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Bei den Zurüstungen zu dem großen Ball, der heute – – Nun, lieber Baron, erinnern Sie sich an unser letztes Gespräch?
Das heißt: Euer Geschäft ist ein Spiel, und das Spiel ist Euer Geschäft. – Der Ball soll hübsch werden?
Ich zweifle gar nicht. Die ersten Aktionäre! Das sind die, welche die Aktien zuerst losschlagen. Man spielt sie den Schustern, Schneidern, Wirthen und Kesselflickern in die Hand: die mögen zusehen, wie sie zu ihren Dividenden kommen.
Sie scherzen! Wie gesagt: das Geschäft ist lohnend; angesehene Kapitalien werden dazu angeboten, es fehlt nur noch Jemand, der – – darf ich offen sprechen, Baron? Sie sind ein Bischen derangirt: wollen Sie mit Einem kühnen Schritt aus Ihrer üblen Lage heraustreten?
Ihr großer Name, Ihre Verbindungen genügen, der Sache den nöthigen Glanz zu verleihen – für's Uebrige lassen Sie mich sorgen. Was sagen Sie dazu?
Nichts weiter! Ihr Antrag wäre beleidigend, wenn er von jemand Anderem käme. Ich verstehe nichts von dem, was Sie Geschäft nennen, will nichts davon verstehen. War ich leichtsinnig, so mag ich dafür büßen; hab' ich Schulden, so werd' ich sie bezahlen, und bliebe mir nichts übrig, als die kahle Mauer meiner Ahnenburg.
Wenn die Leute eigensinnig sind, das nennen sie Gesinnung. Aber wer sich nicht rathen läßt, dem ist nicht zu helfen.
Guten Tag, meine Herren. Ich ließ lange warten. Wie geht's, Welting? Eine Wolke auf Ihrer Stirn, Baron?
Daß es nur auf meinem Balle nicht losbricht! Ich verspreche mir den heitersten Abend. Zu Welting. Aber was verschafft mir die Ehre, jetzt, zur Börsestunde –?
Baldinger! Unbegreiflich! Wir haben uns seit Jahren nicht gesehen, und schieden damals nicht auf das freundlichste. Was mag er von mir wollen?
Der Cousin tanzt nicht. Es ist überhaupt der ernsthafteste, trockenste Mensch von der Welt – ein Mann ohne Leidenschaft.
Ich komme in einer Angelegenheit, die keinen Aufschub leidet, und welche Sie betrifft. Darf ich um eine Viertelstunde bitten?
Ich eile auf die Börse. Adieu, meine Gnädige! Baron, ich hoffe, Sie werden sich besinnen. Ab zur Seite links.
Allein ich weiß aus guter Quelle, daß sich sein Zustand bedeutend verschlimmert hat. Schrieb er Ihnen nicht?
Ich kann's Ihnen nicht verübeln. Wir sahen uns nicht seit fünf Jahren. Sie waren damals noch Mädchen, munter, muthwillig, und mochten sich an dem plumpen, ungeschlachten jungen Menschen so wenig erbauen, wie andere Damen. Ich habe mich freilich seitdem ein Bischen verändert – doch was hilft's? Ein Mensch bleibt im Grunde immer, der er ist, und über Neigung läßt sich nicht gebieten.
Wie die Antipathie? Ganz richtig. Wir Menschen sind überhaupt ein wunderliches Geschlecht! Wir hassen oft Jemand, den wir eigentlich gar nicht kennen, und wir lernen ihn nicht kennen, weil wir ihn hassen. Doch gleich viel! Sie mögen wie immer von mir denken: es ist meine Pflicht, Sie zu warnen. Mit Einem Wort: der Onkel ist gegen Sie aufgebracht.
Meine Nachrichten sind neu, aber wenig erfreulich; der Onkel sandte seinem Rechtsfreund eine Vollmacht, worin er ihm die Verwaltung seines ganzen Vermögens und auch – des Hauswesens übertrug.
Ich bin also förmlich abgesetzt? Ich sah es kommen! – Aber sagen Sie Alles. Der Onkel klagt über mich – ist es nicht so?
Aufrichtig: ja. Er klagt über Ihre Verschwendung – aber ich weiß, der Onkel knickt gern ein wenig; über Ihre muntere Lebensweise – Sie müssen das einem alten, kranken, hypochondrischen Mann zu Gute halten; über die Wahl Ihres Umganges – er nennt insbesondere einen jungen Cavalier, der nicht im besten Ruf –
Ich bin überzeugt, daß Sie die Gefahr dieses Umganges nicht kennen – oder nicht zu fürchten brauchen.
Ich zweifle nicht, nur gilt er für ein wenig lebenslustig, galant. Seine Lebensweise ist bekannt, und die Welt beginnt bereits, seinen Namen mit dem Ihrigen zu nennen.
Gut, gut! Man will mich beschränken, man mißgönnt mir meine harmlosen Zerstreuungen – ich werde mich darein zu finden wissen. Der Onkel ist krank? Mein Ball soll nicht Statt finden. Noch einmal, Cousin: ich danke Ihnen. Leben Sie wohl. Mein schönes, mein freundliches Frühlingsfest! – Ist er denn wirklich gar so krank? – Gehen Sie nicht fort, Cousin! Wir sprechen uns noch. – Glauben Sie mir, der Onkel ist eine Art malade imaginaire. – Das italienische Klima schlägt ihm vortrefflich an. Doch was hegt daran! Der Ball wird verschoben. – Ich wette, die Seeluft kurirt ihn ganz. Ab durch die Mitte.
Da geht meine Jugend! – Das reizende Mädchen ward eine schöne Frau. Sie ist milder geworden, freundlicher – wir würden uns jetzt vielleicht besser verstehen. Die Zeit lehrt Alles; auch Verträglichkeit.
Wären Sie wohl geneigt, Herr Baron, mir Grund und Boden, so weit ich ihn benütze, in Eigenthum zu überlassen?
Ich zahle nach jeder billigen Schätzung. Ueberdieß – ich will mich nicht rühmen – aber der Zufall verschaffte mir das Vergnügen, Ihnen in's Geheim einen Dienst zu leisten, Herr Baron.
Mehrere Ihrer Papiere wurden mir, weit unter dem Nennwerth, angeboten; ich kaufte sie auf. Kommt unser Geschäft zu Stande, so mögen die Papiere theilweise zu unserer Abrechnung dienen. Für jeden Fall bin ich bereit, sie Ihnen zu überlassen.
Ich bin Ihr Grundhold, Herr Baron, und hielt es für unrecht, meinen Grundherrn den Händen von Wucherern zu überliefern.
Sie sind ein seltener Mann, Herr Baldinger! Mein guter Freund, Herr Welting, hätte nicht so gehandelt.
Herr Welting ist ein Börse-Spekulant, Geld ist ihm Waare. Ich bin ein Mann der Industrie; meine Waare ist meine Arbeit. Unser Wahlspruch ist: Arbeit für Geld, nicht: Geld für Geld.
Meine großen Unternehmungen machen es mir wünschenswerth, mich zu arrondiren, Ihre Herrschaft taugt mir dazu am besten. Sie wollten Grundstücke veräußern; wie war's, wenn Sie den ganzen Stamm verkauften?
Der Ertrag ist gering, bis auf die Bergwerke; und die rentiren nur bei fleißiger Wirthschaft und bei der Benützung zu industriellen Zwecken.
Sie haben Recht. Wir armen Gutsbesitzer! Können wir's mit jener Riesen-Tarantel aufnehmen, Industrie genannt, die unser Land mit Fabriken umspinnt, und mit dem Tarantel-Tanz Aktienschwindel? – Sie wollen mich also rangiren, Herr Baldinger?
Gut, wir sprechen noch darüber. Ich suche Sie auf. Rangiren! – Das klingt, als sagte man: Leg' Dich ruhig und sorglos zu Bett – aber eigentlich heißt es: Leg' Dich in's Grab! – Nun, wir werden sehen. Leben Sie wohl, Herr Baldinger. Ab zur Seite links.
Ein schöner Mann – aber stolz. Dabei ein wahrhaft adeliges Wesen. – Ob er sie wohl liebt? Es sieht nicht darnach aus.
Gut. Da bin ich auch. Es gibt Zeichen, womit man sich die Hexen und bösen Geister vom Leibe hält; aber die bösen Geister, die in den Körpern der Weiber hausen, abzuhalten – dafür ist noch nichts erfunden worden. – Dieß Packet, Herr, brachte eine Estafette. Ich dachte, es sei dringend, und suchte Euch hier auf.
Von unsern deutschen Handelsfreunden in Genua. Öffnet das Packet, nimmt ein Papier heraus. Der Lieferungs-Kontrakt.
Liest flüchtig den Brief. Abgeschlossen. Sehr willkommen.
Noch besser, ich habe ihn zufällig gefunden, und er wird mich aufsuchen. Im Vertrauen, Hubert, ich habe alle Hoffnung, die Herrschaft an mich zu bringen.
