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Unternehmungslust und trotzigen Kampfesmut hatte Shorty von jenen fernen Ahnen ererbt, die als Begleiter der ersten Auswanderer von Europa nach Amerika gekommen waren, und die im Laufe der Evolution entstandene Potenzierung dieser Eigenschaften hatte sich bei Shorty zu dem Bewußtsein verdichtet, jedem Gegner gewachsen zu sein.
Shorty war kein Luxushund, und die alten Kavaliere, die einst nach Virginia gekommen waren und ihr Hundeideal in jenen King Charles gesehen hatten, deren hochmütig wehfremde Augen uns aus
Patriotische Gesinnung war Shorty eigen. Er empfand eine bedingungslose Bewunderung für das Land, dem er entsprossen war, hielt es ohneweiters für das erste der Welt, und war fest davon überzeugt, daß es nichts Schöneres auf Erden wie die Straßen Washingtons gäbe. Alles Fremde erfüllte ihn mit tiefem Mißtrauen, für ihn stand fest, daß es auf amerikanischem Boden nur schädlich wirken könne und daß es daher gelte, es sich möglichst vom Leibe zu halten. So war denn Shorty ein energischer Vertreter amerikanischer Abwehrpolitik und ein Bekenner jener Doktrin, die, in seine Sprache übersetzt, bedeutet, daß kein europäischer Hund sich auf amerikanischem Boden einen Knochen holen dürfe. Und wenn es je einen Hund gegeben, dem solche Gesinnung im Blute liegen mußte, so war es sicherlich Shorty, denn eine Urahnin von ihm war es ja gewesen, die an jenem denkwürdigen
Dieser mit so bemerkenswerten Instinkten ausgestattete Hund gehörte Mr. Short, Leutnant in Fort Miles bei Washington, und die Regimentskameraden seines Herrn hatten ihn mit dessen Spitznamen »Shorty« benannt, als er noch ein hilfloses Hundebaby war, das, mit schwerem Kopfe und allzu großen Pfoten, einem kleinen, weichen, weißbraunen Knäuel gleich, im Stroh des Regimentsstalles die Tage verschlummerte.
Seitdem Shorty herangewachsen war, begleitete
Während der letzten Woche aber waren sie beide nicht wie sonst allein durch die Wälder gestreift. Zu Shortys größter Verwunderung hatte Leutnant Short eines Tages zuerst den Weg zum »Arlington-Hotel« eingeschlagen, wo alsbald eine schöne junge Dame erschien, die sich von ihm auf ein bereitstehendes Pferd heben ließ und mit ihm ein paar Stunden spazieren ritt. Da sich dies von da ab alle Tage wiederholte, so mußte die junge Dame wohl reichlich Gelegenheit haben, sowohl die Umgegend Washingtons wie Leutnant Short und seinen Hund kennen zu lernen.
Die schöne junge Dame hieß Miß Beatrix Sharemill und war die Tochter des großen Eisenbahnunternehmers, der wochenlang in Washington mit dem Syndikat unterhandelt hatte, für das er den durch Mexiko führenden Teil der neugeplanten »Panamerikanischen Behring-Magelhaen Elektroschnellbahn« bauen sollte. Seine Frau und Tochter
All dies sollte nun ein Ende finden. Mr. Sharemills Verhandlungen waren abgeschlossen. In wenigen Stunden wollte er mit seiner Familie nach Mexiko abreisen.
Beatrix, die es verstand, die fliehenden Augenblicke stets möglichst angenehm auszufüllen, hatte diesen letzten Morgen zu einem Ritt mit Mr. Short benützt. Daß diese Ritte unendlich viel für ihn bedeuten, wußte Beatrix längst, und es hatte zuweilen des ganzen Geschicks bedurft, das jeder Amerikanerin eigen ist, um eine von ihm versuchte Aussprache durch einen Scherz abzulenken. Aber er war ja ein mittelloser Leutnant, der selbst auch binnen wenigen Tagen Washington verlassen sollte, um sich mit seinem Regiment nach den Philippinen einzuschiffen – da galt es, keine Dummheiten machen und nicht etwa sich beiden das Leben
Shorty hatte die beiden wie immer so auch auf diesem letzten Ritte begleitet.
