f0093|
[Abbildung]
|#f0094 : E76| §. 112. Das Wesen der Poesie besteht, wie wir
bereits oben §. 1. sahen, in der durch die Sprache vermittelten
Darstellung des Schönen. Die Darstellung
des absolut Schönen ist entweder an etwas rein
Jnneres oder an die Außenwelt geknüpft. Danach
unterscheidet man subjektive und objektive Poesie.
Jn jener bringt der Dichter das Schöne zur Anschauung,
indem er seine eigenen Gefühle und Empfindungen
schildert, in dieser, indem er Ereignisse aus dem
Leben Anderer, ─ Erscheinungen der Außenwelt vorführt.
§. 113. Die objektive Poesie zerfällt in die
epische und in die dramatische. Die epische
Poesie läßt den Dichter bei der Schilderung von Gegenständen
der Außenwelt ganz objektiv und die Ereignisse
als vergangen, als Begebenheit erscheinen;
in der dramatischen tritt die Person des Dichters
zwar ebenfalls ganz zurück, aber die Personen des Gedichts
werden handelnd, die Ereignisse somit als
gegenwärtig aufgeführt.
§. 114. Lyrische, epische und dramatische
Gedichte bilden die drei Hauptgattungen der Poesie.
Jede derselben zerfällt in mehrere Arten, die unter sich |#f0098|
§. 115. Tritt in poetischen Erzeugnissen die Belehrung
als bestimmter oder als Hauptzweck heraus,
so nennt man dieselben didaktisch. Die didaktischen
Poesieen können nicht als eine besondere Hauptgattung
aufgeführt, die einzelnen Produkte derselben
müssen vielmehr immer derjenigen der genannten drei
Hauptgattungen untergeordnet werden, mit der sie die
meiste Verwandtschaft haben. Läßt der Dichter statt der
Gefühle und Empfindungen ─ oder neben denselben ─
Gedanken und Betrachtungen vorwalten, so wird
das Gedicht ein lyrisch=didaktisches; stellt er über
Ereignisse, oder vielmehr beim Erzählen derselben, über
Gegenstände des äußern Lebens, der Natur und
der Kunst &c., belehrende Reflexionen an, so wird es
ein episch=diktaktisches sein, legt er seine Lehren
§. 116. Es ist viel darüber gestritten worden, ob
die Gedichte didaktischer Tendenz überhaupt in das
Gebiet der Poesie gehören oder nicht. Wir unsern
Theils können eine unbedingte Ausscheidung derselben
nicht billigen. Allerdings soll die Poesie nach unsrer
eigenen Erklärung zunächst keinen andern Zweck
haben, als den, Genuß zu bereiten; allerdings scheint
es sonach bedenklich zu sein, noch andere Zwecke neben
jenen Hauptzweck zu stellen; ─ aber betrachten wir
die große Zahl guter didaktischer Gedichte, so finden
wir, daß man recht wohl Belehrung erzielen kann,
ohne dem Hauptzweck der Poesie etwas zu vergeben.
Freilich solchen Produkten, in welchen der nüchterne
Verstand die Phantasie, überhaupt das Didaktische
die Poesie erdrückt, die nur trockene Lehre
(diese allenfalls in guter poetischer Form) bieten, aber
alles poetischen Gehalts ermangeln, werden auch
wir nicht das Wort reden.
[Abbildung]
|#f0099 : E82| §. 117. Lyrisch nannten die Griechen jedes Gedicht,
das mit Begleitung der Lyra vorgetragen wurde.
Wir legen den Namen allen denjenigen poetischen Produkten
bei, deren Hauptcharakter Veranschaulichung
des Schönen durch Schilderung bestimmter,
subjektiver Empfindungen des
Dichters ist. ─ Es giebt aber auch viele lyrische
Gedichte, in welchen der Dichter nicht seine eigenen
Gefühle schildert, sondern eine andere, entweder wirkliche
oder fingirte Person, in deren Geist und Lage
er sich hineindenkt, Gefühle aussprechen läßt. Hier hat
also auch die Lyrik einen objektiven, wenigstens keinen
eigentlich subjektiven Charakter. ─ Da es in Bezug
auf die zu schildernden Empfindungen immer eines
Anknüpfungspunktes bedarf, so werden die lyrischen
Gedichte nicht bloß die Gefühle schildern,
sondern zugleich diejenigen Erscheinungen und Ereignisse
erwähnen oder vorführen, die dieselben veranlassen.
Je mehr Berücksichtigung jenen Erscheinungen
und Ereignissen in dem Gedichte zu Theil
geworden ist, je mehr die Gefühlsschilderung selbst zu= |#f0100|
§. 118. Für die zur lyrischen Poesie zu rechnenden
Dichtungsarten läßt sich ein durchgreifender
Eintheilungsgrund nicht aufstellen. Theils bestimmen
die Art der dargestellten Gefühle, theils der
Grad ihrer Lebendigkeit, theils die Form, theils
andere Rücksichten die Unterscheidung und Benennung.
Wir führen sie deshalb ohne weitere Classifikation
hier auf:
1) Das Lied; 2) die Ode; 3) die Hymne;
4) die Rhapsodie; 5) der Dithyrambus; 6) die
Cantate; 7) die Elegie; 8) die Heroide; 9) das
Gnomon; 10) das Epigramm; 11) die Satyre;
12) die poetische Epistel; 13) das Lehrgedicht
(im engern Sinne).
§. 119. Das Lied drückt in einer einfachen,
aber möglichst vollendeten und für den Gesang
geeigneten Form eine einzelne, bestimmte Empfindung
aus. Einfachheit in jeder Hinsicht ist das
wesentliche Erforderniß aller Gedichte, die den Namen
Lied beanspruchen. Gewöhnliche Lebensverhältnisse und
Ereignisse, überhaupt Gegenstände, die dem Gemüthe
nahe liegen, werden die Anknüpfungspunkte der zu schildernden
Empfindung bilden. Und diese Empfindung,
wenn auch nach verschiedenen Beziehungen hin
ausgesprochen, wird (in Rücksicht dieser Beziehungen)
doch eine harmonische, ihr Erguß ein natürlicher,
ruhiger, sanfter sein.
§. 120. Wie die Empfindung selbst, so muß auch
der Ausdruck derselben sich durch Einfachheit charakterisiren.
Das Gefühl, nicht die Jdee hat im Liede
die Herrschaft; deshalb werden Gehalt und Gang der
Gedanken, so wie die gebrauchten Bilder der gewöhnlichen
Sphäre des Menschenlebens gemäß sein. Daß
diese Forderung nur bei einer durchaus ungekünstelten,
einfachen, aber nichts desto weniger vollendeten
Form ihre befriedigende Lösung finden kann, ist an
sich klar, wir beschränken uns deshalb in dieser Hinsicht
auf folgende Bemerkungen: Der Umstand, wonach
das Lied zugleich (oder vorzugsweise) für den Gesang
mit bestimmt ist, macht nicht nur die strophische Abtheilung
der Verse nothwendig, sondern auch die vollständige,
metrische Uebereinstimmung der
correspondirenden Verse mindestens wünschenswerth.
Nur Abweichungen sehr unbedeutender Art sind
in einzelnen Fällen hier zulässig.
§. 121. Wie der äußere Bau der Verse, so
nimmt auch der innere Charakter derselben des Dichters
volle Aufmerksamkeit in Anspruch, mit andern
Worten, das Versmaaß muß möglichst dem
Jnhalt des Liedes gemäß gewählt werden.
Bestimmte Vorschriften und ausschließende Bestimmungen
lassen sich hierüber zwar nicht aufstellen; doch
möchte im Allgemeinen Folgendes maaßgebend sein:
Sanften, weichen Gefühlen, namentlich aber Empfindungen
der Trauer entsprechen am meisten der
dreifüßige und der fünffüßige Trochäus, während
der vierfüßige Trochäus sich mehr für kräftige,
ernste und für Gefühle der Sehnsucht eignet. |#f0102|
§. 122. Endlich fordert auch der Reim seine sorgfältige
Beachtung. Wie wir schon oben (§. 65) bemerkt
haben, kann das Lied denselben nur schwer entbehren.
Wir finden ihn ─ mit sehr wenigen Ausnahmen ─
in allen deutschen Liedern. Und nicht mit Unrecht.
Der Reim verleiht dadurch, daß er gleichsam schon
eine Composition des Liedes bildet, demselben einen
wundersamen Reiz; er vermag vorzugsweise die vollendete
Harmonie der geschilderten Gefühle zu charakterisiren.
Denn gerade im Liede lassen sich alle die, oben angedeuteten
(möglichen) Schönheiten des Reimes am besten
und vollständigsten entwickeln, alle die Wirkungen,
die man durch denselben bezwecken kann, am leichtesten
erreichen. Darum wird der Dichter immer auf die
entsprechendsten, schönsten Reime vorzugsweise
beim Liede bedacht sein müssen. Reimkünsteleien
passen aber zu dem Charakter des Liedes eben so wenig,
als künstliche und zusammengesetzte Versmaaße.
Nur in naiv=komischen Gedichten dieser Art ist so etwas
zuweilen mit guter Wirkung zu brauchen.
§. 123. Die Lieder zerfallen nach ihrem Jnhalt
zunächst in zwei Hauptklassen, in religiöse oder
geistliche und in sogenannte weltliche Lieder.
§. 124. Das religiöse Lied schildert immer |#f0103|
§. 125. Weltlich nennt man ein Lied, wenn in
ihm die Beziehung auf Gott nicht heraustritt,
sondern gewöhnliche Lebensverhältnisse oder
Gegenstände der sichtbaren Welt die Basis der
geschilderten Gefühle bilden. Die meisten weltlichen
Lieder haben die geschlechtliche Liebe zum Gegenstand;
andere beziehen sich auf die geselligen Verhältnisse der
Menschen; andere auf Zustände oder Ereignisse, oder
auf bedeutende Personen des Vaterlandes; noch andere
endlich basiren auf Gegenstände oder Erscheinungen der
Natur. Danach kann man die weltlichen Lieder eintheilen
in Liebeslieder, Gesellschaftslieder,
Vaterlandslieder und Naturlieder. Einer dieser
vier Arten werden sich die meisten Lieder unbedingt
zuweisen lassen; nur bei einigen wenigen wird dies
nicht der Fall sein.
§. 126. Die Lieder, deren Gegenstand die Liebe
ist, werden auch erotische (von Eros, dem Gott der
Liebe) genannt. So unermeßlich groß die Menge der
erotischen Lieder, so ansehnlich selbst die Zahl der ausgezeichneten
unter denselben ist, so wird doch auch
ferner die Liebe immer Hauptgegenstand des Liedes
bleiben. Wie sie, als die Poesie des Lebens, dieses |#f0104|
§. 127. Diejenigen Lieder, deren Gegenstand
die geselligen (doch nicht die staatsbürgerlichen!)
Beziehungen der Menschen unter einander sind,
fassen wir unter dem Namen Gesellschaftslieder
zusammen, da uns dieser der entsprechendste scheint.
Je nach ihrer besondern Tendenz erhalten die Gesellschaftslieder
verschiedene Namen, z. B. Lieder der Freundschaft,
Trinklieder, Wanderlieder u. s w.
Anmerkung. Hierbei erwähnen wir auch die anakreontischen
Lieder. Man gab im vorigen Jahrhundert denjenigen
Gedichten diesen Namen, die nach den Vorbildern des
griechischen Dichters Anakreon (zur Zeit des Cyrus) frohen
Lebensgenuß in naiver, leichter und gefälliger Weise aussprechen.
Gleim so wenig, als die andern sogenannten Anakreontisten
haben aber ihr Vorbild erreicht. Heut zu Tage braucht man
den Namen nicht mehr, wiewohl die neueste Zeit reich genug
an solchen Liedern ist, die denselben mit vollem Recht verdienen.
§. 128. Unter dem Namen Vaterlandslieder
fassen wir alle diejenigen Lieder zusammen, in denen
Ereignisse oder Zustände oder (Beziehungen auf)
bedeutende Personen des Vaterlandes die
Basis der geschilderten Gefühle bilden. Sonach gehören
in diese Rubrik die Kriegs= und Freiheitsgesänge
(Vaterlandslieder im engern Sinne), die sogenannten
politischen Lieder und diejenigen Gelegenheitsgedichte,
welche bei festlichen Veranlassungen fürstlichen
Personen überreicht werden oder als Ausdruck
der Gefühle für dieselben dienen sollen. Die bei weitem
größte Zahl dieser Lieder hat zugleich den Zweck, |#f0105|
Ja leider! hat man der Poesie gar häufig nur das
schöne Gewand gestohlen, um die Nüchternheit seiner
patriotischen Gefühle dadurch zu verdecken! leider schlägt
mancher Vaterlandsdichter, indem er die Ketten zu
lockern, die Fesseln zu lösen sucht, in welche man das
Vaterland in dieser oder jener Hinsicht geschlagen, die
freie Göttin Poesie, die Herrin, nicht Sklavin sein
soll, selbst in Ketten, damit die, an sich prosaische,
Tendenz allein das Regiment führe. So soll es, so |#f0106|
§. 129. Es ist in neuester Zeit viel hin= und
hergestritten worden, ob die Politik in den Kreis der
Poesie gehöre oder nicht? Wir finden es inconsequent
und lächerlich, wenn man die Antwort unbedingt verneinend
ausfallen läßt. Kriegsliedern hat man,
unsers Wissens, die poetische Zulässigkeit noch nicht abgesprochen.
Sind aber Kriegslieder im Grunde etwas
anderes, als politische Lieder? Oder soll unsere Vaterlandsliebe
sich nur auf das Departement des Auswärtigen
und das des königlichen Hauses erstrecken? Soll
das, was alle Gemüther eines ganzen Landes bewegt
(oder doch alle bewegen sollte!) nicht passender
Stoff poetischen Ergusses sein? Wir beklagen es mit
allen Besonnenen, wenn im politischen Liede eine gehässige
Bitterkeit, persönliche Gereiztheit sich kund giebt;
uns ekelt forçirter Patriotismus an, trage er nun die
blutige Farbe der Empörung oder die graue des Servilismus;
wir sind nicht gemeint, (wie einer unserer
neuesten politischen Dichter,) daß allen denjenigen Dichtern
Gesinnungslosigkeit beizumessen sei, die in unserer
politischen Zeit von etwas anderem singen, als von
Politik; ─ aber wir freuen uns, wenn das Jnteresse
des Tages ächte poetische Ergüsse veranlaßt, wir freuen
uns, wenn wir nicht bloß von Waldvögelein und Mondenschein,
von Liebespein und Liebeslust singen, sondern
auch den Ton männlicher Gesinnung anstimmen hören,
der das Herz kräftigt und die Entschiedenheit fördert.
§. 130. Die Naturlieder sprechen entweder die
Gefühle aus, welche Gegenstände oder Erscheinungen
der Natur im Gemüthe hervorrufen,
oder sie schildern diese Gegenstände und Erscheinungen
selbst, oder sie lassen das Gemüth betrachtend
bei denselben verweilen, oder sie sind endlich allegorischen
Charakters.