Und die schönen Bergwerke? Nun, dann wollen wir erst arbeiten! Ich bin Euer Werkmeister und Maschinist; Ihr wart bisher mit mir zufrieden; aber Ihr sollt mich noch besser kennen lernen. Unsere Eisenhämmer und Streckwerke taugen alle nichts; ich will Euch Maschinen bauen, daß sich das Eisen von selbst hämmern und strecken soll. Ihr sollt schon sehen! Ich habe Mechanik im Leib, Mathematik im Kopf, und Industrie im Herzen.
Hm! Ich weiß ja. Man setzt Euch zu. Da sind die Nachbarn draußen in der Runde – das hat Töchter, Schwestern, Basen – das Gezücht will Männer haben – das schnüffelt und kuppelt, und eh' sich's Einer versieht, ist er gefangen – ver
heirathet. Und ein verheiratheter Mann bringt allwege nichts Großes mehr zu Stande.
Das ist recht! – Seht mich an: in meiner Jugend war ich dumm und verliebt – verhebt, weil ich dumm, und dumm, weil ich verliebt war – zu nichts in der Welt tauglich, keine Spur von Industrie, von einem Talent; zum Glück ward mir mein fein's Liebchen, die Gertrud, untreu, und lief mir davon – da hatt' ich mit Einem Mal Talent; machte Modelle und Maschinen, erst aus Desparation, dann aus Passion.
Der arme Onkel! Er dauert mich – obwohl er's wenig um mich verdient. Sie glauben nicht, Cousin, in welcher Abhängigkeit er mich stets erhielt. Ihre Bemerkung war ganz richtig: der reiche Mann ist ein Knicker. Und dann seine Launen! Es gibt kein verdrießlicheres Geschöpf auf der weiten Welt, als einen Junggesellen, der alt wird. Hüten Sie sich, Vetter – Mann ohne Leidenschaft – in unsers Onkels Fußstapfen zu treten. Ihnen will ich es gestehen – ich sag' es nicht aus Aerger über den verunglückten Ball, denn der ist längst verschmerzt – dieß Haus ist eine Art Hölle, wenigstens ein Fegefeuer.
Das hab' ich nach und nach so eingerichtet. Es gab Debatten um jedes neue Möbel, einen Fenstervorhang, eine Theekanne! Jede Elle Leinwand mußte erstritten werden. Als die Aerzte meinen Peiniger nach Italien sandten – Sie können denken, daß ich da frisch aufathmete.
Ach, der Ball wurde ja doch abgesagt! Und ich hatte mich so sehr darauf gefreut! – Es ist wahr: ich habe ein Bischen übel gewirthschaftet – aber der Onkel ist reich, und ich bin seine Erbin. Er hat seinen Reichthum der Handelsverbindung mit seinem Bruder, meinem Vater, zu danken. Mein väterliches Erbtheil ging leider auf eine betrübte Weise verloren – nun, lassen wir's! Ich will in's Himmels Namen meine Lebensweise ändern, will mich einschränken, will dem Onkel schreiben, um Vergebung bitten – zuletzt ist er doch krank, und einem Kranken muß man seine Launen hingehen lassen. Erblickt die Papiere. Was ist denn das?
Es war' aber doch möglich – der Onkel ist in Genua, ist eine bekannte Person, vielleicht hat sich seine Gesundheit gebessert, vielleicht kann der Ball haben Sie den Brief gelesen?
Diese Empfindung macht Ihrem Herzen Ehre, Cousine – aber gewiß, Herr Dorner war ein harter Mann, und Sie sind einen Quäler los.
Wollt' ich doch, er könnte mich noch quälen! – Lassen Sie mich selbst lesen, Cousin. Nimmt den Brief und liest. Was ist das? Tritt hart vor Baldinger. Herr Baldinger, Sie sind ein Heuchler!
»Zum Schlusse und in Eile unsern Glückwunsch. Herr Dorner hat Sie in seinem Testamente zum einzigen und Universal- Erben eingesetzt.« Sie ist enterbt!
Herr Baldinger, Sie nahten mir unter der Larve der Freundlichkeit – ich ließ mich für einen Augenblick täuschen – aber ich kenne Sie jetzt, ich kannte Sie von jeher. Nehmen Sie Besitz von dem Eigenthum des Onkels, von diesem Hause, worin ich keinen Augenblick länger verweilen will. Wir sehen uns heute zum letzten Mal. Aber ich will nicht feige zurücktreten, ohne Vertheidigung. Die Erbschaft war mir zugedacht: ich kann Zeugen anführen. Ich glaube im Recht zu sein, Sie sind es vielleicht; verfolge ein Jedes seinen Weg. Von nun an sind Sie mein offener Gegner, ich Ihre Gegnerin. Ich eile den Prozeß gegen Sie einzuleiten. Rasch ab zur Seite links.
Prozeß! Hermine! – Ihr Haß lodert neu wieder auf – sie zweifelt an meiner Redlichkeit – wohlan! So sei denn Krieg zwischen uns! Ich führe den Prozeß. Ab.
Herr Welting? Noch weiß er von nichts. Der Baron vertraut mir unbedingt, und wollte durchaus mit mir allein unterhandeln. Still! Da kommen sie.
Feudalstaub, Herr, zerbröckelte Sagen der Vorzeit, Mittelalter in Atome aufgelöst. Herr Baldinger, was sagen Sie zu dem Burgverließ meiner Ahnen?
Ein Magazin! O heilige Romantik, wo findest du noch ein Asyl? Nach Trapezunt und Famagustä, in die Länder der Mährchen, fährt man auf Dampfschiffen, Innern des heißen Afrika haus't Semilasso mit seinem Comfort. Nichts, überall Nichts, wohin ich mich wenden mag, als nüchterne Nützlichkeit und prosaische Bequemlichkeit. Wie sehn' ich mich hinweg von Euern brausenden Kesseln und ächzenden Maschinen und schmachte nach einem erquickenden Tropfen aus dem vollen Becher des Lebens, nach einem Hauch von Poesie – aber umsonst! Die alte poetische Zeit ist hinabgesunken mit ihren Fehden und Turnieren, mit Rittern und Minnesängern, romantischer Liebe und zarter Galanterie – und die neue Aera stieg herauf mit Dampf, Geprassel, Aktien, politischen Abhandlungen, schwarzen Cravaten und Vernunftheirathen. Eine Aktiengesellschaft will Jerusalem befreien, die altdeutschen Röcke und Gesinnungen werden verboten, und Fouqué's Adelszeitung findet keine Pränumeranten.
Ja, und der Abkömmling der Wildenhains, die in's gelobte Land zogen, ist in den Händen Derer, die aus dem gelobten Lande abstammen.
Die Welt ist rund, die Kugel dreht sich, und die tief unten sind, können wieder einmal herauf kommen.
Nun, Herr Welting, Sie haben alle die Herrlichkeiten gesehen: Burg und Zwinger, sogar mit einem Hausgespenst, einer weißen Dame, die sich bei großen Familien-Calamitäten zu melden pflegt; Felder und Wälder, Dienstbarkeiten und Gerechtsame – was geben Sie dafür in Pausch und Bogen, die weiße Frau mit eingerechnet?
Fünfhundert Thaler? Und die weiße Frau, das Hausgespenst, vielleicht das einzige, das in unserm Lande voll Aufklärung zu finden ist?
Das mögen Sie behalten. Wenn ich Gespenster brauche, kann ich sie aus Weinsberg verschreiben. Justinus Kerner liefert sie exakt und von bester Qualität.
So ein Börse-Spekulant weiß sich doch Alles zu verschaffen! Gespenster und Papiere: Papier ohne Geld und Geld ohne Papier.
Ruinirt? – Bleibt doch der Cavalier! – Ruinirt? Sie irren, Herr Welting, dieser brave Mann hat mich gerettet.
Die Industrie that mir ein besseres Anbot als die Börse. Meine Herrschaft geht in Herrn Baldinger's Hände über.
Die Regierung hat eingewilligt, der Kaufbrief ist ausgefertigt; es fehlen nur die Unterschriften. Herr Baldinger, ich hole den Justitiär, um die Sache vollends in's Reine zu bringen. Es ist ein alter Mann, der uns keine Förmlichkeit ersparen wird, mit dem Sie Geduld haben müssen. Ich gehe. Geht, besinnt sich. Ist es doch eine eigene Empfindung, von der Wiege unserer Kindheit und unsers Geschlechts so mit Einem Ruck für immer zu scheiden! Er faßt eines der Bilder an. Alter Balduin von Wildenhain, Anherr unseres Hauses, was sagst Du zu Deinem Enkel?
Ich trage Dich lebendig im Herzen, wozu brauch' ich Dich gemalt an der Wand? Fahr' hin! Er läßt das Bild mit einiger Heftigkeit los, welches mit Geprassel von der Wand fällt. Er stutzt, und sagt dann lachend. Meine Ahnen werden wirklich lebendig. Ab.
Im Gegentheil! Sie machen den Lebendigen Platz. – Ich staune, Herr Baldinger! Sie in Besitz einer Standesherrschaft? Wollen
So? Es kommt schwerlich zum Prozeß. Das Kammergericht wird die Sache zurückweisen, und das Schiedsgericht wird zu meinen Gunsten entscheiden; denn ich bin im Besitz und im Recht.