Nun waren sie zurückgekehrt. Mr. Short hatte Beatrix vom Pferde gehoben, und sie standen noch einen Augenblick in der Straße vor dem »Arlington-Hotel.« Der Leutnant strich nervös mit der Hand über sein glattrasiertes Kinn und hätte gern vieles gesagt, fand aber keine Worte. Beatrix dagegen beherrschte die Situation: »Ja, nun leben Sie wohl, Mr. Short! Unsre Ritte waren so nett, und wir sind immer so gute Freunde gewesen! Ach, aber Ihrem Hund, unsrem treuen Begleiter, dem muß ich doch auch noch Adieu sagen.«
Mr. Short pfiff, und Shorty kam fröhlich angesprungen. Sein Herr hob ihn an den Falten des lose hängenden weißen Genickfelles in die Höhe und hielt ihn dem jungen Mädchen hin.
»Was ich sagen wollte, Miß Trixy«, stammelte er, »wollen Sie mir die Freude machen, Shorty zum Andenken anzunehmen?« Und als sie eine erstaunte Gebärde machte, setzte er rasch hinzu: »Ich
Sie lächelte. »Nun gut, Mr. Short, ich werde ihn nehmen. In Manila würde Ihnen wohl manches nur im Wege sein. Sie und ich – wir sind ja gute Kameraden – und wir müssen uns nun jeder seinen Weg bahnen – Sie in den Philippinen, ich in Mexiko.«
Sie nahm den Hund auf den Arm und reichte Mr. Short noch einmal die Hand, und dann trat sie rasch ins Hotel. – Solch letzte Augenblicke waren doch recht peinlich!
Die lange Fahrt dauerte nun schon drei Tage. Der Zug, an den Mr. Sharemills Privatwaggon als letzter angehängt war, hatte Neu-Orleans sowie San Antonio Texas längst passiert und den Rio Grande del Norte und mit ihm die mexikanische Grenze überschritten. Durch eine unabsehbare Sandwüste führte nun der Weg, blendend weiß lag sie da unter dem blauen Himmel; hie und da erhoben sich einige seltsam geformte Kakteen, die verkrüppelten Gestalten glichen, deren Glieder sich im Schmerze winden; blaßviolette Schatten warfen sie auf die weiße Fläche. Manchmal fuhr ein scharfer Windstoß über die Wüste, dann erhoben sich hie
Mr. Sharemill schenkte den Naturerscheinungen als solchen nie viel Beachtung, sie waren für ihn nur Faktoren, die es in seinem Beruf zu bekämpfen oder auszunützen galt. Mit seinen zwei Sekretären saß er während der ganzen Fahrt in dem als Studierzimmer eingerichteten Teil des Waggons, diktierte ihnen Briefe und besprach technische Einzelheiten des Baues der künftigen panamerikanischen Bahn, dieses Riesenwerkes, das von der Behringstraße bis zur Magelhaens-Meerenge den ganzen Weltteil durchziehen sollte, um, einer gewaltigen eisernen Kette gleich, die entferntesten Länder des Kontinents an die große Schwesterrepublik des Nordens anzuschmieden.
Mrs. Sharemill lag während der Fahrt abwechselnd
Beatrix saß meist in einem niederen Strohsessel an einem Fenster des Waggons und blickte melancholisch auf die trostlose Öde draußen. Sie kam sich wie eine Märtyrerin töchterlichen und patriotischen Pflichtgefühls vor, daß sie sich von den sozialen und Herzensfreuden Washingtons getrennt hatte, um ihrem Vater in diese Gegend zu folgen. Es war das erstemal, daß Beatrix in ihrem kurzen, frohen Leben der Niedergeschlagenheit und Wehmut begegnete – und, wie alle jungen Menschen in solcher Lage, dachte sie, daß sie diese Gefährtinnen nie wieder los werden würde.
