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Sie hat die brennende Lampe nah zu sich herangezogen und strickt emsig. – Plötzlich legt sie das Strickzeug mit einem Ruck auf den Tisch und horcht nach rechts. Dann schüttelt sie den Kopf und seufzt laut. Wie sie ihre Arbeit wieder aufnehmen will, klingelt es. Sie fährt zusammen, freudig. Doch! Sie eilt nach rechts ab und öffnet. Man hört von draußen ihre Stimme mit einem Tone der Enttäuschung. Ach du bist's!
Ja – ja! Ach, weißt du, Lieschen: zu meiner Zeit – na! Ne kleene Weiße mit ne Strippe – det war allens. An sowat war jarnich zu
Ach die! Na – du weißt ja. Meistens sitzt sie jetzt im Lehnstuhl. Der Doktor sagt, sie soll sich legen. Aber will sie denn? – Na – und dies Geschimpfe! Zackeriert 'n janzen Dag! Als ob ick wat dafor kann? Aber sie gönnt es einem bloß nicht, daß man jung, jesund un verjniegt is. Immer und ewig soll man bei ihr in der Stube hocken. Das ist doch kein Vergnügen!
Gott ja – es ist ja schlimm genug. Aber sie braucht es einem doch nicht immer vorzuklönen! So – und so – und immer wieder dasselbe. Ich kann's doch nu mal nicht ändern!
Ach – dat Mächen! Nu seh mal einer an – nu ist es bald halb neune und sie ist noch immer nicht da! Ich sitze wie uf Kohlen – ach, Lieschen: du weißt ja noch gar nicht ... denk doch mal an ... sieh mal hier!
Und kommt heute noch. Ist überhaupt schon da. Sieben Uhr fufzehn kam der Zug. Jeden Oogenblick kann er da rinkommen und ...
Na, na, na ... der mit seinem Dickkopp? ... Der kriegt et fertig ... daß er meinswegen sagte: was, erst habt ihr mich zu drei Jahre verknackt ... nu sitz ick knapp zwee und nu wollt ihr mir wieder raus haben? Ne – is nich; nu sitz ick jrade bis Schluß, – So is er!
– Ne, aber wir können ja mal nachsehn. Sie läuft nach rechts zur Tür und horcht hinaus. Sophie folgt ihr. Lieschen schlägt die Tür wieder zu. Jarnischt. Allens mucksstill.
Nämlich, mußt du wissen: Ede ist zur Bahn gegangen mit 'ne Masse andre. Die holen ihn alle ab. Du weißt ja, wie das ist ...
Für de Hanna! Denk mal an! – Wie't so heute nachmittag um Viere rum war, fragt ich Eden, ob ich's ihr nicht ins Geschäft bringen sollte. Aber der –: ne laß man, wir wollen ihr überraschen, wenn sie abends kommt. Ach Lieschen – richtig geweint hab ick vor Freude – und nu kommt sie nicht.
Na, wird schon noch. Man stille. Is ja 'n weiter Weg vom Spittelmarkt und wer weeß denn ... Nu sag mal! Aber seht ihr's ... seht ihr's nun? Was hab ich immer gesagt? Wenn unser Kronprinz mal an die Regierung kommt, hab ich gesagt, denn könnt ihr wat erleben! Hab ich nu recht, oder hab ich nicht recht?
Ne, ne, ne, ne, ne Tante! Daran kannst du nu bei mir nicht tippen. Alle Achtung vor Onkeln, klargelegt – und da mögt ihr nu reden, was ihr Lust habt ... und zumal Onkel: der muß ja nu eben alles schlecht machen, das gehört ja nun mal dazu. Nicht die Spur von Patriotismus. So is es!
Ja, ja. Deutet auf den neumodischen, in die übrige Einrichtung nicht hineinpassenden Kleiderschrank, vorn rechts. Da! Alles da drin. Eins auf dem andern und alles fein gezeichnet. Wird wohl schon ganz gelb geworden sein. Sie hat den Schlüssel – aber in die ganzen zwei Jahre hat sie nichts angerührt.
Verkauft? Du bist woll ... Hast du 'ne Ahnung von wegen verkauft! Mit einer Bewegung nach hinten. Willst mal sehn?
Ne laß man, glaub's schon. – Na also: da sind sie ja fein raus. Brauchen bloß wieder anzufangen, wo sie aufgehört haben. Sie haben ja auch beide lang genug warten müssen – der arme Kerl! Lauernd. Na, und Hanna?
Na – ick meine man ... die hat sich doch ... die ist doch wohl ... in de Zwischenzeit 'n bisken ... verändert. Wie?
Hm ... ja ... Ich habe gehört: um die Versammlungen und so ... soll sie sich ja gar nicht mehr kümmern. Wie?
Ach! Von gar nichts will sie mehr was wissen. Ede zankt mit ihr alle Naselang. Denk mal: Hanna, die doch früher immer so ... so sehr für sowat war – nich?
Ich weeß nich. Aus'n Verein ist sie raus. Allem niedergelegt; und mit ihre frühere Freunde und Bekannte überhaupt ... kommt sie schon gar nicht mehr zusammen. Die sind jetzt auch alle furchtbar tück'sch auf sie, kannst dir ja denken.
Nein, nein. Was ich dir sage! – Wo denkst du hin! Wie die aufs Jeschäft is! Und sie ist jetzt sowas Besseres, mußt du wissen ... wie 'ne Direktrise oder so.
Immer noch. Na, was glaubst du wohl. Sie kauft jetzt auch ein für sie ... denk mal! Und die Modelle, die sie macht! Dadrauf kriegen sie immer die allermeisten Bestellungen. Na – sie verdient ja auch ein schönes Geld. Vierzig Dahler im Monat! Ja, ja, mein liebes Lieschen: das is 'ne Sache!
Ja, ja ... Ja: bei euch überhaupt! Wie dabei Onkel noch 'n Nörgler is ... wo er doch selber so gut verdient und du hältst es so zusammen und das eine Kind hat er man und die ... Ne, weeßte: ich kann es einfach gar nicht begreifen. Demütig vertraulich. Du weeßte, Tante, sieh mal: Mutter, unsere jute arme Mutter, die sitzt doch nun immer so da und kann sich kaum rühren und reine gar nischt verdienen ... und der Richard is auch so'n Schlingel und manchmal hab'n wer, weeß Gott nischt zu knabbern un zu beißen und ... und es is doch nu mal deine Schwester, Tantchen ...
Ach jawoll! Aber unser Oller, der verflixte Kerl hat uns ja schon wieder fünf Pfennig von's Dutzend Kragen abgeknöppt! Wirklich – es lohnt sich nicht mehr anzufangen! Tantchen! Möch'ste uns nich auf'n paar Tage einen Dahler borgen? Wir haben wahrhaftjen Jott balde janischt mehr im Hause.
Hm. Na – ich will dir was sagen. Morgen früh werd ich mal ran kommen und werd mal sehen, was die Wally braucht. Verstehste?
Ach – von wegen ... Schweigen. Lieschen sieht umher, sie bemerkt den Tisch mit Büchern am Fenster links, steht auf und geht hin. Was liegt denn da eigentlich alles rum?
Das? Ach, das sind Hannas Bücher. Weiß der liebe Himmel, was das alles für Zeug is. Ach ne! Wo das Mädchen aber auch bleibt!
No – das wird doch woll keene so'ne jroße Seltenheit sind ... sie hat doch jedenfalls 'n Hausschlüssel!
Na sei du man ganz stille, weeßte. In dein'n Alter durft sie mir überhaupt noch nich for die Türe, verstehste.
So so. Na ja – aber später, wie sie immer in die Versammlungen ging und so ... nich wahr? Und immer ihre klugen Reden hielt, von denen keen Mensch was verstand ... wie? Nu ja: du konnt'st ja doch nich immer mitloofen ... es wär dir als Mutter woll'n bisken schenierlich gewesen, wenn du ihr so bei ihre Predigten hätt'st zuhören müssen un ... un ... un – hätt'st schließlich ooch nischt verstanden!
Wo sie nu schon ihre siebenundzwanzig Jahr alt ist, und überhaupt so'ne verständige Person, wie unsere Hanna! Wegen der brauchen wir gottlob um sowas keene Bange zu haben. Die is nich so ... daß sie mal heute mit dem und morgen mit dem looft, wie – andere.
Ja, ja: ick weeß ooch –: die brave Hanna, die brave Hanna! Hab't ja oft genug zu hören gekriegt ... solang ich mir besinnen kann –: da nimm dir mal 'n Muster dran! Was die ihre Eltern für Freude macht! So – und so – und so – der reenste Tugendbesen – na! –: ich will dir mal was sagen, Tante: ich rede gewiß keinem gerne was Schlechtes nach – und am allerwenigsten meiner leibhaftigen Cousine – a – ber: das muß ich dir denn doch sagen: mir machste nischt weiß – und bei die wird ooch man bloß mit Wasser gekocht!
Lauter. Und wenn unsereins wirklich mal mit einem looft – du lieber Gott, nun ja: was hat man denn sonst vom Leben – die – die – nun ja: die fährt freilich lieber! Is jesünder for die Stiebelsohlen!
Ja, ja, ja, ja – sei man ganz stille –: wat ick jesehen habe, det hab ick jesehn! Da is nischt zu wollen! Ich wollt's dir zwar eigentlich nicht sagen – aber wenn du mir so kommst – grade! Vorgestern abend war's ... zwar schon duster ... aber bei des Elektrische –: ganz genau hab ich sie gesehn: mit 'n Herrn in 'ne Kutsche – nich in 'ne Droschke – ooch nich in 'ne erste Jüte –: i Jott bewahre: is ihr Privat
equipage!
Nein: Das ist nicht wahr! Das hast du gelogen! Sowas tut unsere Hanne nicht. Weinerlich. Da sterbt se lieber! Schluchzt.
Du, ja du ... du möcht'st woll gerne, daß sie ooch so'n Flittjen wäre – aber ne – ne! Gottseidank! Solche Streiche brauchen wir uns bei der nicht zu besehn. Ich weiß ja: Du – Es klingelt. Das ist sie! Das ist sie ganz bestimmt! Eilt nach rechts. Sie wird's dir schon besorgen! Sie wird's dir schon anstreichen. Ab.
Int Jesicht sag ick's ihr ... int Jesicht! Sie wird mir doch nicht ausreden wollen, was ich mit diese beiden Oogen jesehen habe!
Stell dir bloß vor! Hier – det Mächen! Hab' dir doch erzählt, wie sie neulich is gekommen und hat mir'n Dahler abgeknöppt –: »für ihre arme kranke Mutter!« Andern Tags komm ich hin –: keen Dahler un keen Liesken! Is de ganze Nacht nich zu Hause gekommen. So'ne Pflanze! Und heute kommt sie wieder ran, will wieder 'n Dahler ... und wie 'ch 'n nu nich jleich geben will, denn wozu? die Wally braucht'n doch wirklich – wird se tück'sch und kommt mir mit Spitzfindigkeiten und will mir ärgern. Und weeßte, was se sagt? Weeßte, was se sagt?! Sie hätte dir mit 'n Herrn in 'ne Kutsche gesehen, sagt se ... Und nich in 'ne Droschke, ooch nich in 'ne erste Jüte, ne ... stell dir vor –: in 'ne Privatequipage!
Sie trägt die etwas spröden Haare, ohne jede Stirnlocke, gescheitelt. Ruhige, selbstbewußte Haltung, große Schritte, Altstimme. Sie ist schwarz, mit Einfachheit gekleidet. Sie hat die Eigentümlichkeit, bevor sie spricht, die Person, mit der sie spricht oder der sie antwortet, erst einen Augenblick überlegend anzuschauen. Zu ihrer Mutter. Du willst, daß ich ihr antworte?
Ja. Es ist richtig. Ich bin Donnerstag abend mit einem Herrn ... in dessen Wagen ... die Linden entlang gefahren.
Aber Kind, so ... so sprich doch, erkläre uns doch ... was soll denn Lieschen denken, wofür soll sie dich denn halten?
Was? Wie? Für meinesgleichen? Bitte, liebe Cousine, willst du mir mal erklären, was du damit sagen willst! Ja?