Im Recht! Je nun! Sie sind ein reicher Mann, Herr Baldinger, und Ihre Cousine lebt nach und nach fast in Dürftigkeit – ich dächte man versuchte einen Vergleich.
Schon wieder das Recht! Es liegt gar mancherlei am Tage; man zündet ihm noch Laternen an, und sieht's doch nicht. – Sie wollen sich also nicht vergleichen?
Ihr Gemal, der Kammerherr, hatte ihr Vermögen längst durchgebracht, der Onkel hat sie enterbt, und sie prozessirt. Sie ist von aller Welt verlassen – bis auf mich.
Nichts weniger! Es war ein flüchtiger Umgang – weiter nichts. Der gewöhnliche Lauf der Welt: wenn Freunde nicht mehr zusammen kommen, kommen sie auseinander.
Und Sie unterstützen Herminen? Das darf nicht sein. Zwar – wissen Sie was, Herr Welting? Fahren Sie fort meine Cousine zu unterstützen; legen Sie mir in's Geheim Rechnung, ich vergüte Ihre Auslagen.
Gleichviel! Ich weiß, daß ich obsiegen werde; aber ich will meine leichtsinnige Cousine vor ihrem Untergang bewahren. Allein verschweigen Sie ihr –
Herr Baldinger, der Justitiarius steht draußen mit einer großen Urkunde. Heimlich. Das Gerücht hat sich schon verbreitet, daß Ihr der Herr des Schlosses seid.
Die Industrie macht aus ihrem Reichthum kein Geheimniß. – Die andern Werkführer, Gewerke und Bergleute ließen sich nicht abhalten, herauf zu kommen. Alle jubelten laut, als sie erfuhren – doch da sind sie schon. Baron Wildenhain, der Justitiär, mehrere Arbeiter und Bergleute treten auf.
So frage ich denn als Justitiär der Herrschaft: Sind Sie, Herr Karl Isidor Freiherr von Wildenhain, Hochwohlgeboren, annoch gesinnt, gegenwärtigem Herrn Franz Baldinger Ihre Standesherrschaft Wildenhain zu dem stipulirten Preis käuflich zu überlassen?
Und Sie, Herr Franz Baldinger, besagte Standesherrschaft zu dem stipulirten Preis als Käufer zu übernehmen?
So reichen sich denn der hochwohlgeborene Herr Verkäufer und der Herr Käufer zum Zeichen des Vertragsabschlusses die Hände – Es geschieht. trinken sich, nach alter Sitte, aus diesem gemeinschaftlichen Becher zu – Ein Diener mit einem Becher tritt vor, der Baron trinkt, dann Baldinger. Der Justitiär fährt fort. und unterfertigen gegenseitig vorliegenden Kaufbrief. Da der Baron unterschreiben will, im natürlichen Ton. Halt! Euer hochfreiherrliche Gnaden –
Herr Franz Baldinger, Sie sind von dieser Stunde Herr von und zu Wildenhain. Hier ist einstweilen die Tax-Note.
Meine Freunde! Unser Besitz hat sich vermehrt, und mit ihm unsere Arbeit. Wir sind In
dustrielle, das heißt: strebsame, thätige, schaffende Menschen; wir schaffen mit Hand und Kopf, mit Geist und Körperkraft, mit Gedanken und Maschinen.
Denn das ist das Streben der Industrie, daß sie den ganzen Menschen in Anspruch nimmt, und die Einzelnen zu einem großen Ganzen verbindet; Kunst, Wissenschaft, Leben – nichts ist ihr fremd; sie dient der Kunst, sie macht die Wissenschaft lebendig, sie fördert das Leben. Und so weckt und bildet sie den Sinn für die Gemeinschaft, für das Oeffentliche, ja, daß ich das Höchste nenne: Für das Vaterland. Die wahrhaft Industriellen unsers Landes fühlen sich als Genossen, als Glieder eines Ganzen, als Bürger, als Deutsche. In diesem Sinne wollen wir leben und handeln. Eure Hand, meine Freunde, und – Glück auf!
Glück auf! Hoch die Industrie! Und vor Allem – das edle Maschinen-Wesen! Es lebe die Maschine, die uns mit Windesschnelle in fremde Länder trägt, durch's weite Meer, ja, in die freien Lüfte! Die für den Menschen arbeitet, wenn er ihr vorgearbeitet, die des Einzelnen Kräfte schont, ersetzt, vertausendfacht! Darum Heil der kunstreichen Mechanik, vor Allem aber der göttlichen Mathematik! Sie ist die Mutter aller großen Gedanken – d'rum verstehen auch die Weiber nichts davon – wie meine Liebste, die Gertrud, die mir vor dreißig Jahren davon gelaufen – blos aus Mangel an Mathematik und Berechnung. Ihr lacht? Na, ich weiß, Ihr seid wackere Leute, habt Weib und Kind – wer ein Weib hat, kann nicht noch obendrein Gedanken haben. Aber der Herr und ich sind ledig, bleiben ledig; wir wollen für Euch denken. Punktum. Und nun – Er geht ans Fenster, und winkt hinab.
Ich lasse das Wappen vom Thor herunter schlagen und Eure Devise hinauf setzen, da Ihr nun der Herr seid.
Lebt wohl, meine Freunde! Hubert, laß Wein und Essen in den Schloßhof bringen. Zu den Arbeitern. Lebt wohl! lebt wohl! Die Arbeiter gehen ab.
Sechs und dreißig Jahre hab' ich Dero hohem Hause gedient – Da ihm Wildenhain bedeutet zu schweigen. empfehle mich unterthänigst. Im Abgehen, gerührt. Dubios! Dubios! Kurios! Baldinger bedeutet Hubert, dem Justitiär zu folgen. Hubert und der Justitiär gehen ab.
Eine verflucht rührende Scene! Nicht wahr, Baron? Aber Sie sind ja ganz verstummt. – Gratulire, Herr Baldinger. Sie haben da einen schönen Besitz erworben. Nun, wie steht's? Theilen wir Gewinn und Verlust?
Wie es Ihnen beliebt. – Nun, Baron! Noch immer stumm? Ist Ihnen etwa die weiße Frau erschienen: Es heißt ja, sie melde sich bei großen Familien-Calamitäten. – So ein Moment, wie der vorige, macht Eindruck, he? Da geht man plötzlich in sich, erweckt Reue und Leid über sein früheres Leben, über die nichtigen Freuden der Welt, die so viel Geld kosten: Wettrennen, Würfelspiel, Falkenjagd, Bull-dogs, Theater-Tänzerinnen u.s.w. Es ist Alles eitel – besonders die Tänzerinnen. Zu Baldinger. Geben Sie Acht, der bessert sich jetzt; das hat er Ihnen zu danken. Ein gebesserter Cavalier! Darüber wird im Himmel mehr Freude sein als über neunundneunzig bürgerliche Gerechte. Adieu, Baron! Die Romantik ist jetzt in der Mäuse – nicht wahr? Der verwünschte Rechenmeister, der pedantische Classiker »Geld« hat den Romantikern den Garaus gemacht. Schlägt auf seine
klappernden Taschen. Wie stolz bin ich jetzt auf meine klassische Bildung! Gott befohlen, Baron.
Verloren? Und was sollte verloren sein? Sie haben gewonnen, Herr Baldinger, ich habe nichts verloren.
Herr Baldinger, Sie haben mit der Herrschaft Wildenhain auch die Gerichtsbarkeit und meinen Justitiär übernommen; es ist ein alter, beinahe kindischer Mann –
Ich gab bereits Auftrag, für ihn zu sorgen: er bleibt in Wirksamkeit und soll in Allem gehalten werden, wie bisher.
Ich danke Ihnen. Lieber wollt' ich mich selbst kränken lassen, als einen treuen Diener. Ihr Wort genügt mir. Unser Geschäft ist beendigt. Leben Sie wohl.
Ja, sie ist ein Besitz! Ein großer Name ist kein leerer Schall: – Hier hängen die Bilder meiner Ahnen, ein ritterlich Geschlecht, das den Boden erworben, geschützt, vertheidigt, den Ihr jetzt besitzt, in den Ihr neue Keime der Bildung streut: aber wähnet nicht, Kinder der Gegenwart, mit Euren Maschinen die Vergangenheit, die Geschichte zu vertilgen. Wohlan! Fahrt fort in Eurem Friedenswerke: ich scheide freudig, ungebeugt von der Burg meiner Väter, und nehme nichts mit mir – als dieß Schwert! Er nimmt ein Schwert von der Wand. Wer weiß, es droht einst der Feind von Ost oder West den Grenzen unsers Vaterlandes; dann treten wir wieder auf, ein neues Geschlecht von Rittern und Kriegern, und langen freudig nach den Waffen, die unsere Väter schon mit Ruhm getragen. Bis dahin: guter Muth und Ausdauer! Die Welt ist groß – und auch wir gehören hinein. Leben Sie wohl, mein Freund, vielleicht für immer – aber Sie sollen von mir hören. Rasch ab.