§. 131. Hat ein weltliches Lied eine weite Verbreitung
im Volke gefunden, wird es von demselben
gern und viel gesungen, so nennt man es Volkslied.
Viele der Volkslieder (man kann sagen die Volkslieder
im engern Sinne überhaupt) sind aus der Mitte des
Volkes hervorgegangen und gehören also der Naturpoesie
an (siehe §. 1, Anmerkung). Produkte der
Kunstpoesie werden nur dann zu Volksliedern werden,
wenn sie der Bildungsstufe des Volks entsprechen,
also im Volkstone gehalten sind und wenn sie des
Volkes Jnteressen auf eine ihm zusagende Weise berühren.
§. 132. Das Lied, das wohl überhaupt bei allen
Völkern bis in die früheste Zeit ihrer Bildung hinaufreicht,
ist auch in Deutschland schon frühe angebaut
worden. Es liegt außer dem Kreise unserer Darstellung,
eine Geschichte des deutschen Liedes zu geben; wir
führen hier nur die Namen der ausgezeichnetsten
unserer Liederdichter an.*) Jm religiösen Liede zeich=
Unter den Dichtern weltlicher Lieder nehmen
Walther v. d. Vogelweide, M. Opitz, P. Flemming,
S. Dach, Günther, Hagedorn, Gleim, Jacobi,
Herder, Bürger, Fr. Stollberg, Voß, Claudius,
Göthe, Schiller, Schubart, Matthisson,
Salis, Hölty, A. W. Schlegel, F. Schlegel,
Tieck, Fouqué, Arnim, Hebel, Schenkendorf,
Körner, Arndt, Uhland, Rückert, Schwab, W.
Müller, J. Kerner, Mayer, Eichendorff, Chamisso,
Platen, Heine, Hoffmann, A. Grün,
Lenau, Freiligrath, Beck, Seidl, Herwegh,
E. Geibel, Wolfg. Müller &c. eine vorzügliche
Stelle ein.
§. 133. Der ursprünglichen Bedeutung des Wortes
gemäß nannte man im Griechischen jedes für den
Gesang oder musikalische Begleitung sich eignende, also
jedes reinlyrische Gedicht eine Ode. Bei uns hat
das Wort eine engere Bedeutung. Wir nennen nämlich
diejenigen Gedichte Oden, welche mit hoher Begeisterung
und in künstlerischer, schöner Form
Empfindungen schildern, die die Betrachtung erhabener
Gegenstände, mit welchen sich die höhern
§. 134. Wir können uns nicht versagen, hier die
geistreiche Charakteristik folgen zu lassen, die der Heros
der deutschen Literaturgeschichte, Gervinus, von der
Ode entwirft: „Die Ode ist der Culminationspunkt
aller lyrischen Poesie; die Spitze der musikalischen Poesie,
§. 135. Erst seit Haller fand die eigentliche Ode
Bearbeiter. Was Haller und Cramer in dieser
Dichtungsart leisteten, wurde bei weitem überflügelt
durch die Oden Klopstock's, die noch immer als
Muster dastehen. Nächst Klopstock zeichneten sich aus:
Ramler, Uz, Herder, Hölty, Fr. Stollberg,
Voß, Schubart und Hölderlin. Die Dichter der
neuesten Zeit haben die Ode, wenigstens in antiken
Silbenmaaßen, fast gar nicht cultivirt; selbst Platen's
vorzügliche Leistungen fanden weder großen Anklang,
noch Nachahmung.
§. 136. Das Wort Hymne (wörtlich so viel
wie: ich webe, in übergetragener Bedeutung: ich
feiere, ich lobsinge) bezeichnete im Griechischen einen
Lobgesang, der bei feierlichen Opfern unter Musikbegleitung
vorgetragen wurde. Bei uns ist die dem
Worte untergelegte Bedeutung eine sehr schwankende.
Man giebt nämlich dem der Hymne beiwohnenden Begriff
des Feierns entweder eine allgemeinere oder
eine speciellere Beziehung und nennt im erstern
Falle Hymnen alle die Oden, die zum Preise der
Gottheit, oder ausgezeichneter Menschen oder auch zur
Verherrlichung erhabener (doch immer personificirt gedachter!)
Gegenstände der geistigen oder körperlichen
Anmerkung. Man könnte zwar sagen, in den zum
Preise erhabener Menschen oder Gegenstände dienenden Gedichten
sollen nicht diese an sich, sondern nur das Göttliche in
ihnen verherrlicht, also gewissermaaßen auch das Lob der
Gottheit gefeiert werden: dadurch aber würde man jedenfalls
die Unklarheit und Verworrenheit der Begriffe um ein Bedeutendes
erweitern.
§. 137. Während in der Ode die Empfindungen
ausströmen, die die Betrachtung des Großen und
Erhabenen überhaupt erzeugt, findet der Dichter
der Hymne in der unaussprechlichen Größe
Gottes den Gegenstand, der ihn zur Begeisterung
hinreißt, seine Seele zur Andacht und Anbetung stimmt.
Da nichts mit solcher Gewalt auf das menschliche Gemüth
zu wirken vermag, als die Betrachtung der
Herrlichkeit Gottes, so wird die Hymne im Tone der
höchsten Begeisterung gehalten sein und der Ausdruck
in ihr einen noch höheren Schwung nehmen müssen,
als in der Ode. Nur dann wird dies weniger der Fall
sein (oft nur zu sein scheinen), wenn die bewundernde
Begeisterung die Seele des Dichters über alle Erscheinungen
und alle Schranken des irdischen Lebens so
erhebt, daß sie von denselben nicht mehr berührt wird
und sich in seliger Anschauung des Unendlichen ganz
verliert ─ oder wenn sich neben die anbetende Bewun=
§. 138. Jn Rücksicht der Form ist dem Hymnen=Dichter
völlige Freiheit der Wahl gestattet. Man
hat sich nach dem besondern Charakter der einzelnen
Hymnen der verschiedensten Versmaaße, häufig auch
mit gutem Erfolg des Reims bedient.
§. 139. Sieht man von der nicht unbedeutenden
Zahl derjenigen unserer Kirchenlieder ab, die den
Namen Hymne zwar nicht führen, aber doch mit
gutem Recht verdienen, so finden sich im Deutschen
verhältnißmäßig nur sehr wenige Hymnen. Namentlich
ist die neueste Zeit arm daran. Aus dem vorigen
Jahrhundert dagegen besitzen wir Nennenswerthes der
Art von Gellert, Klopstock, Cramer und Lavater.
§. 140. Zusatz. Zu den Hymnen werden ─
und zwar großentheils mit vollem Rechte ─ auch die
Psalmen, die uns in der Bibel aufbehalten sind, gerechnet.
Man hat den Namen auch auf deutsche Hymnen
dann angewendet, wenn dieselben rücksichtlich ihres
Stoffes in der mosaischen oder christlichen Religion
wurzeln.
§. 141. Die Rhapsodie hat, in Rücksicht ihres
Gegenstandes, entweder mehr den Charakter der Ode
oder mehr den der Hymnen. Jhre unterscheidende Eigenthümlichkeit
liegt darin, daß sie 1) ihrem Jnhalt
nach nur als ein Bruchstück erscheint, indem sie
Anmerkung. Der Name Rhapsodie ist dem Griechischen
entlehnt. Jn Griechenland pflegten nämlich die bei Festen oder
sonst öffentlich auftretenden, wandernden Sänger, wenn sie Gedichte
vortrugen, einen Stab oder einen Lorbeerzweig in der
Hand zu halten und wurden deshalb Rhapsoden (Leute, die
während des Singens einen Stab halten), ihre Gesänge Rhapsodien
genannt. Da diese Gesänge meist Bruchstücke größerer,
(namentlich homerischer) Gedichte waren, so nahm man später
rhapsodisch gleichbedeutend mit bruchstückartig.
§. 142. Der Dithyrambus war ursprünglich
eine Hymne, die dem Bachus zu Ehren bei dessen
Festen gesungen wurde. Später sang man auch das
Lob anderer Götter in Dithyramben.
Der eigentliche Dithyrambus erscheint nach
Jnhalt und Form unter dem Einfluß des Bachus,
oder vielmehr seiner Gabe, des Weins, gebildet. Aus
ihm spricht eine Begeisterung, wie sie der Rausch erzeugt
und der Rhythmus charakterisirt gewöhnlich die
ungeregelte Bewegung des Trunkenen.
§. 143. Von eigentlichen Dithyramben
kann bei uns nicht die Rede sein: sie sind ihrem Gegenstand
nach unserer religiösen Anschauungsweise und
unsern Sitten gleich sehr entfremdet. Doch hat man,
§. 144. Unsere Literatur ist überaus arm in dieser
Dichtungsart. Zwar hat man zuweilen versucht, Trinkliedern
dithyrambische Gestalt zu geben ─ im Ganzen
mit wenig Glück. Erwähnung verdienen die Dithyramben
von Willanow, Friedrich (Maler) Müller,
Voß und Schiller.
§. 145. Die Cantate ist eine, aus Jtalien zu
uns gekommene lyrische Dichtungsart, deren hervorstechende
Eigenthümlichkeit in der unbedingten Bestimmung
für die musikalische Darstellung
besteht. Sie schildert in einer Reihe von Sätzen
Empfindungen, die zwar an denselben Gegenstand
geknüpft, aber an Art und Stärke doch sehr verschieden
sind. Gewöhnlich läßt der Dichter die verschiedenen
Empfindungen auch durch verschiedene Personen
aussprechen und giebt dadurch der Cantate einen
mehr oder weniger dramatischen Charakter. Doch
darf das Gedicht seine lyrische Natur nie verleugnen.
Wo darum die Cantate nicht nur die Gefühle schildert,
die sich aus gewissen Vorgängen entwickeln, sondern
wo sie vielmehr diese Vorgänge selbst dadurch vorführt,
daß sie Personen handelnd auftreten läßt, da wird
dies doch mit solcher Einfachheit geschehen, daß den
Empfindungen ─ denn auf diese kommt es an! ─
§. 146. Die Haupttheile der Cantate sind:
das Recitativ, die Arie und der Chor. Der Jnhalt
des Recitativ's ist entweder erzählend, oder beschreibend,
oder reflektirend; er bildet gleichsam die Basis der
Gefühle, welche in der Arie und dem Chor zur Darstellung
gelangen. Jn der Regel ist die Begleitung im
Recitativ höchst einfach gehalten und der Gesang erscheint
als eine musikalische Deklamation.
Die Arie nähert sich am meisten dem Liede. Sie
tritt fast immer mit dem Reim und häufig in Strophenform
auf. Oft ist die Arie dialogisch gehalten, d. h. der
Ausdruck der Gefühle findet, abwechselnd oder vereint,
durch zwei, drei oder vier verschiedene Stimmen
statt. (Duett, Terzett, Quartett.)
Jm Chore vereinigen sich alle oder doch viele
der darstellenden Personen, um ein Gefühl auszudrücken,
das sie alle durchdringt.
§. 147. Man unterscheidet geistliche und weltliche
Cantaten. Wenn die geistlichen Cantaten im
größeren Style religiöse, besonders aber biblische
Stoffe behandeln, nennt man sie Oratorien. ─
Kleinere, einfache Cantaten nennt man wohl Can=
§. 148. Die Cantaten haben, wie fast alle
die Poesien, bei welchen die hinzukommende Musik die
Hauptrolle spielt, mit geringer Ausnahme, unter den
namhaften Dichtern nur wenige Bearbeiter gefunden;
deshalb ist ihr poetischer Werth durchschnittlich
sehr gering. Merkwürdig genug haben die poetischwerthvollen
Cantaten, die wir z. B. von Herder,
Ramler u. a. besitzen, nur sehr mittelmäßige oder gar
keinen Componisten gefunden. Die bloß in musikalischer
Hinsicht ausgezeichneten Cantaten, resp. Oratorien
&c. hier aufzuführen, kann nicht unsere Aufgabe
sein.
§. 149. Die Elegie stellt die Gefühle der
Wehmuth dar, welche sich, bei Betrachtung
von etwas Jdealem oder Jdealisirtem, aus
dem Bewußtsein menschlicher Schwäche und
Beschränkung erzeugen. Während die Ode das
Gemüth über alle Schranken des irdischen Lebens in
die Regionen des Unendlichen, Ewigen, Jdealen erhebt,
zieht die Elegie das Jdeale, Unendliche in den Kreis
irdischer Beschränkung und menschlicher Schwäche herab
und läßt es nur in diesem Spiegel sehen. ─ Alles, was
uns theuer war, dessen Verlust wir jedoch jetzt beklagen,
so wie jedes Gut, nach welchem wir uns heiß, aber
vergeblich sehnen, kann Gegenstand der Elegie sein. Es
ist dabei nicht nöthig, daß das Beklagte oder Ersehnte
§. 150. Der Umstand, daß die Elegien der Alten
in Distichen geschrieben sind, hat Mehrere veranlaßt,
ohne Rücksicht auf den Jnhalt, alle lyrischen Gedichte,
die in dieser Form auftreten, Elegien zu nennen. Wir
meinen mit Unrecht. Freilich entspricht das sogenannte
elegische Versmaaß dem Charakter der Elegie vorzüglich
gut, aber es bestimmt denselben nicht und
kann (die Beweise liegen in ältern und neuern Gedichten
vor!) auch für ganz andern, als elegischen
Jnhalt gebraucht werden. Die moderne Elegie ist
an kein besonderes Metrum gebunden, doch versteht es
sich von selbst, daß das gewählte immer dem Jnhalt
gemäß sein muß. Am angemessensten erscheinen, neben
der von vielen Dichtern beibehaltenen antiken Form,
fünffüßige Trochäen oder Jamben.
§. 151. Die Elegie ist, wenn auch nicht mit besonderer
Vorliebe, doch, zumal seit Klopstock, vielfältig
und mit Erfolg angebaut worden. Viele der
bessern Elegien haben eine (beziehungsweise!) allgemeine
Anmerkung. Wie überhaupt die Dichtungsarten, zumal
die lyrischen, in der Praxis nicht all zu häufig ganz streng
gesondert erscheinen, sondern oft mannichfaltig in einander überspielen
und sich verschmelzen, so finden sich namentlich auch viele
elegieähnliche Lieder oder liederartige Elegien, z. B. bei Lenau,
Eichendorf, Heine &c.; desgleichen auch Oden, Hymnen,
Rhapsodien, ja auch Romanzen, Balladen &c., welche der Elegie
wenigstens sehr nahe verwandt sind. Wenn ein Gedicht
nur wirklich schön ist, schöne Form mit schönem Jnhalt verbindet,
so braucht der Dichter desselben sich nicht darum zu kümmern,
in welche Klasse es gehöre, ─ er kann ruhig und
unbesorgt zusehen, wenn die Theoretiker ─ sich die Köpfe
darüber zerbrechen. Man darf mit ihm darüber eben so wenig
rechten, als die Naturforscher mit dem lieben Gott, wenn etwa
eine Pflanze nicht ins Linnée'sche System passen will.
