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Diese Briefe, die ich hier besonders Leserinnen gedruckt vorlege, bedürfen keiner Empfehlung; und wenn sie einer bedürften, wäre ich, wie ich mich sehr gerne bescheide, der Mann nicht, der ihnen diesen Dienst leisten könnte. Denn außerdem, daß ich, in der litterarischen und übrigen feinen Welt gleich unbekannter Alte kein Gewicht haben möchte, käme ich auch zu spät, da schon verschiedene dieser Briefe in der Iris gedruckt stehen.
Der oft unwahre Fürwand, »man hat mich ersucht, drucken zu lassen« ist hier nicht nur völlig wahr, sondern es wird sogar auch, da die Veranlassung zu diesem Ersuchen in der Iris zu Tage liegt, nicht einmal unwahrscheinlich seyn, daß verschiedene gute Frauenzimmer, von manchen Orten her, die Verfasserinn ersucht haben. – Ob außer mir Alten auch viele junge Mannspersonen? weiß ich nicht; sollte es aber fast nicht glauben, weil mir es scheint, als müßten viele darunter es fühlen, daß die Verfasserinn ihnen ihre
Also hätte die natürliche Neigung der Frau Verfasserinn, ihre junge Schwestern zu verbinden, schon den Entschluß, »drucken zu lassen,« erzeugen und rechtfertigen können. Es kam aber noch eine Ursach hinzu. – Ich sagte diese gerne, weil sie so gut ist, als – – aber, wer würde nicht glauben, daß zwischen der Verfasserinn und dem Herausgeber eine Verbindung sey? Und, Gottlob! sag' ich, es ist eine da; aber sie hat keine Lobrednerey zum Zwecke.
Vielleicht wundert es einige Leser, warum ich Unbekannter die Ausgabe
Daß ich (in allem Ernste! ohne Vorbewußt meiner Freundinn,) auf den
Also bloße Nachricht (denn es soll weder Drohung noch Schmeicheley für Leser und Leserinnen seyn, da mirs vorkommt, als sagte ich dies hiermit im Namen meiner edlen Freundinn,) füge ich hinzu, daß ich noch Vorrath an Handschrift zur Fortsetzung besitze, und es nunmehr bey den Leserinnen hauptsächlich steht, wie bald sie den Verleger, Herrn Richter, zum Druck des
W–r, den 26sten März, 1779.
Lassen Sie mich, meine geliebte, so lang gewünschte Freundin, einige Thränen über mein Schicksal weinen, das mich von Ihnen entfernt, und alle die süsse Freuden zerstört, die mir ihre Güte und Ihr Geist wechselsweise schenkten. Was ist Leben, Glück und Wissen, wenn sie nicht von antheilnehmender Liebe und Freundschaft mit genossen werden! – Wie lange wartete mein Herz auf diese irrdische Seligkeit! – Ihr feiner aufgeklärter Geist, Ihre edle, liebreiche Seele, haben mir solche in vollem Maaß gegeben. –
Bey Ihnen, meine Mariane, kann ich mich der süssen Empfindung, jemand imhöchsten Grad hochzuachten, ohne Sorge überlassen; die Eigenschaften Ihres Geistes und Herzens versichern mich daß ich durch Sie den Schmerzen niemals fühlen werde, diese Gesinnungen
Sie haben Recht, meine Freundinn. Sie haben Recht, wenn Sie mir sagen, daß der beste Trost, den ich jemals gegen die Schmerzen einer geraubten Freuds, oder eines mißlungenen Wunsches finden könne, in dem Gedanken der Erfüllung meiner Pflichten liege, und daß eine edle gefühlvolle Seele das Maaß dieser Pflichten in der Gewalt finde, die ihr zum Wohlthun gegeben worden. Ich sehe, daß meine Gesellschaft ein wahres Vergnügen für meinen theuren Oheim ist; und ich werde davon am meisten in den Stunden überzeugt, wo er sein Tagebuch mit mir durchlieset. – Er ist so gut, daß ihn mein Beyfall freuet. – Meine Sorgfalt für seine Gesundheit, das kleine Stück Munterkeit und Talente meines Geistes, meine Liebe für ihn, nennt er die Freude seines Lebens; und wenn er mir dieses sagt, so liebe ich den Entschluß mit ihm zu reisen, und fühl selbst die Entfernung von meiner Freundinn Mariane nicht mehr mit so viel Bitterkeit – denn es ist mir
Ich schreibe Ihnen, meine Mariane, von einem schönen Dorfe, das auf einer kleinen Anhöhe liegt, die mir das Glück schaft, aus dem Fenster, wo ich sitze, eine Reihe der majestätischen Schweitzergebürge zu sehen. Die untergehende Sonne färbt sie Blau und Rosenroth, mit grossen Stücken Glanzsilber dazwischen. Meine Seele fühlt mit innigem Vergnügen die Grösse der Allmacht meines Schöpfers. Es freut mich, mein Daseyn aus der nehmlichen Hand erhalten zu haben! und es ist Ueberzeugung in mir, daß auch ich die Fähigkeit zu großen und edlen Handlungen in mir habe. – Ach, warum sind Sie nicht in diesem Augenblicke bey mir! Warum sieht das geistreiche Auge meiner Mariane diese schöne Gegenstände nicht mit mir! – Ihre Gegenwart würde meine Freude erhöhen; meine Blicke begegneten den Ihren; Sie kennten den Werth der Thräne, die in meinem zum Himmel erhabenen Auge schwimmt! – Meine, mit Bewunderung des Schöpfers gefalteten
Wie angenehm, meine Mariane, wie sehr angenehm war mir der Schutz meines Lebens aus der redlichen Hand der Arbeitsamkeit! Ruhig, unbesorgt, setzten wir unsern Weg fort, weil wir unter der Obhut der Tugend und des Fleisses waren. Mit dankbarer Liebe und mit Segen sah' ich die Schnitter an, und dachte: so schaffen übende Tugenden die Menschen wechselsweise zu Schutzgeistern des Glücks und der Freude ihres Nächsten; so, wie man vom Laster sagen kann, daß es seine Untergebene durch Verführen und Quälen der Guten zu Satans macht. –
Wir kamen den andern Tag sehr frühzeitig hieher, wo mein Oheim mit dem Oberbeamten des Grafen von St**. etwas zu bereden hatte. Wir wurden zur Tafel geladen, und erhielten die schmeichelhaftesten Höflichkeitsbezeugungen. Es war mir lieb, daß Nachmittags der Graf mit so vieler Aufmerksamkeit den ernsthaften Geschäftshandlungen beywohnte, weil ich dadurch das Glück hatte, um
Vorgestern Abend konnte ich nichts als ein kleines Zetteichen an Sie schreiben, weil die Post und mein Oheim mir die Zeit vorsagten, wo ich fertig seyn mußte. Gestern aber machten wir schon verschiedene Bekanntschaften, die meinem Oheim bey seinen Aufträgen nöthig seyn werden. Von all diesen Leuten aber habe ich nichts, als die Gesichter und den Ton der Stimme kennen gelernt, weil, wie Sie wissen, Anfangs der angekommene Fremdling sich nur zu einer freundschaftlichen Aufnahme zu empfehlen, und der Einwohner ihm höfliche Anerbietungen zu machen sucht. Ich kann Ihnen also noch ganz gemächlich die Gedanken und Wünsche erzählen, die seit den zwey letzten Tagen der Reise in mir liegen. – Ein inniger Wunsch ist, daß man bey Erziehung der Kinder, besonders aber der Knaben die Kenntniß der physikalischen Welt niemals verabsäumen möge, weil diese Kenntniß den Genuß des Lebens verdoppelt, und Spatziergänge und Reisen um so viel nützlicher
Mein letztes Schreiben war klein, sagen Sie? – Ich fühlte es auch, meine Freundinn; aber, ich mußte abbrechen, weil ich mit meinem Oheim zu Gast essen mußte. Ich dachte aber nicht, daß der Verdruß, mich von Ihnen loszureissen, durch einen ganz eigenen Auftritt begleitet seyn würde.
Der Sohn des Hauses, wo wir assen, erzählte bey Tische seiner Schwester, daß sein schöner Freund St**. diesen Morgen von der alten Frau von B**. einen vergoldeten Becher zum Geschenk bekommen hätte. – Der Vater fragte nach der Ursache. – Es war Vorgestern früh, wegen des kleinen Regens, sehr übel die Berggasse hinunter zu gehen; die alte Frau von B**. wollte von ihrem Neffen nach Hause, und sorgte, sie möchte fallen, bat daher oben am Berge eine junge Magd, die im Hinuntergehen begriffen war, sie möchte sie mitnehmen und führen! Das unbesonnene Ding sagte ihr: alten Weibern
Er kommt doch zu uns in die Gesellschaft, fiel die Schwester ein. – Ich zweifle sehr! Aber sie kommt gewiß, denn sie will mit Dir über ihn lachen, besonders da sie gehört hat, daß die junge Magd, die er so wegschleuderte, ein artiges Gesichtchen wäre. – Gegen Abend kam die Gesellschaft; die Braut auch, welche eine von den niedlichsten weiblichen Figuren ist, die ich jemals gesehn habe. Gleich sing sie an, die Beschreibung des Auftritts zu machen; von den Runzeln und der braunen Gesichtsfarbe der alten Frau zu reden,
So schön als dieser St**. mag Antinoiis gewesen seyn, als er sich mit sechs und zwanzig Jahren der Miene des männlichen Alters näherte. – Er trat mit etwas ernsten Gesichtszügen gegen die Frau vom Hause, ohne dem Fräulein von A**. eine Antwort zu geben. Diese fuhr unbesonnen fort: Es fehle ihm nichts, als die Falten und die Warzen der Frau von B**, so würde er eben so knurrig aussehen, wie sie! – Aber, ohne seine Braut anzublicken, kam er zu mir, küßte meine Hand, und sagte mit Bewegung: »Ich danke Ihnen, mit aller Empfindsamkeit meines Herzens, für den Segen, mit welchem Ihr schöner Mund die Erfüllung einer meiner Pflichten belohnte.« –
Denken Sie sich, meine Mariane, mein Erstaunen und die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft, welche mein Oheim zu einer unmäßigen Höhe trieb, da er einfiel: »Gewiß, meine Rosalia hätte über eine schöne Handlung der Nächstenliebe niemals gespottet. –
Sagen Sie mir was über diesen kleinen Vorfall in der Liebeswelt! Der junge G**. war heut bey uns und versicherte, daß die ganze Heyrath aufgehoben wäre. St**. gäbe keinen Menschen mehr eine Sylbe Antwort, der vom Fräulein von A**. redete. –
Schönheit und Reichthum machen also auch Männer zu Stutzköpfen. Dennoch bekenne ich Ihnen, daß mir der Unmuth des von St**. sehr edel scheint. Denn auf was für einen andern Grund können wir daurende Liebe bauen, als auf übereinstimmende Neigungen?
Herr St**. unterbrach mein Schreiben. Der Mann ist wunderlich! er will mich und meinen Oheim überzeugen, daß der gestrige Tag hinreichend gewesen sey, ihm den ganzen Werth meines Charakters zu zeigen. – Ohne Zweifel denkt er dabey auch mir seine Verdienste bewiesen zu haben! – O, meine Mariane, wie froh würde ich seyn, von hier abzureisen, aber ich habe noch wenigstens drey Monathe hier auszudauren! –
Mein Oheim ist Heute sehr zeitig schlafen gegangen, weil er von dem Herumgehen in der Stadt gar müde geworden. Der Tag war schön, und unsere hiesige Freunde wollten, daß wir uns mit den Straßen und Gebäuden bekannt machen sollten. – Die vielen engen Gassen machten mich zu Herrn K**. sagen: daß die erste Anlage der Stadt von sehr nachbarlichen Leuten müssen gebaut worden seyn, weil sie die Häuser so fetzten, daß sie sich die Hände über die Straße reichen konnten. – Vielleicht, sagte er, geschah es auch, um die Gläser, bey einem alten deutschen Trunk, aus dem Fenster an einander zu stosen! –
Er führte uns in die Werkstätte von Künstlern, wo ich meinen herzlichen Antheil an der billigen Freude nahm, mit welcher ich sie, aus edler, gerechter Selbstzufriedenheit, auf die Geschöpfe ihrer Hand umherblicken sah. – Ich dachte, schätzbarer Mann, wie viel Vergnügen hat Dein Fleiß um Dich versammlet!
Es ist schön, meine Mariane, es ist gewiß sehr schön, wenn man die Gabe hat, sich Glück zu schaffen, da, wo andre nichts, als die gewöhnliche Lage des Hausstands sehen. – Gestern machte ich die Bekanntschaft einer Frau, welche diese Fähigkeit ganz besitzt, und ihre Unterredung mir der jungen Braut, so bey uns war, schien mir eine Anweisung zu seyn, wie man jedes Stück mühsam angebautes Feld mit einer Reihe ergötzender Blumen einfassen könne. – Die ganze Ordnung und Stärke der Gedanken kann ich Ihnen nicht wiederholen, nur einen Auszug, der sich mir stückweis einprägte. –
Nach den Glückwünschen, die Frau K**. dem artigen Mädchen gemacht, sagte diese halb ängstlich: »Ach, wenn ich hoffen könnte, in meinem Ehestande so munter und vergnügt zu seyn, wie Sie Madame, es sind!« – Das wird leicht seyn, mein Kind! Sie dürfen sich nur Ihre Verbindung als die Gelegenheit
Diesesmal, meine Freundinn, schreibe ich in vollem Zorn an Sie, über Schwätzer, die mich hinderten, zwey Stunden eher mit Ihnen zu reden! – Artige Sachen hatte ich gesammlet, und meine besten Ideen dazu gedacht. Mit der Feder in der Hand saß ich da, meinen Brief anzufangen! aber, da ich weg mußte, um die Leute zu unterhalten, die auf meinen Oheim warteten, so wurde alles zerstört; die feinsten Gedanken sind verschwunden! Ich bin, wie eine Person, die schöne Blumen gepflückt hatte, und just begriffen war, ihrer Freundinn ein Bouquet davon zu binden: jähling kommt ein böser Geist, und wirft einen Haufen Sand, Spreu und Geniste auf ihr Blumenkörbchen. Nach dem ersten Unmuth sucht sie das Zeug wegzuräumen; aber die meisten Blumen sind zerknickt, haben theils ihre schöne Form, theils Blätter und alle den frischen Glanz verlohren! Ist man da nicht böse, meine Mariane? Nun ists noch dazu Zeit, zu Tische zu gehen, und da höre ich gewiß
Nachmittags 4 Uhr.
Da! gewiß ist selten ein Mißvergnügen allein! Ich denke aber, das ist eine Folge der üblen Stimmung des Gemüths, in welche uns das Erste versetzte. – Ich komme mit meinem halb mürrischen Gesicht ins Speisezimmer, und fand wider mein Vermuthen einen Fremden, der der feinste Beobachter moralischer Charaktere seyn soll. Auf diesem muß der trockne widrige Ausdruck, der auf meiner Stirne saß, eine schöne Wirkung gemacht haben! – Denn die heitre Miene, die ich bey dem Anblick meines Oheims bekam, konnte ihn nicht anders denken lassen, als daß ich diesem zu Lieb die wahre Beschaffenheit meines Gemüths verberge, und es vielleicht aus eigennützigen Absichten, und nicht aus der feinen zärtlichen Sorge für sein Vergnügen thue. – Denn was für Ursachen kann ein gesundes hübsches Mädchen von zwanzig Jahren angeben, die ihr verdrüßliches Aussehen, beym Eintritt in das gesellschaftliche Zimmer, entschuldigten? zumal, wenn ihre Glücksumstände durch die Liebe
Herr L**. ist mit meinem Oheim und seinem Freund zu Besuch gegangen. – Er kommt wieder mit Ihnen nach Hause. Ich will Gelegenheit suchen, von meinem heutigen Gesicht zu reden! Dieser Mann soll nicht übel von mir denken, durchaus nicht; eher zehn Andre!
Abends 11 Uhr.
Ich bin mit mir ausgesöhnt! und Herr L**. hat mich gegen jede Besorgniß wegen seiner Gesinnungen gesichert.
Seit fünf Tagen habe ich Ihnen nicht geschrieben; bald, meine Mariane, möchte ich bey lebenden Leibe an eine Seelenwanderung glauben, und denken, daß die meinige diese Zeit über nicht bey mir war. – O, Gefälligkeit, wie viel Opfer foderst du! Bald von der Wahrheit unsrer Gedanken, bald von unsern Empfindungen; trügest du nicht die Farbe der Menschenliebe, so würde ich dich hassen!
Die Frauenzimmer im Hause, wo wir wohnen, haben mich in den Wirbel ihrer Bekanntschaften und Ergötzungen gezogen, ohne daß sie eigentlich wissen, was sie mit mir thun sollen. Das Vermögen meines Oheims, die in Deutschland so seltene Erscheinung eines reisenden Mädchens von meinem Stande, macht, glaube ich, daß mich die einen zeigen, und die andern sehen wollen; und ich, meine Mariane, bin schwach genug, meinem Widerwillen zu Trotz, Einladungen nachzugeben,
Mad. G**. hat die heiterste Gemüthsart, die ich jemals an einer Person meines Geschlechts gefunden habe. Verstand und viel Belesenheit. Aber, da Lustigkeit der Hauptzug ihres Charakters ist; so sind alle Wendungen ihrer Ideen drollig, und auch die Farben ihrer Beobachtungen bunt. – In dem Concert, wo eine große Menge sehr artiger Personen beyderley Geschlechts war, bemerkte ich noch einen sonderbaren Schwung, den sie manchmal ihren Gedanken giebt, indem sie mir diese Gesellschaft als das Schauspiel eines Wettstreits nennte, den die Phantasie der Mutter Natur und die Einbildungskraft ihrer Kinder gegen einander hielten: wo Erstere ihre Weisheit, Stärke und Gewalt, in Verschiedenheit der Gesichtszüge, Größe und Kleine der Gestalt, in Mannigfaltigkeit der Physiognomie und dem Ton der Stimmen bewiese –
Dieser Ton rührte mich; ich hörte ihr staunend zu, und antwortete ihr mit zärtlicher Achtung. – Sie erwiederte dieses mit einem Drücken meiner Hand, und sagte: Es freue sie, daß ich ihr Achtung beweise; sie liebte mich auch besonders, weil ich so viel Geist hätte, alles aufzufassen, und man keinen Gedanken bey mir verlöhre. – Hiemit scheuchte sie meine pünktliche Zärtlichkeit ein wenig zurück; aber ich wurde gleich wieder so billig,
Gefällt Ihnen diese Frau nicht auch, meine Mariane? Sie macht eine eigene Farbe im Character aus. – Ich werde einige Tage mit ihr aufs Land gehen, wo ich mit mehr Freyheit, in ganz reiner Luft, beim Gesang der Lerche, an meine Mariane denken und schreiben werde.
Wie vortreflich ist Ihr vor mir liegendes Schreiben! wie gütig Ihre Freundschaft für mich! Ich kann auch die ganze weibliche Welt aufbieten, um mir noch eine Mariane zu weisen! Mit was für einer schmeichelhaften Wendung sagen Sie mir, daß Sie sehr zufrieden sind, in acht Tagen keinen Brief von mir gesehen zu haben. So macht es die edle Liebe, die Freude, das Glück des Freundes wird dem eigenen vorgezogen. Es ist Ihnen lieb, sagen Sie, daß mein Kopf und Herz Beschäftigungen hatte, die mich hinderten, Ihre Abwesenheit zu fühlen, und meine Arme auszustrecken, um von allen Wesen allein Sie zu umschlingen; und gerne wollen Sie meine feurige Zärtlichkeit für Sie in gemäßigte Wärme verwandelt sehen, wenn ich zugleich gerechter und liebreicher gegen andre werde. O, Mariane! gerecht war ich just in dem Augenblick, da Sie den vorzüglichsten Theil meines Herzens und meiner Hochachtung erhielten! Fodern Sie mich nicht auf, gerecht
Ich muß in meinem Gespräch mit Mademoiselle G**, nachdem sie gesungen hatte, billig Signora fi. Ich redte gleich im Italienischen fort, und sie sagte sehr schön, sehr geläufig, alles Gute, was sie über meine Frage dachte. Wir vermutheten nicht, daß gleich hinter uns ein Fremder saß, der aus Venedig kam, und alles, was wir redeten, um so eher hörte, als es meistens von uns Deutschen geschieht, eine fremde Sprache stärker und lauter auszusprechen, als gewöhnlich die eigene. Ich sah wohl, daß, wie wir aufstunden, um die zweite Arie hören zu lassen, er ganz dienstfertig die zwey Stühle rückte, und seine Blicke mit Sehnsucht auf die schöne Blondine G**. heftete. – Aber nach dieser Arie ging Mademoiselle G** mit mir und ihrer Schwester auf und ab, und der Fremde verlohr sich. – Nach Endigung des Concerts, wie wir aus dem Gasthofe, wo es gehalten war, weggingen, stund er unter der Thüre, war sehr höflich, und sah uns nach. Das
Er entschuldigte seine Zudringlichkeit sehr artig und sagte: Er nennte sich S**, wäre ein Sohn des reichen Banquiers dieses Namens, und in der Absicht hierher gekommen, eine artige deutsche Frau zu holen. Er wäre eine Stunde vor dem Concert angelangt, und hätte es gleich mit Begierde angehört, wo er so glücklich gewesen wäre, nicht nur die schönste Stimme zu hören, sondern auch durch den Zufall einer Unterredung nahe gewesen zu seyn, in welcher das junge artige Frauenzimmer, so bey mir gesessen, den allervortreflichsten Charakter
Von dem Schlosse R**, wo Herr G** als Oberbeamter seine Wohnung hat.
Wir sind vor sechs Tagen hieher gekommen, um die Hochzeit der Mademoiselle G** zu feyern. Wenn alles, was der Zufall bey dieser Heyrath versammlete, Vorbedeutungen von dem Schicksal der nunmehrigen Madame S** sind: so kann sie auf glückliche Tage rechnen. Ihre Geschicklichkeit in der Musik, ihre vernünftige Unterredung mit mir, erwarb ihr die Neigung ihres Mannes. Das Zeugniß, welches ihre Freunde von der Tugend und Güte ihres Herzens gaben, befestigte seine Liebe. – Mein edler, vortreflicher Oheim war ihr Freywerber. – Einer der würdigsten Geistlichen segnete ihre Ehe ein, und während der Trauung sah ich so viel redliche Hände der Landleute für ihr Wohlergehen zum Himmel erhaben, daß mein Herz Wünsche that, dereinst meine Gelübde
Ich sagte der Neuvermählten, bey unserer Zurückkunft ins Haus, alle diese Anmerkungen, die auch einen angenehmen Eindruck auf sie zu machen schienen. Aber der tolle, unbesonnene Schmerz, der darauf entstund, verdrang das feine Bild moralischen Glücks, der häuslichen Liebe, so ich ihr vorgezeichnet hatte. – Es ist wahr, dieser Scherz machte auch die vorher weinende Frauen lachen; aber ich sagte doch in meiner Seele: Nein! so soll der feyerlichste Tag meines Lebens nicht entweihet werden! Der Tag, an welchem ich alle übrigen zu neuen Pflichten, nach den ewigen Gesetzen der Natur heilige, heiter und munter soll er vorbey gehen: aber, mit Koth soll man mein Brautkleid nicht bewerfen! – Diese jähe und so ganz rauhe Abänderung des
O, der schöne ländliche Auftritt, voll wahrer Liebe, den ich Ihnen beschreiben will, so wie er nach seinem ersten Eindruck in meiner Seele ist!
Heute kam ein verwittweter Becker aus dem benachbarten Orte zu Herrn G**, und bat, ihm bey der Oberherrschaft die Erlaubniß auszuwürken, daß er die Wittwe eines Weinschenken von R** heyrathen dürfte. – Herr G** sagt' ihm, es würde nicht seyn können; es wären schon mehrere Weinschenken und Becker da. Er hätte Befehl, eine gewisse Zahl zu halten, und würde deswegen die Schenke dieser Wittwe aufheben, da sie ohnehin verschuldet wäre. Hier traten dem guten Becker die Thränen in die Augen. Er flehte den Herrn Oberpfleger noch inständiger an. – Just wegen den Schulden möcht' ich sie haben, sagt' er. Hören Sie mich an! Ich war vor vier und zwanzig Jahren Beckerknecht bey der Wittwe ihren Vater; da war sie das schönste und bravste Mädchen, durch
Mich, Mariane, freute seine Begierde, ihr Gutes zu thun, ihre Schulden zu bezahlen und ihre alten Tage ruhig zu machen! – War nicht der ganze Gang seiner Leidenschaft schön? voll redlicher Zärtlichkeit, ob er sie schon nicht nach unsrer künstlichen Sprache ausdrückte? –
Herr G** sagte, dies wäre der zweite sonderbare Charakter, den er unter den hiesigen Landeinwohnern gefunden hätte, indem vor zwey Jahren, da ein jung verheyratheter Bauer, wegen eines großen Vergehens, auf vier Jahre zum Schanzen verurtheilt worden, sein noch ziemlich gerüsteter Vater gekommen wäre, und sich angeboten, die Strafe für seinen Sohn zu tragen, und zur Ursach anführte: Er hätte noch Kräfte genug, vier Jahre zu arbeiten, so daß die Herrschaft nichts verlöhre; stürbe er dann, so wäre alles vorbey,
Ich habe zwey moralische Scenen aus der Bauerwelt aufgezeichnet, deren Andenken der Zufall erhalten kann, wenn auch die verdorbene Sitten der Nachkommen die schöne Triebfedern dieser Auftritte auf lange Zeit zerstören sollten. –
Ich bin noch immer auf dem Lande, bey Herrn G**. Weil mein Oheim eine Reise von drey Wochen mit Hrn H** macht, so habe ich ihn gebeten, mich hier zu lassen, und dadurch Frau G** sehr erfreut, indem sie sich noch nicht in die Abwesenheit ihrer Schwester finden kann. Der Herr Pfarrer M** K**, einer der würdigsten Männer seines Standes, leistet uns oft Gesellschaft, und sein Umgang bereichert meine Seele. Durch ihn werde ich auch eine ganz besondere Person unsers Geschlechts kennen lernen. Frau G** hatte gestern Nachmittag zu schreiben, und ich bat Herrn M** K**, mit mir auf den alten Thurm des Schlosses zu steigen und mir die Ortschaften umher zu weisen. – Die Lage eines Weilers von ohngefähr sechs Bauerhäusern, und am Ende eines Fichten-Wäldchen, dünkte mich besonders schön, und er sagte mir, daß die Höfe zu seiner Pfarre gehörten, und daß ich Recht hätte, diesen Wohnplatz schön zu nennen, indem
Ich war äußerst aufmerksam und gerührt, denn ich hörte in alle dem den Gleichlaut des Tons meiner Art zu lieben. Dennoch sagte ich: Ach, warum konnte ihr edler Geist diese traurige Liebe nicht überwinden? – O, tadeln Sie sie nicht, sagte der würdige Mann, und fassen Sie das Ganze ihres Charakters zusammen. Ohne den hohen Grad feiner Empfindung würde ihre Seele nicht so edel, nicht so moralisch seyn, als sie ist. Ohne die Gabe des anhaltenden Fleißes und Festigkeit im Vorsatz, hätte sie die Stufe der Kenntnisse und Künste nicht erreichen können, die sie hat. Aber, eben die Triebfedern, welche diese Wirkungen in ihrem Verstande und Herzen hervorbrachten, mußten natürlicher Weise den Leidenschaften ihrer Seele die nehmliche Eigenschaften mittheilen. – Lächelnd setzte er hinzu: War nicht der eifrige Widerstand, den
Ich fühle, o meine Mariane, ich fühle tausend simpathetische Bande, die mich an Henriette v. Effen ziehen. In zwey Tagen will mich Herr M** K** hinführen. Ich bin diesen Nachmittag schon zweymal auf dem Thurm gewesen und habe nach ihrem Hause gesehen. Die Farbe der Fichten dünkt mich melancholischer und die ganze Gegend sanfter, als sie mir vor dieser Nachricht schienen; und, meine Freundinn, Erinnerungen, Nachdenken und Vergleichungen, machen, daß ich diesen Brief mit thränenden Augen schließe.
Ich komme von dem Fräulein von Effen. Noch ganz bewegt und mit thränendem Auge schreibe ich Ihnen, meine Mariane; aber, möge ich ja niemals den Mann sehen, der dieses Herz brechen konnte! – Doch, Sie werden lieber meine Erzählung, als meine Betrachtungen lesen wollen! –
Der Herr Pfarrer M** K** holte mich um halb acht Uhr ab. Ich war in Leinen, aber ganz nett angezogen. Während des Wegs wollte ich von Herrn M** K** unterrichtet seyn, welches die beste Art des Bezeigens bey dem Fräulein von Effen seyn würde? Er sagte mir aber, ich möchte nur meine Empfindung reden lassen! Es wäre bey diesem Frauenzimmer nicht, wie in der großen Welt, wo die aufrichtigste Hochachtung und die besten Gesinnungen des Herzens nicht allezeit geschätzt und beliebt seyn, weil da Menschen und Bekanntschaften so häufig abwechselten, sich verdrüngen und auslöschten, wie die Wellen einer unruhigen See. – Je näher
Der Herr M** K** und ich gingen den Fußsteig ganz still und trübsinnig hin. Auf dem Felde sah ich ihn an, und er fragte mich, wie mir Henriette gefiele? – Was für eine Frage, Herr M** K**? Mein ganzes Herz ist bey ihr geblieben. Aber, warum redeten Sie so wenig? warum kämpften Sie nicht gegen die düstre Anfälle der Schwermuth? – Gegen eine aufgebrachte Einbildung kämpfen, wäre eben so viel, als das Uebel mit Widerhaaken befestigen! Mein Schweigen und der ungestörte Gang ihrer jetzigen Empfindungen müssen sie zu heilen anfangen, oder es ist alles vergebens; ich habe nun über drey Jahre alle Mittel der Ueberredung und des Zuspruchs versucht. Meine Vorstellungen fanden eben so wenig Eingang, als Personen, die sie besuchen wollten. Ihre Bekanntschaft wird eine Aenderung hervorbringen. Der natürliche Hang zu zärtlichen Regungen, zu starken moralischen Zügen des Charakters, ist aufgeweckt; ich habe sie das
Vor ungefähr anderthalb Jahren, kam gegen Abend ein großer Mensch sehr langsam und mühselig an das Fichtenwäldchen, weil er das eine Bein nur schleppte. Da er das Fräulein und mich erblickte, setzte er sich, hob beyde Hände auf und rief: O, Herr Pfarrer, erbarmen Sie sich meiner! – Ich eilte zu ihm, und sah in seinem Gesicht jeden Zug des Schmerzens und der Redlichkeit. – Was fehlt Euch, mein Freund? – Er wies mir sein Bein, welches durch einen Fall, den er von
Sie denken wohl, meine Mariane, daß ich es versprach! aber, das Uebel liegt tief
Heute, meine edle, geliebte Mariane, habe ich gewiß die beste Freude meines Lebens genossen, die Freude über das Glück meines Nebenmenschen.
Ich war mit Madame G** bey ihrem Bruder F**, der ein ganz vortreflicher Mann von Geist und Herzen ist, dessen bisherige Beschäftigungen aber, so mühsam sie waren, so treu und eifrig er sie besorgte, seinem Glück noch keinen festen Standort geschafft hatten, und auch der Größe seiner Talente nicht ganz gemäß waren. Mancherley Auswege und Wendungen hatte er versucht, um die Erfüllung seiner Wünsche zu erhalten, aber jeder Anschlag mißlang, und die Niedergeschlagenheit fing an, sich seiner zu bemächtigen, um so mehr, als er einige Kinder um sich aufwachsen sah, zu deren Unterstützung er sich nicht vermögend genug dachte. – Ich nahm, wie Sie glauben werden, Antheil an dem Kummer des rechtschaffenen, nützlichen Mannes und des Familien-Vaters, ohne daß
Dieses Glück erhält er durch die Hand eines gerechten, edelmüthigen Freundes, den die Vorsicht bestimmte, dem wahren Verdienste die Hand zu reichen, und an die Stelle zu führen, wo der Bedrängte Schutz von ihm erhalten, und ein ganzer Staat die Freude genießen kann, daß ein tugendhafter Mann alle Kräfte seines Geistes und Lebens für das ihm anvertraute Amt verwendet. –
Hätten Sie doch, o! meine Mariane, das reizende Gemisch gesehen, das aus der so natürlichen Freude, über die Erhaltung des gesehnten Glücks, des Danks gegen die Vorsicht, der Liebe gegen den Landsherrn, und des Segens für den Freund, entstand! Hätten Sie auch die frohen Gelübde, und die Entwürfe eines edlen, für die Nebenmenschen nützlichen Gebrauchs der Gewalt, mit angehört! – Gott segne den vortreflichen Mann, der die Thräne der Freude über die Wange des besorgten
Wie glänzend erschien auch in diesem Augenblicke die eheliche und väterliche Liebe! – Eine gefühlvolle Frau, deren ganzer Stolz in dem Namen ihres Mannes liegt, drückte die Hand ihres Gatten an ihre Brust, und sagte mit so viel Zuversicht und Glauben an Tugend: »O! mein theurer geliebter Mann, wie sehr freue ich mich, Deine Talente in völliger Wirksamkeit zu sehen! – Wie viel Gutes wirst Du thun! wie viele Glückliche machen! – Alle Menschen, die ich erblicke, sind mir lieber, als sonst. Die Glücklichen und Vergnügten werden Zeugen von Deiner Rechtschaffenheit seyn, und die Leidenden von Dir getröstet und aufgerichtet werden! –« Was für eine Menge Gutes Du von mir denkst, meine Liebe! sagte er lächelnd. Auch wegen Dir, wegen Deiner Ruhe, bin ich froh! – Gegen seine Kinder wandte er sich, mit dem thränenden Auge und dem Tone der Seele eines treuen Vaters:
Würden Sie nicht, meine Freundinn, mit mir in Ihrem Herzen gesagt haben: Gott segne dich, Menschenfreund! wegen deines Vertrauens auf Gerechtigkeit und Güte deines Nächsten! – Wie liebte ich den Mann, der alles, was seine Nächstenliebe erkalten konnte, zurück stieß, und bey der Empfindung von Glück an nichts, als gute Thaten dachte! In mir erweckte er den Entschluß, der Idee von Feinden und Neidern niemals Platz zu geben, sondern mich zu befleißen, Freunde zu verdienen, weil gewiß der Tugendhafte
Herr Fr** fand die Gedanken seiner Frau ziemlich richtig; besonders den, von der Nachahmung, aus zwey Ursachen: weil Kinder ihre physikalischen Kräfte eher kennen und gebrauchen, als die moralischen, und, weil bey der Nachahmung der glückliche Genuß des freyen Willens wäre, welcher, bey Erlernung einer Vorschrift, nicht Statt habe. –
Frau G** hat keine Kinder, deswegen blieb sie bey diesem Theil der Unterredung etwas kalt, und Besuche verstörten sie ganz. Mir war es leid, denn ich liebe die Idee vom freyen Willen, und höre gern die verschiedene
Ich bin noch auf einen Tag in dem Hause des Herrn Fr**. – Vorgestern endigte ich meinen Brief an Sie mit dem freudigen Tone, den ich allezeit habe, wenn ich eine sonderbare Wohlthat des Himmels denke.
Sie wissen, meine Freundinn, wie sehr ich an dem Gedanken von edlen Beweggründen zu unsern Handlungen hafte, und daher die Dankbarkeit für genossenes Gute und die Liebe gegen meinen Schöpfer, allein zu Triebfedern meiner übenden Tugenden angenommen habe; und es freut mich, daß mein Herz gewöhnt ist, viel eher die Größe seiner Güte, als die von seiner Allmacht zu fühlen! Es ist mir daraus eine unerschöpfliche Quelle von unzerstörbarer Glückseligkeit entstanden, deren Genuß kein Zufall dieses Lebens in mir verhindern kann. Denn gewiß ist einmal, daß kein Augenblick unsers Daseyns kommt und da ist, in welchem wir nicht die Eigenschaften unsers Geistes oder unsers Herzens gebrauchen können.
Oft schon habe ich in Gesellschaften von dem freyen Willen des Menschen auf mancherley Weise reden gehört, oft schon ist sein Bild von großen Männern auf allen Seiten betrachtet und vorgestellt worden; so, daß ich weder den Sinn, noch die Kräfte haben kann, mich auf ihre Weise über diesen Theil unserer moralischen Welt auszudrücken; tiefes Denken und Urtheilen ist ohnehin meine Sache nicht; ich rede allein nach dem Gefühl meiner weiblichen Seele, mit meiner vertrauten Mariane.
Freyheit zu thun und zu lassen, ist, nach meiner Ueberzeugung, daß größte Glück dieser Erde; sonst würde die liebreiche Hand
Aus eigener Neigung das Gute zu thun, würden wir durch eine geheime Obermacht dazu geführt, so wären wir gut; aber gewiß nicht so glücklich, als durch den Gedanken der freyen Wahl. Für mich ist der Standort, auf welchem ich Gutes oder Böses wählen kann, die Annäherung des Genusses der höchsten Glückseligkeit. –
Sie, meine Mariane, und jede schöne Seele wird das Zeugniß geben können, daß jeder gute Entschluß, jede gute Handlung mit einem Gefühl voll Seligkeit begleitet ist, aus welchem das edle Sprichwort entsprungen seyn muß: daß die Tugend ihre eigene Belohnung in sich trage. Denn, was ist der Beyfall der ganzen Erde, gegen das innere Gefühl von Seligkeit bey einer edlen That? die nicht edel genannt werden könnte, wenn ich nicht in dem nemlichen Augenblick auch hätte niederträchtig handeln können! – O, ich kenne den Werth dieses innern Zeugnisses
Ich sahe, meine Freundinn, daß ich mich an einen wichtigen Gegenstand wagte, und sagte Herrn Fr**, er wäre Ursache an einer Art verwegenen Unternehmung meiner Feder, 1
fühlte, daß eben diese Güte den Mißbrauch des ganz freyen Willens sah, und ihn deswegen mit der Eigenliebe umwand, die uns durch Betrachtung der Folgen unserer Thaten vom Bösen zurückhalten und zum Guten ziehen sollte. Ich sagte meinen Kindern selbst auch, ihr habt die freye Wahl, gute oder böse Kinder zu seyn; aber ich lasse sie sorgfältig die Folgen ihrer Wahl empfinden, um sie die zweyte Wohlthat des Himmels, die Sorgfalt der Eigenliebe, recht gut gebrauchen zu lehren. Am allerempfindlichsten aber schärfe ich die schmerzhaften Folgen,
Finden Sie, meine Mariane, diesen Mann nicht in allen Fällen recht schätzbar? Möge doch der gute Saame des Beyspiels und Unterrichts Wurzel in den Seelen seiner Kinder fassen! so werden fünf vortrefliche Menschen mehr in der Welt seyn. –
Mariane! dieses Haus ist für mich seit vier Tagen eine moralische Schule geworden. Wie wenig kannte ich die Empfindungen von Seligkeit, die mich in der Familie der Madame G** erwarteten, als ich, bey dem Anfang ihrer Bekanntschaft, über die Zeit murrete, die ich ihrer Gesellschaft widmen mußte! Vorgestern glaubte ich den schönsten Auftritt gesehen zu haben, da ich die Freude der Tugend über das verdiente und erhaltene Glück in ihrem vollen Maaße betrachtet hatte; aber, wie übertreffend war die heutige Scene, da ich der Vorsicht mit der Bewegung des Entzückens für die Gewalt danken hörte, die man fand, einem Feinde Vergnügen zu machen! Der Zufall gab Herrn Fr** eine Gelegenheit, dem allernächsten Verwandten seines größten Widersachers einen wichtigen Dienst zu leisten. Er hätte es durch schöne Gründe ablehnen können. Schwierigkeiten waren auch genug da; aber ich sah ihn seine Hände falten, und mit der eindringenden
Das Kind, so alles gehört hatte, fragte: »Papa, ist es denn eine so große Freude, seinem Feinde Gutes zu thun?« – »Ja, mein Sohn, es ist die größte Freude meines Lebens. Ich bin sicher, daß ihr Andenken die letzte Stunde meines Daseyns erheitern wird, wenn schon die Erinnerung vieles andern Vergnügens lange aus meinem Gedächtniß seyn muß.« – Madame G** fing wieder an, von seinen erlittenen Verdrüßlichkeiten zu reden, und sie her zu erzählen. – »Laß dieses, meine geliebte Schwester, ich sehe Deine ganze antheilnehmende Liebe in Deinem Eifer; aber, das gegenwärtige Gute muß die Spuren des vergangnen Bösen verlöschen. Wie klein ist die Summe meines Grames, gegen die unvermischte Freude, die ich wirklich genieße! Störe sie nicht, und laß mich wünschen, daß der widriggesinnte Mann eben so vollkommen vergessen möge, daß er mir Uebels that, als ich es vergessen werde, und o möchte er mich einst lieben können, wie ich ihn!« –
Ich hatte nach dem langsamen Einschlürfen meiner Tasse Coffee mein Strickzeug genommen und still gearbeitet, während Herr Fr** und seine Schwester mit einander sprachen; aber manchmal erhob ich meinen Kopf, um den Ausdruck seiner Physiognomie zu beobachten. Er hatte es bemerkt; denn nach den letzten Worten gegen Frau G** näherte er sich mir, und sagte: »Den Beyfall Ihrer Seele habe ich in den Blicken gesehen, die Sie mir gönnten. Diese Blicke werden einst
Meine Mariane! wir sind zurückgekommen, und ich war jetzo zwey Tage bey Henrietten. – Ach, sie stirbt! Diese edle, schöne Seele wird uns entzogen. Sie hatte Recht! Freudige Bewegungen sind ihr nun eben so schädlich, als traurige – Sie hat mir ihr ganzes Herz geöfnet. – Eine doppelte Wunde ist ihr Tod. – Herr M**, lebhaft in Geist und Willen, fing mit den Beweisen seiner Leidenschaft an; gefiel, wurde geliebt, und daß so innig, daß niemand anders so viele Aufmerksamkeit erhielt, als nöthig gewesen wäre, die wahre Liebe des Herzens von den Aufwallungen eines vorübergehenden Geschmacks zu unterscheiden. M** war schön, voll Verstand und artigen Wesens. Witz und Feuer war in seinen Ausdrücken der Liebe. Ihre ganze Seele heftete sich an ihn. Damals stund sie noch unter der Gewalt eines Oheims, der die Heyrath nicht zugeben wollte, bis Herr v. M** einen anständigen Rang hätte. Ihre Zärtlichkeit war stark genug,Amo te Solo ganz für mich?« – »Gewiß, mein M**, um so mehr als mein Oheim heut früh die Einwilligung zu unserer Vermählung gab.« – Von M** ergoß sich in freudigen Ausrufungen, und von T** war wie vom Donner gerührt; kaum mächtig genug, von seinem Stuhle zu dem Fräulein zu gehen; zitternd ergriff er ihre Hand, küßte sie: »Angebetete Hand! Du bist mir entzogen!« – Mit einer heftigen Wendung umarmte er den von M**: »O, mein Vetter! verdiene Dem Glück!« – Hiemit eilte er aus dem Zimmer und Hause, ging in das seinige, und war in zwo Stunden aus S** – Henriette war betroffen und gerührt. »Lieber M**, was ist das? Warum haben Sie den guten von T** mitgebracht? Warum liessen Sie mich vor ihm reden und singen?« – »Verzeihen Sie, mein Engel! Aber, ich wollte Ihren und seinen Eigensinn ein wenig umführen. Er wollte niemals verliebt werden, und Sie für niemand mehr liebreizend seyn! Nun ist seine Kälte überwunden, und Sie haben einen Anbeter
Henriette hatte anders gerechnet. Sie gestund ihm zu, daß, wenn die Freyertage noch lange dauern sollten, und er keine Pflichten zum Beytrag des gemeinen Besten zu erfüllen hätte, möchte es wahr seyn. Sie wäre auch gelehrt worden, daß es schwer sey, ein männliches Herz ganz zu fesseln, deswegen hätte sie gesucht, Kenntnisse und Empfindungen in einem gewissen Grade von Vollkommenheit zu besitzen, um neben dem ermüdenden Genießender
Alles dies wußte Herr M** K** nicht, und lange nach dieser Unruh war sie unglücklich, und nur ihre abnehmende Gesundheit ihr Trost.
Zwey ganzer Tage sammlete ich an diesen abgesetzten Stücken; denn sie war oft zum Fortreden zu matt, oft durch Thränen unterbrochen, aber einnehmend in dem ganzen Gespräch. Bey Erinnerung des unedlen Verfahrens von M** richtete sie sich auf, und sah voll Würde um sich. – Der Name v. T** gab ihr eine feine Röthe, und in Thränen glänzende Augen. Oft lehnte sie sich auf meine Brust,
Mariane! ach, meine Thränen werden die Hälfte dieses Briefs auslöschen! – Ich komme von Henriettens Krankenbette. Der Pfarrer, M** K**, ist bey Herrn v. T** dessen stummer Schmerz jede Kraft seiner Seele zernagt.
Zehn Tage lang war ich mit Madame G** in H**. Ich verließ das Fräulein von Effen ziemlich wohl, und auch mit einer Art Genusses von Glück, weil sie einen ganzen Band ihrer Kräutersammlung zu ordnen hatte, und drey arme Jungen zu Handwerkern aufdingen ließ, wofür sie Kost- und Lehrgeld zahlte, und in ihrem Hause die kleine Aussteuer an Kleidung für zwo Mädchen gemacht wurde, die sie in die Stadt als Mägde anbringen wollte. Freylich war sie erstaunlich matt, und konnte die etlichen Tage, da ich bey ihr war, nur mit Mühe, von mir und ihrer Jungfer geführt, in ihrem Garten herum gehen, wo sie doch allezeit beym Untergange der Sonne seyn wollte, und süßer
Die edle, die liebenswürdige Henriette ist nun in den Armen der ewigen Ruhe! Und ich, meine Mariane, winde mich um das Andenken jedes Augenblicks, den ich bey ihr zubrachte, sie handeln sah, reden hörte, und ihrer Liebe genoß. Die Wiederholung alles dessen, was ihre letzten Tage bezeichnete, ist der süsseste Trost, den ich mir geben kann. Hören Sie mich also noch alles erzählen, was seit meinem vorigen Briefe geschah.
Ich setzte mich an Henriettens Bette, wo ich mit gepreßtem Herzen, bald sie, bald den Arzt ansahe, um auf dessen Gesicht meine Hofnung, oder meine Furcht zu lesen. Seine tiefsinnigen Blicke und das jeweilige Schütteln seines Kopfs sagte mir alles. Ich ließ daher meinen Thränen freyen Lauf, so, wie ihre Jungfer, die am Bett kniete. – Endlich öfnete sie die Augen, und schwach, anfangs kaum verständlich, sagte sie: »Liebe Rosalia! und du, meine gute, treue Liese! kümmert Euch nicht, ich werde glücklich –
Sie liegt neben den Ueberbleibseln einer kleinen alten Capelle, am Ende des Dorfs, wo sie schon vor zwey Jahren, ohne daß man ihre Absicht wußte, auf die Seite gegen das Feld, ein halb rundes Dach, auf fünf schöne steinerne Säulen gestützt, hatte bauen lassen. Auf beyden Seiten der mittlern Säule ist es offen zum Eingang. Zwischen den andern aber, Bänke von Stein, wo sie oft hinging, sich setzte, und mit den Feldarbeitern sprach. Ein großer Stein deckt ihre Gruft, auf dem nichts steht als:
Ruhestätte
von
Henrietten von Effen,
24 Jahr alt.
In ihrem letzten Willen erhält die Tochter des Herrn von T** all ihren Schmuck, Silber und Effenhofen; der Herr von M** eine schwere goldene Dose, zum Denkzeichen ihrer Versöhnung; und das übrige Vermögen
Der Herr von T** will hier wohnen. Wenn er es thut, so lebt er nicht lange, denn alles nährt seinen endlosen Kummer. Er will in ihrem Zimmer wohnen, ihre Betten, alle ihre Möblen haben, ihr Messerzeug. – Er betete sie an, und ihr letzter Athemzug war das Bekenntniß ihrer Liebe für ihn! Morgen geht er weg, und Herr M** K** mit ihm.
Wie lange ist dieser Brief! Aber es war der letzte Auftritt, der ganz meine Seele erfüllte!
Gestern ist der Herr von T** mit dem Pfarrer M** K** abgereiset. Er hatte sich bey Letzterm besonders nach mir erkundiget. Weil ich Henrietten so theuer gewesen, sagte er, müsse ich eine vortrefliche Person seyn. Herr M** K** gab ihm alle Nachrichten, und auch die, daß ich durch den Briefwechsel mit einer edlen Freundinn bewogen worden, eine genaue Beschreibung von allem zu machen, was sich seit meiner Bekanntschaft mir Henrietten zugetragen habe. – Urtheilen Sie, Mariane, wie begierig der gute Herr v. T** auf diese Papiere wurde! Es war mir auch unmöglich, ihm die Abschriften zu versagen. Er will sie seiner Gemahlinn weisen, bey welcher die so auffallende schönen Züge von Henriettens edler Seele, nicht nur eine Schutzschrift für seine daurende Liebe seyn würde, sondern auch zu einer Belohnung ihrer Großmuth dienen könnte, da sie selbst ihm die Reise zu Henrietten vorgeschlagen habe.
Er hätte noch einige Tage gegen diese Reise gekämpft und sich auch aufgemuntert; theils, um seine Gemahlinn zu beruhigen, theils auch wäre ihm in Wahrheit nach Eröfnung seines leidenden Herzens leichter gewesen; seine Gemahlinn wäre dadurch in alle heilige Rechte einer Freundinn getreten, auf deren Seele er die seinige stützte; sie hätte ihn über acht Tage lang gehen lassen, ihn aber genau beobachtet;
Er versprach es ihrer großmüthigen Liebe, und ging weg. Da er einen leichten Wagen hatte und überall sechs bestellte Pferde antraf, so konnte er den zweyten Tag so zeitig in Effenhofen seyn. Er schickte ihr den andern Morgen einen eigenen Boden zu Pferde, und meldete ihr die hofnungslosen Umstände der Gesundheit des Fräuleins. – In der Antwort der Frau von T** liegen alle Züge einer vortreflichen Seele. Sie dankte ihm, daß er nach Effenhofen gereiset sey, und sie hofte bessere Nachrichten; bat ihn auch, alles Mögliche beyzutragen, das verwundete Gemüth des lieben Fräuleins zu heilen. Aber, diese Bitte kam zu der Zeit, wo die edle Henriette schon über alle menschliche Leiden und Hülfe
Wie viel, theure Mariane! wie viel habe ich Ihnen zu danken, da Sie mich so liebreich bey der Hand fassen, und mich mein Leben geniessen lehren! – Es dünkt mich auch, ich könne Sie versichern, daß Sie mich niemals mehr werden murren hören, wenn die Hand des Schicksals mir, anstatt des verlangten Guten, ein andres hinlegt. – Ich will nicht mehr, wie ein eigensinniges Kind, es von mir stoßen, sondern mit gelassenem Dank es annehmen und genießen. – Sie sollen aber doch auch wissen, was mich bey Ihrem gütigen Rath am meisten erfreute, was mich am stärksten lockte, ihm zu folgen. –
Sie wiederholten meine Klagen über die Entfernung von Ihnen und von meiner gewöhnten Eintheilung der Tage und ihrer Verwendung. Sie sagten: »Wenn ich Rosalia L** mit dem feinen Gefühle der Seele wäre, so würde ich wie sie, jedes genossene Gute, jede Freude der verflossenen Tage, das Bild meiner Freunde, und den Ort, wo ich
Ich fühlte, daß Sie gerechter sind, als ich. Meine, gegen die hiesigen Einwohner gehegte Gleichgültigkeit war mir leid. Ich nahm mir vor, billig zu seyn, und meine Liebe, meine ewig vorzügliche Hochachtung für Mariane, unterstützte diesen Vorsatz weil ich mich freute, Etwas zu thun, was Sie an meiner Stelle thun würden. O, wie unschätzbar ist der Werth der Tugend derer, die wir lieben, weil man die Neigungen des geliebten Gegenstandes so gerne annimmt! Ich habe würklich heute Blumen gepflückt, von deren Saamen ich auch bey uns auszustreuen suchen werde. Es gehr die Ausbreitung der
Es ist hier gewöhnlich, daß Männer, Frauen und junge Personen, jedes eine abgesonderte Gesellschaft halten. Sie kommen aber nicht öfter, als alle Woche einen Tag zusammen, und zwar immer wechselsweise von einem Hause um das andre. Diese Verbindungen nennen sie von langen Zeiten her, einen Freund schafts-Kranz, und den Tag der Zusammenkunft, den Kränzeltag. Eine Verwandtinn von Frau R** hat mich heute, da die Reihe an ihr war, dazu eingeladen und mir die Beschreibung ihrer Gesetze gemacht.