Der junge Mann ist besser als ich dachte: aber das hofft noch immer im Stillen, daß die Todten auferstehen. Er öffnet das Fenster. Die Sonne sinkt. Es ist Feierabend. Da lagern sich die Arbeiter, essen und trinken, sind guter Dinge, schwatzen mit ihren Weibern, tändeln mit den Kindern – – und ich, ihr Herr, stehe einsam und verlassen, fast wie Jener, der eben von mir ging –
Hört Ihr den Zuruf, Herr? Er geht ans Fenster und ruft hinab. Es lebe Herr Baldinger! Unser Herr und Leiter! Unser Führer! Hoch!
Ihr Leiter! Ihr Führer! Ja, ich bin's – der Gründer eines neuen Werkes. Mit Tausenden zu handeln, Tausende zu leiten, ist ein schönes, ein erhabenes Loos; um solchen Preis lohnt es der Müh', seine Leidenschaft zu bezwingen – und ich habe sie bezwungen. – Hubert, mein Gefährte! Nein, ich bin nicht länger einsam und verlassen.
Euer Freund! Hör't Ihr's da unten? Euer Freund! Hoch die Männerfreundschaft! Pereant die Weiber! Vivat die Mathematik! Sie umarmen sich.
Seine Excellenz sind heute nicht zu sprechen. In vierzehn Tagen, meine Herren. Mehrere Supplikanten gehen ab.
Griesicke. Wollte Seiner Excellenz nur seine unterthänigste Aufwartung – – provisorischer Departements-Chef- vor seiner Abreise in die Provinz. Geheimer Ober-Kalkulator Grie –
Geheimer Ober-Kalkulator Griesicke. Wenn derselbe bitten darf, Herr Sekretär, ihn Sr. Excellenz gehorsamst zu empfehlen –
Griesicke. Wollen der Herr Sekretär sich's gefälligst notiren? So. Geheimer Ober-Kalkulator. Haben Sie's? Ganz unterthänigster Diener. Geht, kehrt um. Geheimer Ober-Kalkulator Griesicke, provisorischer Departements-Chef. Geht ab unter Bücklingen.
Malvina von Haller, poetisches Gemüth, Dichterin, das geistreichste, witzigste Mädchen von ganz Berlin, seit zwei Jahren meine Frau. Ritter von Petermann, seit kurzem Gutsbesitzer an der schlesischen Grenze, in der Nähe von Wildenhain. Ich verließ mein neues Rittergut und reiste hieher – obwohl mich ein Jugendfreund besuchte, ein Garde-Lieutenant – aber meine Malvina beschränkt mich nicht, sie ist ein Engel. »Petermännchen« sagte sie – sie behandelt mich gewöhnlich als Diminutiv – »Petermännchen, geh' nur; du brauchst mir nicht immer auf dem Halse zu bleiben.« Ich umarmte meinen Freund, den Garde- Lieutenant, und riß mich los. – Sie ist ein Engel. Sie betrachten mich, Herr Sekretär? Sie wundern sich über das Instrument, welches ich da unterm Arm trage? Es ist ein Daguerrotyp.
Mein beständiger Begleiter. – Was halten Sie von der Daguerreotypie, Herr Sekretär? Es ist die größte Erfindung unsers Jahrhunderts und steht weit über der Buchdruckerkunst; denn das Daguerreotyp – sagt Malvina – stellt die Menschen dar, wie sie sind, die Buchdruckerei, wie sie nicht sind. Ich habe etwas dazu erfunden, die Erfindung hegt zwar noch in der Wiege, es werden häufig nur Kleckse daraus. Aber ich werde nicht müde, Versuche zu machen. Wollen Sie mir erlauben, Herr Sekretär, daß ich Sie nach meiner Manier daguerreotypire?
Nun denn, ein ander Mal. Es ist auch zu wenig Licht hier im Ministerium. Aber ich komme wieder. Seine Excellenz sollen selbst sehen und staunen.
Die sind bis jetzt das einzige Hinderniß. Im Grunde sind es geniale Kleckse, Kleckse des Fortschrittes, der Bewegung; Malvina nennt mich auch nicht anders, als ihr kleines Klecks- Genie. Dafür will ich auch rastlos fortklecksen. Leben Sie wohl, Herr Sekretär. Ich sende Ihnen Malvina's Gedichte. Sie werden sehen: Geist, Witz, Humor. Mein Freund der Garde-Lieutenant war ganz entzückt davon. Sie ist ein Engel. Ab.
Herr Sekretär, ich bin ein Reisender. Mein Name ist Pönches. Ich komme aus dem Orient. Werden gütigst von mir gehört haben. Ja? Da der Sekretär verneinend den Kopf schüttelt. Schön. Ich komme aus dem Orient. Waren Sie viel auf Reisen, Herr Sekretär?
Meine Amtsgeschäfte erlauben mir nicht – Aber was steht zu Ihren Diensten, Herr Pönches? Was suchen Sie im Handels-Ministerium?
Eigentlich nichts. Ich bin ein unabhängiger Mann, ein reicher Mann. Ich habe nur Eine Passion: das Reisen. Ich komme aus dem Orient. Schon als Kind reiste ich. Es lag einmal der Trieb in mir. »Früh übt sich, was ein Meister werden will.« Wie's heißt im Wilhelm Meister.
Im Augenblick, Herr Sekretär. Bedenken Sie gütigst, daß ich so ein zehn Jährchen auf Reisen war, im Orient – da erfährt man so Manches, nicht wahr? Besonders, wenn man ohne Zweck reist, wie ich. Ich reiste nach dem Orient ohne alle vorgefaßte Meinungen, und komme zurück nach dem Occident – auch ohne Meinungen. Ich habe keine politischen Ansichten, keine religiösen Tendenzen, kurz gar keine Tendenzen. Ich reise nur, um zu reisen: objektiv – durch und durch objektiv! Aber insofern ich ein Subjekt bin, sammle ich subjektive Notizen: ich reise also subjektiv-objektiv. Ich kenne den ganzen Orient. Ich weiß alles Orientalische, Alles Türkische, Ägyptische. Z.B. Se. Excellenz fragen mich: »Sagen Sie mir, Pönches, was ist denn der Mehemed Ali eigentlich für ein Mann?« So antworte ich: »Euer Excellenz, so und so – der Mann ist nicht so übel, – die Einen loben ihn zu viel – die Andern tadeln ihn zu sehr – aber eigentlich ist er so.« – Das wäre nun die subjektiv- objektive Anschauung von dem Mehemed Ali. Was sagen Sie, Herr Sekretär?
Ja, denn ich kenne den Orient, den ganzen Orient. Ich bin viel als Verstorbener; darin herum gereist. Sie wissen, das ist jetzt die modernste Art zu reisen. Denn warum? Ein Verstorbener braucht sich nicht zu geniren, hat keine Trinkgelder zu geben; man verlangt keine besondere Artigkeit von ihm; ein Verstorbener kehrt überall ein, in Hütten und Pallästen; besonders im Orient. Da ist die Gastfreundschaft zu Hause. Was meinen Sie, Herr Sekretär? Womit traktirt der Orient seine Gäste? Was setzt er ihnen vor? – Etwa Thee mit Butterschnitten, wie in einem deutschen Liederkränzchen? Beileibe! Süßes Hammelfleisch, gekochten Reis, getunkte Früchte, duftigen Mokka- Kaffee und gelben Tabak in langen Pfeifen – und wenn so ein Verstorbener abreist, werden ein Paar niedliche Kamehle mit allerlei Komfort beladen, um die Reise durch die Wüste schmackhaft zu machen. Die Karavane lagert sich in einer Oase, unter Dattelbäumen, im üppigen Grase, am sprudelnden Quell; die Zelte werden ausgebreitet, das Feuer knistert, die Hammel braten, und bald ist unter den Wendekreisen ein leckeres Mahl fertig, wie im Hotel Baur in Zürich. Herr, da verlohnt's der Mühe zu reisen! Und das Alles kostet nichts, als ein Paar lobende Artikel in der allgemeinen Zeitung. Wer sollte sie nicht schreiben! Wer wollte nicht für solche Hospitalität einen Kannibalen und halben Menschenfresser gerührten Herzens mit Titus dem Gütigen und Marc Aurel vergleichen!
