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Die Wahrheit über den Tod des Herzogs von Orléans, des Bruders von König Karl dem Sechsten, ist nur wenigen bekannt. Diese Mordtat war durch mancherlei herbeigeführt worden; einer der Gründe soll in dieser Geschichte dargelegt werden. Besagter Prinz war sicherlich der schlimmste Wollüstling sämtlicher Sprossen vom Stamme des Heiligen Ludwig, welchselbige in ihrer Zügellosigkeit unserem tapferen und fröhlichen Volke durch Laster wie durch seltene Vorzüge so wundersam gleichgeartet waren, daß man sich eher die Höllen ohne den Herren Satan, als Frankreich ohne diese seine mutigen, ruhmvollen und liebestollen Könige vorstellen kann. Die Ausschweifungen jenes hohen Herren (eines Liebhabers der Königin Isabeau, die selbst in Liebesdingen eine wilde Draufgängerin war) führten zu mancherlei pläsierlichen Begebnissen: er erdachte zuerst die Einrichtung der ›Stationsdamen‹, welche sich in der Weise vollzog, daß er beispielsweise auf dem Wege von Paris nach Bordeaux auf jedem Halteplatz ein treffliches Mahl und ein Bett fand, das mit einer Frau sorglich gepolstert war. Einen seiner köstlichen Streiche hat des ferneren unser herrlicher König Ludwig der Elfte in seine Sammlung »die hundert 1
aufnehmen lassen. Die Namen sind allerdings geändert, doch kann jeder die Geschichte nachlesen, sie heißt: »Die Kehrseite der Medaille«. Nun aber zu meiner Geschichte.
Zu Diensten des Herzogs stand ein Edelmann der Pikardie, Rudolf von Rockstädt, dessen Ehe mit einem reichen, dem Hause Burgund verwandten Edelfräulein dem Prinzen dermaleinst verhängnisvoll werden sollte. Sie war blendend schön (was reiche Erbinnen sonst nicht zu sein pflegen) und stellte bei Hofe selbst die Königin und die Prinzessin Valentine in den Schatten. Aber ihr höchstes Gut war ihre fleckenlose Reinheit, ihre bescheidene, keusche Seele. Der Herzog brauchte natürlich an dieser Himmelsblüte nicht lange zu schnuppern, um ein Liebesfieber zu bekommen. Er ward trübselig, fragte nicht mehr nach Dirnenhäusern und tat sich nur noch selten und gleichsam mit Bedauern an den königlichen Leckerbissen der schmuckhaften Isabeau gütlich. Bald aber raste er bereits und schwur durch Zauber, Gewalt, List oder Überredung diesen anmutigen Leib zu besitzen, der ihm die Nächte einsam und freudelos gemacht hatte. So umschmeichelte er sie mit zuckersüßen Worten. Aber er begriff bald, daß sie ihre Tugend nie opfern würde; denn ohne Staunen, ohne zwecklose Entrüstung erwiderte sie mit ruhiger Offenheit: »Hoher Herr, ich will mir die Achtung aller, zumal aber die meines Gatten bewahren,
Solch wackere Antwort heizte natürlich dem Bruder des Königs nur noch mehr ein und verschlagen, wie er war, beschloß er, sie in eine Falle zu locken. Fortan hielt er über sein Begehren fein den Mund, richtete es aber ein, daß die Frau von Rockstädt ein Amt bei der Königin bekam. Als dann eines Tages letztere nach Vincennes zum Krankenlager des Königs fuhr und den Herzog als Herren des Palastes zurückließ, bestellte dieser ein wahrhaft königliches Mahl, das in den Gemächern der Königin aufgetragen werden sollte. Darauf ließ er die spröde Geliebte durch einen Pagen gar dringlich herbeirufen. Selbige vermeinte von der Königin für einen Amtsdienst oder zur Unterhaltung gerufen zu sein, und der ehrlose Liebhaber hatte alles so eingerichtet, daß sie von jener Abreise nichts erfahren konnte. So eilte die Edelfrau in aller Hast in den Palast und kam stracks in den Prunksaal, der unmittelbar neben dem Schlafgemache der Königin lag. Als sie aber dorten nur den Herzog gewahrte, da schwante ihr Unheil; flugs ging sie in die Kemnate: aber statt die Königin zu finden, hörte sie den Prinzen geradeheraus lachen.
»Ich bin verloren!« sagte sie sich und suchte zu fliehen.
Der Lüstling pfiff. Darob floh die hochgemute Frau jählings in das Schlafgemach und holte einen spitzen Stahl, den sie dort wußte. Als dann der Herzog herzukam, wies sie auf die Diele und schrie ihm ins Gesicht: »Wenn Ihr diese Bohle überschreitet, töte ich mich!« Der Herzog setzte sich mit größter Seelenruhe vor jener Bohle auf einen Stuhl und begann alsbald auf sie einzureden in der
»Ich wette,« meinte der Herzog grinsend, »daß Ihr fortan dem Herrn von Rockstädt etwas lebhafter zusetzen werdet.« Worob sie zornbebend auffuhr: »Ihr seid ein Schandbube: ich verachte, ich verabscheue Euch! Wie denn! Weil Ihr meiner Ehre nichts anhaben könnt, wollt Ihr meine Seele beflecken?! Oh, das werdet Ihr teuer bezahlen!«
»Ich kann Euch binden lassen!« rief er zornesbleich.