Ach so, ja ja – versteh schon! Mich kann sie eben nicht dumm machen. Wir kennen den Rummel! Aber siehste! Det is es ja grade, worüber ick mir immer so schauderös ärgern muß! Dies Vornehmtun und dies – immer will se was Besseres rausbeißen und spielt sich uff wie 'ne wenn Konrad jetzt kommt, dem wer ick's schon stecken! Gleich heute! Auf der Stelle!
Ja, ja: Cousinchen: Konrad Thieme, dein Bräutigam Konrad Thieme! Ganz glücklich bin ich, daß ich die erste bin, die dir die frohe Nachricht bringt ... Jede Minute kann er jetzt hier hereinkommen: jede Minute! Zu Sophie. Siehst es, Tante, siehst es: das böse Gewissen! Das paßt dir woll nich – he? Du hättst'n woll nich begnadigt – was? Hättst'n lieber noch'n Jährchen brummen lassen – wie? Ja! – Ach ja! Spazierenfahren is ja so'ne schöne Sache, so'ne schöne Sache! – Aber dem soll 'n Talglicht ufjehn.
Ja ja: Kannst ruhig glauben, was ich dir sage. – »Unangenehm« – was? »Es ist im Leben häßlich eingerichtet« ...
Na, nu kann ich ja gehn. Jetzt wird mir die Jeschichte zu plümerant.
Mutter. Liebe Mutter – weine doch nicht! – Ich weiß – was ich getan habe. Hab es auch gewußt – als ich es tat. Ich bereue nichts. Ich kann mich durchaus verantworten – vor mir selber. Hoffentlich auch vor dir, nur ... nur jetzt ... nach dem Ton, den Lieschen angeschlagen hat ... ich muß mich erst wieder ... zurechtfinden. Und dann .. ist auch jetzt keine Zeit, dir das alles zu erklären. Lebhaft. Mutter, liebe Mutter: ich bitte dich: laß mich ... ihm aus dem Wege gehn, heute den ersten Abend ... laß mich! Es ist besser.
Oh! ... Denke nicht schlecht von mir, Mutter! Mach mich nicht irre an mir! Hörst du? Nur das nicht! Du hast mir ja immer vertraut ... sonst ... allezeit ...
Mutter! Um Gottes willen, sprich nicht so! Sprich nicht so! Wenn du mich dahin brächtest ... daß ich bereute ... Mutter!
Man hört eine Tür ins Schloß fallen. Nein. Nichts. Es war unter uns. Alles still. – Es ist noch Zeit –
Quäle mich doch nicht so furchtbar! – Wie für sich. Gewiß! Ja! Ich habe ein gutes Gewissen. Ein neues vielleicht, aber ... Ja! – Und dies ist nun der Kampf mit dem alten. Damit muß ich fertig werden, ich wäre ja sonst ... Mit einer abweisenden Gebärde. Nein! Es ist ja nur ... Ich habe noch nicht den rechten Mut ... diese dumme Überraschung, daß man so gar nicht daran dachte ... und noch dazu diese rohe Art, in der es einem mitgeteilt wurde ... Ich muß mir nur – Mit gesunkener Stimme. selber treu bleiben. Fest. Das ist alles!
Nu noch einmal: Unser hochverehrter Freund und Genosse, der Strafgefangene a.D. Konrad Thieme – er lebe hoch, und abermals hoch – und zum drittenmale: hoch! Lachen, dann Hochrufe.
Sowie sie Konrads Stimme hört, flüchtet sie in unwillkürlicher Angst zu ihrer Mutter. Flüsternd. Er ist es.
Ja. Bitter. Du hast wirklich nicht den rechten Mut. – Hast du das gehört: »Was würde deine Hanna sagen!«
Wir – müssen ihnen entgegengehen. Sie ringt nach Selbstbeherrschung und geht auf die Tür rechts los. Sobald sie mitten auf der Bühne angelangt ist, fliegt die Tür auf.
Dann aber reicht sie ihm mit anscheinender Ungezwungenheit beide Hände. Leise. Konrad – willkommen! Will – kommen. Wie ... Welche ... Sie stockt. Einen Augenblick atemlose Pause.
Ach – Frau Jagert! Na – da sind Sie ja auch wieder! Und sehn so gut und so gesund aus – ganz die Alte!
Ne ... ne: Sie wollen mich bloß nich verstehn. Von wegen alt! – Keene Spur! IchSchaut sich um. Hier – hier ist über haupt alles unverändert! Wie – Hanna?
Ach ne, was denken Sie woll, Konrad. Hanna ist viel weitergekommen! Viel weiter! Hat sie Ihnen denn das nicht geschrieben? Sie ist zwar noch immer bei Lorenzen, aber ...
Glaub nur sowas nich. Die is überhaupt – na! – Die is 'ne ganz andre geworden, die versteht keen Mensch mehr! Natürlich – was so'n Gelehrter ist, wie du – du wirst vielleicht dahinter kommen. Geld? O ja! Hat sie immer! Darin is se groß! Aber – denkt nur
noch an sich – nur noch an sich, sag ich dir! Kooft sich Bücher, jeht ins Theater! Un bekieckt sich von innen. De Partei – nich sehn – nich in de Hand! Ja – ja! Na – aber komm! Setz dir mal erst hin. Du wirst schön müde sein. Geleitet ihn an den Tisch. Hier! Hier in de Sofaecke! So. – Willste was trinken?
– Ja. Ich – an all das – ich glaube nicht mehr recht daran. Das heißt – daß wir es noch erleben müßten. Sieh mal ...
Der einzelne Mensch – ja. Und der hat Etwas lebhafter. Denn weißt du: das hab ich nun wirklich erfah
ren –: die Menschen im allgemeinen werden nicht besser dadurch, daß sie die Macht bekommen.
Hans! Siehst du! Da erkenne ich dich so recht dran wieder! Immer tüfteln und spintisieren! Ach ich merk schon: das ist alles nur halb so schlimm: du bist doch immer noch meine alte, kreuzbrave und kluge, riesig kluge Hanna – wie?
Ach, Konrad: sehn Sie: die Hauptsache is ja nur: sie hat ja zu viel Ärger gehabt. Wissen Sie: so 'ne Jemeinheiten, wie da immer vorgekommen sind ... na! Ich kann's ihr nich verdenken.
Ja – laß mich mal reden! – Sieh mal: wenn man schnell vorwärts geht – irgendwohin, auf ein bestimmtes Ziel los, das ganz nahe ist – oder man glaubt es wenigstens ganz nah – dann achtet man ja gar nicht so auf den Weg – man ... geht eben frisch drauf los. – Aber wenn man nun auf einmal merkt oder erfährt: das ... das Ziel ist gar nicht nahe – es ist noch weit, meilenweit – oder? – es gibt womöglich gar kein Ziel? – dann, siehst du, dann – bekümmert man sich plötzlich auch um den Weg – auf dem man geht. Und wenn man dann findet, daß der schmutzig ist – na! ... Und doch! Du hast im Grunde ganz recht, ich bin gewiß dieselbe geblieben, wie früher, nur –
Na ja! Da hast es! Det is so die rechte Höhe! »Über alles selber nachdenken!« Na, ick danke! Wenn das alle machen wollten – da könnte wat Nettes bei rauskommen!
Na nu hört aber mal auf! Klugschmusen könnt ihr immer noch! Sehe gar nich ein, was ihr euch gleich in der ersten Stunde in so'n ungemütliches Gerede rinredet. – Zu Konrad. Komm mal hier!
In Plötzensee hatten sie dir woll keinen Lassalle an de Wand jehangen – was? Ja, ja! Darin sind se komisch! Was 'n richtiger Zimmerschmuck ist – davor haben se keen Verständnis. Das kann man nur zu Hause haben – bei Muttern.
Ja freilich – zu Hause ... Er faßt wie dankend Eduards Hand und drückt sie. Leise. Zu Hause.
Seufzt. Aber Hanna – soll ich dir was sagen? Ich glaub es nicht. Ich – fühle mich doch noch nicht so recht – so wirklich zu Hause – eh du mir nicht ... erst wieder ... einen Kuß gege –
Plötzlich laut, freudig. Hanna! Er umfaßt sie leidenschaftlich und küßt sie wiederholt. Du – ach du! – du bist es ja doch noch! Meine Hanna, meine ... meine ...
In größter Scham und Aufregung macht sie sich gewaltsam von ihm los. Keuchend. Laß mich ... laß ... Eilt nach hinten.
Weiß ich's – was die wieder im Schädel hat! Ich sage ja –: kein Mensch wird mehr klug aus ihr. Überspanntes Frauenzimmer! Deutet auf die Stirn. Hier! Verstehste? Heiraten muß se. Is die höchste Pferdebahn! Geht durchs Zimmer. Sein Ärger wächst.
Aber laß man gut sin! Wir werden ihr schon Räson beibringen! Deuwel auch! Was sich so'n Frauenzimmer einbildet! Zu Sophie, barsch. Ruf sie rein!
Ooch noch! Ne, mein Junge! Det jibt's nich! Hier bei mir zu Hause, weeß man, Jottlob, noch nischt von de Nerven. Weibermucken! Sowas müßte erst injeführt werden. – Hier heißt et parieren, verstehste! Parieren – und damit Schluß! So setz dich doch! Rückt mit einer unwillig heftigen Bewegung einen Stuhl zurecht und setzt sich. Stopft sich eine kurze Pfeife. Pause.
Weß schon! Weß schon: du bist auch so einer. Wie der Wilke ... quatscht ooch immer 'ne Naht zusammen von de »Frau – en – emen – zipa – tzion«! Ja – Kuchen! Möchte mal wissen, was das mit die Arbeitersache zu tun hat. Das einzige –: sie drücken die Löhne. Pä! Was gehen uns die Weiber an.
Ne, weeßte: damit mußte mir nu nich kommen. – Später – wenn du mal so weit bist und die Hanna ist deine Frau – na, denn kannst es ja halten wie der Pfarrer Aßmann ... denn kannste se meinswegen in Hosen rumloofen lassen. Lacht ingrimmig und steckt sich seine Pfeife an. Pä!
S' is doch kein Kind mehr! Mit ihre siebenundzwanzig Jahr ... Und hat im kleinen Finger mehr Verstand, wie so'n Dutzend werte Jenossen in ihre sämtliche Dickschädel! – Na also! Wo darfste die denn nu so mir nichts dir nichts kommandieren wollen wie'n Lehrjungen!
Aber Mensch! Wie kannste nu so was sagen! Also deshalb bist du ihr Herr!? Das is doch nichts Natürliches! Das is doch nur 'ne Folge von ganz schauderöse ökenomische Zustände! Grade von solche Zustände, wie wir sie umschmeißen wollen. Verstehste denn das nich?
Na aber! Bedenk doch mal! Sieh mal: die Hanna ... die kann doch sehr schön leben – nicht wahr? Du gibst ihr doch nichts dazu. – Na also. So is es doch bloß ihr guter Wille und weil sie euch gern hat und sie ist es auch so gewohnt – sonst – sie kann doch jede Stunde auf und davon gehn ... und was willste denn da machen? Das ist doch 'ne ganz andre Sache, wie mit so'ne Bur
schoatochter. Die natürlich hat nichts gelernt und hat von der ganzen Welt keine Ahnung. Und wenn sie nicht zufällig einer nimmt und macht se zur Gnädigen ... und der Vater macht mal die Augen zu – nu ja: dann sitzt sie da mit die Talente und mit's Klavierspielen, und kann froh sind, wenn sie noch irgendwo so als alte Junfernante unterkriechen kann. – – Siehste: bei so einer hat's en Sinn, wenn sie auch noch als 'ne ganz alte Schachtel Vatern parieren muß, wie 'n Rekrut. Was soll se denn machen? Se muß doch leben! – – Aber sind denn das etwa Verhältnisse, wie wir sie wollen? Ich dächte, da hätten wir sie selber schon besser. Denn das sind doch verrückte, das sind doch jradezu blödsinnige Zustände und so'n armes Mädchen kann einem doch bloß leid tun. Wie?
Freuen solltste dich, daß die Hanna so ganz anders dasteht! Siehste: das ist ja das Beste an ihr: diese Selbständigkeit! Das ist es ja grade, was ich so riesig an ihr verehre! Jawohl: verehre!
Ja, ja – du kannst ja lange reden, eh mir was gefällt. – Meine Meinung is nu mal: Familie bleibt Familie – ob sie nu reich is – oder arm. Sonst hört ja alles auf. Du bist en Umstürzler.