Sehr wohl, Herr Sekretär. Aber noch Eins! Was halten Sie von der Sklaven-Emanicipation? Dumme Idee? Nicht wahr? Ob Einer in den Zuckerplantagen, oder in einer englischen Spinn- Fabrik sich zu Tode arbeitet, ist am Ende gleichviel – oder nicht? Und dann – es ist doch Poesie in der echten Sklaverei! So ein schwarzer Mensch, der alle Tage gespießt werden kann, bleibt immer ein poetischer Vorwurf. Und nun vollends eine Sklavin! Ich will nicht ruhen, bis ich eine schwarze Sklavin besitze. Ich will sie bilden. Sie soll Whist spielen lernen und Quadrille tanzen, sie muß die tutti frutti und den Vergnügling lesen, und »hoher Herr« zu mir sagen, wie das Käthchen von Heilbronn. Wenn ich dann im Thier-Garten Arm in Arm mit ihr spazieren gehe, ein kleiner Mohrenknabe hinterdrein mit dem Sonnenschirm, und ein gezähmter Löwe – im Nothfall mit einem
Ein lieber ungeduldiger Mann, der Herr Sekretär! – Ich wollte Ihnen nur sagen – im Vertrauen, mit Nächsten reise ich nach China. Ein interessantes Land das China – seit der chinesischen Frage. Ueberhaupt – ein Land wird erst dann interessant, wenn es in Frage gestellt wird. Ich bin neugierig, wann es einmal zu einer deutschen Frage kommen wird? Das heißt: wir fragen schon lange, aber Niemand antwortet. Nicht wahr, Herr Sekretär? In vierzehn Tagen komm' ich wieder, um Seine Excellenz zu fragen, nämlich ob Sie mich brauchen können – aber ich hoffe, Sie werden mich ja brauchen können – denn ich bin ohne alle Tendenzen und ich kenne den Orient. Empfehle mich, Herr Sekretär. Ab.
Ich weiß, Herr Sekretär, doch Se. Excellenz der Herr Minister waren ein Freund meines Gemals; ich kam daher nur, um mich Raths zu erholen. Das Recht ist gewiß auf meiner Seite, wenigstens die Billigkeit.
Ihr Gemal war ein Freund Sr. Excellenz, Herr Baldinger ist es. In diesem Augenblick befindet er sich bei dem Herrn Minister.
Bei solcher Lage der Dinge – da übrigens die Sache durchaus nicht in den Ressort des Ministeriums – – Horchend nach der Seitenthüre. Die Audienz geht zu Ende! Mit Ihrer Erlaubniß, meine Gnädige! Eilig ab, nach dem Seitenzimmer.
Ihr Diener, Madame – gnädige Frau! – Zum Kanzellisten. Herr Kanzellist Benecke, Sie können nun speisen gehen. Ab durch die Mitte.
Zurückgewiesen? Die industrielle Celebrität hat den Sieg davon getragen: ich hatte nichts Anderes erwartet. Wohlan, Cousin! genießen Sie die Doppel-Freude Ihrer Bereicherung und meines völligen Ruins. Ab.
Celebrität – Bereicherung – Ruin – sie ist noch immer dieselbe. – Aber Ab.
Nicht zu Hause. Ich will sie erwarten. Hier sieht es ziemlich pauvre aus. Die schöne capriciöse Frau verprocessirt ihr Letztes; nur immer zu! Reibt die Hände. Mangel und Noth haben schon manche Tugend wanken gemacht. Die spröde Schöne hat mir's angethan – aber sie weiß mich in Respekt zu halten. Darum Courage – aber auch Vorsicht, Welting! Sei ins Himmelsnamen ein verliebter Narr, sei Werther und Don Juan, aber heirathe nicht. Still! sie kommt! Der Eintretenden entgegen. Reizende Frau –
Denen ich schon zu lange verpflichtet bin. Sie hatten bare Auslagen für mich, Herr Welting: Sie sollen mir Rechnung legen; ich will Sie bezahlen.
Durch Ihr Vertrauen – Bei Seite. und durch Herrn Baldinger. – Darf ich sprechen, schöne Frau? Sie sind bisweilen trüber Laune – wissen Sie warum? Sie sind von Jugend auf an Bequemlichkeit gewöhnt; die fehlt hier gänzlich. Nichts stimmt den Geist mehr herab, als eine unfreundliche Wohnung, verschossene Möbel, düstere Umgebung –
Wenn Sie mir erlauben wollten – ich habe im Stillen ein artiges, freundliches Logis für Sie eingerichtet.
Herr, ich bin der Besitzer eines alten Ritterschlosses, und fühle seitdem bisweilen einen Anachronismus in meiner Hand, die sich einbildet, als lebte sie noch in den Zeiten des Faustrechts.
Gemach, gemach, mein Herr! Boshaft. Ich fange an zu begreifen: der Gegner ist ein versteckter Freund. Gnädige Frau, Sie verlangten die Rechnung? Herr Baldinger wird Sie Ihnen vermuthlich selbst ablegen. Empfehle mich. Will fort.
Cousine, der Moment ist vielleicht gekommen, wo ich mein anscheinend hartes Benehmen gegen Sie rechtfertigen kann.
Doch, doch! Wir sind auch Verwandte. Jener Welting hatte mir vor Monaten einen Vergleich angetragen – erlauben Sie mir jetzt, Ihnen die Gründe zu nennen, die mich damals abhielten, auf irgend eine Vermittlung einzugehen. Hermine bedeutet ihn zu sitzen. Sie setzen sich. Ihr Advokat suchte zu beweisen, daß ich das Testament er
schlichen. – Die Sache hatte einigen Anschein. Der Name Baldinger war befleckt: ich mußte ihn vor der Welt wieder rein waschen. – Sie lächeln, Cousine? Wahrhaftig, wenn der Adel Ursache hat, einen alten, berühmten, seit Jahrzehnten überkommenen Namen von jedem Makel rein zu halten, so nicht minder der Mann der Industrie. Der gute Name ist sein Erwerb, sein Besitz, sein Leib und Leben, sein Gut und Blut, sein Alles. Die Seele jeden Verkehrs ist Vertrauen, Credit; aber der Credit beruht nicht allein auf Geld und Gut, sondern auf Charakter, auf gutem Namen. – Ich vergaß daher jede Nebenrücksicht, und führte meine Sache zu meiner Vertheidigung, zum Schütze meines Besten. Mein Streben ist mir gelungen. Steht auf, wie auch Hermine. Die Welt weiß jetzt, daß ich im Recht war, daß ich das Recht zu vertheidigen im Stande war. Unser Verhältniß ist nun ein anderes. Erfahren Sie jetzt von dem Verwandten, was Ihnen der Gegner verschweigen mußte: daß der Onkel in den letzten Lebenstagen seine Härte gegen Sie bereute. Ein Blättchen von der Hand des Scheidenden geschrieben, enthält die Worte: »Franz, sorge für Deine Cousine.« Dieß Wort ist mehr als ein Testament. Ich kann und darf meine Bereicherung nicht einer flüchtigen Mißstimmung gegen Sie zu danken haben, ich will Sie, Cousine, einer Erbschaft nicht berauben, die Ihnen seit Jahren zugedacht war. Dieses Dokument übergibt Ihnen das Eigenthum von Allem, was der Onkel besaß; weigern Sie sich nicht, es anzunehmen; es ist weniger ein Geschenk, daß ich Ihnen mache, als eine Last, von der ich mich befreie. Nehmen Sie.
Ich fürchte, nein – denn ich kenne ihre Abneigung gegen mich. Aber noch einmal, Cousine: nehmen Sie das Papier. Sie erweisen mir einen Dienst damit. Mein Recht vor der Welt ist jetzt dargethan, allein mein guter Name steht erst dann völlig rein und fleckenlos da, wenn dieser zweifelhafte Besitz nicht mehr in meinen Händen ist.
Er hat später seine Uebereilung eingesehen, darum schrieb er die Worte: »Franz, sorge für Deine Cousine.«
Sie glauben also nicht an meine Schuld, an das harte Urtheil, welches die Welt zum Theil über mich fällt?
Die Welt? Es gibt nur zwei Wege mit ihr auszukommen; man muß sich entschließen, unbekannt zu bleiben oder – unerkannt. Die Welt kreuzigt den Heiland noch täglich. Unser eigenes Gewissen und das unserer Freunde ist unsere Welt.
Sie wollen mich entschuldigen, Cousin; schon bei unserer ersten Zusammenkunft wollten Sie meine Fehler in einem milderen Lichte darstellen – ich danke Ihnen dafür.
Sie irren, Cousine! Ich sprach damals nur von den Fehlern des Onkels: seiner Schroffheit, seiner Ungerechtigkeit in der Beurtheilung eines Wesens, einer Persönlichkeit, die er zu beurtheilen nicht verstand.
Wer weiß! er hat mich richtig aufgefaßt. Doch nein! Sagen Sie selbst: bin ich wirklich so voll von Fehlern, von Untugenden? Mein schlimmster Fehler war meine Unerfahrenheit, meine Jugend. Ich war ein verzogenes Kind.
Warhaftig, ich bin es, war es immer! – Cousin, ich habe meine Fehler erkennen gelernt, und vom Erkennen zum Vermeiden ist ja nur ein kleiner Schritt, nicht wahr? – Meine Fehler, sagt' ich? und unter diesen den schlimmsten, den größten, daß ich Sie jemals für meinen Feind ansehen, daß ich Sie verkennen konnte.
Und was soll ich damit? Was soll ich mit einem Reichthum, den ich nicht anzuwenden weiß? Sie sind der Mann der That, des Wirkens: behalten Sie, was in meinen Händen doch nur ein Spielzeug, in der Ihrigen Waffe und Werkzeug ist.
Sie wissen Gaben anzubieten, ohne zu kränken, Fehler zu rügen, ohne zu beschämen – Sie haben genug für mich gethan.