Jeden Donnerstag kommen sie mit ihrer Arbeit, Nachmittags um drey Uhr, artig geputzt, zusammen; trinken eine Tasse Coffee, aber nicht heiß, weil heißer Coffee der Schönheit und Reinlichkeit der Gesichtsfarbe schadet. Nach diesem geben sie einige Teller mit Obst und Confect. Von dem Letztern muß aber allezeit etwas von der Kranzgeberinn selbst gemacht
Das Kränzchen bestund vor einiger Zeit aus neun jungen Frauenzimmern, die mindeste Schöne war die Reichste, und saß einst bey ihrer vertrautesten Freundinn, als junge Herren kamen. Einer von ihnen bemerkte, daß er von diesen beyden betrachtet wurde, und sie von ihm redeten, und lag der einen so lange mit Bitten an, bis sie ihm gestund, daß Mademoiselle F** ihr gesagt: »Sie wisse, daß sie niemals wegen ihrer Person könnte geliebt werden, und daß man sie nur wegen ihres Vermögens suchen würde. Sie wünschte daher nur, mit ihrem Reichthum das Glück eines würdigen Mannes zu machen; zum Beyspiel, des rechtschaffenen jungen K**, den sein Oheim das wenige Gute, das er ihm bewieß, so theuer erkaufen ließe; und es würde ihre größte Freude
Herr K** ward durch diese Edelmüthigkeit gerührt; von der Einwilligung des jungen Frauenzimmers versichert, suchte er um sie an, erhielt sie, und würde durch seine Dankbarkeit und ihre zärtliche Liebe lange glücklich gewesen seyn, wenn er sie nicht in dem ersten Wochenbette verlohren hätte, wo sie nach dem Tod ihres Kindes nicht um Hülfe gegen ihre Schmerzen, sondern allein um die Zeit bat, ihr Testament zu machen, um ihrem geliebten Gatten ihr Vermögen, als das allein überbleibende Zeugniß ihrer Zärtlichkeit, zu versichern, und er dadurch in den Stand gesetzt würde, eine schöne liebenswürdige Frau nach seinem Herzen zu wählen, und durch ihren Besitz für alle die feine Achtung belohnt zu werden, die er ihr bewiesen hätte. – War dieß nicht eine schöne Seele, meine Mariane?
Hier gleich, in einem Athem, sollen Sie die erst letzthin vorgegangne kleine Geschichte dieser Mädchenwelt anhören. – Der Kränzeltag traf in ein Haus, wo ein schöner Garten ist, und also die Frauenzimmer zum Herumspatzieren gelockt wurden. In dem Hause eines Nachbarn der den ganzen Garten übersehen konnte, war den Tag vorher ein Freund angelangt, der sich mit dem Hausherrn belustigte, von Ferne dem Getändel und den Bewegungen der acht artigen Mädchen zuzusehen, als sie im Garten Saale ihren Coffee tranken und Etwas weniges arbeiteten. Wie sie aber aufstunden, bemerkte er eine sehr schön gewachsene muntere Brünette, die im Austreten aus dem Saale ein Buch aus der Tasche zog, darin blätterte, und auf einen Rosenstrauch zuging, bey dem sie sich gegen ihre, ihr folgenden Gespielinnen wandte, und ihnen, mit vielem Ausdruck in ihrem Gesicht, etwas vorlas; und nachdem sie alle sehr zufrieden darüber geschienen, redete sie etwas mit dem Frauenzimmer,
Die beyden Herren kamen auch, mit dem Herrn und der Frau des Gartens, und machten dem Mädchen höfliche, aber stille Verbeugungen; nur Herr B**, welcher dem
Sie hatte aber die Wendelblume selbst darum gewunden, und dies ging den Bräutigam von Helenen an. – Nun blieben lauter Blumenknospen übrig, wo sie zu einer artigen Blondine sich stellte: »Liebe Baase, unsere Verdienste und unser Glück sind noch im Blühen, aber sprossen thun sie doch!« –
Der Fremde hatte nicht einen Blick von ihr gewandt, sie immer von Kopf zu Füßen betrachtet,
»Ich bin der einzige Sohn des besten und geliebtesten Freundes vom Herrn von U**. Sie hatten einen Vertrag gemacht, ihre zwey ältesten Kinder mit einander zu verbinden. Aber ich wußte nichts davon, als bis ich nach meines Vaters jähem Tode von der Universität nach Hause gerufen ward, und unter seinen Papieren den Aufsatz und Juliens Namen fand. Ich wurde da freylich, wegen meiner geheimen Heyrath, zu der ich durch unzählige List gebracht worden, etwas betreten, weil ich glaubte, meinen Vater doppelt betrogen zu haben. Meine Frau und ihre Verwandte waren mir zuwider. Ich ließ sie doch in meine Vaterstadt kommen, wo ich ihr genugsames Auskommen angewiesen, und mir etliche Jahre zu reisen vornahm. Ich ging zuerst nach Italien, weil ich hier meinen Weg durchnehmen mußte, und auf die Gelegenheit zählte, die mir zugedachte
Julie war still, aber sie bedauerte ihn mit ihren Blicken. Er schwieg auch; Thränen füllten seine Augen; hundertmal küßte er ihre Hände. »Ein würdiger, ein sehr würdiger Mann soll Sie glücklich machen! – Sagen Sie nur, hätten Sie mich leiden können? Würden Sie mich von der Hand Ihres und meines Vaters angenommen haben? Liebenswürdige Julie, sagen Sie mirs! Es ist alles, alles Glück, was ich hoffen kann!« – Verwirrt, äußerst erröthend sagte Julie: »Ich glaube, ich würde ohne Widerwillen gehorcht haben!« – Er küßte ihre Hand zum Dank, redete aber nichts mehr; riß etliche Blätter der
Herr von U** bestätigte die Wahrheit des Vertrags mit seinem verstorbenen Freunde, der Julien als ein artiges viel versprechendes Mädchen von eilf Jahren gesehen, und sie seinem Sohn bestimmt hätte. Alle bedauerten den schönen jungen Mann, und Julie selbst wünschte, daß er ihr möchte ganz eigen geworden seyn. –
War dies nicht, meine Mariane, ein ganz einnehmender Auftritt? Ich hätte mögen dabey seyn! Wie oft, meine Liebe, wie oft geschieht es, daß wir mit einem unüberlegten Schritt den Keim unserer künftigen Glückseligkeit zertreten,
Mariane! Ich war Heut in einer großen Gesellschaft. Männer, viele Männer, im eigentlichen Verstande genommen, waren da; manche wichtige Gegenstände der Unterredungen kamen zum Vorschein; alle wurden flüchtig behandelt, nur bey dem von der Religion blieben sie am längsten stehen. Billig wäre es, das Nöthigste und Beste am längsten zu betrachten; aber, meine Liebe! die Art, mit der etliche von den Männern von einigen Theilen der Religion redeten, war nicht gut! besonders schmerzte mich, daß gerade in Gegenwart der Hausbedienten solche Stücke berührt wurden, auf die sie nothwendig aufmerksam werden mußten. Der Mann, so davon redete, sprach mit dem Ton des Wissens und der Ueberzeugung. Ein Paar andere, die auch Anspruch an Scharfsinn haben, fielen ihm bey; der Hausherr war still, und natürlicher Weise sprachen die Frauenzimmer hier nicht mit. Meine Seele war ruhig, weil, dem Himmel sey Dank! meine
Möge dieses in alle meine Thaten des Lebens verwebt, und am Ende meiner Tage das, Zeugniß seyn, mit welchem ich den letzten Blick auf meinen Nebenmenschen, und den ersten in die Ewigkeit thun werde! –
Könnte ich, o meine Mariane, nach dem Verluste der edlen Henriette noch jemand so sehr lieben, als ich Sie liebte, so hätte ich hier eine weibliche Seele gefunden, die mich anziehen würde.
Madame G** führte mich in eine große Gesellschaft, und sobald sie mich der Frau vom Hause vorgestellt hatte, sagte diese mit einer Art Zischerey: »Wissen Sie, daß ich Heute so glücklich seyn werde, die seltene Madame D** bey mir zu sehen? Vielleicht kommt sie nur, weil sie weiß, daß Sie da sind; aber ich werde sie doch auch besitzen.« – Madame G** sagte nichts »darauf; wandte sich aber zu mir, und sagte: Sie werden Madame D**, meine liebste Freundinn, und eine sehr schätzbare Frau sehen, auf die ich Sie bitte, aufmerksam zu seyn, denn ich will Ihnen von ihrem Charakter erzählen.«
Es kam eine ziemlich große, wohlgewachsene Frau, von vier und dreyßig Jahren, von
Dieses und die Zärtlichkeit, mit welcher sie die Madame G** umarmte, zeigte mir eine traurige Leidenschaft; und ich sagte nach dem Essen zu Madame G**, was ich alles gehört, und jenes, was ich bemerkt hätte. –
Mylord Arundel, ein edler junger Mann, der unter dem Druck einer harten widersinnigen Erziehung die feine Empfindsamkeit seines Herzens für jede Schönheit der Tugend, und den aufkeimenden Scharfsinn seines Geists für das Edle und Große der Wissenschaften, ganz im Verborgenen nähren und erhalten mußte, weil er niemand um sich sah, der als liebreicher, geschickter Anleiter, oder als Gefährte, den schönen Pfad der Kenntnisse mit ihm in die Höhe steigen wollte. Aber, mit desto festerm Schritt ging er alleine. Ohne fremde Stütze war er verbunden, seine eigene Kräfte um so mehr hervor zu suchen, zu üben, und zu gebrauchen. Ein Nutzen, der ihn an alles Leiden seiner Jugendjahre mit Segen erinnert, weil er überzeugt ist, daß eine fremde Hand die ersten Funken seines Genies entweder ersticken, oder zu einem wilden Feuer hätte treiben können. Mit der Ruhe der Sanftmuth
Eines Tages kam er, in der Hülle seiner Gedanken verwickelt, unvermerkt über drey Stunden von seinem Wohnsitz hinweg, als er, durch einen Rogenwind und die fallende Wassertropfen zu sich gerufen, um sich sah, und in einer ihm nicht sehr bekannten Ebene keinen Schutzort vor sich fand, als das in einer Entfernung an dem Ende einer Gartenmauer weit hervorragende Dach eines Chinesischen Sommerhauses. Dorthin eilte er, um sich etwas trocken zu erhalten. Die Fensterladen gegen die Seite, wo er herkam, waren zugeschlossen, weil eben der Wind den Regen dahin trieb. Er stellte sich auch auf die andere Ecke, und hörte da verschiedene Personen in dem Sommerhause mit einander sprechen. Die meisten waren über den Regen mißvergnügt, weil er einen abgeredten Spatziergang verhinderte. Eine sanfte Frauenzimmerstimme aber, nahe am Fenster, fing an von dem Vergnügen zu reden, das sie über die freye Aussicht der Gegend, und der sich sammelnden und nähernden Regenwolken empfunden habe. Sie setzte hinzu, es dünke sie, an ihrem Herzen einen
Sein Umgang, die Erzählung von seinen Reisen, von der Verwendung seiner Tage, mit so viel Bescheidenheit er sie machte, gaben der guten Lady Emma mit dem Gedanken, du edler würdiger Mann! auch zugleich das volle Maaß »ewiger tugendhafter Liebe« für den Mann ihrer Seele. – Jeder Reiz ihrer Person, jeder Zug von Geist, jede edle Eigenschaft ihres Herzens schien, durch den Hauch der Liebe belebt, in einem neuen Glanze zu stehen.
Mylord Arundel widersetzte sich dem anziehenden Vergnügen, so er in ihrem Umgang fand, gar nicht; doch sah sein Beobachtungsgeist
Hier ließ Lady Emma die ganze edle Figur ihres Arundel mahlen, wie er mitten unter zertrümmerten Stücken der größten Baukunst, die fein gearbeiteten Cypressen-Gewinde eines Aschenkrugs, mit dem tiefen Gefühle der Vergänglichkeit betrachtete. Der Lady Bild neben ihm, wie sie mit dem höchsten Ausdruck
Ich bin etwas traurig, meine Freundinn. Die zwey Damen G** und D** haben mich beynah überzeugt, daß das Bild der glücklichen edlen Liebe ein Traum sey, und daß sich kein Mann fände, der die Stärke der Zärtlichkeit einer Emma, oder einer Madame D** lieben würde.
Also, meine Damen! ist der Charakter eines Arundel Traum? während daß der von einer Lady Emma Wahrheit ist? Die Eigenliebe und Eitelkeit der Männer ist also ein viel niederträchtigeres elenderes Ding, als die unsrige? Und du, ehrwürdige Vorstellung des geistvollen, edlen, moralisch-empfindsamen Manns, du bist nichts, als Schattenbild, das meine gute Phantasie erschuf? – Könnte ich es so ganz glauben, meine Mariane, so möchte ich, auf Henriettens Grab gelehnt, heute noch meine von diesem Ideal erfüllte Seele ausweinen; denn ich kann nicht halb lieben, nicht zur Hälfte hochachten. – Das Beste, was wir Menschen dem Himmel
»Und meine D** hat sehr gut gesprochen,« fiel Madame G** ein. »Denn, wenn man Euch beyde recht nahe besieht, so seyd Ihr freylich bewundrungswerthe Frauenzimmer: aber, just diese Bewundrung hindert den Anfall der Liebe. – Ihr fordert Tribut; Ihr laßt niemand die Freude, Euch Etwas zu schenken. Meine D** da, hätte gewiß die Wagschaale bey C** übergezogen, wenn sie nicht zu stolz gewesen wäre, sich der S** gegenüber, mit Etwas Gefälligkeit zu wägen.«
»Ach, meine Liebe, Herr C** kannte meine gute Seite schon, und es ist sicher, in dem Augenblick, wo eine S** gefällt, ist es nicht mehr möglich, daß ich Etwas erhalte!«
»Und warum nicht? Hätte nur Ihre eigensinnige Feinheit nicht vergessen, daß der weiseste, edelste Mann auch Mensch ist; und daß in den Augenblicken, wo dieses Gefühl
»O, Sie muthwilliges Geschöpf!« sagte Frau D** »Liebäugeln, meinen Fuß zeigen sollte ich, um das Herz zu erhalten, das ich damals zu beleidigen gedacht haben würde, wenn ich dieses als einen Weg dazu angesehen hätte? – Wenn ihn die S** glücklich macht, – ach, möge er es seyn! Der höchste Grad weiblicher Eitelkeit muß durch die Erfahrung dieses Mannes einen glücklichen Stolz empfinden. – Sie spielt mit ihm! Ich würde ihn als das größte Geschenk der Vorsicht mit Anbetung geliebt haben. – Nun ist es anders! aber ich werde nie aufhören, meine traurige Zärtlichkeit für ihn zu nähren! – Seine Liebe hätte mich glücklich gemacht. Aber seine Gleichgültigkeit nimmt ihm nichts von den Verdiensten, um derentwillen ich ihn ewig lieben werde.«
Eine Thräne endigte das Gespräch, und gewann ihr mein Herz. – O, meine Mariane! die Männer wollen also nicht geliebt, wollen nur geschmeichelt seyn? –
Noch immer, meine Mariane! bin ich an diesen fremden Boden geheftet: hunderterley große und kleine Ursachen rücken das Ziel unsers Aufenthalts weiter hinaus! – Gestern sprach ich darüber mit meinem Oheim, und ließ mir den Gang der Nachsuchungen über Recht und Unrecht erklären. Er lachte herzlich über meine Ausrufung, da ich dem Himmel dankte, daß unser Körper dem häßlichen Hin- und Hergehen, und vergeblichen Seitenschritten unsers Geists nicht unterworfen sey! – aber, gewiß ist auch, daß die stärkste Masse der physikalischen Welt das Ausdehnen. Zerreissen, Wiederzusammensetzen, Prägen und Modeliren nicht ausdauren würde, welchem unser Verstand, von den ersten Jahren an, auf so viele mühselige und unnütze Weise ausgesetzt ist. –
»Freue Dich darüber, Rosalie,« sagte er; »denn dieses beweiset Dir, daß der Urstoff Deiner Ideen unzerstörbar ist. Sonst hätte das Eigene Deines Charakters unter dem
Er hatte seine Hand freundlich nach mir ausgestreckt, und die meinige bey den letzten Worten etwas geschüttelt. Die Bewegung seines Kopfs fragte, ob es nicht wahr sey? – Ich gestund, daß er Recht hätte; aber zugleich sagte ich, unter zärtlichem Küssen seiner Hand, daß, wenn er mich nicht durch seine Güte gestützt hätte, so wäre gewiß jede Triebfeder meiner Seele zerknickt worden. –
»Das mag wahr seyn,« erwiederte er; »aber, hast Du denn vergessen, daß ich selbst Versuche gemacht habe, sogar die Stefte auszuziehen, an die einige von den Triebfedern befestigt sind? Aber, wenn ich sah, daß Du aus Dankbarkeit für meine Liebe alles aufopfern wolltest: so konnte ich nicht fortfahren, und ließ Dich nach der Anlage der Mutter Natur gehen, ungeachtet ich
Innig gerührt dankte ich dem besten Oheim für diese Gattung von Freyheitsbrief, den er mir durch diese Erklärung gab. Meine Seele athmet nun viel leichter, als in manchen vorigen Stunden. – Mein Oheim duldet mich gerne, so wie ich bin, und Mariane von St** liebt mich just deswegen! Das ist genug, genug Glück, von der männlichen und weiblichen Welt! Ungestört und ungetadelt sollen alle andre vor und neben mir gehen! Ich werde keinem zurufen, in meine Fußtapfen zu treten. Wenn ich nur unter dem Schutze der herablassenden männlichen Weisheit meines Oheims, an dem freundlichen Arme der weiblichen Tugend, die unter der Gestalt meiner
Abends 9 Uhr, von dem Schlosse R**.
Ich habe den heutigen schönen Herbsttag hier zugebracht; aber blos in der Absicht, Henriettens Grab zu besuchen, und deswegen kam ich in großer Gesellschaft, um von Frau G** weniger vermißt zu werden. Ich hatte das nemliche Kleid angezogen, in welchem mich Henriette das Erstemal sah; mich darinn umarmt, und ihren schönen Kopf auf meine Schulter gelehnt hatte. – Ich ging durch einen Umweg, zwischen den Feldern und Hecken, ganz allein. Ich, die sonst unmöglich allein durch die Straße einer Stadt gehen konnte. Aber das Gefühl von Tod, Ewigkeit, Tugend und Freundschaft, erhob mich über alle andere Empfindungen. Meine Seele dünkte mich größer, erhabener, als jemals. In dem weiten Luftraume war Ruhe um mich her, da der Landmann auf der welkenden Wiese, und dem kaum ausgesäeten
Mit diesem kam ich allmählig auf die kleine Höhe, wo ich rechter Hand Henriettens Wohnhaus, die gelben welkenden Blätter der Laube und die rothwerdende Epichwand des Nebenhauses sah; auf meiner Linken aber, die sich am blauen Firmament erhebende Stücke der alten Capelle und des runden Daches über Henriettens Grabe, ansichtig wurde. Ich blieb stehen. Eine Thräne trat, mit der Erinnerung
Nun war ich an ihrem Ruheplatze, und blieb am Eintritt stehen; nicht nur von dem Anblick ihres Grabes äußerst bewegt, sondern auch dadurch gerührt, daß ich meinen Schatten an ihrem Grabstein sah, wohin ihn die niedergehende Sonne warf. Ich weiß nicht, aus welcher gemischten Bewegung ich mich an eine Säule lehnte, und solche mit einem Arm umfaßte, eben, da ich in mir sagte: »Der Schatten der lebenden Freundinn über dem Staub der todten.« – Ich zog meinen Handschuh aus, sah auf Henriettens Miniaturbild, welches ich in ein Armband gefaßt habe, küßte es, und ging an den sie deckenden Stein. – Ein kleiner Schauer überfiel mich, und auch der Gedanke, warum bist
Aber, Mariane! warum kniete ich in dem Augenblicke, da ich an meinen C** dachte, nieder? warum flossen bey seiner Erinnerung meine Thränen häufiger, und warum fühlte ich mein Herz gepreßter, als vorher? – An dem Grabe einer viel liebenswürdigern Person, als ich bin, geschahe dieses. – Ach, wenn es Vorbedeutung wäre, daß mein Herz auch von der Hand meines Geliebten gebrochen werden sollte! – Ich konnte nicht mehr bleiben; rafte eine Handvoll Grashälmchen zusammen, die ganz dicht an dem Leichenstein hervorgesprosset waren, und küßte Henriettens Namen. – Die Kälte des Steins, die ich an meinen Lippen empfand, und welche auch zugleich im Ueberbeugen durch meinen seidenen Mantel auf meine Brust drang, gab mir eine Art von Erstarren. Ich ging heraus, mußte mich aber, weil ich etwas zitterte, niedersetzen; da kam der junge Weber mit seiner Frau, Henriettens treue Lise, und der Hofbauer, mit zwey Kindern, hinter der Capelle her, ohne zu reden, und die Männer mit den Hüten in der Hand.
Wie schnell, meine Mariane, wirkten diese wenigen Worte auf die guten Leute! Alle Hände falteten sich; in jedem Gesicht war ein frommer Entschluß und ein Schimmer von seliger Freude. Sie faßten meine Hände, mein Kleid; gerade, als ob sie mir für die
Henriette! vielleicht hat Deine Seele in den Unsrigen gelesen, und freute sich, daß bey Deinem Grabe Gelübde der Tugend gemacht werden! – Feyerlich dachte ich dieses, da ich noch ihr Grab ansahe. – Ich umarmte Lisen, winkte den Leuten, da zu bleiben, und ging langsam mit den letzten Strahlen der Sonne nach R** zurück, wo ich in mein Zimmer mich ein schloß, von meinem Grase Henriettens und meinen Namen zwischen Papier flochte, Ihnen schrieb, und itzt mit einer heiligen aber süssen Schwermuth schlafen gehe.
Da bin ich in der Stadt zurück; und da wir uns nun ein Jahr hier aufhalten werden, habe ich einen Plan für mein Vergnügen gemacht. Doch wenn jemals eine fremde Person Ursache hatte, den Charakter der hiesigen Einwohner zu lieben, so habe ichs, weil die meisten, die ich hier kenne, so viel Aufmerksamkeit für mich bezeigen, daß sie in alles eingehen, was sie von meinen Lieblingsneigungen wissen; denn sie befleißen sich, mir die Familien zu bezeichnen, worinn schöne moralische Auftritte vorkommen. Andre suchen in ihrem Gedächtniß charakteristische Züge hervor, die zur Ehre der Menschheit unsers Zeitalters dienen, und ich habe wirklich das Glück gehabt, in dem Zirkel, in welchem ich meistens lebe, dem Vergnügen des Lobens, das Uebergewicht über die Reize des Tadelns zu geben. – Ein Zufall veranlaßte die Bemerkung, daß verkehrte Begriffe von der Glückseligkeit, den Fortgang und die Ausbreitung der Tugend verhinderten. Hätte
Urtheilen Sie, meine Mariane, von dem Bergnügen, so ich hatte, in diesem Gemählde ganz allein den w. R** S** v. G** zu sehn, den ich selbst kenne, und in diesem Augenblick die so seltene Freude genoß, nicht nur jeden Zug dieses Bildes als wahr zu erkennen, sondern noch jede liebenswürdige Eigenschaft der edelsten und stärksten Fühlbarkeit des Herzens dazu setzen konnte, welche so deutlich in der schönen Melancholie seiner Gedichte erscheint, und in seinem Privatleben herrscht!
Dieser ganz unvollkommne Umriß eines moralisch großen Mannes, ist der Anfang von charakteristischen Beschreibungen, die wir in dem Auszug unserer Gesellschaft, von lebenden Personen, und die wir selbst kennen,
Herr Fr** sagt, es wäre eine der edelsten Beschäftigungen, die ich mir in dem letzten harmlosen Jahre meines Lebens machen könne; denn, sobald Herr C** seine Verbindung mit mir vollzöge: so würden andre und bestimmtere Sorgen an die Stelle der einseitigen Befriedigung meines Herzens treten; doch wünsche er; daß ich immer die Gewalt haben möchte, die Umstände nach meinen Gesinnungen zu beugen, weil sie sehr oft den Ausdruck und die Handlungen unserer Seele verhinderten. O, er hat Recht! denn wie oft habe ich dieses schon erfahren! Aber, mein Freund C** denkt wie ich; nur er wird meine weltliche Obergewalt seyn, und ich also in seinem Hause nach meinem Herzen leben können. Große süsse Hofnung
Eilf Tage, unausgesetzt, von einer Gesellschaft in die andere, ist mir beynahe unerträglich geworden. Aber, es war der jährliche Kreislauf von Visiten, welchen die Familie, mit der wir leben, zu Anfang eines jeden Herbstes bey denen macht, die nur als Bekannte, nicht aber als Freunde angesehen werden. – Mein Oheim fand dieses Betragen etwas sonderbar, weil er behauptete, daß in eilf Familien gewiß verschiedenes Verdienst wohnte, gegen welches diese Gleichgültigkeit ungerecht wäre. Madame G** sagte darauf: »Das mögen sich diese Leute gefallen lassen! denn es geht selbst der ganzen Reihe von Tugenden so; alle sind uns bekannt, aber mit wenigen sind wir vertraut, indem allezeit diejenigen vernachläßiget werden, die nicht in den Bund unsers Nutzens und Vergnügens gehören.«
Sagt nicht diese Frau ganz munter und nett triftige Wahrheiten? Vier dieser Herbstbesuche waren mir angenehm, weil wir sie in
Die Tage nach diesem war ich nicht ganz so zufrieden, weil ich die traurige Bemerkung machen mußte, daß man so selten Menschen findet, bey denen die Liebe des Guten und Edlen stark genug ist, daß sie sich in gesellschaftlichen
Madame G** hat mich Gestern auf ihre eigene Art dazu gebracht, daß ich meinen Brief an Sie vorzeigte, während der junge Herr von O** noch da war. – Dieser fand meine Anmerkung zu ernsthaft, und fing an, die gesellschaftliche Gutartigkeit der Menschen zu vertheidigen, und zum Beweise anzuführen daß man so oft ein Frauenzimmer schön nenne, sie liebe und bewundre, ungeachtet man wisse, daß sie nur künstlich übertüncht wäre. – Dann heiße man jenen fromm, und verehre ihn als einen gottseligen Mann, weil man ihn fleißig beten sähe, obschon seine Handlungen auf zehnfache Weise bös und ungerecht wären; wie lange behielten nicht bloße Schwätzet den Namen vielwissender Leute? u.s.w.
»Schön, Herr von O**, sehr schön!« sagte Madame G**, »aber Ihr Scherz ist beißender, als Rosaliens Ernst!« – »In was für einem Tone hätte ich es sagen sollen, meine Damen? Rosaliens Ernst ist
»Ein sehr artiger Gedanke, mein Herr!« sagte wieder Fr. G**. »Sie sehen also die Tugend nur als einen Sparpfennig für Ihre letzte Reise, und nicht als den nöthigen Reichthum dieses Lebens an? Ich möchte wohl das Ganze Ihrer moralischen Haushaltung kennen!«
»Sie haben zu befehlen, wenn ich sie vorweisen soll! Denn ich halte so gute Ordnung, daß ich keine Stunde der Untersuchung fürchten darf.«
»Nach keiner von beyden! Weil ihre Vorschriften nicht immer zu mir und den Sachen paßten, die ich mit einander verbinden wollte.«
»Das glaube ich: denn Moral und Galanterie vertragen sich selten!«
»Vielleicht habe ich die Kunst gefunden, sie zu vereinigen!«
»O, machen Sie uns die Probe davon!«
Ich hatte während dem kleinen Gespräch zwischen Madame G** und Herrn von O** immer fort gearbeitet, und wünschte in der That, etwas Näheres von dem Kopfe dieses jungen Mannes zu wissen, den ich, wegen des heitern Tones seines Geistes, sehr gerne in Gesellschaft antraf. Aber ich fürchtete, der spielende Witz der Madame G** würde ihn verhindern, etwas ordentlich von seinen Gesinnungen zu reden. Doch nach der Auffoderung, die sie gemacht hatte, nahm er seinen Stuhl, setzte ihn uns gegenüber, und sagte: »Ich werde ernsthafte und muntre
»Gut,« sagte sie, »ich höre also das Beste; denn Ihre ernsthafte Sachen dünken mich närrischer, als Ihre muntern.« – »Ich hoffe,« sprach Herr von O**, »die Freundinn wird in diesem Stück anders denken, als die Baase!«
»Sie wissen, sagte er zu Madame G**, daß ich zu Hause vielen Unterricht erhielt, und auch nach dem auf einer hohen Schule studieren mußte. Ich befolgte beydes ziemlich gerne, aber meistens nur Maschienenmäßig; und erst auf meinen Reisen fühlte ich daß die Sachen, die man Denken, Wissen und Urtheilen heißt, in mir lagen und geschäftig seyn wollten; und daß ich von Ihnen im gesellschaftlichen Umgang mit Gelehrten. Künstlern und Damen, einen eben so nützlichen Gebrauch machen könnte, als ich in Gasthöfen, Kaufmannsbuden und andern Gelegenheiten, mit mei nem Gelde ihat.«
»Sie finden es artig, und ich soll bald endigen! Das sieht widersprechend aus! – Doch, ich wollte eben sagen, daß ich unvermerkt ein Beobachter wurde, und durchgehends so viel Widerspruch unter dem Reden und Handeln der Menschen fand, und mich darüber ärgerte, daß ich mir vornahm, wenigstens in mir alles Mißtönende zu vermeiden.«
»Und also aus Ihrer Seele eine Harmonica zu machen!« fiel Frau G** ein. »Sie wissen aber, daß dieses Instrument aus lauter Glasstücken besteht; und daß, wenn eines davon bricht, ein ganzer Ton fehlt.«
»Und sehen Sie, liebe kritische Baase, ich will lieber einen Ton fehlen lassen, als daß alle ohne Uebereinstimmung seyn sollen; und, dem Himmel sey Dank! meine Seele ist nicht zerbrechlich.«
Frau G** wandte sich zu mir: »Dieses gehört Ihnen, Rosalia, denn hier ist Ernst.« Herr von O** fuhr fort: »Ja, Rosalia, ich wollte durchaus wissen, warum es dem
»Ein glückliches Gleichniß, Herr Vetter; denn es giebt dreyfaches Garn, das umeinander gedreht ist, wie Ihr Herz, Seele und Geist. Es wird aber schwach und verworren, wenn man es auftrillt.«
»Brav! meine Baase. Man sieht, daß Sie eine gute Arbeiterinn sind. Denn die Stärke Ihrer Anmerkung ist aus Ihren Beschäftigungen genommen. Es ist mir lieb, wenn Sie Acht geben wollen, wie ich meinen Faden brauchte. Ich schrieb der Seele alles zu, was unsterbliche Tugend heißt; dem Geiste, alles, was das Reich der Kenntnisse angeht, und dem Herzen, unser hier auf Erden nöthiges Gefühl für uns und andre. Ich sah, daß uns der Himmel einen großen Schatz verschiedener Glückseligkeiten
Frau G** sagte hier: »Für mein Schön Stück Geduld, mit der ich zugehört, darf ich doch sagen, daß ich die hoffärtige Historie eines Menschen weiß, der nur für sich denkt und lebt!«
Herr von O** wurde etwas roth, antwortete aber ganz ruhig: »Sie sind seherstreng, meine schöne Baase! Ich hoffe, Rosalie verdammt mich nicht, wenn ich das, was ich für andre thue, auch allein von andern erzählen lasse.«
»Nun, Rosalia!« sprach Frau G** zu mir, »der Mensch wird über alles böse, was ich sage! Geben Sie ihm doch eine Belohnung für die schönen Sachen, die er uns lehrte.« –
Von O** sah mich an, und streckte eine Hand nach mir aus, so, wie Jemand, der eine Gabe erwartet. Da ich ihn munter sah, und auch Madame G** durch etwas Ernsthaftes
Es ist Nachts zwölf Uhr! und der Schlaf noch weit von mir entfernt, weil wir nach unserm Abendessen auf eine Unterredung kamen, deren Gegenstand ich schon oft betrachtet, aber nicht unter dem fürchterlichen Bilde gesehen hatte, wie er durch Jemand unserer kleinen Gesellschaft gemahlt wurde. –
Die Eigenliebe, welche mir als das höchste Geschenk des Himmels erschien, durch welche ich alles Gute dieser Erde, und auch die Hofnung der künftigen Glückseligkeit genießen, und mir eigen machen könnte, weil sie das Wohlseyn meines Selbst für Jetzo, und für die Ewigkeit zu besorgen hat: diese hörte ich diesen Abend unter den Götzen schildern, denn täglich Menschenopfer gebracht würden, um deren Altäre Bäche von Thränen und Blute fliessen! Ehrgeiz, Wollust und Neid, führeten die Schlachtopfer auf verschiedene listige Arten herbey, und würgten dann verdienstvolle Greise, unschuldige blühende Jugend und würdige Familienväter, ohne den
Unsere muntere Madame G** konnte den Tiefsinn, der uns alle mehr oder weniger befallen hatte, nicht zu lange ansehen, sondern wandte sich gegen ihren Mann und den
Herr von O**, welcher bemerkte, daß diese Antwort dem Endzweck der Madame G**, welche den Ton ins Muntre lenken wollte, nicht ganz gemäß war, sagte: »Und ich werde an dem künftigen Orte meiner Bestimmung sorgfältig acht geben, was für eine Gattung von Glück und Verdienst in derselben Gegend mit neidischen Augen betrachtet werden, und sodann beyde in der Stille zu genießen suchen. – Ich werde vor dem stolzen und mächtigen Ignoranten meine Wissenschaft, vor dem Wollüstling meine schöne Frau und artige Töchter, und vor dem geldgeizigen Menschen mein Gold verbergen. Ich machte mir auch einige Tugenden eigen, die man in jetzigen Zeiten eher
Wir hatten alle zu dem Plane des Herrn von O** gelächelt, aber jedes Auge war auf das Gesicht des Herrn Fr** gerichtet, in dessen zweifelnden oder bejahenden Zügen man das Richtige und Unrichtige eines Gedanken oder Urheils aufsucht. Er ließ sich aber nicht weit ein, sondern sagte nur zu seiner Frau Schwester: »Herr von O** hätte ganz Recht, an dem Anfange seiner Laufbahn die Gerechtsame seiner Eigenliebe gegen die Anfoderungen der andern ihrer genau zu berechnen, und sich durch Vorsicht gegen eine zufällige Gewalt zu schützen. – Hätte der vortrefliche Winkelmann dem elenden
Mein lieber verehrungswerther Pfarrer M** K** kam heute in die Stadt, um bey einer vortreflichen alten Frau, die seine nahe Verwandtinn ist, mit seiner Frau und Kindern auf dem Jahrmarkttage das Abendbrod zu essen. Er lud mich ein, und ich würde gewiß eher die Tafel des Größten und Reichsten dieses Orts ausgeschlagen haben, als die einfache Mahlzeit dieser edlen Seelen. O, meine Mariane, was für schöne heitere Züge verbreitet die übende Tugend der Nächstenliebe über die Miene desjenigen, der sich der reinen edlen Absicht bewußt ist, Gutes aus diesem Beweggrunde zu thun! Erlauben Sie mir zugleich eine Art eigener Anmerkung, die mir sagte: daß natürlicherweise jede Tugend ihren eigenen Gegenstand und Ausdruck habe; daß übende Gerechtigkeit nachdrücklichen Ernst; frommer Eifer die Hitze des heiligen Feuers; das Mitleiden die Kennzeichen des antheilnehmenden Schmerzens; die Geduld Züge des niedergeschlagenen Geistes;
Frau B** ist von einer sehr guten Familie des gelehrten Standes, und brachte ihrem Mann einen großen Reichthum zu, aber seine Sorge für sie und die drey Kinder war nicht getreu, denn er opferte dem Spiele und Trunke beynahe das meiste und beste seines Vermögens auf, so, daß die gute Frau nach seinem Tode sich sehr zurück sah. Doch, da sie beynahe alles mögliche zu Gelde machte, so erzog sie damit ihre Kinder sehr gut. Die zwey Söhne gingen in Kriegsdienste; der Eine erwarb sich jedes Verdienst des rechtschaffenen Mannes, und hielt seine kleinen Einkünfte so zu rathe, daß er seinen edlen kindlichen
»Ich bin,« sagte sie zu Herrn M** K**, »sehr dankbar für die Gesinnungen meiner Freunde und Kinder, aber so lange mein Hannchen und ich von meinen zwölf Kreuzern leben können, so will ich diese Güte nicht gebrauchen, und unabhängig bleiben.«
Dieses Hannchen ist ein armes Mädchen von dreyzehn Jahren, deren Mutter ehmals bey Frau Brane als Magd gedient hatte, und von ihr ausgestattet worden ist, weil sie da noch in guten Umständen war. Die Mutter des Mädchens ist schon einige Jahre todt, und der Vater starb, nebst zwey andern Kindern, an einer ansteckenden Seuche, gerad zu der
Frau Brane an Herrn Pfarrer M** K**.
Freuen Sie sich mit mir, mein Freund! ich bin seit vierzehn Tagen sehr glücklich. Das Wenige, was ich aus dem Sturm gerettet, hat hingereicht, meinen älteren Sohn mit einem Amte zu versorgen. Seine gute und vermögliche Frau läßt mich hoffen, daß er in seinem häuslichen Leben glücklich seyn, und auch seine Kinder einst Etwas haben werden. Die rechtschaffene Familie, an die ich mein artig kleines Haus verkaufte, hat die Bedingung gerne eingegangen, mir das große Zimmer an der Nebenthüre zu lassen, und damit
Ich bin von unserm Tisch aufgestanden, an welchem mir ein moralisches Uebelseyn die Lust zum Essen raubte. Es kam kurz vor Mittagszeit ein artiger Mann zu Herrn G**, den er, gleich nach der Bewillkommung, eines veränderten Wesens anklagte.
»Zürnen Sie nicht,« sagte der Fremde, über meine Düsternheit; »es gehörte jedes Jahr Probe und Kenntniß Ihrer Rechtschaffenheit dazu, die ich von Ihnen habe, um mich noch Einmal aus dem Hause meines traurigen Freundes zu bringen, dessen Herz und Glück von der Hand desjenigen verwundet wurde, an den allein er sich mit allen Banden des Vertrauens und der Liebe seit einigen Jahren fesselte, da er alle andere Verbindungen ausgeschlagen, ja, sogar in dem Eifer für das Beste dieses Lieblings seines getäuschten Herzens, gegen andre ungerecht war.«
Herr F**, welcher mit uns aß, fühlte Abscheu und Erstaunen, welcher den rechtschaffenen
»Zu schwarz? Hören Sie mich nur!« – Und hier fing eine Geschichte an, die ich nicht wiederholen werde. Männer müssen diesen starken häßlichen Stoff ausarbeiten. –
»Warum dann,« sagte Herrn F**, »warum dieses abscheuliche Gewebe von Undank und Falschheit?«
»Um Gold, und um den Ruhm von Feinheit des Geists!«
Herr Fr** nahm seinen Schwager G** bey der Hand: »O, mein Bruder!« sagte er, »niemals, niemals wollen wir Glück und Ehre auf diesem elenden Wege suchen! Möge die Vorsicht meine Söhne durch einen frühen Tod aus meinen väterlichen Armen reissen, wenn ihre Seele nicht redlich, nicht edel genug ist, um bey Wasser und Brod, durch das Zeugniß ihres Herzens glücklich zu seyn; wenn sie Zeiten erleben sollen, wo der Heuchler und Verräther mehr, als der frevmüthige und gerechte Mann angesehen seyn wird!«
Ist nicht dieser Herr F** in jeder Gelegenheit ein moralisch edler Mann? In ihm
»Möchten Sie,« sagte ich, »alle die Verehrung ausdrücken, die der theure Mann mir einflößt: so würde ich mit meinen Augen sehr zufrieden seyn.« –
»Gott helfe Ihrem armen C**,« erwiederte sie, »bey alle den Aufwallungen Ihrer Seele, wenn Sie eine Ihrer Lieblings-Verdienste erblicken!«
Mit diesem kleinen Geschwätz machte sie, daß ich einen Theil der Unterredung verlohr, die ganz wichtig gewesen seyn muß; denn ich sah den Fremden die Hand des Herrn Fr** nehmen, ihn durchdringend ansehen, und hörte ihn sagen: »Sie, Herr Fr**, Sie! nehmen so vielen edelmüthigen Antheil an dem Kummer des Herrn A**, Sie! die
»Diese Art von Freude ist nicht für mich!« sagte Herr Fr** ganz ernsthaft. »Glauben Sie, daß ich eben so unfähig bin, mich an Feinden zu rächen, als ich es wäre, den Busen eines Freundes zu zerreißen.«
Madame G** war so muthwillig aufmerksam auf mich, daß ich auch deswegen in mein Zimmer eilte, wo mir der Charakter des Herrn F** um so schätzbarer erschien, als man selten Menschen findet, die ohne persönlichen: Eigennutz für die thätige Tugend eifern. Denn wie oft bleibt Geist und Charakter eines vortreflichen Mannes ungeliebt und ungeachtet, weil die kleinen Seelen, die ihn umgeben, ihn nicht zu ihren Absichten gebrauchen können; und wie oft wird ein bekannter Bösewicht geschützt und geduldet, weil er der Eigenliebe schmeichelt, oder dem Eigennutz dient! Herr Fr** aber bejammerte den Unfall eines Mannes, der ihm geschadet hatte, und sprach den Abend noch von der Entheiligung der Freundschaft, und des Vertrauens, als einer der größten Vergehungen, deren sich ein Mann schuldig machen könnte. Ich fühlte die Wahrheit einer
Mariane! ich bin stolz geworden, und sehe mich, seit gestern früh zehn Uhr, als eine Person von außerordentlichen Vorzügen an, weil mir Herr Fr** in einer langen Unterredung einen unschätzbaren Beweis seiner Hochachtung gegeben hat. Doch würden Sie gewiß eben so wenig, als ich es dachte, den Anlaß dazu an meinem Putztische gesucht haben!
Herr Fr** frühstückte bey seiner Frau Schwester G**, mit welcher mein Oheim wirklich ein Hauß auf kommenden Winter bewohnt. Ich war, als ich gerufen wurde, schon angekleidet, aber Madame G** kam im Nachtzeug, und mußte dahero bald zum Anziehen eilen. Ich suchte sie aufzuhalten, indem ich sie versicherte, daß es noch Zeit genug zu ihrem Putze wäre. »Ja!« sagte sie, »wenn ich mich nur einmummeln wollte, wie Sie es machen! Aber ich will meine Person und meinen Geist in gleichem Werth erhalten.« Damit ging sie von uns; und Herr
Meine Mariane denkt wohl, daß ich hier, ungeachtet seines sanften Tons und Miene, stutzte und erröthete; er sagte mir aber gleich: »Werden Sie nicht unruhig, meine theure Freundinn, und sehen Sie alles, was ich
Hier fiel ich ihm in die Rede, und bat ihn, versichert zu seyn, daß, wenn die Idee von Reichthum und Mangel, auf diese Weise in mir gewesen wäre: so würde ich gewiß nicht oft von meinen herrschenden Neigungen geredet haben! Aber, setzte ich hinzu, es steht ja in jedes Menschen Gewalt, moralische Güter zu sammlen, und sie mit Wucher zu vermehren.
»Wie hart ist dieser Ausspruch, meine Freundinn! aber der Eifer hindert immer die Sanftmuth! Mir ist leid, daß ich jetzt
Ich wollte ihm hierauf für seine Unterredung danken; aber er unterbrach mich, indem er mich bat, ihm einige meiner gesammelten Charaktere zu weisen, die ich so gleich holte, und nachdem er weg war, alles dies schrieb, und wahrhaftig bey der Wiederholung finde, daß mein hastiges Gutseyn etwas Unfreundliches hat. Warum verwiesen Sie mir es niemals?
Nun habe ich mein Seelenbilderbuch wieder, und bin um ein Gemählde reicher geworden. – Gestern Abend gab mir Herr Fr** die Blätter zurück, und versicherte mich, daß er sie mit vieler Zufriedenheit gelesen hätte, weil er sie als Bildnisse glücklicher Menschen betrachtet habe; da er nur diejenigen glücklich nennt, welche ihr moralisches Leben in edlen und tugendhaften Handlungen genießen können. Er fragte mich zugleich um die eigentliche Ursache des Aufsuchens dieser Züge des menschlichen Herzens. »Um wirkliche Zeugnisse zu haben, wie gut wir seyn können, wenn wir wollen; und auch, um mir zu sagen, was andre gethan haben, das kannst Du auch thun.«
»Immer die Idee des Wollens!« sagte er. »Glauben Sie denn, daß man in seinem Leben oder in seinem Amte all das Gute thun kann und thun darf, was man wöllte? was heiligen Pflichten der Menschenliebe und der Klugheit gemäß wäre? Wie oft
»O, mein schätzbarer Freund! Sie machen mich besorgen, daß Sie aus Erfahrung reden, und daß Ihr edler Geist oft in seiner Wirksamkeit für das Beste und Rühmlichste gestört und gehindert wird; wie muß Ihnen da zu Muthe seyn!«
»Wie dem rechtschaffenen Landmanne, der sein angewiesenes Stück Feld mit treuem Fleiß und Mühe baute, dem aber Hagel, oder wilde Thiere alles verderben. Es schmerzt den guten Arbeiter, aber, er pflügt immer den Boden wieder. Säet gute Körner aus, und hoft endlich eine Erndte! – Aber, ich will von Ihren Papieren reden.
Ich habe die Geschichte Ihrer Henriette mit vieler Rührung gelesen; aber auch gefunden, daß ein wenig Biegsamkeit und Nachsicht gegen die zufälligen Schwachheiten
Ich habe,« fuhr er mit einem Seufzer fort, »eine sehr schätzbare Freundinn, deren fühlbares Herz in Rosaliens Jahren von moralischem Enthusiasmus glühte. Jede Triebfeder zu Tugend, Edelmuth und Güte lag in ihrer Seele, und viele Jahre haftete der schöne Wahn in ihr, daß man nur gute Eigenschaften des Herzens zeigen dürfe, um von den meisten Menschen geliebt zu werden, und daß es ihr bey der unausgesetzten Befolgung ihrer großen Grundsätze, gut zu seyn und Gutes zu thun, glücken würde und müßte. Aber sehr traurige Erfahrungen haben ihr bewiesen, daß man bey Ausübung
Urtheilen Sie, meine Mariane! von meiner Aufmerksamkeit bey dieser Erzählung, und wie begierig ich war, die Frau zu sehen, deren Charakter von diesem vortreflichen Manne so sehr geschätzt wird. Morgen gehen wir zu ihr; aber ich werde sie nicht recht sehen können, denn wir sind unser zu viele. – Ich will diesen und den morgenden Brief mit einander schicken. Gute Nacht, meine Freundinn! –
Wir haben bey Madame W** gefrühstückt. Eine sehr gefällige Munterkeit schien sie zu beherrschen; doch ganz kleine Theile der Unterredung zeigten mir ihre Empfindsamkeit und den moralischen Ton ihrer Seele. Sie mag einst schön gewesen seyn; aber nun sind ihre Züge durch Gemüthsleiden zerrüttet, und ihre Gesichtsfarbe blaß. Doch herrscht in ihrem ganzen Wesen etwas außerordentlich Einnehmendes. Madame G** stellte mich ihr vor, und sagte: »Sie werden gewiß mit der Bekanntschaft von Rosalia L** sehr zufrieden seyn, weil sie eine ganz seltene Empfindsamkeit mit sich gebracht hat.« Madame W** umarmte sie lächelnd, und sagte ihr nach: »Seltene Empfindsamkeit! Liebe boshafte Frau! Wie sehr stützen Sie sich auf meine Verschwiegenheit. Denn Sie wissen, daß ich vieles von der Zärtlichkeit dieses Herzens erzählen könnte!« wobey sie auf die Brust der Madame G** wies. –
Hier sind Abschriften davon. Ich bedaure, daß ich nicht alles, und besonders auch die Copien seiner Briefe, abschreiben durfte: sonst hätten Sie die ganze Stärke männlicher Freundschaft und Weisheit in seinen, und das höchste Maaß moralischer Fühlbarkeit einer weiblichen Seele in denen von Madame W** gesehen. In einen der ersten sagt sie ihm: Sie dankte dem Schicksal, einmal einen Mann gesehen zu haben, der die lebendige Hochachtung, die eine Frau für seinen Geist und Charakter zeige, nicht als gewöhnliche Bewegungen von Liebe beurtheile; und dann versichert
Dann einmal: »Ich danke Ihnen, edler Freund, für Ihre Freymüthlgkeit; Sie haben Recht, ich bin mit meinem Vermögen und meinen guten Gesinnungen zu freygebig, und es ist wahr, ich habe noch keine Seele gefunden, die für mich denken und thun würde, was ich immer noch fähig wäre, zum Besten anderer zu thun.« –
Wieder: »Was soll ich zu dem Vorschlage einer andern Einkleidung meines Charakters sagen? Wie sauer, mein Freund! o wie sauer, sollte mir dieses werden! Denn, wenn ich mein Herz vor den Augen Gottes entfalte, so danke ich ihm, daß er mir es so gab! Meine süsseste Glückseligkeit ist, den gegenwärtigen Augenblick meines Lebens an den Gedanken des letzten zu rücken, und dann mit kindlicher Liebe und Freude, Gott, Tod
Hierüber hatte Herr Fr** einen großen sehr schönen Brief, über hohe, und herablassende liebreiche Tugend geschrieben, den er nicht bekannt gemacht haben will. Und hier sagte sie: »Es ist unmöglich, mein Freund! daß ich Ihnen den Dank meines Herzens, für die edle Bemühung Ihres Geistes ausdrücke. Ihre Unterscheidung der hohen und herablassenden menschenfreundlichen Tugend ist schön; aber beynahe zu fein, und etwas zu schmeichelhaft für mich. Aber Ihr Endzweck ist meine Ruhe, und die Befriedigung derer, womit ich lebe. – Ich ergebe mich, mein Freund, und rufe hier eine meiner alten Lieblings-Ideen zurück: daß eigentlich nichts Tugend genennt werden kann, als was wir zum Besten unserer
In einem sagt sie, nach einer Krankheit: »Sie haben meine Geduld, meine Gelassenheit in Schmerzen gelobt, mein Freund! Ich werde alle Leiden, die ich von der Hand der Natur aufgelegt bekomme, beständig mit der anbetenden Unterwerfung tragen, die ich dem Urheber der Natur schuldig bin. Ich verdiene nicht weniger, als andere, zu leiden! und mein väterlicher Schöpfer wird mir nicht mehr als andern aufladen.« –
In den letztern liegt viel, aber unbenennter Kummer. Sie sagt unter andern: »Es ist mir leichter, mein Freund! viel leichter, eine drückende Last auf meinen Schultern zu behalten, als sie, auch durch die gerechteste Anklage, auf einen andern zu wälzen. Und der, dessen Hand meine Glückseligkeit so grausam verletzte; kennt meinen Jammer wohl, aber er macht es nicht, wie schon oft großmüthige Feinde thaten, die alle ihre Sorgen und Kräfte zur Heilung der von ihnen geschlagenen Wunde darboten.« –
In einem folgenden steht: Sie wolle ihr eigenes Ich für ihre übrigen Tage vor der ganzen
Sie gesteht Herrn Fr**, daß es ein Gemisch von natürlicher Großmuth, und einem, durch Erfahrung erlangten Mistrauen sey, welches sie hindere, ihm ihr leidendes Herz zu eröfnen, und seinen Trost und Hülfe zu genießen. – Sie fühle, daß sie dem Schicksal das Sonderbare und Einzelne ihres Charakters theuer bezahlen müsse: es solle aber, so viel sie es verhindern könne, bey dieser Abgabe niemand zu leiden haben, als sie. – Dieser Gedanke sey es, der die Heiterkeit ihres Tons unterhalte, indem sie den Becher der Freuden ihrer Kinder, Hausgenossen und Freunde, durch ein trauriges nachdenkliches Wesen nicht verbittern wolle.