Shorty hatte sich sogleich in dem Waggon zu seinem Lieblingsplatz ein Sofa erkoren, auf dem eine weiche Reisedecke lag. Zusammengerollt ruhte er dort und knurrte jeden an, der Miene machte,
Das, was Shorty vom weiteren amerikanischen Weltteil durch das Waggonfenster an sich vorbeiziehen sah, gefiel ihm gar nicht; die Gegend und die Stationen, die Hunde und die Menschen in den Stationen erschienen ihm recht minderwertig. Da sah es in Washington denn doch ganz anders aus!
Shorty war ein viel zu kluger Hund, um nicht längst gemerkt zu haben, daß Mr. Sharemills Reise keine gewöhnliche Reise sei, sondern daß es sich bei ihr um höhere Zwecke handle, die Shorty kurz und bündig als das Ergattern eines neuen Knochens bezeichnet haben würde, die aber Mr. Sharemill als die erhabene Mission pries, den Betrieb dieser verschlafenen Gegenden mit amerikanischem Schneid in die Hand zu nehmen. Es gab da ja auch wahrlich ein weites Feld für Verbesserungen! Shorty brauchte nur die elenden, halbverhungerten Hunde zu betrachten, die sich an den Stationen um Abfälle
Manchmal hielt der Zug mitten in der Wüste, als sei er des Weiterkeuchens durch diese unendlich traurige Gegend überdrüssig geworden und wolle nun nicht mehr weiter – wenigstens war kein andrer Grund zum Halten zu finden, am allerwenigsten in den kleinen, armseligen Lehmhütten, die wie zufällige Bodenerscheinungen sich aus der weiten Sandfläche erhoben und die entweder in wohlklingendem Spanisch nach einem Heiligen genannt waren oder irgend einen unaussprechlichen indianischen Namen trugen.
An solch einer Station waren Beatrix und Shorty ausgestiegen und im Sande auf und ab gegangen, denn sie gehörten beide zu den Geschöpfen, denen Bewegung auch unter erschwerenden Begleitumständen Bedürfnis ist, und sie sahen die Welt stets freundlicher an, sobald sie ein paar hundert Schritte auf ihr gegangen waren.
Wie eine arme kleine Insel, die bald von den Sandwogen verschlungen sein wird, lag die Station mitten in der Wüste. Hinter ihr führte eine Straße landeinwärts; eigentlich bestand sie nur aus ein paar Räderspuren, und der Ort war so unendlich verlassen und trostlos, daß man gar nicht begriff, wie es von hier aus überhaupt noch irgend wohin
»Dies ist ein Privatwaggon, Sir,« sagte der Neger verweisend.
Mr. Sharemill zog aus den Tiefen seiner Hosentasche seine breite Hand und streckte sie dem Grafen entgegen: »Herr schwedischer Gesandter, entzückt, Sie kennen zu lernen.« Dann, dem plötzlichen Gedanken folgend, daß er hier vielleicht etwas von den geheimnisvollen Ränken der europäischen Diplomatie auf dem amerikanischen Kontinent erkunden könnte, fragte er: »Und darf man wissen, was Sie so dringend nach Mexiko ruft?«
»Gewiß,« antwortete der Graf, »die wichtigste Begebenheit des Jahres, das Diner des Präsidenten. Und beinah hätte ich es versäumt! Ich war hier in der Umgegend auf Jagd – habe übrigens rein gar nichts geschossen – auf dem Wege zur Station ward ich lang aufgehalten, da das Gepäcksmaultier
So hatte ihre Bekanntschaft begonnen.
Beatrix fand den zweiten Teil der Reise entschieden amüsanter als den ersten. Graf Wardenskyold war der erste Ausländer, den sie näher kennen lernte. Daß dieser Ausländer dazu ein Graf und Diplomat war, schadete ihm nichts in ihren an den Anblick schlichter Republikaner gewöhnten Augen; sie lernte in ihm einen neuen Typus kennen; seine Konversation, die von vieler Herren Länder und von Persönlichkeiten, denen auf der Weltbühne Hauptrollen zugefallen waren, zu erzählen wußte, eröffnete dem regen Geiste der schönen Amerikanerin Ausblicke in bisher unbekannte Gebiete, und die weichen Verkehrsformen, die diesem Sprossen einer alten Kultur so ungezwungen zu Gesichte standen, gaben seiner verhüllten, aber unverkennbaren Bewunderung für ihre eigene graziöse und elegante Erscheinung einen besonderen Reiz.