So! – Und meine Meinung is: tyrannisieren bleibt tyrannisieren, ob's nu von so'n Landjunker jemacht wird ... mit de Hundepeitsche .. oder von 'n Vater, der sich einbildet Sozialdemokrat zu sein –
Ach was: »Deuwel auch!« ... Spießbürger seid ihr! Spießbürger alle zusammen, aber keine Sozialdemokraten!
Es ist wirklich ... es, es kommt wie gerufen! Gleich am ersten Tage ... gleich in den ersten Stunden ... wo ich noch kaum raus bin aus dem Kasten ... gleich muß ich es wieder so recht mit Händen greifen ... dieses jammervolle Philistertum, dieses, dieses ä! Das kann ich dir sagen, Jagert –: hält ich vor fünf Jahren, wo ich in die Bewegung eintrat, all das gewußt, was ich jetzt –
Durch das plötzliche Geräusch und das Auftreten Hannas ist auch er abgelenkt. Zu Sophie. Na, was is denn?
Es war feige von mir .. vorhin, mein Benehmen. Wie die Dinge nun einmal liegen muß ich ... Aber glaube mir: es gehört Mut dazu. – Daß ich dir nicht ins Gefängnis geschrieben habe ... das wirst du wohl verstehn. Wir dachten ja alle, du würdest noch ein Jahr dort bleiben, und da wollt ich dir erst schreiben ... kurz vor der Entlassung ...
Könnt ihr's denn nu wirklich nich bis morgen lassen. Konrad, Sie haben doch heute nun schon so ville durchgemacht ...
Daran, wie ... es damals eigentlich war. Ich meine: wie es so zugegangen ist ... daß wir uns ... verlobten.
O das weiß ich, das weiß ich ... Ich habe Zeit gehabt ... ich habe auch Gelegenheit gehabt ... darüber nachzudenken ... Nu?
Damals, wo ich noch so ganz und gar im Parteileben aufging – kaum etwas anderes kannte – da warst du für mich – ein Genösse. Ein Genösse, für den ich die größte Verehrung hatte, den ich als seine Schülerin bewunderte. Dagegen – als Weib ...
Ach, Konrad: es ist so furchtbar schwer ... für zwei Menschen ... sich zu verständigen ... nach Jahren, wenn der eine sich während der Zeit weiter entwickelt hat ... und der andere ...
Also sieh. Das hab ich dir ja auch damals nie verhehlt, daß ich nicht so wie du ... Ich dachte eben: ich wäre darin überhaupt anders, und solche leidenschaftlichen Gefühle wären mir nun mal versagt. Das glaub ich auch jetzt noch, und: ich bin darin immer ehrlich gewesen ... gegen dich – und gegen mich auch.
Nun waren wir aber zusammen tätig ... für dieselbe Sache ... mit denselben Idealen ... und dazu –: unter demselben Druck. So rückten wir zusammen und gewöhnten uns aneinander. Und weil wir so vieles gemeinschaftlich hofften, fürchteten und liebten – vergaßen wir wohl, daß es sich um etwas anderes, Drittes, um etwas außer uns handle – und nicht um uns selber. Verstehst du mich?
Es ist nötig, Konrad, daß du mich verstehst. Sieh: du warst mein Kamerad ... fast stets mein Nebenmann ... in all der Arbeit, die wir beide
So? Nein! So nicht. Ich nicht! Ich ganz gewiß nicht! Bei mir ging's nicht so vornehm zu. Viel gewöhnlicher, viel einfacher. Ja – ganz simpel! Du mußt es wirklich schon verzeihn: ich – ich verliebte mich in dich – ich! Nimm's nicht übel. Das war ja damals, damals ... und ich habe mich inzwischen nicht so – entwickeln können – wie du!
Aber natürlich: du – du bist über so was erhaben! Was wäre denn das so Besonderes! Eine ... Liebe ... eine einfache natürliche Empfindung ... I Gott bewahre! So was hätt'st du ja schließlich mit jedem andern Frauenzimmer gemein – und Hanna – Hanna muß doch was Apartes haben. Hanna kann doch nicht ...
Siehste! Siehste! Da hast
es mit deiner Selbständigkeit! Jawoll! hochnäsig! hochnäsig – und dabei kalt wie 'ne Hundeschnauze ... Da hast es!
Nein. – – – Vor einem Jahr etwa ... lernte ich einen Mann kennen. Der hat mich nach und nach zu einem ganz – ganz anderen Menschen gemacht. Und – ich habe mich ihm mit Leib und Seele hingeben müssen. Er ...
Betrügen! Mich zu betrügen, während ich ... während ich ... Oh wie niedrig! ... Also das war es! Das! Dazu die vielen klugen Worte! Weiß Gott, ja: du hast viel Verstand! Du bringst es fertig, die größten Gemeinheiten vor dir selber zu rechtfertigen! Das bringst du fertig. Rauh. Wer is es? Wie heißt er? Kenn ich ihn?
Chemiker? Chemiker. Nu ja ... aber, was, was heißt das? Wo arbeitet er denn? In welcher Fabrik, oder – – – He?
Hat se ...? Fa – brikbesitzer?! Einen Augenblick sprachlos. Dann mit tollem, rohem Lachen, brutal. Bravo! Vorzüglich! Fabrikbesitzer! Auch das noch! Also daher das viele Geld – verkauft hast du dich, richtig verkauft! Na ja –: deinen Bräutigam hielten sie ja fest – der saß. Da bist du – zu ihnen hingegangen und, und ... und hast dir eine Mitgift verdient, du ... In sinnloser Wut auf sie los. du ... Er hebt die Hand gegen sie. Sie sieht ihn ruhig an. Er taumelt plötzlich. Kreischend. Eduard! Er fällt.
Weinerlich. Ne, ne ... was er aber auch heute schon alles hat durchmachen müssen ... ne, ne ... Sieht die Scherben. Ach Gott, was is denn das nu wieder .. Sucht die Scherben zusammen.
Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr von Vernier. Ich möchte Sie nicht zu einem Fanatiker der Arbeit machen. Sie gibt's genug. Mehr als genug. Nur ...
Ich bin wenigstens manchmal recht froh, daß ich mir auf eine so einfache Art ... entgehen kann. Ich meine: den dummen Gedanken.
Nun ja. Statt mir durch Arbeit selber Inhalt zu geben, bereichere ich mich, als echter Dilettant ... mühelos ... auf Ihre Kosten.
Doch. Verzeihen Sie ... gerade das. – Sehen Sie, Fräulein Jagert, Sie waren für mich ... so in jeder Beziehung etwas ganz Neues. Unsere Damen hielten mich bereits für ein mauvais sujet ... mit Recht, denn ich ödete mich bei ihnen schrecklich. Da lernte ich Sie kennen – durch die Güte meines Freundes Könitz. Sie haben mir eine – par don! – eine neue Perspektive gegeben ... fröhliche Möglichkeiten, an die ich nie gedacht hatte ... zu all dem andern ... ein neues Ideal.
Nun ja, ich meine, zu der Freude, überhaupt mit Ihnen plaudern zu dürfen ... Schweigen. Hm, und das hab ich mal wieder mehr als genug getan. Tritt ihr näher und reicht ihr die Hand, sie erhebt sich. Fräulein Jagert, entschuldigen Sie bitte die Störung, empfehlen Sie mich dem Doktor und ... also morgen abend, nicht wahr?
– Sie ist womöglich noch einfacher schwarz gekleidet als im ersten Akt. Auf den beiden langen, parallel von den Glastüren zu den Fenstern laufenden Arbeitstischen sind einige zwanzig Arbeiterinnen verschiedenartig beschäftigt. Die Glastüren sind geschlossen.
Bewegung unter den Mädchen. Er verbeugt sich wiederholt mit parodistischer Höflichkeit und spricht dann mit dem einen Mädchen. Die weist ihn an die Zuschneiderin. Er wendet sich an diese.
Sobald die Glastür – auch im folgenden – geöffnet wird, hört man gedämpfte Stimmen und den Lärm einiger Nähmaschinen.
Ach, da ist der Herr von unten ... von der Weinstube ... der Hauswirt ... ich vergesse immer den Namen ...
Entschuldigen Sie, Fräulein Jagert ... guten Abend, guten Abend! Entschuldigen Sie gütigst: ich habe mir gedacht: Sie hätten schon Feierabend gemacht. Nein, was sind Sie für 'ne fleißige Frau ... verzeihen Sie: Fräulein, mein ich, Fräulein wollt ich sagen ... entschuldigen Sie: Sie verstehen mich.
Hm ... Nun ja ... »Mieter verpflichtet sich« ... Gründlich! Das kann man nicht anders sagen. Und dreizehn Paragraphen Hausordnung. Sind Sie ein – strenger Hausvater!
Sagen Sie das nicht. Drei Zimmer sind es und eine Küche ist dabei und ein Hängeboden und ... was man alles braucht. Sagen Sie das nicht.
Und drei Treppen. Aber das müssen Sie mir ganz fest versprechen, Herr Freudenberg: wenn die zweite Etage jemals frei wird ...
Denn sehen Sie: ich ziehe ja hier nur aus, weil ich diesen Raum noch für's Geschäft brauche und mich doch nicht auf die eine Dunkelkammer da beschränken
Ja, ja, Fräulein Jagert: ich seh das ja vollständig ein. Ich werde sehn, ich werde sehn ... Sie haben mein Wort!
Fräulein Jagert, so wahr ich hier stehe: Sie werden's bereuen. Es wird ein anderer kommen: er wird ihn erzählen, und er wird ihn schlecht erzählen. Bei mir haben Sie 'ne Garantie. Fragen Sie den Herrn Doktor Könitz: der kennt mich. Er schätzt mich. Er wird Ihnen sagen ...
Nein! Wenn wir mal wieder unten bei Ihnen sitzen. Übrigens, fällt mir ein: von dem Léoville können Sie mir mal zehn Flaschen heraufschicken.
Na nu ne: ich werde nich wollen! Aber Sie müssen verzeihn: es ist eine große Sache! Sie bestellen Wein bei mir, und was für'n Wein! Wenn ich offen sein soll: man sollte glauben, es wäre kurz vor Ihrem Ende. Verzeihen Sie!
Geizig, was heißt geizig! Ist ein häßliches Wort für 'ne schöne Sache! Aber »genau«, Fräulein Jagert –: genau! Sie werden nicht leugnen,
Fräulein Jagert: machen Sie mich nicht unglücklich für's ganze Leben: nehmen Sie mir nicht übel, was ich gesagt habe. Genau, hab ich gesagt. Nun? Das ist ein großes Lob. So hat mein Vater zu meiner Mutter gesagt und wir Kinder durften dabeistehn.
Ach, ach ... ich hab in dem kleinen Plüschpaletot die Knopflöcher ... Schluchzend. in die Knopfseite geschnitten. Und der Stoff ist doch so teuer ...
Lassen Sie sich von der Zuschneiderin ein neues Knopfteil schneiden. Das verschnittene soll sie zu Ärmeln verbrauchen. Aber sehen Sie sich in Zukunft vor!
Ich nehme Ihnen gar nichts übel. Sie haben ja ganz recht. Diese ganzen zwei Jahre hab ich ja tatsächlich an nichts anderes gedacht, als an denLächelnd. O nein! Von heut an wird das anders! – Was machen Sie denn für 'n Gesicht?
Nein. Das hätte keinen Reiz für mich, Aber ... ich muß Ihnen doch sagen: Sie irren sich diesmal. Es denkt niemand ans Heiraten. – Und nun entschuldigen Sie mich: ich habe noch zu tun.
Nun – sehn Sie: Sie sind doch böse. Und Sie haben recht. Was red ich von heiraten! Sind wir nicht vorgeschrittene Menschen? Was braucht man zu heiraten? Auf eine unwillige Bewegung Hannas. Ich geh – Hanna sieht ihn ungeduldig, streng an. schon, ich geh schon. Aber ich hab noch 'ne Mission, Gott, Fräulein Jagert: wenn Sie einen so ansehn, da fällt einem 's Herz immer gleich in die Schuhsohlen, aber – wahrhaftjen Gott: man bleibt so gern in Ihrer Näh.
Werden Sie nicht ungeduldig! Ich werd es kurz machen. Sehr geläufig. Also: Heute Nachmittag Macht es nach.