Dann bittet sie ihn, ihr Freund zu bleiben, und versichert ihn, daß er keine Fehler des Charakters an ihr sehen solle, als die, welche die Anfoderungen des Eigensinns und Eigennutzens Andrer so benennen. Sie hoffe aber, die Gesinnungen, die Gott in ihre Seele gelegt
O, der edle, der glückliche Stolz dieser moralisch stark fühlenden Seele! – Jeder Tag nähert sich dem Untergange ihrer eigenen Glückseligkeit, die sie nicht durch Vergehen, nicht durch Mißbrauch, sondern durch boshafte niedrige Ränke einer Person verliert, in welcher sie Edelmüthigkeit und Güte zu sehen glaubte. O Mariane! mein Herz fühlt beynah noch mehr sympathetisches Leiden für diese Frau, als bey Henrietten! Es ist auch ganz natürlich. Henriette trug eine einfache Last. Unabhängigkeit, Gewalt, Gutes zu thun, und die Freyheit, ihren Gram ganz zu geniessen, versüßte den Kelch ihres Kummers. Die Umstände hinderten sie nicht, davon zu reden. Sie wurde geliebt und bedauert, weil bey ihrem Schicksal die Eigenliebe und Eigennutz der andern nichts abzugeben, nichts zu wagen hatten. – Denn, meine Mariane, Eitelkeit und Vortheile sind die Gränzsteine
Abends zehn Uhr.
Ich schrieb Vorhergehendes Gestern; und heute früh, da kam Herr Fr** und fragte nach seinen Briefen, und meinen Auszügen, die ich ihm zu lesen gab, – »O, Rosalia!« sagte er, »Sympathie, ganz allein Sympathie, hat die Auszüge und Anmerkungen gemacht! Ich habe es vorher gesehen! Lassen Sie sich, liebe junge Freundinn, Henrietten und Madame W** zu Merkstäben, während ihrem Wandel unter den Menschen, dienen! Denn, da Sie das seltene Glück haben, diese zwey Charaktere in sich zu vereinigen; so könnte
Unser artiger Herr von O**, der Ihnen, meine Mariane, anfing, so gefährlich für mich zu scheinen, ist verliebt; aber nicht in Rosalien. Das Schicksal hat ihm eine ganz sonderbare Beute aufbehalten. Er bekommt Julie von U**, das einnehmende Geschöpf aus dem Zirkel der neun Mädchen, von welchen ich Ihnen schrieb. Der Gang ihres Kopfs und Herzens bildete sich, auf die schätzbarste Weise, allein nach ihren Empfindungen aus. Die Art, wie sie die Blumen unter ihre Freundinnen austheilte, konnte zu einer Probe ihres mit siebenzehn Jahren blühenden Witzes dienen. Die feine schonende Fühlbarkeit, mit welcher sie auch die kleinsten Sprossen der Eigenliebe ihrer Gespielinnen behandelte; die Art, mit welcher sie die ihrige unterdrückte; und die Sorgfalt gegen alles, was Züge einer Coquetterie seyn könnten, und dergleichen mehr, liefert mir einen neuen reizenden Charakter aus unserer Weiberwelt. Sie hatte immer, aus freyem Willen, alle
Nun hatten die andern mit den Menuetten aufgehört, und von O** bat Julien um ihre Hand zu den neuen englischen Tänzen, weil mich mein Gesellschafter auch aufgesucht hatte. Von O** tanzte so schön, als er konnte, da er in Wahrheit liebe- und wonnetrunken war. Er hatte kein Aug, als für Julien, und sie keines als für mich. Sie tanzte artig, aber nicht mehr fa fröhlich, als vorher. Süsses Nachdenken lag in ihrer Miene, und so oft die Wendung des Tanzes sie zu mir führte, drückte sie mit Zärtlichkeit ein mei ner Hände, das gewiß zur Hälfte dem artigen von O** gehörte, mit welchem sie aber den ganzen übrigen Abend alle einseitige Unterredung vermied; mit mir und Madame G** hingegen in ein reizendes Gespräch gerieth. – Julie kommt Uebermorgen Vormittag zu mir. Madame G** will den von O** herführen; denn beyderseitige Verwandte wünschen diese Verbindung festzusetzen. –
Julie kam, wie ich Ihnen Vorgestern schrieb, zu mir, und ich war froh, daß Madame G** und Herr von O** nicht sobald kommen konnten, als sie wollten; denn da hatte ich Gelegenheit, Julien kennen zu lernen, die mir ganz ihr Herz entfaltete, welches seine schönste Wendung von der Hand einer edlen Dame erhielt, die sich nach dem frühzeitigen Tode ihres Geliebten vom Hof entfernte und einsam, nur seinem Andenken geweiht, die blühenden und reifen Jahre ihres Lebens, in einer steten, aber sanften Melancholie, hinbrachte. Der feine Geschmack, welchen die große Welt in ihr ganzes Wesen gelegt hatte, begleitete sie auch auf dem Lande in allem, was sie that; und Julie, die ein ganzes Jahr mit ihr verlebte, nahm den Ton ihres Denkens und ihrer Sitten an.
»Komme ich nicht zu früh?« sagte mir Julie mit der feinsten Freymüthigkeit. »Aber ich wollte wenigstens einige Minuten von der Zeit einbringen, die ich durch meine Abwesenheit
Sie hielt mich bey der Hand und sah mir mit Sehnsucht in die Augen, nach meiner Antwort. »Gewiß, liebenswürdige Julie, hätten Sie mein Herz eingenommen, wie jetzt, vielleicht aber würden wir, ohne die Vermittelung einer schönen Urne, niemals so genau, verbunden worden seyn.«
Sie lächelte mit ein wenig Erröthen. »O ja, die Urne hat mir viel Gutes gethan!«
»Mir auch, mein Schatz,« sagte ich, indem ich sie umarmte, »aber,« setzte ich hinzu, »Herr von O** wird doch von uns dreyen der Erste seyn, von dem sie Kränze erhalten wird.«
Sie nahm ihren Arm verschämt von mir weg. »Warum reden Sie mir gleich von Herrn O**?«
»Weil ich Sie nicht einen Augenblick betrügen will, Julie. Er weiß, daß Sie hier sind, und wird auch kommen.«
Mit einer ungeduldigen Bewegung sagte sie: »Ach, ich wollte nur Freundschaft genießen,
»Liebe Julie! wie reizend ist Ihre Freymüthigkeit!«
»Wie gut sind Sie, dieses Freymüthigkeit zu nennen, da es unmöglich ist, Ihnen ein Geheimniß daraus zu machen, daß mir Herr von O** von Liebe sprach.« –
»Verzeihen Sie, Julie! aber ich habe Ihrem Gedanken einen doppelten Sinn gegeben.«
»Das ist mir nicht ganz lieb! Wollen Sie mir zur Vergütung die Ursache sagen?«
»Ich dachte, Julie fände, daß von O** würdig sey, ihr von Liebe zu sprechen!«
»Liebe Rosalia! sahen Sie dies in meiner Miene, oder meinen Worten?«
»In beyden, meine Freundinn, und es machte mir Vergnügen! denn, gewiß, von O** ist ein edler junger Mann.«
»Ich glaube es auch, Rosalia! Und nun will ich freymüthig seyn, und Ihnen bekennen, daß mich die Liebe des von O** freut. Sie ist die Erfüllung eines Wunsches, den ich schon lange hatte. Alles, was ich von seinem Geist und seinen Sitten kenne, sind
»O! Julie, möge doch jeder edle Wunsch unsers Geschlechts wahr werden, wie dieser, den Sie thaten. Aber, sagen Sie mir, wo nahmen Sie das Bild des Mannes, den Sie sich wünschten? und wo nahmen Sie, wenn ich so sagen kann, den Ton der Urne her? denn ich weiß, Ihr Kopf war nicht allezeit so ernsthaft gestimmt.«
»Das ist wahr! Aber die Anlage muß in mir gewesen seyn, sonst würde dieser Ton nicht gleich gefaßt haben und herrschend geworden seyn, und, wenn ich das Glück, einen solchen Mann zu lieben, nicht in einem eilf Jahr daurenden Kummer über seinen Verlust, gesehen hätte: so würde ich auch nicht so sehr daran haften.«
»Und wo sahen sie dieses, mein Kind?«
»Das Jahr hindurch, da ich bey meiner Base auf dem Lande wohnte, wo ich eine liebenswerthe Dame von drey und dreyßig Jahren antraf, die ihre Schönheit, Jugend und Talente, der großen Welt, in der sie geliebt war, entzog, um ungestört dem
Eben als ich ihr darüber Fragen thun wollte, kam Madame G** mit von O**, dessen Stimme wir zuerst hörten, da er den Bedienten sehr lebhaft fragte: Ob Julie von U** noch da wäre! und ich sagte ihr noch geschwind: »Julie, daß ist bedeutend, daß von O** gleich in dem Augenblick kommt, da Sie von dem Gegenstande Ihrer edlen Liebe reden! Aber ich verliere dabey die Geschichte Ihrer Lehrmeisterinn.« – Sie versicherte mich, sie aufzuschreiben und mir zu geben. Da waren meine zwey andre Frühstücksgäste im Zimmer! Madame G** gleich beym Tisch! Sie lobte uns Mädchen, daß wir mehr geschwatzt, als gegessen hätten, weil sie noch gute Sachen fände! – Von O** war einfach, aber doch prächtig geputzt. Glückseligkeit war in seinem Gesichte, so oft er Julien ansah, oder sie reden hörte; und niemals vorher hatte ich ihn so sanfte und
Das edle Geschöpf war schon vorher, durch die Erinnerung des Fräulein von Schleebach, in eine zärtliche Wehmuth gestimmt gewesen. Staunen, Vergnügen, etwas Verschämtseyn, und die ihr so nah dringende Liebe des von O**, gewiß aber auch die hie und da muthwilligen Blicke der Madame G** störten ihre Fassung ganz. Sie zog die zwey Bilder vor sich hin; stützte ihren Kopf mit einer so sichtbaren Verlegenheit auf eine ihrer Hände, daß sie mich jammerte, und ich daher ein Papier aus meiner Tasche nahm, und Madame G**, die die Bedrängniß des artigen Mädchens nicht so sehr fühlte, wie ich, in ein Fenster führte, um ihr, wie ich sagte, den versprochenen Brief von Marianen zu weisen. Sie sagte mir leise: »Rosalia! ich bin noch besser, als sie da, mit ihrer Feinheit!« Riß mir den Brief aus der Hand, indem sie laut sagte: »Diesen Brief will ich den Abend lesen. Aber, die arme Frau, die auf Sie wartet, und die ich vergaß, die sollen Sie gleich sprechen.« Und damit zog sie mich nach der Thüre, und führte mich in ein Zimmer
Nach einiger Zeit rauschte sie mit mir durch die zwey Nebenzimmer wieder zu den beyden guten Liebenden zurück, die nun am Fenster gegen den Garten stunden. Von O** das wahre Bild ehrerbietiger Zärtlichkeit, und Julie das, vom Glück der tugendhaften Liebe. O Mariane, dieser Anblick rufte mir die feyerliche Stunde zurück, wo ich meinem Freunde auf ewig mein Herz versprach. Seine edle Gestalt war auch ganz Liebe- und Ehrfurchtsvoll. – Wenn ich nur Juliens ihre gehabt hätte, um seiner Seele den Eindruck zu lassen, daß ich der vorzüglichen Achtung würdig bin, mit welcher er unter so viel liebenswürdigen Personen mich Glückliche wählte! – Julie bat mich um Erlaubniß, ein Paar von den
Julie U** an Rosalia L**.
Ich habe mich durch das Versprechen der Geschichte meiner theuren Lehrmeisterinn, wie' Sie sie nennen, zu etwas verbunden, das ich nicht werde ausführen können. Meine Feder ist ungeübt, und aller Reichthum meiner Empfindungen hilft mir nicht zu den Ausdrücken, die ich nöthig habe, um Ihnen mit Würde von der vortreflichen Dame zu reden, der ich den besten Theil meiner Glückseligkeit schuldig bin.
Ehe mein Vater einen Garten hatte, jammerte ich oft um das Glück, während dem Sommer auf einen zu wohnen, und mein Vater ließ mich darüber zu meiner Base nach Wiesenthal, deren Töchter ich mit einem so fein gebildeten Geist antraf, daß ich höchst unzufrieden über den versäumten Anbau meines Kopfs wurde, in dem freylich manche Sachen lagen, die von gutem Stoffe, aber nicht von der schönsten Form waren. Meine
Nun ging sie an eine Comode worinn sie in einer Schieblade ihre Gradkleidung und verschiedene graue raffente Brieftaschen, mit schwarzen Bändern umbunden, hatte. »Dies alles,« sagte sie, »muß mit mir in meinen Sarg gelegt werden!« und wies mir das Bild eines Chavaliers, in Hofuniform. Ein Gesicht voll Geist und Seele, welches den Adel seiner Gesinnungen bezeichnete, so wie sein Name den Adel seine Geburt. – Der höchste Grad des edelsten Ehrgeizes muß ihn belebt haben; denn er wollte jede Kenntniß des Geistes, jede Geschicklichkeit des Körpers besitzen, und suchte sich für beyde immer die vortreflichsten Meister aus, deren Wissenschaft er sich in kurzer Zeit eigen machte, und oft übertraf. Er besaß jede männliche Tugend des Herzens, jedes Talent, jede große und kleine Geschicklichkeit in dem vollkommensten Grade. – O, Rosalia, seine Briefe! wie viel zeigten die Vortrefliches in seiner Liebe, in der Mähe, die er sich gab, den Geist des Fräuleins von Schleebach zu verschönern! Wie viel großmüthige Entwürfe und Wünsche
Ihrem edlen menschenfreundlichen Herzen, meine Mariane! will ich das Gelübde ablegen, niemals, gar niemals, von dem Aensserlichen eines Gesichts mich hinreissen zu lassen, Etwas sicher Nachtheiliges von jemand zu denken, noch viel, viel weniger, zu sagen! Nein, es soll durch mich nimmermehr der Schmerz in eine Seele gebracht werden, den ich vor zwey Tagen, in der so gefühlvollen Madame D** entstehen sah, da sie in dem Augenblick, wo sie das Schönste, und vielleicht auch Schwerste that, was ein Frauenzimmer thun kann, das allerschiefeste Urtheil über ihren Charakter erdulden mußte; und dieß von einem Manne, dessen Hochachtung sie wünschte und verdiente. –
Der Aufsatz des Bildes der edlen Liebe, und die zwey Briefe, die ich vom Anfang der Bekanntschaft mit ihr, schrieb, müssen Ihnen, meine Mariane, bewiesen haben, wie fein diese Frau empfindet und denkt, und wie wahr die Güte ihres Herzens ist. Ihre natürliche
»O, ihr Männer!« sagte Frau G**, »wie ungerecht werfet ihr das Beste unter das Schlechteste! Hundert Weiber dürfen ungescheut den Kopfputz von dieser, das Band jener, den Zeug hier; die Schleiffe da, in einem Zirkel bewundern, loben, entzückt darüber scheinen: und meine D**, welche bey Erblickung einer guten Eigenschaft des Geistes oder Herzens, ein eben so großes Vergnügen fühlt, als andre bey Moden und Putz, sie darf nicht sagen: Es freut mich, diese achtungswürdige Eigenschaft an Ihnen zu sehen? Auch hat sie Unrecht, meine Freundinn, sie har Unrecht, zu glauben, daß es viele Menschen gäbe, denen der Beyfall für ihre moralischen Bemühungen angenehm seyn kann.«
Herr G** sagte, Madame D** hätte ihren Beyfall und Achtung oft über das Maas
»So, meine Herren! Ihr habt also allein Recht, wenn Heut Euer Auge durch einen schönen Fuß angezogen, Ihr darüber alle andere Mängel der übrigen Figur vergeßt und beschönigt! Morgen die helle Gesichtsfarbe einer andern Euch locken laßt, und immer diesen einzelnen Reizen die volle Summe Eurer Zärtlichkeit gebt, was für Fehler das Ganze auch haben mag! Meine Freundinn, die nach moralischer Liebenswürdigkeit umher sieht, und sich freut, den edlen Gang einer Seele, den Ton des Verstandes, die Güte des Herzens zu bemerken, und die Person, welche Eine oder Andres davon hat, nach dem Grade ihres Vergnügens darüber lobt und liebt: diese hat Unrecht, mit Menschenfreundlichkeit auf die gute Seite zu sehen, und sich von dem Fehlerhaften abzuwenden! O Rosalia, merken Sie sich das Schicksal meiner D**! Besonders aber, daß ihr dieses von edelmüthigen, von vernünftigen Männern zubereitet worden ist, die sie just als eine Frau betrachten, die auf Wucher leihet! Ihre Liebe zur Einsamkeit, ihre freywillige
Madame G** behielt mich Vorgestern noch eine Zeitlang in ihrem Zimmer, wo sie wiederholte, daß sie platterdings dem Herrn C** richtige Ideen von ihrer Freundinn geben und sie durch seine Liebe und Hochachtung, für alles, was sie bisher gelitten hätte, schadlos halten wolle! – Gestern sprach sie mir mit der nehmlichen Lebhaftigkeit davon, und sah dabey aus, wie Jemand, der einer schönen Aussicht zulächelt. – Ich wußte nicht, wie sie es anfangen wollte, besonders, da sie mir sagte, daß sie sich meiner bedienen würde, um das Hauptrad ihrer Maschiene in Gang zu bringen. Nun kam sie heut Mittag, um zwey Uhr, mich zum Spatzierenfahren, allein mit ihr, abzuholen, und ich mußte meine Uebersetzung des Glücks der edlen Liebe und die Abschrift des englischen Aufsatzes von Madame D** mitnehmen. Unterwegs sagte sie: »Rosalia! wir werden bey der Hütte des Hirten aussteigen, an der Hecke hingehen; und dort auf der kleinen Bank setzen wir uns,
Alles gieng, wie sie es veranstaltet hatte: Herr Fr** und C** machten Anspruch auf unser Heft Papier. Ich war mit dem Ganzen nicht so völlig zufrieden, und vertheidigte ernsthaft meine Aufsätze gegen den Raub. Aber meine Madame G** erhielt die Oberhand. Die beyden Herren gingen mit ihrer Beute von uns, und wir fuhren zurück. – Herr Fr** kam spät, mit uns zu Nacht zu essen, und sagte seiner Schwester: C** hätte bey Lesung des Charakters von Arundel gestockt. Herr Fr** wäre eingefallen: »Mein Freund C**, dieser Lord und Sie sind nur
Wie alt ist dieser Brief geworden, meine Mariane! Aber die Treiberinn G** ist daran Ursache. Sie schleppte vor sechs Tagen mich und Madame D** in aller Früh nach R**, ungeachtet es regnigt aussah. Die Herren Fr**, C** und G** kamen nach, aber erst gegen Abend. Wir Frauenzimmer hatten, wegen der Gemächlichkeit des Aufsatzes, englische Hüte, und, nach dem Willen der Frau G**, auch alle drey, die hier neu aufgekommene Kleidung, von grauem englischen Marly, auf den Leib passend, an. – Mich däuchte, Herr C** stutzte etwas darüber. – Madame D** war anfangs auch
»Sie haben Recht,« sagte Frau G**, »es ist eine unschätzbare Frau, der ich alle Süßigkeit und allen Trost einer vertrauten Freundschaft zu danken habe.« –
Herr Fr** fiel ein: »Was ich am meisten an ihr achte, ist die Gelassenheit und Ruhe ihres Geists; sie beobachtet und empfindet richtig, sie hat viele Kenntnisse, thut viel
»Gewiß nicht,« sagte Frau G**, »sonst würde sie nicht auf den Gedanken bestehen, hieher zu ziehen! – Sie hat auch,« fuhr Frau G** gegen ihren Mann fort, »heute Früh, gleich wie wir angekommen sind, die Miethe für das an unsern Garten stosende kleine Landguth richtig gemacht. Ich habe dazu gedacht, ein regnigter Tag würde sie etwas zurück halten; aber es scheint, daß die trübe Witterung ihrer kleinen Melancholie am anständigsten war.« –
»Sie wird also noch einsamer leben, als bisher?« sagte Herr C**.
Jeder sagte hier noch etwas, zu ihrem Lobe. C** schwieg dabey; schlief aber, wie Herr Fr** erzählte, beynah gar nicht, und sah bey dem Frühstück tiefsinnig aus. Madame D** aber war in ihrem weißen Nachtzeuge ganz reizend, und die Sanftmuth ihres Wesens und Gesprächs nahm uns alle ein. Die drey Herren gingen, während wir Frauenzimmer uns kleideten, das gemiethete Landguth zu besehen. Wie sie wiederkamen, waren wir in dem großen alten Saale des Schlosses,
Frau D** that in der ersten Verwirrung die Frage: »Habe ich denn Freunde, die dieses bedauern?« und fing an, auf und ab zu gehen. Herr C** ging mit ihr, und Herr G** zu seinen Amtsleuten. Ich war in einer Ecke des Saals, mit Madame G** Schach zu spielen. Herr Fr** lehrte michs. Die muthwillige G** rief auf einmal ganz laut: »Schach der Königin!« – Ein Seitenblick machte mich aufmerksam, und ich sah die zwey Spatziergänger vor einem Gemählde, wovon Herr C** die Schönheiten erklärte; aber sein Auge voll Geist schien eher das mahlerische Ebenmaaß der Madame D**, als die richtige Zeichnung der Gruppen des Gemähldes zu betrachten. Madame G** stund auf, näherte sich ihnen, faßte beyde an den Armen. »Emma und Arundel bey den Ruinen!« sagte sie. Frau D**
In der Stadt war viel von der schnellen Heyrath und von dem sonderbaren Geziere
Ich komme so eben von einer recht sehr interessanten Spatzierfahrt zurück, welche Herr von Ott veranstaltet hatte. Sie wissen, daß er einer der Verbündeten ist, die zu der Sammlung thätiger Tugenden beytragen müssen. Er hätte, ich weiß nicht, wie? vor einiger Zeit die Bekanntschaft eines beynah achtzigjährigen Ordensgeistlichen gemacht, der ungefähr zwey Stunden von hier, als Pfleger von einem schönen Landguthe seines Gotteshauses wohnt, und durch seine heitre freundliche Gemüthsart (ich denke auch, durch seine Gastfreyheit) bey allen Benachbarten sehr beliebt war, und fleißig besucht wurde. – Diesem guten Mann trug das Schicksal vor einigen Monaten die Sorge für zwey Findelkinder auf eine für ihn sonderbare und rührende Weise auf!
Er hatte immer die Gewohnheit, sein Brevier in den schönen Sommertagen in einem Laubengange zu beten, der ziemlich lang, und da er völlig bedeckt ist, an dem Ende
Der Gedanke über die Zulassung Gottes, daß ihm diese Last in den Stunden des Gebets zugeführt wurde, gab ihm Muth, den Entschluß zu fassen, sich, so lange er lebte, der Kinder anzunehmen. Er kniete hin und gelobte ihnen, vor den Augen ihres und seines Gottes, ihr Pflegevater zu seyn. Nahm den Korb mit seinen beyden Armen und trug ihn ins Haus, wo die Haushälterinn eben so viel Lärmens machte, als ehmals des Herrn Worthy seine Debora, wie der gute Toms Jones hingelegt wurde. Der Alte kehrte sich nicht daran, und ließ den Kirchendiener nebst den Gerichtsleuten kommen, um die Kinder zu taufen, und die ganze Begebenheit genau aufzuschreiben. Nahm eine Wärterinn an, und sorgte mit Vatertreue für die Findlinge; denn er lud einige Tage nach ihrer Aufnahme seine benachbarten Freunde zu Gaste, gab ihnen, wie gewöhnlich, recht gut zu essen und zu trinken, führte sie nachher zu seinen Zwillingen, wies sie ihnen, erzählte die Geschichte und sagte: Sie müssen auf dem Platz im Garten, wo er sie gefunden hätte, ihre Gesundheit
Heute, meine Mariane, hat sich der Zufall eines Gemähldes bedient; um mir schon lang erkannte und gelernte moralische Grundsätze tiefer einzuprägen, und sie in meinem Kopf und Herzen zu thätigen Pflichten zu machen! – Es war ein Meisterstück eines der größten Mahler, eine Madonna vorstellend, welche dem kleinen Jesu aus einem Körbchen einige Blumen reicht. Die Zeichnung des Kopfs, des Gesichts, des Nackens und der Hände, ist, nach Ausspruch aller Kenner, vortreflich. Ausdruck der höchsten weiblichen Tugend und mütterlicher Liebe. Rein, vollkommen, wie die hand des göttlichen Schöpfers sie in Mutter-Seelen pflanzte, liegen sie in ihrem Auge, ihrem Lächeln und Zügen. Die Schönheit der Farbenmischung schimmert aufs Aeußerste in diesem Stücke! Ich betrachtete es nach allen diesen Theilen mit innigem Vergnügen, welches der Verstand über die Größe der Kunst, und mein Herz über den moralischen Ausdruck fühlte; aber
Von Ott führte heute Nachmittag Julien und mich zu seiner Tante, die an dem äußersten Ende der offenen Vorstadt wohnt, und aus deren Hausgarten man gleich auf das Feld gehen kann. Madame G** kam nicht mit, weil die melancholische Empfindsamkeit dieses Frauenzimmers nicht den geringsten Ton des Schmerzens erträgt, und selbst ihr Neffe, den sie doch innig liebt, nicht oft zu ihr kommen darf, weil alle Stunden des Tages in Arbeits- und Andachtsübungen eingetheilt sind, und sie überhaupt mit niemand lebt, als einer Schulmeister-Wittwe und deren Tochter, die sie im Hause hat, und in Tisch und Wohnung unterhält; die hingegen beyde mit ihr das ganze Jahr für Arme Strümpfe stricken, Hemden und Hauben nähen helfen müssen; indem, wie sie sagt, das Gebet und ruhige Gutthätigkeit an Arme, der einzige Trost gewesen sey, den sie in den Bekümmernissen ihres Herzens gefunden habe.
Eufrosine war just sechzehn Jahr, und in der feinsten Blüthe der Schönheit, einsam erzogen; um so stärker war jede Neigung der Zärtlichkeit in ihrer Seele. Meine Tante wollte ihrem Bruder durch Eufrosinens Bild eine Schutzwehr um sein Herz legen, daher hatte sie veranstaltet, daß den letzten Morgen niemand anders da war, als sie beyde. Sie wußte wohl, daß ihr Bild den Eindruck von Eufrosinen nicht verdringen würde. Sie hatte auch gut gerechnet, denn mein Oheim nahm sie noch auf die Seite und bat sie mit wenig Worten: wenn es möglich wäre, das reizende Mädchen für ihn aufzuheben! Meine Tante versprach ihm, alles zu thun, diesen Wunsch seines Herzens zu erfüllen. Bruder und Schwester umarmten sich und nahmen mit vielen Thränen Abschied. Die holde Eufrosine weinte sympathetisch mit, mein Onkel küßte ihre Hände und bat sie, ihren Vetter Heinrich nicht zu vergessen. Sie versicherte ihn, mit
Urtheilen Sie von dem Schrecken meines Onkels! Er setzte sich gleich auf eines der Pferde, und jagte ins Bad, erkundigte sich nach den Umständen, und vermuthete, daß sie im Walde verirrt seyn müsse. Bot große Summen Geldes für alle, die sich zum Aufsuchen vorthaten; ließ Strohfackeln machen, und eilte zuerst, mit einer großen Wachsfackel, dem Walde zu, wo er mit ängstlicher Stimme nach Eufrosinen rufte. Mein Vater, der Bademeister, und der Arzt, betrieben den Fortgang der Leute, die zum Nachsuchen bestellt waren. Meine Mutter blieb bey Eufrosinen ihrer. Aber meine gute Tante wollte ohne Einreden mit nach dem Walde. Sie hatte auch das traurige Glück, Morgens um drey Uhr, das liebe englische Mädchen zuerst zu erblicken, die mit allen Kräften durch verwachsene Bäume durchzudringen suchte, und einen hohlen wilden Schrey dabey ausstieß. Zwey Männer, die bey meiner Tante waten, eilten zu ihr, und diese mit der Fackel nach. Die arme Eufrosine drückte die Augen zu, schrie und sträubte sich erbärmlich. Die
Er reisete fort, nachdem er nur ihr Bildniß und die Kleider, die sie zuletzt getragen, zu sich genommen hatte. Meine gute Tante, die für die arme Eufrosine und für meinen Onkel zugleich gesorgt hatte, wurde kränkelnd,
Sie können denken, meine Mariane! daß Julie und ich bey den Thränen, die wir bey Eufrosinens Elend weinten, in die ganze Stimmung kamen, die die ernste Schwermuth des Frauenzimmers erfoderte. – Sie empfing uns sehr artig, betrachtete aber uns zwey Mädchen mit einer Gattung von Tiefsinn. Ott stellte ihr Julien als seine Braut
Ich hatte indessen meine Augen auf Eufrosinens Bild geheftet, das in Lebensgröße und vortreflich gemahlt ist. Ein Zimmer mit hellbraunem Tafelwerk; durch ein großes Fenster fällt das Licht auf Eufrosinens Figur, die auf einem Stuhl ohne Lehne sitzt; ihre Kleidung ist reine weiße Leinwand, Rock und Corset, in welchem ihre schlanke Gestalt sehr schön ausgezeichnet ist. Ihre schöne Brust feinen Nacken und einen Arm sicht man von der Seite ganz. Rückwärts steht ein Aufwartmädchen etwas entfernt, die mit einer Hand die langen blonden Haare, und in der andern einen Kamm hält, aber auch, wie Eufrosine den Kopf gegen die Thür wendet, die eben aufgemacht worden. Eufrosinens Gesicht ist das allerschönste Oval, mit der feinsten Farbe einer Blondine. Eine niedlich gebogene Nase, ein kleiner Mund, der mit süsser Liebe lächelt; große blaue Augen, in welchen der Ausdruck himmlischer Sanftmuth ruht; die edelste Form der Stirne und des Hauptes. Mit dem freyen Arme zieht sie das blaue
Die vollkommne und still reizende Schönheit des Bildes, die Erinnerung des grausamen Schicksals dieses holden Geschöpfs, füllte mein Auge mit Thränen Die Tante drückte meine Hand und sagte mit Seufzen: »Ach! sie verdient die Zähren jeder guten Seele. Denken Sie, was ich gelitten habe, wie ich den Engel, so elend zugerichtet, vier Monat lang leiden und endlich sterben sah! – Liebe, süsse Eufrosine!« sagte sie und küßte den Arm des Bildes gab dann Otten die Hand: »Ich danke Dir, daß Du den zwey wackern Frauenzimmern von Deinem Onkel und Deinen Tanten so gut geredt hast!« – Dann wies sie uns das Bild von Ottens Mutter. Erzählte von ihr, und versicherte Julien,
Wie es etwas später wurde und wir gehen wollten, fiel Otten ein, daß es Mondlicht wäre, wir wollten bey dem schönen Abend um die Stadt herum bey dem Einlaßthor nach Hause gehen, und indessen noch einige Zeit in der Tante Garten uns aufhalten. Das war ihr ganz Recht, und sie wies uns ihre liebe Einsiedeley, wie sie es nennte. Im Gehen wandte sie sich ungefehr um, und betrachtete
Dieses Gespräch war mir traurig süß. Denn ich konnte mich des aufsteigenden Wunsches nicht enthalten: »Ach, wenn der Geliebte meiner Seele hier wäre, und die Ruhe der Erde, und die alles Leiden besänftigende Strahlen des Mondes mit mir sähe! Wenn
So kamen wir nach Hause, voll seligen Tiefsinns, der die Tugend lieben macht.
Es ist gut, meine Mariane! es ist wohlthätig vom Schicksal, wenn es uns die Erfüllung kleiner Wünsche versagt, weil wir dadurch die freudigen und vergnügten Empfindungen der Seele versplittert genössen, und den erhabenen Reiz des großen Guten nicht mehr nach seinem ganzen Umfange fassen würden!
Schon lange begehrte mein Herz von der Vorsicht eine Erscheinung aus der schönen alten Welt, wo der Freundschaft, die sich zum Besten des Freundes aufopfert, Altäre gebaut wurden, und wo diese Bewegung der menschlichen Seele höher geschätzt war, als Liebe, weil sie edlere und schönere Thaten vor sich hat und hervorbrachte. Durch Sie, Mariane, bin ich mit jedem sanften, einnehmenden Zuge der weiblichen Freundschaft bekannt geworden. Sie haben alles für mich gethan, was Ihr edles Herz nach den Erfordernissen des meinigen thun konnte. Es giebt aber Fälle, in denen die Verfassung der bürgerlichen
Herr G** that vor einigen Tagen den Vorschlag einer kleinen Jagd, die es, als Oberbeamter in R**, zu genießen hat, und bat die Uebenswerthe Familie und den Freund der ** dazu Madame G** nahm mich mit. Das Wetter war so schön, daß wir auf vier Tage da blieben, und uns aber, wegen Mangel der Zimmer, zu zwey und zwey, in Eines lagern mußten. Madame G** war bey mir. Madame ** und ihre Tochter wieder beysammen, und sodann Herr ** und sein Freund, gleich neben uns im dritten Stocke. Herr R** mit einem andern. – Wir waren alle sehr vergnügt. Nur den
Es war sieben Uhr des Morgens, als ein Theil der Gesellschaft gleich nach der ersten Zerstreuung des Nebels durch die Weinberge in das kleine Haasenwäldchen wallte. Madame ** ging mit. Ihre Tochter aber in ihr Zimmer, um sich ganz anzuziehen. Meine G** auf einen Augenblick in die Küche, und ich in unser Schlafzimmer, wohin sie kam und gleich anfing: »Rosalia! was ist Ihr Oheim für ein Mann? kann er einer Frau die überfließende Güte des Herzens vergeben? wäre er fähig, ihr ein Darlehn auf etliche Jahre zu machen?« –
»Liebe, liebe Madame G**, wie hastig thun Sie mir diese Fragen; und Sie sehen ja ganz unwillig dabey aus!« –
»Was für ein trauriges Bild mahlen Sie mir, liebe Madame G**! Aber, leider ist jeder Strich wahr! – Sagen Sie mir die Ursache davon.«
»Die ist kurz gesagt, Rosalia: Meine theure, wenig gekannte, und oft mißhandelte W**, deren Empfindsamkeit ganz
»Liebe Madame G**, wie werth, wie unendlich werth wird mir Ihr Herz durch diesen Eifer, durch diese Thränen! Ich will
»Aber, Rosalia! reden Sie mit Ehrerbietung mit Lobe von dem Herzen meiner lieben W**« – Hier ging sie von mir, nachdem ich sie innig umarmt hatte. Die vortrefliche Frau! wie unrecht geschieht ihr, wenn man, ihrer Lebhaftigkeit wegen, an ihrer antheilnehmenden Empfindsamkeit zweifelt! – Hierauf hörte ich im Nebenzimmer auf- und abgeben. Ich wurde besorgt, weil es männliche Tritte waren, daß einer von den zwey Fremden unser Gespräch gehört haben könnte! Und es war so. Denn kurze Zeit he nach kam Herr ** mit seiner edlen Gestalt, und einer vermehrten Bescheidenheit in seiner Miene, unter die Thüre meines Zimmers getreten. Die Bekräftigung meiner Sorge über sein Zuhören, machte mich erröthen, und er sah mich
Er fing an: »Ich will Ihnen, würdige Vertraute der vortreflichen Frau G**, nicht verhehlen, daß der Zufall mich das wichtige Gespräch hören ließ, worinn Sie beyde die Bedrängniß einer edlen Freundinn zu beben suchten. Möchten Sie mich nicht diesen Zufall benutzen lassen, und mir das Glück gönnen, den kleinen Vorschoß zu thun, der ihre Herzen aus der Verlegenheit zöge, worinn Sie sich befinden?«
Ich war verwirrt, verwundert, und konnte nichts, als: »O Herr **« sagen. Aber seine Stimme, seine Gesichtszüge, die Stellung, in der er mir dieses Anerbieten that, war der schönste vermischte Ausdruck von Edelmuth, Sorgsamkeit, Würde für sich, und Verehrung für meine Freundinnen: so, daß
Hier kam Frau G**. Sie blieb stutzend stehen. Ich rief ihr aber zu: »Kommen Sie, und hören die schöne Ursache meiner Thränen und der Bewegung, in der sie mich sehen!« – Ich erzählte ihr alles: sie wurde bald blaß, bald roth. Endlich aber ergriff sie auch die eine Hand des Herrn **: »Die Vorsicht hat Sie in unsern Bund gezogen. Sie erhalten den Dank der besten Herzen dabey; und gewiß, schätzbarer Mann, verlieren Sie nichts. Ihr Glaube an weibliche Tugend und Rechtschaffenheit soll Sie nicht gereuen!« – Hier vergoß sie einen Strom von Thränen. Herr** wurde davon beunruhigt. Sie bemerkte es; und da sie sich etwas erholt hatte, sagte sie ihm: Sie wäre auf Einmal durch den Gedanken hingerissen worden, daß sie erst in dem Alter von etlichen und vierzig Jahren, nach so vielen Wünschen, so vielem vergeblichen Durchlesen der Bilder von Edelmüthigkeit, einmal die Hand eines Menschen fasse, dessen Seele jede kalte steinerne Hindernisse übersteige, um
Wie froh, meine Mariane, bin ich, über mein fühlendes Herz, das mich einen so wahren Antheil an den Leiden und Freuden meiner Nebenmenschen nehmen läßt! Und wie glücklich bin ich, während meinem Aufenthalte in dieser Stadt, wo mir so viele Gegenstände vorkommen, die meine Empfindungen in einer immer gleich starken und gleich reinen Bewegung erhalten! Sie wissen, daß ich mißvergnügt war, nach den vier ersten Prunktagen von Juliens Hochzeit nur Einen zu rasten, und den sechsten schon wieder zu einem Gastmahl und Tanz aufs Land zu reisen! Aber wie reichlich wurde ich schadlos gehalten! Nicht durch das Lachen der muntern Freude, oder durch das abwesende Bild von jetzigen und künftigen glücklichen Tagen, welche dieses Bündniß bezeichnen; nein, es war durch die süssen Thränen, der innigsten, tiefsten Rührung der Seele, bey der ich die Güte der Vorsicht aufs Neue erkannte, da sie jedem Gegenstande des Vergnügens eine unendliche
Ott kam eben auf uns zu. Sie sagte ihm meine Neugierde, und er versicherte, daß er mich gesucht hätte, um mir seine Freunde Kayn bekannt zu machen. Ich sagte ihm kurz alle meine gehabte Ideen. Er lächelte
Ein tiefer Schmerz durchdrang mich, um so mehr, als ich von dem Platze, wo ich mit Otten redte, Kahn und seine Frau sehen konnte. »O, wie unglücklich ist das! Aber, wie kam es?«
»Aus einer elenden Ursache, Rosalia! Er war sechszehn Jahre alt, und wollte Abends seine Strumpfbänder losmachen, wurde über einen Knoten ungeduldig; will ihn mit einem spitzen Federmesser entzwey schneiden; dieses glitscht aus und gerade in ein Auge, das den Moment verlohren war, und die gewaltsame Vermundung, die schmerzhafte langsame Kur des einen Auges, hat die gänzliche Schwächung des andern nach sich gezogen.« –
Ich hatte meine Augen voll Thränen der Wehmuth, und Ott fuhr fort: »Glücklicher Weise ist, er Sohn des reichsten Hauses in unserer Grgend. Sein Vater suchte junge Leute aus, die ihm nach seiner Genesung vorlesen, Musik machen, und Gesellschaft
Ich weiß nicht, Mariane, was diese Erzählung auf Sie wirkt; aber ich war in süsser Wehmuth zerflossen. Wir kehrten langsam zurück, und fanden den vortreflichen jungen Mann, mit der Flöte in der Hand die Musik zu den Tänzen accompagniren. Bey den Reihen um die Obstkörbe schloß er sich mit an. Seine zärtliche Lioba tanzte mit. Ott hatte mich ihr als die beste Freundinn seiner Julie vorgestellt, und beyden versprochen, daß sie mich in Kahnberg kennen und lieben würden.
Herr Kahn horcht sehr genau auf den Ton der Stimme. Es dünkte mich auch, daß er nach dem Lobe, so Ott von mir machte, mich ganz besonders belauschte, und sie hingegen auf meine Miene und Wesen Achtung gäbe. Hätten sie nur beyde merken können, wie viel Antheil ich an ihnen nahm! Denn, jedes Gefühl von Vergnügen, das meine Augen, durch die von der Abendsonne vergrößerte
Ich bin vier Tage in Kahnberg gewesen, und hier hat mir Ott eine Probe seiner wahren Achtung für mich, und seiner feinen Empfindung für das Vergnügen seiner Freunde gegeben. Das Erste, weil er mir bey dem Aussteigen aus unsere Kutsche sagte: »Nun, Rosalia, kommen Sie in eine Gesellschaft, die allein für Sie ist! Lauter aufgeklärte edle Empfindungen des Herzens!« Madame Kahn war mit ihrem kleinen Sohn unten an den Stiegen und umarmte Julien und mich ganz herzlich. Ott war voraus, um seinen Freund an seine Brust zu drücken. – Das Haus ist nicht groß, aber sehr artig; hat auf einer Seite, so breit es ist, einen offenen auf Säulen gestützten Saal, dessen Fußboden der mit vieler Mühe geebnete und polirte Felsstein des Bergs ist, der just allein an dieser Ecke zu finden war; denn das Uebrige alles ist ein sich weit erstreckender fruchtbarer Hügel. Dieser Saal ist mit einem schön gehauenen Steingeländer eingefaßt, welches zwischen
Bey diesen Statuen und Vasen war ich glücklich. Sie wissen, daß ich Winkelmanns Geschichte der Kunst mit so viel Eifer gelesen habe, und immer den Wunsch hatte, einige der großen Meisterstücke der Bildhauerey zu sehen. Ott hatte bey verschiedenen Anlässen diesen herrschenden Geschmack bey mir bemerkt. Er wußte auch, daß sein Freund Kahn vorzüglich die Annehmlichkeiten der Formen liebte. Wir waren des Rachmittags zum Evffeetrinken in dem Garten, wo in einem schönen runden Tempel die Statue der mediceischen Venus
Kahn, seine Frau und ich, saßen auf der Rasenbank, nah dabey; sie horchten mit mir mit Rührung zu. »Mein Ott ist also auch
Ott und Julie waren leise über den Grasboden zurückgekommen und hörten dieses, sagten auch zugleich, das freue sie sehr! aber mein Name müsse auch dazu. Nun folgte ein Gespräch über das verschiedene Verdienst des Mahlers und Bildhauers. Ott neckte mich ganz fein und widersprach mir, bis ich am Ende, mit allem Feuer und Stärke meiner Empfindung, auf seine behaupteten Reize der Täuschung des Mahlers sagte: »Freylich ist es Täuschung! denn wenn die Aehnlichkeit der Abbildung meines Freundes mich so an ihn erinnert, daß jede Gesinnung meiner Seele für ihn so lebhaft wird, daß ich aufstehe und ihn umarmen will: so treffen meine ausgestreckten Hände auf ein Stück senkrechtes glattes Leinen, glitschen davon ab, und mein ihm entgegen gewalltes Herz, anstatt sich an seinen Busen zu schwingen, verschließt sich traurig in meine Brust zurück; alle Thränen der Liebe und Freundschaft fließen
Zwey Familien, deren Landgüther etliche Stunden weit von hier entfernt sind, haben sich wieder in die Stadt begeben, und dadurch bin ich mit vier Personen bekannt worden, die mir sehr schätzbar sind. – Ein würdiger Mann von funfzig Jahren, der in einem großen, dem Fürsten gehörigen Dorfe, vier Bauerhöfe besitzt. In der Nähe dabey ist ein großer Wald; Eisenbergwerke und ein Bad, zu seiner abwechselnden Belustigung. Aber das ganze Maaß seines Gefühls und aller seiner Achtsamkeit ist für das Rutzhare und Schöne der physikalischen Welt. Stadtleute, ihrer Beschäftigungen und Vergnügen, sind ihm gleichgültig, wohl gar widrig, wenn sie sich zu nah an ihm drängen. Ich gewann seine volle Freundschaft, als ich mit vieler Aufmerksamkeit der Erzählung seiner ländlichen Freuden und Arbeiten zuhörte. Ein Bauer ist ihm das schätzbarste Geschöpf auf der Erde. Und dieser Enthusiasmus ist eine Quelle von Glückseligkeit für die umliegenden
Der muntre, und dabey sanfte Ton, mit dem sie dieses sagte, hatte uns gefreut. Julie U**, die eine nahe Verwandtinn von ihr ist, küßte ihre Hand und sagte: »Sie werden jetzund aber durch die Verehrung schadlos gehalten, die beyde Geschlechter für Ihren Charakter haben!«
»Ja, meine Julie! dies ist ein großer Ersatz, wenn unser Herz uns des Zeugniß giebt, daß wir Verehrung verdienen, weil es das Höchste ist, was ein Mensch dem andern geben kann; denn, ich glaube, wir gebrauchen diesmal den Ausdruck nicht, wie er in Ansehung der Großen und Mächtigen
Mich deucht, diese Frau hat die Gabe, ihren Umgang liebreich und angenehm für junges Frauenzimmer zu machen. Ihre siebenzehn Jahr alte Tochter war mit bey uns, Diese hat auch einige bedeutende Züge in ihrem Thun und Wesen. Zum Beweis, sie spielt Clavier; hat aber ihren ganzen Fleiß allein auf den vollkommensten Ausdruck und Nettigkeit des Andante verwendet, worin sie auch bis zur zauberischen Rührung gekommen ist, indem sie jetzt schon entweder die süsseste Schwermuth, oder die sanfteste Seelenruh in
Ich habe die letzten Tage allein mit meinem Kopfe zugebracht, und seitdem noch eine sonderbare Bekanntschaft gemacht. Unser Ott erzählte, daß die fremde Frau, die in den Vorstadt wohnt, sich eines von den zwey neuen Häusern an der Mauer gekauft hätte, von dem sie den untern Stock zu einer Schule der Vorstadt einrichte, wozu sie sich von dem Magistrat die Erlaubniß ausgebeten. Bey allen armen da wohnenden Handwertsleuten habe sie Arbeit bestellt, und bey den geschicktesten davon arme Lehrjungen aufgedingt, wofür sie ein gutes Lehrgeld bezahle, um auf diese Art den Leuten wieder aufzuhelfen, und ihre Kinder aus dem jetzigen Elend zu reißen und vor dem künftigen Verderben zu bewahren. Von dem Magistrat habe sie sich ausgebeten, daß in zwey Jahren Niemand weiter in die Vorstadt ziehen dürfe. Ihren Stand und Herkommen wisse man nicht; aber Amsterdamer Kaufleute hätten ihr an die besten hiesigen Häuser offene Wechsel gegeben. – –
Die Frau im Bette weinte Thränen der Freude, während ihr Mann erzählte und fing an, halb schluchzend zu sagen: »Ja, das ist alles wahr. Mir hat sie Leinen und Betten gegeben, auch Flachs und Hanf zum Spinnen. O, wenn ich leben bleibe, so kann ich jetzt als eine recht brave Bürgerfrau stehen, und auch meine Mädgen dazu ziehen. Sie wollte meine Gevatterinn werden, aber ich sagte, daß wir schon eine so gute fremde Jungfer dazu hätten. Da sagte sie: ›Die behaltet Ihr; ich kann Euch sonst Guts thun.‹ Sie ließ die Hebamme kommen, und gab ihr Geld, und redete ihr zu, recht wohl für uns arme Weiber zu sorgen. Sie war heut schon bey mir, und freute sich, daß ich so gesund bin.«
Ich saß da gerührt, verwundert. Was für einen Werth giebt diese Frau dem Gelde, dachte ich, und wurde immer begieriger, sie selbst zu sehen. Als ich von der Taufe zurück kam, war sie im Hause, um zu verhindern, daß die Wöchnerinn durch die häßliche Gewohnheit des Kindtaufschmauses nicht Gefahr.
Sie ist groß, wohlgewachsen, richtig, aber nicht fein gebildet, und hat im Ganzen keine Züge von Schönheit: aber sie ist mit einem Ausdruck von Anstand, Güte und Bescheidenheit übergossen, welches, wie ich sagen möchte, eine Art Firniß ausmacht, durch den ihre ganze Gestalt einen edlen Schimmer erhält. In ihrem schönen Aug' ist viel Geist, Empfindung und der kleine Zug von Schwermuth, so in ihrer Miene herrscht, machen den Wunsch nach ihrer Freundschaft entstehen, weil alles
Sprachen versteht sie, allem Anschein nach, sehr gut; denn bey dem Buchführer hat sie alle historische und physische Bücher, auch Reisebeschreibungen begehrt, die Englisch, Deutsch, Französisch und Italienisch herausgekommen sind; und auf dem Postamt alle Zeitungen und Journale, die in diesen Sprachen ausgehen, bestellt. Die beyden Mahler in der
Gestern und vorgestern hat es stark geregnet, und ich war heute nicht ganz wohl. Aber Morgen Abend werde ich mit Julien. Orten, Herrn und Frau G**, selbst auf die Mauern klettern, um sie singen zu hören. Adieu! von
Wem soll ich danken? Ihrem Herzen, Ihrem Genius, oder beyden zugleich, die mich die Freude genießen lassen, jede meiner Ideen und Empfindungen vor Sie dringen zu können, wie man sich vor einen Spiegel stellt, um durch ihn das schickliche und unschickliche der Kleidung und Gebehrden, Fehler und Vollkommenheiten der Gestalt zu erblicken, welcher auch unermüdet, über den bey großen und kleinen Anlässen vervielfältigten Gebrauch, immer mit gleicher Redlichkeit das Güte und Tadelhafte beleuchtet. So läßt mich auch, Mariane, Ihr reiner, von allen Vorurtheilen freyer und lichtvoller Geist, jedes Bild meines Verstands nach seinem eigenen Wesen, aber auf allen Seiten beleuchtet, wiedersehen. – Die Güte, Sanftmuth und Wahrheit Ihrer Seele zeigt mir, was richtig, falsch, gut oder bös ist; und so, meine Mariane, sind Sie für mein Herz und meinen Kopf Belohnung und Warnung geworden. Dafür danke ich Ihnen auch mehr, als ich sagen kann.