Mrs. Sharemill fand den neuen Reisegefährten von Anfang an reizend, denn er erwies ihr Aufmerksamkeiten, an die diese amerikanische Mutter längst nicht mehr gewöhnt war.
Den Ausführungen Mr. Sharemills über die Behring-Magelhaens-Bahn konnte Graf Wardenskyold stundenlang lauschen, denn er besaß die wichtige Diplomatengabe, ein liebenswürdiger Zuhörer zu sein, und er erkannte in diesen Vorträgen auch sofort eine Fundgrube für Stoffe künftiger Berichte, an denen es ihm sonst zuweilen in Mexiko gebrach.
Der einzige, der sich gar nicht mit dem Schweden befreunden konnte, war Shorty. Die amerikanischen Menschen waren von der Liebenswürdigkeit des Fremden rasch gewonnen worden, ihr Hund aber sah stets in ihm nur den frechen Eindringling, der ohne Umstände in den amerikanischen Privatwaggon gesprungen war. Dieser Anfang der Bekanntschaft hatte bei Shorty einen so tiefen Argwohn hinterlassen, daß er das Gefühl hatte, jeden Sessel im Waggon und vor allem seinen eigenen Platz auf der Reisedecke gegen den Ausländer verteidigen zu müssen; er knurrte, sobald der Graf in seine Nähe kam und begriff nicht, wie seine Herrin so freundlich gegen ihn sein konnte. Wäre doch nur Leutnant Short dagewesen! Der hätte sicher seine Gefühle geteilt.
Aber Leutnant Short war weit weg, auf dem Wege nach Manila, und ahnte nicht, wie sehr die Monroe-Doktrin durch einen schwedischen Gesandten
Auch nach der Ankunft in der Stadt Mexiko verbesserte sich das Verhältnis zwischen Shorty und dem Grafen nicht, und es schien überhaupt, als ob sich des Hundes Charakter jetzt von Tag zu Tag verbittere. Er besaß offenbar keine Diplomatennatur, denn er zeigte sich im Auslande keineswegs von der liebenswürdigsten Seite. Es war eben in Mexiko doch gar zu ausländisch für seinen Geschmack! Er stellte beständig Vergleiche zwischen Washington und dieser fremden Stadt an. Dort war er zwischen amerikanischen Soldaten und Offizieren aufgewachsen, hatte das Stern- und Streifenbanner über sich rauschen gehört, und wenn er in den Straßen Washingtons unter schattigen Bäumen wandelte, waren ihm zwar viel fremde Hunde der verschiedensten Rassen begegnet, zottige russische Windhunde, mißgünstige englische Doggen, gelehrige deutsche Pudel und so manches kleine kläffende Hundegesindel – aber sie alle hatten in ihm den Amerikaner, den Hund des Landes verehrt und hatten mit ihm schön getan. – Hier war das alles nun ganz anders! Er fühlte sich vereinsamt, und niemand kümmerte sich viel um ihn. Er gelangte zur bedrückenden Erkenntnis, daß nichts von dem an sich, was er bis dahin als Merkmale amerikanischen Wesens angesehen hatte, und Shorty sagte sich, daß über die dereinstigen Schienen der Behring-Magelhaens-Bahn viele Züge laufen müßten, bis eine Verschmelzung dieser so ungleichartigen Elemente zu stande käme.
Litt Shorty seelisch am Heimweh, in das sich ja immer ein Tropfen Überschätzung des eigenen Wertes mischt, so litt er körperlich unter der Höhenlage des Ortes, hatte Atembeschwerden und fühlte bei jeder raschen Bewegung das stürmische Hämmern seines Herzens, von dessen Existenz er früher gar nichts gewußt. Mehr und mehr zog er sich mißfällig von allem zurück und lebte ganz auf der Reisedecke, die er schon im Waggon okkupiert hatte und die nun wieder auf dem Sofa im Salon seinen Lieblingsplatz bildete.