Warten Sie nur! Also: so saß er nun da. Nach und nach gingen alle anderen Gäste weg. Er blieb sitzen – trank weiter. Wie er die erste Flasche leer hatte, bestellt er sich 'ne neue, verstehn Sie, die zweite Pommery. Er ruft mich ran, schenkt mir ein Glas ein und fragt mich nach dem Wetter. Darauf hab ich ihm nach meiner ehrlichen Überzeugung die volle Wahrheit gesagt. Aber auf einmal fragt er mich: sagen Sie mal –: was ist das eigentlich für 'ne »Person«, die hier über Ihnen »den Kleiderhandel betreibt«? Wissen Sie, das sagt er so recht ... so recht ... nu: als ob man nicht mit Kleider handeln dürfte.
Ausforschen wollt er mich! Ausforschen! Na, da kam er an den Rechten. Wie 'n Erbbegräbnis – stumm! Mein Herr, sagte ich, wenn Sie irgend etwas zu wünschen wissen oder zu wissen wünschen über ... das von mir auf das Höchste verehrte Fräulein Jagert – bitte sehr: bemühen Sie sich gütigst eine Treppe höher und fragen Sie sie gefälligst selber! Von mir erfahren Sie nichts. – Und wenn ganz Berlin über sie klatscht – mein Mund bleibt rein. Sie ist mein Gast – und zahlt mir die Miete von zwei Etagen!
I Gott bewahre! –: »Nun, schön: ich werde hinaufsteigen!« Wie 'ne Drohung, wissen Sie, so: »Ich werde hinaufsteigen!« Zu drollig, sag ich anmelden? Ich gehe jetzt hinauf. »Ja, das können Sie tun!« – Nun wollt ich doch gern den Namen wissen – aber ne! –: »Sagen Sie nur, ein alter Mann – muß mit ihr sprechen.« Na, also, Fräulein Jagert: »Ein alter Mann muß mit Ihnen sprechen!«
Mindestens! Klein, rote Nase, goldene Brille. Besondere Kennzeichen: trinkt Pommery und trägt Brillanten – so groß!
Aber wer kann denn das sein? Sie haben mich nun glücklich ganz neugierig gemacht. Und nun lassen Sie den alten Herrn da unten warten? Ich lasse bitten!
Ja, wissen Sie, Fräulein Jagert! Wenn ich sage: ich bin gern in Ihrer Nähe – so sag ich die reine Wahrheit. Aber zugleich, wenn ich bei Ihnen ein bißchen länger geblieben bin – hab ich mir gedacht: wird sich der alte Herr da unten – noch die dritte Flasche Pommery bestellen!
Ich geh schon. Ich schick ihn herauf. Adieu, leben Sie wohl! Leben Sie wohl! Verzeihen Sie mir! Durch die Mitte ab. Man hört die Mädchen verstohlen lachen.
Ich ... ich ... von dem Stück Double krieg ich, nach dem neuen Modell, »Doppelstern« absolut nicht heraus! Wenigstens nicht die Siebzehn, wie Fräulein sagten.
– Währenddem ist hinten im Arbeitsraum der alte Freiherr von Vernier von links eingetreten. Alle Mädchen staunen ihn an. Unbeholfen kommt er nach vorn. Von einem der Mädchen wird ihm die Glastür geöffnet, so daß er der mit dem Stück Stoff abgehenden Zuschneiderin begegnet.
Sein weingerötetes Gesicht verrät große geistige Beweglichkeit. Er trägt eine goldene Brille mit großen runden Gläsern. Er verbeugt sich vor der Zuschneiderin. Da hätt ich also wohl den Vorzug mit dem Fräulein Hanna Jagert ...
So, so. Das ist sie. Hm. Tritt der verwunderten Hanna näher. So, so. – Nun, da ... muß ich mich Ihnen vorstellen. – Ich heiße Vernier. Ja. Ich bin der Großonkel des Freiherrn Friedrich Bernhard von Vernier. Der dürfte Ihnen ja wohl bekannt sein.
Es ist ja ein Freund des Doktor Könitz. Aber das freut mich sehr, Sie kennen zu lernen, Herr Baron! Er ... hat mir schon so viel von Ihnen erzählt. Nach links hinübergehend. Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen.
Sehen Sie! Das wissen Sie nicht. Das wissen Sie nicht! Ich hab es mir gedacht. – Hm. Nun – Fräulein Jagert: Sie sind ja wohl sehr – modern, nicht wahr?
Modern – jawohl. Und ich zweifle nicht daran, daß Sie mit großer Geringschätzung auf einen Mann herabzusehen gelernt haben, der den Stand, dem er die Ehre hat, anzugehören, hochzuhalten gesonnen ist. Trotzdem halte ich mich in diesem Augenblicke zu dieser Hochhaltung in dem Grade für berechtigt, als ich mir bewußt bin, meinerseits diesen Stand nie durch Anmaßung oder
Nun, ich meine: ich glaube wohl, daß es schon ziemlich alt ist. Aber bitte, es interessiert mich sehr, Genaueres darüber zu erfahren. Einen Augenblick! Sie zieht eine dunkle Portiere vor die Glastür. So. Bitte.
Doch, o doch ... bitte, Herr Baron! Ihr .. Herr Großneffe spricht darüber gar nicht. Sie wissen ja, er hat immer seine künstlerischen Interessen. Wir haben ihn grade danach schon oft vergebens gefragt.
Hm. So. Nun ... unsere Familie stammt aus Poitou, dem alten französischen Herzogtum am Atlantischen Ozean. Die erste verbürgte Überlieferung datiert von dem Jahre Zwölfhundertundachtzig. Von diesem Jahre Zwölfhundertundachtzig an spielen die Verniers als Marquis, nach dem Rechte der Erstgeburt in ununterbrochener Stammreihe, in der Geschichte Frankreichs ihre ehrenvolle Rolle. »Marchiones« heißen sie in den älteren Urkunden.
So? Aber Herr Baron, wollen Sie sich nicht doch lieber setzen? Die Geschichte Ihrer Familie reicht so weit zurück – bitte!
Ja, es ist wohl besser. Danke. Setzt sich links in die Sofaecke. Hm. Also – im Jahre Sechzehnhundertfünfundachtzig ist dann Erneste Olivier de Vernier ins Fürstentum Lüneburg eingewandert. Die ältere Hauptlinie in Frankreich ist vor kurzem erloschen – so daß nun mehr ich und mein
Aber: verstehen Sie auch: was das heißt? Was für eine Verantwortung ... Entschuldigen Sie, Fräulein Jagert, aber ich denke mir: Sie können das gar nicht verstehen. Ich ... muß es Ihnen erklären. Hm. Also – seit wir im Hannoverschen ansässig geworden sind – Sie ... wissen wohl, daß wir Westernach in Familienbesitz haben – seitdem haben fast durchgängig von Generation zu Generation zwei Brüder das Geschlecht – wie soll ich sagen – vertreten. »Die beiden Verniers« – wie wir seit einem Jahrhundert und länger am Hofe der Welfen genannt wurden. Von den beiden war gewöhnlich der eine der praktische Stammhalter, der sich verheiratete und das Gut übernahm. Der andere pflegte darauf zu verzichten ... sei es aus brüderlicher Gesinnung ... sei es aus innerem Beruf ... so wie ich.
Allerdings. Ja. Es hat unter den Verniers immer solche gegeben, die in irgendeiner gelehrten oder künstlerischen Liebhaberei ihre Befriedigung fanden und darin aufgingen. – Auch bin ich übrigens den Frauenzimmern niemals possierlich genug gewesen. – Hm. Also – in unserem Falle war es eben mein Bruder Ernst, der ... zwei ganz prächtige Jungen hatte. Soweit ging alles, wie es sollte. Da kam ... der siebenundzwanzigste Juni Achtzehnhundertsechsundsechzig. An diesem Tage schossen die Preußen die beiden jungen Verniers tot. – – Wir beiden Alten blieben zurück. – Außer uns eine todkranke Witwe und ein kleiner dreijähriger Junge. Das war der Bernhard. Na und den Mit komischem Ingrimm. ... nun ja: den kennen Sie ja wohl, Fräulein Jagert – wie? Sagten Sie nicht: Sie kennten ihn – »recht gut?«
Ja, Herr Baron. Und zwar
So, so. Na. – Jedenfalls: Sie werden ja nun wohl verstehn ... was ich vorhin ... andeutete. Wie? Mein Großneffe Friedrich Bernhard ist der letzte ... An ihm ist es, seine Familie fortzu ... pflanzen. Verstehn Sie mich, Fräulein Jagert? –
Wie? Ja, es liegt mir daran, Fräulein Jagert, mich Ihnen ganz verständlich zu machen. Bloß darum bin ich so ausführlich. Sehen Sie: mein Bruder Ernst starb den Winter Sechsundsechzig. Konnt's ihm nicht verdenken. – Über die Söhne haben wir nicht wieder zusammen gesprochen. Wohl aber über den kleinen Enkel ... den Bernhard.
So, so. Hm. – Sie sind sehr gütig, Fräulein Jagert, sehr gütig. Aber bitte, wollen wir nicht mehr von mir reden. Wir sind jetzt zwei bis drei Generationen weiter, eben ... beim Bernhard. – Sehen Sie, einen Beruf gab es nicht für ihn ... ich hätte auswandern müssen. Und außerdem: er selber ... 's ist ein sensitiver Junge, bei dem der Hang, im äußerlichen Leben was zu bedeuten oder was zu wirken, kaum vorhanden ist.
O, von Ihnen nicht, Herr Baron, aber ich denke mir, daß so etwas immerhin selten ist ... in adligen Familien.
Was wir Adel nennen, mein Fräulein, unterscheidet sich vielleicht nicht unwesentlich von dem, was ... Sie sich darunter vorstellen. Denn, Fräulein Jagert –: der Mensch ... fängt allerdings
»Ach pfui« – bravo! Modern – ist der Pöbel! – Aber, Fräulein, Fräulein Jagert: wie, wie kommen Sie mir denn eigentlich vor?
Ja – ich weiß nicht. Es scheint mir nur: Sie sind nicht gerade zu mir gekommen, um eine – Übereinstimmung unserer Ansichten zu ... zu konstatieren – wie? Während der letzten Worte hört man aus dem Arbeitsraum lauteres Sprechen und Lachen. Hanna, plötzlich sich erinnernd. Ach! Es ist ja wahr! Zieht ihre Uhr. Entschuldigen Sie, Herr Baron: es ist Sieben durch: meine Damen wollen gehen. Sie werden schon ungeduldig. Zur Glastür gehend. Einen Augenblick. Sie öffnet die Tür. Hinaussprechend. Meine Damen – Feierabend. Fräulein Schwarz, Sie lassen wohl die fertigen Sachen nach dem Lagerraum schaffen. Ich werde Ihnen Friedrich vorschicken.
Ach, Fräulein ... die Maschinennäherin, die Sie heute Morgen engagiert haben ... kommt die schon morgen?
Friedrich, lassen Sie sich die Sachen von Fräulein Schwarz geben. Die müssen heute noch verpackt werden. Dieselbe Adresse. London.
Was ... n ... Ach ja! Nach hinten, ruft hinaus. Fräulein Schwarz, noch eins: sagen Sie doch bitte Ihrem Vater, daß er morgen Nachmittag mal heran kommt. Ich will doch zum Ersten die Möbel fertig haben. Vergessen Sie's nicht – nein?
Fräulein, ich danke Ihnen auch noch vielmals! Verschwindet wieder, ehe Hanna, sich zu ihr umgedreht hat.
Schrecklich! Schrecklich! Schrecklich! Und Sie wollen nicht – modern sein? Diese ... diese Hast, dieses: hä-hä-hä ... Ahmt die schnellen, hastigen Bewegungen nach. Überhaupt dies Berlin! Diese plebejische Outrance, mit der hier gearbeitet wird. Man sollte meinen, sie bildeten sich noch was drauf ein, daß sie sich für andre zuschanden quälen müssen! Schrecklich! – Wie der Junge das aushält! Das so immer mit anzusehen! Hanna anschauend. Ich meine den Bernhard.
So, so. – Nun? Sie wundern sich aber wohl nicht, daß er's bei Ihnen ... hier in Berlin ... aushält – wie?