Ich besuchte Tags darauf meine Wöchnerinn, in Hoffnung, die Fremde zu sehn. Aber sie hatte den ganzen Tag in einem Hause zugebracht, worinn zwey kranke Kinder waren, denen sie Tod und Leiden, durch Erzählung von Engeln und himmlischen Gespielen, zu versüssen suchte, und mit größter Zärtlichkeit jede Erleichterung und Erquickung gab. Der Knabe von zwölf Jahren, dem sie von der Beschäftigung der, Engel redte, und ihm die Aussicht zeigte, daß er vielleicht zum Schutzgeist seines jüngern Bruders bestimmt würde, hörte ihn lächelnd zu, hob seine matten Hände gen Himmel und sagte: »O Gott, ich glaube, es, denn diese Frau ist gewiß ein Engel, den du in unsere arme Vorstadt schicktest.« – Sie stund von ihrem Stuhl auf, faßte seine
»Sehen Sie,« sagte ich in unserer Gesellschaft, »wie diese Frau Gutes erweckt und Gutes thut!« – Da wurde von jemand gesagt: »Ja, ja! das sind die schönen Haare der büßenden Magdalena, womit sie unsern Herrn die Füße abtrocknete.« – Dieses Stück Witz, meine Mariane, womit auf den vermutheten Sängerstand der Dame gezielt war, verdrängte jede Bewegung des Lobs, der Achtung und Nacheifrung, so sie verdient.
Ihre Gedanken, Mariane! die Ihrigen allein will ich über mich und über diese Frau anhören und befolgen.
Noch zweymal war ich umsonst in der Vorstadt; aber Madame Guden schrieb mir heute ein Billet: »Sie suchen mich so anhaltend, daß es undankbar wäre, wenn ich Ihnen nicht entgegenginge. Aber ich werde Ihre Glückseligkeit nicht vermehren, und Sie meinen Kummer nicht mindern. Kommen Sie Morgen zu unsrer Wöchnerinn, aber allein; denn ich will keine feine Leute sehen. – Guden.«
Das Stutzige dieses Tons hätte mich bald zurück gehalten, aber das Sonderbare lockte mich wieder. Ich ging also hin, ungeachtet es stark regnete, wie es Septembertage machen. Ich fand sie am Rocken sitzen, und die Wöchnerinn neben ihr, um auf das Spinnen, so sie von ihr lernte, Achtung zu geben. Sie war in einem grauen Leibkleide, mit einer großen weissen Schürze, und schien etwas blässer, als ich sie das Erstemal gefunden hatte. Sobald sie mich erblickte, stund sie auf, und ging mir mit zärtlicher Eile entgegen.
Können Sie, Mariane, sich Rosalien und all ihre Ideen vorstellen, die während dieser kleinen Abhandlung in ihr entstunden und hin und her gingen, so wissen Sie, daß mein erster Gedanke war: »Madame Guden! dein Reichthum macht dich stolz und eigenmächtig,« Aber da der Ton ihrer Stimme ganz melodisch, und der Ausdruck ihres Gesichts so voll Wahrheit war: so wandten sich auch meine Gedanken auf eine andre Seite. Ihr Billet sagte von Kummer, und ich weiß, daß dieser in einer starken Seele Entschlossenheit hervorbringt, die sich nicht immer damit abgeben kann, jede Idee in fein gebogene Formen zu bringen. Zudem hatte sie Recht; es war doch zum größten Theil Neugierde, so mich bisher nach ihr gezogen hatte. Ich antwortete
Feyerlichkeit, süsse Sanftmuth edler, zudringlicher Ernst war in dem abwechselnden Ausdruck ihres Gesichts und Tons. Und ein Theater sollte sie gebildet haben? Nein. Mariane, das kann nicht seyn. Das Theater kann einen schönen Geist, eine fein empfindende Seele bilden: aber ein so starkes inniges Gefühl vom Wohl und Weh der großen Masse des Volks, das richtige, ernste Abwägen der Ursachen und Natur des Glücks giebt allein das große Schauspiel der Welt und die Geschichte der Menschheit. In dieser Frau ist eine eigne Seele, und in ihrem Geschick müssen auch eigene, sonderbare Züge seyn. Sie hat mir einen Auszug ihres ganzen Lebens versprochen, und bis dahin soll ich sie weder zu gut, noch zu übel beurtheilen, auch von dem, was mir an ihr gefällt, ja gegen Niemand zu vortheilhaft sprechen. – Und da ging sie an ihr Clavier, spielte Phantasien, nicht stark in der Geschwindigkeit, aber nett im Ausdruck,
Frau Guden will mir alle Woche zwey Tage schenken, wo ich mit ihr essen und den Nachmittag mit ihr zubringen soll. Gestern war der erste davon, wo sie mir, wie sie sagte, den Faden gab, mit dem ich aus dem Labyrinth der Ideen kommen würde, welches ihre Erscheinung in dieser Stadt und die Muthmaßungen über sie in mir hervorgebracht hätten. Sie wäre die einzige Tochter eines deutschen Gelehrten, dessen Glücksumstände aber so gewesen, daß er sie wohl reich an Kenntnissen, aber bey mittelmäßigem Vermögen zurückgelassen hätte. Ihre Mutter wäre eine Frau voll feiner, tiefer Empfindung, ihr Vater ein feuer- und geistvoller Mann gewesen. Sie sage wir dieses, weil sie fest überzeugt sey, daß der seltsame Ton ihres Charakters aus dieser Mischung entstanden sey. Ihr Vater habe sie denken und wissen, ihre Mutter Empfindsamkeit und Wohlthätigkeit gelehret; daraus sey auch ihre schwärmerische Anhänglichkeit an edle Kenntnisse und
Hier langte sie aus einem Kästchen einige Zeichnungen hervor, worunter das Bild des Schicksals war, mit einer Wagschaale voll Blumen, Perlenschnüre und einer schönen Vase; in die andre Schaale legt es Dornen, Steine und Fesseln. Eine schöne weibliche Figur kniet vor dem Altar, wo dieses Wägen vorgeht, und zeigt mit dem seitwärts gesenkten Kopf, und ihren, mit vieler Grazie auf ihrer Brust sich faltenden Händen, Dank für die Blumen, und neben dem Abwenden von der dornerfüllten Schaale, ruhige Unterwerfung.
Da ich das Bild so ausdrucksvoll fand, sah ich mit Rührung sie an. Sie küßte mich und sagte: »Ja, mein Kind, hier fingen die
Eilf Monat war er immer um und mit uns gewesen. Ich hatte tausendfache Beweise seiner Hochachtung und Liebe für mich bemerkt, und ihm gewiß eben so viel zu
Wir kamen nach Holland. Dort lernte ich van Guden kennen. Dieses erzähle ich Ihnen das nächstemal, und dann werden Sie mich selbst ganz kennen.« –
Ich verließ sie traurig, aber sie sagte, es wäre ihr doch süß. Adieu!
»Liebe Rosalia!« sagte Frau Guden, als sie mich wieder sah, »zu was haben Sie mich gebracht, daß ich Ihnen alles so erzähle?« – Ich wollte antworten, aber sie ließ es nicht zu.
»Sagen Sie mir nichts darüber. Habe ich nicht die Erleichterung genossen, zu reden? von meinen Talenten und meinen Leidenschaften zu reden? Ich bin überzeugt, es thut unserer Seele eben so wohl, von den Fesseln des Zwangs und des Verbergens ihrer eigentlichen Gesinnungen befreyt zu seyn, als es den Händen und Füßen eines unglücklichen Kettenträgers gut thun muß, wenn er auf einige Zeit sich losgeschlossen fühlt.« – »Liebe Madame Guden! Das Gleichniß, dessen Sie sich bedienen, macht mir Schauder. Ketten und Fesseln verwunden oft stark. Ich hoffe, daß es mit Ihrer Seele nicht so seyn möge.« – Sie lächelte und sagte: »Wer weiß, was für Striemen Sie finden würden, wenn sie sichtbar
Nach dem Essen, da ich sie den Caffee so langsam und tiefsinnig einschlürfen sah, dachte ich, es würde ihr hart seyn, mir weiter zu erzählen, und sagte, ich wolle bis ein andermal warten. »Nein, Rosalia! Ich will Ihre Begierde und Erwartung nicht täuschen. Kommen Sie mit mir auf meine kleine Bank am Fenster in den Garten. Wenn er schon entlaubt und welk aussieht, so ist doch ein großes Stück freyes Feld und freyer Himmel vor uns, deren Anblick mir sanfte Erinnerungen geben wird, wenn ich über Etwas herbe Empfindungen haben sollte. Ich hätte letzthin gern gewünscht, Alles auf einmal gesagt zu haben, denn ich bin die zwey Tage über nicht glücklich gewesen. – Nun, Rosalia! wir durchreiseten Holland. Da wurde meine liebe Dame krank, und dieses gleich anfangs bedenklich. Der Arzt, den man rufte, war ein sehr geschickter, aber
Die Dame hatte sich langsam erholt, und war noch sehr schwach, als sie die Pocken bekam, und daran starb. Ich war untröstlich; denn sie war äußerst liebenswürdig, und ihr hatte ich die süßeste Freude meines Lebens zu danken. Sie hatte mich mit Edelmüthigkeit behandelt. Ich war ihre Vertraute und an ihren Umgang gewöhnt. Durch sie hoffte ich auch wieder in Verhältniß mit Herrn von Pindorf zu kommen, denn ich wollte nicht mehr von ihr, sondern unverheyrather bleiben. Aber Ruhm war mein Plan, um immer in der Hochachtung des Herrn von Pindorf die vorzüglichste Stelle zu erhalten. Alle dies war nun wieder zerstört, und ich sehr niedergeschlagen. Der Graf von W** blieb auch als Wittwer noch drey Wochen da; brachte alle mögliche Augenblicke bey mir zu, und redte da von seinen zwey Söhnen, seinem großen Vermögen, dem Widerwillen, so er
›Ganz einfach,‹ sagte er. ›Der Graf liebt Sie, und wird Ihnen vorschlagen, mit ihm in der Stille vermählt zu werden. Hernach geht er auf seine Güter, holt seine beyden Söhne ab, und sie gehen alle mit einander nach Frankreich, wo Sie ihm seine Kinder erziehen helfen, und durch Ihren Geist und Talente immer die ausgesuchteste Gesellschaft zuziehen werden.‹
Ich konnte gar nicht sprechen, sondern starrte ordentlich den guten Mann von Kopf zu Füssen an. Er hielt es für das Staunen der Freude, und setzte hinzu: Der Graf hat Recht. Alle feindenkende und edle Leute werden Sie lieben und ehren. Ich sah diese Gesinnungen in ihm, da noch seine Gemahlinn lebte.
›Ich danke Ihnen, werther Herr van Guden, daß Sie mir einige Nachricht von dieser sonderbaren Idee des Grafen gegeben haben. Denn nun kann ich ihm mit so viel mehr Ruhe und Ernst meine völlig abschlägige Antwort geben.‹
In der That schickte mir der Graf den andern Morgen früh ein versiegeltes Paket, mit der Aufschrift: à Mademoiselle de Hofen, worinn Alles, was er zu meinem Vortheil und seinem Glück dachte, dargestellt war. Die Aufschrift, de Hofen, diente schon zu einer kleinen Leitersprosse, die mich meiner künftigen Höhe nähern sollte. Er hatte sich zugleich ausgebeten, mit mir zu frühstücken. Ich kleidete mich, so eilig ich konnte, völlig an, weil ich in einem Morgenkleide zu vertraut ausgesehen hätte. Meine ehrerbietigen Verbeugungen machten ihn gleich stutzen, aber doch nur Zweifel, und kein entschlossenes Nein erwarten. Er bat lange, jammerte, zürnte, und sagte mir endlich: ›Er müsse es sich gefallen lassen, daß der Stolz auf meine Talente ihm diese unerwartete Bewegung zuzöge; und er müsse mir nun die, von meiner Vaterstadt eingelaufenen Briefe, über den Zustand meines Vermögens, in dieser unangenehmen Gelegenheit
Ich will,« fuhr sie fort, »meine Betrachtungen und damaligen Gedanken nicht wiederholen. – Er reiste den nemlichen Abend noch weg, ohne mich zu sehen, und ließ mir die Kleider und daß Weißzeug seiner Gemahlinn, zur Belohnung für die Krankenpflege; und, in der Bosheit, auch meine Zeichnungen und das Tagebuch der Reisen, indem er nur von letztern bey dem Herrn van Guden eine Copie begehrte, aber nicht von meiner Hand.
Sehen Sie nicht, Rosalia, aus diesem Zuge seines Charakters, wie glücklich mein Herz mich schützte; denn dies allein war Ursache, daß ich den Plan des Grafen verwarf. Er war schön, geistvoll, und von einem erhabenen Stande. Von P** hätte
Den zweyten Tag nach der Abreise des Grafen war ich in einer neuen Verlegenheit. Wo sollte ich hin? Mein ganzes Vermögen bestund in vier hundert Gulden, nach dem Verlust, den mir mein Verwandter zugezogen. Die Kleider der Dame und meine betrugen wenig; denn wir hatten beyde auf den großen Reisen nur einen Koffer. Das Beste, so ich von ihr hatte, war eine von Golddraht als Körbchen geflochtene Zuckerdose. Ich war nachdenklich bey unserm Frühstück. Van Guden ging aus, kam spät und müde, aber sehr munter, zum Mittagessen zurück. Ich hatte mich indessen vorbereitet, mit ihm zu reden, und fragte, ob er mich eine halbe Stunde anhören wolle? – ›Ja,‹ sagte er, ›der Nachmittag ist ganz für Sie. Ich habe heut eine Arbeit gethan, die mich freut.‹ –
Ich erzählte ihm mein Leben, meine Umstände und den Wunsch, als eine Hülfe, die Erziehung eines jungen Frauenzimmers zu besorgen! ob er nicht durch seine Freunde mir einen solchen Ausweg verschaffen könnte. –
Hier traten dem vortreflichen Mann Thränen in die Augen, wobey er dann noch lächelte, mir die Hand reichte, die meinige eine Zeitlang stillschweigend hielt, und mich so ansah, als fragte er: Wie wirst du das aufnehmen, was mein redlich Herz dir sagen wird?
Endlich dankte er mir für mein Vertrauen, lobte den Entschluß, meine Talente dem mühseligen Geschäfte der Erziehung zu widmen; aber dies wäre ein Glück für ihn; denn, da ich mich mit aufwachsenden Kindern hätte plagen wollen, von denen ich einen sehr ungewissen und späten Dank zu erwarten hätte, würde ich vielleicht durch eine großmüthige Wendung dieses Gedankens, die nemliche Geduld und Sorge für einen, aus Alter sich der Kindheit wieder
Frau Guden fuhr fort zu erzählen: Es wäre ein Schreiben an sie gewesen, worinn er ihr sagte, der Graf habe ihm Nachricht von dem Verlust ihres kleinen Vermögens gegeben; dies habe seine lebhafte Theilnehmung vermehret und ihm die Begierde eingeflößt, Etwas zu ihrem Glück zu thun. Bald wäre es der Gedanke gewesen, sie an Kindes Statt aufzunehmen; bald, ihr einen Theil seines Vermögens zu geben. Da aber bey diesen Gedanken Anlaß zu Spöttereyen und Mißvergnügen gewesen wäre: so hätte er gewünscht, daß sie sich entschließen könnte, ihm für die noch wenigen Tage seines Lebens ihre Hand zu geben. Auf diesen Wunsch hin habe er heute früh mit einem Freunde sein Testament entworfen, welches in vier Theile richtig und unverwerflich geschieden sey: einer für alte und kranke Arme; der zweyte für seine schätzbare Frau; der dritte für seine Verwandten, und der vierte für die Verwandten seiner ersten Frau. Unter diese Beyden vertheile
Dieser Antrag hätte ganz andre Bewegungen in ihr hervorgebracht, als des Grafen seiner; er schien ihr redlicher und großmüthiger. Doch hätte sie sehr geweint, ihre Lieblingsidee aufzugeben, die sie gehabt, für das Andenken des Herrn von P** zu leben. Doch habe das Bild der wahren Güte des herrlichen alten Mannes, und der Gedanke, ihm durch die Erfüllung seines letzten Wunsches die Freude zu geben, eine glückliche Person nach sich zu lassen; dann die Betrachtung,
»Gereuen!« sagte er; »Gott gebe, daß Ihre Gefälligkeit Sie niemals reuen möge.« –
Sie wären in der Stille getrauet worden, und hätte ruhige Glückseligkeit genossen; und vier Jahre hindurch habe sie drey junge Frauenzimmer von seinen beyderseitigen Verwandten um sich gehabt, und sie erzogen. Eine davon hätte van Guden selbst noch ausgestattet,
»Der Zufall brachte mich in die Residenz des Fürsten von ***, und ich nahm mir vor, den Winter da zuzubringen. Herr von P** kam auch dahin. Er war Wittwer. Ich beobachtete ihn in der Oper, beym Ball und Concert; aber ich hatte den Schmerz, ihn mit der tändelnden Artigkeit bey Damen zu sehen, die jeder alltägliche junge Mann in der großen Welt zeigt. Es schien mir der hohen Würde, die ich seiner Seele beylegte, unanständig. Von P**, den ich verehrte, anbetete, zum galanten Schwätzer erniedrigt! o, meine Freundinn! es zerriß mein Herz, und war mir Ueberzeugung, tödtliche Ueberzeugung, daß er mich nicht mehr lieben, ich ihn nicht mehr anbeten könne. – Hätte er dieses Betragen, diesen Ton seiner Gesinnungen gehabt, als ich ihn kennen lernte, so würde mein Glück und meine Ruhe nicht in die Gewalt meiner Leidenschaft für ihn gekommen seyn. Meine verfeinerten Empfindungen und meine
Sie werden ganz natürlich finden, daß die Empfindung für das Schmerzhafte und Schlechte eben so stark in mir seyn muß, als der Enthusiasmus für das Gute und Edle ist. – Die große Welt hatte das Götterbild meines Geliebten verstümmelt. Mein Unmuth suchte den Tempel zu zerstören, den ihm meine Verehrung in meiner Seele erbauet hatte; aber die Grundlage des Glücks
Dennoch, meine Liebe! wenn Einer meiner Vorstädter über Sie geklagt hätte, wenn ich nicht das redliche Lob der guten fremden Jungfer von Ihnen gehört hätte: so würde ich auf das Vergnügen Ihres Umgangs Verzicht gethan haben; denn ich wollte nichts von der ganzen Liebe und dem Vertrauen dieser Leute verlieren. – Das Volk hat richtiges Gefühl von Tugenden und solchen Eigenschaften, die einen wirkenden Einfluß auf ihr Wohl haben. Deswegen lieben sie den gerechten, uneigennützigen, leutseligen Mann; den Wohlthätigen und den Tapfern, der das Vaterland vertheidigt; den Prediger, den Beichtvater, die um ihre ewige Wohlfahrt beschäftigt sind; den Vornehmen, der mit Güte und Achtung sie ansieht und behandelt. Aber die größte Gelehrsamkeit und das höchste Maaß der Kenntnisse des Geistes sind für sie verlohren. Was wollten sie auch damit thun, die guten Leute? – Und mir, mein Kind, mir war es Bedürfniß, daß Jemand
›Haben Sie Dank,‹ sagte sie mir, mit einer zärtlichen Umarmung, ›daß Sie diese Freude mir gegeben haben.‹« –
Nun wissen Sie, meine Freundinn, die Hauptzüge des Charakters und des Lebens der Frau van Guden, und Sie denken, daß sie mir um so viel werther war, da ich sie nun ganz kannte. Ich mischte unter meinen Dank für ihre Erzählung eine Art von Staunen, wie es wohl möglich wäre, daß man Sie verkannt und nicht immer geliebt habe? – Sie sagte: »Ihre Freundschaft für mich thut hier wirklich die Frage, die meine Eigenliebe damals that, und es auch nicht fassen konnte. Aber jetzt, da ich gegen Andre eben so billig, als gerecht gegen mich selbst bin, finde ich es ganz leicht, daß ich, mit all meiner wahren Güte, Mißvergnügen verursachen kann. Jede Art von Stärke, oder Gewalt, die bey einem Weichlichen oder Schwachen gezeigt wird, giebt um unangenehme Besorgnisse, wenn sie nicht grade zu seiner Unterstützung oder überhaupt zu seinem Besten gebraucht wird. Die zu große Lebhaftigkeit, mit der ich bisher bey allen Caractere de douceur ausdrückt, und mit welchem in der That süsser zu leben ist, als mit mir. Denn gewiß, zu viele Lebhaftigkeit hindert die Grazie des Verstandes und der Geberden, wie es bisher mit mir geschehen ist; und dann hat es seine gegründeten Ursachen, daß man den, der immer gleich gut scheint, mehr liebt, und ihm mehr Dank weiß, als dem, der sagt: Ich will gut mit Euch seyn; – ich will Euch ertragen. –
Ich sagte hier: »Ach, der Fall war anders mit Ihnen. Eifersucht überfiel Sie, da Sie den Mann ihres Herzens der nun frey war, bey anderm Frauenzimmer so aufmerksam sahen.«
»Es mag etwas davon seyn; aber es ist ganz in meiner Seele, daß ich vortrefliche Leute, ohne die geringste Erwartung von Gegenachtung, innig liebe und ehre; wie
»Auf diese Art ist ihre Liebe eigentlich nur Dank für das Vergnügen, so man Ihnen giebt, einen schönen moralischen Charakter darzustellen?«
»Sie können Recht haben, meine Liebe; denn ehemals haßte ich auch, sobald ich einen starken moralischen Mangel bemerkte. Aber ich habe mich nun von dem Eigensinn befreyet, alles nach meinen Modellen gestaltet zu sehen; und die Mannigfaltigkeit in der moralischen Welt giebt mir eben so viel Zufriedenheit, als die, so ich in der physischen bewundre. Ich werde es in Zukunft mit meinem Geist und Herzen, wie mit meinem Körper machen. Wenn ich, in meinem ruhigen Gange, an einen Stein stoße, oder mich an einem Dorne ritze, so wäre mein Zorn unvernünftig. Die Natur des erstern ist Härte, des zweyten stachelicht. Wenn meine Empfindlichkeit ihnen zunahe kommt,
»Liebe Madame Guden! Sie lehren wich da sehr Vieles, was mir mein Leben erleichtern kann.« –
»Und auch das Leben derjenigen, die um Ihnen sind. Denn wir üben niemals keine kleine, oder keine große Tugend aus, ohne andern Gutes und Vergnügen damit zu geben.« –
»Das ist wahr; aber es giebt auch viele Tugenden, zu deren Ausübung ein großes Vermögen gehöret.« –
»Warum fällt Ihnen just diese Betrachtung ein?« –
»Weil ich niemals keine von den großen Tugenden werde ausüben können, die ich an Ihnen verehre.« –
»Ich dachte wohl, daß mein Reichthum diese Idee hervorgebracht hätte. Aber wie wäre es, Rosalia, wenn ich Ihnen bewiese, daß Sie mehr Gutes thun können, als ich; und mehr innern Frieden genießen werden?« –
»Dies scheint mir nicht möglich!« –
»Vergeben Sie, werthe van Guden, wenn ich Ihnen freymüthig bekenne, daß es mich auch leichter dünkt, mich an Ihren Platz zu stellen, als es Sie dünken würde, wenn Sie den meinigen einnehmen müßten.« –
»Das ist noch eine Frage; denn Sie wissen die Fabel mit den Bindeln, da ein jeder glaubte, daß der andern ihre leichter wären.« –
»Ach! Sie wissen es nicht so, wie ich.« –
»Sie waren mir wichtiger, als ich mir selbst.« –
»O, Rosalia! wünschen wir nicht auch das ganz Neue zu hören anstatt dessen, was wir schon lange wissen?« –
»O, Madame Guden, warum strafen Sie mich so oft über die Neugier, welche, Sie müssen mich es sagen lassen, der außerordentliche Ton Ihres Charakters nothwendig hervorbringen mußte.« –
»Vergeben Sie diese Art Strafe, wenn Sie eine zweyte Ursach anstatt der ersten sagen.« –
»Ja, aber ich will mich auch rächen; denn ich will Ihnen sagen, was mein vermuthliches Loos seyn wird; und sie sollen mir seinen Gebrauch entwerfen.« –
»Das thue ich sehr ungern; denn just dieser Leichtigkeit, mit welcher ich ehmals Umrisse von dem zeichnete, was ich an der Stelle dieses oder jenen machen würde, just dieser hatte ich den Grund der Abneigung zuzuschreiben, die ich mir zuzog; und ich möchte Ihre Liebe nicht verlieren.« –
»Ich will es, Rosalia. Aber Sie müssen mich dann auch die Anmerkungen wissen lassen, die Kunstverständige darüber machen werden.«
Dies versprach ich ihr; und das nächstemal erzähle ich ihr meine vorläufige Verbindung mit C**, meine Aussichten und den Wohnplatz, den ich haben werde.
Meine heutige Unterredung mit Frau van Guden war sonderbar, weil sie auf alle meine Fragen auf so abgebrochen antwortete, wie zum Beweis, auf die von der Religion: »Sie ist meinem Hetzen nicht nur um meinetwillen sondern auch des Nächsten wegen schätzbar, weil sie allen Menschen, sie mögen große oder kleine Verstandskräfte besitzen, deutliche und hinreichende Mittel und Bewegungsgründe zu guten Handlungen varbietet, Trost im Leiden verschaft, und wahre Zufriedenheit auch bey geringen Umständen lehret. Aber sie ist nicht mehr, wie sie aus den Händen ihres göttlichen Stifters kam. Süße und bittre Leidenschaften hindern und unterbrechen ihren Einfluß, wie den von der Vernunft. – Aber lassen Sie mich davon aufhören; ich bin über diesen ehrwürdigen Gegenstand nicht gern in Gespräche verwickelt.« –
Hierauf sagte ich ihr, daß ich Vorgestern in einer Gesellschaft jemand in großem Eifer
»Von diesen hätte ich in einer großen Gesellschaft am wenigsten gesagt.« –
»Aber da ich allein bey Ihnen bin, würden Sie mich sehr verbinden, wenn Sie mir sie mittheilen.« –
»Ich halte diesen Tadel für Unrecht; denn der vermeinte Vorzug der Kunst liegt gewiß in dem Gefühl, daß die Werke der Natur durch Allmacht und Weisheit eines Gottes entspringen; Künste aber, durch Geschöpfe unsers gleichen, und uns also mehr in Erstaunen setzen müssen, weil wir in dem Augenblicke, da wir sie bettachten, einen so großen Unterschied des Gebrauchs und der Fähigkeiten der nemlichen Organisation bemerken.« –
Hierüber sagte ich mit einiger Bewegung: »O, was für einen Verlust hat die Gesellschaft an Ihnen erlitten! wie viel Licht, wie
»Das glaube ich nicht, mein Kind; denn der ganze Ton meiner Seele ist zu eigen gestimmt. In wichtigsten Anlässen würde ich immer mißfallen und mißvergnügt sehn.« –
»Sie! – mit so viel Kenntnissen, mit so viel Empfindung, würden gewiß die edelste Hochachtung und Liebe erhalten.« –
»Gute Rosalia! was Sie da sagen, beweist mir, wie verschieden unsere Begriffe von Hochachtung, Liebe und Edelmüthigkeit sind.« –
»Und wie so?« –
»Ach, alle Gefühle meines Herzens hierüber, gehören mit unter die todten Sprachen, die nur die und da ein Geschichtschreiber, oder Alterthumsforscher erlernt, um von den Sitten und Gewohnheiten erloschener Nationen zu reden.« –
»Zu welchen zählen Sie mich? Denn ich hoffe, Sie sind überzeugt, daß ich Sie von Herzen hochschätze.« –
»Ja, meine Liebe. – Aber ich bin doch auch überzeugt, daß ein großer Mißbrauch der Worte: Verehrung, Freundschaft, Liebe,
»Erlauben Sie, Madame Guden, daß ich hier mit einem Gleichniß einfalle. Es sind auch in der physischen Welt mehr mittelmäßige, als außerordentliche Sachen; und da trifft also das genaue Verhältniß ein, das beyde mit einander haben.« –
»Ja, das Verhältniß ist in allem; Ablaß der Sünden und Adel wird mit Geld erkauft; – da ist auch wieder Gleichheit in den wahren Verdiensten des Adels und den wahren Tugenden der Christen.« –
Ich sah sie an; und gewiß, meine Blicke fragten sie, was das für eine Stimmung ihres Gemüths seyn möge, in der ich sie heute gefunden? – Sie faßte auch diesen Blick
»Ich staune nicht über die Antworten; aber über den abgebrochenen, starken Ton, in dem Sie reden. – Waren Ihnen meine Fragen mißfällig?« –
»Nein, meine Freundinn; aber ich kann von diesen Gegenständen nicht leicht reden, ohne daß die Hauptsaiten meines Charakters erschüttert werden. Merken Sie sich nur, daß ich die Gelegenheit dazu nicht suchte, und denken Sie, nach dem, was Sie von dem Gange meines Geschicks und meiner Erziehung wissen, daß ich auf diesem Weise nothwendiger Weise einen eignen Gesichtspunkt bekommen mußte, worinn mir die Sachen so erscheinen, wie ich sie mahle. Und dann ists auch wahr, daß meine Farben nicht so unmerklich in einander fließen, wie es bey feinen Schattirungen geht.« –
»Aber, Sie wissen doch, wie sehr mir, von dem ersten Augenblick an, Ihre Manier gefallen hat. – Ich fühlte diesen Zug
»Ja, es dünkt mich,« sagte sie, »daß Sie auch von der Hauptstraße abgewichen sind, und daß Ihr Fußpfad in den meinigen kreuzte.« –
»Ich hoffe noch mehr, denn ich denke, daß wir mit einander fortgehen werden, weil, allem Ansehen nach, diese Stadt mein Wohnplatz bleiben wird; und Sie werden die glücklichen Geschöpfe nicht verlassen, die Sie aus dem Elende zogen.« –
»Vielleicht entferne ich mich, um ihnen ein noch größeres Glück zu geben.« –
»In was könnte dieses bestehen?« –
»In der vollkommenen Freyheit, meine Gaben ohne meine Oberaufsicht zu genießen.« –
»Und ich, was würde mir bleiben?« –
»Mein Andenken und mein Briefwechsel, in dem Sie die so oft abändernde Launen nicht finden würden, wie in meinem Umgange.« –
»O, Madame Guden, wie ist es möglich, daß Sie mit der kalten Ruhe von dem Schmerze reden, der Ihren guten Vorstädtern und mir durch Ihre Abreise zukäme?« –
»Das ist unmöglich; denn der Antheil, den ich an Ihnen nehme, ist eine von den süßesten Empfindungen meines Lebens.« –
»Ich glaube es. Aber Sie geben mir desto traurigere Besorgnisse, über das Wohlgefallen, das Sie an dem Bilde und den Wendungen einer so stark herrschenden Leidenschaft finden. Sie haben alle Anlage, die Sie zu den nemlichen Schmerzen führen kann; und wie unerträglich wäre mir der Gedanke, Ihre Ruhe untergraben zu haben!« –
»Das kann nicht seyn; denn es liegt schon alle Gleichheit in uns, bis auf diese, daß mein mir bestimmter Freund auch abwesend, auch in der großen Welt lebt; daß ich ihn
Sie sah mich mit Wehmuth an, stund auf, umarmte mich; eine Thräne zitterte in ihrem schönen Auge. – Aber bald faßte sie sich und sagte mit Ernst: »Rosalia! ich habe noch einen Auftritt vor mir; diesen will ich durchsetzen. Sie sollen alles wissen; und ich hoffe dadurch Ihrer edlen Seele nützlich zu werden indem Sie sich alle Merkmale meines Weh's und meiner Schwäche bezeichnen können, um Ihr Wohl desto sorgfältiger zu bewachen.« –
»Aber dieser Auftritt, muß er seyn? – Wollten Sie mich nicht lieber durch Stärke und Sieg, als durch Schmerz und Verlust belehren?« –
Hier ging sie schnell, aber mit keinem unfreundlichen Wesen, in ihr Cabinet. Es machte mich unruhig. In einigen Minuten kam sie wieder und trat an ihr Clavier, wo sie ganz englisch spielte und sang; mir hernach sagte, sie danke mir, ich hätte sie belehrt und sie wolle Stärke und Sieg suchen; doch eine Reise müsse ich ihr erlauben im Frühjahr zu thun; ihr Leben und ihre Gemüthsruhe
Mariane! Menschenfreundlichkeit ist in dem Herzen der Frau von Guden eine unerschöpfliche Quelle von Erfindung geworden. Sie legt einen Spaziergang an. Zu dessen Erweiterung und Unterhaltung hat sie Grundstücke für die Gemeinde der Vorstadt gekauft, wovon eine Wiese, die mit etlichen großen Bäumen geziert ist, und gleich an der Landstrasse liegt, zum Spaziergang im Grünen; das andre Stück aber, nebst einem daran stoßenden schönen Ackerfelde, dem nahe wohnenden Gärtner, wegen Unterhaltung der Bäume und Hecken, zum Genuß gelassen wird; und er hingegen darf seine Milch und Butter im Sommer niemand verkaufen, als den bürgerlichen Einwohnern, die sie im Grünen essen wollen. An dem Bache, der auf einer Seite hinläuft, hat sie, so lang die Lustwiese geht, wie ich sie nennen will, das User allmählig abhängig machen lassen, damit die Kinder im Laufen und Spielen nicht jähling hinein fallen können, und die Gehenden und
Dieser Lustplatz hat sie sehr ergötzt, und sie hörte und sah gern, daß ich in Allem beystimmte und mit ihr genoß. Zweymal mußte ich im Mondschein mit ihr hinaus. Süßere Melancholie habe ich niemals gefühlt, als die Augenblicke, wo ich mit ihr auf einer der Steinbänke saß; und schweigend, wie sie, die schlafende Gegend betrachtete. Ihr Gesicht war voll Ausdruck einer tiefen Rührung. Mit einem halb unterdrückten Seufzer sah sie den Mond und dann mich an. Eine Thräne schwamm in ihrem Auge. Sanft umarmte sie mich, legte ihren Kopf leicht auf meine Brust, und lüßte ein Paarmal meinen Hals, aber auch nur ganz leise. In diesen Augenblicken redet man nicht durch Worte. Ich verstand sie und freute mich über den Werth, den sie auf mich legte. Wenn ein gepreßtes
Frau van Guden blieb dabey, mir nicht mehr als zween Tage der Woche zu geben; und ich bleibe dabey, sie auf die Probe zu stellen, wie sie sich einst in meiner Stelle, als Frau des Herrn Cleberg, und jetzo an dem Platz zweyer unverheyratheten Freundinnen meiner lieben Julie Otte, betragen würde? Sie muß bey dieser Gelegenheit würklich aus sich selbst heraus gehen, weil sowol die Umstände, in denen ich mich befinden werde, als auch die von den vier guten Mädchen, ihr weder den willkührlichen Gang ihres Denkens, noch die Freyheit ihres Tons und ihrer Handlungen erlauben. Und da wäre es ja möglich, daß sie zu der Art Leuten gehörte, die in einem großen unbeschränkten Felde, muthige, edle Schritte und Bewegungen machen, in einem kleinen umzäunten Höfchen oder engen Zimmerchen aber, so gezwungene kleine Tritte, Beugung des Kopfs, und Uebereinanderschlagen der Arme vornehmen, daß Jedermann das Unschickliche oder Unangenehme davon
Dabey sagt aber mir mein Oheim oft: »Gelehrt will ich Dich nicht haben: nur den Geschmack des Wissens und ein vernünftig zuhörendes Aussehen, wenn von der Geschichte, der Physik und andern Kenntnissen gesprochen wird.« – Sprachen und Musik stünden einem Mädchen, das zur Frau eines Gelehrten oder guten Negocianten bestimmt wäre, auch wohl an; ich solle aber ja niemals anders, als in einem weiblichen Ton von alle dem reden,
Letzthin sah er mir eine Zeitlang zu, als ich nähte und mit vieler Nettigkeit an seinen Manschetten besserte. Da sagte er mit seiner wahren Gutherzigkeit: »Mädchen! die feinen Stiche Deiner Nadel sind eben so viel werth als der Witz Deines Kopfs.«
»Ich möchte wohl wissen, mein lieber Oheim, welchem von beyden Sie den Vorzug geben?« –
»Hum!« sagte er, und sah mich an. »Rosalia! wenn ich ein Alltags Oheim wäre, und Du ein gewöhnliches Mädchen: so wählte ich gleich. Aber, da ich weder den Eigensinn der Haushälter, noch die Eitelkeit der schönen Geister habe, die Euch entweder nichts als Handarbeit, oder nur Witz, Poesien und feine Kenntnisse erlauben wollen: so sage ich Dir, daß es mir leid wäre, in einem Mädchen Deines Standes und Deiner Aussichten, eines von beyden zu missen, da beyde beysammen seyn können; weil der Unterricht und die Uebung in Haushaltswissenschaften die Du brauchst, und die Umstände
»Sie haben Recht, lieber Oheim. Aber doch, wenn ein Frauenzimmer alle Fähigkeit, die zur Fassung der hohen Kenntnisse, und alle Stärke des Geistes, die zum anhaltenden Nachdenken darüber nöthig ist, nebst der Begierde, sie zu erlangen, in sich fühlte: dürfte diese nicht darnach streben?« –
»Ja, Ja! die darf es thun; eben so wie es Mannsleuten erlaubt ist, die alles dies in sich vereinigt haben. Denn da wird gewiß ein Ganzes aus dem Kopf entstehen. Aber da dieser Fall selten ist, so will ich bey Euch lieber eine vollkommene Hauswirthinn, als eine halbe Gelehrte haben; wie ich aus Buben lieber vortrefliche Künstler und Handwerker, als einen Haufen gestickelter Theologen,
»Da liegt aber auch der Fehler an unserm Deutschland, wo wir dem geschickten Künstler und Arbeiter keine so vorzügliche Ehre, als dem sogenannten Gelehrten beweisen. Vorzug ist aber doch immer ein Gegenstand der menschlichen Wünsche gewesen, und wird also auch gesucht, wo man seinen Werth bestimmte. In Frankreich wird nicht allein der Gelehrte jeder Gattung, nebst dem Mahler, Bildhauer und Baumeister, sondern auch der Schlösser, Zimmermann und Becker, von den Akademien erforscht, gelobt und mit Achtung genannt, wie ich in der Beschreibung der Denkmähler Ludwigs des Funfzehnten fand; und ich denke wohl, daß dieses eine große Ursache ist, warum sie so schöne und mannigfaltige Werke der Künste in allen Arten haben, weil jeder junge Mensch, der sich Talente zutrauet, sicher ist, daß er auf jedem großen oder kleinen Wege des Gewerbes
Mein Oheim lächelte. »Ey Rosalia, ich habe geglaubt, daß Da dieses Buch nur wegen der schönen Kupfer durchblättertest. Da Du es aber auch durchlasest, so hättest Du zugleich die Ursache finden können, warum es bey uns nicht so seyn kann, und wenigstens lange nicht so seyn wird.« –
»Aber das schmerzt mich, mein lieber Oheim. Warum ist denn das so?« –
»Rosalia, ich sage weder bey kleinen, noch großen Anlässen empfindliche Wahrheiten, wenn sie nichts nützen. Ich müßte über National. Charakter und Verfassung reden, und zu was hülfe Dirs viel? Suche die Ursache zu errathen, warum in Frankreich große Provinzstädte so geschwind den Gedanken der Hauptstadt annahmen und auch ausführten. Sie fühlten, daß sie eins sind. Bey uns ist die Zeit lange vorbey, wo wir dieses selige Gefühl hatten. Deutschland! Ach, was ist das Schönste und Größte, wenn es in Stücke gerissen, und dann so
»Aber wir ahmen doch so gern Frankreich alles nach.« –
»In was? im Kleinen! seine Kleinigkeiten! Und, mein gutes Mädchen, das, was groß heißt, entsteht niemals aus Nachahmung, sondern aus innerer Kraft. Sammle alle Beyspiele von edler Güte, Größe und Stärke der Seele zusammen; lege sie einen Haufen Menschen vor, denen das Schicksal eine Gelegenheit zugemessen, sich se zu zeigen: sie werden Deine schönen Beyspiele loben und bewundern. Aber nachahmen wird nur der, so den nemlichen Keim in seiner Seele hat. Aber sey zufrieden; das Gleichgewicht ist da. Denn das Schlechte und Böse findet auch nur Wenige, die einen Wettlauf nach dem höchsten Grade unternehmen.« –
»Sie wollen mich also auf allen Seiten mit dem Mittelmäßigen aussöhnen?« –
»Das ist eine Mädchenfrage! Soll ich Dir in dem nemlichen Ton antworten?« –
»Versuchen Sie es, Herr Oheim; ich bitte Sie.« –
»Da ist auch Gleichgewicht, weil die Letzten so mittelmäßig sind, als die Erstern. Legen Sie nur immer das Uebermaaß in Ihre Güte für mich.« –
Er versprachs. Was sagen Sie zu dieser Unterredung?
Von Frau von Guden.
Rosalia! auch nach dem, was Ihr so rechtschaffener Oheim Ihnen vom Wissen der Mädchen sagte, und worinn alles Nöthige begriffen ist, was zum sichern Leitfaden auf dem Wege des deutschen weiblichen Verdienstes dienen kann; auch da noch wollen sie meine Gedanken und das geschrieben wissen, was ich von Ihnen, als Mädchen, denke?
Als Tochter und Richte eines Raths; in den vortheilhaften Umständen eines hinreichenden Vermögens, und bey so viel Unabhängigkeit sind Sie, nach Geist und Herzen, wie ich Sie verlange. Meine vertrauten Unterredungen und meine Liebe haben Sie, hoffe ich, davon überzeugt. Ob aber auf dem Grunde Ihres jetzigen Glücks auch die Keime Ihres künftigen Wohlstandes aufwachsen, weiß ich nicht; weil ich ihren Cleberg nicht kenne, und mit ihm, um es freymüthig zu sagen, eben weil sie so wenig von ihm reden, und mir auch keinen Brief von ihm weisen, ganz unbekannter
Cleberg hat es gut geheißen, gelobt, ob er schon sahe, daß sein eigner künftiger Wohlstand dadurch vermindert wurde. Ich bin überzeugt, daß es ihm Ernst war; denn, in seinem Alter ist immer Großmuth bey der Liebe; und persönliche Sorgen fühlt er auch nicht. Aber ein Wink lag in Ihrer Erzählung; als ob Sie fürchteten, er möchte darüber einmal anders denken; und das würde Ihnen weh thun. – Nun, Rosalia! will ich an Ihren Platz treten, und sagen, was ich thun würde. Cleberg ist, mit all seinen Vortreflichkeiten, ein Mensch. Vielleicht zeigt sich das Unvollkommne, das er mit uns allen gemein hat, gerade auf dieser Seite. Die an meinen Verwandten bewiesene Edelmüthigkeit möchte ich nicht zurück nehmen: aber den Abgang des Erbes will ich zu ersetzen suchen. Und da die Einrichtung des Hauses sammt der Obsorge
Ich habe in meinen jüngern Jahren eine Frau gekannt, die auch sehr wohlthätig, aber mit einem Manne verbunden war, der etwas Härte in seinem Charakter hatte, seiner Frau aber bey ihrem Putz alle Freygebigkeit erzeigte. Sie nahm von ihrem, zur Kleidung und Anzuge bestimmten Gelde, schaffte sich neue Sachen, aber minder kostbar, so daß sie an ihrer Pracht so viel ersparte, daß sie eine Familie unterstützte, ohne die Ausgaben ihres Hauses zu vermehren. – Möchten wir nur im Privatstande, besonders in Familien, wo das Vermögen allein in der Besoldung des Mannes besteht, die Idee des Unterschieds und Hervorthuns vor andern Ständen, auf die Seite der übenden Tugend, angenehmer Kenntnisse, schöner Handarbeiten, und Liebenswürdigkeit des Umgangs legen: so würden weniger unglückliche Herzen und verkehrte Köpfe unter uns
Rosalia an Marianen.
Hier ist Madame Guden Antwort auf meine Anfrage wegen der zwo Freundinnen von Julie Otte; und ich bitte Sie, mir ganz zu schreiben, was Sie darüber denken. Ich fühle daß mich diese Frau so sehr eingenommen hat, daß ich alles gut, alles richtig finde, was sie sagt und vornimmt. Sie haben dieses Vorurtheil nicht, und können also den wahren Werth ihrer Ideen viel besser bestimmen, als ich. Sie wissen auch daß, so sehr ich die van Guden liebe, dennoch Ihr ruhiger und gesetzter Geist alle Obermacht über meinen Glauben und Unglauben behalten hat, und daß mir nichts wahrhaftig werth, oder verwerflich wurde, ehe Sie nicht das Gepräge der Achtung oder Geringschätzung darauf gelegt hatten. Nun lesen Sie die van Guden selbst.
Sie wissen doch, Rosalia, daß alle Arbeiten, die man ungern vornimmt, ganz genaue Züge des Zwangs behalten, den man sich bey dem Gedanken und der Ausführung auflegen mußte? – so ging es mir würklich bey der sonderbaren Foderung, die Sie an mich thaten, mich in den Platz junger Frauenzimmer zu setzen, deren Glücksumstände geringer, als das Ehrenamt ihres Vaters sey. –
Ich glaube Ihre Absicht errathen zu haben. Diese Frauenzimmer werden von der Vorstellung des wenigen Vermögens gedrückt, und leiden in ihrem Gemüthe. Sie mochten dieses heben, und vermuthen in meiner Einbildungskraft ein Hülfsmittel zu finden; denn Sie sagten mir ausdrücklich daß Sie nichts als geistige Handreichung haben wollten. Vergessen Sie nicht mein Kind, daß alles, was der Reiche und Glückliche dem Armen und Leidenden nur als Rath und Trost sagt, sehr wenig Würkung hat; ausgenommen das Bezeigen persönlicher Achtung, weil dieses der natürlichen Eigenliebe gefällig ist – Die Königinn
Ich wäre gewiß, Rosalia, daß dieser Gebrauch meiner Umstände, wenn ich niemals davon abwiche, mir Achtung, Freunde und inneres wahres Vergnügen geben würde. Je artiger meine Figur, je seltener zeigte ich sie; scheute keine Gesellschaft, aber drängte mich auch in keine; niemals am Fenster, niemals in Comödien und auf großen Spatziergängen, auf keinem Ball; trüge die größte Sorgfalt für den Ruhm eines untadelhaften Lebens; wahre ruhige Gottesfurcht, kein Gepränge von Frömmigkeit, machte keine Besuche, als wo man mich ans Hochachtung wünschte, und sorgte dafür, diese Gesinnung zu vermehren; nähme von Mannspersonen gar keine Besuche an; sagte niemals von keiner Seele nichts,
Aber, Rosalia, wo kam ich da hin? – von Ihnen zwey guten Mädchen, die allein einen duldenden, nicht einen vielwürkenden Kreis durchgehen müssen. – Doch mag Ihnen der Gedanke, die Empfindlichkeit der Eigenliebe Ihrer Nebenmenschen auf alle Weise recht klug und behutsam zu behandeln, immer nützlich seyn. –
Dieses Gemählde gefiel. Ich mußte es auf allen Seiten darstellen. Die Aeltere entschloß sich zu dieser Wahl, und ist in der That ganz vortreflich geworden; und ihr Stolz
Die jüngere wollte das nicht; war aber verlegen, und hatte eben so viel Widerwillen gegen die Stadt und Bekannte, als die ältere. Meine Phantasie diente auch ihr, indem ich sagte: daß ich meinen Namen verändern und zu einer großen Dame als Kammerjungfer gehen würde, deren Gunst ich mir, durch meine Geschicklichkeit in Putzsachen, durch meine Aufmerksamkeit, meinen Verstand und sehr eingezogenes Leben dabey, sobald erwerben würde, daß ihr niemand lieber seyn sollte, als ich. Dann suchte ich allen im Hause Gutes zu thun, das Eine zu entschuldigen, das Andre zu warnen, dem Dritten eine Belohnung zu erhalten. Meine Stimme, meine Mandor, hielt ich lange verborgen; spielte und sänge nur, wenn fast Niemand zu Hause wäre. Jeder Schritt, den ich thäte, müßte durch Klugheit, Tugend und Güte bezeichnet seyn; machte mich aber mit Niemand, als mit meiner Dame vertraut, für deren Ruhe, Anmuth und Nutzen ich aufs
Julie soll ihren Freundinnen schon jetzt von der Lebensart, die sie einst führen müssen, mit Hochachtung reden, und sie durch sanfte Stufen hinunter leiten, ihren mäßigen Unterhalt in der Ebene anzupflanzen.
Madame Guden ist eine sonderbare Erscheinung in unsrer Weiberwelt. Ich habe Ihnen geschrieben, daß sie niemand suchte, als unsere beyden Mahler und den Kupferstecher. Nun kann ich Ihnen melden, warum sie dieses that.
Ich fand sie heut munter, und glänzend von inniger Freude. Sie ist schön, sehr schön, wenn die Farbe der Heiterkeit des Geistes ihre Züge belebt. – Sie umarmte mich zärtlicher, als jemals. –
»Meine Liebe. Sie müssen heut eine gegenwärtige und zukünftige Freude mit mir theilen.
ich bin im Paradiese.« ––
Sie führte mich in ihr Zimmer; da waren drey Kasten von Pappendeckeln auf einem großen Tisch – Sie wies darauf.
»Hierinn, Rosalia! ist Erndte und Saamen von Glückseligkeit für mich.« –
Ich antwortete ihr, daß ich sehr erfreut wäre, dieses zu hören; denn so genieße sie auch einmal, was sie Andern gäbe. – Sie drückte mich mit einem Arm an sich, mit dem andern hob sie einen Deckel auf, und nahm ein Papier weg. Da sah ich das Bild eines blühenden Baums und die Aufschrift – Frühlings Bilder – für den ältern Sohn des Herrn von Pindorf. Sie blickte dabey durchdringend auf mich. ––
»O, Madame Guden! wo ist Ihr Zorn gegen Pindorfen hingekommen!« – »Zorn! Rosalia, Zorn? – Ist der Schmerz der Liebe Zorn? Oder glauben Sie, daß aus einer Seele, wie die meinige, eine Leidenschaft so leicht auszurotten ist? – Was wäre meine Liebe
Nun fing sie an, mir die Bücher zu zeigen. Sie hat der Brüder ihre so mit einander verbunden, daß immer einer den andern nöthig hat, um das Ganze einer Vorstellung zu wissen; und sie denkt dadurch eine Grundlage zu der Ueberzeugung des Nutzens der Brüderlichen Freundschaft zu stiften.