§. 152. Die Heroide ist in Hinsicht ihres Jnhalts
der Elegie verwandt. Auch in ihr ist der
Ton der Wehmuth vorherrschend; auch sie spricht
entweder die Klage über einen erlittenen Verlust, oder
den Schmerz vergeblicher Sehnsucht aus. Aber sie erscheint
nicht, wie die Elegie, als subjektive Aeußerung
des Dichters, sondern ist objektiv gehalten. Der
Dichter läßt nämlich eine historische oder fingirte
Person auftreten und dieselbe Empfindungen der
Sehnsucht oder der Klage gegen eine andere
Person aussprechen. Da die Person, an welche die
Heroide gerichtet ist, meist entfernt, von der sprechenden
getrennt ist (─ oft durch den Tod ─), so nimmt
das Gedicht die Form der Epistel (siehe dieselbe!)
an. ─ Das Versmaaß ist meist das sogenannte elegische,
doch hat man sich auch längerer trochäischer
oder jambischer Verse und zwar oft in Verbindung
mit dem Reim bedient.
Anmerkung. Der Name Heroide schreibt sich von
Ovid her, da in dessen Heroiden ausgezeichnete historische Personen
(Heroen, Helden) auftreten. Für uns ist, wie aus
der obigen Charakteristik hervorgeht, die Benennung durchaus
unmaaßgeblich.
§. 153. Nur sehr wenige unserer Dichter haben
sich in der Heroide versucht; unter diesen wenigen ragen
hervor: Wieland, Kosegarten, Eschenburg und
A. W. Schlegel (Neoptolemus an Diokles).
§. 154. Das Gnomon (so viel wie Sinnspruch,
Maxime) ist ein Gedicht, das einen sinn=
Hat der Dichter zur Einkleidung das sogenannte
elegische Versmaaß gewählt, so nennt man das
Gnomon auch wohl kurzweg Distichon. Rückert und
Andere haben es wohl als kleines Gedicht von 4 Zeilen
erscheinen lassen und es danach mit dem Namen Vierzeile
belegt. Der Dichter ist weder an die eine, noch
an die andere Form gebunden, vielmehr steht ihm rücksichtlich
der Wahl derselben völlige Freiheit zu.
§. 155. Wir sind (die in größern z. B. dramatischen
Dichtungen enthaltenen Sinnsprüche ungerechnet)reich
an gehaltvollen Gedichtchen dieser Art; unter
den Dichtern derselben verdienen Göthe, Herder,
Schiller, Gleim, Lavater, Claudius, Tiedge,
Rückert, Wilh. Müller &c. eine ehrenvolle Erwähnung.
§. 156. Das Epigramm war, wie sein Name
sagt, ursprünglich eine Aufschrift oder Jnschrift
auf Denkmälern, bei welcher es dem Dichter
darauf ankam, den Sinn oder die Bedeutung
des Denkmals mit wenigen, aber scharf
§. 157. Auch für das Epigramm hat man sich
des sogenannten elegischen Versmaaßes häufig bedient
und auf dasselbe dann ebenfalls den Namen
Distichon angewendet. Doch sind auch andere Formen
viel gebraucht, namentlich auch der Reim oft
angewendet worden.
§. 158. Als die vorzüglichsten Epigrammdichter
§. 159. Eine besondere literarische Bedeutung
haben die Epigramme gewonnen, die Göthe und
Schiller unter dem Namen Xenien erscheinen ließen.
Diese „Gastgeschenke“ sprachen nicht nur allgemeine,
sehr feine und treffende Bemerkungen über bekanntere
Gegenstände der Kunst, der Literatur und des Lebens
aus, sondern gaben namentlich durch den Spott und
die Satyre, die sie über schlechte Autoren ausgossen,
Anlaß zu einer sehr bedeutenden literarischen Aufregung,
die sich in bittern Federkriegen Luft machte. Sofern sie
insonderheit der oben ausgesprochenen Forderung genügen
und sich nur auf öffentliche, bekannte (oder doch
damals als bekannt vorauszusetzende) Gegenstände beziehen,
sind sie als Musterepigramme aufzustellen, obwohl
rücksichtlich der Form, mitunter auch des Jnhalts
und des Tones, ihnen mancher Vorwurf zu machen ist,
den auch leicht hingeworfene Produkte so ausgezeichneter
Dichter sich nicht sollten machen lassen. Namentlich
in neuester Zeit haben diese Göthe-Schiller'schen
Xenien manche, zum Theil recht glückliche Nachahmung
gefunden.
§. 160. Die Satyre ist ein, von Witz und
Laune belebtes Gedicht, das entweder im
Tone ernster Rüge die sittlichen Gebrechen
§. 161. Was den Stoff an sich betrifft, so muß
sich der Dichter zunächst klar sein, daß er wirklich vor
das Forum der Satyre gehöre, daß er weder über,
noch unter dem Horizonte derselben liege. Ueber dem
Horizonte der Satyre liegen wirkliche Laster und Verbrechen:
sie verlangen höhere, schneidendere, wirksamere
Waffen, als die Poesie zu bieten vermag. Als
unter dem Horizonte des satyrischen Gedichts liegend,
sehen wir das an, was so unbedeutend und unbekannt
oder gar so gemein ist, daß sich die Dichtkunst durch
seine Bekämpfung nur entehren würde. Die meisten
deutschen Satyriker haben sich namentlich den letztern
Fehler zu Schulden kommen lassen ─ sie bewegen
sich großentheils in einer zu niedern, zu geringen
Spähre. Zum Beleg dieser Behauptung erinnern
wir nur an Rabener, den man gewohnt ist,
als einen unserer bedeutendsten Satyren-Dichter zu
betrachten. Was er bekämpft, „gehört der Oeffentlichkeit
gar nicht an, sondern den Kaffeegesellschaften,
Schenken, höchstens den Casinos seiner Zeit; es wird
§. 162. Jn Hinsicht der Auffassung und Darstellung
des gewählten Gegenstandes hat man gewöhnlich
als Hauptforderung hingestellt, daß die Satyre
die Sache treffe, nicht die Person. Sofern der
Gegenstand ein Zustand, ein allgemein verbreitetes Uebel
ist, leidet das natürlich keinen Zweifel. Muß aber ─
wie häufig ─ die Satyre gewisse Personen als die
Repräsentanten oder Urheber der gerügten Gebrechen
oder Schwächen &c. ansehen, so hat dieser Satz
nur bedingte Gültigkeit. Wir möchten uns daher lieber
so ausdrücken: Die Satyre muß, auch wenn sie die
Person geißelt, dabei doch stets die Sache im Auge
haben; ─ es muß aus der ganzen Haltung des Gedichts
§. 163. Zur wirksamen Darstellung des Gegenstandes
ist ferner nöthig, daß der Dichter sich vor entstellenden
Uebertreibungen hüte, denn sonst wird
die Satyre zur Carricatur und erregt Ekel und
Widerwillen. Man muß dem Dichter aus jeder Zeile
Eifer für Wahrheit und Recht abfühlen: sein Spott
darf nie in Verleumdung, sein Hohn nie in Schadenfreude
übergehen. ─ Endlich muß der Satyriker vorsichtig
bei Verwendung des Witzes sein. Derselbe
muß als natürlich, ungesucht erscheinen; man darf nicht
jeder Zeile anmerken, daß sie witzig sein soll. Ueberhaupt
hat sich gerade der Satyriker auch sehr vor gewissen
§. 164. Die Satyre kann nicht nur als lyrisches,
sondern auch als dramatisches oder episches
Gedicht (als Lustspiel, Erzählung, Fabel, Brief &c.) in
metrischer, wie in prosaischer Form auftreten.
Wenn wir sie als lyrische Dichtungsart aufführen,
so geschieht dies, weil sie in jedem Falle als
subjektive Aeußerung des Dichters erscheint.
Wo sie, als eigentlich lyrisch, metrischer Formen bedarf,
hat man meist den gereimten Alexandriner, die Stanze,
das Sonett und den Hexameter angewendet; doch sind
andere Formen natürlich nicht ausgeschlossen.
§. 165. Wenn wir über die Leistungen deutscher
Dichter auf dem Felde der Satyre berichten sollen, so
können wir kurzweg sagen: wir haben viele Satyriker,
aber wenig Satyren. Was man bei
uns so nennt, verdient mit wenigen Ausnahmen den
Namen nicht. Das liegt nicht an unsern Dichtern,
sondern wird durch unsere Verhältnisse herbeigeführt.
Die Dichter müssen es ja scheuen, „die Größe, den
Glanz, die den großen Haufen blenden, falsche Anmaaßung
und leeren, eitlen Schein zu verhöhnen“ und
„die eigentlichen Feinde der Menschheit, die Leute,
welche ganz ungescheut der öffentlichen Meinung Hohn
sprechen dürfen,“ *) mit ihrer satyrischen Ruthe zu
§. 166. Die poetische Epistel basirt zwar
ihren Jnhalt auf den individuellen Beziehungen,
in welchen der Dichter zu der
Person steht, an welche der Brief (scheinbar
zunächst) gerichtet ist, doch stellt sie denselben so dar,
daß die empfangende Person gewissermaaßen
als Repräsentant der ganzen Menschheit erscheint.
Sofern die poetische Epistel immer subjektive
Aeußerung des Dichters ist, wird sie vorzugsweise
lyrischer Natur sein; aber sie kann auch ─
wie jeder gewöhnliche Brief ─ epischen oder didaktischen
Charakter annehmen.
Da die persönlichen Verhältnisse zwischen dem
Dichter und dem (vorgeblichen) Empfänger, wie schon
bemerkt, die Grundlage des ganzen Gedichts bilden,
so ist vor Allem nöthig, daß diese klar, allgemein
verständlich heraustreten. Dabei müssen dieselben aber
auch mehr oder weniger allgemein wichtig, mindestens
allgemein interessant sein oder doch vom
Dichter dazu gemacht werden.
Je nach dem Jnhalt der Epistel wird der Ton
derselben bald einfach vertraulich, bald scherzend und
launig, bald ernst und gemessen, bald satyrisch gehalten
sein. Jst das Gedicht vorzugsweise didaktischer Tendenz,
so darf es doch nie die Gestalt einer erschöpfenden
Abhandlung annehmen, sondern muß immer nur als
eine freiere, die unterhaltenden interessanten Seiten hervorhebende
Skizze erscheinen. Rücksichtlich der Form
gelten keine bestimmten Vorschriften. Man hat bisher
meist längere jambische oder trochäische, doch nicht
strophisch=abgetheilte Verse, so wie auch den Alexandriner
und Hexameter angewendet.
§. 167. Die poetische Epistel ist eine Dichtungsart,
die ihre Periode hatte. Wenigstens hoffen
wir, nie wieder poetische Episteln in solcher Zahl und
so unerquicklicher Gestalt kultiviren zu sehen, als es
gegen die Mitte und das Ende des vorigen Jahrhunderts
zumal von norddeutschen Dichtern geschah. Aus der
Menge dieser Epistelndichter nennen wir nur die bekanntern
Namen eines Gleim, Pfeffel, Wieland,
Göckingk, Tiedge und Göthe. Die Leistungen der
drei letztgenannten gelten mit Recht als die besten in
diesem Fache.
§. 168. Nicht jedes Gedicht, mit welchem didaktische
Tendenzen verbunden werden, erhält
deshalb den Namen Lehrgedicht. Jm engern Sinne
wenigstens können nur diejenigen Gedichte so genannt
werden, welche sich in einer ganzen Reihe
von Entwickelungen und Betrachtungen
über einen Gegenstand verbreiten und die
Belehrung als Hauptzweck vorwalten lassen.
Jeder, die höheren oder auch nur gewöhnliche Jnteressen
der Menschheit berührende Gegenstand kann
Objekt des Lehrgedichts werden; nur muß derselbe
auch das Gefühl oder die Phantasie, nicht bloß
den Verstand ansprechen. Es wäre z. B. thöricht,
einen reinmathematischen Gegenstand zum Vorwurf
eines Lehrgedichts zu machen.
Unter welchen Bedingungen das Lehrgedicht,
wie alle Gedichte didaktischer Tendenz überhaupt, poetisch
zulässig sei, darüber haben wir uns bereits in
§. 116 ausgesprochen. Der Umstand, daß mit dem
Lehrgedicht nicht noch besondere Zwecke (wie z. B.
mit der Satyre) verbunden werden, daß es sich vielmehr
im Kreise des Allgemeinen hält, macht eine
um so strengere Aufmerksamkeit des Dichters in Rücksicht
des poetischen Elements nöthig. Wie sehr
er auch den logischen Zusammenhang zu beachten und
klare Entwickelung der Gedanken zu erzielen hat, so
muß er doch immer mehr auf das Gefühl, als auf
den Verstand zu wirken suchen. Dadurch allein vermag
er dem Gedichte poetischen Werth zu geben, |#f0110|
§. 169. Zu den Lehrgedichten zählen wir auch
diejenigen Gedichte, die beschreibend oder schildernd
einen äußern, sinnlich wahrnehmbaren Gegenstand
so behandeln, daß sie nicht sowohl, wie die §. 130
angeführten Naturlieder als lyrischer Erguß, sondern
vielmehr als ein, Belehrung bezweckendes
poetisches Gemälde erscheinen und deshalb wohl
beschreibende Gedichte genannt werden. Von
diesen müssen wir vor allem fordern, daß Gegenstand
und Beschreibung geeignet seien, die Phantasie
anzuregen; denn nur dadurch vermögen sie
sich in der Region der Poesie zu erhalten, aus
der sie andernfalls unfehlbar in das Reich der Prosa
hinabsinken.
Für die Lehrgedichte sind mancherlei Formen gebraucht
worden; doch hat man sich vorzugsweise des
Alexandriners oder längerer jambischer Verse bedient;
strophische Abtheilung derselben ist jedoch dabei nicht
beliebt worden.
§. 170. Das Lehrgedicht, dem früher oft ganze
Zeitalter ausschließlich huldigten, ist in neuerer Zeit
verhältnißmäßig wenig angebaut worden. Jndem wir
in Rücksicht der ältern Produkte dieser Gattung unsere
Leser auf die Literaturgeschichte verweisen, führen wir
nur die bedeutendsten derjenigen Dichter auf, die seit
Haller sich im Lehrgedicht versucht haben. Dahin gehören:
Haller, Uz, Gleim, Bodmer, Lichtwer, |#f0111|
[Abbildung]
|#f0112 : E117| §. 171. Jn der Einleitung zu der Lehre von den
Gattungen der Dichtkunst haben wir uns (§. 113)
bereits im Allgemeinen über das Wesen der epischen
Poesie ausgesprochen. Die folgenden Bemerkungen
schließen sich, als erläuternd, dem dort Gesagten an.
Während es die Lyrik fast nur mit der Darlegung
des innern Menschen zu thun hat, haben
die epische und die dramatische Poesie die Aufgabe,
den nach außen wirkenden Menschen und das
Verhalten desselben bei allerlei Einwirkungen von außen
darzustellen. Wenn uns mittelst solcher Darstellung
oft auch die tiefsten Blicke in das Jnnere der handelnden
und duldenden Personen eröffnet werden, so ist
das weder der alleinige, noch der nächste Zweck ─
unser Gemüth wird vorzugsweise durch die That ergriffen
und festgehalten. ─ Das Drama führt die
Handlungen und Begebenheiten als gegenwärtig,
als sich vor unsern Augen ereignend vor; in der Epik
dagegen werden sie als schon vergangen erzählt.