Herr Baron, ich ... muß Sie nun doch ... höflichst bitten ... mir den Zweck Ihres Besuches ... was Sie eigentlich von mir wünschen – zu verraten. Ich habe keine Neigung, mir ... weiter Dinge anzuhören, die ich ... mir beliebig als ... als Beleidigungen deuten kann.
Ich weiß nur zu gut, von ihm selber, wie – es um ihn steht. Seit er an mich seinen ersten kindischen Brief geschrieben hat ... hat er mir immer alles vertraut, was ihn bewegte. Er –
Ah! Jetzt versteh ich Sie! Endlich! Nicht wahr: Sie sind zu mir gekommen, um mir – die Liebe Ihres Großneffen zu gestehen! Wie?
Gewiß! Gewiß! Natürlich! Etwas anderes kann es ja gar nicht sein. Denn bis auf den heutigen Tag ist zwischen Ihrem Großneffen und mir kein Wort gefallen, kein Wort, ... mit dem er sich hätte »verplempern« können! Bis auf den heutigen Tag haben wir uns nicht ein einziges Mal unter vier Augen gesprochen, sind wir immer nur in Gegenwart Alexanders zusammen gewesen, des Doktor Könitz, meines Freundes, dem ich
viel zu verpflichtet bin, als daß ... und wenn Ihnen Ihr Großneffe etwas anderes
Mein Fräulein: Ihre Vorliebe für die starken Worte ist vielleicht ebenfalls sehr modern und daher mag es kommen, daß sie mir nicht gefällt.
Ja. Aber – das ist auch so 'ne Sache! – Na: aber gut. Jedenfalls kann ich Ihnen versichern, daß mein Großneffe in einem Briefe an mich weder einfach noch doppelt lügt. Ä –! Häßlich, Fräulein Jagert! Häßlich, so was zu sagen. Denken Sie, bedenken Sie: diese Briefe von Bernhard sind für mich, in meiner Einsamkeit – meine Familie, meine Familie. Und ich halte was auf meine Familie.
Herr von Vernier: ich sagte ja, daß ich es mir nicht denken könnte. – Aber was hat er Ihnen denn ... Sie stockt. Pause.
Hm? – Ja, das ... das dürfte Sie ja dann wohl kaum noch interessieren. Wenn Sie sich dem Doktor Könitz so verpflichtet
fühlen. –
Ja, Herr Baron. Denn abgesehn von allem anderen: was der Doktor Könitz für mich getan hat – er ist um meinetwillen von einem tollen Menschen, der glaubte, ein Anrecht an mir zu haben – zum Krüppel geschossen worden!
Och! ... Hm. – Aber das freut mich, das freut mich wirklich. – Hm. Aber ... Fräulein Jagert – entschuldigen Sie: es ist das ja auch eine gewisse Grobheit – aber: Sie machen nun eigentlich einen ganz guten Eindruck. Sie sind, was man so sagt – eine ordentliche Person.
Lachen Sie nicht, Fräulein Jagert: das ist mein Ernst. Na ... und was anderes hat vielleicht der Bernhard auch nicht gemeint ... in seinen Briefen an mich.
Ja ... ja ... ich denke ... ich denke. Freilich ... nun ja ... aber in seinen Ausdrücken war er immer ... schon als Kind so ... so extravagant. Also ... Er unterbricht sich, geht auf Hanna los und reicht ihr die Hand. Nein, das freut mich aber wirklich, wirklich! Klopft mit der linken Hand auf Hannas Rechte. Von Herzen! Von Herzen! Und wenn ich fragen darf: Ihr Geschäft ... ich meine, dieser ... Kleiderhandel, oder was es ist ... es geht doch ganz gut? Wie?
Hm. Wunderbar! Zu meiner Zeit gab's das gar nicht. Sie sind also wirklich ... richtig ... selbständig – wie?
Ja. Ich habe Glück gehabt. Früher, als ich dachte, bin ich in die Lage gekommen, das Geld, das ich natürlich für den Anfang brauchte, zurückzuzahlen. Grad heute – befrei ich mich von dem Rest.
Allerdings. Sie können ganz beruhigt sein, Herr von Vernier. Denn ... obgleich ich nun durch Ihre Liebenswürdigkeit die ruhmreiche Vorgeschichte der Familie Vernier kennen gelernt habe ... dürfen Sie trotzdem versichert sein, daß mir nichts – nichts ferner Hegt, als der Ehrgeiz, Freifrau von Vernier zu werden! Nehmen Sie mir das nicht übel!
Sehr gut! Sehr gut! Wie Sie das so sagen – famos! Wenn der Junge das hörte. Müssen ihm mal so was sagen ... haha: – Na jedenfalls: seine Schwärmerei beruht nicht auf Gegenseitigkeit: und das genügt mir. Denn das seh ich ja: an
ders hat es keine Gefahr – bei Ihnen.
Ach ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie vergnügt mich das macht! Ja! Kommen Sie, Fräulein, kommen Sie mit mir herunter in die Weinstube: wir trinken noch ein Glas zusammen ... zur Versöhnung ... und dann reis ich vergnügt wieder ab. Kommen Sie, tun Sie mir den Gefallen, mein liebes ...
Er trägt in jedem Arm ein in Papier geschlagenes Paket und kann daher nur mit den Ellbogen die Portieren auseinanderschieben. Er ist ein Mann von sechsunddreißig Jahren, etwas stark und schwerfällig, hinkt leicht mit dem rechten Bein. In Mantel und Schlapphut. Trocken. Guten Abend! Hanna und der alte Vernier wenden sich plötzlich überrascht zu ihm um.
Ah ... du. Guten Abend. Hab dich gar nicht kommen hören. Vorstellend. Herr Doktor Könitz – Herr von Vernier: der Großonkel unseres Freundes.
Ah – Bernhards Onkel? Freut mich sehr, Herr Baron. Einen Augenblick ... erst mal ... Legt die beiden Pakete links auf den Schreibtisch. So. Geht auf Vernier los und reicht ihm beide Hände. Das ist recht! Das ist recht, lieber Herr Baron, daß Sie mal nach Berlin gekommen sind! Wird sich der Bernhard gefreut haben! Und wir tun's auch, was? Reicht Hanna die linke Hand und schüttelt sie. Bitte!
Hm? – Bitte! Nach Feierabend ist das hier erlaubt. Bietet ihm sein Etui an. Vernier nimmt eine Zigarre. Indem er ihm Feuer gibt. Das ist übrigens sehr ... sehr liebenswürdig von Ihnen, Herr Baron ... daß Sie sich auch hierher, zu Fräulein Jagert bemüht haben. Hm. Ich kann mir denken, daß Bernhard Ihnen – aber wo steckt er denn? Sieht beide an. Wo steckt er denn? Er läßt Sie allein? Wo treffen Sie sich denn? Ach, wohl unten? Ich hörte vorhin, Pause. Vernier, wie Hanna, setzen zum Sprechen an, verstummen aber. Ja, was ist denn?
Herr Doktor: ich sitze so, wie Sie wohl wissen, so ganz allein da auf Westernach ... und da ... Ja. – Gott, Herr Doktor, man hat ja auf dem Lande so falsche Vorstellungen ...
Nein! Nein! Nein! Sagen Sie ihm nichts! Sagen Sie ihm lieber gar nichts! Ich hab mich blamiert ... nun ja, ich will's zugeben. Aber du lieber Gott: wenn ich dadurch etwas von Bernhards Liebe und Vertrauen einbüßen müßte ... das wäre zu hart! Sehen Sie: die paar Jahre, die ich noch leben möchte ... Bernhard ... Er stockt, mit seiner Rührung kämpfend.
Ich sehe ja, ich sehe ja: ich ... ich müßte Sie alle Drei ... alle Drei um Verzeihung bitten. Ich hatte mir das ja alles so ganz anders ausgemalt, ich wußte ja das alles nicht so ... ich wußte vor allen Dingen gar nichts davon, daß Fräulein Jagert Ihnen so ... so verpflichtet ist ... und ...
Pardon! Aber das ... Freilich: wenn sich Fräulein Jagert mir so »verpflichtet« verbunden« sein. – Also Sie fürchteten nach Bernhards Briefen ... Hm. – Zu Hanna. Und das war dann deine Antwort?
Das ... ich habe nur ... Herrn von Vernier zu beruhigen, mich an das Äußerliche gehalten. Man ... man spricht doch nicht gern von seinen ... innersten Gefühlen.
Lieber Herr Doktor Könitz: sein Sie mir nicht böse! Mir scheint: ich bin hier wohl ein rechter Störenfried geworden. Sehn Sie: Zeit meines Lebens, Zeit meines Lebens hat mir mein Temperament solche Streiche gespielt. Nachher, so wie zum Beispiel jetzt, da seh ich's ja ein. Seufzend. Ich wäre wirklich besser zu Hause geblieben. Ja! Steht auf und faßt erst Alexanders, dann auch Hannas Rechte. Aber nehmen Sie's mir nicht übel! – Sie auch nicht, Fräulein! Sie auch nicht! – Ich ... will nun wieder dahin ... wo ich hingehöre, nach Westernach ... in die Nähe unseres Familienbegräbnisses. – Leben Sie wohl! Alle beide ... zusammen. – – Meine Sachen hatt ich wohl ... ach ganz richtig: die hatt ich ja unten ge lassen. Also nochmals: adieu ... adieu ... Halb schon draußen. Und sagen Sie dem Jungen Heber nichts! Blamieren Sie mich nicht. Danke sehr! Das kann ich noch selber.
Er preßt beide Hände gegen die Stirn und steht einige Augenblicke in heftigster Erregung zitternd da. – – »Verpflichtet!« Oh ...
Was ... ach so. Nichts weiter ... die beiden Bronzen, die dir neulich so gefielen. Setzt sich. Ich dachte mir, die würden vielleicht irgendwie in deine neue, fürstliche Einrichtung passen ... so in irgend 'ne Ecke.
Aus New-York. Aber er wird jetzt schon nach London unterwegs sein. Er schreibt wenigstens – Nimmt den Brief aus seiner Brieftasche.
Na – nicht alles. Manches ist ... Ich will dir das Nötige draus mitteilen. Also ... Es ist nämlich ein Untier von einem Briefe. Blättert darin. Also im Anfang: hohes Pathos: »es ist mir ein innerliches Bedürfnis«, und so weiter. Natürlich. Ist ihm alles. – »Ja, mein Herr: ich habe auf Sie geschossen! Es war mir nicht zu verdenken nach dem, was ich dazumal annehmen mußte ... Jetzt, zwei Jahre nach meiner Entfernung, wo ich inzwischen fortwährend und von den verschiedensten Seiten Nachrichten über Sie und Hanna gesammelt habe, gebietet mir indes nicht von Leidenschaft verblendet wäre. »Zur Wut ward ihnen jegliche Begier.« – Na und nun kommt er denn natürlich auf die Partei zu sprechen, und wie anders er das jetzt alles ansähe, du hättest ganz recht gehabt, nur der einzelne könne heute kämpfen, der einzelne – und allein. In seiner Weise. Und so weiter! Die alten Geschichten. Will den Brief wieder einstecken. Das können wir uns schenken.
Ja, so ziemlich. Zögernd. Noch so einige ... dumme Redensarten über dich. Doktrinäres Zeug ... torheitsvolle Deklamationen ...
Na, Gott ... es ist eben einfach ... dieselbe Borniertheit, wie früher. Dabei riesig gute, liebe Kerle – diese Atriden. Wenn sie einen auch manchmal in die Knochen schießen. Suchend. Wo ist es denn? Hier. Also: »Ich denke an sie bei Tag und Nacht. Noch hab ich nicht mit ihr abge
rechnet! Vielleicht – wird es auch nicht mehr nötig sein. Wenn alles so bleibt, wenn sie selbständig neben Ihnen, in freier aber treuer Neigung«, na: und so weiter! Kannst dir ja denken. Ä! »Es schmiedete der Gott um ihre Stirn ein ehern Band.«
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Sag mal, Hans ... nicht wahr: du bist nun neunundzwanzig Jahre alt. Weißt du noch, was ich dir damals ... schon vor drei Jahren immer gesagt habe .. wo du dir einredetest ... nur noch einrede
test... du hättest die »Aufgabe«, dafür zu sorgen, daß ... ich weiß nicht ... später einmal ... übermorgen ... die Menschheit glücklicher würde, als heute. Weißt du noch? Denk mal dran! – Ich pflegte dir zu sagen: mein guter Hans, bis zum fünfundzwanzigsten oder man sucht sich neue Ideale ... man wird sich etwa klar, besinnt sich darauf, daß man doch eigentlich selber auch – da ist, sozusagen! Daß ich, daß du doch wohl gewissermaßen lebst ... verstehst du? Lebst!