Ich will Ihnen einige Bilder davon beschreiben, und die Bücher mit den Zahlen 1. 2. 3. – bezeichnen, wie sie bey den Kindern folgen; nur nicht so vollständig, als ich sie sahe. –
1.) Das Erste ist eine Landschaft nach Kleists Frühling. Trübe Wolken, die sehr vom Winde getrieben werden – aber auf einer Seite die Sonne, deren Strahlen auf einem Berg mit Schnee bedeckt fallen, den sie schmelzen,
Die Zeichnung und dann die Haltung der Farben ist äußerst richtig und wahr. Auf das weisse Blat, – gegen den Bildern über, schreibt Frau Guden selbst eine Art Auslegung davon – in einem einfachen und eindringenden Ton der Seele.
2.) Im zweyten ist es schon belebter. Ein Theile des Dorfs. – Der Himmel ist freundlich. – Ein Bauer bessert seinen Pflug, einer die Hecke seines Gartens, ein dritter hilft dem Wagner eine Speiche in ein Rad machen.
3.) Buch des Mädchens. – Da ist die Bäurinn, welche nun durch das neu wachsende Gras, Hofnung zu mehr Nahrung für ihre Kühe, und also auch zu mehr Milch und Butter hat; – räumt ihr Milchstübchen, säubert und ordnet alle Milch- und Käsegefässe. –
1.) Bauern im Felde, die die Gräben der Wiesen und Aecker austiefen. An einem großen
2.) Baum- und Gemüsgarten, – wo man beschäftigt ist, das Moos und die Raupennester wegzubringen. – Von beyden wird etwas durch ein Vergrößerungsglas betrachtet. – Man gräbt die Bette im Garten und macht sie eben. ––
3.) Der Blumengärtner reinigt leere Blumentöpfe. – In einem Glashause sieht man inländische Blumen, dann Zwiebeln, Wurzeln und Saamen davon. Allerley Gartenarbeitgeräthe werden vorgesucht und geordnet. –
Herr von Pindorf sagt seinen Kindern: – Diese Leute machen Entwürfe und Anstalten, zu arbeiten – und wir, zum Vergnügen. Wir wollen aber sorgen, daß unsre Frühlings Zeitvertreibe uns eben so nützlich werden, als diesen rechtschafnen Leuten ihre Bemühungen.
1.) Hier ist ein Spaziergang auf das Feld. Herr von Pindorf erklärt seinen Kindern das Pflügen und Säen, und redet zu ihnen mit vieler Achtung vom Ackerbau und den Bauern. –
2.) Schöne Wintersaat, Kleefelder und Graswiesen; Dabey eine Heerde Vieh. –
»Hier, Nahrung für uns; – da, – für unsre guten Kühe und Pferde.« –
3.) Saamen zu verschiedenem Gemüse. Was jedes am liebsten ißt, – damit besäet es ein Stückgen. ––
1.) Sie sehen Bäume pfropfen, aushauen, biegen und anbinden; lernen sie auch kennen.
2.) Erste mühsame Arbeit im Weinberg. Bewunderung des köstlichen, überfliessenden Safts, durch das dünne unscheinbare Holz der Reben.
3.) Der Baumgarten in voller Blüthe, und ein artiger Reihentanz von mehreren Kindern um blühende Bäumchen, die man in die Mitte des Baumgartens stellte. – Alle Kinder haben Sträusse von Obstblüthe auf den Hütchen. Die Musik ist eine Schalmey. ––
1.) Brut verschiedener Vögel, und Art ihre Nester zu bauen. ––
2.) Raubvögel in der Luft und auf dem Wasser. ––
3.) Taubenzucht und Hünerhof. ––
2.) Ein Teich mit Enten. – Schönheit und Munterkeit der Vögel kommt viel von ihrer Reinlichkeit. ––
3.) Milch- Butter- und Käse-Zubereitung; mit einer, dem kindlichen Alter angemessenen Beschreibung des Nutzens des Rindviehes, während die Kinder in dem Baumstück Milch essen. ––
1.) Fischerey mit dem Angel an einem Bach nach Thomsons Frühling. ––
2.) Schaafherden, Schaafschur; kleiner Auszug der Woll- und Webereygeschichte, – Spinnerey und Weberstühle. ––
3.) Die Tochter hat die Seiden-Würmer; ihre kurze Geschichte, – Bandweberey. Hier folgen durchaus schöne Bilder von allen Seiden- und Wollarbeiten, nebst einer deutlichen, kindlichen Erzählung von den wunderbaren Eigenschaften der Säfte der Pflanzen, und dem Dienst, Nutzen und Vergnügen, so die Menschen durch ihren Verstand und Geschicklichkeit daraus ziehen; – daß der Saft des Maulbeerblats in dem Leibe des Wurms zur
Bey den Schaafen würden die Kräuter, die sie fressen, zu guter Milch, Fleisch und Wolle. – So auch bey dem Rindvieh. Bey diesem entstünde auch die starke Haut, wovon alle Gerber, Schuster, Riemer und Sattler Arbeiten bekämen. – – Dann ist ein Bild von dem Flachs- Hanf- und Baumwollenpflanzen; – daß also ihre Hemden, alles Weißzeug – und ihre mußelinen Manschetten auch aus Kräutern herkämen. – Dann der Uebergang zu den Bienen und ein schönes Bild davon. – Eine herzliche Wendung, wie nützlich auch die kleinsten Thiere, – wie sehr schätzbar die Menschen sind, welche sich mit Verarbeitung all dieser Sachen, zum Nutzen und Vergnügen Anderer beschäftigen. – Dann fangen die Bilder alles dessen an, woraus ihre Geschenke bestehen. ––
1.) Silberbergwerk. – Stuffen davon, und wie es geläutert wird. ––
2.) Goldarbeiter, der eben an den Gefässen arbeitet, die sie bekommen.
1.) Glas und Spiegel ––
2.) Die schönen Farben in ihren Malerkästchen bestehen auch aus Erde, Metallen, und dann auch aus Kräutersäften. ––
3.) Zimmer eines Malers. – Aus der Mischung zweyer Farben entsteht die dritte. –
1.) Mahagony Holz; dessen Heimath. – Etwas von Schiffarth und Flüssen ––
2.) Schreiner und Drechsler. – Diese haben die Risse und einzelne Stücke ihrer Schreibtische vor sich; dabey wird beschrieben, was diese Leute im Grossen, im Hause und auch zu ihren Spielsachen verfertigt haben. ––
3.) Die Tochter hat allerley Stik- Näh- und Webereygestelle, wo Mädchen sitzen und arbeiten, an lauter Sachen, welche die kleine Pindorf geschenkt bekommt. ––
Der schöne Lichtschirm, den Frau Guden für Pindorfen webte, ist da aufgespannt – und man sieht die Worte: Ewige Freundschaft, die im Englischen hinein gewebt sind, um die ein Kranz von vergieß mein nicht, gebogen ist ––
2.) Bilder, was Kinder anderwärts lernen müssen oder schon wissen, die von ihrer Größe sind.
3.) Arbeiten armer Kinder in Nadelfabriken, Wollspinnen etc. etc. – – Schön geputzte Knaben, die mit grossen Gebunden Bücher zur Schule gehen, worinn arm und gut gekleidte Kinder ihres Alters sind. ––
Der Reiche und Vornehme ist klein und unwissend, wie der Geringe. – Beyde haben Sorgen und Unterricht nöthig. – –
Die Uhrmacher; ein artiges Bild von den Uhren ihrer Schreibtische – Schreibkunst; Kinder die es lernen und gerade die Linie aufschreiben.
Wahrheitsliebe und Gehorsam gegen Eltern und Vorgesetzte sind die Tugenden unserer Kindheit. ––
1.) Ein Gewitter. – Herr von Pindorf mit ihnen am Fenster und die Erzählung des Nutzens und Entstehens; ganz kindlich um ihnen die Furcht zu benehmen.
2.) Herr von Pindorf auf einem Hügel, – die Tochter auf seinem Schooß, – die beyden Söhne in einem Arm geschlossen, und mit der
»Seht, meine Lieben, wie schön aller Saamen der Erden, alle Früchte der Bäume wachsen und keimen! – Möge, o meine Kinder, der anfangende Unterricht des Wissens und der Tugend, die ich mit väterlicher Treue in eure Seelen zu pflanzen suche, auch Wurzel fassen und aufgehen! – Denn Gott, der die Erde, die ihr seht, mit allen Blumen und Bäumen so schön erschuf, und allen Thieren und Menschen das Leben gab, hat mir befohlen, euch zu lieben, für eure Gesundheit, eure Nahrung und Kleidung zu sorgen, euch alles Gute zu lehren, eure Fehler zu verbessern und euch geschickt und glücklich zu machen. Wenn ich es thue, so will er mich belohnen. Versäume ichs, so wird er mich strafen; so wie er auch den Kindern, ihre Wahrhaftigkeit, Güte und Folgsamkeit zu belohnen, versprochen, – und auch ihren Ungehorsam, ihre Bosheit und Lügen ahnden würde.« – –
Ich hoffe, diese Beschreibung war Ihnen nicht unangenehm. Mich entzückte das alles, und ich denke, da die Liebe der Freundinn all dieses in der Frau Guden hervorbringe: so soll sie einst in meinem Herzen einen gedoppelten Gebrauch dieses Buchs für meine eigenen Kinder schaffen. Sie will mir ein Exemplar zum Hausgeschenk geben. – Aber jetzt rüstet sie sich zu einer Reise nach W –, welches der Wohnsitz der Herrn von Pindorf ist. – Sie weiß, daß er abwesend ist, und will also nur
»Vielleicht, sagt sie, höre ich, was mich vollends heilen kann. – Denn die Beleidigung meiner eignen Liebe bewürkten es nicht. – Wenn er aber gegen Grundsätze des Edlen, – Wahren – und Menschenfreundlichen handelt; wenn er in grossen Anlässen seines Lebens niedrig, klein – und bösartig erscheint: – O, Rosalia, da werde ich freylich von meiner mich abzehrenden Zärtlichkeit und Sehnsucht genesen. – Aber, was wird der Schmerz seyn, der mich darüber zerreissen wird!« ––
Sie geht – unaufhaltsam dem entscheidenden Augenblick ihres Jammers entgegen. –
Ich bin, meine Freundinn, sehr wohl in W* angelangt. Aber Herr von Pindorf ist nicht da, sondern, nach der allgemeinen Vermuthung, auf einer Reise, – von welcher er eine zweyte Gemahlinn mitbringen wird. – Seine beyden Söhne und seine Tochter sind hier. Diese will ich Morgen, als eine ihrem Vater bekannte englische Dame, besuchen, und ihnen die artigen Sachen geben, welche ich diesen Winter für sie zubereiten lassen. – – O, wie unruhig ist heute schon mein Herz! – Kinder von Pindorfen – werde ich morgen an meine Brust drücken! – Kinder von Pindorfen! – und ich bin nicht ihre Mutter! – Wie sorgfältig werde ich die Züge aufsuchen, die mir die seinigen zurückrufen! Ich werde gewiß das Bild seiner ersten Gemahlinn da finden, und auch darinn noch spüren, ob sie alles Andenken an mich auslöschen konnte – ob sie viel Geist hatte und gute Mutter war? –
Sehen Sie, wie immer noch Hofnung und Niedergeschlagenheit in mir wechseln. Dieses Fieber meiner Seele muß einmal aufhören. Ich werde sehr abgemattet seyn, aber doch endlich ruhen. ––
Ich sah diesen Vormittag alles, was an guten Gebäuden hier ist; und um zwey Uhr ging ich zu den Kindern des Herrn von Pindorf. Meine Schritte wankten, als ich die Stiege hinauf ging; und wie viele Mühe hatte ich, meine Thränen zurück zu halten, als ich die drey guten Geschöpfe, schön geputzt, in der Begleitung ihrer Wärterinnen und eines geistlichen Hofmeisters, oben an der Stiege der vornehmen fremden Dame ihre Bücklinge machen sah! ––
Es sind sieben Jahre, als ich von Pindorfen getrennt wurde. – Er hat einen Sohn von sechs, einen von fünf Jahren und ein liebes, ihm gleichendes Mädchen von vieren. Der älteste
Ich nahm den Aeltern und die kleine Henriette bey der Hand. Sie führten mich in das grosse Ansprachzimmer so ganz weiß lackirt ist, – und nichts als vier schöne Landschaften über den Thüren und die Bildnisse des Herrn von Pindorf und seiner Gemahlin in Lebensgrösse hat. Diese nehmen die ganze Wand zwischen zwey Thüren ein, und stellen eine getreue Nachahmung meines Gedankens vor, da ich in dem Garten zu Stow den Herrn von Pindorf mit dem schönen Auedruck seiner Seele zeichnete; nur daß anstatt meiner Dame, seine Gemahlinn; – und für Herrn von R**, einer der liebsten Freunde des Herrn von Pindorf hier vorgestellt ist; – ich aber mit meiner Zeichnung der Gruppe, in Mannskleidern. Meine Freundinn, dies Gemälde war noch Würkung seines zärtlichen Andenkens an mich; und meine Verkleidung als Mahler, war gewiß feine Schonung der Empfindlichkeit seiner Gemahlinn. ––
Sie war höchst liebenswerth, und ein edles Schmachten liegt in ihren Zügen. Ich zog den Knaben an mich und küßte ihn, während ich mit dem andern Arme die Tochter und den ältern Sohn umfaßte. Ich konnte mir nicht mehr helfen.
Ich im Hauß des von Pindorf! – Seine Kinder in meinen Armen, – sein Bild vor mir, und in diesem Bilde ein Beweis, daß ich und meine Talente ihm werth waren! Das Bild seiner Frau, daß er seine Liebe für mich opferte, und deren Ruhe mir so heilig war, daß ich niemals das geringste that, um seine Zärtlichkeit zu erneuern.
Ach wie froh bin ich, es nicht gethan zu haben! – Ich wäre durch ihren Anblick gedemüthigt und beschämt worden; denn gewiß, sie verdiente sein ganzes Herz! Nun kann ich sie anschauen und bedauren, daß sie diesen Schatz nicht länger besaß; – ich kann ihren Geist als Zeugen denken, wenn ich eins ihrer Kinder umarme.
Nur nachdem du tod warest und ich frey, – verlangte ich, deines von Pindorfs Liebe geerbt zu haben. – Du hättest mir gewiß sein Herz gegönnt, wenn du mein Bestreben gesehen, des würdigen Mannes Tage zu verschönern. Meine Liebe, meine Sorge für Deine und seine Kinder, würde mir Deinen Segen erworben haben. – Nun wird all dieses der Antheil einer Andern! – Ach möge sie seyn, was ich für ihn gewesen wäre! – Meine Freundinn! ich dachte hier mit Klopstok: Sie ist glücklicher, aber nicht edler! ––
Die Wärterinnen – und der Geistliche betrachteten mich mit Verwunderung. Diesen Grad von freundschaftlicher Empfindsamkeit hatten sie niemals gesehen. – Noch mehr aber staunten sie, als mein Bedienter meldete, die Kasten wären da; und ich die Kinder bat, mich in ihre Stube zu führen, – oder ob sie die kleine Sachen aus England, die ich für sie hätte, in diesem Zimmer sehen wollten? –
Ich merkte zugleich, daß es den Wärterinnen lieber wäre, und ließ also die Kasten bringen. Jeder war mit dem Namen desjenigen gezeichnet, für den er gehörte; – und da sie mit Schiebdeckeln gemacht sind, konnte man sie leicht öffnen. ––
Jeder der Söhne hat einen artigen Schreibtisch nach seinem Alter von Mahagonyholz, mit einer schönen Uhr, die darinn fest gemacht ist, um ihre Arbeitstunden zu zählen; – Schreibzeug, Reißzeug von Silber, Farbenmuscheln und Zubehörde in einer Schieblade; – in einem Seitenfach ein Waschbecken und Kanne, kleines Suppenkümchen, zwey Leichter, Teller, Becher, Thee- und Messerzeug auch von Silber, – und artige Porcelanschalen mit dem Namenszuge, nebst einem Bande von den Büchern die ich malen ließ. –
Die kleine Henriette bat einen Nachttisch, der auf einer Seite aufgeschlagen ist; der Spiegel und alles nöthige dazu, nebst einen Frühstückgerätbe wie ihre Brüder. Auf der andern Seite alles, was zu Frauenzimmerarbeiten und auch zum Zeichnen und Malen gehört, –
Noch einmal war ich im Hause des Herrn von Pindorf. Der Geistliche kam heute früh um für seine Zöglinge, für sich und die Wärterinnen zu danken. – Ich fragte ihn um die Gemüthsart der Kinder und das was sie lernten. – Er gab mir ganz befriedigende Antworten auf alles, was ich von den Kindern, – besonders aber, weil ich sie liebte, was ich von seinem Charakter-wissen wollte. – Der Plan des Unterrichts ist gut; aber nur lauter verwendete Gedächtnißkraft. Für die Empfindung beynahe nichts – und dabey sehr streng anhaltend.
Es ergözte mich innig, zu sehen, wie sie meine Landschaft umarbeiteten und in ihrem Gedächtniß jeden Eindruck des genoßnen Vergnügens oder Bewundern wieder fanden.
Ach dieses ist jetzo ein Bedürfniß meiner Seele geworden. – Einsam, ganz einsam möchte ich wo seyn! vielleicht würde mir da ganz wohl, wenn ich mich einige Zeit allein immer um eine Idee herum wände, so wüßte endlich ein Widerwillen entstehen, und ich nach andern Gütern mich umsehen.
Die guten Kinder baten mich, Morgen wieder zu kommen. Ich sagte aber, nun müßte ich, wegen mei ner Gesundheit weiter reisen; aber im Sommer wolle ich neue Bücher schicken – und sie dann wieder besuchen, wenn sie noch ferner meine Freunde seyn würden. –
Ich empfahl sie innig ihrem Aufseher, und mein Abschied war mir empfindlicher, als Sie denken können.
Gestern früh riß ich mich von dem Wohnsitz, von den Kindern und dem Bildniß des Herrn von Pindorf los, um an den, zwey Stunden von dort liegenden Ort zu kommen, den ich ihn hatte nennen hören, und welcher der Uebergang zu einer Anhöhe ist, die er liebt. – Mit was für Eile ging ich hinaus! und was wurden all diese Gegenstände für mich, als ich mir sagte:
Diese Bäume, diese entfernten Gebirge, den Hügel da, die Bauerhütten, diese Steine voll Moos an dem kleinen Bach, alles dies hat er mit seiner so tiefempfindenden Seele mit süssem, einsamen Nachdenken betrachtet! Sein schönes Auge sah hier um sich, ruhte auch auf der Wiese von dem starken Umherschauen aus. – O, wie lange habe ich keine Gegenstände gesehen, die Er sah! – Ich dachte mich näher bey ihm, vereinter mit ihm. – Meine Seele umfaßte mit inniger, nie so gefühlter,
Ich dankte ihr mit Thränen der wahren Zärtlichkeit für die erquickenden Augenblicke, die sie dem edlen, einsamen Spaziergänger gegeben hatte. – Sanfter Friede und unruhige Wünsche wechselten in mir ab, bis ich die Anhöhe erblickte die ich suchte. Ich war allein, denn ich wollte keinen Zeugen meiner Schritte, keinen Beobachter meiner Gemüthsbewegung um mich haben.
Ach! wüßte man, wozu mich die allgewaltsame Leitung meiner Liebe führt, wie würde man mich tadeln, weil ich aus dem gewöhnlichen Pfade gehe! – Aber sagen Sie, sind die tausendfachen kleinen, oft niedrigen Wege und Ränke, in die sich andre abhängige oder arme Geschöpfe einlassen, um ihr Herz zu befriedigen, sind sie edler – und besser, als dies was ich thue, weil sie alle Tage ausgeübt werden? – O, meine Freundinn! Lieben Sie immer das wahre, ausserordentliche Weib, wie Sie mich einmal nannten, die Muth genug hatte, ihr Gold, und ihre Freyheit zu ungewöhnlichen Handlungen der Menschenliebe zu verwenden, und die niemanden zur Rechenschaft
Daß in mir verschiedene charakteristische Theile der moralischen Welt vereinigt wären, die bey vielen Personen nur einzeln angetroffen, oder durch die Umstände unterdrückt und in der Thätigkeit gehindert würden; und daß bey mir natürliche Anlage, Erziehung, Glücksumstände und Unabhängigkeit zusamen träfen. – Jede meiner Gesinnungen und Handlungen sind willkührlich und frey, wie mein Gang auf den Berg, an dessen felsigten Seite die Ueberbleibsel eines alten zerfallnen Schlosses sind. –
Immer machte ein solcher Anblick eine sonderbare Würkung auf mich: – Vergänglichkeit menschlicher Gewalt, Wünsche, Freuden und Mühe; –– Entwürfe, ausgeführte Arbeiten. – – alles was jetzo noch meine unsterbliche Seele so bewegt, anspannt und ihr Gefühl von Kraft giebt, neue Bilder und Sachen zu denken und zu schaffen, – alles dies war in dem Besitzer dieses Hauses, der den
»Nein,« sagt das ältere, so ein Knab ist, »es ist nicht der gute Herr.« – –
»Aber,« sprach ich gleich, »ich bin seine Base,« – und gab Jedem ein Stück Geld; ging etwas vorwärts an dem Stück Mauer, bis an die Oeffnung welche die eingefallenen Stücke machen, und sah den Platz, der ehmals den Schloßhof vorstellte. Eine Seite ist ganz offen, die andre mit Schutt bedeckt, die dritte und vierte haben hohe, dicke Mauern, in deren Schlußwinkel ein Strohdach festgemacht
Der Ort, wozu dieser Burgplatz gehört, ist eine starke Viertelstunde davon, und sonst nirgend kein Nachbar umbet. – Die Bildung der Kinder ist sanft und schön, aber von der Sonne verbrannt, voll Spuren, daß sie gutartigen Eltern gehören. Grobe, aber reinlich leinene Wämschen und Hemden sind ihre Kleidung. – ohne Strümpfe und Schuhe; nur die Füsse mit alten Lappen umwickelt. – Ich fragte, wer ihr Vater wäre und wo er sey?
Das Kind redte einfach aber gut. Mein Staunen und meine Bewegung nahm zu. –
»Wie viel Kinder seyd ihr denn?« ––
»Viere. Eins schläft noch in der Hütte, und das Kleinste hat die Mutter auf der Trage mitgenommen, denn es trinkt noch ihre Milch.« ––
»Wem gehört dieses Korn hier?«
»Uns. Mein Vater hat umgegraben und ich hab geholfen. –– Hier,« – (da nahm er mich bey der Hand und wies mir mit der seinen ein mit kleinen Steinen rings um gezeichnetes Stück mit Korn) – »hier hab ich das Korn zu meinem Brodt selbst gesäet. – Es steht recht hübsch, nicht wahr! Gott wird mir es auch behüten.«
Er lächelte sein kleines Feldchen so zärtlich an, sah mit so unschuldvollem Blick gen Himmel als er Gott nannte, daß mein Herz schmolz, und Thränen träufelten über seine Hand und
»O! sagt er, ich thu auch alles selbst schneiden und auslesen; da soll mir kein Körnchen verlohren gehen.« –– Hiebey machte er mit Eifer eine sorgfältige Miene und mit den Fingern die Bewegung des Auskörnens mit der unnachahmlichen Wahrheit, die aus dem Gefühl des Bedürfnisses und der Versicherung der Nahrung entstund. O, wie rein sind die ersten Züge der Menschheit in diesen einsam erzogenen Kindern! – Aber nun fing das Mädchen auch an zu sprechen. ––
»Ich hab auch gesäet – mit der Mutter. – Dort, wies sie mit dem Finger, wächst unser Flachs.« –– In der That, abwärts umher, ist ein Streif von etwa drey Ellen in der Höhe, an zwey Seiten mit Flachs und Haber besäet. ––
»Von dem Haber und Leinsamen bekommen im Winter die Vögel,« – sprach der Knabe, – aber wir fangen auch weiche, und »die Mutter kochts im Gemüs. – Keine Jungen aber nehmen wir nicht.« ––
Der Knabe sprach lebhaft: »Aber wenn sie groß und frey herum fliegen, kann der Mensch die Gewalt brauchen, die ihm Gott über die Thiere gab. Das sagt der Vater; und da stellen wir Schlingen auf.« ––
Sie sehen an dem Ton, wie freudig der Knabe von diesem kleinen Antheil der Obergewalt redte. – Menschen Herz! wie ähnlich bist du dir im Grossen und Geringen! ––
»Meine Kinder, habt ihr eure Eltern nicht recht lieb?« ––
»O ja, von Herzen: – sie sind so gut, – so gut! – Das,« sagte der Junge, und zeigte im Fortgehen auf die grosse offene Ecke des Hofs, die mit schönen Klee bewachsen ist, »das gehört unsern Ziegen! daran haben wir aber auch alle gesät. – Weil wir alle von der Ziegenmilch essen, müssen wir für sie sorgen helfen.«
Das sind keine gemeine Menschen, dachte ich. –– O Vorsicht! du hast sie hier geschützt,
Ich fragte den Knaben, ob er das Geld kenne, so ich ihm gegeben?
»Nein, – aber er hätte solches schon gesehen; der gute Herr habe seinem Vater vorigen Sommer wie er weggangen, vier solche Stücke gegeben.« ––
»Wie ist denn der gute Herr zu euch gekommen?«
»Ey, den Weg, wie Sie. – Aber er ist geschwinder berauf gestiegen und hat sich nicht so an den Steinen gehalten, wie Sie es machten.« ––
Indem kam ein vierjähriges Kind aus der Hütte und rief: »Lotte, Lotte, mein Brodt!« – Lotte suchte gleich in ihrem Sack und zog ein Stückchen heraus, sah es traurig an, und dann
Ein holdseliges Mädchen ist diese Nanny; fein gebildet und noch ganz weiß. Ich gab dem Knaben ein ander Stück Geld und theilte noch etwas Brodt unter sie. Mein Messer, aus einem schönen Futteral gezogen, ergötzte sie sehr. Ich sezte mich auf einen Stein nahm die Nanny auf meinen Schooß wies Ihnen meine Uhr, und ließ sie schlagen. Neues Staunen für sie! – Ich hielt sie jedem an das Ohr, – und da sie die Begierde zeigten, sie von innen zu sehen, machte ich sie auf und
Lotte sah rund am Himmel umher, und zog ihren Bruder am Ermel. »Sieh doch, Carl, hellt Nacht wird der Himmel gewiß schön. – Die Frau soll da bleiben. – Alle die Wolken,« sie wies mit ihren Händen darnach, »werden lauter Gold – und roth und blau, wie des Vaters Blumen.« ––
»Ja,« sagte der Knabe munter und treuherzig, die Hand auf meinen Arm legend, – »bleiben Sie da! – Im Thal und im Dorf sehen Sie den schönen Himmel, wo Gott wohnt, nicht so wie wir.« ––
»Ja ja sagten die Aeltern« und legten vertraulich ihre Hände auf meinen Arm. »Aber,« der Knabe sah gegen die Hütte »es ist kein Platz in der Hütte.« ––
»Ey bey dir, sagte Lotte, ist viel!« – »Seyd ruhig, ich will euren Vater und Mutter bitten, daß sie mir Platz geben,« –– das war ihnen Recht. Sie betrachteten meinen Stock, meinen Huth, wunderten sich über meine langen Haare, die ich nur zusammen gebunden hatte. Ich zeigte ihnen mein Fernglas – und hieß sie durchsehen. –– Lotte sah gar nichts, sagte sie, – und der Knabe gabs mir wieder, drehte seinen Kepf munter
»O, der Vater und die Mutter!« riefen sie und liefen davon. Nanny schrie – und ich trug sie, so schnell ich konnte, den Andern nach. Da ich aber die Eltern erblickte, die ihre Trage niedergesetzt hatten und mit staunender Miene der Erzählung ihrer zwey Kinder zuhörten, die beyde zugleich sprachen und das Geld, dann auch mich zeigten: so ging ich etwas langsamer. Die Nanny aber wollte zu ihrer Mutter. Ich ließ sie also hinlaufen. – Die Mutter hatte mich ängstlich betrachtet, so lange ich ihr Kind auf den Armen hatte. Sie faßte es herzlich in die ihrigen, und Nanny, wie ich bemerkte, erzählte ihr auch etwas. – Mann und Frau sprachen da mit einander, und ich
Der Mann hat etwas über 30 Jahre, ist groß, wohlgewachsen, aber sehr hager; eine männliche und redliche Bildung, schöne braune Augen und Haare, viel Entschlossenes in seiner Stellung. ––
Die Frau mitler Grösse, – schlang, eine sanfte leidende Mine, süsse blaue Augen; aber ihre feine Haut ist von der Sonne verbrannt – und sie ist auch, wie ihr Mann, durch Kummer und Arbeit schmächtig geworden. Freude und Sorge druckte sich in ihrem Gesicht aus, als ich so nah kam, daß ich sie anreden konte. – Aber die Gruppe rührte mich zu Thränen. – Die Frau hielt ihre Nanny an einer Hand und breitete zugleich ganz instinktmäßig den einen Arm über den kleinen Korb in welchem ihr Säugling schlief. – Der Mann befestigte geschwind den einen Fuß der Trage an dem abhängenden Boden mit einem Stein.
Lotte kam zu mir – »Ich habe mein Geld der Mutter gegeben; – und ich meins dem Vater« sagte der Knabe. ––
»Ist Herr von Pindorf aus W** niemals hier gewesen?« fragte ich, indem ich wünschte und hoffte, daß er der gute Herr seyn möchte, von dem mir die Kinder gesagt hatten. – Ihre Gesichter erheiterten sich bey seinem Namen. – Er ists – O, meine Freundin, Er ists! ––
»Ja, meine Frau,« antwortete der Mann »dieser ist voriges Jahr viermal bey uns gewesen und hat uns Gutes gethan. Aber er wollte niemand von unserm Aufenthalt sagen.« ––
Sie sahen sich und mich an. Der Mann fragte mit bescheidenem Ton, wer ich wäre? »Eine Engländerinn, reich, aber redlich bey meinem Golde, wie ihr bey der Armuth.« – Beyde schlugen die Augen zur Erde, mit einem übergehenden Strahl von Hoffen und Nachdenken.
Meine größte Angelegenheit war nun, ihnen lieb zu werden, so wie sie mir werth waren. – – Der Mann sagte: »Es ist wahr, meine Frau, wir sind arm, aber gewiß ehrlich und treu.« – Er blickte seine Frau an, die ihm die Hand reichte und in Thränen zerfloß. – Dieses bedrängte meine Seele; und in der lebhaften Bewegung erhob ich meine Hände gen Himmel und rief aus: »O Gott! du kennest mein Herz; schenke mir das Vertrauen dieser Familie. – Meine Freunde«, indem ich mich gegen sie wandte, und meine Armen gegen sie streckte, »öffnet mir eure Herzen! Gewiß, ach, gewiß wird es Euch niemals gereuen.«
Ich umfaßte alle Dreye. – »Liebe Kinder! bey eurer Unschuld – bey dem Weh Eurer Eltern, gelobe ich Euch allen meine Liebe und Hülfe.« ––
Ich küßte sie und ging zu den Eltern, die mit ihren weinenden Augen gen Himmel blickten; nahm von jedem eine Hand; »Liebe Redliche! nehmt mich zu Eurer Freundin; ich werde Gott für Eure Bekanntschaft –– und Eure Liebe danken.«
Sie seufzten Beyde und sagten zugleich: »O, Gott!« – »segne uns,« fetzte ich hinzu – Darauf schwiegen wir alle einige Augenblicke. Dann fing ich an: »Wir wollen vollends hinauf zu der Wohnung; da will ich Euch sagen, wer ich bin, woher ich komme
»Wolling, meine Frau.« ––
Nun, Frau Wolling, führe Sie Ihre Nanny hinauf, ich helfe die Trage nachbringen. –– Das wolte sie nicht. Da ich aber darauf bestand, als der ersten Probe ihres Vertrauens, so nahm sie den Korb mit ihrem Säugling auf die Armen. – O, wie wahr ist dieses Mißtrauen auf meine Geschicklichkeit im Tragen, in dem Herzen einer so treuen Mutter! – Ich nahm hingegen die Nanny: »Komm, setze du dich dahin; dein Vater und ich tragen dich spazieren.«
Die Kleine saß auch ganz herzhaft da. Oben luden wir ab. Rührend war es mir, wie Carl und Lottchen jedes einen Laib Brodt pakten und ihn im Tragen an ihr Herz druckten, wie ich einen Freund beym Wiedersehen. – Nanny nahm ein Schüsselchen mit Butter, so die Frau Amtmännin ihr schickte. Ich trug einen großen Topf Mehl und Wolling die Strohbüschel, die sie recht für mein erstes Nachtlager gebracht hatten. Die guten Leute sahen sich da wieder mit Verlegenheit an. Endlich sagte die Frau: »Es ist bald Essenszeit, was wollen
»Ach, die ist schon bezahlt,« – und sie wies mir das Geld ihrer Lotte; – »Wir haben nur Haberbrey.« ––
»Das ist vortreflich! den esse ich gern.« – Aber dann hatte ich was zu überwinden; denn sie goß Ziegenmilch in den Haberbrey, als was sehr köstliches; und ich konnte niemals den Geschmack der Ziegenmilch ertragen. Solte ich aber den guten Leuten, besonders den Kindern, Eckel vor dem zeigen, was in ihrem Elende Labsal und Wohlthat für sie war? Nein, diesen Uebermuth meines Geldes, welches mir die Wahl der Speisen und Getränke giebt, diesen Uebermuth erlaubte mir meine Seele nicht. Ich bezwang mich um dieser guten Herzen willen; ich aß mit, und sie gönnten und segneten mir jeden Bissen. – Endlich sagte der Mann, sie wolten Abends eine von ihren Hühnern für mich schlachten. Der Knabe und das Mädchen sahen sich an, faßten sich bey der Hand und gingen still, aber mit weinenden Augen fort. Ich errieth gleich, daß es die Trauer
»Es soll ihnen auch nichts geschehen,« erwienerte ich – und suchte die Kinder auf, welche ich bey zwey Hühnern fand, mit denen sie auf der Erde sassen und ganz traurig sie streichelten. Mein Anblick war den guten Geschöpfen unangenehm. Sie senkten Beyde die Köpfe – und jagten eilig die Hühner weg. »Liebes Lottchen! Carl! glaubt Ihr denn, daß ich leiden werde, daß man um meinetwillen Euren guten Hühnern das Leben nehme? O, meine Kinder, Ihr wißt nicht, wie Ihr und alles, was Euch gehört, mir so lieb ist! – Ihr sollt nichts verlieren, gar nichts!« –
Das Mädchen faßte meinen Rock – und weinte mit ihrem Köpfchen in die Ecke, die es hielt. Der Knabe lächelte mich an, und Beyde liefen munter mit mir nach der Hütte, wo sie ihren Hühnern was besonders zu essen holten, um ihnen selbst das Fest ihrer Erhaltung zu geben. Wolling und feine Frau sahen mich mit stillem Staunen an. ––
»Ach, meine Frau! wie ist es möglich – dieses so gleich zu denken?« sagte Frau Wolling.
»Wie bedaure ich uns Reiche, wenn es den tugendhaften Armen so schwer fällt, was besonders Gutes von uns zu glauben!«
»Ich hoffe hier mehr, als diese Freude zu geniessen, Herr Wolling. – Aber, ich habe Ihn oft unruhig umher blicken sehen. Nicht wahr, Er hat noch Arbeit?« – Er bejaete es mit seiner Mine. – »Ich will zusehen,« sagte ich, »denn ich will bis Abend hier bleiben.« ––
Der Mann ging fort und ich besah die arme Hütte. Sie ist, wie ich Ihnen schon sagte, gegen die nördliche Seite an die übrig stehende Wand des alten Schlosses mit einem halben Dach angebaut. Auf der Abendseite macht auch ein noch übriges Stück der Mauer des alten Gangs die Seitenmauer der Hütte aus. Gegen Morgen und Mittag ist sie mit einer Leimwand verwahrt. Der Eingang und die Fenster sind auf der Morgenseite. Unten, wo die Hütte wegen des nöthigen Abhangs des Dachs niedrig fällt, ist der Stall für die zwey Ziegen, nebst einem Stroh- und Holzbehälter. Der grosse Theil ist durch zwey, aus Weiden
Der Heerd ist ein grosser Stein, der auf einigen kleinen ruht, und der Kamin das einzige neue Mauerwerk, so da ist. Alles sehr reinlich und nett in Ordnung gestellt; Eltern und Kinder so säuberlich arm gekleidet und angezogen. Sanfte Stimmen; nur zeigen Wollings Züge unterdruckten Gram, und die von
Wir sahen uns beyde weinend an. – Ich druckte seine Hand. – »Lieber Herr Wolling, Er und seine Frau – sind keine gemeine Gärtnersleute!« –
»Der Verlust eines geliebten Freundes hat mich etwas melancholisch gemacht. Die Engländer sind es ohnehin leichter und stärker, als Andre. Er weiß es. – Er, seine Frau und Kinder gefallen mir. Ich bin reich und habe keine nahe, und keine arme Verwandte; ich will meine Traurigkeit durch Wohlthun an Seinen Kindern zerstreuen.« –
Nun, meine Freundinn, ich habe hier zwey Nächte auf Stroh bey meinen Wollingen geschlaffen, und das gut, recht gut. Wolling trug ein Billet zu meinen zwey Leuten in Kleebrunn, da bekam ich Schlafzeug und Eßwaaren, so viel ich brauchte; – und gestern Nachmittag mußte Wolling einen Esel kaufen der ihm sein Gemüs und andre Gartenwaare zum Verkauf tragen soll, bis ich etwas mehr für ihn gethan haben werde.
Ich sitze hier auf einer Steinbank, die wir gestern am Ende des alten Schloßgangs entdekten, da ich dies kleine Stück abräumen half, um die schöne Aussicht gegen Morgen zu geniessen. Das abgebrochne Theil des Hauptsteins oder Kerns, um den sich die grosse Schneckenstiege herumwand, dient mir zum Tisch. – Vielleicht saßen hier vor zweyhundert Jahren oft flehende Unterthanen die eine Gnade suchten, und zitterten vor dem Fußtritt, den sie in
Ich hatte gestern lange geschlafen; daran mochte mein vieles Gehen und auch meine grosse Gemüthsbewegung Urfach gewesen seyn. – Ich fand bei meinem Erwachen niemand mehr in der Hütte. Ein Topf voll Mehlbrey kochte langsam am Feuer. Es war Kühmilch, die der gute Mann schon sehr früh mußte geholt haben. – Ich zog mich eilends an, ging aus der Hütte und horchte, suchte an der Seite, wo ich die Kinder zuerst mit den Ziegen gesehen hatte; aber da war niemand. Dann ging ich zwischen der Mauer und dem Haberstück hin und als ich die Ecke des Kornstreifes übersah, erblickte ich sie alle kniend und betend. Ich wandte mich zurück, um sie nicht zu stören, und doch einen Platz zu finden, wo ich etwas hören konnte. – Ich mußte mich über einen Haufen Schutt beugen, der am Ende mit Kräutern bewachsen ist, durch die ich sie beobachtete. – Sie waren alle um einen Stein herum, der von einer, an dem Thurm hinwachsenden Geißblatstaude beschattet wird. – Die Frau lag mit ihrem Kopf auf dem Stein,
»O, Kinder! werdet gut und fromm, wie eure Mutter es ist. Ihr wißt, daß auf diesem Stein eure selige Großmutter saß, als sie uns besuchte. – Hier gab sie eurer Mutter und mir ihren Segen, als sie das Letztemal vor ihrem Tode bey uns war. Wir knieten vor ihr, wie wir jetzt knien, und du, Carl, lagest neben deiner Mutter, wie dein Bruder jetzt liegt. Sie küßte und segnete dich besonders; und Lottchen! sie segnete alle Kinder voraus, die ich noch bekommen sollte. – Ihr wißt, eure Mutter geht auch an Regentagen und mitten im Winter hieher und betet weil sie den Stein ihren Altar heißt; und gewiß, er ist dazu geheiligt und Gott sah alle Tage ihr kindliches Vertrauen auf seine Güte. – Hier bat sie um Glück für euch, – und wir haben Urfach es zu hoffen. – Denn warum sollte Gott die reiche fremde Frau so weit hergeführt haben?
Die lieben Geschöpfe weinten herzlich, wie ich. – Der Knabe gab seinem Vater bey den letzten Worten hastig die Hand. – »Ich hab sie zuerst gesehen, wie sie den Berg heraufstieg. – Da ist gewiß der Seegen der Großmutter daran Ursache, daß ich den Hülfsengel meiner Eltern zuerst sehen sollte.« –
»Ey, sagte Lottchen weinend, ich hab sie auch gleich gesehen. – Du gehst auch immer so weit hinaus auf die äussern Steine, da kannst du weiter sehen. – Aber ich fürchte mich vor den Fallen.« –
Die Frau richtete sich auf, küßte eine Hand ihres Mannes. – »O Wolling, alles Verdienst giebst du mir! – du Guter, was habe ich dir für Mühe und Sorgen gekostet! – Gott sieht hier, sie deutete auf ihre
»Nein, Mutter,« sagte der Knabe, »du must dich auf den Stein setzen wie deine Mutter. Dann knien wir zu dir – und du segnest uns, wie sie dich segnete.« –
Der Mann winkte ihr. Sie setzte sich, konnte nichts reden; aber das Umschlingen ihrer Arme um ihre Kinder, ihre Blicke gen Himmel, ihre Thränen, das hohe Heben ihrer Brust. – Ach, das sah Gott, – das segnete er – und alle Heilige um ihn. –
Der Mann stand sprachlos da, hob nun endlich seine Hände auf: »Ach Gott! du, – du allein!« –
Nach einiger Stille sagte die Frau: »Nun kommt, unser guter Engel muß erwacht seyn.« – Sie küßte den Stein, nahm etwas vom Geisblat, so ihn berührte und stekte es in ihren Busen. –
Kindliche Liebe! dachte ich, wie heilig bist du! Ich ging zurück, zweymal fest zu dem Besten dieser Familie entschlossen. – Sagen Sie, Rosalia, wären Sie es nicht auch
Ich fing an: – – »Herr Wolling, ich muß Ihn noch einige Augenblicke von seiner Arbeit abhalten und fragen, ob Er nicht in eine andre Gegend ziehen möchte, wo ich Ihm ein Stück Land und ein Haus samt aller Zubehörde schaffen will; so daß Er, mit guter Anordnung des Baues seines Guts, seinen Kindern was erwerben könnte. – – Denn ich denke Er wird immer gern auf dem Lande bleiben.« – –
Ich hielt da inne, und blickte freundlich sie an. Aber da beyde unruhig schienen fuhr ich fort: »Vielleicht, da Herr Wolling ein so guter Gärtner ist, wäre er lieber in einer Stadt und besorgte dort seine Kunst. Sage Er mirs, ich will auch da herzlich für sie alle sorgen; doch wünsche ich daß Er die Stadt wählen möge, wo Herr von Pindorf wohnt.«
Rosalia! warum wünschte ich das?
»Nein, Lotte! wir wollen nicht weg, meine Liebe; wir wollen nicht! – Diese Erde, die ich anbaute, die mir dich und unsere Kinder ernähren half, die uns vor Grausamen schützte, – die verlasse ich nicht!« –
»O, Ihr rechtschaffnen Herzen,« sagte ich, »denen Muttertreue, und die Erde die sie segnete so werth ist! – Nein, Ihr sollt nicht weg! – Hier sollt Ihr meine Freundschaft und meine Liebe geniessen, und ich baue mir ein Haus bey Euch.«
»Dem Herrn von Mahnberg, der die ganze Herrschaft besitzt.« – –
»So ist vielleicht hier ein Guth mit Erbpacht zu er richten, und ich baue ein hübsch Haus darzu, woraus Frau Wolling alle Tage zu dem Altar ihres Herzens gehen kann.« – Sie hielten sich beyde die Hände und weinten sanft. –– »Geht daß nicht an, Herr Wolling? – O, ja! und das war lange mein Wunsch. Ewiger Gott! Sie haben mein Herz errathen. – Ach, wenn Sie dies für uns, für unsere Kinder thun, was sollen wir!« ––
»Meine Frau, der Beamte in Mahnheim ist ein guter, wohldenkender Mann, der gewiß dazu hilft.« ––
»Nun diesen Nachmittag wollen wir zu ihm, und es ausmachen.« ––
»Aber es wird kosten, meine Frau.« –
»Und, wenn ich viel Geld habe, was thut das?« ––
»So viel für Andere thun! O Gott!« »Ihr Lieben, warum denkt ihr immer nur dieses? hört einmal was ich sage: Wenn ein Reicher nicht geizig ist, so sinnt er auf Ausgaben des Vergnügens und der Ehre. Beyde kosten ihm Geld. – Nun ist Wohlthun meine Freude; laßt mich sie geniessen, und nehmt Antheil an meinem Glück und meinen Gesinnungen, wie ich an Eurer Hütte und Eurer Tugend meinen Antheil nahm.«
»Herzlich gern! – Aber lassen Sie mich einen Vorschlag thun,« sagte Wolling, – mit dem Wesen des so ganz edeln, ehrlichen
»Ich höre gern Vorschläge des vernünftigen Mannes.« ––
»Kaufen Sie das Guth und nehmen mich zu Ihrem Erbbeständer an. – Ach, Gott! du siehest, wie gern ich dieser Hand«, er faßte meine Hände, »den jährlichen Pracht bezahlen würde, – und wie getreu ich das Guth anbauen will!« ––
»Ich will, lieber Herr Wolling, den dritten Ausweg nehmen, und das Guth für Seine Kinder kaufen. – Er soll dabey der Verwalter meines Vermögens werden. – Bis wir aber unser Haus haben, will ich mir, zwischen den alten Mauern des Schloßgangs ein Zimmer, nur von lauter Holzwerk, zurecht machen lassen.« ––
Und das thu ich, mein Kind; und auf immer, immer bleib ich hier – Helfen Sie, mein Schatz, Sorge tragen, daß mein Bedienter die Schule, und seine Frau die Nähstunden ordentlich, für meine lieben Vorstadtkinder halten. Sie sahen mich dort anpflanzen, helfen Sie hüten, daß nicht zu früh Unkraut aufwachse. Es wird sich freylich wieder
Ich wollte des Nachmittags zum Beamten, sagte ich, als ich nachdem Frau Wolling sich völlig erholt hatte, mit beyden vor die Mauern hinaus ging und auf den Platz wies, wo ich ihr künftiges Haus hinzubauen dächte. Sie sahen sich an; es war mir, als wollten sie was mit einander darüber reden, und ich ging seitwärts von ihnen ab. –– Kurz darauf suchten sie mich. Wolling fing an: »Meine Frau, wir bewundern Ihre Güte immer mehr. Aber wir können nicht zugeben, daß Sie so viel für uns thun sollen, ohne uns zu kennen, und wir bitten Sie, daß Sie, eh Sie den Amtmann sprechen, unser Herkommen und die Ursach unsrer Armuth anhören. – Sie waren so großmüthig, nicht darnach zu fragen, sondern betrachteten nur unsere Noth,« – »und beurtheilte Eure Herzen,« fiel ich ein, »nach Euren Kindern,
Wolling bückte sich gegen mich, gab seiner Frau die Hand und sagte ihr: – »Liebe Lotte, du weist unsere Geschichte am besten zu erzählen. – Ich will in dessen in unserm Gärtchen arbeiten.« Sie nickte stillschweigend mit dem Kopf – Er ging fort. Sie sagte, ihm nachsehend: – »Guter Carl! du bist alles werth. – Gütige Frau«: indem sie mein Kleid mit beyden Händen faßte, »ewig werd ich Sie segnen, daß Sie die harten Arbeiten des lieben Mannes erleichtern wollen.« –
»Komm Sie, liebe Frau Wolling, wir wollen uns auf den Stein setzen, wo ich Ihre Kinder zuerst sah, und da wollen wir unsre Herzen einander öffnen. Der kleine Säugling geht mit; in seinem Körbchen kann er neben uns schlafen.« – Das war ihr recht. Sie holte ihr Bübchen und ging, nachdenkend auf das, was sie sagen wollte, mit mir auf den Platz. – Er ist schön. Ueber den Schutt der zwey Thürme des Schlosses und den unfruchtbaren Abhang dieser Seite sieht man das so vortreflich angebaute Thal – und dann die Stadt W** deren Kirchen und Thorspitzen
Ich sah Frau Wolling etwas verlegen und nahm sie bey der Hand: »Liebe Frau Wolling, wenn es ihr Mühe kostet, wie ich natürlicher Weise denken muß, daß die Erinnerung an Unglück die gegenwärtigen Stunden noch verbittert, so sage Sie mir nichts. – Die Vorsicht über uns sieht mein Vertrauen auf Ihre Redlichkeit, und das Ihre auf meine wahre Menschenliebe. Das Vergangne wollen wir seyn lassen, – und nur vom Künftigen reden.« ––
Meine Freundinn, ich erinnerte mich Ihrer bescheidenen Begierde, mein Leben zu wissen, und wie fein denkend Sie sich das Vergnügen versagen wollten, – als Sie mich etwas nachdenkend sahen. Ich ahmte Ihrer Tugend nach – und Frau Wolling belohnte durch ihr Vertrauen das meinige. – Sie sagte mir ganz artig: »Nein! Sie sollen uns kennen; und wenn es nur wäre, daß ich von meinem Carl redte.« – Ich küßte sie und schwieg. ––
›In Ihrem Zimmer Mademoisell Charlotte!‹ sagte er mit Zittern. – ›O, ich werde den Fußboden küssen, den Sie betreten haben. – Nehmen Sie sich noch ferner des armen Carls an, und lassen Sie mich wissen, was der Herr Vater gern hätte. O, wie lang wird der Winter für mich seyn!‹ – Ich gab keine Antwort hierauf und wir reisten ab. Carl war an dem Wagen, als ich einstieg. Er machte den Schlag zu und ich sah, daß er meinen Rock küßte und weinte. Er war schön, so edel dabey, daß ich sehr gerührt wurde. ––
Den Winter über hatte er Plane gemacht, und meinem Vater sehr geschickte Nachrichten vom Garten und allem gegeben. Gegen das Frühjahr ließ dieser ihn kommen, um den
Mit der schönsten Handschrift waren die besten moralischen Stellen, Scenen des Landlebens, und etwas aus Thomsons Frühling ins Französische übersetzt, darinn. – Ich gesteh, es war ein Schatz für mich, den ich heilig hielt und immer bey mir trug; – ich sagte bey mir selbst: Alle die Vornehmen, die ich sehe, selbst der Mann meiner ältesten Schwester, ist nicht so artig, nicht so geistreich, nicht so moralisch, als der Gärtner Carl – – und mich verlangte nach dem Lande.