Zwar bedient sich der Epiker zu größerer Belebung
der Darstellung ausnahmsweise zuweilen auch wohl |#f0113|
Die Wirkung der epischen Poesie beruht
zunächst im Stoffe selbst. Deshalb wird sich gerade
bei den epischen Dichtungsarten als wesentlichste
Forderung die herausstellen, daß sie einen geeigneten,
beziehungsweise wichtigen oder doch jedenfalls interessanten
Stoff behandeln, und zwar in einer,
diesem Stoffe und dem guten Geschmacke entsprechenden
Weise.
§. 172. Den Stoff der epischen Poesie bildet
immer eine, entweder wirklich geschehene, oder
vom Dichter erfundene, meist unter menschlicher
Mitwirkung erfolgte Begebenheit. Wenn der
Dichter die erzählte Handlung unter dem Einfluß
übernatürlicher Mittel, unter Einwirkung höherer
Wesen vor sich gehen ─ mit andern Worten das
Wunderbare als Maschinerie eintreten läßt, so ist
das der Regel nach nur dann zu billigen, wenn solcher
Einfluß und solche Einwirkung auf menschlichen Glauben
oder Aberglauben beruht; ─ der Dichter darf,
wenn auch mitunter aus den Kreisen des Menschenlebens,
doch nie aus denen menschlicher Vorstellung heraustreten.
§. 173. Da keine Begebenheit, zumal wenn sie
eine ausgedehntere ist, isolirt für sich dasteht, sondern
immer andere, wenn auch minder wichtige Begebenheiten
im Gefolge führt, so hat der Dichter ferner darauf
zu sehen, daß die Hauptbegebenheit zu den neben=
oder untergeordneten Begebenheiten (gewöhnlich
Episoden genannt) in richtiges Verhältniß komme. |#f0114|
Wie sich schon aus dem Obigen ergiebt, ist für den
epischen Dichter eine Hauptaufgabe, daß er das Jnteresse
gleichmäßig vertheilt. „Des Epikers
Zweck liegt im Ganzen.“ Wir sollen nicht ungeduldig
zum Ziele eilen, sondern mit Ruhe bei jedem
Schritte verweilen. Es kann also bei der epischen Poesie
nicht auf einzelne, beherrschende Glanzpunkte abgesehen
sein, sondern die einzelnen Theile müssen für sich eine
gewisse Selbstständigkeit behaupten. Nur auf die kleineren
Arten der Epik finden diese Regeln weniger
Anwendung.
§. 174. Zur epischen Poesie gehören 1) die Fabel;
2) die Allegorie, die Parabel und die Paramythie;
3) die poetische Erzählung; 4) die Legende;
5) das Mährchen und die Sage; 6) die
Jdylle; 7) die Romanze und die Ballade; 8) das
Epos; 9) der Roman und die Novelle.
§. 175. Fabel heißt im allgemeinern Sinne überhaupt
eine Begebenheit, eine Handlung. So
nennt man die einer dramatischen oder epischen Dichtung
zu Grunde liegende Handlung oder Begebenheit
Fabel. Jm engern Sinne, als Dichtungsart, ist
die Fabel die Veranschaulichung einer allgemeinen
Jdee, meist einer Weisheits= oder
Klugheitsregel durch eine erdichtete, als vergangen
erscheinende Handlung, in welcher
willenlose Wesen, vorzugsweise aber Thiere
den Menschen repräsentiren.
„Die Fabel ist in Hinsicht ihrer Auffassung
allegorisch, nach ihrem Zwecke didaktisch, in
Rücksicht ihrer Darstellung episch.“ Was zunächst
die letztere angeht, so hat es der Dichter dabei nur
mit der Vorführung des Faktischen zu thun, da eine
Charakterzeichnung der handelnd eingeführten Wesen
nicht nöthig ist, indem jedes derselben seine bestimmt
ausgeprägte und als bekannt vorauszusetzende Eigenthümlichkeit
hat, welche Eigenthümlichkeit zugleich die
der ganzen Gattung ist. Wenn dieser Umstand einerseits
die höchste Einfachheit der Handlung bedingt,
so macht er anderseits auch eine Klarheit, Gedrungenheit
und Bestimmtheit derselben möglich, die
sich auf anderem Wege schwerlich so leicht erreichen
läßt. Hauptsache ist nun, daß die fingirte Handlung
der Fabel derjenigen möglichst analog sei, deren Sinnbild
und Spiegel sie sein, auf welche sie Beziehung,
Anwendung leiden, für welche sie zur Lehre dienen soll.
§. 176. Der didaktische Zweck der Fabel muß
aus der Erzählung unmittelbar selbst hervorspringen;
eine besondere und ausführliche Aufführung der beabsichtigten
Lehre halten wir für verwerflich. Wo sie stattfindet,
erscheint sie entweder als überflüssig und schwächt
den Eindruck, oder ─ sie legt Beweis von der mangelhaften
Bearbeitung des Faktums ab. Dagegen ist
eine leise Andeutung in einzelnen Fällen nicht nur zulässig,
sondern für die Schwächeren an Verständniß
auch wohl nothwendig.
§. 177. Die Lehre der Fabel wird Moral genannt.
Doch ist damit keineswegs gesagt, daß die Fabel
immer eigentlich moralischer Tendenz sein müsse.
Sie stellt vielmehr ─ gleichsam „eine poetische
Verkörperung des Sprichworts ─ frei von
jeder religiös=dogmatischen, oder nationalen oder standesmäßigen
Beziehung und Beschränkung, die allgemeinste
Regel der Sitte und des Verkehrs fest und
das giebt ihr den populären Charakter und den allgemeinen
Werth.“ (Gervinus.)
§. 178. Es wird der Bemerkung kaum bedürfen,
daß der Ausdruck der Tendenz der Fabel entsprechen
und sich durch Einfachheit, Kürze und Bestimmtheit
auszeichnen muß. Bestimmte Formen sind übrigens
dabei nicht vorgeschrieben; die Fabel kann eben so wohl
metrisch, als prosaisch, dialogisch oder erzählend
gehalten sein. Die meisten Fabeln sind jedoch
§. 179. Die Fabel ist aus dem Alterthume zu
uns herüber gekommen, und durch vielfache Pflege ganz
volksthümlich geworden. Sie hat zu allen Zeiten eine
Art Grundlage und Mittelpunkt unserer didaktischen
Poesie gebildet. ─ Jn rein abgetrennter Behandlung
finden wir sie zuerst in dem Edelstein des Bonerius
(um 1340). Später wurde sie durch Hans Sachs,
Burkhard Waldis, Erasmus Alberus kultivirt.
Jm siebzehnten Jahrhundert nur wurde sie gänzlich
vernachlässigt. Aber als La Motte und Lafontaine
in Deutschland eingeführt wurden, erhielt sie neuen
Schwung, namentlich durch Hagedorn. Diesem folgten
die Autoren der bremischen Beiträge, unter
denselben namentlich Giseke, Ebert, J. A. Schlegel,
Zachariä und vor allen Gellert. Außer diesen
sind noch zu nennen: Lichtwer, Gleim, Willamow,
Pfeffel und Lessing. Seit durch Göthe's und
Schiller's dramatische Leistungen die epische Poesie,
mit Ausnahme einiger andern Arten derselben, in den
Hintergrund geschoben, gewissermaaßen besiegt wurde,
hat die Reproduktion der Fabel, bis auf wenige vereinzelte
Erscheinungen, z. B. von Hey und Fröhlich, aufgehört.
§. 180. Die Allegorie. Jm Allgemeinen versteht
man unter Allegorie die Andeutung, Bezeichnung
einer Sache durch eine andere, ihr ähnliche. Jm
engern Sinne nennt man Allegorien diejenigen
§. 181. Die Versinnlichung ist entweder eine unmittelbare
oder eine mittelbare. Eine unmittelbare
Versinnlichung findet statt, wenn der Dichter
den übersinnlichen Gegenstand als ein sinnliches Wesen
erscheinen läßt, wenn er ihn verkörpert, personificirt.
(Personificirende Allegorie.)
Mittelbar
nennen wir die Versinnlichung, wenn Gegenstände
der Wirklichkeit als Träger oder Sinnbilder der darzustellenden
Jdee vorgeführt werden und zwar entweder
dadurch, daß die menschliche Empfindungs=, Denk=
und Thatkraft auf Naturgegenstände übergetragen wird
(anthropomorphische Allegorie); oder dadurch,
daß man an die Stelle des Hauptbildes ein Gegenbild
setzt, welches das erstere versinnlicht (metaphorische
Allegorie).
Die personificirende Allegorie hat ─ mit wenigen
Ausnahmen ─ nur dann Werth, wenn die Verkörperung
eine bereits allgemein angenommene, durch vielfachen
Gebrauch anschaulich gewordene ist. Sobald die
Personifikation nur ein neues Gebilde der dichterischen
Phantasie ist, geräth die Allegorie in Gefahr, aus der
Abstraktion in die Abstraktion zu führen, statt dieselbe
sinnlich=faßlich zu machen.
§. 182. Die Allegorie erscheint entweder als ein
für sich bestehendes, selbstständiges Gedicht,
oder sie bildet einen Theil eines größern Gedichts,
von welchem sie jedoch getrennt werden kann,
unbeschadet ihres innigen Zusammenhanges mit dem
Ganzen und ohne daß sie deshalb als Fragment erscheint.
(Wir erinnern an die drei Ringe in Lessing's
Nathan!) Größere, allegorisch=gehaltene Gedichte, wie
Reinecke Fuchs u. a., belegt man in der Regel nicht
mit dem Namen Allegorien. Eben so wenig wendet
man den Namen auf diejenigen Gedichte an, die zwar
allegorischer Tendenz sind, aber nicht im epischen Gewande
auftreten. Eine große Menge lyrischer Poesien
sind der Art.
Jn Rücksicht der Form steht dem Dichter völlig
freie Wahl zu, auch die Prosa kann mit Erfolg gebraucht
werden.
§. 183. Die Parabel. Die Parabel stimmt
insofern mit der Fabel überein, als sie auch nur Veranschaulichung
eines allgemeinen Satzes durch einen
erdichteten Fall ist. Doch unterscheidet sie sich von derselben
in folgenden Punkten: 1) erscheint die Handlung,
der erdichtete Fall in der Parabel nicht, wie bei
der Fabel, bestimmt, individuell, sondern unbestimmt.
(Die Handlung tritt in der Parabel als Gleichniß
auf, woran der allgemeine Satz klar gemacht, bewiesen
werden soll. Das stellt unstreitig die Parabel in nähere
Verwandtschaft zur Allegorie.) 2) gehört die,
durch diesen Fall veranschaulichte Wahrheit
dem Gebiete des höheren Seelenlebens an;
woraus 3) folgt, daß nicht Thiere &c., sondern
§. 184. Die Paramythie. Die Paramythie
ist als Nebenart der Parabel anzusehen. Jhre unterscheidende
Eigenthümlichkeit besteht darin, daß sie höhere
Wesen, Gegenstände des christlichen Glaubens
oder der Mythologie, handelnd einführt. Die meisten
Paramythien haben ihren Stoff der griechischen
Mythologie entnommen. Da der Zweck der Paramythien
mit dem der Parabeln ganz übereinstimmt,
und auch bei ihnen Veranschaulichung einer höhern
Wahrheit die Hauptsache ist, so muß es
dem Dichter frei stehen, den gewählten Stoff seinen
besondern Absichten entsprechend abzuändern.
Die Form der Paramythie ist ebenfalls keinen besondern
Bestimmungen unterworfen; wie bei der Parabel
hat man sich auch bei ihr häufig der Prosa bedient.
§. 185. Obwohl die allegorische Tendenz sich
durch ganze Perioden unserer Literaturgeschichte als rother
Faden zieht, so haben wir eigentliche Allegorien
doch erst in neuerer Zeit erhalten. Auch die Parabel,
deren schönste Muster die heilige Schrift vorführt,
und die Paramythie wurden erst spät angebaut. Nur
sind die sogenannten „zufälligen Andachten“ des alten
Ascetikers Chr. Scriver (geboren 1629) voll der
§. 186. Erzählung überhaupt ist die sprachliche
Darstellung einer Begebenheit nach ihrem Verlauf
und ihren einzelnen Umständen. Verstandesmäßige
Begründung und Verknüpfung der Begebenheit
und klare, leichte Darstellung derselben sind die
Forderungen, die man an eine gute, nichtdichterische
Erzählung macht. Das Wesen der poetischen
Erzählung beruht einestheils in der lebendigern,
vorzugsweise auf die Phantasie berechneten,
darum anschaulichern, idealern Auffassung,
anderntheils in der schönern, vollendetern Darstellung
einer mehr oder weniger einfachen,
wirklich geschehenen oder erfundenen Begebenheit.
Die poetische Erzählung kann gewissermaaßen
als die Grundlage aller epischen Dichtungsarten
angesehen werden; sie ist auch ─ mehr als irgend
eine andere ihrer Gattung ─ mit allen sehr nahe verwandt.
Daher sind die Gränzen ihres Gebiets sehr
schwer zu ziehen. Was wir als ihre wesentliche Eigenthümlichkeit
ansehen, wird sich durch eine nähere
Erläuterung des oben Gesagten herausstellen. Die
§. 187. Von den Dichtern poetischer Erzählungen
verdienen besondere Erwähnung: Hans Sachs,
Hagedorn, Kleist, Gellert, Gleim, Michaelis,
Wieland, Lichtwer, Bürger, Pfeffel, Seume,
Langbein, Kind, Kosegarten, Falk, Schwab,
Waiblinger, Chamisso &c.
§. 188. Mit dem Namen Legende bezeichnete
die alte römisch=katholische Kirche ursprünglich ein Buch,
§. 189. Die Legende wird gemeiniglich in die
ernste und in die komische unterschieden. Die erstere
stellt mit würdigem Tone, der, wie der behandelte Stoff
selber, als Ergebniß schlichter Einfalt und kindlichen
Glaubens erscheinen muß, eine wunderbare ernste Begebenheit,
als solche dar; die letztere dagegen führt entweder
eine, dem Gebiet der Sage angehörende, heitere
Geschichte aus dem Leben eines Heiligen vor,
oder sie sucht durch die Darstellung das Unhaltbare,
Abergläubische zu zeigen, worauf sich die erzählte, wunderbare
Handlung des betreffenden Heiligen stützt. Jm
letzten Falle erhält sonach die komische Legende eine satyrische
Tendenz; als eigentliche Satyre kann sie jedoch
deshalb nicht angesehen werden. Denn auch die
komische Legende soll nicht zur Geißel werden; sie soll
nur erheitern, darf aber nie das gläubige Gemüth verletzen
und verwunden. Jn diesem Stücke haben viele
§. 190. Eine bestimmte Form ist auch der Legende
nicht vorgeschrieben. Am häufigsten sind, besonders
von Herder, die serbischen Trochäen und fünffüßigen
Jamben angewendet worden; doch hat man
sich auch anderer Verse, so wie der Prosa mit Erfolg
bedient.
