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Sie hiess Liane von Immen, und niemand konnte ihr beweisen, dass sie nicht so hiess, denn niemand hatte ihren Taufschein gesehen. Sie besass nicht die plumpe Berühmtheit, durch ein Buch, das sie geschrieben, oder einen neumodischen Kleiderschnitt, den sie erdacht, im Meyer oder Brockhaus mitsamt der Angabe
Lianens Äusseres besass viel Anmut.
Sie war hoch, schlank; die rote Haarfarbe, die bereits Fünfzig-Pfennig-Dirnen trugen, trug sie nicht mehr. Ihr stand die weisse Farbe besser zu Gesicht. Dichte, schneeweisse Haarwellen hoben den zarten Rosenton ihres Fleisches und machten ihre grossen, dunklen Augen doppelt geheimnisvoll.
Sie trug nur weisse Gewänder. Da ihre Gemächer mit dunklen Tapeten geschmückt
Ein grosser Garten mit einer hohen Mauer umgab ihr Haus. Sie hatte ein elegantes Cab gemietet, das sie täglich an die Luft führte, sie setzte nie einen Fuss aufs Strassenpflaster. Sie besass wenig Verkehr. Die paar Familien, mit denen sie sich traf, kamen ihr sehr zuvorkommend entgegen,
Um ihr in Gärten gebettetes Landhaus herrschte Einsamkeit. Ab und zu kam ein Bauernwagen mit rasselndem Milchgeschirr vorüber, oder ein Landauer mit einer zahlreichen Familie fuhr am Sonntagmorgen die Strasse entlang aufs Land hinaus. Selten ereignete es sich, dass in vorgerückter Stunde ein Mann im langen englischen
An einem milden Augustabend ruhte sie wieder dort. Die Alte hatte ihr zu Füssen ein Tischchen mit in Eis gekühlten Früchten hingestellt und war dann, leise vor sich hin schwatzend, verschwunden. Einige Minuten darauf öffnete sich ein Flügel der breiten Thür nach dem Garten hinaus, und die hohe Gestalt eines Mannes trat ein. Liane neigte stumm das Haupt.
Ebenfalls ohne ein Wort zu verlieren, ging
Dann warf er Überrock und Zylinder auf einen Sessel, näherte sich ihr und sah, mit verliebten Blicken, in ihr wunderschönes, ruhiges, bleiches Gesicht. Ihre Augen wiesen nach den duftenden Früchten. Er schüttelte den Kopf. »Mich dürstet nur nach Ihnen, Liane.« Über sein von den Erfahrungen des Lebens stark verwüstetes Gesicht flog leichte Röte. »Mir kommt's Ewigkeiten vor, seit ich zum letztenmal hier war. Eine schale Zeit liegt hinter mir. Nichts wie Banalität, Repräsentationspflichten, Familienjammer, Öde, wohin man blickt. Alles immer dasselbe, immer dasselbe. Und
»Wie geht's der Prinzessin?« Ihre Stimme klang tief und weich. »Ist es vorüber?«
»Ach,« er verzog den Mund, »reden Sie nicht davon. Es war eine Schlächterei. Wir wollten unsere Tochter nicht verlieren, er nicht den Erben. Die Ärzte stritten sich im Nebenzimmer wie die Marktweiber um den armen, in der Narkose noch stöhnenden Körper, bis endlich wir, die Eltern, siegten. Das zerstückelte Kind ist bereits beigesetzt, sie mit ihren neunzehn Jahren ein Krüppel, der indessen die Hoffnung hat, wie ihr Leibarzt bemerkte,
Liane verhüllte sich das Gesicht. »Entsetzlich! Dieses holde Madonnenbild! Aus welchem Barbarenwinkel stammt eigentlich ihr Gatte?«
»Lassen wir das, Liebste. Unsere Kultur glaubt eine noch nie erreichte Blüte gewonnen zu haben. Sie baut elegante Zuchthäuser, Frauenkliniken, die wahren Palästen gleichen, sie gestattet uns, Bordelle zu besuchen, – die geliebte Frau vor dem Schicksal, geschlachtet zu werden, zu bewahren, gestattet sie uns indessen nicht. Unsere Moral will nicht nur die Art unserer Sinnengenüsse vorschreiben, sie will sogarunsern Freuden Gefallen fänden, sie würden immer das Gewohnte vorziehen, aber – den andern, den zum Bewusstsein Gekommenen müsste mehr Freiheit eingeräumt werden. Nie gab's eine Zeit stärkerer Beschränkung des einzelnen Geistindividuums als heute.«
»Wie schön ist es, man selbst sein zu dürfen! Wie schön, frei und Frau zu sein.« Sie stützte den edlen Kopf in die weisse Hand.
»Und wie schön ist es, beglücken zu können!« Er strich sanft über ihre
»Ohne Elend als unwürdige Spur der Seligkeit zu hinterlassen. Ohne das Gewissen zu kränken.«
»Wie Götter geniessen. Ohne satt zu werden wie die Plebs nach plumpen Gerichten. Geliebte!« Er sah sie bittend an.
Sie erhob sich, das Angesicht von hinreissender Hingebung verklärt. Ihr langes weisses Gewand, von unbestimmten, roten Lichtern übergossen, schleifte lang hinter ihr her.
Sie berührte mit ihren Fingerspitzen eine Thüre, durch die er verschwand. Sie selbst öffnete eine schwere Portiere. Ein
Einige Augenblicke vergingen. Unter den Sammetfalten der Portiere erschien der Mann; er hatte seinen Anzug gegen ein mantelartiges Kleidungsstück von dunkler, weicher Seide vertauscht. Er liess sich neben Liane nieder.
Er schlang die Arme um sie. Ihr weisses wundersames Gewand, das nur ein vielfach um sie geschlungener weisser Mantel war, öffnete sich und liess die Rosenbüsche ihrer weissen Brüste an seinen sich senkenden Lippen aufspriessen. Aber die ihren waren nicht müssig. In zarten, kaum gefühlten Küssen glitten sie über sein Antlitz, seinen Hals. Er gab sie frei, um einige Minuten lang ganz ihre Beute zu werden. Er zerfloss in Schauern höchsten Empfindens, gleichsam von zwei gleitenden, suchenden Schmetterlingen übergaukelt, die Ader für Ader
Liane war lautlos über ihn hingesunken.
Er fühlte das schmeichelnd weiche, rhythmische Hüpfen ihrer Brust bei jedem ihrer Herzschläge. Er fühlte ihr elektrisch knisterndes Haar über seinen Körper ausgebreitet, seine Berührung erfüllte ihn mit leisem Prickeln und rief ihn wieder ins schöne Bewusstsein zurück. Mit zarten, behutsamen Griffen legte er sie in den
Die Lilien dufteten, ein flüsternder Wind strich am Fenster hin und verstummte.
Unendliche Stille herrschte, unendlicher Friede ...
Einige Stunden später neigte sich die hohe Gestalt des Mannes über das bleiche, schöne Gesicht der Schlummernden und schied von ihr in seliger Dankbarkeit ...