Mein Vater war heftig dawider, aber mein älterer Bruder bat ihn auch, und er ließ es endlich um Carls willen geschehen; doch mit dem Verbot, daß der Vater der jungen Leute sich niemals sehen lasse. – Diese Wohlthätigkeit von Carl rührte mein Herz; – noch mehr aber als ich bemerkte, daß Carl, um den Leuten ihren ganzen Taglohn verdienen zu helfen immer die Arbeit an den Stücken voraus that, wo er die jungen Leute anstellte, weil sie noch zu jung und zu schwach waren. Diese doppelte Verwendung der Kräfte feines Lebens, zum Besten der
›Haben Sie nichts zu erinnern? –– Sind Sie noch zufrieden?‹ –– Mein stolzes: ›Nein Herr Carl, es ist alles gut‹; machte ihn bestürzt. Er machte mir eine Verbeugung und ich wandte mich aus dem Gange, nachdem ich einen Zweig der Kanille abgerissen und die Blätter davon auch einzeln weggeworfen hatte; und setzte mich in ein halbes Gitterhüttchen mit Geisblat bedeckt bey dem Springbrunnen. – Ich hörte was gehen. Es war Carl, der alle Blätter aufhob, die ich weggeworfen hatte, sie küßte und in seinem Busen steckte. Ich hörte ihm deutlich sagen: Ah! mon Pere – mon Pere! – sah ihn seine Hände ringen und mit Seufzen gen Himmel sehen. – Ich weinte hier über ihn – und mich; aber einige Augenblicke darauf kam das Mädchen wieder zum Vorschein,
Acht Tage darauf reisten meine Eltern mit einander weg, um die Heyrath meiner zweyten Schwester zu berichtigen. Ich sah das mir verhaßte Mädchen recht artig gepuzt im Garten umher gehen, Carln Blätter nachwerfen und endlich ihn se nahe kommen daß sie ihn an der Weste zupfte, sie anzusehen. – Er warf voll Unmuth seine Grabschaufel hin, und ging eilfertig weg. – Mein älterer Bruder stand unter einer Laube, redte was zu dem Mädchen, das dann Carln nachlief. Ob sie ihn einholte, ob er mit ihr sprach, das konnte ich nicht sehen. Aber ich vermuthete, daß er das Mädchen liebe, und deswegen ihre Brüder im Garten gebrauche, jedoch nicht haben wolle daß man es wisse.
›Gern, lieber Bruder! in was? sag es nur.‹ – ›Ich kenne dein gutes Herz und deinen Verstand; also will ich dir eine Angelegenheit vertrauen.‹ –
Sein Gesicht und Ton machten mich ängstlich. Endlich gestand er mir, daß er des alten Gärtners Tochter – seit einiger Zeit geliebt und sich eigen gemacht hätte. –
So! dachte ich, daß ist schön von beyden Seiten! Mein Bruder das Mädchen, und ich meine Neigung auf den Gärtner, denn ich konnte mirs nicht mehr verhehlen. – Er fuhr fort: –– ›Nun ist sie in Umständen, wo ich für sie sorgen muß, und ich hätte
Ich kann nicht sagen, wie mir zu Muthe war. Aber ich nahm mir ganz unbesonnen vor, mit Carln auf meine Art davon zu reden; doch sagte ich meinem Bruder, es wäre für ein junges Frauenzimmer gar keine anständige Unternehmung. ––
Ich überlegte es die ganze Nacht. Die Flöte seufzte, und spielte ganz klagend bis gegen zwey Uhr. Es war schöner Mondschein und ich, da ich nicht schlafen konnte, an meinem Fenster. Ich bemerkte daß der Ton ausserhalb des Gartens vom Feld herkam und den Platz veränderte; –– auch endlich, daß jemand zur Feldthüre herein, an der Wand hin, gegen das Glashaus ging. Es war Carl. – – Am Morgen ging ich in den Garten. Er staunte, als er mich erblickte und wie er mich der Hecke näher kommen sah, an der er die Rosen aufband. –– Ehrerbietig und gerührt machte er mir eine Verbeugung. – Ich grüßte ihn freundlich, und fragte nach seinen beyden Helfern. – Er sagte mir, wo sie wären. Dann lachte ich und fragte, ob nicht die Schwester von ihnen eine artige Gärtnerinn seyn würde? Er wurde zornroth, kann ich sagen, doch faßte er sich gleich.
›Warum, Mademoisell Charlotte, fragen Sie mich dieses?‹ –
›Die Brüder sind arm und redlich, sagte er mit Eifer, sonst würde ich nicht gethan haben, was ich that.‹
›Ey, Carl, was wird er ungeduldig, wenn man von einem schönen Mädchen mit Ihm spricht?‹ –
›Vergeben Sie mir! ich vergaß mich. – Aber lassen Sie mich eine Bitte thun; – nichts mehr davon zu reden. Ich will mich nicht verbinden, niemals! –– und wenn Lehnchen die schönste und tugendvollste Fürstin wäre. Erhalten Sie mich nur in dem Dienst des Herrn Vaters – ich will sonst nichts.‹ –
›Er bleibt ja im Dienst, und um so viel fester, da mein älterer Bruder das Guth bekommt, der Ihm die Versicherung davon und eine Zulage geben will.‹ –
Er lächelte etwas bitter. – ›Eine Zulage? Ich glaub es!‹ – Hier wurde ich gewahr, daß er etwas vermuthete und es war
›Ich bin es überzeugt; – vergeben Sie mir meinen Widerspruch. Ich bin jezt ein niedriger dienstbarer Mensch, – aber von gutem Herkommen. Tugend und Ehre sind mein Trost und meine Stütze. Ich werde sie niemals verletzen, und niemals davon abweichen. Ihre englische Güte hat mir hier mein Leben versüßt. Ich begehre von dem Schicksal nichts weiter, als Ihren Vorspruch der dem Herrn Vater und – dann und wann ein Wort von Ihrer Frau Mutter oder Ihnen. Gott sorgt für das Uebrige und wird Sie segnen.‹ ––
Nun reute und freute mich die Unterredung. Ich schwieg – und er sagte: ›Sie wollen dem Mädchen Gutes: Ihre edle Seele wird bald Gelegenheit haben, ihr welches zu bezeigen. – Ich habe niemals mit ihr gesprochen, und werde es nicht thun; aber die Ursachen kann ich nicht sagen.‹ ––
Da ich immer schwieg sah er mich traurig an: ›Mein Gott, wenn ich Sie beleidigt hätte‹!
Ich sah ihn weinend mich anblicken. Meine Augen thränten auch. Ich grüßte ihn und ging weg. Es freute mich innig, daß er von besserm Stande war, als seine Gärtnerey mich vermuthen ließ; doch konnte und durfte ich nicht weiter darüber denken, sondern nahm mir vor, immer zurückhaltend zu bleiben, wie bisher. Ich schätzte ihn ungemein, aber viele Betrachtungen über die Pflichten meines Standes kämpften gegen meine Neigung, und ich redte in acht Wochen kein Wort mit ihm.
Mein Bruder war sehr misvergnügt über Carls Halsstarrigkeit und Stolz, wie er es nannte, und drohte ihm deswegen. – Kurz darauf aber wurde das Mädchen mit einem Förster verheyrather. Der Sommer und Herbst gingen so recht gut hin. Carl blieb immer der vortreffliche Arbeiter und lebte eingezogen fort. Mein jüngerer Bruder kam von Pont à Mousson zurück, wo er leider Petitmaitre vorstellte. – – Er hatte viel Aehnlichkeit mit mir – und Carl sagte mir seitdem, daß er ihn deswegen liebte und ihm suchte gefällig zu seyn. Der junge Mensch liebte Carln, weil er Französisch sprach und einen schönen Geschmack zeigte. Mein älterer Bruder war über den Jüngern zu gebieterisch, und der Ort ziemlich einsam; so daß Carl die einzige Auswahl für den Letztern blieb, mit dem er Anfangs nur immer von Frankreich sprach, aber nach und nach sich an ihn heftete, alle Morgen und Abend bey ihm war und durch den Umgang meines Carls ein liebenswürdiger junger Mensch wurde. – Der Keim jedes Guten war in ihm, er brauchte nur gepflegt zu werden; und ach, dieses Verbessern meines mir liebsten Bruders machte mir Carln immer werther. – – Der Winter wurde wieder in der Stadt zugebracht – und die Zurüstungen zu meiner zweyten Schwester Hochzeit gemacht, – die sich aber bis in den Sommer verzögerte; wo dann mein Vater das Fest auf seinem Guthe halten wollte. – Mein jüngerer Bruder trat in Kriegsdienste,
Mir sagte er noch: – Lottchen! der junge Thalbruk wird sich um Dich melden. Der Vater hilft ihm zu einem angesehenen Amt. – Aber Du wirst unglücklich mit dem bösen Menschen werden. Ach! wenn mein Freund Carl wäre, was dieser ist; – wenn die elenden Vorurtheile ihm nicht entgegen stünden: wie glücklich wäre meine Schwester mit ihm! – –
Thalbruk kam auch in unser Haus und war sehr galant um mich herum, ich höflich, aber sehr kalt. Dennoch wurde er mit den übrigen Brautleuten auf unser Guth geführt. Mein Vater hatte Carls Nachricht von seinem Vorhaben gegeben – und wir fanden Alles wie einen Pallast der Feen geputzt. Die Trauung und das Fest war den Tag nach unsrer Ankunft und unser Saal glich dem Tempel der Flora. Die Wände waren blaßroth angestrichen, Blumengewinde darauf angebracht; der Name der Braut und des Bräutigams in Rosen, Mirthen und weißen Violen
Mein Vater war höchst vergnügt. Es war in der grossen Laube ein Tanzplatz gemacht, der sehr artig war. Ich ging, nach einem Tanz, allein auf einer Seite hinunter. Mein Vater hatte ein wenig Wein und kam zu mir, da ich just auf eine Bank mich setzte. – Carl war sympathetischerweise an der Hecke hingegangen. Mein Vater erblickte ihn, und rief ihn her, er lobte ihn sehr und sagte endlich: – Diesen Herbst machen wir Traubenkränze auf die Hochzeit meines Lottchens. Aber er muß auch für Herbstblumen sorgen, daß es recht schön wird. Ich habe Thalbruken versprochen, seine Hochzeit auch hier zu halten; denn, Lottchen, ich will an dir eben so viel thun, wie an deinen Schwestern. ––
Ich ging Maschinenmäßig nach der einsamsten Gegend des Gartens wo ich sonst zu lesen pflegte. – Carl lag da auf dem Moos – welches er mit Thränen benetzte. Es war mir unmöglich wegzugehen, ohne ihm etwas zu sagen. –– ›Carl, guter Carl, was macht er hier auf der Erde! Es ist zu kühl, Er wird krank werden.‹ Er richtete sich
›Ich seh es, werther Lehrmeister meines liebsten Bruders. Sage er mir, was Ihm fehlt.‹––
›Was mir fehlt? –– was mir fehlt? O, fragen Sie mich nicht mehr. – Thun Sie es nicht. – Gehn Sie zurück zu der Gesellschaft. Dort müssen Sie seyn. –– Lassen Sie den Armen, Elenden‹; –– und hier faßte er wieder mein Kleid mit Heftigkeit. –– Ich nahm seine beyden Hände in meine. –– Carl! o glaub Er, daß Er mir werther ist, als Alle die ich sahe. – ›Beruhige Er sich, ich bitte Ihn.‹ ––
Er benetzte meine Hände mit Thränen, sprach aber nichts. Ich sagte ihm: Adieu, Carl, sorge er für seine und meine Ruhe; –– und ging. –– Als ich mich nach ihm noch umsah, lag er mit dem Gesicht auf dem Platze, wo ich gestanden hatte. – Ach, was für Mühe hatte ich, nicht wieder umzukehren! – Aber ich fürchte mich vor den
Ihre englische Güte und die Redlichkeit seines Herzens gäben ihm den Muth, ihr sein ganzes Leben zu entdecken. Er sey der Sohn des H** Oberbeamten in Z**, habe eine sorgfältige Erziehung in allem genossen, und wäre durch einen vortreflichen Landgeistlichen zu den Studien vorbereitet worden. Pont à Mousson geschickt, um ihn da in der französischen Sprache, Sitten, Wissenschaften und philosophischen Kenntnissen unterrichten zu lassen. Er habe dieses befolgt, aber daneben die ganze französische Gärtnerey gelernt, worinn er es auch weiter, als in andern Wissenschaften gebracht habe, weil es seine Freude gewesen. Sein Vater habe ihn nach zwey Jahren zurückgerufen und auf noch eine Universität gezwungen, wo er Historie und Physik mit Vergnügen, besonders auch die Botanik erlernt. – Während dem sey seine Mutter gestorben – und sein Vater habe eine reiche Wittwe geheyrathet, die ihn aber nur unter der Bedingung genommen, daß er seinem Sohne seinen Platz abträte und dieser ihre zweyte Tochter zur Ehe nähme. Sein Vater habe dabey bloß den Wohlstand betrachtet, in welchen
Ich hatte dieses gelesen, eh Frau Wolling zurück kam, und sagte mir selbst: ›O Sympathie! und du Ruf der Natur, wie stark seyd ihr gegen Alles!‹ – Sagen Sie, meine Freundinn, sagen Sie, was konnte der arme Carl, die gute Charlotte, was konnten sie thun? Edelmüthigkeit kämpfte in dem Herzen des Jünglings; Sittsamkeit, Pflicht gegen die vorgeschriebene Gesetze ihres Standes, in der Seele des Mädchens. Und dennoch wurden sie Schlachtopfer des Unglücks und ihrer
Frau Wolling kam zurück, und sah sehr innig mich an. – ›Sind Sie mit meinem Carl zufrieden?‹ ––
›Ja meine Charlotte – und mit Ihnen auch.‹ – –
›Sagen Sie, entschuldigen Sie mein Herz, daß ich der Zärtlichkeit des seinigen nicht widerderstehen
ch wollte ledig bleiben und auf, ich weiß nicht was, warten, aber nicht weiter in den Ausdrücken meiner Zärtlichkeit gehen, als bisher. Drey Wochen dauerte dieß Bündniß mit mir selbst und Carln, dem ich nur für sein Papier dankte und ihn meiner wahren, ewigen Hochachtung versicherte. – Ich begegnete aber deswegen dem Herrn von Thalbruk sehr kaltsinnig, als er zu uns kam; und da dieser Mensch niemals eine wahre Liebe zu mir getragen, sondern mich nur wegen des Ansehens meines Vaters gesucht hatte: so wurde er durch meine Abneigung nicht betrübt, sandern erboßt, schlug sich auf die Seite der Feinde meines Vaters, und blieb also weg. – Mein Bruder ging in die Stadt, besuchte ihn, und fragte warum er so lange nicht bey uns gewesen sey? – Da sprach er von dem Widerwillen, den er bey mir gegen sich bemerkt hätte, – und daß er glaube, mein Herz sey von sonst jemand eingenommen; stellte sich sehr traurig darüber
Ich that es, und kam ganz leicht gekleidet, hatte aber meine Säcke mit den Papieren des armen Carls, in meinem Bette versteckt; ob ich schon weit entfernt war, zu denken, daß man mir deswegen geheisen hatte mich um zu kleiden, um sich meiner Schubsäcke zu bemächtigen. Während ich bey meinem Vater war, wühlte mein Bruder alles um und fand endlich die verschiedene Papiere von Carln. Damit lief er voll Wuth in das Gartenbaus, und sagte, hier habe er die Beweise meiner Niederträchtigkeit, daß ich mich an den elenden Gärtnerpurschen gebängt und deswegen die große Heyrath mit Thalbruken, ausgeschlagen, und meinem Vater eine Feindschaft zugezogen hätte. – Ich erschrak zum Tode, diese Papiere in seinen Händen zu sehen und wollte weg eilen. Aber mein Vater faßte mich bey einer Hand und hielt mich, während er mit der andern nach dem Packerchen reichte und einige Blätter mit Wuth durchlas, mir und Carln die häßlichsten Schimpfnahmen gab und endlich meinem Bruder befahl ihn herzurufen. –
Da fielen sie mit doppelter Raserey ihn an, und würden ihn erwürgt haben, wenn ich nicht meine Freyheit gebraucht hätte, die Thür gegen das Feld zu aufzumachen und Carln zu zurufen, er möchte fliehen. In der That suchte er nach der Thür zu kommen, und als er sie erreicht, hatte mein Vater die
›So! schrie mein Vater mit Wuth; bist du seine Charlotte: so geh zu ihm und zum T–.‹ Bey diesen Worten schleuderte er mich auch mit einem Arm der offenen Thür zu. Ich erhielt mich am Geländer, und er schnapte das Schloß ab. – Alle Empfindung für Vater und Bruder war in mir todt. Ich eilte Carln zu, der ganz betäubt auf der Erde saß. Ich kniete zu ihm fiel um seinen Hals: ›O, du Edler, kannst du mir verzeihen, was ich dich leiden mache?‹ – Er fuhr wild auf und fragte: ›Ach Gott! Charlotte, wo kommen Sie her?‹ – ›Mein Vater hat mich verstossen! Komm, Carl, wir wollen von dem Barbar fliehen.‹ ––
Ich hatte viel Mühe, ihn zu bewegen, daß er mich nach Immenberg zum Pfarrer führte, wo ich bis zur Zurückkunft meiner Mutter bleiben wollte. Es war eine Stunde von dem Gut meines Vaters. Carl hatte Mühe zu gehen und mein Kummer lähmte auch meine Füsse, so daß wir einem heftigen Platzregen und Gewitter nicht ausweichen konnten und über zwey Stunden zu dem Wege brauchten. Endlich kam ich naß und starr im Pfarrhof an, wo ich mich gleich legte und einige Wochen krank bis zum Sterben war.«
Frau Wolling fuhr fort, mir mit vielen Thränen das Uebrige ihres Schicksals zu erzählen. Sie bekam ein starkes Fieber welches durch ihre Gemüthsunruhe sehr verschlimmert wurde. Wolling hatte, nachdem sie von der Frau Pfarrerinn aufgenommen und besorgt war, allein mit dem Pfarrer gesprochen, ihm alles aufrichtig erzählt und damit geendigt, daß er ihn bitte, ihre Aussöhnung mit ihrem Vater zu bewürken. Er für sich wolle von dem morgenden Tag an sich entfernen und Charlotten die Probe seiner Verehrung und Liebe geben, auf ewig von ihr entfernt zu bleiben; man möchte nur für ihre Gesundheit Sorge tragen, daß Sie bald wieder in das vaterliche Haus zurück käme. Und damit niemand etwas von dem unglücklichen Vorgang erführe so sollte der Pfarrer doch gleich Morgen zu meinem Vater, und ihm das alles sagen. – Er that es auch; aber er fand einen
»Ach, sie reiste gleich, die gute Mutter,« sagte Frau Wolling mit Händeringen, und einem Strom von Thränen. – »Aber was half es! – Mein Vater blieb unerbittlich!« – Der Pfarrer rieth ihr, Muth zu fassen und ihre Liebe, ihre Empfindlichkeit, alles ihrer kindlichen Pflicht aufzuopfern und ihre Kräfte zu sammlen, um ihren Vater selbst zu Füssen zu fallen. Er wollte sie hinführen und gemeinschaftlich mit ihrer Mutter um Aussöhnung und Güte bitten. Sie befolgte alles, wurde aber wieder aus dem nehmlichen Gartenzimmer verstossen, wie acht Tage vorher; ungeachtet ihre Mutter neben ihr auf den Knien lag und
»Ich kam langsam vom Grabe zurück, war schwach an Geist und Leibe. Mein Kostgeld wurde bezahlt. Man nennte mich Madame Carln. – Anfangs staunte ich darüber – und dann, als ich es ganz wußte, fehlte wenig, so wäre ich über die Gewißheit des Todes gewesen. – Ich wußte und hörte nichts von meinem Manne. – Mein Vater wollte mich nicht sehen; meine Mutter durfte nicht, meine verheyratheten Schwestern und mein Bruder wollten es nicht. Ach! meine blühenden, unverdorbnen Jugendkräfte dienten mir nur, mein unabsehliches Unglück in allen Theilen zu fühlen. Ich blieb leben! – ich lebe noch!« ––
O! Rosalia! mit was für einem Ton, mit was für einem Ausdruck von Schmerz der
Ich faßte sie in meine Arme – druckte sie an mein Herz: »Charlotte! sehen Sie den weiten, offnen Himmel über uns; –– so offen, so rein ist mein Herz vor Gott, der uns beyde sieht. Er wird uns segnen, mein Kind. Er wird mein Vermögen heiligen durch den Gebrauch, den ich davon machen werde. Das Maaß Ihres Leidens war voll. – Er wird das Maaß Ihres Trostes auch überfliessen lassen. Er ließ zu, daß Menschen Sie quälten. Er führte mich her, um mein Glück, meine Freude in ihrem Wohl zu finden. Ich bin frey, unabhängig; ich will bey Ihnen als Schwester, Mutter und treue Freundinn leben und sterben. – Nichts, – nichts soll mich abwendig machen.« ––
Sie sank zurück! – »Gott! ewiger Gott!« – war, was sie stammlen konnte. – Ich benetzte
Ihr Vater war eilends mit ihrem Bruder nach der Stadt gegangen, da schickte ihre Mutter ihr Weißzeug, Betten, Kleidungsstücke und eine Küste Hausgeräth an Zinn, Kupfer, sechs silberne Löffel und zwey Ringe die hundert Gulden werth seyn mochten. – Das war alles, was noch vor dem Schiffbruch meines Vaters für mich erhalten wurde. Er bekam eine Untersuchung; es fehlte was in den Kabinetsrechnungen. Sein Stolz hatte ihm Feinde zugezogen. Er war redlich,
Wir gingen an der Hecke hin gegen ihn. O, denken Sie, wie uns wurde, als wir ihn die Arme ausstrecken sahen, und Carln erkannten, ihn ›Charlotte! Mutter meiner Charlotte!‹ rufen hörten. Ach, wir erschraken so, daß wir vor Zittern nicht gehen konnten. Aber er sank um. Ich fühlte da nichts, als alle meine Liebe und lief zu ihm. Es war Carl. Aber, wie elend! ewiger Gott, wie elend! Er erholte sich an meine Brust gelehnt; denn ich hatte nichts, ihn zu laben, als meine Thränen, die über ihn
Meine Mutter hörte das Rufen ihrer Magd und befahl mir nach Haus zu gehen. Carl bat um Erlaubniß, mich ein Stück Wegs zu begleiten: Sie ging auch noch eine Weile mit, bis an den lezten Garten des Dorfs, wo Sie uns verließ, aus Furcht,
Stumm sahen wir ihr nach, und Carl hielt meine Hand stark; oft zuckte sie, am stärksten aber, da meine Mutter um die Ecke der Hecke weg war, und wir uns in der ganzen Gegend allein fanden. Keine Seele, kein Vogel, kein Blätchen bewegte sich. Wir sprachen nichts und ich sah zur Erde. – Mein Mann faßte meine beyden Hände, blickte mich starr an und sagte: ›Sehen Sie, Charlotte! sehen Sie, was Menschen thun, mit denen wir nur in einiger Verwandtschaft sind. Ihre Mutter, das einzige Wesen, so uns liebt und bedauert, – die darf nicht bey uns bleiben; – darf uns nicht trösten, nicht schützen!‹ ––
Er sprach dies heftig, ließ meine Hände gehen, rang die seinigen mit stillem Schmerz. Ich zerfloß in Thränen, wußte aber nicht, was ich thun, was ich sagen wollte. Aber ich war gern bey Carln, das fühlte ich. – Der Mond kam hinter dem Berg hervor und beleuchtete meine ganze Gestalt. Mein
›Charlotte! ach lassen Sie mich Sie, diesen Augenblick nur, meine Charlotte nennen. Meine Charlotte! ich bin froh, daß ich hier von allen Menschen nur Sie sehe – und nicht einmal ein Haus, das mir Wohnung und Leben andrer Menschen anzeigt. Sie sind mir verhaßt, ich will auch bey keinem mehr leben, ich will nicht! Sagen Sie mir, Sie, hier auf diesem Platz, wo nichts als der Himmel über uns, und die liebe wohlthätige Erde hier uns sieht und Zeuge von uns ist, – sagen Sie mir Charlotte! was wollen Sie, das ich thun soll? – Ich bete Sie an. Sie liebten mich. – Aber ich will meine Liebe, die ihrige und unsere Trauung, nichts, nichts für mich anführen. Ich kann Ihnen kein Glück anbieten, als die Gärtnerarbeit meiner Arme. Ich danke Gott, daß Sie leben. Haben Sie zu leben?
Ich konnte nichts als schluchzen. Endlich sagte ich ihm, er solle doch Morgen wiederkommen da wollte ich ihm die Wünsche meines Herzens sagen. –– ›Wann soll ich kommen?‹ – Erst Abends. – ›Ach da kann ich vielleicht nicht.‹ – Warum nicht? Ich will gewiß da seyn. – ›Ach! wenn Wasser meine Kräfte erhalten kann, wie heute, so will ich auch da seyn. Denn, Charlotte, ich habe den ganzen Tag nichts gegessen.
O, wie rührte mich dieser neue Umstand! der Arme Liebe! – Ich wollte in mein Dorf und ihm den Abend noch was bringen. Er wollte es nicht und bat mich, nur des Morgens früh zu kommen und etwas Milch und Brodt zu bringen. – Mein Gott, Carl, wo will Er bleiben? – ›Dort,‹ wies er auf ein halb zerfallnes Kapellchen, so auf der Höhe lag. – ›Da kann Ihm ja Unglück geschehen!‹ – Von wem, Charlotte? Hier sind keine wilde Thiere. ––
›Aber es können Räuber kommen.‹ – – ›Räuber! O, was thun die?‹ – sagte er mit bitterm Lächeln; – ›sie nehmen Kleider und das Leben; was ist das gegen dies, was unsere Väter uns nahmen!‹
›O, Was für eine grausame Vergleichung!‹ – ›Grausam, Charlotte! Sehen Sie sich, sehen Sie mich an! – Aber sie sind todt. Mögen sie eine bessere Ewigkeit haben, als das Leben, das sie uns bereiteten.‹ Ich sagte ihm, daß ich diese Nacht
›Fürchten Sie nichts; ich werde nicht viel schlafen, sondern nach dem Ort sehen, wo Sie wohnen. Einsamkeit fürchte ich nicht. Ich bin seit acht Tagen in einem verfallenen Schlosse, mitten in einer Einöde – und ein Soldat hat Herz.‹ – – Dies beruhigte mich nicht; ich jammerte fort. Da sagte er sanft: ›Seyn Sie ruhig, Charlotte! Gott ist mein Trost und mein Schutz; auf den hoffe ich. Gehn Sie in seinem Namen zurück – und Morgen, ach, Morgen erquicken Sie mich bald.‹ ––
Ich versprach es ihm herzlich; konnte aber beym Abschiednehmen mich nicht zurück halten, mich an seine Brust zu beugen und laut zu weinen. Er umfaßte mich zärtlich. – ›Charlotte! Sie an meiner Brust! – Sie, mit diesem Vertrauen in meinen Armen! – Gott, der uns sieht! Engels Seele, ach alles, alles will ich nun leiden.‹ ––
Er küßte die Ermel seines Kleides, die mich berührt hatten und meine Hände, und trat zurück: ›Nichts mehr, nichts! Gehn Sie heim, gehen Sie; ich bin selig.‹ – Er
Ich war hier begierig gemacht, das Uebrige von der Wollinge traurigen Geschichte vollends zu hören. Die gute Charlotte hatte Mühe, das Weitere in aller Ordnung zu sagen, weil sie noch immer bey allem zu sehr weint und durchdrungen ist. Sie können aus dem Mahlen einer jeden Scene schliessen, wie sehr deutlich die Bilder der Quaal noch in ihrer Seele liegen. Denken Sie sich selbst dieses alte Kapellchen und die zwey treue Liebende darinnen; den Milchtopf, der den Armen nur Tropfenweis erquickte –– und dann den Abschied und das Hinknien neben einander und das Hinblicken auf den Platz der zum Altar geweiht war, und die gebrochne Reden und das Seufzen Carls, als er seine beiden Hände an den Ueberrest dieses Altars legte, seinen Kopf darauf lehnte und dann hier noch einmal seiner Charlotte und allen Wünschen seiner Liebe entsagte, wenn
Er ging weg. Sie bat ihn, ja wieder zu kommen, fürchtete er möchte es nicht thun, besonders da er ihr seinen Aufenthalt nicht nannte. ––
Ach! sagte sie, ich glaubte mehr an meine Liebe, als an seine. – Meine Mutter kam schon um halb sieben zu mir, betrachtete mich ängstlich, riß mich an sich – und benetzte mich mit Thränen. –– »Lotte! O Gott, meine Lotte! was hatte ich für eine elende Nacht, voll Vorwürfe, daß ich dich verließ. – Tröste mich, söhne mich mit mir selbst aus. – Sage mir alles, alles, wie es vor Gottes Augen ist. –– Was habt ihr geredt? wo ist Carl? Wann gingst du heim?« ––
Treulich, wie Ihnen, sagte ich ihr alles. Sie dankte Gott innig für den Schutz, den er mir gegeben. ––
Charlotte fuhr fort. –– ihre Mutter forderte, daß sie Carln nicht mehr sehen und ihm nur schreiben sollte. Diesen Brief wollte die Mutter ihm geben –– und ihm dabey ermahnen, daß er sein Glück erst suchen und nur dann und wann Nachricht von sich geben möchte. Bey diesem Vorschlag ihrer Mutter empörte sich ihr Herz –– und fühlte nichts,
»O Charlotte, Charlotte!« – und blickte mich unaussprechlich an, faßte meine Hände nochmals, legte noch sein Gesicht darauf; aber ich fühlte mit Angst, wie es immer glühender wurde. – »Lieber, lieber Carl!« – sagte ich leise mit beklemmten Herzen. –
»O, Madame!« – sagte sie und fiel an mich, – was hatte er da für eine Stimme, für eine Stellung, welch fürchterlichen Ausdruck in dem sonst so sanften, so edlen Gesicht! – Ich stand zitternd auf und ging mit ausgestrekten Armen gegen ihn. –– »Carl! mein Carl.« ––
»Ihr Carl, Charlotte!« und halb hob er einen seiner Arme gegen mich, schlug aber gleich mit flammendem Gesicht diesen Arm an seine Brust. – »Hier! – hier, ewig Ihr Carl! – und Sie meine Charlotte!« –
Meine Mutter erschrak und war unwillig dabey. »Beides war Zwang, war Nacht!« – sagte sie; und dies gewiß mit einem zornigen Wesen. Er trat einige Schritte zurück: –– »Ja, ja, Sie haben Recht, Frau Räthin; Sie haben Recht,« – und fort lief er ganz geschwind. Meine Mutter sah, daß er den elenden Gulden noch von sich warf und dann noch mehr forteilte. Sie war ungeduldig über ihn, jammerte über mich, schmählte auf mein heftiges Weinen und auf meine unbesonnene Liebe die doch der Grund alles Unglücks meiner Familie wäre. – O, was litt ich da wieder! – Ich
Zitternd und wankend, wie trunken, ging ich hinaus. – Er war gleich da; war lauter Freude, lauter Glück. – Ich auch. – Er erzählte mir, er habe einen Aufenthalt, habe sich Obstbäume gepflanzt, etliche gepfropft, Gemüs angelegt, habe eine süsse, einsame Hütte in der schönsten Gegend, habe sich auch Gerste angesäet; habe Brennholz genug; – sey dies alles seiner Ehrlichkeit schuldig; hange von Niemand, als seiner Arbeit und redlichem Herzen ab; habe zwey eigne Ziegen. – Ich freute mich über all das innig. Er machte
Freude in seinen Augen, – Entzücken, Unruhe, Thränen, küssen meiner Hände, meiner Schürze, der Blumen, die ich in der Hand hatte, essen dieser Blumen, – alles wechselte bey ihm ab. – Dann wurde er still, blickte mich aber so an, daß ich ihn für
Ach, fuhr sie fort, bey all meinem Elende erinnerte ich mich oft mit Vergnügen der Freude, die er hatte. Er druckte mich einen Augenblick mit einem Arm an sich, stand auf, faßte lebhaft das übrige Stück des Altars, küßte die Stellen, wo ich gesessen, hielt sich wieder am Pfeiler, »heilig, gesegnet bist du mir! – ach, der lezte Stein, das lezte Sandkörnchen von dir wird mir heilig seyn! Möge, sagte er mit gefalteten Händen, mein Glück die Seligkeit des Manns vermehren, der dich erbaute!« –
Ich vergoß süsse Thränen der Freude und auch Thränen der Angst; denn ich glaubte, er käme ausser sich. Er ging nachdem er das wenige Geld von mir angenommen hatte und bat mich, zwey Löffel und eine Serviette mit zu bringen. –– »In acht Tagen schlaf ich hier,« – und legte seine Hand freudig auf die Erde. Und ja, er schlief da. – Aber ich war auch Morgens, um
Mein Mann verkürzte mir den Weg, weil er mir immer alle Oerter nannte, alle schöne Gegenden zeigte; denn er wußte einen Pfad, der immer auf der Anhöhe fortdauerte und sich endlich im Gebüsch dieses Berges verlohr, den ich aber bald erstiegen hatte; obschon Carl selbst immer langsamer ging, unter einem Arm das Päkchen trug und mit dem andern mich unterstützte. Ich war aufgeschürzt, hatte einen Strohhut auf, und einen Haselstock, den Carl geschnitten hatte. Er führte mich unter dem halben Bogen der Nußstauden, die noch da sind,
Ach, wie wurde ich von alle dem gerührt! Vögel hüpften vertraut aus und ein. Er holte seine beyden Ziegen aus ihrem Behälter und ich mußte ihnen mit meiner Hand etwas zu fressen geben – und seinen Vögelchen etwas Gerstenkörner, da ich auf der Bank vor der Hütte saß. – O, wie sah er mich an! wie hielt er meine Hand! was für sanfte
Hier Rosalia, hing sie mit beyden Armen an meinem Hals. – Wie sie weinte, wie ich stumm und bewegt, meine Arme um sie schlug, auch mit weinte und sie an mein Herz druckte, das soll Ihr eignes Herz, nicht meine Feder Ihnen sagen.
Ich denke, Rosalia, Sie haben Alles mitgefühlt, was ich von der rührenden Geschichte meiner Wollinge mit meiner Feder wiederholen konnte. Es ist unmöglich, daß ich alle die feinen Mischungen mitschreibe, die Charlotte in ihre Erzählung brachte. Sie lag einige Minuten an meinem Hals, eh sie fortreden konnte. Mit niedergesenkten Augen, und eine meiner Hände in den ihrigen gegen ihre Brust hebend, fragte sie mich: »Sagen Sie, vergeben Sie mir, daß ich bey Carln blieb? Sie wissen, daß ich mit ihm getraut war.« –
»Ja, mein Kind; – Ich vergeb Ihnen von Herzen! Möchten Sie nur immer gleich glücklich gewesen seyn!« ––
Ach! mein Glück welkte so bald, wie die Blumenkränze um unsere Hütte; und Carl, der arme Carl, hatte einige Zeit viel mit mir zu leiden. Die Regentage, die Zeit, da er wegging, etwas zu holen, saß ich voll
»Meine Charlotte! ich wünsche innig, daß Ihnen dieser Anblik,« – er deutete auf die Wolken, »eben so stärkend sey wie mir. – Hören Sie mich an; mein Herz hat Ihnen einen Vorschlag zu thun.« – »Ja, mein Carl! Aber warum sagst du: Ihnen – Sie? – was ist das?« ––
»Lassen Sie mich so reden, Liebe! lassen lassen Sie mich so«; antwortete er. Ich schwieg da. ––
Ich hatte, wie Sie denken können, immer fort geweint. Er schien es nicht zu achten und seine Augen und sein Gesicht waren trocken; nur manchmal roth, manchmal gezogen. Er hatte aufgehört zu reden. Ich schluchzte laut. Er wischte meine Augen, seufzte, war aber noch fest genug –– mir ruhig zu sagen: »Kommen Sie! wir wollen den Brief Ihrer Mutter lesen.« ––
»Ich konnte nicht reden; nur meine Hände ringen. –– Ich hoffte gewiß zu sterben, so übel, so schmerzvoll war es mir, Carln unempfindlich bey den Thränen zu sehen, die ich vergoß. –– Meiner Mutter Brief war freundlich. Sie lobte Carln über seinen Entschluß und sein Anerbieten einer Ehescheidung; setzte hinzu, sie würde so nach dieser
Seine Stimme war ziemlich bewegt, so lange er las; aber keine Zähre trat in seine Augen. Das quälte, und empörte mich äusserst. Als ich ihn nun vollends den Brief wieder mit gesetzter Miene zusammenlegen sah, trockneten jähling meine Thränen. Ich riß mit Zorn den Brief meiner Mutter aus seiner Hand, warf ihn weg: – »Ich bin selbst Mutter!« schrie ich und schlug mit Verzweiflung auf meinen Leib; – »ich selbst! – und Du!« – Ich stieß meinen Mann von mir. – »Du? hart, unempfindlich, wie mein Vater es war.« ––
Er fuhr auf, schlug seine Hände zusammen, blickte mich an. – Ach! ich kann nicht sagen, wie? – fiel mit Heftigkeit hin, auf seine Knie vor mich; umfaßte mich, konnte auch lange nicht reden. – Ich wollte mich losmachen von seinen Armen, aber er hielt mich umklammert.
»Mutter!« –– Er betrachtete mich einen Augenblick, mit einem unsäglichen Ausdruck seines Gesichts. ––
»Grausame! Du sagtest mir nichts!« – Nun ströhmten Thränen von seinen Augen. Er legte seinen Kopf auf meine Knie und weinte laut. – Ich sagte noch, indem ich meine Arme um mich legte: »Ich hoffe, armes Geschöpf, Du sollst mit mir zu Grunde gehen und sterben.« ––
»Er umfaßte mich – und schrie, stammlend vom Weinen: O, Charlotte! sey gern Mutter! – Mutter meines Kindes. –– Liebe mein Kind, liebe mich!« ––
Ich schwieg; er auch. Dann richtete er sich auf. – »Ich Vater! Du Mutter! – Charlotte, du bist mein, ewig mein;« – mit Entzücken umarmete er mich da. »Vergieb! vergieb mir Alles! Vergieb mir, um meines Kindes willen! – Nun kannst Du, nun darfst Du nicht von mir!« ––
Ach Gott! das Lächeln des Glücks und der Liebe verbreitete sich über all seine Züge. Ich weinte wieder sanft; ich fühlte auch all meine Liebe wieder. Er küßte meine Thränen
Eine Zeit darauf erhob er seine Hände zum Himmel: »Ewiger Vater! du gabst mir die zwey Geschöpfe; hilf, o, hilf mir sie erhalten! Stärke, segne diese Arme! segne diesen Boden!« ––
»Er streckte seine Arme nach aller Kraft seiner Sehnen aus; blieb etwas still, setzte sich dann zu mir, umarmte mich zärtlich. – Du bleibst nun bey mir! – Sieh Charlotte, die so schönen Abendwelken, von Gott so herrlich gefärbt! Morgen zerfliessen sie in einen fruchtbaren Regen. – Hier, in dem großen Thal vor uns, wächst Nahrung für viel tausend Geschöpfe: und hier sollte Gott uns nicht ernähren? meiner Hände Arbeit nicht segnen –– für Dich – für mein Kind? – Auf dem Boden, wo er Alles hervorspriessen läßt, um Käfer, Gewürme. Vögel und Wild ihre Nahrung finden zu lassen; und für mich, für Dich – solle ich an seiner väterlichen Vorsorge zweifeln?« –
Auf die Zeit, da wir wußten, daß sie zu uns kam, puzten wir unser Gärtchen, unsere Hütte und alles, recht sauber und artig; wie auch den ganzen Weg nach Mahnheim, den Carl mit dem Rechen ebnete und die Steine weghob. – Aber sie war sehr traurig, mich hieher verbannt zu sehen. – Ich zeigte ihr nichts als Zufriedenheit. – Sie verkaufte meine Ringe, vier Löffel und das Zinn- und Kupfergeschirr, schrieb dann dem guten Beamten Mooß, zum Besten meines Mannes; und sagte ihm, daß er ehemals ihr Kammermädchen geheyrathet habe. Er möchte ihn seine Gärtnerey da oben fortführen lassen und erlauben, eine neue Hütte zu bauen. – Die bekamen wir noch im October, wie auch Betten, Weißzeug und Kleidungsstücke, wie sie für Gärtnerleute taugten. Carls Flöthe und einige Bücher kamen auch. Ich hörte die Betrachtungen meines Mannes über den wahren Unterscheid der Stände, wurde mit dem meinigen vergnügt;
»Ich zerriß da meines Mannes Herz zum leztenmal, weil ichs mir nimmer würde vergeben haben, ihn noch einmal so zu kränken, wie es da geschah. – Es war hart und unbesonnen von mir; denn die Frau, die mir beistand, konnte uns schaden. – Wir ergaben uns mit einander dem Schicksal und weinten vereint
Frau Wolling weinte würklich wieder. Ich störte sie nicht gleich; – endlich fuhr sie fort: »Ich kann nicht sagen, was seit Ihrer Ankunft und der Versicherung Ihrer Hülfe in uns vorgegangen ist. Ach! glauben Sie, daß wir Ihre Güte verdienen, – und entziehen Sie uns Ihre Gegenwart und Ihre Liebe nicht mehr. Ich könnte, großer Gott!« – sagte sie mit aufgehobenen Händen »ich könnte Ihren Verlust nicht ertragen. Sehen Sie nicht uns, sondern unsre armen Kinder an.« ––
Rosalia! ich erneuerte ihr mein Versprechen und sagte Nachmittags beyden meinen Plan für ihr Haus und Gut; welches sie ganz glücklich machte. Ich versicherte dabey den Herrn Wolling, daß ich mit seiner und Charlottens Geschichte sehr zufrieden wäre – und beyde bäte, alles Vergangene nur als einen beschwerlichen Weg anzusehen, auf welchem
Hier faßte ein jedes im nehmlichen Augenblick eine meiner Hände. Charlotte schluchzte; Wolling lag mit seinem Kopf auf meiner Hand; – redeten aber nicht, und diese stumme Scene fesselte auch meine Zunge auf einige Minuten. Endlich erholte ich mich zuerst, und sagte ihnen: »Meine Freunde, alle Menschen haben Leiden zu ertragen. Ich bin reich, gesund, unabhängig: aber es geht ein großer Theil bittern Kummers durch mein Leben. Ich versüsse ihn allein in dem Wohl meines Nächsten und der Uebung meiner Talente. Eure Liebe wird mich freudig machen und hier wollen wir, nach Art der Patriarchen, in unsrer einsamen Wohnung mit einander glücklich seyn. Morgen früh gehn wir zu dem Beamten. Aber heut erzähle mir Herr Wolling die Art, wie er auf diesen Berg kam, und die Erlaubniß erhielt, sich hier anzubauen.«
Ich sagte ihm hier, daß er sich, in meinen Augen immer edel bewiesen habe.
»Ach! ich war es nur im Unglück. Ich hätte es in guten Tagen seyn sollen! – Aber, Sie wollen meine Berggeschichte wissen. Ich wurde ein gezwungener Soldat. Mein Widerstreben half nichts, und ich sah
»Sie müssen ihn einmal sehen, fiel Charlotte ein, diesen Baum, wo meines armen Carls klopfendes Herz, das erstemal hier ruhte. Er ist mit einer schönen Grasbank umgeben. Ich habe ihn oft geküßt.« –– »Und über ihn geweint;« sagte ihr Mann lächelnd, indem er ihre Hand drückte. »Den Morgen darauf war ich sehr niedergeschlagen in meinem Gemüth. Aller mein erlittner Jammer war vor mir. Der Gesang der Vögel, das muntre Herumkriechen der Gewürme, hie und da eindringende Sonnenstralen zwischen den Stämmen und Aesten
Der liebe Mann wollte den nehmlichen Augenblick zwey seiner Söhne mit dem Förster hinschicken und suchen lassen. Er staunte mich an, und Thränen traten in sein gütiges Auge, als er die Hand ausstreckte, um die Sachen zu nehmen. Seine Frau, seine zwey Söhne betrachteten mich mit Güte. – ›Redlicher Fremdling, sagte er, indem er meine Hand schüttelte und drückte, ich danke
Ich wies ihm hier meinen Abschied, als Gärtnergesell. – Er schien zufrieden, blickte mich aber dennoch von Zeit zu Zeit nachforschend an. Ich sollte mit ihm essen; aber ich fürchtete das Ausfragen und dankte ihm!« –
»Vielleicht will Er heut noch weiter! ich will ihn an Leute in der Stadt empfehlen. – Komm Er mit in meine Schreibstube.« –
Das that ich. – Er sah mich da noch einmal nachdenkend an, weil er meine Verlegenheit sah. – »Nun wie ist es mit Ihm, Freund? Mich dünkt, Er hat mir was zu sagen. Vertrau Er sich mir;« – sprach er, indem er zugleich einen Schiebkasten seines Schreibtisches aufmachte und einen großen Silberthaler nahm, den er mir darbot. – Nehm Er das kleine Kennzeichen meiner Dankbarkeit hin und rede Er freymüthig mit mir. –
Er trat ein Paar Schritte zurück und besah mich mit Staunen von Kopf zu Füssen. –
»Die Eiche! Ey was thut Ihm die Eiche?« ––
»Ach! sie ist seit sechs Tagen der Trost und die Freude meines Lebens. – Es ist sonst kein Wesen auf der Welt, das mir Gutes that. Der einzige Wohlthäter, den ich je hatte, lebt in Königsberg, so weit von mir. Lassen Sie die Eiche stehen. – Erlauben Sie mir, in der Hütte zu wohnen und um das alte Schloß herum Gemüs und Obstbäume zu pflanzen, davon ich leben will.« ––
»Lieber, junger Mann! ich denke, Er wundert sich nicht, wenn Er mir immer sonderbarer vorkommt. Denn wenn Er von seiner Handarbeit leben will, warum geht Er nicht lieber zu einem Gartenmeister?« –
»Sie haben in Allem Recht, theurer Herr Amtmann. – Aber, Sie machen mich zum
»Er wolte was von mir wissen. Ich sagte ihm, daß ich in meiner Jugend studirt hätte, weil ich der Sohn eines Schreibers sey; daß ich ein gutes Mädchen innig geliebt und ihr auch werth gewesen wäre; daß ich mit ihr getraut; – aber am nemlichen Tage mit Gewalt zum Soldaten genommen sey, wo ich immer krank und also unbrauchbar gewesen. Da hätte mich die Menschlichkeit eines edlen Mannes wieder frey gemacht. Ich hätte meine Frau aufgesucht, müßte aber nicht, wo sie wäre Mein Vater sey todt, und das Leben mir zuwider, so bald ich unter viel Menschen seyn müßte« ––
Er bedachte sich eine Zeitlang. Endlich sagte er: »Ja, mein Freund! Er soll da oben wohnen und anbauen, mit der Bedingung, daß er diesen Thaler nebst einigem Handmerkszeug annehme, und mir alle Woche sage, was Er gethan hat.« ––
Ich küßte seine Hände mit vielem herzlichen Dank. Er ließ mich im Zimmer warten, um mit seiner Frau zu reden. Ich
»Sie hatten mich im Nebenzimmer belauscht, wie sie mir nachher sagten; und beyde kamen gerührt in das Zimmer, nachdem ich ziemlich lang' allein darinn gewesen war. Die Frau gab mir einen Sack voll Saamen wie sie sagte. Es war aber auch in einem Tuch ein Laibbrodt und ein Stück trocken Fleisch dabey. Zu diesem gab sie mir einen Rechen, eine Grabschaufel, Hake, einen Schiebkarren voll Dünger, zwey irdene Töpfe, und zwey Teller, nebst einem Löffel dabey. Und so zog ich herrlich in meine Einöde zurück. – Was für ein Abend war dies! – Meine Ehrlichkeit hatte mir aus den Händen der besten Menschen einen Wohnplatz erhalten. – Ich fühlte mich glücklich. Aber, da kam das Bild von Charlotten; der Wunsch nach ihr; – Entwürfe meines Anbaus und meiner Hofnungen. – Ach, wie arbeitete ich; wie war ich gestärkt, wenn ich im Walde zu dem Kapellchen ging, um wenigstens den Ort zu sehen, wo meine Liebe war, und da Charlotten
»Und elend!« fiel sie ein. – »Du Liebe! sagte er, es wäre unnatürlich und unwahr gewesen, wenn Du nicht auf diesem traurigen Wege Deines Lebens gewankt und geklagt hättest – Der Beamte besuchte mich zum öftern, lobte mich, schenkte mir eine Ziege, dann die Zweyte; empfahl mein Gemüs an ein Paar Häuser in der Stadt. Ich zog Zwergbäume in den Lettentöpfen, die ich mit Weiden einflochte. Blühend verkauft ich sie. Das that uns viel gutes. Meine theure Lotte wurde die beste Mutter und arbeitete nur zu viel. Der Beamte gab uns so viel Freyheit und Gutes, als er konnte. Die Gewohnheit siegte über alles; aber nicht über den Gedanken: was wird aus meinen Kindern, aus meiner Lotte, wenn ich sterben sollte?« ––
»Und wie viel Jahre sind sie schon hier?« fragte ich. ––
»In wenig Tagen sind es neun Jahr.« –
»Ach. Gott! welch langes Leiden, und Mühe!« sagte ich mit bewegtem Herzen. –
»O, die Zeit entschlüpfte uns eben so geschwind, als den Glücklichen. Unsere Arbeiten
Frau Wolling erröthete da, und sagte ganz leise: »Wilt du mir, lieber Carl, die erste Weiberlist verzeihen, die ich gegen dich gebrauchte? – Meine Bitte, auf Herrn von Pindorf zu warten, war nichts, als die Ausflucht, welche ich gegen den Vorschlag des Herrn Mooß nahm, weil Du mir so
Er vergab ihr herzlich, und der Abend endete sich mit ihrem völligen Vertrauen, da sie mir zwey Papiere wiesen, die jedes eine Verschreibung von funfzig Gulden enthielt. Dies war die Ersparniß von dem gelösten Gelde für ihre Löffel und Ringe, und von seiner verkauften Gärtnerwaare seit neun Jahren. Der Beamte und Pfarrer hattens auf die Gemeingüther angelegt, damit das so kümmerlich erworbne Geld ja den Kindern nicht zu Grunde ginge. ––
Ach, die lieben, herrlichen Menschen alle, wie freuen sie mich! –– Sie können nicht glauben, Rosalia, wie ordentlich Alles gehalten wird. – Garten, Hütte, Hof, angtänzendes
Ich will Sie, liebe Rosalia, für mein vierzehn Tage langes Stillschweigen schadlos halten und Ihnen treulich Alles erzählen, wie es mir geht und die Sachen erscheinen.