§. 191. Erst durch Herder wurde die Legende
als besondere Dichtungsart eingeführt. (Unter den frühern
Leistungen sind die komischen Legenden des Hans
Sachs als vorzüglich zu nennen.) Nächst Herder
haben wir Göthe, Schubart, Kosegarten, Falk,
A. W. Schlegel, Amalie v. Helwig, Langbein,
Fr. Kind, Apel, Uhland, Rückert, L. Schefer
als mehr oder weniger ausgezeichnete Legendendichter
anzuführen.
§. 192. Mährchen bezeichnet überhaupt
eine, von der Volks- oder Kunstpoesie erdichtete
Begebenheit, deren Entwickelung ─ ganz
abgesehen von der Wahrheit der Natur und des Lebens
─ unter dem Einflusse wunderbarer Mittel
(Bezauberung, Behexung &c.) und übernatürlicher
Wesen, die gewöhnlich nur ein Gebilde
des Aberglaubens oder der Phantasie sind
§. 193. Unter Sage versteht man eine
nicht beglaubigte, nicht historisch begründete,
aber von Geschlecht zu Geschlecht mündlich
fortgepflanzte, an einen bekannten Ort, an
eine bestimmte Zeit oder an eine historische
Person geknüpfte Begebenheit, oder die Erzählung
einer solchen. Das Element des Wunderbaren
ist bei ihr nicht so unerläßlich, wie beim Mährchen;
doch tritt sie nur selten ohne alle Beimischung
der Art auf. Auch von der Sage gilt, was oben vom
Mährchen gesagt wurde: sie ist entweder selbstständige
Dichtungsart, ─ eine eigenthümliche Art poetischer
Erzählung in prosaischer oder metrischer Form;
oder sie bildet den Stoff einer andern epischen
Dichtung, z. B. einer Ballade, eines Epos oder auch
eines Dramas.
Bewegt sich die Sage im Kreise der Götterwelt,
oder gehört sie der durchaus vorgeschichtlichen Zeit an,
oder veranschaulicht sie eine großartige religiöse Jdee,
so heißt sie Mythus.
§. 194. *) „Es wird dem Menschen von Heimathswegen
ein guter Engel beigegeben, der ihn, wann
er in's Leben auszieht, unter der vertraulichen Gestalt
eines Mitwandernden begleitet; wer nicht ahnt, was
ihm Gutes dadurch widerfährt, der mag es fühlen,
wenn er die Gränze des Vaterlands überschreitet, wo
ihn jener verläßt. Diese wohlthätige Begleitung ist das
unerschöpfliche Gut der Mährchen, Sagen und
Geschichte, welche neben einander stehen und uns
nacheinander die Vorzeit als einen frischen und belebenden
Geist nahe zu bringen streben. Jedes hat seinen
eignen Kreis. Das Mährchen ist poetischer, die Sage
historischer; jenes stehet beinahe nur in sich selber
fest, in seiner angebornen Blüthe und Vollendung;
die Sage, von einer geringern Mannichfaltigkeit der
Farbe, hat noch das Besondere, daß sie an etwas Bekanntem
und Bewußtem hafte, an einem Ort
oder einem durch die Geschichte gesicherten Namen.
Aus dieser ihrer Gebundenheit folgt, daß sie nicht,
gleich dem Mährchen überall zu Hause sein könne;
sondern irgend eine Bedingung voraussetze, ohne welche
sie bald gar nicht da, bald nur unvollkommener vorhanden
sein würde. Kaum ein Flecken wird sich in
ganz Deutschland finden, wo es nicht ausführliche
§. 195. Die im Munde des Volks lebenden, durch
Volkspoesie geschaffenen Mährchen (die Volksmährchen
im engern Sinne) und Sagen sind besonders
durch die Gebrüder Jakob und Wilhelm Grimm
gesammelt worden. Durch diese Sammlungen ist dem
deutschen Vaterlande ein Dienst geleistet, den es nicht
genug anerkennen, für den es nicht genug danken kann.
Nicht nur ist uns und der Nachwelt damit ein Schatz
der herrlichsten Poesie gesichert: die „Kinder= und
Hausmährchen,“ die „deutschen Sagen,“ sie
sind uns überdieß zugleich ein Siegel und ein Spiegel.
Ein Siegel ─ dafür, daß wir ein poetisches Volk sind,
das auf seinen eignen Füßen wohl stehen kann, dem
nicht Noth ist, von der Fremde zu borgen und in der
§. 196. Unter Jdylle (eigentlich so viel wie
kleines Gemälde) versteht man eine Erzählung,
die sich in den einfachsten, den Einflüssen der
kultivirten Gesellschaft, der Wissenschaft
und Kunst gleich fernen Lebenskreisen bewegt
und zum Zweck hat, den Menschen im Stande der
Unschuld und im Frieden mit sich und der Außenwelt
darzustellen. „Die Jdylle führt uns in solche Stände,
Zeiten und Räume, wo Ruhe und Friede herrscht.“
Schäfer, Jäger, Fischer sind meist die Personen, mit
§. 197. Die Jdylle im engern Sinne ─ das
Schäfergedicht, das seinen Stoff lediglich aus der unkultivirten
grauen Vorzeit nahm ─ ist aus der Mode
gekommen. Der Grund davon liegt zum Theil in der
Zeit, zum Theil in ihr unmittelbar selbst. „Sie ist,“
wie Gervinus sagt, „nur in solchen Ländern und
solchen Zeiten zu Hause, wo Mangel an bewegter Geschichte
ist.“ Jnwiefern sie selbst Elemente in sich trägt,
die ihre Kultur behindern, darüber spricht sich Schiller
(Ueber naive und sentimentalische Dichtung) also aus:
„Die Jdylle, vor den Anfang aller Kultur gepflanzt,
schließt mit den Nachtheilen zugleich alle Vortheile derselben
aus; sie stellt das Ziel hinter uns, zu dem sie
uns hinführen soll und kann uns daher bloß das traurige
Gefühl eines Verlustes, nicht das fröhliche der
Hoffnung einflößen. Weil sie nur durch Aufhebung
aller Kunst und nur durch Vereinfachung der menschlichen
Natur ihren Zweck ausführt, so hat sie, bei dem
höchsten Gehalt für das Herz, allzuwenig für den Geist
und ihr einförmiger Kreis ist zu schnell geendigt. Sie
§. 198. Als Jdyllendichter haben ferner sich bekannt
gemacht: Geßner, Ew. v. Kleist, Bronner,
Miller, Hölty, Hebel, Usteri, Wyß, Karoline
Pichler, Prätzel, Fr. Kind u. a.
§. 199. Unter Romanze verstand man ursprünglich
ein in romanischer Sprache *) abgefaßtes
Erzählungslied; während Ballade ─
von ballare, tanzen ─ ein für musikalische Begleitung
bestimmtes, vorzüglich aber als Text
von Tanzmusik dienendes Lied bezeichnete. Später,
als die englischen und schottischen episch=lyrischen
Volkslieder in Deutschland bekannt, übersetzt und nachgeahmt
wurden, nannte man von denselben diejenigen
Balladen, welche einen ernstern, tragischdüsterern
Charakter hatten, während der Name
Romanze den mehr heitern, fröhlichen galt.
Dann vindicirte der Eine der Ballade größere, der
§. 200. Ballade und Romanze sind erzählende
Gedichte, bei welchen das Epische von
lyrischen Elementen durchwebt ist, oder Zweck
und Form mit der Lyrik gemein hat. Den
Stoff können eben so wohl wirkliche, als erfundene
Begebenheiten bilden. Jn der Regel ist derselbe der
Sagen- und Mährchenwelt entnommen. Ob poetisch
bearbeitete Sagen und Mährchen sich in die Kategorie
der Romanzen oder in die der Balladen oder in keine
von beiden stellen lassen, hängt theils von ihrem Jnhalt,
theils von der Art ihrer Bearbeitung ab. ─ Die
Ballade ist mehr dem Norden (der englischen, schottischen,
schwedischen und dänischen Volkspoesie), ─ die
Romanze mehr dem Süden (den epischen Gesängen
der Spanier) verwandt. Die Ballade stellt die Begebenheit
dar als außerhalb dem Menschen liegend,
die Romanze faßt sie mehr vom Standpunkte des
idealen Sebstbewußtseins auf. Jn der Ballade
ist das Geschichtliche überwiegend, in der Romanze
herrscht häufiger die Jdee. Die Ballade führt die
That vor und zwar verfährt sie dabei mehr oder weniger
dramatisch, d. h. die Art und Weise der
§. 201. Die große Verwandtschaft, in welcher ─
trotz der aufgeführten charakteristischen Unterschiede ─
die Ballade und die Romanze zu einander stehen, hat
auch eine Aehnlichkeit in der Form zur Folge.
Beide haben musikalischen Charakter, beide müssen
Wie das Verwandtschaftliche eine Uebereinstimmung,
so bedingt das Abweichende in dem Wesen der Ballade
und Romanze auch eine Verschiedenheit in Darstellung
und Form. Für die Ballade eignen sich mehr
die jambischen und die jambisch=anapästischen
Verse (besonders die vierfüßigen und eine Abwechselung
von vierfüßigen und dreifüßigen) so wie der
Nibelungenvers; der Romanze dagegen sind trochäische
(vorzüglich vierfüßige trochäische) Verse angemessener.
Die Ballade liebt vorzugsweise den männlichen,
die Romanze mehr den weiblichen Reim. Die
Ballade, so sehr sie im Tone schwulstlos und volksthümlich
zu halten ist, erfordert einen größern Aufwand
äußerer Mittel; in ihr finden sich daher häufig neben
dem Endreim Annomination, Alliteration, Binnenreime
&c. angewendet; während die Romanze ─ trotz
ihrer gewählteren Sprache ─ meist in der schmuckloseren
Regelmäßigkeit des Liedes erscheint, zuweilen auch
wohl statt des Reims sich der bloßen Assonanz bedient.
§. 202. Unter den noch jetzt vorhandenen Volksliedern,
die seit Jahrhunderten im Munde des deutschen
§. 203. Jn den bisher behandelten epischen Dichtungsarten
hatten wir es nur mit einzelnen, wenn
auch nicht ganz isolirten, doch mehr oder weniger in
sich abgeschlossenen Begebenheiten zu thun. Bei
dem Epos ist das anders. Das Epos stellt in einer
Reihe in sich verknüpfter und zu einem
Ganzen verbundener Begebenheiten von
großer Wichtigkeit oder besonderem Jnteresse
den Kampf menschlichen Willens und menschlicher
Kräfte mit den feindlichen Elementen
des Lebens (dem Schicksal) dar.
§. 204. Unter den, als vergangen aufgefaßten,
Handlungen, die den Stoff des Epos bilden, tritt
eine als die leitende, als Haupthandlung hervor;
an diese schließen sich die andern als Episoden,
Anmerkung. Die populäre Bedeutsamkeit der Sage
und des Mährchens bestimmt uns, zur näheren Charakterisirung
derselben hier das Wesentlichste dessen folgen zu
lassen, was die Gebrüder Grimm darüber (in der
Vorrede zu den deutschen Sagen) aussprechen. Man wird
es uns nicht verargen, wenn wir solcher Männer Worte
so wiedergeben, wie sie geschrieben wurden.
Anmerkung. Romanisch nennt man die mit der Völkerwanderung
entstandenen Töchtersprachen der römischen oder
lateinischen Sprache; zu diesen gehören die italienische, französische,
portugiesische, spanische und rhätische Sprache.
Anmerkung. Sie gründet sich zum Theil auf das,
was Kurz und Echtermeier über den Gegenstand aufgestellt
haben.
Diese Einheit der Handlung wird in der
Regel dadurch vermittelt, daß unter den Personen, an
welche die einzelnen Handlungen geknüpft sind, eine
als Träger und Lenker der Haupthandlung dasteht.
Diese Person heißt der Held des Stückes. Um
den Helden koncentrirt sich dann das Ganze; an sein
Geschick ist das der übrigen Personen geknüpft und
diese haben zu ihm dasselbe Verhältniß, was die Nebenhandlungen
zur Haupthandlung haben. Wie sich auf
ihn das Ganze bezieht, so ist er wiederum an das
Ganze gebunden; es sollen in ihm nicht sowohl einzelne,
individuale Handlungen oder Leidenschaften hervortreten,
sondern er soll vielmehr als Träger und
Vertreter allgemeiner Bestrebungen erscheinen.
Doch muß sich aus seinen Handlungen und seinen
Reden ein klares Bild des Charakters ergeben. Der
Held ist der Vorkämpfer gegen die Hemmnisse und
widerstrebenden Elemente ─ das Schicksal ─ und selbst
wenn er nicht siegend aus dem Kampfe hervorgeht,
muß er immer als moralisch groß, eben als Held dastehen.
─ Die übrigen Personen, sei ihre Stellung |#f0117|
§. 205. Was die Behandlung des Stoffs angeht,
so liegt es im Wesen und in der Bestimmung
des Epos, daß es dabei nicht sowohl (wie beim Roman)
auf verstandesmäßige, historische Verknüpfung, sondern
hauptsächlich auf lebendige Veranschaulichung
ankommt. Das Epos geht in die Breite, die einzelnen
Züge seines Gesammtbildes brauchen nicht in ununterbrochener
Reihe neben einander, sondern können zerstreut
liegen; nur müssen sie sich zu einer Anschauung
vereinigen lassen. Das Epos kann darum auch nicht
einseitig auf eine Empfindung wirken; es ergreift die
Gesammtheit unserer Kräfte und gestattet weder lyrische
Erreglichkeit, noch überhaupt Aufregung der Leidenschaften.
„Wir empfangen die Eindrücke der Dichtung |#f0118|
§. 206. Jn dem Wesen des Epos liegt denn auch
die Nothwendigkeit der metrischen Formen begründet.
Bestimmte Vorschriften existiren über die Art derselben
nicht, doch hat man sich vorzugsweise des
Hexameters, des Nibelungenverses, der Stanze, des
Alexandriners bedient. Auch fünffüßige Jamben und
fünffüßige Trochäen, entweder in irgend einer Weise
gereimt, oder, was in vielen Fällen noch geeigneter sein
dürfte, ohne Reim, können füglich die Form eines
Epos bilden.
§. 207. Je nach der Verschiedenheit des Stoffs
theilt man das Epos verschieden ein. a. Bildet eine
außerordentliche, dem heroischen Mythen= und
Sagenkreise oder eine der Geschichte angehörende
Begebenheit den Stoff, so heißt das Epos
Epopöe oder ernstes Heldengedicht. Das Großartige
der Begebenheit bringt es mit sich, daß die
Epopöe durchweg den Charakter des Erhabenen
trägt. Sofern sich die Epopöe in der Behandlung
und Form (Hexameter) den antiken Epopöen der Griechen
und Römer anschließt, nennt man sie wohl auch
klassisches Epos. Neben den menschlichen Personen
treten im ernsten Heldengedicht auch wohl noch |#f0119|
§. 208. b. Wenn das Epos seinen Stoff den
Heldensagen oder der Geschichte des Mittelalters,
der sogenannten romantischen Zeit entnimmt,
so nennt man es wohl romantisches Epos.