Zuletzt kann ich doch dieser fatalen Erbschaft nicht froh werden! Wenn Sie sich entschließen könnten, Cousine – nur aus Rücksicht für meinen guten Namen – denn wahrhaftig, nun komme ich mir fast selbst wie ein Erbschleicher vor.
Herr Welting, Sie wissen, mein Vetter hat obgesiegt; allein er überläßt mir mit dieser Urkunde den ganzen Gegenstand unseres Streites.
So geht doch klar daraus hervor, daß mein Cousin Baldinger nie in's Geheim gegen mich gehandelt, wie Sie mich glauben machen wollten. Wir sind vollkommen ausgesöhnt. Mögen Sie, mag die Welt es wissen, deren Repräsentant Sie sind. Vor dieser Welt – was man so nennt – reich' ich meinem Vetter mit vollem bewegten Herzen die Hand, und nenne ihn meinen Freund.
Sie haben mich schnöde abgewiesen, reizende Frau: Sie verachten die Welt, die ich repräsentiren soll – aber diese Welt sieht scharf und hell – man streut ihr nicht so leicht Sand in die Augen. Der industrielle Herr Baldinger verschenkt eine halbe Million; die galante Frau von Löwenberg schlägt dieß Geschenk aus: welch eine Fülle von Großmuth, von Sentiments! Wie wird meine Welt darüber erstaunen! Ich eile nach Ihrem Wunsch, gnädige Frau, ihr diese Fakten mitzutheilen – nichts als die Fakten – und lasse Ihnen beiden Zeit, Ihre vollkommene Aussöhnung noch mehr zu vervollkommnen. Will gehen.
Und was, Herr Baldinger? Mit einer Pantomime. Doch nicht –? Warum nicht gar! Ich bin ein Börsespekulant.
Kaltes Blut? Ganz recht! Und ich mit meiner Hitze, meinem heißen Blut – Aber Sie, Mann mit dem kalten Blut! Merkten Sie denn nicht, sahen Sie nicht –? Ha, ha ha! Sie konnten glauben, daß die Cousine –? Ha ha ha!
Nichts, nichts – ich lache über den Zufall, über das Mißverständniß, das uns fast an einander brachte.
Die Cousine reichte mir ihre Hand – nicht wahr, Herr Welting? Sie nannte mich ihren Freund – ist es nicht so? Ihre Hand, Hermine! – Glauben Sie wirklich, Herr Welting, diese Hand verschenke sich – für Geschenke? – Hermine sagen Sie doch diesem Mann, daß Sie mich – achten.
Wahrhaftig, ja! Ich achte Sie, wie den Besten, den Edelsten der Menschen. Diese Stunde hat mir Ihr Wesen in seinem vollsten, reinsten Lichte gezeigt. Ich werde nie aufhören, Sie zu achten, Vetter, Sie zu verehren, sollten wir auch in Zukunft verschiedene Wege –
Genug, Cousine, genug! Herr Welting ist jetzt überzeugt von Ihrem Wohlwollen, von Ihrer Neigung gegen mich.
Das ist ja eben das Mißverständniß! Ha, ha, ha! Ein so feiner Mann, ein Welting, sollte noch immer nicht einsehen, in welchem Verhältniß die Cousine eigentlich zu mir steht?
Klären Sie ihm doch das Räthsel auf, Cousine – doch nein! Lassen Sie mich sprechen, Zu Welting mit Ernst. Ich verzeihe Ihre Unart, Herr Welting, denn sie beruhte auf einem Irrthum; aber in Zukunft haben Sie mehr Respekt – vor meiner Braut.
Leichter als die Prämissen. – Braut? Ich gratulire. Wirklich Braut? – Welches unerwartete Ereigniß! Zu Hermine. Der Repräsentant, die kleine Welt geht, um es der großen Welt mitzutheilen. Ab.
Haben Sie vergessen, was der Onkel schrieb? »Franz, sorge für Deine Cousine.« Man tastet Ihre Ehre an, Ihren Ruf; der Namen Baldinger hat Credit, auch in der moralischen Welt: ich gebe Ihnen diesen Namen, Hermine, das kostbarste, was ich besitze, weil ich an die Reinheit Ihres Herzens glaube, und weil ich will, daß auch diejenigen daran glauben sollen, an denen mir einzig liegt, daß sie an mich selbst glauben.
Nein, nein – nur meine Braut – nur für die Welt, nur für eine kurze Frist. Das heißt, ich bin bereit, meinem Antrag nachzukommen, aber es soll Ihnen frei
Ich baue auf Ihr Herz, auf Ihre Seele, Hermine: fehlt Ihnen der Muth, sich einem Mann anzuvertrauen, der nur Ihr Bestes will?
Ach, ich bin ein armes, ein hilfloses Weib, das sich voll Vertrauen in Ihre Arme wirft; Sie sind mein Beschützer, mein Retter. – Wir werden uns lieben lernen – gewiß, wir werden, nicht wahr?
Die Liebe ist eine Gabe des Himmels, die Ehe ist ein menschliches Institut. Treue kann man sich versprechen, freie Neigung wird geschenkt. Der Keim der Liebe schlummert in jeder Menschenbrust; ob er in helle, freudige Blüten schlage – wir müssen's erwarten in Demuth und Geduld. – Leben Sie wohl, Hermine! Haben Sie Muth und Vertrauen. Rasch ab, während Hermine die Arme nach ihm ausbreitet.
Er läßt nichts von sich hören. Der Prozeß mit der verwünschten Muhme trägt die Schuld. – Da fehlt noch eine Schraube.
Glücklich, wer mit Lust in seinem Beruf arbeitet! – Leben Sie wohl! – Doch nein – ich muß reden: es drückt mir das Herz ab. – Herr Hubert! ich bin ein alter, unglücklicher Mann.
Sehen Sie, Herr Hubert, seit sechsunddreißig Jahren bin ich gewohnt, meinen Gerichtsherrn gnädiger Herr und Euer Hochwohlgeboren zu nennen: Herr Baldinger mag alle guten Eigenschaften haben, aber Hochwohlgeboren wird er doch nun und nimmermehr.
Was daran liegt? Alles liegt daran: die gesammte Würde der Gerichtsbarkeit hängt an diesem Wohlgeboren. Herr Baldinger ist erst einige Monate Besitzer der Herrschaft Wildenhain, und schon haben sich die herrschaftlichen Spitzbuben um die Hälfte vermindert.
Uebel, sehr übel! Wo sind die Spitzbuben hingekommen? In die Fabriken. Sie sind Industrielle geworden, sie arbeiten: und ein Spitzbube, der arbeitet, stiehlt die Arbeit im Grunde den ehrlichen Leuten vom Maule weg.
Ein ordentlicher Hallunke bessert sich nie. Glauben Sie mir: ich bin ein alter Praktikus. – Bessern! – Das ist eine unpraktische Neuerung. Unpraktisch! So sind sie alle. Wissen sie, wie's in der alten Gerichtsform heißt? »Der Richter soll sitzen auf dem Richterstuhl als ein grießgrimmender Löwe und soll den rechteren Fuß schlagen über den linkeren.« – Das ist ein Richter! Ein »grießgrimmender Löwe!« – Wie anders nimmt sich heut zu Tage Richter und Gericht vor den Assissen aus! Der Advokat sagt dem Gerichtshof ungestraft Grobheiten; das Publikum applaudirt wie im Theater; der Angeklagte im schwarzen Frak spielt den großen Mann, den verfolgten Liberalen; jeder Lump ist ein Karl Moor; die Damen auf der Galerie in Hut und Shawl
Ich habe den Plan dazu gemacht. Das jetzige ist düster und baufällig. Sie werden in Zukunft hell und freundlich wohnen, Herr Justitiär.
Hell und freundlich? Wie in einem Lusthaus, nicht wahr? Dünne Wände mit Kupferstichen, Doppelfenster, moderne Tische und Stühle – so recht menschlich und wohnlich – weiß schon! Daß man gar nicht die Courage hat, in all' dem modischen Wesen eine ordentliche Sentenz zu fällen? Nein, Herr Hubert, das neue Gerichtshaus werde ich nicht beziehen. Wenn man anfangen wird, die alten, schwarzen, ehrwürdigen Mauern, die dicken Pfeiler, die Bogenfenster niederzureißen, wenn der große eichene Tisch mit dem Riesen-Tintenfaß und den vierzigjährigen Federn mit den staubigen bespritzten Bärten hinaus geschleppt wird, die Kriminal-Akten und die lateinischen Gesetze – dann wird auch die alte Gerichtsbarkeit zu Grabe getragen: dann macht meinethalben was Ihr wollt, mündliches Verfahren, Geschwornen-Gerichte! Der alte Löwe geht in seine Höhle zurück, und die späten Enkel mögen sich die Mähre erzählen von dem strengen aber gerechten Richter, von dem letzten Justitiär. Gott befohlen, Herr Hubert. Ab.