Graf Wardenskyold war auch in Mexiko in
Sobald das neue Haus eingerichtet war, begann
Nachdem Beatrix alle Antiquitätenladen durchsucht, alle Ausflüge in die Umgegend gemacht und alle irgend einladbaren Menschen eingeladen hatte, begann sie inne zu werden, daß Mexiko eine Stadt ist, deren Möglichkeiten rasch erschöpft sind. Sie setzte sich jetzt oftmals neben Shorty auf das Sofa, lehnte ihr musterhaft frisiertes Köpfchen gegen sein glattes weißes Fell und flüsterte ihm leise zu: »Shorty, hier ist es doch wirklich gar nicht amüsant!«
In solchen Stimmungen waren die Besuche des Grafen Wardenskyold besonders wirkungsvoll. Neigung zwischen zwei jungen Menschen ist eine Pflanze, die auf Boden verschiedenster Art gedeiht – viel häufiger, als man glaubt, auf dem der Langweile. Es war zudem schmeichelhaft für Beatrix, von einem Manne, der die ganze Welt kannte, zu hören, daß sie seiner Überzeugung nach geeignet wäre, auf einer glänzenderen gesellschaftlichen Bühne, als Mexiko sie bot, eine leitende Rolle zu spielen. Die Gespräche zwischen den beiden drehten sich immer mehr um das diplomatische Leben in großen Residenzen. Beatrix ließ sich von Hoffesten und Botschafterempfängen erzählen und lauschte gespannt des Gesandten Andeutungen, daß Diplomatenfrauen durch geheimnisvollen persönlichen Einfluß bisweilen die Geschicke von Völkern gelenkt hätten. Die junge Amerikanerin, die bis dahin hauptsächlich in einem Eisenbahnmilieu gelebt, dachte sich das ungefähr so wie eine Fahrt, die sie einst mit ihrem Vater, auf der Lokomotive neben dem Zugführer stehend, gemacht, der auf ihr Geheiß die Maschine zu schnellstem Laufe angetrieben hatte. Sie glaubte noch das prickelnde Gefühl von Macht und Aufregung zu empfinden, mit dem sie damals
Sich selbst noch unbewußt, hegte Beatrix aber doch auch schon weichere Gefühle für den Grafen, als man sie für einen Kollegen in der Lokomotivlenkung verspürt. Sie offenbarten sich ihr ganz plötzlich an einem Nachmittag. Shorty lag wie gewöhnlich mißmutig auf seiner Decke, Beatrix saß hinter ihrem Teetisch und schenkte gerade Tee ein für verschiedene jüngere Diplomaten, die sich zu dieser Stunde um sie zu versammeln pflegten, und, wie das nun einmal ihre Gewohnheit ist, von Versetzungsaussichten sprachen. Ein russischer Sekretär, der auch zu Beatrix' Courmachern gehörte, sagte zu Graf Wardenskyold: »Bei Ihnen soll ja ein großes Revirement bevorstehen, da werden Sie wohl dran kommen; Sie sind doch schon drei Jahre hier?«
»Ja«, antwortete der Schwede, »es ist schon möglich, daß man diesmal an mich denkt.«
Die Teekanne in Beatrix' Hand zitterte leise, was ihr eine ganz neue, rätselhafte Erscheinung war. Sie sann ihr nach, und während die Konversation weiter ging und die jungen Herren die Vorzüge der verschiedensten Posten erörterten, sah sie sich in dem kleinen Kreise um, und da stand plötzlich die Tatsache ganz klar vor ihr, daß, wenn Wardenskyold daraus geschieden wäre, keiner der
Ganz abgesondert von ihnen allen erschien ihr aber der Schwede. Unbeteiligte, so zum Beispiel Shorty von seiner Sofaecke aus, sahen in dem Grafen nur einen von vielen jungen Leuten, die um einen Teetisch saßen und einer jungen Dame den Hof machten. Für die junge Dame selbst war er aber da plötzlich der eine und einzige geworden. Denn jeder Mann findet einmal eine Frau, für die er etwas ganz besonderes ist, so alltäglich er den übrigen Menschen auch erscheinen mag.