Die hervorstechende Eigenthümlichkeit des romantischen
Epos bildet das Wunderbare, was hier in der Gestalt
von Elfen, Feen, Zauberern und andern Gebilden
des mittelalterlichen Volksglaubens als Maschinerie
auftritt.
§. 209. c. Jst endlich das gewöhnliche Leben,
sind namentlich die einfachen, idyllischen Kreise |#f0120|
§. 210. Wesentlicher, als die obige Eintheilung
des Epos, ist die Unterscheidung in das ernste und in
das komische. Das komische Epos ist immer nur als
Parodie des ernsten anzusehen. Es soll das Gefühl
des Lächerlichen erregen und erreicht seinen Zweck durch
die Charakterzeichnung des Helden, durch die Verhältnisse,
welche es vorführt, oder auch durch die Darstellung.
Statt der menschlichen Personen treten in mehreren
der besten unserer komischen Heldengedichte sprechende
Thiere auf, wie in der Fabel.
§. 211. Das Epos ist bei uns schon frühe gepflegt
worden, in der neuern Zeit jedoch weniger, als
in der ältern. Die vorzüglichsten Werke der Art sind:
I. ernste. a. die älteren: 1) Herzog Ernst und
die Aeneide von Heinrich von Veldeck, 2) Jwein
von Hartmann von der Aue, 3) Tristan und
Jsolde von Gottfr. von Straßburg, 4) Parzival
von Wolfram von Eschenbach, 5) das Nibelungenlied,
6) Gudrun, 7) Teuerdank; b. die neuern:
1) der Messias von Klopstock, 2) der Oberon
von Wieland, 3) Donatoa von Sonnenberg,
4) Richard Löwenherz von F. A. Müller, 5) die
Makkabäer, die Rudolphiade und die Tunisias von |#f0121|
II. komische. a. ältere: 1) Reinecke Fuchs, 2) der
Frosch-Mäuseler; b. neuere: 1) der Renommist, das
Schnupftuch und Phaeton von Zachariä, 2) die travestirte
Aeneis von Blumauer, 3) die Jobsiade von
Kortüm, 4) die Bearbeitung des Reinecke Fuchs von
Göthe, 5) die Töffeliade, 6) die Hanswurstiade,
7) die bedreute und wunderbar befreite Bibel &c.
§. 212. Der Roman giebt uns ein (mehr
oder weniger ideal aufgefaßtes) Bild des geselligen
Lebens in seiner Allseitigkeit und Gesammtheit
oder in gewissen Beziehungen
und Verhältnissen, indem er, unter dem Gewande
historischer Wahrheit, in gewählter
Sprache den Entwickelungsgang und die
Schicksale eines einzelnen, bedeutenden Menschen
erzählt. Er beschränkt sich nicht, wie die poetische
Erzählung (von der er sich außerdem durch größere
Verwickelung der Begebenheiten unterscheidet),
auf ein einzelnes Lebensmoment, sondern trägt,
wie das Epos, mehr den Charakter eines ganzen
Lebens. Vom Epos aber unterscheidet er sich wesentlich
in Folgendem: 1) während das Epos immer einen
allgemeinern, objektiveren Charakter trägt,
gestaltet sich im Roman Alles mehr subjektiv;
2) bei dem Epos kommt es mehr auf lebendige |#f0122|
§. 213. Man hat die Romane in Rücksicht des
Stoffs verschiedentlich eingetheilt und benannt, und
zwar hat man dabei entweder die besondere Eigenthümlichkeit,
oder die Auffassung und Darstellung
des Stoffes oder endlich die Lebenskreise,
denen derselbe entnommen ist, ins Auge gefaßt.
§. 214. Jn Betreff der Beschaffenheit des
Stoffes sind zunächst zwei Hauptarten zu unterscheiden,
die jedoch unter mancherlei Schattirungen häufig in
einander übergehen. Der Stoff des Romans ist entweder
rein faktisch, er beschränkt sich auf Darstellung
der Begebenheiten, oder er ist mit, zu
besondern Zwecken dienenden Raisonnements durchflochten:
er hat eine Tendenz. Die sich auf das Faktische
beschränkenden Romane ruhen entweder auf geschichtlichem
Grunde, sie sind historisch, oder ihr
ganzer Jnhalt ist fingirt. Der historische Roman, wie
er sich nach Walter Scott's Vorgange auch in
Deutschland ausgebildet hat, verdient unstreitig vor
dem, dem Stoffe nach rein erfundenen, gemeiniglich
nur der Unterhaltung dienenden Romane in mehrfacher
Hinsicht den Vorzug; daß er aber, wie man wohl meint,
Jn den Tendenz-Romanen (die man wohl
auch unter dem Namen philosophische Romane
zusammenfaßt) tritt entweder das Faktische mehr
oder weniger zurück und macht der Entwickelung
§. 215. Abgesehen von der Beschaffenheit des
Stoffs, aber mit Rücksicht auf die Art der Auffassung
und Darstellung desselben, unterscheidet man
ernste, tragische, sentimentale, humoristische,
komische, satyrische Romane.
Nach den Lebenskreisen, in denen sich die
Handlung des Romans bewegt, giebt es Ritter=,
Räuber=, Schäfer=, Künstler=Romane u. s. w.
§. 216. Jn Bezug auf die Darstellung hat
der Romandichter besonders Folgendes zu beachten:
Er muß das Jnteresse des Lesers fesseln und spannen
durch steigernde Verwickelung der Begebenheiten;
doch muß diese Verwickelung, wie der ganze
Verlauf, immer den Schein historischer Wahrheit an
sich tragen und eine naturgemäße, befriedigende Lösung
Wie schon oben erwähnt, muß die Form des Romans
immer die Prosa sein, doch bleibt es dem Dichter
überlassen, ob er seinen Gegenstand erzählend,
dialogisch oder epistolarisch behandeln will. Ersteres
ist das Gewöhnlichste, das dem epischen Charakter
Entsprechendste; durch die dialogische Form nähert sich
der Roman dem Drama, durch die epistolarische gewissermaaßen
der Lyrik. ─ Auch die Einstreuung von
Gedichten bleibt, wenn sie nur naturgemäß zum Ganzen
paßt, unverwehrt.
§. 217. Die Novelle verhält sich zum Roman,
Anmerkung. Nach unserer Meinung bewirkt er vielmehr
wie die poetische Erzählung zum Epos. Sie beschränkt
sich mehr auf eine einzelne Begebenheit von poetischem
Jnteresse und führt den Leser gleich mitten
in die Verhältnisse hinein. Die Handlung schreitet
in ihr weit rascher vorwärts, als im Roman, weshalb
ihr auch eine mehr aphoristische Darstellung
eigenthümlich ist. Das Alles verschafft ihr, abgesehen
von der Begebenheit selbst, die allerdings auch an sich
interessant sein muß, einen eigenthümlichen Reiz: sie
versetzt den Leser in eine angenehme Spannung und
Aufregung und befriedigt dieselbe dann in überraschender
Weise. Was den Stoff und die Darstellung angeht,
so gilt das bei dem Roman in dieser Beziehung
Gesagte auch für sie; selbst die Eintheilungen und Benennungen
desselben hat man auf sie übertragen. ─
Anmerkung. Wie Karl Beck dazu gekommen ist, seinen
„Janko“ einen Roman und noch dazu einen Roman
in Versen zu nennen, ist schwer zu begreifen.
meist das Gegentheil. Der Geschichtschreiber kann,
─ selbst wenn er sich einer schönern Darstellungsweise befleißigt,
als sich von den meisten unserer Historiographen
rühmen läßt, ─ seinen Stoff nicht immer so mundrecht bearbeiten,
daß der Leser nur „Genuß“ daran findet: er muß oft
Ernst, anhaltenden Fleiß und eine Anstrengung fordern,
wie sie der historische Roman nie verlangt. Und das
schreckt ab ─ man lies't, aber man studirt nicht gern.
Aber der historische Roman hat nur zu oft noch eine
weit bedenklichere Seite, die er zwar mit allen, auf geschichtlichem
Grunde ruhenden Poesien theilt, die aber bei
ihm am grellsten heraustritt: er trägt häufig zu falschen
Vorstellungen über den wahren Hergang der Begebenheiten
bei, er entstellt die Geschichte in den Köpfen seiner
Leser. Die Freiheit des Dichters, sich an die historische
Treue nur so weit zu binden, als es die poetischen
Zwecke fordern, bringt diesen Uebelstand mit sich. Würde
diese Freiheit nur bei unwesentlichen Gegenständen angewendet,
so ginge es noch, aber leider dehnen sie die Romanschreiber
oft auf sehr wesentliche aus und schaden so; ─
wie sehr, das wissen am besten alle Geschichtslehrer an
höhern Schulen. Denn es ist unmöglich, den Schülern
immer anzugeben, was im Roman wahr und was erfunden,
es ist unmöglich, weil die Zeit fehlt, ganz abgesehen
von dem Umstande, daß es Keinem zuzumuthen ist, alle
Specialitäten, die der Romanschreiber wohl aus weitläufigen
Quellen schöpfen kann, nach ihrem wirklichen Hergange
im Kopfe zu haben. Deshalb empfehlen wir allen Dichtern
historischer Romane, doch dem Beispiele zu folgen,
was Mundt in seinem Münzer gegeben: möglichst geschichtlich
treu zu schreiben!
§. 218. Erst seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts
hat die deutsche Literatur eigentliche Romane,
aber schon jetzt ist die Masse derselben eine unabsehbare,
und ihre Zahl mehr denn Legion. *) Der Roman ist,
wie keine andere Dichtungsart, ins Volk gedrungen;
wie er im Allgemeinen gewirkt, das läßt die
Verordnung der Behörde ahnen, die die Leihbibliotheken
nur seinetwillen unter polizeiliche Controlle stellt.
Wir wollen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten
und dem guten Roman seinen Werth und seine heilsame
Wirkung absprechen, aber wir verhüllen unser
Antlitz vor dem maaßlosen Verderben, das uns der
belletristische Schund, das uns die schlechten
Romane gebracht. Es ist das Geringste, daß dem
Volke der Geschmack an wahrer Poesie damit verdorben;
es ist noch nicht das Aergste, daß von Tausenden
Zeit, Geld und Beruf der „Lektüre“ geopfert wird ─
[Abbildung]
§. 219. Die Dichtkunst hat ihren Höhenpunkt in
der dramatischen Poesie. „Das Drama vereint,
wie es sich chronologisch auf dem Gipfel aller Dichtung,
nur in einer Zeit künstlerischen Bewußtseins ausbildet,
auch alle Dichtungsarten in sich.“ Die dramatische
Poesie hat ihren Namen von dem griechischen Worte
Drama, mit welchem man sowohl eine Handlung
an sich, als auch die Vorstellung derselben bezeichnet.
Jn dieser Benennung schon ist das Wesen und
die Bedeutung des Dramas (im weitern Sinne) ausgesprochen.
„Handlung ist der Welt allmächtiger Puls“
─ und das Drama hat die Aufgabe, in ästhetischer
Vollendung Ereignisse als gegenwärtig, mit
einem Worte Handlungen vorzustellen. Es schildert
nicht, wie die lyrischen, es erzählt nicht,
wie die epischen Dichtungen ─ es stellt dar. Der
dramatische Dichter läßt das Ereigniß, welches er
vorführen will, sich vollständig vor unsern Augen
entwickeln und die dabei betheiligten
Personen selbstständig wirken. Deshalb tritt |#f0125|
§. 220. Der Stoff (die Fabel) des Dramas ist
entweder reine Erfindung des Dichters, oder er ist der
Sagen- und Mährchenwelt, oder endlich der Geschichte
entlehnt. Jn Rücksicht desselben ─ sei er nun fingirt
oder entlehnt ─ ist an den Dichter die Forderung zu
machen, daß er ihn mit ästhetischer Wahrheit
behandele, dem ganzen Verlauf der Handlung Natürlichkeit
verleihe. Wie weit er sich bei den entlehnten,
namentlich den geschichtlichen Stoffen der Treue zu
befleißigen habe, das bleibt seinem Ermessen überlassen,
doch möchte das, was wir §. 214 Anmerkung erwähnt
haben, auch hier Beachtung verdienen.
§. 221. Nur eine Haupthandlung darf den Stoff
des Dramas bilden, und diese muß sich, wie schon gesagt,
vollständig vor dem Zuschauer oder Leser entwickeln,
d. h. sie muß bei einem Punkte beginnen, von
welchem aus sich der naturgemäße Zusammenhang der
Begebenheiten nach Ursache und Wirkung erklären und
überschauen läßt, und sie kann erst da, muß aber auch
da enden, wo eine befriedigende Lösung der Katastrophe,
auf die Alles hinarbeitet, statt gefunden hat. Die Einheit
der Handlung wird dadurch vermittelt, daß
eine Person als Hauptperson, als Held herausgestellt
wird. Der Held ist der Träger, wenn auch
nicht immer der Leiter und Lenker der ganzen Handlung,
er bildet den Mittelpunkt derselben, um seine
Der Held wird dargestellt als im Conflikte mit
dem, seinen Plänen und seinem Thun widerstrebenden
Einflusse höherer Gewalten oder mit den Wirren
und Hemmnissen des Lebens oder endlich mit
seinen eignen Leidenschaften. Der Kampf gegen
diese widerstrebenden Elemente bildet die Verwickelung
der Handlung, die Schürzung des dramatischen
Knotens. Die Verwickelung sowohl, als
die Entwickelung und die Lösung des dramatischen
Knotens, die Katastrophe, muß ─ da das Drama
ein Bild des Lebens ist ─ durchaus natürlich und
ungezwungen sein. Die Motive der Entwickelung und
der Katastrophe müssen sich im Drama selbst finden
und dürfen weder vor dasselbe, noch außerhalb desselben
gesetzt werden.
Jn den meisten Fällen werden diese Motive sich
an die Personen knüpfen. Der Dichter muß darum
darauf achten, daß alle Personen nach ihrem Charakter
bestimmt und klar heraustreten und ihre
Handlungsweise sich psychologisch daraus erklären
läßt. Dann aber ist nöthig, daß sie mitwirken, daß
ihre Handlungen wesentlich zur Vollendung des Ganzen
beitragen, mögen sie nun in unmittelbarer Beziehung
zur Haupthandlung stehen oder Episoden
Anmerkung. Denn Prolog und Epilog (siehe unten!),
in welchen zuweilen auch die Person des Dichters vorkommt,
sind nicht als wesentliche Theile des Dramas anzusehen.