Was fängt man nun an mit so einem alten, braven, bornirten Mann? Das Beste ist, wir pensioniren den Löwen. An der Arbeit. So. Mein Wasserrad ist fertig. Betrachtet das Modell mit Wohlgefallen. Mache mir's Einer nach! Hast mich manche schlaflose Nacht gekostet, kleines Ding! Dafür stehst du nun da, und bist ein Gedanke; sichtbar, greifbar, ein mechanischer Gedanke, in Holz gedacht. – Horch! Ein Wagen! War's der Herr? Eilt an's Fenster. Er ist's – er springt heraus. Nun soll er gleich mein Modell alle Wetter! was steigt denn da noch aus? Ein Frauenzimmer! Vermuthlich die neue Wirthschafterin. Nun, ich hätte die innern Angelegenheiten wohl noch eine Weile besorgt. Sieht wieder über's Fenster. Wie geputzt sie ist! Was? der Herr reicht ihr den Arm? führt sie in's Schloß? Vom Fenster weg. Das kann ich nicht mit ansehen. Reicht ihr den Arm! der Herr – seiner Wirthschafterin, die er vielmehr als ein »grießgrimmender Löwe« behandeln sollte!
Willkommen, Hubert! Wie geht's, Alter? Ich bin lange ausgeblieben, nicht wahr? Zu Hermine. Mach' Dir's bequem, mein Kind. Zu Hubert. Sind die Zimmer hergerichtet? Zu Hermine. Wir werden hier auf dem Schlosse wohnen: der Raum im Fabriksgebäude ist zu eng. – Was Neues, Hubert? Hilft Herminen Hut und Shawl ablegen. Mach Dir's bequem! Bist Du müde?
»Malvina von Petermann, geborne von Haller.« Malvina von Haller! Zu Hermine. Eine Jugendfreundin – vielmehr Feindin, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Erblickt das Modell. Was ist denn das?
Vortrefflich! Ich beneide Dich um Deinen Einfall. Zu Hermine. Sieh nur, mein Kind – – ja so! Du verstehst nichts von der Mechanik.
Nur ein König kann Dir Deinen Gedanken bezahlen, Hubert. Laß mich Dir vor Allem herzlich dafür danken. Reicht ihm die Hand.
Ich bin bezahlt, Herr Baldinger. Nun merk' ich's erst! Die göttliche Mathematik Liebe zu Euch, und die Lust, für Euch zu arbeiten. – Aber sagt doch, Herr! Habt Ihr Euern Prozeß gewonnen?
Pfui, Hubert! Schadenfreude? Das bin ich an Dir nicht gewohnt. – Aber es scheint, Du hast den Gast gar nicht bemerkt, den ich mitgebracht.
Du kannst den Arbeitern die Neuigkeit verkünden, Hubert. Gib ihnen Feierabend. Wir kommen später hinüber, meine Frau und ich.
Pah! Ich bin ein Mathematiker, und Liebe und Mathematik taugen nicht zu einander. War Archimedes verliebt, er hätte seine Schraube nie erfunden.
Dem ist nicht so. Liebe ist – die Liebe, wenn man's definiren soll – es ist das Beste, das Schönste – kurz, die Liebe ist Mathematik – wenigstens bei mir.
So? Nichts für ungut. Es rutschte mir so heraus. – Also Madame Baldinger – Madame, ich muß mich erst daran gewöhnen. Gott befohlen, Madame Baldinger. Ab.
Ein wunderlicher Kauz, nicht wahr? Etwas rauh und barsch, aber tüchtig. Ich sehe aus Allem, daß Du ihm eigentlich nicht mißfällst.
Ich fühle mich sehr geschmeichelt, die Zuneigung eines Menschen gewonnen zu haben, welcher Wasserräder macht und mich Madame nennt.
Mein Kind, die Wasserräder macht er mir zu Liebe; er will mein Diener sein, und ist im Grunde mein Freund.
Madame! Das ist nun freilich schlimm. Sieh doch! Madame. Je nun! Du bist meine Frau, die Frau eines Fabrikanten: die nennt man gewöhnlich Madame. Allein Dein voriger Gemal war ein Cavalier, Du bist den Titel: gnädige Frau gewohnt. Hubert weiß das nicht. Ich will ihn bedeuten –
Neue Verhältnisse, neue Namen! Der Name ist Schall und Rauch: unser Verhältniß ist unser Verhängniß. – Nun Hermine, wie gelallt dir dieses Schloß?
Es ist alt und geschmacklos genug, um völlig wieder modern zu sein, was man jetzt Rococo nennt. Die Geister der Wildenhains spuken noch darin umher, aber wir wollen sie nach und nach bannen. Das Er weist auf die Geräthe an der Wand. und das Er öffnet einen Bücherschrank. verscheucht am besten den finsteren Geist des Mittelalters, den gewisse Leute gar zu gern wieder herauf beschwören möchten.
Von Dichtern, Historikern, Technikern und Philosophen. Die neue Zeit ist die Zeit des Gedankens. Alles geschieht durch ihn, nichts ohne ihn. Zum Glück leben wir in einem Lande, welches seine Macht immer mehr und mehr anerkennt. Auch der Mann der Industrie darf sich dem Einfluß der Idee nicht entziehen. Helfen wir doch mit Webstuhl und Rad, mit Dampfkessel und Eisenbahn den neuen Boden der Gesellschaft zimmern! – Hier, liebe Frau, sind Deine Appartements, mit manchem Schönen geschmückt, was ich auf meinen Reisen gesammelt. Dort sind meine Arbeitszimmer, für Jedermann verschlossen als für Hubert – und für Dich. Ich freue mich auf den Augenblick, wo Du kommen wirst, mich ein wenig zu stören. – Und nun sieh zu, ob ich mit meinen Anordnungen Deinen Geschmack getroffen; richte, ändere, stelle ab und zu, thu' was Dir gut dünkt, und fehlt's irgendwo, so wende Dich nur an den mathematischen Murrkopf, der überall Bescheid weiß.
Mir ist hier Alles neu und ungewohnt. Ein Zweifel, ein Bangen überfällt mich, ob ich mich auch in das Rechte, Gehörige zu schicken weiß – aber das wird sich geben, nicht wahr? Du mußt nur Anfangs Geduld mit mir haben.
Eines mit dem Andern, liebe Hermine, Eines mit dem Andern. Lebe wohl! Er begleitet sie nach dem Zimmer, rechts vom Schauspieler.
Wer in mein Herz sieht, weiß, welch' ein Wagestück ich unternommen! Frischer Muth und guter Wille wird es mir gelingen lassen.
Du bist ein tüchtiger Mathematiker, Hubert, ein geschickter Mechaniker, aber die Mathematik hindert Dich nicht, eine kleinliche, neidische Seele zu besitzen.
Mußtest Du darum das Herz eines schuldlosen Weibes kränken? Sieh, das war un recht, Hubert, unrecht, trotz Deinem vortrefflichen Wasserrad.
Und warum? Weil Du einen schwachen Moment hattest, Hubert, willst Du das Werk Deiner schöneren Momente zertrümmern? Willst mit Leidenschaft gut machen, was Du durch Leidenschaft verbrochen?
Nicht geradezu versprochen,: aber Dich doch glauben machen – nur selber zugesagt – allein es gibt Lagen, Verhältnisse,
Herr, ich will artig werden – denn Ihr habt recht: ich bin in der That eine neidische Bestie – und ein Bär. Ab in das Seitenzimmer links.
Eine treue Seele! – Kann ich wohl sagen, daß mich meine Frau so hebt, wie er? – Jetzt an die Geschäfte! Nimmt die Briefe, im Gehen. Diese Schriftzüge gehören keinem Kaufmann an. Aus London? Wer ist der unbekannte Correspondent? Erbricht einen Brief. Von ihm! Herminens Namen! Liest. Sonderbar.
Zufrieden? Mehr als das. Eine Reihe Zimmer, bequem, schön, ja prächtig – wem bliebe da noch ein Wunsch?
Er ist jetzt ruhiger geworden, wie es scheint. Du weißt, diese Ritterburg war einst sein Eigenthum. Der Moment, wo sie in meinen Besitz überging, verfehlte nicht, einen tiefen Eindruck auf sein Gemüth hervor zu bringen, und spornte ihn zur Thätigkeit an. Er steht jetzt als Obrist in englischen Diensten – ein deutscher Freiherr gilt noch etwas auf der Insel – ist zu einer bedeutenden Expedition bestimmt, und freut sich seiner neuen Stellung.
Wer sich nicht selber rühren mag, den macht sein Schicksal rührig. Baron Wildenhain erkundigt sich auch nach Dir.
»Was macht Frau von Löwenberg? Ich denke oft und gerne an sie. Hermine ist eines von den weiblichen Wesen, bei welchen große Vorzüge durch kleine liebenswürdige Schwächen erst in ihr volles, schönes Licht treten; in dieser Mischung liegt, nach meiner Empfindung, der eigentliche Zauber der weiblichen Natur. Sie fuhren Prozeß mit ihr; wenn Ihr Beide Euer eigentliches Interesse verstündet, so gab' es vielleicht ein Mittel, den Streit auf die friedlichste Weise zu schlichten. Sie mögen lächeln, mein Freund, wenn Sie dieses lesen; aber als ich Sie zum ersten Male Ihrer Cousine entgegentreten sah, da mußt' ich mir im Stillen sagen: das sind zwei Naturen, die sich gegenseitig ergänzen, deren Eine der Andern würdig ist.« – Was sagst Du zu unserm Freunde? Er besitzt eine Art Divinationsgabe.