Erhebt sich. Und wenn man dann auch nur eine Spur von gutem Gewissen als Mensch hat ich meine, auch nur 'n bißchen Ehrgeiz, ein Individuum zu bedeuten, so daß man es riskieren kann, zu sich selber ja zu sagen – – dann jagt man die ganze Resignationsfatzkerei, all das wehleidige Gejammere um die lieben Mitmenschen der nächsten Jahrhunderte schönstens zum Teufel und sagt sich: ich und noch einmal ich – will ein ganzer sein! Ein ganzer – ein einziger – ich selber! Er humpelt einmal hastig durchs Zimmer und setzt sich dann wieder.
Alexander! Wenn man dich so sprechen hört, sollte man meinen, du wärst der krasseste Egoist von der Welt. Und dabei hast du es noch nie im Leben fertig gebracht ...
Ach bitte, das ist Sache des Geschmacks. – Aber in gewissen Dingen ist es nicht nur geschmacklos, wenn man zu viel an andere denkt, sondern auch – unsittlich. Was wir so nennen müssen. – In ganz anderem, herzlich warmen Tone. Hanna! Du fühlst dich ja nicht frei ... nicht glücklich ...
Nein, Hans: du bist nicht glücklich. Du bist nicht glücklich. Die ganzen zwei Jahre ... meinst du denn, ich fühlte das nicht? Dieses dumpfe, besinnungslose Arbeiten und Arbeiten die ganze Zeit her – hältst du mich denn für so dumm, meinst
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Hanna, es kommt ja selten vor, daß wir ... wir Egoisten uns – aussprechen. Auch das geht uns zu vielfach wider den Geschmack. Aber jetzt. Wir sind nun mal dabei. Ich wenigstens. – Sieh mal: wir wollen es uns doch nicht verhehlen: es ... ist anders mit uns gekommen, als wir es uns gedacht haben. – Woran es gelegen hat, das ist schwer zu sagen ... und im Grunde ... jetzt kann es uns gleich sein. – Damals, als die bewußte Katastrophe mit all ihren aufdringlichen Begebenheiten und dummen Knalleffekten vorüber war ... meine Wunde geheilt war, und ich wieder laufen gelernt hatte ... als du dann hier eingerichtet warst und so weiter – da hätte ja eigentlich zwischen uns wieder alles sein sollen, sein können wie vorher. Aber ...
Aber Alexander! Gewiß! Und noch ganz anders! Sprich doch nicht so! Wie unendlich mußte ich dir – Beider Blicke treffen sich, sie schweigt.
– verpflichtet sein. Jawohl. Möglich, daß es grade daran lag. – Es war eben tatsächlich alles anders geworden. Du hattest dir auch wohl zu viel zugemutet ... Hm.
Na aber, was nutzt das Reden. Lassen wir das! Wir quälen uns ja nur, indem wir darüber sprechen. Dazu sind wir doch nicht für einander geboren. Nervös. Wir sind überhaupt nicht für einander geboren. Das ist Verfolgungswahn. – –
Ja, ja ... Da fallt mir übrigens ein: erst das Geschäft und dann das Vergnügen. Wolltest du mir nicht tausend Mark zahlen heute?
Ach, ja. – Ich Sie hat das Papier gefunden. Ach hier. Willst du dich herbemühen oder soll ich dir ...
Der alte Herr hatte sich bei ihm nach mir erkundigt. Reicht ihm den Federhalter. So, bitte. Datum hab ich schon.
Nein, nein: das war wirklich ein ganz gescheiter Einfall. Damit bist du mich allerdings – los! Er steckt den Schein ein. Ich wünschte nur, du hättest erst den Mut zu ... zu deinen Einfallen. So den rechten Frauenmut. Das ist was Besonderes! Es ist eine Eselei, immer bloß von Mannesmut zu sprechen. – – Na, aber nun will ich auch gehn.
Ja. Ich habe noch – was vor. Eine wichtige Sache. Etwas Menschenfreundliches. Entschuldige mich heute Abend. Du wirst auch müde sein ...
Das – ist ein Irrtum. Also, adieu, du ... du Schülerin. Und hast noch immer nicht ausgelernt. Schäm dich was! – Adieu! Er reicht ihr die Hand. Adieu.
Dort wendet er sich noch einmal um und faßt Hannas Kopf in beide Hände. Mit tiefem Gefühl. Leb wohl, du ... Leb wohl ... Er küßt sie auf die Stirn.
Bitte, bitte ... Nur kein Mitleid! Das verbitt ich mir! Das schickt sich nicht für dich! So! Er reicht ihr noch einmal die Hand. Sie schlägt ein. Er sieht sie voll an und schüttelt ihr kräftig die Hand. So. – Tonlos. Leb wohl. Schnell hinaus.
Oh, ich ... Plötzlich aufspringend, ruft sie laut. Alexander! Ab. Man hört sie draußen rufen. Alexander! Sie kommt zurück und bleibt einen Augenblick schwer atmend stehen. Dann geht sie erschöpft nach links, wo sie sich niederläßt. Sie trocknet ihre Augen und schüttelt sinnend den Kopf. – Sie schlägt ein Geschäftsbuch auf und taucht die Feder ins Tintenfaß.
Ach, sie tät es ja wohl. Aber du weißt ja, wie dein Vater ist. Ich geh selber immer nur hin, wenn ich bestimmt weiß, daß er nicht zu Hause ist.
Die gute Mutter! – – Ach was! Es ist ja nichts! Nichts! Sie erhebt sich. Sie beurteilt Konrad ganz falsch. Ich – will ihn erwarten.
Ach, Hanna: er ist jetzt noch viel rabiater, wie früher. Du glaubst gar nicht, wie er sich verändert hat. Ich denke mir, er wird sich in Amerika oder in London so 'n stillen Suff ergeben haben. Von wegen der Seeluft, weeßt du.
Ach doch, ja. – Nein: wir sind alle schrecklich besorgt um dich. Ne wirklich: wir haben mächtige Manschetten um dir!
Na, na: sag das nicht! Erst gestern hab ich wieder im Lokalanzeiger gelesen, wie einer aus Liebe zwei Mädchen auf einmal totgeschossen hat. Bloß: er wußte nicht, welche sollt er nehmen. Na, und nu dein Vater! Der putscht ja nu noch immer! Der macht ihn nu erst ganz wild! Weißt du, was er ihm nach London geschrieben hat? Ach ne: das will ich dir doch lieber nich sagen. Na, aber, du darfst es mir nich übelnehmen! »Sie avanciert,« hat er geschrieben. »Sie avanciert. Jetzt ist sie schon die Maitresse von einem Grafen.« Ja. Weißte, dein Vater kennt eben absolut nich den Unterschied zwischen einem Grafen und einem Baron. – Er hat eben keene Bildung.
Was ich dir sage! Darauf ist ja eben Konrad hergekommen. Ohne an die eigene Polizeisicherheit zu denken – umgehend! Denk doch mal, wenn sie den kriegten!
Ja, ich weiß nicht. Davon spricht er auch so immer. Was die richtigen Arbeiter wären, die hätten die Begehrlichkeit nicht. Das wär 'ne Lüge. Die wollten bloß ihr gutes Recht. – Aber die Reichen – was er so die Bürgerlichen nennt, und auch die Adligen – die hätten die Begehrlichkeit und wollten immer noch mehr haben. Und du wärst auch 'ne Begehrliche. So is es.
»So is es.« Ja. Er hat recht. Sie – haben die Begehrlichkeit nicht. Es ist schlimm. – – Also, mein liebes Lieschen: ich danke dir sehr für deine freundlichen ... Eröffnungen, und ... Bitte, geh noch heute Abend zur Mutter, ja? Sag ihr, sie solle keine törichte Angst haben. Mit Konrad würde ich schon fertig werden. Ja – es würde mich
Ja, da hast du wirklich sehr richtig. Geradeso geht's mir mit Mutter. Die versteht mich auch partout nich.
Partout nich. Gott, und es ist doch so einfach! Was soll man denn machen, wenn man weiter kommen will und ... und will was vorn Leben haben. Is nich wahr? Heiraten tut einen ja doch kein anständiger Mensch mehr, und schließlich: was hab ick denn davon, wenn da nu auch wirklich so'n Maler oder Maurer kommt, der selber nichts zu brechen und zu beißen hat ... und Kinder will er womöglich auch haben. Ne, ne! Wenn man erst mal mit feine Herrn so in besserem Verkehr gestanden hat – nachher paßt einem das schon lange nicht mehr. Schon lange nicht mehr. Hab ich nicht recht?
Nicht wahr! Ach! Weißt du, Hebe Cousine: die andern ... die waren ja einfach alle viel zu dumm. Aber ich ... ich kann wohl sagen: von allen Anfang an habe ich allein immer die richtigste Auffassung über dich gehabt! Und wenn ich früher manchmal so'n bißchen eklich gegen dich gewesen bin ... so is das immer bloß Neid gewesen. Wahrhaftigen Gott!
Hand aufs Herz –: bloß aus Neid! Niemals so wie die andern, aus Moral, oder so. Keine Spur! Denn wozu? Heutzutage muß man modern sein.
Ach, das hab ich nu allmählich selber rausgekriegt. – Nein, wirklich, liebe Cousine: duWas
kann das schlechte Leben hel
fen!«
Na ja – is doch aber auch wahr! – Siehste: und deshalb, liebe Cousine, mein ich: wir beide sollten doch ... He? –
Ernst und kühl. Verzeih! Ich hab jetzt keine Zeit mehr. Ich muß noch mal hinunter ins Geschäft. – Also nochmals: sag der Mutter meinen besten Dank für ihre ... »Warnung«, aber ... du weißt ja nun. Kann ich dir sonst noch mit ... etwas dienen?
Nicht, daß ich wüßte. Danke sehr. In anderm Ton, schnell. Das heißt ... Vertraulich. Du, Hanna ... sei doch mal offen gegen mich! Gibt dir denn dein Baron viel?
Ach, bitte, Lieschen ... geh jetzt! Weshalb meine Mutter gerade dich zu mir geschickt hat ... Na ... jedenfalls ... Sie zieht ihr Portemonnaie. ... Ich will nicht undankbar sein: da, hier – Gibt ihr ein Goldstück. Für den Weg.
Bitte sehr, bitte sehr – hat nichts zu sagen. Ich will nicht länger stören. Wendet sich zum Gehen. – Adieu.
– Pause. – Aus ihren Gedanken heraus, halb lachend. »Was kann das schlechte Leben helfen!« Steht auf und klingelt. Dann geht sie zum Schreibtisch zurück, nimmt einige Briefe an sich und schließt ihn zu.
Hedwig, ich bleibe heute Abend zu Hause. Legen Sie noch nach. Ich gehe jetzt hinunter. Wenn der Herr Baron kommt, bitten Sie ihn, hier oben auf mich zu warten. Geht zur Tür. Es klingelt draußen. Sie bleibt stehen. Sollte er das schon sein? Sehen Sie nach.
Laut und lebhaft. Guten Abend! Guten Abend. Ach Pardon! Ich vergesse immer, draußen erst abzulegen. Schnell wieder ab.
Na ja, schon gut, weiß schon ... Wie geht's? Tritt zu ihr und küßt ihr die Hand. Gut, natürlich. Wie?
Herunter! Immer herunter! Schrecklich! Gepreßt. Oh, Hanna, du ... Zieht sie an sich und küßt sie, dann läßt er sie los und wendet sich ab. du ahnst ja nicht, wie traurig du mich machst mit deinem ... mit diesem ewigen »Geschäft«.
Aber mein lieber Bern! Du mußt doch vernünftig sein! Selbst wenn ich nun das Geschäft verkaufen wollte –
Ich meine: selbst dann müßte ich doch bis zum letzten Tage in alter Weise darin tätig sein. Darauf beruht doch nun mal – meine Freiheit.
Ja! Dem einen kommt sie teuer – dem andern billig zu stehn. Das ist nun mal nicht anders –Sie deutet auf den Bücherschrank. Falls du etwas für deine Bildung tun willst. Auf Wiedersehn. Geht zur Tür. Dort bleibt sie stehen. Leise, zärtlich. Bern?