§. 222. Da die Handlung des Dramas immer
den Schein der Wirklichkeit tragen soll, so haben
viele Theoretiker die Forderung gemacht, den scheinbaren
Verlauf derselben nicht nur an einem Tage,
sondern auch an einem Orte vor sich gehen zu lassen,
mit andern Worten: die Einheit der Handlung
mit der Einheit der Zeit und des Orts zu
verbinden. Diese Forderung ermangelt jedoch jedes
haltbaren Grundes. Denn wollte man den Begriff der
Natürlichkeit (der allerdings eine wesentliche Eigenschaft
des Dramas bildet) so buchstäblich fassen und
ihn dann konsequent auf alle Zweige der Darstellung
ausdehnen, „so würde man dadurch alle poetische Form
unmöglich machen, denn wir wissen wohl, daß die
mythologischen und historischen Personen nicht unsere
Sprache geredet, daß der leidenschaftliche Schmerz sich
nicht in Versen ausgedrückt“ u. s. w. „Unsere Einbildungskraft
geht aber leicht über die Zeiten hinweg, die
vorausgesetzt und angedeutet, aber weggelassen werden,
weil nichts Bedeutendes darin vorgeht; sie hält sich
einzig an die vorgestellten, entscheidenden Augenblicke,
durch deren Zusammendrängung der Dichter „den trägen
Gang der Stunden und Tage beflügelt.“ Und eben
so leicht vermag sie sich von einem Ort an einen andern
zu versetzen, besonders wenn ihr noch die Scenerie
und die Eintheilung in Akte zu Hülfe kommt.
Selbst die Griechen, auf deren Vorbild man sich hierbei
beruft, haben nur eine scheinbare Stätigkeit
der Zeit beobachtet und sich erlaubt, während der |#f0127|
§. 223. „Da schon in der dramatischen Form die
Voraussetzung der sichtbaren Darstellung und der Anspruch
darauf liegt, so kann ein dramatisches Werk
immer aus einem doppelten Gesichtspunkte betrachtet
werden, inwiefern es poetisch und inwiefern es theatralisch
ist. Eins kann sehr wohl vom andern getrennt
sein.“ Ein Drama kann poetisch sein, es kann auf den
Leser einen ganz vortrefflichen Eindruck machen, *)
während es den Zuschauer kalt läßt. Wiederum kann
ein anderes Drama auf der Bühne Effekt machen, es
kann großen theatralischen Werth haben, während sein
poetischer Gehalt ein sehr geringer ist. Die besten Dramen
werden die sein, die theatralische Wirkung mit
§. 224. Vorzugsweise in der theatralischen
Wirkung beruht die hohe Bedeutung,
die das Drama für das öffentliche Leben, für
den Staat, für die Nationalbildung hat. Man
braucht sich nur zu erinnern, wie sich hier und dort
an die Aufführung von einzelnen Dramen geschichtliche
Ereignisse von sehr ernstem Charakter knüpften, *) wie
bis auf den heutigen Tag in mehreren Ländern gewisse
dramatische Dichtungen nicht auf die Bühne gebracht
Diese demagogische Kraft im Guten und Bösen
hat billig von jeher die Aufmerksamkeit der Gesetzgeber
auf das Schauspiel gerichtet. Die Aufgabe dabei ist,
die zum Gedeihen schöner Kunst nöthige ungezwungene
Bewegung mit den Rücksichten zu vereinbaren, welche
die jedesmalige Staats- und Sittenverfassung fordern.“
§. 225. Das Drama ist um des Theaters willen
da, es erreicht seine Bestimmung erst dadurch
ganz, daß es vorgestellt, aufgeführt wird. Es ist
billig, daß wir auf diesen Punkt etwas näher eingehen
und uns über die Stellung des Theaters zum
Leben ins Klare setzen. Wir legen dem Theater eine
§. 226. Der äußern Form nach zerfällt jedes
größere Drama in mehrere Akte oder Aufzüge
und diese wieder in Scenen oder Auftritte. Diese
Eintheilung ist einestheils ein bequemes Mittel, die
Lücken der Zeit und die Veränderungen des Orts bei
der Handlung zu verdecken, anderntheils gestattet sie
dem Zuschauer und dem Schauspieler passende Ruhepunkte.
Die Anordnung, Verbindung und Folge dieser
Scenen und Akte muß durch die Folge der Handlung
selbst begründet und gerechtfertigt scheinen. Daß der
Akte gerade fünf sein sollen, ist eine Forderung, die
Horaz so wenig, als alle, die dieselbe nach ihm stellten,
naturgemäß begründen konnte. Es läßt sich weiter
§. 227. Man hat sich für die verschiedenen Arten
der Dramen sowohl der prosaischen, als auch mancherlei
metrischer Formen bedient und die gewöhnliche
Gesprächsweise, den Dialog, mit dem Monolog
─ dem Selbstgespräch ─ abwechseln lassen.
Durch den Monolog soll dem Zuschauer mehr die innere
Gemüthswelt der handelnden Personen dargelegt und
Blicke in das, bei dem Dialoge nicht so offen daliegende
Räderwerk der Beweggründe aufgeschlossen werden.
§. 228. Der Hauptarten der dramatischen
Poesie sind vier, nämlich: 1) die Tragödie; 2) die
Komödie; 3) das Schauspiel; 4) die Oper.
§. 229. Die Art dramatischer Dichtungen, welche
man im Deutschen Tragödien zu nennen pflegt, hat
nicht nur den Namen von den Griechen entlehnt,*)
sondern ruht auch in Rücksicht ihrer Entstehung und
Ausbildung ganz auf griechischem Boden. Die
Vorbilder, welche uns in den griechischen oder antiken
Tragödien gegeben sind, haben einerseits einen
sehr wohlthätigen Einfluß auf die Kultivirung der
deutschen Tragödie ausgeübt, anderseits aber ist durch
die Aengstlichkeit, mit der man sich häufig an dieselben
gebunden, eine heillose Begriffsverwirrung und manche
poetische Mißgeburt erzeugt worden. So hat die antike
Tragödie für die deutsche Literatur eine sehr hohe
Bedeutung gewonnen; eine Bedeutung, die es uns zur
Pflicht macht, bei der Betrachtung der deutschen Tragödie
auf sie mit Rücksicht zu nehmen und ihre wesentlichen
Eigenthümlichkeiten heraustreten zu lassen. Niemand
hat, nach unserm Ermessen, das Wesen der
griechischen und das der deutschen Tragödie und den
§. 230. Sowohl in der antiken, als in der
modernen Tragödie wird der Mensch dargestellt,
wie er, im Kampfe mit einer bedeutenden
feindlichen Macht, seiner menschlichen
Freiheit und Selbstständigkeit nach obsiegt,
während er seiner sinnlichen, endlichen Existenz
nach unterliegt. Je nach der Verschiedenheit
dieser feindlichen Macht gestaltet sich auch der Charakter
der Tragödie verschieden. Bei den Griechen war diese
Macht die, mit religiösem Sinn aufgefaßte, ewige Ordnung
der Dinge, das Schicksal, das Verhängniß,
das Fatum, dem selbst die Götter (die ja überhaupt
nur personificirte Naturmächte waren) nach ihrem individuellen
und nicht geeinten Willen sich unterwerfen
mußten. Wie der tragische Held durch den Kampf mit
solcher Macht an die Gränzen der Menschheit gestellt
wurde, so geht alles in der Tragödie über das Gewöhnliche
hinaus und dieselbe hat selbst dann, wenn die
Götter nicht als mitwirkend eingeführt sind, eine Richtung
zum Uebersinnlichen. Die ganze Auffassung,
wie die Darstellung der Handlung war idealisch:
während die Jdee der sittlichen Freiheit des
§. 231. Bei allen christlichen Völkern ist an
die Stelle des Fatums, des blinden Schicksals, der
Glaube an den persönlichen Gott, an die, durch
seine Hand bewirkte allweise Lenkung der Weltgeschicke,
an die göttliche Vorsehung getreten;
dadurch aber ist eine ganz andere Anschauungsweise
der Dinge und des Laufes dieser Welt begründet worden.
Wenn man heut zu Tage das Wort Schicksal
braucht, so verbindet man mit demselben einen bei
weitem andern, als den ursprünglichen Begriff: „das
§. 232. Bei der Behandlung des tragischen
Stoffs muß es der Dichter natürlich darauf absehen,
das Jnteresse des Zuschauers zu fesseln und zu
spannen. Die tragische Handlung muß die Gefühle
des Mitleids, der Besorgniß und Theilnahme, die (sogenannte
tragische) Furcht hervorrufen, der Held selbst
muß immer bewundernswürdig erscheinen, sei es auch
nur durch die riesige Kraft, die er offenbart. Die im
Gemüthe des Zuschauers geweckten Empfindungen dürfen
jedoch nicht überspannt werden; das Gemüth darf
weder durch ein unerträgliches Grausen gemartert, noch
durch eine gränzenlose Angst gepeinigt, es soll erhoben
werden. Zu diesem Zwecke ist zwar immer ein ernster
Ausgang der Handlung nöthig (denn sonst würden
die geweckten Gefühle auf vage Weise wieder zerstört
werden), aber ein eigentlich trauriges Ende (der
Tod des Helden) ist, wenn auch gewöhnlich, doch keineswegs
durchaus erforderlich, weshalb auch der Name
Trauerspiel nicht in allen Fällen dem entspricht,
was wir Tragödie nennen. Die Hauptsache ist, daß
der Totaleindruck ein wirklich tragischer sei: das
Jn Rücksicht der Wahl des Stoffs lassen sich beschränkende
Vorschriften zwar nicht aufstellen, doch
möchte es im Allgemeinen immer zweckmäßiger sein,
wenn der Dichter seinen Helden den höheren Kreisen
der Gesellschaft entnimmt und die Handlung in deren
Bereich vor sich gehen läßt. Hier finden sich im Ganzen
immer schärfer ausgeprägte Jndividualitäten, die
überdieß nicht, wie die Menschen niederer Klassen, durch
kleinliche Verhältnisse eingeengt und gebunden werden.
Deshalb konnte das sogenannte bürgerliche Trauerspiel,
das sich in den niederern Lebenskreisen
oder in dem engen Bezirk der Familie bewegt,
kein dauerndes Glück machen.
§. 233. Die Form der Tragödie ist fast immer
metrisch; und zwar ist größtentheils der fünffüßige
Jambus gebraucht. Jndeß finden sich auch Tragödien
in Prosa, in vierfüßigen Trochäen und in gemischten
Versarten.
§. 234. Erst durch Lessing's Leistungen ist der
§. 235. Die Komödie*) oder das Lustspiel
ist die dramatische Darstellung von Handlungen,
in welchen die Schwäche, Thorheit
und Eigenheit mit dem Gewohnheitsmäßigen
und Anerkannten im Leben (mit der Gesit=
§. 236. Wenn das Lustspiel auch vorzugsweise
ergötzen, belustigen soll, so kann es doch auch höhere
Zwecke verfolgen. Das gute Lustspiel wird immer auch
sittlich wirken; nur wird es sich mehr auf dem Boden
§. 237. Nach der Art, Auffassung und Behandlung
des Stoffes (der eben sowohl ein der
Wirklichkeit, der Geschichte entnommener, als ein erfundener
sein kann,) hat man das Lustspiel verschiedentlich
eingetheilt und benannt. Zunächst unterscheidet man
höhere und niedere Lustspiele. Das niedere
Lustspiel, die Posse, bewegt sich entweder in einer
niedern Lebenssphäre und repräsentirt dann den, in
Haltung und Ausdruck kunstlosen, derben Volkswitz,
oder es führt Charaktere vor, die ihrer Schwächen und
Gebrechen sich wohl bewußt sind, aber so unter der
Herrschaft der Sinnlichkeit stehen, daß sie dieselben
wohl eher mit großer Behaglichkeit zu hegen und zu
pflegen, als sie abzustellen suchen. Jm höheren Lustspiel
dagegen werden Personen dargestellt, die entweder
von ihren lächerlichen Eigenschaften und Schwächen
nichts wissen, oder dieselben so zu verbergen suchen,
daß nur eine feine Beobachtung über die wahren
Triebfedern des Handelns ins Klare zu setzen vermag.
Deshalb hat der Dichter solcher Lustspiele die oft schwierige
Aufgabe, mittelst leicht hingeworfener, gleichsam
Je nachdem das Komische mehr in die Charaktere
oder in die verwickelten Lagen der Personen gelegt ist,
je nachdem ist das Lustspiel mehr Charakter= oder
mehr Jntriguenstück. „Ein gutes Lustspiel soll immer
beides zugleich sein, sonst fehlt es entweder an Gehalt
oder an Bewegung, nur freilich kann bald das eine,
bald das andere ein Uebergewicht haben.“ Das Jntriguenstück
entsteht, „wenn die Charaktere nur leicht
angedeutet sind, eben so viel als nöthig ist, um Handlungen
der Personen in dem und jenem Fall zu begründen,
wenn sich die Vorfälle so häufen und die
Verwickelung so auf die Spitze gestellt ist, daß sich die
bunte Verwirrung der Mißverständnisse und Verlegenheiten
in jedem Augenblicke lösen zu müssen scheint,
und doch der Knoten immer von neuem geschürzt wird.“
Das Charakterstück sieht es mehr auf Entwickelung
der Charaktere (namentlich eines Hauptcharakters) ab
und sucht dieselben deshalb so zu gruppiren, daß einer
den andern ins Licht stellt.
Bezweckt das Lustspiel, ein Gemälde der Zeit
zu sein, stellt es insonderheit die verkehrten, thörichten
Richtungen derselben in ihrer Nichtigkeit und Lächerlichkeit
dar, so heißt es Sittenstück. Schließt es sich
dabei in Rücksicht der Charaktere und Tendenz genau
dem geselligen Leben der Gegenwart an, sucht es namentlich
den, in den Unterhaltungen der Gebildeten
§. 238. Was die Form des Lustspiels betrifft,
so hat man sich dabei meistentheils der Prosa bedient.
Die Behauptung, daß der Vers für das Lustspiel
nicht passe, läßt sich jedoch deshalb nicht aufstellen;
obwohl nicht zu leugnen ist, daß eine poetische Freiheit
in Rücksicht des Ausdrucks, wie sie andere Dichtungsarten
gestatten, ja zum Theil fordern, hier nicht angewendet
werden darf. „Jm Lustspiel soll der Vers
nur zu größerer Leichtigkeit, Gewandtheit und Zierlichkeit
des Dialogs dienen. Der Versbau muß, unbeschadet
dem Gebräuchlichen, Ungezwungenen, ja
Nachlässigen des Gesprächstones, sich von selbst einzustellen
scheinen.“ Deshalb hat über die Angemessenheit
des Verses oder der Prosa nur der Gegenstand zu
entscheiden. Daß die Bequemlichkeit der Dichter dabei
(wie häufig der Fall ist) den Ausschlag gebe, ist nicht
zu wünschen. Die versifizirten Lustspiele erscheinen meist
in gereimten Alexandrinern, so wie in kürzern jambischen
oder trochäischen Versen (und zwar ebenfalls mit
Anwendung des Reims). Den für die Tragödie und
das Schauspiel so häufig gebrauchten fünffüßigen Jambus
hat man mit Recht nur sehr selten angewendet.