»O nein, ich bin frei!« Und sie schwang den spitzen Stahl. Der Lüstling lachte höhnisch:
»Bangt Euch nicht. Ich will Euch bis über den Kopf in den Lasterpfuhl tauchen, der Euch so anwidert, Eure Füßchen, die Händchen, die Brüste wie Elfenbein, den schneeweißen Leib, Zähnlein, Haare, alles!! Freiwillig und brünstig wie eine hitzige Stute, die da stampft und
»Was meint Ihr damit?«
»Im gegebenen Augenblick werdet Ihr das schon verstehen. Ich will Euch wohl und gebe mein Ehrenwort, daß ich Euch fortan nie mehr nachstellen und über alles strengstens schweigen werde. Ihr sollt mein gutes Herz kennen lernen und sehen, wie edel ich mich für die Mißachtung einer Frau räche, indem ich ihr selbst den Weg zum Paradies erschließe. Aber lauschet wohl auf die fröhlichen Gespräche im Nebenzimmer, und vor allem: wenn Ihr Eure Kinder liebt, hustet nicht.«
Das Gemach der Königin besaß keinen anderen Ausgang, und durch das Fenstergitter vermochte man kaum den
Ob dieser fröhlichen Ansprache waren alle höchlichst erbaut; einzig Rockstädt trat zu dem Herzog und sagte: »Hoher Herr, Ihr wißt, ich scheue keine Schlacht, es sei denn wider Weiberröcke. Meine Gefährten dort haben kein Weib daheim, wogegen ich eine holde Gattin besitze, der ich Gesellschaft leisten und für mein Handeln einstehen muß.«
»Das heißt: ich als Ehemann sündige also?!« fuhr der Herzog auf.
»O nein, teurer Gebieter: ein Prinz kann alles!« Bei diesen hochgemuten Worten wurde der Gefangenen begreiflicherweise heiß und kalt, und sie dachte:›Ja, Rudolf, du bist wahrhaft ein Edelmann!‹ Der Herzog aber sprach: »Ich schätze dich hoch und halte dich für meinen treuesten
So ließ sich Rockstädt am Tische nieder, um den Prinzen nicht zu kränken. Und flugs huben alle an, mit Scherzen und Lachen über die Frauen herzuziehen. Wie's so Brauch, prahlten sie mit ihren Erlebnissen, verschonten nur die derzeitige Liebste und gingen alles haarklein durch: was jede so besonderes an sich hatte, dann die verschiedensten anmutigen Scheußlichkeiten, und je mehr sie tranken, um so schlimmer ging's her. Der Herzog war ausgelassen wie ein Universalerbe, stachelte sie durch geschickte Fragen weiter auf und jagte sie durch Leckerbissen und Wein in die schlüpfrichsten Späße. Rockstädt ward glühendrot, aber mählig stumpfte er ab, und trotz seiner Tugend meldete sich manch schmutziges Begehren, und er versank in diesen Pfuhl, wie ein Heiliger ins Gebet. Das merkte der Herzog, der immer nur seiner Rache gedachte, und er hub lachend an: »Holla, Rudolf, wir stecken alle unter einer alles sagen. Nun, mein Lieber, packe solch feuriges Roß recht fest in die Mähne, nimm guten Sitz und laß dich nicht abwerfen, denn sonst könntest du im Handumdrehen am Balken kleben wie eine geklatschte Fliege. Sie lebt nur auf den Kissen des Bettes, loht Tag und Nacht und giert nach dem Manne. Unser armer Giac ging dabei drauf: in einem Frühjahr war ihm das Mark ausgesaugt. Doch wer gäbe nicht gern für solche Jubelnacht ein Dritteil, für eine zweite gar seine ganze ewige Seligkeit daran!«
»Aber wie kann es nur in so einfachen Dingen solche Unterschiede geben?« fragte Rudolf. Darob erscholl ein dröhnendes Gelächter. Des Weines voll und durch des Herzogs Augenblinzeln angefeuert, huben die andern alsbald an, unter Kreischen und Toben mit tausenderlei pläsierlichen
Ein Jahr später spaltete Rudolf in der alten Tempelgasse dem Herzoge, dessen Dienst er verlassen hatte, das Haupt und beförderte ihn so hinüber, wie jeder weiß. Im Laufe selbigen Jahres war sein Weib dahingeschieden, wie eine Blüte, daran ein giftiger Wurm genagt hatte. Als Rockstädt dem Herzoge von Burgund, mit dem Zunamen ›Ohnefurcht‹ vor seinem Tode sein wehes Herz ausschüttete, da sagte selbiger, wenngleich er doch ansonsten nicht weichen Sinnes war: das sei unter all den Schandtaten seines Vetters Orléans eine derart schauerliche, daß er ihn darob wohl gern zum zweiten Male hätte ermorden mögen, wenn das möglich gewesen wäre; denn selbiger habe die engelreinste Tugend in den Sündenpfuhl des Lasters gezerrt und zwei edle Herzen eines durch das