Freilich –: wenn's Fräulein befohlen hat ... Setzt sich an den Ecksofatisch und schlägt ein Buch auf. Legt es wieder weg. Ä! – Sagen Sie mal, Hedwig, ich wollte Sie schon immer mal fragen ...!
Ich meine: gesetzt den Fall, es vollzöge sich hier eine plötzliche, oder sagen wir wenigstens eine baldige ... Veränderung ... daß Fräulein von Berlin fortzöge, oder so – ich meine: Sie würden doch mitgehn – was?
Ich ... muß vor allem noch um Verzeihung bitten, daß ich Ihnen auf die traurige Nachricht vom Ableben Ihres Herrn Onkels ... nur schriftlich geantwortet habe. Aber ... mein Pedal war mal wieder ... nicht in Ordnung ... ist es auch eigentlich jetzt noch nicht. Ich wäre sonst längst über alle Berge.
Na also. – Ach hier ist es hübsch warm. Ganz wie in Sizilien. Überhaupt, riesig behaglich! Seufzt. Ja, ja! Wer sich hier so festsetzen
Tja ... wer weiß! Vielleicht ist es eine angeborne Scheu ... das dritte Rad am Bicycle zu spielen. Vielleicht ... ist das so der Stolz meiner Männerseele, wie Lasker sagte. Lassen wir's unentschieden. Soviel ist sicher: heute hab ich einen hinreichend legitimierenden Grund zu kommen.
Bitt um Entschuldigung, Herr Doktor, aber ich sollte meinen, Sie als alter Junggeselle hätten eigentlich immer berechtigte Ursache ...
Andre Leute zu stören? Nein! Da faß ich nun meine Situation doch menschenfreundlicher auf. Das wird mir auch gar nicht so schwer, wie Sie glauben. Denn, abgesehn von der einen denkwürdigen ... Ihnen ja nicht unbekannt gebliebenen Episode, hab ich mein Leben lang eigentlich immer draußen gesessen ... verstehn Sie? draußen. Ich bin das also gewohnt.
Ja, ja. Sie vergessen immer: es ist noch gar nicht so unmenschlich lange her, daß ich ein ... bettelarmer Student war ... der geborene Bildungsproletarier ... eben: bis ich eines Tages meine Entdeckung machte. Ich bin also gar nicht verwöhnt, wirklich nicht. Hab es früh genug gelernt, mit mir allein zu sein. – Hm. – Na, aber ... davon ist ja gar nicht die Rede. Sagen Sie mir vor allen Dingen: wie geht es Ihnen denn? Ich meine: wie gut? Was macht die Kunst? Oder: die Künste, muß man bei Ihnen fragen. Haben Sie sich nun für eine entschieden? Hat die Violine gesiegt? Die Hebe Violine! Wie geht es ihr?
Hm. Er nimmt eine Zigarre aus
seinem Etui. Ja: das ist nun eine äußerst schwierige Sache –: Sie rauchen nicht?
Infolgedessen wird die Herrin den Tabaksgeruch gar nicht mehr gewöhnt sein. Und Sie ... sind hier eigentlich doch zu wenig kompetent .. Er hat währenddem die Zigarre abgeschnitten, in Brand gesetzt und raucht jetzt mit Behagen die ersten Züge. ... sonst würd ich Sie nämlich um die Erlaubnis gebeten haben.
Ach, liebster Herr Doktor –! Sie haben ja keine Ahnung, wie ich hier in diesem Hause behandelt werde ... Das spottet einfach jeder Beschreibung!
Wenn mir das früher einer gesagt hätte! und ich ... säße infolgedessen jetzt ... wegen Totschlags aus Jähzorn im Gefängnis – mir wäre wohler.
Sehn Sie ... ehemals, wenn ich so in den Ferien nach Hause kam ... und so sah, wie mein guter alter Onkel so hin und wieder saugrob wurde gegen die Leute ... das konnt er werden ... da fand ich, als empfindsamer Musensohn, das einfach schrecklich, einfach schrecklich. Einmal hab ich meinem Onkel sogar eine richtige Rede darüber gehalten ... A-ber, wissen Sie – das war ja alles Kinderei, das war ja der reine Humanitätsdusel im Vergleich mit der Art und Weise, wie man hier mit mir umspringt! – – Und, was das Schönste ist, nicht bloß die Herrin behandelt mich so ... na, wie soll ich sagen ... so als liebenswürdigen Zimmerschmuck ... auch die Sklavin, diese gußeiserne Hedwig ... glauben Sie, die hätte irgendwie eine begründete Überzeugung von der Zweckmäßigkeit meines Daseins? Keine Spur.
Ach, lachen Sie nicht! Das ist sehr schlimm. – Noch hab ich ja wenigstens einigen Galgenhumor ... aber auf die Dauer ... wie soll man sich selber dabei den guten Glauben ... an die Wichtigkeit der eigenen Existenz erhalten!
So was paßt eben nicht für jeden. Bei Ihnen war das was anderes. Bei Ihnen hatte es keine Gefahr ... mit der Selbständigkeit. Sie standen ihr in anderer Beziehung nicht nur gleichberechtigt gegenüber, waren ihr nicht bloß gewachsen – Sie waren ihr sogar von vornherein entschieden überlegen, als ihr Lehrer gewissermaßen. Sie hatte sich Ihnen geistig ein für allemal untergeordnet.
Ich dagegen besitze Gott sei Dank nicht die geringsten pädagogischen Talente! Und da Hanna nach dieser Richtung hin bisher offenbar – verwöhnt war – so gelt ich ihr nicht für voll. Ein Erzieher wird gesucht!
Ja, ja! Sie hat mich gewiß sehr lieb – das weiß ich – aber die Art und Weise, wie sie mich behandelt, das ist doch ... das ist doch nicht ...
Nie und nimmer nicht! Wissen Sie, wie mir das vorkommt? Direkt verdreht kommt mir das ihr Geliebter wäre.
Ja – wer weiß! Vielleicht ... verstehe ich Sie so, daß nach Ihrer Ansicht die Sache in Ordnung wäre, wenn Hanna – Ihre Geliebte wäre.
Wie? – Na nehmen Sie's mir nicht übel, aber – es ist doch wirklich arg, in welcher Weise sich Menschen wie Sie ... das Einfachste und Natürlichste, was es überhaupt auf der Welt gibt .... das Verhältnis zwischen Mann und Frau ... künstlich verzwickeln und verzwackeln, bis kein gesunder Mensch mehr draus gescheit wird. Ja, ja! Darin sind Sie Virtuose! Von Ihnen hat auch Hanna alle ihre Schrullen.
So. Na, wie Sie meinen. Jedenfalls –: Menschen wie ich glauben eben nicht daran, daß ... das Verhältnis zwischen Mann und Frau ... heutzutage wirklich so einfach, so natürlich gegeben sei. Menschen wie ich sind vielmehr der Überzeugung, daß es zurzeit einmal wieder Problem geworden ist.
Lieber Herr Doktor! Mir ist das Herz so voll! Und Ihnen gegenüber hab ich von jeher ein so unbegrenztes Vertrauen gehabt. – Sie haben mir noch nicht gesagt, weshalb Sie herkommen, aber es ist gut, daß Sie da sind. Lassen Sie mich mal wahnsinnig offen gegen Sie sein. Sie sind der einzige Mensch, den ich kenne, vor dem man sich damit nichts vergibt. Er reicht ihm die Hand.
Sehn Sie: wenn ich mir Hannas Wesen klarzumachen versuche ... ich weiß ja so schrecklich wenig darüber, wie sie eigentlich – geworden ist. Ich habe sie durch Sie als eine fertige, in sich abgeschlossene Natur kennen gelernt ...
Aber einerlei. Sie wollen von mir etwas über die Zeit hören, wo ich ... Hannas Erzieher war. Nicht wahr? Nun ja: ich versteh schon. –
Ja, also – das Einmaleins hab ich ihr nicht beigebracht. Und daß es im Leben häßlich eingerichtet sei, auch nicht. Solche Elementarkenntnisse brachte sie mit. – Aber andre Sachen, daß es sehr schöne Verse gäbe ... und sehr schöne Bilder und ... und auch guten Rotwein ... Und daß das Leben überhaupt um des Leben willen schön sei. Solche Dinge, wissen Sie. – – Hm. Ja. Wenn ich an dieses Erwachen, dieses Aufkeimen, an diesen Frühling in ihren Sinnen denke! ... Hungrig und durstig war sie zu mir gekommen. Es war ja wie eine neue Welt für sie! Wie eine neue Religion – der Schönheit – der Kunst – des Genusses. Bis dahin war die Partei ihr ein und alles gewesen. Solange da der holde Glaube an die baldige Revolution ... vorgehalten hatte, war das ja gegangen. Aber nun war er weg. Und was noch blieb – du lieber Gott! Das war doch alles gar zu schnell vom Verstande verzehrt – von einem solchen Verstande! Und nun das Herz ... das Gemüt ... und die lieben Sinne? Die hungerten und dürsteten, wie gesagt – es war ein Jammer mit anzusehn. – – Da hab ich ihr nun alle Türen weit geöffnet! Und was hab ich mich da aus innerstemMit einem tiefen Seufzer. Ja! – – Und noch jetzt ... an Wintertagen ... werd ich warm, wenn ich daran zurückdenke. – Vor dem Frühling selber aber ... flucht ich ... nach Italien. Der ist mir nun mal ... verleidet. Und da unten, da ist er jetzt schon – überstanden.
Hm. – Und ... Herr Doktor ... entschuldigen Sie ... haben Sie nun damals nie daran gedacht, Hanna ... zu heiraten?
Nicht wahr? Das geht wider die Natur! Aber trösten Sie sich, Herr Baron –: ich als Plebejer hab es damals auch nicht gleich – kapiert. Ja, ja. Seufzt. Na, das soll uns aber nicht abhalten, die Fahne der Wissenschaft und ... und der »Philosophie des freien Menschentums« aufrecht zu erhalten, und wenn Sie so viel Einfluß auf Ihre Freundin, die gußeiserne Hedwig zu besitzen glauben, so bitte, klingeln Sie mal und bestellen mir irgend was Trinkbares: mein Abenddurst meldet sich.
Gehorcht? Das nennen Sie gehorchen? Solche Augen hab ich ihr erst machen müssen! Schaut Alexander gebieterisch an. Da haben Sie's nun mal selber gesehn. Das muß ich mir nun gefallen lassen. Ich! – Nein, nein! Es geht nicht! Ich bin nun einmal nicht der Mensch dazu. Das hab ich einfach nicht gelernt! Es scheint, ich soll mir erst durch kordiale Formen die Schwesternliebe dieser Person erschleichen – ehe ich sie um etwas bitten darf. Wetter auch! Das ist mir nicht gegeben! – – – Aber wenn ich Hanna das sage, dann ... dann lacht sie!
Sie ist das herrlichste Weib der Welt, aber in einer Weise egoistisch –: es existiert für sie nichts – absolut nichts – außer ihr.
Und was ist aus mir geworden! Ich habe ja gar keine Konturen mehr. Ich ... Aufgeregt. Aber es hat ein Ende. Heute noch! Ich wollt's Ihnen schon vorhin sagen ... es ist das ein Entschluß, mit dem ich mich schon lange trage. Ganz einerlei ... alles einerlei ... ich frage sie heute noch, ob sie – meine Frau werden will – meine Frau.
Lächelnd, für sich. Ach ja. Hm. Laut zu Bernhard. Na – aber schließlich:
Hm. Mein lieber Herr von Vernier, bitte: kommen Sie her! Setzen Sie sich mal hübsch zu mir! So. Schenkt ihm ein. Prosit! Stößt mit ihm an. Sein wir vergnügt! Wissen Sie, wer uns heute Abend noch besuchen wird?
Ja, das weiß er wohl selber nicht. Jedenfalls kommt er. Ich weiß es von einem meiner Arbeiter, einem alten Freunde von ihm. Dem hat er dummerweise sein Herz ausgeschüttet, und bei der Gelegenheit ... ist auch ein funkelnagelneuer Revolver zum Vorschein gekommen.