Nachdem die Herren alle gegangen waren, dachte Beatrix lang über die plötzliche Entdeckung nach, denn sie gehörte zu einer Rasse, die immer klar sehen und dann handeln will. Sie erkannte, daß Wardenskyold die erste Rolle im Stücke ihres Lebens schon seit Monaten spiele, und sie beschloß, ihm diese Rolle dauernd anzuvertrauen, falls er sie nämlich
Da an einem Nachmittag, als Beatrix mit verschränkten Armen neben Shorty auf dem Sofa saß und mißmutig mit den spitzen Pantöffelchen auf den Boden schlug, ließ sich Graf Wardenskyold melden. Sie wollte in die Höhe schnellen, zwang sich aber zu ruhigem Sitzenbleiben und empfing ihren Gast mit einer, wie sie glaubte, täuschend gespielten eisigen Gleichgültigkeit.
»Ihr Hund,« sagte Wardenskyold lachend, »verteidigt diese Decke, als würde mit ihr die Monroe-Doktrin selbst gefährdet. Aber wir wollen ihn nicht stören. Wie wäre es, Miß Beatrix, wenn wir ein bißchen in den Garten gingen? Es ist draußen so schön.«
Und sie gingen hinaus in den Garten, wo der Abendwind leise in den Eukalyptusbäumen säuselte und aus den großen weißen Glockenblüten der Florifundio süßer, betäubender Duft aufstieg. Shorty aber dehnte sich selbstzufrieden auf der Decke aus im stolzen Gefühl, das Feld behauptet zu haben.
Als der russische Sekretär Beatrix' Verlobung erfuhr, sagte er giftig: »Na, nun hat Wardenskyold die Versetzung nach Washington ja in der Tasche.« Und seine Prophezeiung erfüllte sich. Sehr bald
Die Hochzeit wurde beschleunigt, damit Beatrix ihren Mann gleich auf seinen neuen Posten begleiten könne. Sie hatte sich ausbedungen, daß Shorty ihr in das diplomatische Leben folgen solle, denn der arme Hund vertrage wirklich die Höhenlage Mexikos nicht und werde mit jedem Tage leidender. Graf Wardenskyold liebte Shorty zwar wenig, aber er war in der Stimmung, wo Männer nichts verweigern können, und so reiste denn der freie amerikanische Shorty als Hund einer fremden Gesandtschaft und obendrein einer eines monarchisch regierten Landes in seine Vaterstadt Washington zurück. Er litt unsäglich in all seinen politischen Überzeugungen, kam sich degradiert und annektiert vor und konnte sich absolut nicht daran gewöhnen, aus einem Napf zu fressen, auf dem Wappen und Krone prangten. Beatrix war ihm eine Enttäuschung und ein Rätsel. Wäre sie wenigstens traurig gewesen, hätte sie ihren schrecklichen Irrtum eingesehen! Aber sie war scheinbar strahlend – und hatte doch aufgehört, eine Amerikanerin zu sein!
Als nun das junge Paar sich mit Shorty in Washington etabliert hatte, gab Beatrix ein großes
Die Vertreterin eines großen nordischen Reiches erzählte eben von ihrer Vaterstadt Chicago, und die Gesandtin eines uralten Kulturvolkes, dessen Bildwerke wie Boten aus einer fernen Welt der Schönheit in unsren Museen stehen, antwortete, sie stamme aus Milwaukee.
»Wie nett, daß auch Sie eine von uns sind,« sagte eine der Damen zu Beatrix.
»O ja,« antwortete diese, »ich bin eine echte Amerikanerin aus Dakota«.
Und eine Dame, deren Mann eine alte Monarchie vertrat, sagte mit reinster Hobokener Aussprache: »Gottlob, daß wir uns also Ihrethalben, liebe Gräfin, nicht mit einer der dummen fremden Sprachen abzuquälen brauchen. Ist doch eine zu törichte Erfindung! Da fährt man drüben in der Alten Welt einen Tag lang Eisenbahn und muß mehrmals an sogenannten Grenzen umsteigen und soll an jeder
»Ja, heute sind wir wirklich mal ganz unter uns,« sagte eine Dame, indem sie sich im Kreise all dieser hübschen, jungen und eleganten amerikanischen Frauen umsah.