§. 239. Es ist eine bekannte und leider! begründete
Klage, daß wir es im Fache des Lustspiels noch
zu keinen ersprießlichen Resultaten gebracht haben. Wir
suchen die Ursachen dieser unerfreulichen Erscheinung
nicht, wie Einige, in einer nationalen Unfähigkeit,
in dem „deutschen Ernst,“ sondern finden sie,
mit Gervinus, nur in unsern Verhältnissen.
auf eine Menge unserer verdientesten Schriftsteller paßt ─
dann wird mit andern Uebelständen auch die Uebersetzungswuth
und der Mangel an guten deutschen Originallustspielen
mehr und mehr schwinden. ─ Führen wir uns nun
noch die Namen derjenigen deutschen Dichter der letzten
hundert Jahre vor, die sich, mit mehr oder weniger
Glück, im Lustspiel versucht haben; es sind folgende:
Lessing, Göthe, Lenz, Schröder, Jffland,
Kotzebue, Th. Körner, Tieck, Klinger, Brentano,
Robert, Eichendorff, Müllner, H. von
Kleist, Frau v. Weissenthurn, J. Voß, F. L.
Schmidt, Steigentesch, Vogel, Hollbein,
Benzel-Sternau, Deinhardstein, Contessa,
Raupach, Grabbe, Holtei, Platen, Jmmermann,
Töpfer, Bauernfeld, Gutzkow, Elsholz,
Amalie v. Sachsen, Kühne, Laube.
§. 240. Das Schauspiel, vorzugsweise Drama
(im engern Sinne) genannt, ist ein Erzeugniß der
neuern dramatischen Dichtkunst und findet sich als besondere
Art derselben nur in Deutschland. Es war
anfangs nur eine, sich durch starke Beimischung des
§. 241. Es liegt im Charakter des Schauspiels,
daß es eine einfachere Verwickelung habe, als das Lustspiel.
Jn Rücksicht der Form unterliegt es keinen besondern
Bestimmungen; überhaupt aber leiden, wie
natürlich, alle den dramatischen Dichtungen im Allgemeinen
geltenden Vorschriften auch auf das Schauspiel
ihre spezielle Anwendung.
Auf die näheren Unterscheidungen der nach Stoff
und Behandlung verschiedenen Schauspiele (historische,
romantische, humoristische, idyllische, geistliche, vaterländische,
didaktische u. s. f.) brauchen wir hier nicht einzugehen:
sie liegen in der Bedeutung dieser speziellen
Benennungen unmittelbar selbst.
§. 242. Als Dichter deutscher Schauspiele sind zu
nennen: Lessing, Göthe, Gemmingen, Jffland,
Schröder, Kotzebue, Tieck, Kleist, Fouqué,
Klingemann, Schiller, Uhland, Babo, Raupach,
Körner, Wetzel, Oehlenschläger, Kind,
Houwald, Deinhardstein.
§. 243. Die Oper im weitern Sinne (auch wohl
Singspiel genannt) ist ein dramatisches Gedicht
mit Musikbegleitung. Jn der Oper und
allen ihren Unter- und Nebenarten findet eine innige
Verschmelzung der Dichtkunst und Tonkunst
statt. Dieser Umstand, die musikalische Bestimmung der
Oper, bringt es mit sich, daß das lyrische Element
das dramatische ganz durchdringt, ja dasselbe
wohl überwiegt. Die eigentliche Handlung tritt in
der Oper zurück; mehr, als auf raschen Fortgang der
Handlung, kommt es bei der Oper darauf an, Entwickelung
und Steigerung der Gefühle hervortreten
zu lassen. Deshalb muß die Hauptaufgabe
des Dichters die sein, die Personen in solche Situationen
zu bringen, in welchen sie ihre Gefühle äußern
können, und zwar Gefühle, die nur mittelst der
Musik vollständig ausgesprochen und ver=
Jm Grunde aber kann, wie A. W. Schlegel richtig bemerkt,
das nicht für die Bühne berechnete Drama doch
nur dann wirken, wenn man sich die Bühne hinzudenkt.
Anmerkung. So brach z. B. die belgische Revolution
von 1830 nach der Aufführung der Stummen von Portici
in Brüssel aus.
„Das Theater, wo der Zauber mehrerer Künste vereinigt
wirken kann; wo die erhabenste und tiefsinnigste Poesie zuweilen
die gebildetste Schauspielkunst zur Dollmetscherin
hat, die Schauspielkunst, welche zugleich Beredtsamkeit und
bewegliches Gemälde ist; während die Architektur eine
glänzende Einfassung und die Malerei ihre perspektivischen
Täuschungen herleiht, und auch die Musik wohl zu Hülfe
gerufen wird, um die Gemüther zu stimmen, oder die
schon ergriffenen durch ihre Anklänge noch mächtiger zu
treffen; das Theater endlich, wo die gesammte gesellige
und künstlerische Bildung, welche eine Nation besitzt, die
Frucht von Jahrhunderte lang fortgesetzten Bestrebungen,
in wenigen Stunden zur Erscheinung gebracht werden kann:
das Theater hat einen außerordentlichen Reiz für alle Alter,
Geschlechter und Stände, und war immer die Lieblings=
Ergötzung geistreicher Völker. Hier sieht der Fürst, der
Staatsmann und Heerführer die großen Weltbegebenheiten
der Vorzeit, denen ähnlich, in welchen er selbst mitwirken
konnte, nach ihren innern Triebfedern und Beziehungen
entfaltet; der Denker findet Anlaß zu den tiefsten Betrachtungen
über die Natur und Bestimmnng des Menschen;
der Künstler folgt mit lauschendem Blick den vorüberfliehenden
Gruppen, die er seiner Phantasie als Keime
künftiger Gemälde einprägt; die empfängliche Jugend öffnet
ihr Herz jedem erhebenden Gefühl; das Alter verjüngt
sich durch Erinnerung; die Kindheit selbst sitzt mit ahnungsvoller
Erwartung vor dem bunten Vorhange, der rauschend
aufrollen soll, um noch unbekannte Wunderdinge zu enthüllen;
alle finden Erholung und Aufheiterung, und werden
auf eine Zeitlang der Sorgen und des täglichen Drucks
ihrer Lebensweise enthoben.“ A. W. Schlegel.
Anmerkung. Der Name Tragödie soll nach der gewöhnlichen
Meinung so viel wie Bockgesang bedeuten
und seinen Ursprung entweder von dem Umstande, daß
bei den Bachusfesten, die man durch ernste lyrische oder
heroische Gesänge feierte, dem Gott zu Ehren ein Bock
geopfert wurde, oder von dem Gebrauch herschreiben, wonach
man bei diesen Festen dem besten Sänger einen Bock
als Preis zu Theil werden ließ.
Komödie (wörtlich so viel wie Dorfgesang) bezeichnete
ursprünglich einen festlichen Umzug, den die Griechen unter
Anstimmung heiterer Spottgesänge an den Bachusfesten
durch die Dörfer und Fluren hielten. Hieraus bildete sich,
zunächst durch Aristophanes, die griechische Komödie.
Die Eigenthümlichkeiten der letztern konnten wir hier mit
Stillschweigen übergehen, da ein Verhältniß, wie zwischen
der griechischen und deutschen Tragödie, hier nicht obwaltet.
§. 244. Nach der Art des Stoffes, so wie |#f0129|
a. die ernste oder große Oper (opera seria).
Sie ist ihrem Stoffe nach der Tragödie oder doch dem
ernsten Schauspiel verwandt. Jm letztern Falle heißt
sie romantische Oper, Zauberoper &c., wenn die Fabel in
dem Mittelalter, oder in der Zauber- und Mährchenwelt
spielt. Jn ihr herrscht durchweg Gesang.
b. Die komische Oper (opera buffa) ähnelt in
Rücksicht ihres Stoffes dem Lustspiel und läßt den Gesang
mit dem Dialog abwechseln.
c. Die Operette, das Singspiel im engern
Sinne, läßt ebenfalls den Dialog und Gesang abwechseln
und unterscheidet sich durch größere Einfachheit und
geringeren Umfang von der ernsten und komischen Oper.
d. Das (den Franzosen nachgebildete) Vaudeville
ist ein Lustspiel oder eine Posse mit Liedern, deren
Melodien beliebten Volksgesängen entnommen sind.
e. Das Jntermezzo ist eine den Jtalienern nachgeahmte
kleine komische Oper für zwei oder drei Personen,
die als Zwischenakt für zwei verschiedene Theaterstücke
oder auch dazu dient, bei einem und demselben
Drama eine angenehme Unterbrechung herbeizuführen.
Sowohl im erstern, als im letztern Falle steht sie außer
allem innern Zusammenhange mit der Hauptvorstellung.
f. Das Melodram (Monodram, Duodram). Jm
Melodram wird die Deklamation nicht durch Gesang
unterbrochen, die Musik dient nur dazu, die Rede einzuleiten
oder zu begleiten oder auch die Pausen in derselben
auszufüllen. Das Melodram wird Monodram
genannt, wenn nur eine Person darin auftritt; Duodram |#f0130|
§. 245. Als einzelne Theile der Oper sind anzuführen:
Recitativ, Ariosa, Arie (Ariette), Cavatine,
Duett, Terzett, Quartett, der Chor u. s. w.
(Siehe §. 146!)
──────
§. 246. Es bleibt uns nun noch übrig, mit
Wenigem derjenigen poetischen Erzeugnisse zu gedenken,
die sich zu eigentlichen Dichtungsarten noch nicht durchgebildet
haben, sondern, mit geringer Ausnahme, nur
als in dichterische Form gekleidete Spielereien des Verstandes
und Witzes erscheinen. Diese sind die Parodie
und Travestie und das Räthsel mit seinen Nebenarten.
§. 247. Die Parodie und die Travestie. Die
Parodie (wörtlich Nebengesang) und die Travestie
(so viel wie Umkleidung) haben das Gemeinschaftliche,
daß sie in sich selbstständige Parallelen zu
allgemein bekannten Gedichten bilden. Die Parodie
trägt die Folge der Gedanken, die Art des Ausdrucks
derselben, so wie die äußere Form des parallelisirten
Gedichts auf einen andern, gewöhnlich gemeinern Gegenstand
über; die Travestie behält den Gegenstand bei,
sucht ihn aber ─ meist dadurch, daß sie ihn seiner ursprünglichen
poetischen Form entkleidet ─ in's Komische
und Lächerliche zu ziehen. Die Travestie, wie die |#f0131|
Parodie und Travestie sind in Deutschland nicht
besonders viel kultivirt worden und man wird Recht
haben, wenn man der Meinung ist, daß die Ursache
hiervon in dem mehr dem Ernsten zugewendeten Charakter
der Deutschen liegt, der es schwer verträgt, daß
man das Große und Schöne in irgend einer Weise
persiflire.
§. 248. Das Räthsel. Das Räthsel im allgemeinern
Sinne ist ein Produkt des Scharfsinnes, bei
welchem es darauf ankommt, einen ungenannten Gegenstand
aus der Zusammenstellung einzeln angegebener
Eigenschaften zu errathen. Soll das Räthsel gut sein,
so muß es das Errathen des Gegenstandes möglichst
erschweren, gleichwohl aber diejenigen Merkmale andeuten,
welche in ihrer Vereinigung ein vollkommen
treffendes, anschauliches Bild desselben geben. Diesen
zwiefachen Zweck wird es erreichen, wenn es solche
Merkmale vorführt, die einander zu widersprechen scheinen,
oder auch wenn es Eigenschaften angiebt, die einzeln
─ aber nicht in ihrer Gesammtheit ─ zugleich
andern Gegenständen, und zwar solchen angehören, auf
die der Rathende leicht fällt. ─ Das Räthsel hat demnach
einen allegorischen Charakter, nach seiner äußern
Erscheinung ist es dem Epigramm verwandt. Es nimmt
die verschiedensten poetischen Formen an; häufig erscheint
es auch im Gewande der Prosa.
§. 249. Die einzelnen Arten des Räthsels
sind folgende: das Räthsel (im engern Sinne), die
Charade, das Logogryph und die Homonyme.
Das Räthsel im engern Sinne, auch wohl
Worträthsel genannt, charakterisirt immer gleich das
ganze Wort.
Die Charade, das Silbenräthsel, zerlegt ein
(zusammengesetztes) Wort in seinen einzelnen Silben,
charakterisirt erst die Bedeutung dieser und dann die
des Ganzen in der oben angegebenen Weise.
Das Logogryph oder Buchstabenräthsel
bildet durch Wegnahme, Versetzung oder Veränderung
einzelner Buchstaben eines Wortes neue Wörter, läßt
durch angegebene Merkmale diese Wörter und durch
diese dann das eigentliche Räthselwort errathen. Findet
eine Versetzung der Buchstaben statt, so nennt man
das Logogryph auch Anagramm.
Enthält das Räthselwort eine mehrfache Bedeutung
und wird es hiernach charakterisirt, so heißt das Räthsel
Homonyme.
§. 250. So groß auch die Zahl der Räthsel ist,
die wir besitzen, so haben doch nur verhältnißmäßig
wenige poetischen Werth. Fast nur die Schiller'schen
zeichnen sich in dieser Hinsicht rühmlich aus. Doch
auch das Gute, was Apel, Roos, Th. Hell
(Winkler), Kind, Moser, Houwald u. a. in
diesem untergeordneten Fache geleistet haben, wollen
wir nicht verkennen.
Sollen wir schließlich den Wunsch aussprechen, daß
die begabteren Dichter der Gegenwart sich nicht ganz |#f0133|
[Abbildung]
auf die, zum Belege und zur Erläuterung des Textes
dienenden Beispiele in den Gedichtsammlungen von
Echtermeyer, Kurz, Schwab, Wackernagel
und Wolff.
(Siehe das Vorwort!)
[Abbildung]
|#f0137 : E192| Bei W. Langewiesche in Barmen ist unter
Anderm ferner erschienen:
Erbauliche Parabeln
von
Christian Scriver,
einst Oberhofprediger und Consistorialrath in Quedlinburg. ──────
Sprachlich verjüngt
und als Schatzkästlein auf alle Tage des Jahres geordnet. ──────
Vierte, verbesserte Auflage,
(sieben und zwanzigste von „Gotthold's zufällige Andachten“). ──────
8. Fein Papier. Mit Stahlstichen. Gebunden.
Preis 1½ Thlr. ──────
(Eine Ausgabe in kleinerem Format, nicht ganz so
vollständig und ohne Stahlstiche, bei demselben Verleger erschienen
und betitelt „Chr. Scriver's Gleichnissandachten“ &c.,
ist geheftet für ⅔ Thlr. zu haben).
Dieses Werk „bildet einen kostbaren Diamantenschmuck aus 366 edlen,
ächten Steinen, in deren jedem sich der Himmel spiegelt. Es ist ein Buch für
Jedermann, vom Bettler auf dem Strohlager bis zum Fürsten auf dem
Throne.“ ─ „Scriver ist lichtvoll wie die Alpengipfel beim Aufgange der
Sonne in ihrer Pracht, scharf wie das Schwert Gideons, süß wie Honig
und Honigseim, mild wie ein Frühlingsthau im Mondenschimmer, fruchtbar
wie ein von Gott gesegneter Garten, christlich wie ein Apostel!“
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Sagen- und Mährchenwald
im Blüthenschmuck.
Von
L. Wiese.
2 Bde., geheftet. Preis 2 Thlr. ──────
Westphälische Volkssagen in Liedern
von
L. Wiese.
Geheftet. Preis ⅓ Thlr.
Auch über diese beiden Werkchen hat sich in den geachtetsten deutschen
Blättern die Kritik aufs günstigste ausgesprochen.
[Abbildung]