Ich war bey dem Beamten in Mahnheim. Ein redlicher, vortreflicher Mann, der mit heiliger Treue das ihm anvertraute Gut, der Gerechtsame des Herrn, und das Wohl der Unterthanen besorgt und der durch Festhalten an dem Grundsatze keinen Bösewicht ungestraft, und keinen Guten unbelohnt zu lassen, die herrlichste Ordnung in seinem Amt hat. Weil nun dabey auch der Herr von Mahnberg alle Jahr seine Gefälle richtig bezieht und die Unterthanen niemals klagen, oder bitten; so hat er dem Beamten volle Macht über die ganze Einrichtung gegeben. Das erworbne Ansehen, welches dieser Mann durch unabgeänderte Ausübung seiner Pflichten erhielt, dient nun zu der Grundlage des Wohlstands meiner
Ich schickte meinen gelehnten Bedienten und seine Frau – wieder nach S** zurück – und nehme eine Tochter des Herrn Mooß zu mir, ein ganz reines, kunstloses Mädchen von sechszehn Jahr. Sie hieß Mata, und ist mir auch deswegen lieb. Ein guter und schöner Sohn von funfzehn Jahren wird bey mir zeichnen und französisch lernen. Sie können nicht glauben, was für ein großes Talent in dem jungen Menschen liegt, und wie einnehmend das Gemisch war, feuriger Begierde, alles was ich sagte, zu hören, meinen Bleystift,
»Hat Er einmahl einen Versuch gemacht?«
»Oft! aber sie sind mir verleidet worden,« antwortete er, mit einem Seitenblick auf den Vater. –– »Wie so?« erwiderte ich, und sah auch den Beamten an. – Herr Mooß sagte lächelnd: »Ja anstatt zu schreiben, verdarb er das Papier mit Kritzeleyen und die Wände im Haus mit Kohlen und Zimmermanns Röthel. – Da gabs Strafen, bis ers bleiben lies. Endlich habe ich ihn Feldmessen gelehrt, nur daß er was mit dem Bleystift thun kann.« ––
Hastig trat er gegen mich, mit Glut jugendlicher Begierde im Gesicht. – »O, Madame, wie sehr freute michs! Vater!« – mit flehender Stimme und Augen – »Herr Mooß! sagte ich, Sie erlaubens, und ich sorge für Alles, was dazu gehört« – Er willigte ein, und ich sah beyde glücklich. –
Sie glauben doch, Rosalia, daß ich meinen Jugendfleiß segnete, der mir dieses Talent erwarb, wodurch ich einen schätzbaren Jüngling, über erlittne Schmerzen tröste, eine edle Wißbegierde in ihm stille, langgewünschte und beraubte Freuden gebe – und dem Vater seine Erziehung erleichtere. – Schicken
Rosalia! diese lezte Zeile bewegte mich stark. Ich bin vor mein Zimmer hinaus gegangen. Es ist Vollmond. Mein erster Blick war gegen die Stadt W** und dann auf die große Gegend der schönen schlafenden Natur, ganz mit dem sanften Licht übergossen. – Die Hütte meiner Wollinge, die Trümmer der Mauern, alles hatte den Reiz der Zufriedenheit und Ruhe. Mein Aug erhob sich zum weiten Gewölbe des Himmels; und so viel Strahlen es fassen konnte, so viel süsse Beruhigung floß in mein Herz – und glücklich geh ich schlafen. Adieu. ––
Dank, vielen Dank, meine Rosalia, für die schnelle Uebersendung meiner verlangten Kisten. Alles ist gut angekommen, und just den vierten Tag, da meine kleine phantastische Wohnung zwischen den Mauern des alten Schloßgangs fertig war. Denn da ich alles nur von doppelten Brettern machen ließ, und die Leute doppelt bezahlte, so ging es geschwind. Auf das Trocknen der Wände durst ich nicht warten, da Sonne, Luft und Mond – schon zweyhundert Jahr auf allen Seiten da geherrscht haben. Aber da sie ganz rauh und unsauber waren, so hab ich sie mit dünnen Tannenbrettern bekleiden laffen. Diese will ich nach und nach mit guten Zeichnungen der hiesigen Gegenden verzieren und an einer edlen Figur in die einsamen Spaziergänge soll es nicht fehlen. – Vortreflich war ihr Gedanke, mir einen so großen Vorrath von allerley Papier und
»Ach! mein Herz ist so klopfend und so unruhig worden; Sie singen so, daß es süß ist und doch traurig.« ––
Ich wollte keine Frage mehr darüber thun, sondern sagte nur: »Möchtest Du auch singen lernen?« – Tausendfach küßte sie meine Hand. – Ihre ersten Töne hab ich gehört. Es wird die reinste, gefühlvollste Stimme werden, aber schwach. Sie will auch niemals Andern singen, nur mir. – – Gute, gute Meta! wie sorgfältig will ich für dich seyn, so lang du unter mei nen Augen bleibst! – Aber ich selbst, so voll Liebe, so voll Ideen, die alle alle liebend sind, – diese Einsamkeit dabey, – ach! Rosalia, wenn dieser Meta Empfindsamkeit genährt und unglücklich gemacht würde! – Ich will suchen, ihr eine Leitung zu geben. – Gott, Natur, Tugend, Freundschaft, schöne nützliche Arbeiten, sind
Sie können denken, daß all diese Züge meine Theilnehmung an der Familie vermehren, so wie sie meine Empfindsamkeit stärken. Ich habe einen schönen Platz auf der Seite des Walds, dem neuen Hause gegenüber, wo ich mit meiner Strickarbeit – und auch Bleystift sitze, und die Arbeit an Wollinghof, zugleich aber die Hütte oben, vor mir habe, wo meine Kinder wohnen. – Wie selig fühlte ich mich den Augenblick, da ich das erstemal diese Aussicht genoß, nachdem einiges Gesträuch weggehauen war, um den Platz des Gemüsgartens zu ebnen, und das alte Gebäu ganz sichtbar wurde; – da ich in einem Moment den Aufenthalt der leidenden Tugend – und den von ihrem künftigen Wohl betrachten
Ich habe Leinwand gekauft und Tischzeug. Meine junge Mooß, Frau Wolling und ich, arbeiten daran; denn ich möchte das Nöthigste fertig haben wenn wir unser Haus beziehen. Diese Woche werden wir schon weit seyn. –– Rosalia! Sie müssen mich einmal besuchen; Sie müssen! – und dann mir ganz sagen, was Sie von uns halten. –– Vorgestern Abend hätte ich Sie gern da gehabt, als die Arbeitsleute da sassen, auf Balken, auf Steinen, auf Rasen und abgehaunen Baumstumpen; froh über das End ihres Tags, über Trank und Abendbrodt, so ihnen
Ich freue mich, Rosalia, daß Sie mir alle Ihre Briefe an die edle Mariane S**, und dieser ihre an Sie, auf einige Zeit anvertrauen wollen; besonders da Sie den Beweis darinn zu führen denken, daß ich viel Sympathie mit Ihrer würdigen Freundinn habe. – Mit Ihnen sympathiesirte ich ja schon lange. Es ist so ein süsser Augenblick
Segnen Sie mich, Rosalia! oder vielmehr segnen Sie uns Alle. Das Haus, die Scheune, alles in Wollinghof ist fertig, sogar die Schreinerarbeiten, alles; denn diese Letztern besorgte der Beamte in einem benachbarten Dorfe, das auch dem Herr von Mahnberg gehört und geschickte Handwerksleute hat. Frau Mooß hatte alles über sich genommen, was Betten, Küchen-und Hausgeräth anging. Es geschah dadurch ihr und uns ein großer Dienst, denn sie reiste nach der Stadt W**, um einzukaufen und konnte zugleich ihre Verwandte besuchen, die sie lange nicht gesehen hatte. Ich bemerkte an ihr Freude und Verlegenheit,
Meine Wollinge kämpfen mit der Idee des Glücks, ich seh es; denn oft ist mehr Ausdruck vom Schmerz, als Freude, in ihren Augen, wenn sie das nun recht gut dastehende Haus anblicken. Alles ist schon so ausgetrocknet, daß wir in acht Tagen darinn wohnen werden. Das Haus ist sehr breit, aber nur zwey Stockwerk hoch; keine doppelte Zimmer, aber auf beyden Seiten des Thors vier geräumige Stuben gegen Mittag, und gegen den Hof zu, einen breiten offnen Gang, über welchem in dem zweyten Stock auch einer herumläuft, der auf Pfeilern ruht. Da konnte die Luft alles recht bald trocknen. Seit vierzehn Tagen wurde bey offnen Fenstern in allen Zimmern Feuer angemacht, und in der Küche gekocht. – Vorgestern hat der Beamte alles Hausgeräth in der Nacht herführen lassen, weil, wenn alles an Ort und Stelle
Herr Wolling spielt die Flöte recht artig zu meinem Klavier, und ich versichre Sie, daß unsre Abende sehr schön sind. ––
Unser Gemüsgarten steht voll Wintervorrath. Der Baumgarten ist schon völlig zugerichtet damit man die von Wolling gezognen Bäume, die er verkaufen wolte und andre, die ich kommen lasse, einsetze. Alles in Ordnung geräumt, alles zu kleinen Verzierungen vorbereitet. Schmerzhaft war mir der Abschied, den die Arbeitsleute nach und nach nahmen. Ich schenkte jedem noch ein Stück Geld und Alle verliessen uns mit bewegtem Herzen und ihrem Segen dabey. ––
Meine Meta trauerte alle die Tage darüber. Ich fragte sie, warum? »Ach, sagte sie, die Leute waren so glücklich und so gut
Einer hatte noch den letzten Sonnabend, da Alle des Abends um mich herum aßen, so herzlich gesagt, sie wünschten alle, daß ich eine Stadt zu bauen hätte; sie würden gern weniger Lohn nehmen, nur in meinen Diensten zu seyn. – Mit diesem war das liebe Mädchen gar sehr zufrieden und hoft auch Gutes für ihn, weil er dadurch sein Gefühl für Tugend angezeigt hatte. ––
Ich glaube, Rosalia, es ist Ihnen lieb, daß ich noch diese Tage über verzog, diesen Brief abzuschicken, weil Sie nun zugleich hören können, daß wir würklich in Wollinghof wohnen. ––
Herr Mooß, und seine gute Frau hatten alles so wohl besorgt, daß nicht das geringste, so zu einer Landhaushaltung gehört, vergessen war. Alles gut, alles nett und simpel, wie ich es verlangt hatte. Nirgends der Schein von Pracht noch Ueberfluß. Auch nirgends nichts schlechtes, nichts häßliches; aber überall nur, was hingehörte und nöthig war. –
Sie sank an mich; ich umfaßte sie. Zum Glück weinte sie laut. Ich vergoß stille Thränen. – Der Mann betrachtete uns, mit gedrängtem Herzen, – stürzte mit ausgebreiteten Armen vor uns hin und umfaßte so, stumm, aber mit dem stärksten Ausdruck männlicher Freude und Liebe uns zugleich. –
»Charlotte! van Guden!« – war alles, was er nach einigen Augenblicken sagen konnte. – Dann faltete er seine Hände. –– »Gott! – gütiger Gott!« – seine Lippen bewegten sich noch still. ––
Rosalia! niemals ist reineres Dankopfer zum Himmel gestiegen, als in den Blicken dieses edlen Mannes, die er aufs höchste erhob. Die Abendsonne beleuchtete ihn; alle
Ich sagte seiner Frau und zeigte auf ihn: »Sieh, liebe Charlotte! dies ist die Einweihung Eures Hauses. Gott sey Dank daß er mir diesen seligen Anblick gönnte.« ––
Hier ergriff Wolling eine meiner Hände und eine von seiner Frau, küßte sie wechselweis, während daß Thränen über seine Wangen flossen. Seine Frau küßte mich nun auch – und ich nahm mein Schnupftuch, wischte ihr und Wollings Gesicht damit ab, faßte es zusammen: »Ich will sie verwahren, diese vereinigten Thränen Eurer Herzen. – Zufriedne Tugend und Freundschaft vergossen sie; – es können keine schönere geweint werden.« ––
Dies gab ihrem Gefühl eine neue Wendung. Er blickte mich und sie an, deutete auf mich: – »Unsre Mutter! unser Haus!« – küßte nochmals meine Hand! – »edle, großmüthige Hand! ich verehre, ich segne dich. Gott! wird dich belohnen.« – Und da gab er sie Charlotten zu küssen.
Nachdem das Gesind aufgestanden und die Kinder noch ein wenig herumgelaufen waren, sagt ich: »Charlotte du mußt mich in mein Zimmer führen, Herr Wolling leuchtet uns.« – Das geschah und Meta legte indessen die Kinder zu Bett. Carl schläft an dem Arbeitszimmer seines Vaters, das gerad am Thor ist und ein Gitterfenster in den Thorweg hat; die Andern am Schlafzimmer der Eltern. – Den andern Morgen kamen die lieben Geschöpfe alle vier mit Vater und Mutter, und brachten mir Blumen und dankten für die guten Betten. – Ich sagte Carln, er möchte die Flöte holen, wir wolten sehen, wie mein Klavier hier lautete. – Ich unterbrach hierdurch neue Aufwallungen der Frau Wolling. – Den andern Tag wars Sonntag; wir gingen nach Mahnheim in die Kirche und nahmen den Beamten und seine Frau mit uns zurück. Frau Wolling machte die
Unsre Entwürfe für den Berg sind gar herrlich und ziemlich einfach dabey. Eine Phantasie, die ich bey der Form unsers Daches angebracht haben wollte, ist Ursach, daß wir eine köstliche Entdeckung machten. Man brauchte einige Stämme von Natur gebogenen Holzes; die mußte man im ganzen Wald umher aufsuchen und gerieth auf eine schmale Höhe des Bergs, wo man ihrer viele fand, die man alle abhauen ließ um sie nachmals zu Wagnerarbeit zu verkaufen. Dies gab Platz zu einem neuen Spaziergang und zeigte uns auf einmal, an einem kleinen Absatz, den diese Höhe hat, etwas Sumpfiges und dann eine beträchtliche Wasserquelle, die von oben kam,
Vergeben Sie mir, liebe Rosalia, wenn ich Ihren Bitten, Ihren Wünschen widerstrebe und fest, unbeweglich, hier auf dem Berge bleibe, der die Sinnbilder meines vergangnen und gegenwärtigen Lebens trägt. – Auf einer Seite Trümmern eines hochaufgebauten, weiten Entwurfs von daurendem Glück; – auf der andern, eine neue friedliche Hütte, voll redlicher Herzen, die mich lieben, deren Wohlstand und Vergnügen das selige Werk meines Herzens ist; – ringsum Ruhe und Güte der Natur. – Nein! mein Kind, ich geh nicht weg. – Ich hab Ihren Brief unter dem halben Dach einer kleinen Nußlaube gelesen, die Wolling hier umbog, weil er mich oft dahin gehen sah. – Ich habe da einen weiten, schönen Himmel, –– Kornfelder des Thals, Anhöhen mit Wäldern bedeckt, einen einsamen Mayerhof und die Landstrasse vor mir, die nach der Gegend
Nein, ich will nicht mehr an Otte gehen, wo große Bedürfnisse und große Entwürfe entstehen; wo Kräfte und Jahre des Lebens
Niemals geht er, oder seine Frau, mit mir die Eiche vorbey, an der ich stehen blieb, als die Kinder ihnen entgegen liefen, niemals kommen wir dahin, ohne daß eine meiner Hände, oder ein Zipfel meiner Kleidung gefaßt würde. – Geredt wird in diesen Augenblicken nicht und ich bin froh, denn ich befürchtete, die Ueberlast von ihrem Dank für mein Herz und die Abnutzung ihrer Freude für sie. –– Auch vermeid ich, mit ihnen dahin zu gehen, und ist mir sehr lieb, daß wirklich einige Haufen übriges Bauholz dort aufgelegt sind, welche ihnen diesen Erinnerungsplatz auf einige Zeit verbergen. ––
Ein junger Zimmergesell, der an dem Haus und der Scheune bauen half, ein geschickter, fleisiger Arbeiter und der immer den besten Willen zeigte, den wir auch noch zur übrigen Holzarbeit
Sie fürchten den Winter für mich, in dieser Einöde – und ich freue mich ihn hier zu sehen. Den Hof-und Stadtwinter kenne ich schon. Der von ihrer Vorstadt, macht auch eine Stuffe der Abänderung, nach den großen
Da war ich mitten im Winter verreißt, Otte, seine Julie und ich, um Herrn und Frau G** in F** abzuholen, die nach einer Abwesenheit von etwa drey Monaten wieder zurück wollen. – Es war sehr kalt, als wir abgingen; aber ein heller, reiner Himmel dabey. Alle Steine, alle Grashälmchen mit Silberduft überzogen, und das auf einer grossen Weite umher. Dann enge Hohlwege, unfreundliche, und gefrorne Bäche, bey denen wir ängstlich waren. Aber auch ein herrlicher Buchenwald, alle Zweige bereist, braune und gelbe Blätter daran, nur an den Enden mit dem so glänzenden Duft eingefaßt. Und als wir auf die Höhe des Waldes kamen, wo er stark ausgehauen ist, hatte ich den angenehmsten Anblick, den diese Jahrszeit geben kann. Eine Art Nebel, aber sehr dünn, der auf dem Berge lag, durch welchen die auf der Seite stehenden Büsche nur als durch einen Flor
»Sie ist nur Magd bey dem Bauer, sagte er, aber das schönste und ehrlichste Mädchen im ganzen Lande. Ich verzehr immer mein halbes Trinkgeld bey dem Bauer für Milchspeise, und er hält sie deswegen auch besser. Das übrige Geld hebt sie auf, daß ich es nicht vertrinke und mir was spare, damit wir ein kleines Söldnergütchen gleich neben meinem Herrn bestehen können. Ich bleib Postknecht. Mein Herr und die Pferde haben mich gern; 's Fuhrwerk geht nicht immer
Diese redliche Erzählung und die freundlichen Blicke, die er auf die, in seinen Händen haltende Geschenke von uns, von Zeit zu Zeit heftete, und das kleine Päktgen auf- und zulegte, dann wieder mit beyden Händen zusammen druckte, – rührte uns. Julie sagte auf französisch zu Otten, ihm eine Beysteuer zu geben. – Er thats und der gute Mensch weigerte sich, indem er auf unsre Geschenke deutete. Nachdem aber küßte er unsre Hände und segnete uns. – »Kommen Sie den Weg nicht bald wieder?« fragte er. –– »Ja, in acht Tagen.« – Da zählte er an seinen Fingern, – »Das ist mein Tag nicht, – aber ich will meinem Cameraden das Trinkgeld lassen und Sie fahren. – Sie sollen sehen, wies gehen wird« – und da schnalzte er mit der Zunge und der einen Hand, und blinzte mit den Augen frohen Beyfall dazu. – Er hielt auch Wort, und führte uns ganz vortrefflich im Rückwege. ––
Cleberg gehorchte mit Freude in seinem Auge, – ich aber widerstrebte und sank beynah in dem erregten Sturm zu Boden. Meine Lippen zitterten und Cleberg faßte mich mit Schrecken, da er mich blaß und schwankend sah. –– »Was ist das! Rosalia! – um des Himmels willen, was ist das? was ist seit Ihrem lezten Brief in Ihrem Herzen vorgegangen? – Unser Oheim macht Sie nicht zittern, das bin ich, ich allein, den Ihr Uebelwerden angeht.« ––
Ich konnte nicht reden: die Worte starben in meinem Munde. –– Ich legte endlich
Diese Betrachtung war richtig. Aber ich würde von der plötzlichen Erscheinung nicht so erschüttert worden seyn, wenn mein Oheim nicht so rasch auf eine Umarmung gedrungen hätte. Denn bey der Erinnerung der äussersten feinen Strenge, die ich mir aufgelegt und heilig gehalten hatte, daß von dem Tag an, wo mein Herz und mein Oheim mich für Clebergen bestimmten, niemals die Lippen eines andern Mannes meinen Mund berühren sollten, – war ich wohl billig genug, nicht das nehmliche von ihm zu fodern und zu erwarten. – Aber gewünscht hatte ichs, und den Augenblick, da er nach der Auffoderung meines Oheims sich mir näherte, warf ich ihm einen Mangel an Feinheit vor; – und zugleich war in mir der Gedanke: O, wie viele dieser Küsse mag er verschwendet haben! – Und dann war doch auch die Bescheidenheit mit verbunden. – Es war mein Bräutigam, aber doch ein
Ich war besser – und zeigte ihm mein Vergnügen, ihn zu sehen. Er betrachtete mich, während ich sprach, mit Aufmerksamkeit – und es dünkte mich, als ob es lauter Vergleichungen wären, die er zwischen mir – und was ihn auswärts angezogen, in seiner Ueberlegung machte. Ich war eben sehr vortheilhaft gekleidet. – Ein langer Pelzrock nach der Taille, feines Gelb mit Zobel ausgelegt; – die polnische Haube dazu, stand mir sehr gut. –– Er faßte meine Hand, mit Blicken voll Liebe. »Sie sind schön, Rosalia! schöner als jemals. Wo wollten Sie denn mit alle den Reizen hingehen, als wir kamen?«
Ich sagte, daß ich mit meiner Gesellschaft eingeladen wäre, einige junge Leute Schlittschuh laufen zu sehen – und daß es mich gefreut hätte, weil es mir ganz neu sey. –
»Sie müssen hin; – aber ich habe Erlaubniß, auch zu folgen.« ––
Das war natürlich – und ich ging zu Julien, die schon zweifelte, mich zu sehen, weil sie die Nachricht von der Ankunft meines
Dieser Morgen war mir sehr schön. –– Cleberg ging mit mir zurück, aß mit uns, bat mich um eine Unterhaltung in welcher er mir viele alte und neue Liebe versicherte – und mir die Ursach meines Uebelwerden auf den Knien dankte und abbat; – zugleich aber seine neue Abreise auf den nehmlichen Abend anzeigte, – weil er zwanzig Meilen von da wieder zum Gesandten treffen mußte. – Aber bald, wenn mein Herz es gut hiesse, würde er, nach Anordnung unsers Obeims, auf immer als der glücklichste Mann um mich seyn; – und bis dorthin auch nicht einen Blick auf eine andre Seele heften. – Mariane! Ihren Seegen.
Nun ist mein Schicksal festgesetzt. Cleberg bekommt durch Verwendung meines Oheims eine angesehne Stelle in dieser Gegend und diese Stadt wird mein Aufenthalt. – O, wie weit von Ihnen, meine edle Liebe! – Wenn nur, – ach, wenn. – Aber, zu was sind sie gut – die Wenns? sagt Madame G** – Zum voraus machen sie Angst und Zweifel; und nach geschehner Sache, Kummer und Unmuth. – Würklich hat auch mein Oheim schon auf zehn Jahr zwey Stockwerke und den Garten, nebst halben Hof eines schönen Hauses gemiethet, in eben der Strasse, wo Julie – und Frau G** wohnen. Nun will er vieles darin bauen und auch den Garten neu anlegen und ich soll mich bis künftiges Frühjahr mit der Einrichtung beschäftigen. – Sie sehen, wie viele Liebe hier für mich waltet und ich habe auch in einem glücklichen Augenblick die Abänderung des Testaments erhalten,
Es war ein schöner Augenblick meines Lebens, da mir mein Oheim den geschlossenen Vertrag der Miethe wies, die um so viel sicherer war, weil er eine drückende Schuld des Eigenthümers bezahlte die den Belauf des Miethzinsen auf die zehn Jahre beträgt. – Daneben zeigte er mir alle Verabredungen mit dem Mauer- und Schreinermeister von den Verbesserungen meines Hauses; und nichts von dem, was ich gewünscht hatte, war vergessen. Mein Herz überfloß in Danksagung für seine Güte, und das seine ergoß sich in Freude über die Aussicht auf meine Glückseligkeit, die er nun recht gründen wollte. – Es war grade nach dem Frühstück, da ich neben ihm saß und er mir auf dem Tisch, nach weggenommenen Theezeug, die Risse des Hauses vorlegte und die Abänderungen alle sagte. Ich hatte schon einigemal seine Hände geküßt; und das Bild der Verzweiflung des Ueberrests seiner ausgeschlossenen Familie drang immer näher an meine Seele, so, daß es endlich in
»O, ja; – aber mein Herz ist zu voll Glück und Kummer.« ––
»Voll Glück und Kummer!« – rief er mit Staunen. »Hast Du was gegen Deine Heyrath mit Cleberg?« ––
»Nein, mein lieber Oheim!« sagt ich, indem ich, an seiner Hand hin, neben ihm kniete – »nichts gegen Cleberg, – aber gegen Ihr Testament.« –
»Mein Testament! – wo Du all meine Liebe siebst!« –– »Gewiß seh ich darin alle unbegränzte Liebe für mich; – aber auch das eben so große Leiden der N** und A**. Lassen Sie mich mit der Hälfte glücklich seyn und theilen Sie die andre unter die Kinder beyder Häuser. Diese sind ja doch an Allem unschuldig, was ihre Eltern mögen gethan haben. – Mein lieber, großmüthiger Oheim, erhören Sie mich!« –
Ich hielt eine seiner Hände an meinen Mund, mein einer Arm war um den seinigen geschlungen, mit dem er den Kopf auf den Tisch stüzte. Er betrachtete mich starr. Ich
»Und Sie, meinen Oheim, – Sie! soll ich nicht segnen hören! – nur weinen und seufzen, wenn Ihres Namens gedacht wird! – O, lassen Sie Ihr Andenken Allen heilig werden, die nur einen Tropfen Bluts mit Ihrer edlen Mutter theilen.« – Mariane! – Hier bey diesem Namen kont er nicht unbewegt bleiben. Er druckte mit den Hand, die seinen Kopf stützte, seine Augen zu, und blieb einige Zeit in dieser Stellung. – Aber ich bemerkte an dem Heben seiner Brust das Zurückhalten der Thränen. – Er faßte sich wieder mich zu fragen, ob mir jemals von einer der beyden Familien, seit er mein Vormund wäre, Liebe erzeigr worden sey? Ob sie mich um Fürbitte bey ihm ersucht hätten?
»Mein lieber Oheim! Sie hatten ja immer so viel Güte für mich, daß mir kein andrer Mensch, nichts Liebes mehr erweisen konnte. Aber gebeten bin ich nicht worden; ich hält es Ihnen sonst gesagt.« ––
»Ich glaube es, mein ehrwürdiger Oheim, und bitte deswegen um Großmuth.« – –
Er druckte meine Hand und küßte meine Stirne freundlich, aber ernstlich denkend, und sagte mir, ich möchte jetzt in mein Zimmer gehen; – hob mich auf und ich sprach ihm nur noch mit ein Paar Blicken. Eine halbe Stunde, eh wir zum Mittagessen gingen, kam er in mein Zimmer. Ich fand sein offnes Gesicht noch voll Spuren einer vergangnen Gemüthsbewegung, stand gleich auf und fragte, ob es denn schon Ein Uhr wäre? ––
»Nein! Aber ich will deine Lust zum Essen vermehren, indem ich Dir die Versicherung gebe, daß mein Testament zum Besten der N.** und A** verändert werden soll; wenn Du auch deinem Cleberg davon Nachricht geben willst.« ––
Ich segnete und dankte ihm von ganzem Herzen für diesen Endschluß. ––
»Gott segne Dich, meine Tochter! Tochter des würdigsten Weibes und der besten Schwester! Du sollst doch auch wissen, daß
»Aber bester Oheim! wenn der edle Gute nicht großmüthig ist, – wer soll es denn seyn!« – –
»Sey ruhig, Rosalia! Ich werde Deine Bitten und Deine Hofnungen nicht täuschen; und Gott wird es an Deinen Kindern lohnen, was Du mich an den Kindern Deiner und meiner feindseligen Verwandten thun machst.«
Ich konnte nicht reden; aber tausendmal seine Hände küssen und an meine Brust drucken. Er umarmte mich. – »Nun weine nicht mehr und laß mich Dein Gesicht auf immer heiter sehen.« ––
Das versprach ich ihm recht gern, und halte auch Wort und er begegnet mir mit doppelter Zärtlichkeit. – Ach, Mariane! Sie, Sie allein unter Vielen, können meine innige Freude und Glück begreifen die ich über den Verlust dieses halben Erbes empfinde. – An Cleberg hab ich darüber nach meinem besten Empfinden geschrieben und rechne auf seine Edelmüthigkeit.
Ich war in der That lange nicht wohl genug, um diesen Brief zu enden. Deswegen bekamen Sie nur einige Zettelchen durch meinen Oheim; – und hingegen heut wieder neue Nachricht von des theuren Mannes Güte für mich. Er hatte einige Zeit immer etwas mit Madame G** und Otten zu lispeln. Als ich wieder ganz wohl war, sah ich zwey Tage meistens nur Julien um mich. Den letzten Abend bat sie mich, mit ihr zu einer kleinen Musik zu fahren. Ich fragte meinen Oheim, ob er es zufrieden sey? – »Ja, wenn es Recht wäre, ginge ich selbst mit.« – Da lief ich in mein Zimmer zurück, es Julien zu sagen. – »Ganz gern,« sagte sie. »Der Wagen ist so mit vier Sitzen.« – Es war sieben Uhr und also schon dunkel. Wir fuhren in eine enge Strasse, stiegen an einer sehr kleinen Thür aus und kamen durch einen schmalen, aber kurzen Gang, an eine Wendeltreppe, wo nur eine Person gehen konnte. Und da wir nur Ein Licht vor uns hatten, und für unsre Kleider sorgten, schaute ich weiter nicht viel um mich; – hörte endlich gute
Sie riefen alle Amen! und Glück! und Freude! – Ich brach in Thränen aus und hielt die Hand meines Oheims. Er küßte mich. »Sag mir nichts Gutes, Mädchen, als daß Du zufrieden bist; sonst erzähle ich unsern Freunden die Geschichte der N** und A** – und des Testaments.« ––
»O, das thun Sie nicht. – Ich will schweigen. Sie kennen das Herz doch, das durch Ihre Güte gebildet wurde, so wie es durch Sie glücklich gemacht wird.« ––
Nun trank mein Oheim die Gesundheit der Frau G**, da sie sich so viele Mühe mit Veranstaltung des Essens gegeben; wie auch des Herrn Otte, mit der Musik. – Julie machte es auch recht schön, mit dem Blenden und Einladen. – Er empfahl mich dann Allen zu ihrer daurenden Freundschaft und man erzählte mir die Geschichte des Hauses. Es ist das nehmliche, so mein Oheim gemiethet hatte. Aber, seit meiner Krankheit kam es ganz zu Kauf; und da wollte er meine Genesung darin feyern und damit ich es nicht
Ich durfte nichts sagen und befriedigte mich um so mehr, als ich wußte, daß er selbst eine reiche Erbschaft gethan hatte. –– Der Kreis meiner Bekannten vermehrt sich und dieses freut mich nur halb. Ich werde mich auch mit Vertrauen nur an die halten, die mein Haus einweihen hälfen. – Wir redten gestern Abend davon und ich sagte, daß ich neue Freundschaft machen, ansähe, als pflanze man Bäume, unter deren Schatten man einst, in erlebten Tagen, noch ruhige und glückliche Stunden hinzubringen hoffe; und setzte hinzu, ich könnte mir hier eine ganze Allee ziehen. –
»Sehen Sie zu, Rosalia,« fiel Frau G** ein, »ob nicht Körner von des Jonas Kürbis
Man fand dies Gleichniß so treffend und brachte so viel Beweise dafür, daß es uns schauerte und ich endlich sagte: »Ich will keine Allee! – Der Himmel erhalte mir nur den schönen Busch, der heute in meinem Saal um mich blüthe; so bin ich glücklich genug.« ––
Und das ist wahr. Ich habe Freunde genug; Bekannte werd ich überflüßig bekommen, denn Cleberg will allen Fremden, die von den Orten sind, wo er sich aufhielt, sein Haus und Gesellschaft widmen; wie er mir in F** sagte, daß er allen Familien, wo er Ehre genossen, seine Dienste und Gefälligkeit dagegen anbieten würde; –– und aus diesem Grunde ist mir auch mein artiges Haus recht lieb. ––
Mariane! theure, unschätzbare Freundin! in vierzehn Tagen reise ich mit meinem Oheim nach meiner Vaterstadt und zu Ihnen. Begreifen Sie mein Glück und meine Freude, – zu Ihnen! – Ach, Gott! ich bin zu – zu glücklich. – Aber ich muß ja wieder zurück,
Schicken Sie mir doch, mit dem ersten Postwagen das Pack aller meiner Briefe an Sie. Ich will sie die van Guden, sammt den Ihrigen, während meiner Abwesenheit, lesen lassen. –– Es dünkt mich, daß sie gegen den Winter Zeitvertreib nöthig haben wird. –
Ich muß noch einen großen Brief vor meiner Abreise an Sie schreiben, über einen neuen gesellschaftlichen Zirkel, der mir Glückseligkeit verspricht. Denn für mich, wissen Sie, ist große Anzahl Menschen und lärmende Unterhauungen nicht Vergnügen, sondern Last gewesen.
Man sieht mich, seit dem Kauf einest Hauses und der Bestimmung meines Bräutigams, als eingebohrn an; und ich wurde, nach der Gewohnheit dieser Stadt, bey allen benachbarten Familien meines Hauses und meines Standes zum Besuch geführt worunter drey etwas ältliche, unverbeyrathete Frauenzimmer waren. Keine Seele hatte mir je von ihnen etwas gesagt, und ich war daher um so viel betroffener, sie zu finden. – Man muß durch einen Hof gehen, eh man in ihr Haus kommt, denn sie wohnen zur Miethe bey einem reichen Mann, der fünf Wohnungen
»Madame G**, hat Ihnen gewiß Gutes von uns gesagt; – wie wir von Ihnen gehört haben. Ich weiß, setzte sie munter hinzu, – daß Sie viele Freude an Bildern von römischen und griechischen Alterthümern haben. – Lassen Sie sich das Altdeutsche Ihrer guten Nachbarinnen auch gefallen. Sie werden unsre Gemüther und unsre Gedanken sehen, wie die Stiche da, in meinem Großvaterstuhl. – Viel Dienste kann ich Ihnen nicht anbieten, ausser den, Ihnen zu sagen, was gescheute Leute an Ihnen loben und tadeln. – Dies ist recht nützlich, mein Schatz, von ehrliebenden Menschen zu hören; besser als von kleinen Gezeug, das um Sie herum kriechen wird, so bald man Sie in Ansehen und Wohlstand erblickt. – Hüten Sie sich immer vor Kriechern; sie haben alle was Ungezieferartiges an sich und bringen was Kleines an, weil sie die Lücken und Ritzen der Schwachheiten des Charakters aufsuchen und zu finden wissen und dort ihre Schmeicheleyen,
Der Ton, mit dem sie sprach, gefiel mir ungemein. Es ist in der That glücklich, eine redliche und vernünftige Person auf seiner Seite zu haben, die uns von unserm Guten und unsern Fehlern Nachricht giebt. Ich will auch die elende, verkehrte Eigenliebe nicht haben, die sogleich aufgebracht ist, wenn man nur von ferne etwas von einer Unvollkommenheit mit uns spricht. – Ich dankte meiner würdigen Nachbarin für ihre Warnung vor den Kriechern und bat sie, Wort zu halten und mich treulich von Allem zu unterrichten, was mich anginge, – sie versprach es mir freundlich, – um so mehr, sagte sie, – »da ich ja ungebeten davon angefangen habe. Ich geh immer meinen gewohnten Gang gerade fort. Ich habe freylich Einigen durch die Anzeige ihrer Versehen mißfallen: auch deswegen, weil ich die Leute nicht nannte,
Nachdem fragte sie mich, was ich wohl bey dem Eintritt in ihr Zimmer von den alten Zierräthen und alten Gesichtern gedacht hätte? ––
»Es ist mir ungewöhnlich, aber nicht unangenehm und nicht geringschätzig gewesen.« ––
»Das ist gut,« sagte sie. – »Ich dachte, nach ihrem Gesicht und ihrer Kleidung, daß eine verständige Gutartigkeit in Ihnen sey.« –
»O, Kleider sind redender, als wir glauben. Sie haben viel Einfluß auf unsern Charakter und zeigen eine Hauptseite von ihm an. Der Grundzug unsrer Seele geht durch alles, färbt alles, – nicht nur die Liebe, den Haß, Zorn, Freude und Traurigkeit; – nein, auch unsern Geschmack, Redensarten, alles. – Sehn Sie meine melancholische Schwester. Sie hat sich von allem loßgemacht, was auf andre Menschen würkt. Aber, da sie, vor dieser Aenderung ihres Gemüths, edel und gut war: so ist sie es noch. Sehen Sie sie an, – ist ihr Anzug nicht redend? und der Meinige? fuhr sie fort; – riefen nicht die Form meiner Haube, die Falten meines Rocks Ihnen zu: da ist jemand, der sich nicht scheut, den Meynungen der Andern gerad entgegen zu geben und immer gleich seine Gesinnungen zu zeigen, mit so einfachem Wesen, wie die Leinwand an meinen Manschetten, und unbebrämt, wie mein Rock.« ––
Die Gesellschaft war groß, In den Fenstern, die sehr niedrig sind, stehen Bänke; da sitzen meist die jungen Frauenzimmer und arbeiten, weil sie zugleich die Aussicht des Gartens geniessen, der aus lauter Alleen und Grasplätzen besteht, in denen der Besitzer einen seltnen Gedanken zeigt, nehmlich alle Arten von Blumen zerstreut hinein zu pflanzen und hingegen gewöhnliche Wiesenblumen, in Beeten und Töpfen zu ziehen. Es ist in der That schön Hyacinthen, Tulpen, Nelken mitten im Grase zu sehen, und es reiset seit vier Jahren kein Fremder durch, der nicht deswegen in den Garten kommt und begierig ist –– »den närrischen Menschen zu sehen«, sagte der Hausherr, »der die Gärtnerart so umkehrte. – Dann staunen sie, – mich mit gesunder Vernunft reden zu hören und ich freue mich, einer anscheinenden Thorheit das Vergnügen zu danken, viele schätzbare Menschen mehr zu kennen und ihnen einen kleinen unschuldigen Spaß in dem Weg gelegt zu haben.« ––
»Das ist leicht, meine Kinder. – Es ist die nehmliche Ursache, aus welcher die Männer nur verstorbenen Gelehrten eine Lobrede halten.« – Da war Freude bey dem Frauenzimmer und die Männer lächelten auch über den Ausspruch. – Der ganze Nachmittag und Abend ging vergnügt vorüber. –
Die Bogenschen Schwestern wollten niemals mehr, als die Anschaffung eines Thee, Caffee, einer Limonade, oder eines Obstes bey sich erlauben, und sie haben Recht. Bey ihrer einzigen Magd und erlebten Jahren wäre es zu unruhig – »und dann,« sagte Carolina Bogen, »verlöhr ich den größten Werth meines
Es wär auch Jammer und Schade, Mariane, denn die Zeit in diesem Saal geht herrlich vorbey, und die Schwestern sind wir sehr ehrwürdig. – Wenn jemand Trost braucht, Rath, und Gelegenheit einen Freund zu finden, eine Aussöhnung zu veranstalten: so geht man zu Bogens. – Söhne und Töchter suchen ihre Vorsprache bey den Eltern. Sie warnen die jungen Leute, machen sie ihre Pflichten lieben und erhalten dabey in ihnen einen vaterländischen Geist und Sitte, das mich etwas sehr Wohlthätiges dünkt. Die Mädchen bleiben auch durch sie auf dem Mittelwege der Moden und äffen nicht so gleich alles nach, sondern nur, was ihnen recht wohl steht; – und das ist billig. Denn so lange wir keine Nationaltracht haben, müssen wir wohl den Abänderungen folgen, die in der französischen Kleidung, nicht allein von
Sehen Sie, das war ein Stück, so ich zur Unterredung lieferte und man war damit zufrieden. Man tadelte nur die wenige Solidität, welche alle die schönen Modesachen haben. Da kamen die Gedanken, daß artig und gründlich nicht zusammen tauge – Aber artig und leicht, schön und gründlich, – dies Aussuchen und Gegeneinanderhalten des Werths und der Schicklichkeit der Ausdrücke, nahm einen guten Theil Zeit hin. – Man sprach noch von der Mahlerey, und die Franzosen wurden auch des Leichtsinns beschuldigt,
»Nein, das wollt ich nicht,« sagte die Bogen, »da verlöre das Gute selbst seine Natur der Dauer und Gründlichkeit und es fänden sich Leute, die sich Böses und Schaden thun zum täglichen Spielwerk machten; das wäre ja noch ärger als wenn eine heftige Leidenschaft uns dazu bringt, dem Nächsten zu schaden und ihn zu betrüben; wobey man noch hoffen kann, es werde dem Menschen in seinem Leben nicht mehr widerfahren, so weit zu gehen.« – –
»Sie haben Recht,« fiel einer von den Männern ein. –– »Ich will lieber Einem verzeihen, der mir in der Wuth des Zorns einen Degenstich gibt, als dem, der mich hundertmal mit Lächeln den näckenden
»Das ist wahr,« – sagte ein Dritter, »denn tausendmal wird Einer, der den Degen gegen seinen Nächsten zog und ihn beschädigte, sich hinwerfen, Reue fühlen, Jammer selbst leiden – bevor Derjenige es einmal bedauert, der mich durch Zungenstiche, feiner, lächelnder Gedanken gekränkt, oder gar den Grund meines Unglücks gelegt hat.« –– »Auch,« – wurde wieder gesagt, »vergibt man eher dem, der uns haßt, als dem, der unser spottet.« ––
Madame G**, die immer die Lust und Geschicklichkeit hat, eine Unterredung, wenn sie ihr zu ernsthaft wird, ins Muntre zurück zu führen, fing an: »Da bin ich Euch allen recht gram, daß Ihr von den Pastellgemählden auf alle die fürchterlichen Ideen gekommen seyd. – Ich hatte so was Artiges zu sagen; – und nun muß ich es ungenuzt nach Hause tragen, und verliehr es vielleicht gar unter Wegs.« – Nun waren wir alle mit Bitten da, sie möchte es noch sagen; wir wolten es aufheben. – Es dauerte lange,
Sagen Sie, Mariane, sind nicht die Tage, die man mit diesen Frauenzimmern verlebt, glückliche, angenehme Tage? Ich will sie auch recht benutzen, –– so wie Julie Otten es verspricht, wenn sie nun auch in ihrem neuen Hause, nicht weit von dem Meinigen, wohnen wird. – Bin ich nicht ein gesegnetes Geschöpf, durch die Bekanntschaft mit so viel guten Menschen? – Ich will auch, aus Dankbarkeit gegen die Vorsicht, bemüht seyn, eins von den besten Menschenkindern zu werden.
Sie lieben edle Menschen – und tragen immer so viel bey, Glückliche zu machen, daß ich gewiß bin, Ihr gutes Herz zu erfreuen, wenn ich Sie versichre, daß mirs bey meinen alten Freunden und Bekanten wohl ergeht – und daß ich Ihnen danke, meine Aufmerksamkeit auf das Gute so sehrverstärkt zu haben. – Madame G**, die mit mir hier ist, sagt zwar, was man gern glaube, sehe man leicht; – und wünscht mit einem gottlosen Muthwillen, daß irgend ein Zufall den Ton meines Herzens, ins Argwönische stimmen möchte, und daß mein Kopf dadurch zu nichts als Kritiken und Tadelsucht gebracht würde. – Das sollte ihr eine Lust seyn, meine jetzige lebhafte Empfindung für jedes geringste Gute, in einen immerwährenden Kampfe gegen das Schlechte und Böse zu sehen. Sie denkt es würde ein ganz besonderer Grad Witz und Rachdruck in meinem
Scharfsinn geniessen, in dem Tadel meiner Nebenmenschen! Ich will nicht! – Lieber keinen Scharfsinn haben. Alles, was sie mir da noch sagte, fiel mir schmerzlich und sie trieb mich bis zu einem Anfall von Unmuth; wo sie dann endlich mit offnen Armen gegen mich ging und mit Zärtlichkeit sagte: »Vergeben Sie mir, Rosalia! Dies war die einzige Seite Ihres Charakters, die ich noch nicht ganz kannte. – Ich habe Ihre Lieblingsideen angegriffen, um Sie böse zu machen; weil ich erst kurz vor unsrer Abreise in einem Schriftsteller las, daß man den Grund einer Seele nur in wichtigen Bewegungen der Eigenliebe ganz sehen könne, und daß ganz allein bey diesen Erschütterungen, das Wahre, so in uns liegt, an den Tag komme. – Edelmüthigkeit liegt hier tief;« – sagte sie, indem sie eine ihrer Hände auf mein Herz hielt, »ihre Wurzeln haben
Ich wurde sehr gerührt, diese Frau so sprechen zu hören; ob ich schon vorher in hundert Gelegenheiten gefunden hatte, daß ihr anscheinendes rauhes Wesen nicht aus Mangel wahrer Güte entstand, sondern aus zu großer Lustigkeit, mit der ein hoher Grad feinen Gefühls nicht in gleichen Schritt gehen kann. Ich wolte Ihnen diesen Zug aus dem Charakter der Frau G** gleich schreiben, weil Sie doch jetzo die Sammlung meiner Briefe, und der würdigsten Freundinn ihre, bey sich haben, worin Madame G** oft vorkommt. –– Diese soll von Ihnen geschätzt werden, wie sie es verdient.
Und nun hören Sie mich auch etwas von den Ueberresten eines Schlosses erzählen, an dessen Mauren ich einen seligen Tag hinbrachte.
Mein Oheim, der als geschickter und rechtschaffner Rechtsgelehrter, und durch seine Stelle, als fürstlicher Geheimer Rath, sehr bekannt und geschäzt ist, wurde zu einer angesehnen
Indem er meine Erwartungen so erregte, bemerkte ich, daß wir einen ganz sonderbaren, für mich aber höchst angenehmen Weg reisten, der recht dazu gemacht schien, alle Gedanken des Kopfs und alle Gefühle des Herzens, zusammen gedrängt zu halten, um sie desto stärker sehen und empfinden zu lassen. – Man kommt erst über einen hohen, unbewohnten Berg, von dem man lange nichts, als andre höhere und niedere Berge sieht; denn er wird nur an seinem Abhang, gegen das Bad Ems, fruchtbar und freundlich. – In dem Bade bedauerte ich die Gleichgültigkeit der Eigenthümer, daß sie so wenig für die Verschönerung
Gerechtigkeit, und Menschenfreundliche Unterstützung für die Unterthanen, Leutseligkeit, gegen Geringe, – Güte, Höflichkeit, und Freundschaft in ihrer ganzen Würde, nach dem richtigen Maaß des Verdiensts, mit der feinsten Achtsamkeit an Alle ausgetheilt. – Ueberall Ordnung, schöner wahrer Geschmack, mit einer großen, und edlen Einfalt verbunden. –
Der Herr des Hauses, wahres Urbild eines Mannes von Ehre, Rechtschaffenheit und
Die Dame zeigt in Allem die ganze Bedeutung des Ausdrucks und Werths der edlen, würdigen Familienmutter. – Die Gestalt ihrer Person bezeichnet die große richtige Bildung ihrer Seele. – Und wie stark Klugheit, beweisen dieses ihre Unterredungen voll wahrer Menschenkenntniß und Gottesfurcht; ihr Anstand, der Ton ihrer Gedanken, der Führung des Hauswesens und der Erziehung ihrer edlen, verdienstvollen Kinder, welche in der That alle vortrefliche Eigenschaften des männlichen und weiblichen Geschlechts unter sich vertheilt haben. – Und um mich, meine Theure van Guden, eines Ihrer Ausdrücke zu bedienen, so sind die moralischen Vorzüge, die Eltern geben, und Kinder erwerben können, bey einem jeden der Söhne und Töchter, in einer eignen Schattirung, und eigenen Form. Möge doch der Ton der Seele dieser Familie sich bis auf die spätsten Enkel fortpflanzen! – so werden wir immer Modelle und Beweis von Adel haben. –
Aber kommen Sie. – Wir fahren in einer großen Gesellschaft über einen Fluß und steigen auf einem sehr gemächlichen Weg den Berg hinauf, an dessen Hälfte die Ruinen des Stammhauses stehen. Der schroffe Felsen, auf den es gebaut war, macht noch einen
Reizend schien mir das seltene Talent einer jungen, liebenswürdigen Dame von Hannover, die alle Kräuter, welche unter den Füssen, oder vor ihren Augen waren, nach ihren Namen und Tugenden kannte, bald dieses, bald jenes pflückte und zwischen jedem ihrer artigen Finger ein ander Blümchen oder Blätchen hielt, die sie mit viel Anmuth hin und her wand und die, wovon sie etwas zweifelte, mit gleichem Vertrauen auf ihre Kenntniß und auf die Güte der Natur zerkaute und dann auf Latein und Deutsch die Namen sagte. Es waren
Ich verehrte die Großmuth dieser Frau, da sie unsre Empfindung für das Reizende, so sie uns gezeigt hatte, durch Erhebung der Ideen einer andern Dame, zu schwächen suchte, und uns mit der Begierde, andres Verdienst zu kennen, von sich abreisen ließ. –
Glücklich bin ich mit meinem treuen Oheim zurück gekommen und nun hören Sie, warum er mich so lange bey Ihnen gelassen, und noch sonst spazieren geführt hat. Das Erste um vieles von seinen Geschäften auf einige Zeit zu besorgen und das Zweyte, um Clebergs Ankunft in der Gegend meines künftigen Wohnsitzes zu erwarten. Er ist schon seit acht Tagen auf dem Lande, nur eine Stunde von hier, und hatte unsre Rückkunft verbeten, bis er die Zimmer in unserm Hause, welche er sich nach, seinem Geschmack anordnen wolte, durch dem Tapezirer, den er als Bedienten mit gebracht, fertig gemacht haben würde. Und auf die Anzeige, daß er nur noch uns erwarte, reiste mein Oheim ab. – Abends kamen wir hier an, und speisten bey Frau G** zu Nacht, die mit ihrem Mann ausserordentlich vergnügt über unsre Rückkunft schienen. Otte und seine Julie zeigten den nehmlichen
»Warum fragen Sie mich denn, bey alle den Männern?« sagte ich; denn Otte war auch in seinem Frack bey uns. – »Sehen Sie, wie Alle lächeln, daß so gar die erfahrne und weise Frau G** sich nicht enthalten kann, der Göttinn Tändeley ein Opfer ihres Verstandes zu machen, und, anstatt nach neuen, guten Menschen und Sachen zu fragen, nur gleich nach Kleiderzeug begierig ist.« ––
»Hätt ich gewußt, erwiederte sie, daß eine so ernsthafte Anmerkung über mich das Erste wäre, so Sie auspacken würden: so
Ich glaube, es muß artig seyn; denn Rosalia hat es selbst ausgewählt und sie soll ihre Freundinn auch für die spitzige Note, über Ihre unschuldige Neugierde, schadlos halten – und sich darin putzen; damit Sie und Julie gleich sehen können, ob es ihr gut steht und die Form artig ist.« ––
»Aber, lieber Onkel, es ist zu kostbar im Hause, und ich mache heute noch keine Besuche.« ––
»Das will ich auch nicht. Aber eine kleine Galla kannst Du ja unsern Freunden und uns selbst, über unsre Rückkunft, machen.« –
Ich sah ihn noch einmal mit einem kleinen lächelnden Kopfschütteln an. Er klopfte mir freundlich auf die Backe. »Thu es, Liebe, und mache mir Ehre für mein Geld!« –
Da sah ich, daß es ihm Ernst war, und ich versprach es; – zog auch in der That das weiße, von schön gemuschtem Seidenzeug, auf die Taille passende, und sehr reich garnirte Kleid an, wie auch die übrigen Stücke, so
»Ja, Liebe!« sagte er, – »Du bist wahrhaftig schön, wie eine Braut. Du mußt einmal auf Deinen Trauungstag so gekleidet seyn!« ––
»Das will ich auch, weil es in England, das ich liebe, so gebräuchlich ist.« ––
»Käme nur heut Dein Cleberg!« ––
»O, nein! das will ich nicht, mein Oheim. – Der Rock soll in Jahr und Tag noch schön genug zum Brautrock seyn.« –
»Wenn aber deine Gesichtsfarbe nicht so heiter wäre, wie heut, so verdrösse wichs. Denn Du siehst recht gut aus. Cleberg würde in Dich verliebt, wenn er es noch nicht wäre.« ––
»Lieber Oheim, warum plagen Sie mich heute so viel mit meiner armen Figur?« –
»Arm, Rosalia! – Du bist heute wahrlich nicht arm, glaube mir.« ––
Sein Bedienter kam, ihm zu sagen, daß es halb zwölfe sey. Da wünschte er mir guten Morgen auf Wiedersehen; wie er immer zu hnn pflegt, wenn er mich wegschicken will.