Da öffneten sich die Flügeltüren, und ein gepuderter Lakai meldete: »Die türkische Botschafterin«.
Shorty spitzte die Ohren und öffnete die Augen weit, denn er war gespannt, die Vertreterin eines Landes kennen zu lernen, von dem ihm erzählt worden war, daß dort die Männer so weise seien, den ihm selbst so sympathischen polygamischen Institutionen zu huldigen.
Die Botschafterin trat ein, aber siehe da, es war keine orientalische Haremschönheit, wie Shorty sie erwartet hatte, sondern eine magere, blasse Frau mit überfeinem nervösen Gesicht, in Kleidung, Gang und Sprache eine echte Newyorkerin.
Denn auch der Halbmond hatte geglaubt, in Washington heller zu glänzen, wenn er einen mit
Doch schon wieder öffneten sich die Flügeltüren, und der Lakai meldete: »Die japanische Gesandtin.«
»O, das ist die Neuangekommene,« sagte die Türkin, »ich habe sie noch nicht kennen gelernt.«
Und herein rauschte eine jener schönen großen blonden Frauen, wie Gibson sie zeichnet und wie sie unter Madame Chrysanthemes Schwestern nicht vorzukommen pflegen.
»Was, bist du das, Grace Dodd?« rief die Türkin verwundert.
»Aber Bella Sharp! Ist's möglich?« antwortete die Japanerin erstaunt.
»Grace Dodd heiße ich allerdings nicht mehr, sondern Grace Isawara Hokowisi.«
»Und ich nicht mehr Bella Sharp, sondern Bella Ali Zulfikar Pascha.«
»O Bella! Wer uns das in der Schule gesagt hätte, daß wir uns hier wiederfinden würden, du als Türkin, ich als Japanerin!«
»Nun, was mein Türkentum betrifft, so nehme ich das leicht,« antwortete die Botschafterin. »Die Sache wirkt nämlich umgekehrt, und Ali Zulfikar ist bereits ganz leidlich amerikanisiert. Aber sag mir, wie bist du nach Asien geraten?«
»Ach, genau wie bei meinem Mann auch,« rief Beatrix.
»Ja,« fuhr Grace Isawara Hokowisi mit wichtiger Miene fort, »in Japan will man jetzt doch in nichts hinter den Europäern zurückstehen, sondern in allem auf der Höhe der Situation sein – sobald man daher in Tokio erfahren, daß die europäischen Regierungen nach Washington nur noch Vertreter senden, die amerikanische Frauen haben, suchte man nach einem japanischen Beamten, der dieses Haupterfordernis für den Posten besäße, und da war mein Mann der einzige.«
»Das Dejeuner ist serviert,« meldete einer der gepuderten Lakaien.
All die reizenden, eleganten amerikanischen Ausländerinnen schritten nun paarweise, je nach Rang und Anciennetät ihrer europäischen Gatten, in das große Speisezimmer, aus dem ihnen der Duft ihrer Blumenschwestern, der langstieligen, purpurroten American Beauty-Rosen, die den Tisch schmückten, entgegenflutete. Wie die Damen so
Zum erstenmal seit langer Zeit füllte sich des armen Shortys bekümmertes Herz wieder mit froher Zukunftszuversicht. Amerika, das ihm seit Beatrix' Heirat um sein Bestes beraubt gedünkt hatte, war offenbar gerade jetzt im Begriff, auf seltsamem Umweg seinen Einfluß über die ganze Welt auszudehnen. Was Shorty von seinen schönen Landsmänninnen gesehen und vernommen, hatte des Patrioten Sorgen verscheucht. Er fühlte, daß er ums liebe Vaterland wahrlich ruhig sein könne. In der wohltuenden Wärme des Kamins schlossen
Shorty schlummerte nun wirklich und schnarchte gemütlich. Er träumte... träumte von einer sich stetig ausbreitenden Flagge... Sterne glänzten an ihr... und die Sterne waren lauter reizende Frauenköpfe – ja, ja... die Amerikanisierung der Welt würde fortschreiten... durch die amerikanischen Frauen... vor allem... durch... die amerikanischen Diplomatenfrauen....