Der Baron läßt Dir nur Gerechtigkeit widerfahren, und stillschweigend auch mir. Er weiß nichts von unserer Verbindung, und billigt sie im Vorhinein; diese Zustimmung eines vorzüglichen Mannes, die uns an der Schwelle unserer Ehe begrüßt, erscheint mir wie ein freundliches Omen. Dir nicht, Hermine?
Wer bedarf deren nicht? Zumal wer liebt, ist abergläubisch. Abbrechend. Ich gehe auf mein Zimmer, um die übrigen Briefe durchzusehen. Später besuchen wir etwa unsere neue Gutsnachbarin. Adieu, liebe Hermine, Adieu! Ab zur Seite links.
Adieu! – Mein Mann ist anders, wie alle übrigen Männer. In der kurzen Zeit unserer Ehe hab' ich seine Vortrefflichkeit
Ob Sie etwa einen Auftrag für mich –? Nicht –? Zögernd. Nun, so will ich – Sein Blick fällt auf den Hut und Shawl. Darf ich das auf Ihr Zimmer tragen?
Wie es scheint, hegen Sie überhaupt keine Vorliebe für das schöne Geschlecht. Sie stellen also den Haushälter vor? Möchten Sie mich wohl in die Schule nehmen?
Warum nicht? Doch das Haushalten lernt sich bald. Man muß nur den Mägden brav auf die Finger klopfen, dann geht die Sache von selbst.
Das ist noch kein Beweis – wenigstens kein mathematischer. – Nun gut. Sie heben meinen Herrn, und ich liebe ihn auch; die Liebe macht gleich, und es ist ein Axiom: Aequalia uni tertio, sunt aequalia inter se: die einem Dritten gleichen, sind gleich unter sich – folglich ist es meine Schuldigkeit, Madame, Sie auch zu heben. Wenigstens will ich mir alle Mühe geben.
Das ist mir lieb. Ich weiß, Ihr Herr hält große Stücke auf Sie, und ich schätze Sie, um seinetwillen.
Wenn Sie nur ein Bischen mehr Mathematik verständen, wollt' ich's Ihnen begreiflich
Wenn ich nur dürfte he, he! Diese Fingerchen – diese fünf Fingerchen – ich bin noch niemals auf eine angenehmere Weise an die fünf Species erinnert worden.
Na, der Herr hat sein Wort nicht gehalten, und ich – Ergreift wieder ihre Hand. He, he! Sie sollen sehen, Madame Baldinger, ein Mathematiker kann Alles – auch galant sein. Heiliger Archimedes, vergib mir! Küßt ihr die Hand.
Wir sprachen von der Haushaltung. Nimmt das Modell vom Tisch. Nun will ich mein Wasserrad bauen, und nebenbei den Mägden auf die garstigen Finger klopfen.
Warte, Hubert. Zu Herminen. Was meinst Du, mein Kind, wenn wir unserer Gutsnachbarin jetzt die Visite machten?
Es ist ein geistreiches, lebhaftes Frauenzimmer. Sie wird Dir gefallen. Ich kannte sie vor Jahren, als ich noch blöde und unbeholfen – willst Du mir den kleinen Triumph versagen, einem Wesen, das sich einst ein wenig über mich lustig machte, mein liebenswürdiges Weibchen aufzuführen?
Will's besorgen. Adieu, Madame. Der Garçon empfiehlt sich. – Wissen Sie was Neues, Herr Baldinger? Ich bin in Madame Baldinger verliebt. Ab.
Allein es ist für weibliche Bewohner nicht eingerichtet, es ist mehr ein Aufenthalt für – Junggesellen.
Nun ja! Der alte Mathematiker, der die Frauen haßt – Du selbst, sein Freund, der in manchen Stücken seine Gesinnung theilt –
Wirklich? Und warum verschlossen bis jetzt? Warum überhaupt so verschlossen? Nur einmal thautest Du auf, als Du von Deiner Jugendfreundin sprachst.
Ich meine gar nichts, als daß Du Deinem Freunde
Nun sieh! Ich weiß wohl, ein Mann, wie Du, schließt noch andere Dinge in sein Herz, als ein Weib; ich kenne Dein thätiges Streben, ich verehre es – aber wir Frauen sind einmal so beschaffen: auch wir möchten uns gerne verehrt wissen – allein auf eine ganz andere Art, als alle Dinge – außer uns.
Nicht doch! Sollt' ich Dich wohl mit Deinem Hubert verwechseln? Und selbst der starre Mathematiker geht in's Feuer. Du hast es gesehen.
Nur ich – der Mann ohne Leidenschaft – so nanntest Du mich einst – bliebe kalt, empfindungslos? Ein schwerer Vorwurf! Du hältst mich einer Leidenschaft nicht fähig? Was wäre ein Mann ohne Leidenschaft, ohne Enthusiasmus?
Allein Du glaubst, ich liebe nicht, hätte nie geliebt! Du irrst vielleicht. Aber der Mann Hebt anders als der Jüngling. Höre mich an, Hermine. Längst bin ich Dir ein Geständniß schuldig.
Das mir immer auf der Zunge schwebte. Dieser Moment, Deine leisen Vorwürfe, erlauben mir nicht länger zu schweigen. Wisse denn, daß Dein ruhiger, besonnener Mann einst nahe daran war, das Opfer einer glühenden Leidenschaft zu werden.
In ein reizendes, bezauberndes Geschöpf, in ein Wesen voll Geist, Anmuth, Grazie, des sprühendsten Lebens voll –
Das Wunder hatte seine Fehler, wie ich erst später einsehen lernte. Sie war übermüthig, launisch – und sie verschmähte mich.
Mit keinem Wort, keinem Blick. Du weißt, ich war ein blöder, unbeholfener junger Mensch, der sich vor Leuten kaum zu sprechen getraute. Vor meiner Angebeteten verstummte ich völlig. Die glänzende Erscheinung machte mich verwirrt; das Herz pochte mir, so oft ich in ihre Nähe trat – aber ich schwieg. Die überströmenden Gefühle meines Innern fanden keinen Dolmetsch an meiner blöden Zunge. Wie beneidete ich die geistreichen, jungen Männer, die sich in dem Kreise jener holden Zauberin so frei und sicher bewegen konnten! Aber ich hätte sie vergiften mögen für jedes Lächeln, jedes freundliche Wort des reizenden Mundes, das ihnen zufiel.
Für mich kein Wort, kein Lächeln – sondern nur ein Lachen des Spottes, der Ironie. Meine Geliebte verlachte mich. Entsetzliches Gefühl, für Liebe Spott, für Anbetung Hohn zu ernten. Ich aß nicht, ich schlief nicht, eine wüthende Eifersucht auf Jeden, der sich ihr näherte, verzehrte mein Inneres. Ein offenbares Zeichen der Verachtung von ihrer Seite brachte mich endlich zu mir selbst: ich ermannte mich und mied ihre Nähe.
Aber was unternehmen? Wie ein Leben fortsetzen, das mir jeden Reizes zu entbehren schien? Ein junges, überlanges Leben, ohne Zukunft, voll gleichgültiger Tage! – Da erschien mir zu rechter Zeit jener Erdengeist, welcher den Menschen empfing, als er aus dem Paradiese trat: der harte, mürrische, aber derbe und tüchtige Genius der Arbeit. Laßt einen unglücklich Liebenden, einen Werther der alten Zeit, einen Morgen Feldes umackern, und ich wette, er denkt mit jedem Feierabend etwas kühler an seine Lotte: das tiefe Athemholen beim Pflügen und Graben verhindert die Liebesseufzer, und der Schweiß auf der Stirn ersetzt die Thränen. Aber der Körper nicht allein, auch der Geist muß arbeiten; das liebekranke Herz muß sich in das Stahlbad der Ideen tauchen, wenn es genesen soll. Mein Mittel schlug an. Ich arbeitete, erst aus Instinkt, dann aus Trotz, zuletzt aus Freude und Lust. Wenn die Liebe Dichter und Helden schafft, so machte mich meine Leidenschaft zum fleißigen, thätigen Mann, zum Mann der Industrie. Nach ein Paar Jahren war ich so weit umgewandelt, daß ich mit ziemlicher Fassung, wenn auch mit einigem Herzklopfen vernehmen konnte – meine Geliebte sei vermählt.
Ich habe ein Herz – nicht nur für die Industrie. Noch fehlt Ein's, das Letzte; ein Wort, das sich auf meine Lippe drängt, das ich auszusprechen zage: der Name meiner Geliebten.
Ach! erspare mir die Qualen – die Du selbst erduldet. Ich liebe Dich unaussprechlich, und Du gestehst mir Deine Leidenschaft für eine Andere!
Ende