Ja. Ach dabei müssen Sie sich weiter nichts denken. Das sind die schlechtesten Menschen noch lange nicht, die gern bewaffnet unter die Leute gehn. Die transatlantischen Umgangsformen, die Theorie der persönlichen Exekutive ...
Verhaften? Nein. Das ist nicht mein Geschmack. Überdies, wer weiß denn –: wahrscheinlich hat der Mann ganz recht. Er hat doch seine Informationen jedenfalls aus Hannas Familienkreisen. Na und da kann ich's ihm gar nicht übelnehmen, daß er herkommt, um sie totzuschießen. Ich würde
Ich ... ich bin noch ganz ... verwirrt. Sie sagen das alles mit einer Ruhe, als ob Sie selber gar nichts befürchteten ... als ob das alles nur Scherz wäre. Und doch kommen Sie selber her und ...
Ja, sehn Sie: ich möchte doch nicht, daß Hanna allein wäre, wenn der junge Mann ihr ... seine Visite macht. Ich halte es immerhin für zweckmäßig, wenn jemand da ist, der dem Komparenten mit ... Vernunftgründen begegnen kann. Hanna gegenüber wird er vermutlich ... sinnlos rasen. Sie werden ... ihm gegenüber vermutlich auch nichts Besseres tun: da könnte ich ihm vielleicht ... bei meiner ausgesprochenen Begabung zum Akademiker ... mit einer lichtvollen Klarlegung der tatsächlichen Verhältnisse dienen. Das ist manchmal viel wert. – Na und im Notfall – Er zieht einen Revolver aus der Tasche und zeigt ihn Bernhard. Ich hatte auch noch so 'n Ding liegen.
Das ist ja ... Mit plötzlichem Schreck. Wo bleibt Hanna? Finden Sie nicht, daß sie längst oben sein könnte? Es ist halb Acht! Wenn der Mensch ihr aufgelauert hätte! Ich will hinunter ...
Sein Sie unbesorgt, mein lieber Herr von Vernier –: der schießt nur en face. Das kenn ich. Der weiß auch, daß sie ihn vorläßt, wenn er zu ihr will.
Ich fürchte, daß Ihnen in diesem Falle selbst Ihre gußeiserne Freundin nichts helfen wird. Was Hanna will – hat sie noch immer durchgesetzt. Ah ...
Spricht nach außen. Es ist gut. Sie können dann schließen. Fordert Konrad zum Eintreten ein. Bitte. Komm.
Herr Thieme –: ich bin nicht Ihr Feind. Er hält ihm die Rechte hin, indem er die Linke flüchtig Hanna reicht, die sie schnell drückt.
Ich hörte schon, daß du gekommen wärst. Mit einem Blick des Einverständnisses. Ich danke dir. Zu Bernhard. Nun ... Bernhard ... du stehst ja so abseits? Zu Konrad, mit einer vorstellenden Handbewegung. Der Herr Graf, von dem dir mein Vater schrieb –
Herr ... Thieme ... Sie werden es wohl nicht so unbegreiflich finden ... daß ich, der gar nicht weiß ... in welchen Absichten, mit welchen Gedanken Sie ... Mit Betonung. zu meiner Braut kommen ... daß ich zögere, Sie hier willkommen zu heißen ... Sagen Sie uns, was Sie hier wollen! Was Sie herführt! Ich hoffe, daß Sie vor meiner Braut ... die Achtung hegen, die sie beanspruchen darf und die ich fordre!
Ja – er sprach von seiner – Braut. Zu Bernhard. Du meintest wohl mich damit. Zu Konrad. Aber daran mußt du dich nicht stoßen. Bernhard kennt dich ja nicht. Er meint vielleicht, du würdest vor der ... Braut des – Entschuldige, Bernhard! – des Herrn von Vernier – mehr Respekt haben, als vor – einem selbständigen Menschen – vor mir.
Ich habe allerdings noch nicht den Vorzug, Herrn Thieme zu kennen, und halte mich daher für sehr wohl berechtigt, ihn zu fragen, was er hier will.
Ich tue ... was ich tun muß ... damit ich ... ich ... nicht ersticke. Und ich habe noch nie danach gefragt, ob das ... gerade andern genehm ist.
Wie ich Herrn Thieme zu kennen glaube ... hat er selber gar keinen leidenschaftlicheren Wunsch, als ... seine frühere Braut hoch
achten zu dürfen. Nur – er ist über sie sehr schlecht unterrichtet worden, man hat sie verleumdet, ihr Bild verzerrt ... und er kommt nun hierher, um sich – von der Wahrheit zu überzeugen. Zu Konrad. So ist es doch. Nicht wahr?
Nein! Nein! Nein! Ich will nicht! Ich will mich hier nicht einlullen lassen! Zum Teufel mit den glatten Redensarten! Ich will ausführen, weswegen ich gekommen bin. Weiter nichts. Hanna! Mit dir habe ich zu sprechen! Mit dir ganz allein!
Hanna, wir ... wir haben uns vor Jahren wohl verstehen können. – Ich weiß nicht, ob es jetzt überhaupt noch möglich ist. Damals kämpftest du – und das tue ich noch heute – für die Menschheit! Ihr Elend rührte dich noch ... das Unrecht, das sie litten, erbitterte dich noch ... und du wolltest mitarbeiten an ihrer Befreiung ... an ihrer Erlösung! – – Und jetzt?
Konrad, ich habe mir die Menschen ... meine lieben Mitmenschen ... wie ich mir einbilde, gründlich angesehn. Glaube mir: nicht die äußeren Feinde einer Partei sind es, die einen von ihr entfremdeten. Jeden, der kein Schwächling ist, werden die nur härter machen. Aber all jene zahllosen bitteren Enttäuschungen, die man jahraus, jahrein an Freunden und Genossen zu erleben hat, diese kleinen jämmerlichen Intrigen und lächerlichen Niedrigkeiten aller Art –: und über dem Ganzen – dies indolente Protzentum der gesinnungstüchtigen Hohlköpfe – das war es, siehst du, das alles, was mir das Parteileben schließlich zur Hölle gemacht hat! – Dazu kam, daß ich mit der Zeit jede Form der Vergewaltigung hassen gelernt hatte. Nicht bloß die ein oder andere. sie es trieben – diese Menschen, die vorgaben, eine bessere Zukunft gepachtet zu haben. Der Glaube, daß man die Welt erlösen könne, indem man eines Tages an die Stelle einer ... fertigen Gewalt ... diese hoch unfertige setzt – der ist mir da freilich abhanden gekommen. – Und so hab ich mich denn auf eine Art von innerer Mission resigniert und mit der ... bei mir angefangen. Du magst das meinetwegen Egoismus nennen. Mir scheint ... die Menschheit würde schneller vorwärts kommen ... wenn es mehr solche – Egoisten gäbe.
Auch ich ... glaube nicht mehr ... an vieles nicht mehr. Fanatisch. Aber trotzdem – ich ... Abbrechend. Aber davon wollen wir jetzt nicht weiter sprechen. Ich kann begreifen, wie du so geworden bist. Nur das eine! Sag mir nur das eine –: dieser Mann hier, was ... was hat er für ein Anrecht an dich?
Bernhard! Was berechtigt denn dich? Er ist ja zu mir gekommen. Zu mir – nicht zu dir. Und ich will ihm Rede
stehn. – Konrad: das ist alles, was ich zu sagen habe. Ich – liebe ihn. Ein anderes – Anrecht hat er nicht an mich. – Leise, warm und eindringlich. Konrad: was hast du von mir denken können! Du – von deinem alten Kameraden? – – Vorhin fragtest du, wie es möglich sei, daß Könitz hier wäre. Sieh – ich weiß – ihn hab ich tief ... tief verwundet ... damals, als er fühlte ..... Aber meinst du: er wäre einen Augenblick an mir irre geworden? Nein! In seiner vornehmen Güte ...
In seiner vornehmen Menschengüte hat er damals noch Ruhe und Humor erheuchelt – nur damit es mir leichter Indem sie Alexander die Hand reicht. Hab ich dich verstanden, Alexander?
Und Bernhard – der Graf, zu dessen Maitresse ich avanciert bin ... Bewegung aller. Ja, ja –: es klingt nicht hübsch. Aber ich muß es mir noch öfter wiederholen –: es ist das Urteil eines Vaters über seine Tochter. Nicht wahr? So stand es doch in dem Briefe, den er dir nach London schrieb?
Nun – Bernhard hat mich vorhin seine Braut genannt. Das war unrecht von ihm. Sehr unrecht. Denn – frage ihn nur –: ob schon jemals, seit wir uns lieben, zwischen uns beiden von Heirat die Rede gewesen!
Siehst du! Siehst du! Heftig. Denn du mußt wissen: ich möchte doch immer noch lieber seine Maitresse heißen – als seine Braut. Bewegung aller. Ja. Leidenschaftlich. Weit erbärmlicher wär's mir, wenn ich in meiner Position auf eine solche Ehe spekuliert hätte – als von so einem armen dummen Mädel, das ... nun ja: das man nachher, wenn sie auf einen hereingefallen ist, Maitresse schimpft! – Sieht sie an. Das kann euch nicht wundern. – Wieder ruhiger. Und – verzeih mir, Bernhard – aber gerade das hat öfter störend zwischen uns gelegen ... zumal seit dem Tode deines Onkels –: »Ist sie nun am Ziele?« – Aus Furcht vor diesem quälenden Gedanken – glaube mir! – hab ich oft meine ... meine Grenzen eifersüchtiger bewacht, meine Unabhängigkeit eigensinniger betont, als mir mein ... Gefühl gebot. Bernhard – sag es hier – vor diesen – nicht wahr: dir ist niemals, – niemals der Gedanke gekommen ... der Verdacht: als ob ich hätte – »Gnädige Frau« werden wollen.
Ja ... Ich ... muß fort. Er tritt auf Hanna zu und spricht stoßweise mit mächtig arbeitender Brust. Hanna ... es ist wahr ... ich ... habe dir ... Unrecht getan ... Unrecht getan. Menschen, die dich nicht kennen, die dich nie begreifen werden ... haben mich belogen. Du – bist niemandem Rechenschaft schuldig – du hast deine Gesetze hier ... in dir. Das fühl ich jetzt. – Wenn du willst ... verzeih mir und ... Weiter nichts. – Leb wohl!
Herr Thieme! Herr Thieme! So warten Sie doch. Ich wollte Ihnen ja noch ... Da läuft er nun wieder drauf los ... Zu Hanna. Einen Augenblick, ich – Sieht die beiden an. Fürchte übrigens nicht, durch meine Abwesenheit zu stören. Ab.
Daß wir frohe Menschen werden wollten ... ja, Hans ... das sagtest du ... und ich, ich weiß nur einen Weg dazu, nur einen Weg, Hanna – werde mein Weib!
Hanna – zeige mir, daß du mich liebst – einfach – warm und natürlich, wie wir sterblichen Menschen es sollen. Opfere mir ... opfere mir nur ein weniges ... von deinem Stolze ... von deiner unausstehlichen Selbstherrlichkeit. Zeige mir, daß ich nicht auch etwa bloß – dein Lehrer bin. – Sieh: ich – kann es nicht länger ertragen. Ich unterliege unter den kleinen Demütigungen, die mir
Wenn du die Herrin von Westernach sein wirst ... Hanna! Du glaubst es doch wohl selber nicht, daß du je das Geringste von deiner geliebten Souveränität verlieren könntest! Nur schöner wird sie dir stehn ... vornehmer vor aller Welt! Und dann, Hanna: sieh – du hast eben noch zugegeben, daß du allzu eigensinnig auf deine jetzige Selbständigkeit pochst, weil du immer in Furcht bist, es könne in mir der Gedanke aufkommen, du wolltest geheiratet werden ... Nun sieh –: du hast es ja in der Hand –: heirate mich – und du bist die Furcht für ewig los.
Zum Teufel mit der Logik! Es handelt sich um unser Glück! Was gilt dir mehr: deine Prinzipientreue oder ... oder du und ich.
Ach, Bern: ich für mich allein ... ich hätte nie daran gedacht ... aber ... Ihre Stimme ist leiser geworden, sie verbirgt sich an seiner Brust.
Ah ... Außer sich vor Glück. Hans! Hans! Jetzt bist du erst mein Weib ... wie? Setzt sich und zieht sie auf seinen Schoß. Jubelnd. Jetzt bist du mein Weib!
Ende.