»Kinder Gottes! sagte ich, lassen Sie es mit diesem Ton genug seyn. Ich bin fürwahr meiner selbst herzlich müde. Es dünkt mich, ich müsse einmal mit meiner Kleidung und Person etwas sehr tadelhaftes hier gethan haben, well ich den ersten Tag meiner Rückkunft so sehr damit gestraft werde. – Sagen Sie mir meinen Fehler, liebe Julie; ich will mich gewiß bessern.« ––
Sie versicherten mich, daß es gar keine Spötterey sey, sondern daß sie nur meinem guten Oheim in seinem unschuldigen Scherz beygestimmt hätten. Wir assen zu Mittage recht munter, aber etwas geschwind, denn wir wollten zu Kahnberg einen Besuch machen, sagte mein Oheim. Herr und Frau G** begleiten uns. – Herr G** entschuldigte sich; sie aber nahm es an. – Ich wollte mich umkleiden, es wurde nicht erlaubt und wir fuhren in einem schönen neuen Wagen mit vier Postpferden
Frau G** sagte da meinen Oheim bittend. »O, wir wollen nicht den nehmlichen Weg zurück. Fahren Sie doch über Langensee; dann kommen wir bey dem Seethor in die Stadt zurück, welches ohnehin näher an meinem Haus ist; und heut ist Kirchweihe da. Wir sehen also vielleicht auch im Vorbeyfahren einen Bauertanz.« – –
»Nun ja,« – sagte ich, – »ich hab auch einen Kirchweihrock an« – –
»Ich bin es recht sehr zufrieden,« antwortete mein Oheim. »Kennen Sie jemand da, Frau G**? oder hat der Ort eine gute Schenke?« – –
»Das weiß ich nicht. – Aber der Pfarrer, ist ein sehr rechtschafner Mann; der hat seine Schwester bey sich, die eine meiner liebsten Jugendfreundinn war. –– Wenn Sie ein wenig ausruhen wollten, würde es die Leute und mich unendlich freuen.« –
»Aber, liebe Frau G**,« fiel ich ein, – »auf Kirchweihtagen sind immer eine Menge Besuche bey den Pfarrherren. – »Wollen
»Ich wünsche, Rosalia, daß Du in der That die Sache heut so nehmen mögest. Dein Herz ist ja immer so bereit gewesen, Freude zu geben, wo du konntest, und Antheil an dem Vergnügen Andrer zu nehmen. Was ists, wenn wir auch Leute antreffen, so sind es gewiß lauter fröliche Gesichter und ich liebe die sehr.« ––
»Lieber, lieber Oheim! ich will auch so seyn, wie Sie mich am liebsten haben. – Liebe Frau G**, führen Sie uns zu Ihrer Freundinn.« ––
Nun wurde dem Postillion befohlen, stark zuzufahren. – Eine Viertelstunde vor dem Dorf, kam ein wohlgekleideter Mensch in vollem Galop geritten und fragte, ob wir des Herrn Pfarrers Gäste wären? Frau G** sagte lächelnd. »Das weiß ich nicht. Aber, wenn er noch Gäste braucht, so wollen wir kommen.« ––
Mein Oheim winkte dem Menschen, der uns vorher angeredt hatte, und die reitende Bauern mit ihren Mädchen zu comandiren schien. – Er fragte ihn, was denn ihr Aufzug bedeute?
»Ey, hat Ihnen denn der Herr Pfarrer nichts geschrieben?« –– »Nein, mein Freund. Ihr habt euch auch an uns geirrt, denn wir sind keine eingeladne Gäste des Herrn Pfarrers.« ––
»Das thut nichts, sagte der Kerl. Ich nehm heut, nach der Bibel, Alles auf der Landstrasse mit zum Hochzeitmahl.« ––
»Zu thun? Recht viel! – Da sehen Sie, forn bey uns sind vier Bräute, die werden heut alle copulirt. Wir haben unsern neuen Oberamtmann bekommen und der stattet sie alle aus und giebt dem ganzen Dorf, alt und jung, reich und arm, zu tanzen, zu essen und zu trinken.« ––
»Das ist brav, sagte Frau G**. Aber eure armen Leute werden doch nicht viel tanzen; das ist nur für euch lustige Reiche.« –
»Was, die Armen? – Die werden besser tanzen als ich; denn die haben am meisten von ihm bekommen, und wer des Guten nicht gewohnt ist, dem schmeckt es besser, als dem, der alleweil vollauf hat.« ––
»Also hat er den Armen auch gegeben? – Das ist viel, von einem Oberamtmann. Die machen sonst die Reichen arm.« ––
»O, der gewiß nicht, wenn er so bleibt. Er ist schön, und redt so gut, und so, wie Bauern, wenn sie redlich sind, und schafft auch Recht. Er hat da die Woche über in Pfarrhof helfen weißen und mahlen und ist auch den Morgen noch in die große Zehndscheure
»Jungfer! hat Sie schon einen Schatz?« –
»Ja, guter Freund! Warum fragt ihr? Möchtet Ihr sie haben,« –– sagte Frau G**.
»Ey behüte Gott! – so eine schöne Stadtjungfer ist nicht für Bauern. – Aber für unsern Herrn Oberamtmann wär es was.« –
»Ich bedanke mich,« – sagt ich. – »Aber da er so schön ist, hat er gewiß auch schon einen Schatz.« ––
»Höre Sie, man hat gesagt, mit des Herrn Pfarrers Gästen, käm sie mit – und deswegen sind wir Brautleute voraus geritten. Es thut aber nichts. –– Sie ist auch ein recht artigs Jungferchen, Ihre Tochter« – sagte er zu meinen Oheim, »es reut uns nicht.« – –
»Ihr sollt auch eine Aussteuer für Eure vier Brautleute von mir haben,« sagte mein Oheim.
»Nun, – man sagt, mit Verlaub,« da bückte er sich gegen uns – »ein Narr macht zehen. – Aber da macht unser guter, neuer
Es ist wahr, was er sagte. – Aber nun waren wir würklich im Dorf – Alle junge Mädchen und Buben, sauber gekleidet, hüpften herum, streuten Gras und wilde Blumen gegen uns. Alles war reinlich, aber doch ganz ländlich, und alle Gesichter freudig. – Wir fuhren an den Pfarrhof, Auf diesem waren alle Mauern geweißt und unten mit einer Einfassung bemahlt; oben an der Mauer, wie auch am Hause und Fenstern lauter breite, blaue Gewinde gemahlt, welches in der That recht schön stand. – Der Pfarrer und seine Schwester kamen unter die Hauslbüte, freuten sich über Frau G**, stutzten anfangs über uns, waren
»Ich bin froh, Rosalia, daß Kahn nicht zu Hause war; wir hätten sonst den schönen Nachmittag nicht genossen und es ist doch süß, einen schätzbaren Menschen mehr zu kennen.« ––
Ich sah meinen Oheim voll Freude über diese meine Erklärung. Er ging nachdem von mir, blieb eine Zeitlang weg und indessen wurde mir noch immer von dem vortreflichen Beamten vorgeredt. Ich segnete ihn herzlich, und als der Pfarrer sagte, er wünsche, daß wir ihn kennen lernten: so versicherte ich, daß es mich freuen würde.
Nun kam mein Oheim zurück und winkte mir an der Thür. – Ich eilte zu ihm, und er führte mich an der Hand in des Pfarrers Garten, der auch gar artig aufgeräumt war. –
»Ich habe den Beamten gesprochen, sagte er, er ist ein lieber junger Mann.« – –
»Das muß seyn, wenn Alles, was der Pfarrer mir noch sagte, wahr ist.« – Wir waren da am Gartenhause, wo wir hinein gingen, weil man die Zehendscheune sehen konnte. Die war ringsum mit Garben und Fichtenreisig, in Kränzen mit Bändern gebunden, verziert; – große, lange Tische
»Du hast also die guten Landleute noch lieb?« ––
»O, mein Oheim, das wissen Sie, wie sehr ich immer ihr Wohl und Weh empfand, wenn wir reisten.« ––
»Nun werden wir nicht mehr viel reisen, mein Kind! Aber das Andenken der Freude, die Dein Kopf und Herz mir die drey Jahre hindurch machte, wird immer in mir bleiben, bis ich meine letzte Reise machen werde.« ––
»Lieber Oheim, warum kommen Sie bey dem Anblick so fröhlicher Menschen auf diese traurige Idee?« ––
»Rosalia! wilst Du sie mit nehmen? – Wilst Du mir den Tag so glücklich machen, als ich es wünsche, und als er für alle gute Menschen hier ist? Sag, liebe Rosalia, – wilst Du es thun?« ––
»Nun, Rosalia! so gib heut Clebergen Deine Hand. – Er ist Oberamtmann hier. – Er ists, der alle das Gute hier veranstaltete.« ––
Ich sank auf den Stuhl. –– »O, mein Onkel!« – war Alles, was ich sagen konnte; und den Augenblick, war Cleberg bey uns, zu meinen Füssen. »Rosalia! meine theure Rosalia! fassen Sie sich. – Es soll nichts, nichts geschehen, als was Sie selbst wünschen.« ––
Frau G** und mein Oheim setzten sich eine Zeitlang in den Garten. Was konnt ich thun? – Einwilligen! – meines Oheims Segen und Thränen über uns fliessen sehen, und in der Kirche des Dorfs, mit den vier ausgestatteten jungen Bäurinnen und Taglöhnerbräuten getraut werden. ––
»Sie haben mir doch die Ueberraschung vergeben? Sie war nicht mein Werk. – Unser gute Oheim wollt es.« – Ich schwieg. – Er fuhr fort: »Liebenswürdige Rosalia! vergeben Sie es um der redlichen Glückwünsche willen, die wir erhielten.« – Ich versicherte ihn meiner Zufriedenheit und ging mit an die Scheune, wo das Essen und Trinken ausgetheilt wurde und die Dorfmädchen den Bräuten eine schön gemahlte Kunkel zum Geschenk brachten, wovon der Rocken mit einer grossen Menge Flachs umwickelt, und mit Kinderhäubchen, Breypfännchen und Kinderklappern behängt war. – – Die Weiber und
Sie sehen, Mariane, daß es nicht möglich war, zu mir selbst zu kommen. Wir gingen ins Pfarrhaus zu rück, wo wir in einem artig ausgemalten Zimmer ein feines und schmackhaftes Abendbrod fanden, wovon ich aber wenig essen konnte, weil die Gedanken von der so jähen Aenderung meines Standes, und all die Bewegungen meines Gemüths, die schon bey dem Frühstück angefangen hatten, mir Kopf, Herz und Magen genugsam anfüllten. – Mein Oheim war nicht gleich mit uns in das Zimmer gegangen und ich lehnte mich an ein Fenster, das in den Pfarrgarten, und auf das Feld ging, aber nicht auf den Platz der Scheune, sondern auf eine ganz einsame Strecke Landes. – Cleberg war bey mir. Da er aber sah, daß ich nur tiefsinnig vor mich hin, und dann mit Seufzen in die Ferne blickte, ihn nicht ansah, nicht
»Ach, Rosalia! mein Glück ist nicht das Ihrige! – Ich seh, ich fühl es. – Gehorsam für Ihren Oheim, Gefälligkeit allein hat Sie an den Altar geführt. Ich hatte wohl Vorbedeutung, daß Ihre feine Empfindsamkeit beleidigt seyn würde. – Was soll ich thun? – liebe angebetete Rosalia! was kann ich thun – um Sie zu versöhnen, und zu beruhigen?« ––
»Stehn Sie auf, mein theurer, angetrauter Freund! – stehn Sie auf und glauben Sie, daß ich gewiß bey meinem Bündniß mit Ihnen mich eben so glücklich achte, als ich mich bemühen werde, Sie mit mir zufrieden zu sehen. – Es ist nicht Kälte, lieber Cleberg! nur etwas Müde, von so verschiedenen, sich so schnell folgenden Gefühlen. Sie sind von allen Männern, die ich kannte, der Einzige, der je meinem ganzen Herzen, und ganzen Kopf gefiel. – Sie werden es bleiben, und alle, alle meine Zärtlichkeit ist Ihre.« ––
Ich wurde doch blaß und zitternd. Er rufte Frau G** und meinen Oheim. – Beyde baten mich auch wegen der Ueberraschung um Vergebung und Cleberg ließ mich einige Tropfen guten Weines mit etwas Brodt nehmen. Der Pfarrer nebst seiner Schwester wurden nun gerufen und wir speisten alle recht munter. –– Um acht Uhr fuhren wir nach Haus; – Cleberg mit uns. – Da sagte mein Oheim: »Nun Kind, vergieß alles Unangenehme. Freue Dich meiner und Clebergs Freude! – Es war doch besser so. – Eine Bewegung hättest Du immer erdulden müssen, – versprochen warest Du schon lange. –– Ihr kennt und liebt Euch; – die Neugierde der Stadtleute und ihr Geschwätz
Die vier Zimmer, so Cleberg hatte zurichten lassen, sind unsre Schlafzimmer. – Grün und weiße halbseidne Tapeten und Bettvorhänge mit breiten Streifen, ein schöner Nachttisch, der des Tags nichts als Tisch ist und inwendig alles Nöthige hat. In meinem Zimmer Clebergs Bildniß, wie er bey dem Eislaufen gekleidet war, in Lebensgröße; und in Seinem das Meinige, eben so im Pelzauzug, der ihm meine Gestalt so schön zeigte. – Es scheint, als ob in jedem Zimmer nur ein kleines Bettchen wäre. weil die Scheidmauer nur so weit durchbrochen ist, als die Bettgestelle reichen, die sich gegenüber stehen, und des Tags durch eine Feder, wenn die Betten gemacht werden, eine von dünnen Brettern und
Nun, mein H**, zürnen Sie nicht zu arg, über mein Schweigen. Denn einmal konnte ich Ihnen den Ausgang der traurigen Begebenheit des edlen W** nicht früher schreiben, weil ich sie erst jetzt selbst hörte; – und dann hab ich eine evangelische Entschuldigung für meinen unterbrochnen Briefwechsel. Denn ich habe ein Weib genommen, und komme nur erst von einer romantischen Reise zurück, die ich mit meiner Rosalia machen
Verdiente dieser herzliche Mann nicht, daß ich ihm meine ganze Seele öffnete – und gestand,
Nun haben Sie und mein Freund Antua den Schlüssel zu meinem trocknen, sonderbaren Betragen in Ansehung des schönen Geschlechts, das Sie mir so oft verwiesen. Ich habe Ihnen niemals von Rosalien gesagt, ihr Bild, ihre Briefe nicht gewiesen. Ich wollte alles, was sie mir war, allein geniessen und dann bekenne ich, freuten mich alle die Auslegungen und Vermuthungen über meine Kälte. Ein lebhafter hübscher Pursche von
Meine Frau beschreibe ich nicht. Kommen Sie zu mir, und sehen sie. Sie gefällt allen Edlen, allen Vernünftigen. Ich habe Ansehen, Vermögen, ein schönes Haus in der Stadt, eins auf dem Lande. Beyde sind Freunden und Bekannten und Fremden gewidmet. Schicken Sie mir alle artige Leute Ihrer Bekannten, die hier durchkommen; denn ich will, so viel ich kann, an Fremden belohnen, was ich von Fremden genoß. Der gesellschaftliche Ton unsrer Stadt wird sehr artig. – Für Spiel, Concerte und kleine Bälle, Schlitten- Land- und Wasserfahrten sorge ich. Mein Garten hat eine herrliche Lage zwischen einem Kirschenwäldgen, so einer Dorfgemeine gehört, die in meinem Amt ist, und einem Bauerhof, dem das Ackerfeld zusteht, aus dem ich den Garten machte. Mein Haus darinn wird bald fertig seyn und faßt drey Theile. In der Mitte einen offenen Saal auf starken Pfeilern, achteckig, der gegen die Landstrasse zu, die Bogen mit schönen Gittern bis auf
Meine Rosalia mußte mir, in den ersten Tagen unsrer Verbindung ihr Leben erzählen
Meine Frau antwortete Allen liebreich und versicherte sie des Andenkens, Wohlseyns und der Liebe ihrer Wohlthäterinn; sagte Ihnen,
Die Mädchen waren ganz arm, bürgerlich, aber sehr nett und säuberlich gekleidet, alle mit weißen Schürzen, und sahen sehr munter aus; und für Alle war meine Rosalia Erscheinung eines lieben Engels, der gute Botschaft bringt. Sie sah mein Staunen hörte meine Fragen in französischer Sprache, mit Lächeln an, und beschäftigte sich nur mit den Leuten; führte mich dann zu einem Geistlichen, der oben mit seiner Frau wohnt, und wies mir artige Zimmer. – »Hier wohnte
»Ich wollte nichts, mein theurer Mann, ale Dir an den Einwohnern, der Schule und dem allgemeinen Spaziergang der kleinen Vorstadt einen Theil des Herzens meiner van Guden zeigen. Dann alles das Schöne und Gute, so Du an den Leuten und auf diesem Platz siehst, ist ihr Werk. Ich habe nichts dabey gethan, als Antheil genommen und nach ihrer Abreise die Aufsicht gehalten.« – Dann erzählte sie mir, mit alle der Wärme des edeln Herzens voll Menschenliebe, was diese Frau gethan, wie sie gelebt, wie sie sie kennen lernte, und endigte damit: »Was wirst Du aber dazu sagen, daß all dies Ausfluß eines liebenden Herzens war, das dadurch über den Verlust eines Undankbaren sich tröstete, und von den Schmerzen einer übel angewendeten Zärtlichkeit sich erholte, die dennoch stark genug blieb, sie nach der Gegend des Wohnsitzes dieses Mannes zu ziehen, und dort, bey seinen Kindern, neue
Da bin ich in Wollinghof, in dem Zimmer zwischen den alten Schloßmauern, wo meine liebe van Guden wohnte, und mir auch ihre erste Briefe von hier aus schrieb. – Seit vorgestern Abend bin ich mit Cleberg hier. Er geht würklich mit dem edlen Weibe spazieren und will sie ganz über Alles sprechen, wie herrlich hier Gott, und die Menschen sind. – Ordnung, o die fordern und erwarten Sie nicht genau. Ich bin lauter Entzücken über
Kommen Sie, unschätzbare, beste Freundinn und langen Sie mit mir, mit all meiner Ungeduld in Wollinghof an. Madame Guden hatte mir gar keine Beschreibung davon gemacht, als von dem alten Schloß. Mein Erstaunen war also desto größer, da ich das neue Gebäude sah. Man fährt lange, von dem Dorfe Mahnheim aus, immer etwas aufwärts, an einem Wald hin, endlich um eine Anhöhe, da man hinter einem Busch von grossen Buchen das schöne zweystockige Haus erblickt. Es ist nicht hoch, aber breit, die Fenster oben rund, die wie das Thor, Silbergrau und etwas grün angestrichen sind. Der Thorweg ist in der Mitte des Hauses, auf beyden Seiten aber ist ein Pflasterweg gemacht, auf dem vier Personen gemächlich gehen können, und Bänke an den Wänden. Zwischen den Fenstern des untersten Stocks sind steinerne
Er bückte sich schweigend. Seine Frau, die auf der Bank saß und ein Kind an der Brust liegen hatte, blickte uns an; Thränen liefen über ihre Wangen auf ihre Brust, und gewiß, der Säugling trank einige davon mit
Van Guden küßte sie und das Kind. –– »Dank, meine Liebe! vielen Dank; – aber Sie müssen meine gute Rosalia auch anlächeln und ihre Freundinn werden.« ––
»Recht gerne!« – sagte sie, mit der sanftesten Stimme und Blick. Ich hatte indessen mit der Nanny gesprochen, die ein Huhn auf dem Arm herum trug, weil es mit einem Fuß hinkte. Sie sagte mir, es wäre eine alte, alte Henne, die schon viel Eyer gelegt hätte, und Hühner ausgebrütet, die würde ich im Hofe sehen. – »Vier sind schwarz mit schönen, weißen Häubchen; zwey davon laufen der Großmama Guden immer nach.«
Ich merkte hier, daß dieß noch von den Hühnern in Ruinen waren. – Nun hatte Cleberg mit Wolling Bekanntschaft gemacht. Ein Knecht half die Chaise in die Scheune bringen und meinen kleinen Koffer in unser
»Sehen Sie die drey herrlichen Geschöpfe,« sagte Cleberg zu Wolling. ––
»O, das fühl ich recht sehr!« – Nun setzten sich die beyden vortreflichen Männer auch zu uns. Madame Guden fragte meinen Mann, ob ihm das Ansehen von Wollinghof gefiele?
»Ich kanns nicht ausdrucken, aber es dünkt mich in einer romantischen Gegend zu seyn.«
Sie lächelte freundlich. – »Sie haben nicht ganz Unrecht, und ich glaube, Sie sind das einzige Wesen auf dem ganzen Berge, das zu der üblichen Welt gehört. Sie
»Das will ich, würdige Frau.« – –
»Würdige Frau! und romantisch? – Wie verbinden Sie dieses?« ––
»Durch das Gefühl, so ich von Schönheit und Güte habe.« ––
Frau van Guden nahm, ohne zu antworten meine Hand. – »Sie haben nun etwas geruht. Sie sollen mir auch in meinem Zimmer sagen, daß Sie gern gekommen und gern da sind;« – und damit führte sie mich dem Thor zu. – »Herr Wolling, Sie bringen den Herrn Rath.«
Sie ging gerade zu nach der Stiege in das Seitengebäude, wo sie wohnt. Sie sprach nichts, drückte aber meinen Arm an sich. – Ihre Meta stand vor den Zimmern auf dem Gange, der ringsum läuft, und machte die Thür auf. Ein artiges Zimmer, ganz weiß, nur ellenhohe Lambris, immer grau und grün, wie auch die Tische, Stuhlfüsse und Thüren waren; aber an einer Wand ein ziemlich grosses Gemälde von der Vorstadt in S**, auf der andern, der Spaziergang, den sie angelegt
Ich fiel ihr um den Hals, redte nicht, aber meine Brust klopfte an der ihrigen und unsre Thränen mischten sich. – Endlich sagte sie: »Willkommen! liebe Rosalia, willkommen! umarme ich Sie glücklich?« –
»Ganz, ganz unendlich! in Allem.« –
»Auch in Clebergen?« – –
»Ja, völlig!« – –
»Gott sey Dank, und segne Sie. – Jetzt meine Liebe,« fuhr sie fort, »kann ich Ihren Besuch recht geniessen! – Das ist Ihr Wohnzimmer und hier Ihre Betten.« – In einer allerliebsten Alcove waren zwey Schlafstellen, so nett, – mit auch grün und weißgestreiften Decken. Auf der Seite jedes Bettes der Ausgang in eine Art kleiner Kämmerchen, deren eins in den Hof, das andre in den Baumgarten ein Fenster hat und jedes einen Schrank und alle Aus- und Anziehgemächlichkeiten, die man begehren kann. Unter dem Spiegel des Wohnzimmers, standen zwey Blumentöpfe
Während wir herum gingen und Wolling manchmal in Danksagung oder Lob ausbrechen wollte, wendete Frau Guden die Unterredung gleich auf was Anders. Aber Wolling sagte: »Sie würden mich nicht schweigen machen, wenn Wohlthat und Schönheit dieses Aufenthalts von andern Händen wäre, als von den Ihrigen.« ––
Weiter gingen wir gestern nicht, und kamen zum Abendessen in ein liebes Zimmer, das vom zweiten Stock in den Baumgarten gebaut ist, und unten durch fünf Bogen, worauf es ruhet, einen artigen Saal macht, an dem die Körl-Kirsche und Geißblatstaude so gezogen werden, daß sie die Bogen rings einfassen, und unter der Scheere gehalten, recht hübsch aussehen müssen. –– Das obere Zimmer ist kleiner, als dieser Gartensaal, weil um jenes ein Gang herum geht, auf den man durch fünf Fensterthüren kommt, die
Wir wachten spät auf, weil wir noch lange geschwatzt hatten. Ich wollte mich eilig anziehen, als Cleberg mich in unser Wohnzimmer rief, und mir einen Tisch mit Koffezeug wies, der in das Zimmer gebracht wurde, so bald man gemerkt hatte, daß wir aus dem Bette waren. Des Knecht hatte ein Billet an mich dabey, worinnen Frau van Guden uns bat, dieses Hausgeschenk von ihr anzunehmen.
Ein geräumiger Tisch, mit einer ganz silbernen Platte überzogen, die Kaffe- Milch- und Theekanne, nebst Kessel, auch von Silber, innen stark vergoldet. Die Tassen alle mit Aussichten von Mahnheim und S**, daneben goldene Ränder, alles im schönsten Geschmack und Arbeit. – »Nun,« sagte Cleberg, »seh ich, warum sie Gestern von dem Reichthum ihrer Phantasie, ihres Willens und ihres Vermögens erzählte.« ––
Der Platz bey diesen Eichen, o, der ist heilig, wie der Stein, den Jacob mit Oel begoß. – Auch hat Wolling hier eine schöne, stumpfe Pyramide aufgerichtet, mit der Inschrift: Hier erschien mir die Hülfe des Herrn, – mit der Jahrzahl und dem Tage, da Frau Guden zu ihnen kam. – Denn dies ist der Platz, wo sie sie zuerst sahen und sie ihnen vor Gott Liebe und Hülfe angelobte. Wolling errichtete die Pyramide und zwey Bänke daneben gegen die benachbarte Bäume, während der Zeit, da er einen Holzstoß davor aufrichten ließ, damit Frau Guden nicht sehen sollte, was da gearbeitet würde. Sie erzählte uns dieses im Hinausgehen, und sagte dabey, daß gewiß niemals mehr und süssere Thränen bey der Einweihung eines Denkmals wären geweint worden, als bey diesem. Wolling hätte sie auch zum Frühstück
Nun waren wir auch bey dem frommen Denkmal, von welchem Madame Guden alles hat auslöschen lassen, was sie bezeichnete. Wir frühstückten, mit wahrem Gefühl des Werths der Tugend. – Diese reitzende Einsamkeit, der Gesang der Vögel, alte und junge Bäume, herrliche Felder neben uns, der Obstgarten gegenüber, links ein Theil der Ruinen, rechter Hand das liebliche neue Haus! – Die Kinder brachten zwey zahme Schaafe und zwey Hühner, die mußten auch da seyn. – Nachdem gingen sie mit ihrer Mutter hinweg und wir wurden an das alte Schloß geführt, wo die Hütte noch steht und unterhalten wird, in der die Wollinge wohnten. All ihr armes Hausgeräthe ist auch noch darinnen. O, Mariane,
Sein Auge war voll zärtlicher Wehmuth, als er dies aussprach. – Sein Garten auf der alten Schloßballe ist auch angebaut und immer von feinen Händen. Da darf kein Knecht helfen. – Wolling sprach wenig, Frau Guden erzählte uns; – ich konnte auch nicht reden, – nur sehen und hören. – Das kleine Grab des Erstlings dieser treuen Liebe, mit Zwergrosen umpflanzt zum Haupt mit Lilien besetzt; der darauf gesunkne Blick des Vaters; Cleberg, der seine Augen auf mich heftete, rührte mich beynah zu sehr. Frau Guden, die es bemerkte, führte mich zu dem Betaltar ihrer Lotte: »Das ist der Stein, auf welchem die Mutter der Frau Wolling bey der Zusammenkunft saß, die sie hier mit ihren Kindern hielt.« – Eine kleine vierelte Säule steht da unter dem Geißblat, mit der Aufschrift: Hier gab die beste Mutter den lezten Segen. ––
Das Flachs- und das Kornstück, alles wird mit frommen Andenken, wie ehmals, von der
Die große Lücke der Mauer, durch welche Frau Guden an den Berg herein trat, ist mit Rosenstöcken besetzt und der schmale Fußpfad, den sie herauf kam, ist ausgehöhlt, mit Letten gegründet und das kleine Quellwasser hinein geleitet worden. Herr Wolling sagt: »Niemand anders soll diese Fußstapfen betreten; reines lebendiges Wasser allein soll sie benetzen und das Thal befeuchten helfen, durch welches sie zu uns kam.« – Können Sie, Mariane, können Sie diese Gesinnungen tadeln? – Mir zeigen sie an, wie tief
An einer dicht mit Epheu bewachsenen Wand geht die Stiege zu Frau van Guden Zimmer. Sie sind klein, doch ist eins für ihre Meta daneben; alle mit Bretern ausgemacht und Zeichmmgen von Rom, Neapel, und England darinn aufgehangen, nur mit Röthel oder Kohlen auf hellblauem Papier, aber immer Pindorfs Gestalt mit eingemischt. – Ihr Tischgen und ihre Stühle sind auch noch da, denn sie kommt oft noch herunf, da zu lesen, oder zu zeichnen. Von ihrem Schlafkämmerchen geht noch über alten Schutt, den der Stiegenbogen aufhielt, ein etwa sieben Schritt langer und viere breiter Platz, den sie mit einer dünnen Brustmauer umfassen ließ. Einige Stauden waren am äussersten End im Schutt aufgewachsen; diesen hatte sie Unterstützung und Erde gegeben, so daß sie schön fortwuchsen und ganz leise säuselten, wenn sie im Mondschein noch heraus ging, zu beten und zu seufzen. Denn gewiß, sie seufzte manchmal nach der Stadt W***
»Ich übersetzte alles mit Leuten, und Geld, war immer dabey sie aufzumuntern. Das Zimmerholz wurde aus einem Vorrath vier Stunden von hier gekauft, Hau- und Sandsteine auch. Wir fanden willige und sehr geschickte Arbeiter. Da kann man viel thun. Während man Haus und Scheune baute, wurden zwanzig Morgen Feld und Kleewiesen durch Ausreitung der wilden Sträuche hergestellt. Dreysig Morgen bekamen wir, schon angepflanzt, von zwey Pächtern, die sich gern abkaufen liessen. Sie wissen, Rosalia, wie eifrig ich meinen Grillen den Weg
Wolling war bey Anfang dieser Unterredung weggegangen. Clebergs und meine Fragen hatten die Zeit verkürzt. – Wir hörten ein kleines Pfeifchen ein ländliches Liedchen stimmen. Da stand Frau Guden auf. Wir wollen nach Haus, sagte sie, indem sie auf ihre Uhr sah, es ist Mittag vorbey. – Wir gingen noch einige Minuten, etwas aufwärts und waren auf einmal in einem grünen Tempel, oder runden Saal von Hainbuchen, worinn der Tisch gedeckt und mit Speisen besetzt war. Die Wollingsche Familie wartete schon auf uns, und das Pfeifchen hatte zum Zeichen gedienet, das alles fertig sey.
Cleberg, der so viel große Feste gesehen, sagte doch, daß er nimmer diese Art ruhiges Entzücken, und Zauberfreuden gekannt habe. Von zwey Seiten dieses Saals, sieht man Mahnheim an dem Abhange des Berges liegen und eine große Schaafheerde weiden. –
Ihr kleines, ungeduldiges Blättchen an mich beweist, daß ich Recht hatte zu vermuthen, Antua müße von dem Charakter dieser van Guden am meisten eingenommen werden, besonders auch von ihrem Gang auf den Berg. Da haben Sie die übrigen Briefe von ihr selbst und die Abschrift derer, welche Rosalia an eine ihrer Freundinnen schrieb, wo ich nichts zusetzen kann, als daß alles so da ist, wie meine Schwärmerinn es mahlt; – die Gegend, Menschen und Sachen um sie herum. – Ich war gewiß eben so begierig, als meine Frau selbst es seyn konnte, den Wollinghof, den ich gern Liebehof nennte, zu sehen. Als wir um die Buchbäume uns gegen das Haus wandten, wurde ich wahrlich in Staunen gesetzt, indem es gleichsam der Aufzug des Vorhangs in einer Oper war. Denn so ein Haus, in der würklichen Welt, ist Traumgesicht, bis man mir seinen fünf Sinnen darinnen herumwandelt,
In der, von Rosalien angezeigten, von künstlichen und natürlichen Blättern durchflochtnen Laube, saßen die zwey Weiber und Kinder. Wolling ging herum; ein schöner, schlanker Mann, hager, aber die edelste Bildung, und der Blick eines Feuervollen, durchdringenden Auges, ein feiner Mund, Gang und Stellung voll Entschlossenheit, der beynah an Trotz gränzte, wenn nicht die vortreflichste Männliche Seele den Zügel hielte Was würde dieser Mann in einem grossen Würkungskreise gethan haben, mit all der Kraft zu tragen, zu kämpfen und zu handeln! – Aber sagen Sie, ist es nicht toll, daß wir ein Stück Gold nicht eher ganz in seinem Werth glauben,
Dieser Mann da, half Rosalien aus dem Wagen. Frau van Guden war herbey geeilt und sie umfaßten sich, mit wahrer Ergiessung der Seele in Liebe und Freude. Ich stand und betrachtete das Weib, nach welcher Rosalia geseufzt und mich neugierig gemacht hatte. Eine, über mitlere Größe erhabene, ganz regelmäßige Gestalt, mit einer unwiderstehlichen Anmuth umgeben; denn alles hat den Charakter der Liebe, des Wohlwollens und Verstands voll Güte. – Die Art wie sie Rosalien umschlang, ihren Kopf an sie legte, sie küßte, war der schönste Ausdruck der reinsten, edelsten Zärtlichkeit. Eine feine Röthe bezog ihr Gesicht, als ich ihr vorgestellt wurde und sie ohne Zweifel in meinem Blick etwas von
Rosalia hat Recht; ich wurde über die Stellung entzückt, in welcher ich die drey Weiber sah, als ich, nach Einführung meines Wagens, mit Wolling zurück kam. Eine Kupfersammlung von all den Auftritten möchte ich haben, welche diese van Guden, schon veranlaßt und vorgestellt hat. – Das Gespräch, das Haus und Abendessen war, wie Sie in Rosaliens Briefe lesen werden, mit all dem
Nun hielt sie inne. Ich konnte, voll von Bewunderung und Liebe, nicht reden. Aber es war sonderbare Liebe, wie für ein großes Weib aus der alten Geschichte, oder für eine theure Mutter oder Schwester. Aber heilig war mir der Hain. Wir saßen während dem Gespräch auf einem Stück Felsen, mit Moos und Blümchen bewachsen, eine kleine Waldwiese von einem Viertelmorgen vor uns; rings um hohe Bäume – nur floß zu unsern Füssen eine von den Ableitungen des Teichwassers, welche der junge Zimmermann zum Nutze von Wollinghof angelegt hat. Wipfel und Aeste von großen Eichen hingen über die Wiese gegen der Buche zu, an der unser Fels lag. der vor Jahrhunderten schon vom obern Berg abgefallen seyn mag. – Nach einigen Schweigen fragte sie, ob ich noch etwas von ihr wissen wollte?
Ja! weil weder meine Liebe, noch meine Einbildungskraft jemals versiegen wird, und weil ich mir von Allem, was ich in der Welt von Menschen und Sachen kenne, nichts denke, das meinen Idealen gleich kommt, die ich mir immer schaffe und ändre, je wie ein vollkommners Bild in meiner Seele entsteht. Ich will Ihnen Zeichnung davon, und auch Aufsätze weisen. – Ich bin zufrieden mit Schicksal und Menschen. Meine Wollinge sind mir alles; denen will ich helfen ihre Kinder erziehen, und des Beamten seine unterstützen. – Der junge Mooß wird einer der herrlichsten Schwarzkünstler werden und ich schicke ihn nach England, da soll er an Reynolds, Wests und der Angelika Gestalten, Ausdruck, und Gruppen, Geschmack und Kraft einsaugen. Deswegen lehre ich ihm auch die englische Sprache. – Meine Mela muß auch noch ausgebildet und glücklich werden. – In Wollings Kindern hat der Kummer der leidenden Liebe, schon von dem Augenblick ihres Entstehens an, den
»Aber, theure Madame Guden; bedenken Sie, wie unendlich viel Gutes mehr Sie thun könnten, wenn Sie, in unsrer Stadt den gewohnten Ton der Leute würden umzustimmen suchen.« – –
»Ich! eine Stadt umzustimmen suchen? Ey, Herr Cleberg! entweder haben Sie in diesem Augenblick nicht mit Ihren Geist gedacht, oder Sie begegnen mir nicht mit der freundschaftlichen Achtung, die ich verdiene.« –
Ich bat sie um Vergebung und versicherte sie von der Ueberzeugung, die ich hätte, daß eine Frau von ihrem Verstand und ihrer Güte, vieles zu der gesellschaftlichen Verbesserung beytragen könne; und ob sie nicht den Beweis in der Vorstadt von S** erhalten habe? –
»An ungekünstelten Menschen, wie diese waren, und die nur Ein Bedürfniß fühlten, dem ich gleich abhalf ja, da konnt ich was ausrichten, und das meistens auch, weil ich sorgfältig meine Wohlthaten mit der Arbeitsamkeit verband. Denn fleißige Menschen
Freund! wissen Sie was gegen all dieses einzuwenden, so sagen Sie es. Ich wußte nichts, als daß ich meinen Männerkopf noch gegen den ihrigen, in der Frage setzte:
»Aber wenn Sie Herrn von Pindorf einmal sehen, was thun Sie da?« ––
»Ich sah diese Frage schon lang in Ihnen,« sagte sie. – »Vergeben Sie, wenn ich sie nicht beantworte; theils, weil ich ja nicht weiß, wenn, wie, oder in was für einer Gemüthsverfassung er, oder ich dann seyn werde, theils auch, weil diese Frage das Heiligthum meines Herzens angeht.«
Ich erkannte, daß sie Recht hatte und sagte ihr dann, daß sie mich überzeuge, was für herrliche Früchte eine starke Leidenschaft in einem edlen Herzen hervorbringe, besonders wenn das Schicksal Unabhängigkeit, Gewalt, oder Reichthum dazu lege. ––
»Ach, wie wahr ist dieses!« sagte sie nach einigent Schweigen, »meine Leidenichaft für Pindorf stärkte den Ton meiner Seele, die das Gute schon liebte, aber ich wollte seine. Hochachtung immer verdienen; ich wollte
Ich sagte ihr hierauf meinen Lebensplan. Sie fand ihn gut. reichte mir, mit Rührung und Würde in ihrer Miene, die Hand. – »Erlauben Sie Ihrer neuen, aber wahren Freundinn die Bitte, fest, unbeweglich bey dem edlen Plan zu bleiben und ihn auszuführen; denn so Viele lieben und wollen das Gute, aber wenn es Arbeit und Beharrlichkeit erfordert: so lassen sie wieder ab – Sie haben auf ihrem Platz, fuhr sie fort, Niemand neben sich und nur Ihren Fürsten über Ihrem Haupt. Sonst bät ich Sie auch, an Allen Obern und Untergebenen unschädliche Fehler zu tragen, und auch von
Denk einmal, Freund! ob Du dieses nicht brauchen kannst. Vor unserer Abreise gab sie uns noch einen schönen Tag, da sie das Abendessen im Walde veranstaltete wozu der Beamte von Mahnheim mit all seinen Kindern eingeladen wurde. Ich habe Ihnen schon oben geschrieben, wie der einsame Waldplatz aus sah, wo ich weine lange Unterredung mit van Guden hatte. – Dort war auf einem schmalen Grasplatz am Fuß eines hohen Stücks Felsen, – Milch, kalter Braten, Schinken, etwas Bäckerey und Wein aufgesetzt, um die Schüsseln herum im Grase
Frau van Guden hatte mich gereizt, diesem Pindorf nachzuspüren. Ich ging also, da ich mich von Wollinghof losgerissen, gerade nach der Stadt W** und erkundigte mich nach ihm. Aber er ist noch immer abwesend. Der Wirth erzählte uns, es möchte wohl daher kommen, weil er, durch seinen zu kostbaren Gartenbau, drey Meilen von der Stadt, an den Fluß hin, sich in große Schulden gesetzt und seine Einkünfte zu deren Abtilgung verwalten lasse. – Er sey aber ein sehr guter und großmüthiger Herr, der schöne Reisen in sein er Jugend gethan und auch, nach seinen vielen Büchern, sehr gelehrt seyn müsse. Der ganze Garten sey, bey seinem Vater nichts als ein schöner Wald mit einem Fischteich und kleinem Bächelchen gewesen, neben welchem auf der untern Seite ein großer Bauerhof gestanden, in dem des Sommers sein Vater und Mutter oben gewohnt und für ihren
Nun kam mir und Rosalien die Lust an, diesen tollen Garten zu sehen, und es reut uns nicht, denn nichts Schöners hab ich noch nie gekannt. Wir gingen auf der Seite des Flusses, wo man das Haus lange im Gesicht hat, weil er es etwas auf einer Krümme voraus bauen ließ. Die Hauptgestalt des kleinen Lustschlosses ist ziemlich bekannt, denn es ist in der Mitte ein erhöhter Bau und auf beyden Seiten sind lange Flügel von einem Stockwerk mit Altanen, was man öfter sieht. Aber die Ausführung gehört dem erfindsamen Geiste des Herrn von Pindorf eigen. Auf der Brustmauer
»Spötter!« sagte sie, »wie undankbar bist Du gegen das Gefühl von Vergnügen, das Du hier durch Pindorfs Kunstliebe einsaugst, und in Wollinghof von der Phantasiereichen Güte meiner van Guden genossest.«
»Bist Du böse, Salie! weil Du so große Worte nimmst?«
»Nein! sonst hätte ich mehr gesagt.« –
»Was denn, Liebe? vertrau mir es.« –
»Ach, ich würde Dich Leuten verglichen haben, die über den Himmel lachen, und doch gern selig würden.« ––
»Sieh, wie unschicklich ernsthaft wirst Du hier in Rosengebüschen! Ich bin viel näher am Geist des Stifters.« –– Da wollt ich sie küssen.
»O, Du machst ein Faungesicht,« sagte sie und entschlüpfte meinen Armen mit Nymphenleichtigkeit und Anmuth. ––
Vergieb, mein Freund, daß ich diese kleine Unterredung mit meiner Salie, wie ich sie nenne, hier einschalte. –– Ihre Kleidung,
Unser Führer leitete uns nun auf die andre Seite des Waldes wo einige gerade laufende, hohe, große Alleen in französischem Geschmack sind, wovon zwey an der einen Ecke des Waldes, in einem großen, offnen Saal, dessen Wände von Haynbuchen gezogen sind, sich endigen. Aus den Fenstern siebt man den Wasserfall auf einer, und den Pavillon des Hauptgebäudes auf der andern Seite. Dort ist auch ein Platz zu verschiedenen Spielen. – Versteckte Wege von hieraus, und ein einziger von dem Gange, führen zu einem großen Wasserbecken,
Leid war es mir, daß die Schulden, in welche Pindorf sich gestürzt, nun bey vielen Leuten dem edlen Geschmack schaden, dem er sein Geld opferte. Denn er ist doch einmal unter der Menge junger Edelleute, die England und Italien durchreisten, fast der Einzige, den ich weiß, der so viel Würkliches in seinem Kopfe davon zurück brachte. Denn er soll die Zeichnungen der Bildsäulen, den Riß des Hauses, Gartens, und aller Verzierungen, selbst entworfen haben, und hat wechselsweise bey jeder Arbeit dabey, mit allen Kräften und
Es ist wahr, ich schrieb von Wollinghof nur zwey Briefe und von hier nur Zettelchen; aber hören Sie mich Liebe! denn nun bin ich zurück, in meinem eigenen Hause; nachdem mein Cleberg noch zwey Tage für Madame Guden aufgeopfert hatte, weil er nach der Stadt W** ging, um dort Erkundigung von Pindorf einzuholen. – Er ist nur so halb und halb mit dem Manne zufrieden, ob ihm schon sein Haus und Garten sehr wohl gefiel. Ich
»Meine theure Salie, nun kenn ich Dich erst ganz; und sieh! nun bin ich auch ganz glücklich. – Ich habe Dich in Allem gesehen, – in Krankheit allein war ich noch neugierig, Dich zu beobachten. Ich hätte Dich immer beklagt, weil ich weiß, daß ihr armen
Sehen Sie, Mariane, stolz will er auf mich seyn! – Der gefährliche Mensch! – mich so gar im Krankenbett zu belauschen. Dem Himmel sey Dank, daß der Zufall so für mich sorgte und ihn Gutes hören und sehen ließ. Es schmerzt mich doch, zu denken, daß die beste, würdigste Frau, bey einem solchen Manne, durch eine Thräne, einen Schrey, – die uns doch von der Ratur zu Erleichterung des drängenden und zerreissenden Schmerzes gegeben sind, eine Verminderung seiner Zärtlichkeit erlitten hätte. Meine Geduld ist nichts als Gerechtigkeit, die ich aus
Der Plan, den Sie aus meinen ersten Briefen, als Clebergs, kennen, ist schon völlig
Einer von den Männern und Otte eilten zu Clebergen um das himmelblaue Mädchen zu sehen, aber mein Mann konnte ihnen nur noch das Haus weisen. »Ach, das ist die Frau und ältere Tochter des Rath Itten gewesen. Die zwey Töchter und die Söhne sind sehr hübsche junge Leute, aber man sieht die Erstern nur Sonn- und Feyertags auf dem Kirchweg, und Letztere, auf dem nach den Schulen; den Mann, in Amtsgeschäften und von sieben bis acht im Kaffehause, sonst ist keine Seele sichtbar.« ––
»Das ist wahr,« sprach Cleberg, »denn am Fenster sieht man niemand, es müßte denn in dem kleinen Maulkorb jemand verborgen liegen, der über ihrer Thüre steht.« –
Otte lächelte gegen einen artigen jungen, oder vielmehr unverheyratheten Mann, der neben ihm saß, klopfte auf seine Achsel. »Da ist jemand der mehr weiß, als wir,« sagte er,
»Wie das, Freund Linke? erzählen Sie uns doch etwas von der Geschichte des blauen schönen Mädchens und der braunen Mama, denn ich habe beyde immer, in diesen Kleidungen gesehen.« ––
Herr Linke sagte: »Ich auch, schon länger als Sie. – Aber die schöne Gestalt, der Gang, die feine Haut, Bildung und Blick des Mädchens, reizte meine Neugierde. Ich suchte aus dem Hause gegen über in die Fenster zu sehen, aber das half nicht; da sind immer weiße Vorhänge in einem Zimmer, und in dem Andern der Vater zu sehen. Meine Ungeduld ließ mich ein Hausmittel brauchen. Ich beschenkte die Magd meiner Schwester, damit sie Bekanntschaft mit der Ittenschen alten Magd machen, und diese ausforschen solle. Das half, und ich hörte, es wären sieben Kinder im Hause, für welche die Frau Räthin immer selbst gesorgt habe, ihre Kindermagd, Nätherin, und Strickerin gewesen sey. ihr, der Magd, habe sie immer helfen waschen, plätten, den Garten am Hause bestellen, worinn sie alles Gemüs
Diese Erzählung gefiel mir und Clebergen sehr. Mein Mann fragte, ob Herr Linke denn niemals im Hause gewesen sey, oder mit der Mademoiselle Itten gesprochen habe?
Nein, er hätte dies Vergnügen noch nie genossen. ––
»Sachte, sachte! Sie Feuerbrand, hören Sie mich erst an. – Sie wissen doch, daß ich Ehrlichkeit und gesunde Vernunft habe. Konnt ich mir denn, eh ich im Besitz meines Vermögens und einer Bedingung war, den Zutritt in eine Familie schaffen, wo so ordentlich und streng auf Wohlstand und häußliche Klugheit gehalten wird? – Die Ittensche Töchter sind mir selbst zu ehrwürdig, als daß sie nur zu einem leeren Umgange der müßigen Stunden eines ledigen Kerls da seyn sollten. Denn reich kann die Familie nicht seyn, und wie viel junge Pursche suchen jetzt ein Mädchen nur wegen ihrer guten Gestalt und Erziehung? – Sollt ich mir allein, oder auch Andern das Haus öffnen lassen, ohne Absichten zeigen zu können die der Eltern und Kinder würdig wären? – Wir thun oft genug guten Familien Schaden, die freundlich und treuherzig ihr Haus, Gesellschaft und Tisch einem wohlschwätzigen Menschen überlassen. Eltern, und ein redliches,
Mit dieser Erklärung waren wir alle herzlich zufrieden. Es wurde noch viel von dem jetzigen Ton der Sitten und Lebensart gesprochen, und daß der eingeführte Aufwand Ursach sey, warum so wenig junge Männer den Muth hätten, sich zu verheyrathen.
»Das ist nur zur Hälfte wahr,« fiel Cleberg ein. – »Die Reitze der Abänderung
Ich muß, meine Rosalia, eine Unbilligkeit von uns Männern eingestehen, die wir gegen euch auszuüben gewohnt sind. Wir wissen uns so viel mir den vorzüglichen Kräften und Gaben unsers Geistes; und dennoch erliegt unsre Gleichmüthigkeit bey dem geringsten Anstoß in dem Gange der Geschäfte, des Schicksals, oder bey einer kleinen Anhäufung der Arbeit. Und von Euch schwächlichen Kindern fordern wir eine immer gleiche Heiterkeit und Munterkeit des Gemüths!«
Ich sagte wenig, weil ich in Allem, was Ehmänner angeht, immer lieber eine fremde Frau will reden lassen; besonders in meinem Hause und mit meinem Manne; – und diese Vorsicht dient meiner Ruhe. ––
Nach einigen Augenblicken fragte Madame G**, was denn wohl den Anlaß zu dem aufrichtigen Geständniß des Herrn Clebergs gegeben hätte? – Da wurde die Geschichte der Ittenschen Familie kurz wiederholt, und mein Mann beschloß feyerlich, morgenden Tags das Haus zu bestürmen. Alle bestärkten ihn. Er ließ sich auch, als Nachbar, beym Herrn Rath Itten melden, der nahm aber seinen Besuch nicht an. – Nun will Madame G** mit, und, wie sie sagt, Mauerbrecher Dienste thun. –– Aber Cleberg hatte einen neuen und edlen Gedanken. Er schrieb ein Billet an Herrn Itten, und verlangte seinen ältesten
Ich denke meinen Briefwechsel so ziemlich ordentlich geführt zu haben. Denn die Anzeige meiner Heyrath, meine Reise, und die Sachen und Leute, so mir begegneten, haben alle in meinem vorigen Schreiben paradirt. Nun bin ich wieder in meinem Hause, und das auch gern; habe den Zirkel meiner Freunde neu durchlaufen, und auch diesen erzählt, was ich gesehen und darüber gedacht habe. Nun gabs auch von meinen Freunden Anmerkungen über Eins und das Andre, welches ich Ihnen, als Nachlese mittheilen will indem es meistens die van Guden und Wollinge angeht, welche auch Ihnen so vorzüglich waren.
Der Andre behauptete, daß nicht ein einziger Mann lebe, der von einem solchen Weibe diese unermeßliche Zärtlichkeit verdiene. –
Sagen Sie mir, welcher von Beyden hat Recht? – Ich gestand selbst ein, daß diese große Liebe müde machen könnte, wenn die van Guden von nichts andern sprechen wollte. Aber, da ihre Unterredungen so abwechselnd wären, weil sie von Allem wüste, an Allem Geschmack fände und reichen, blühenden Witz mit ihrem Geist vereinte: so scheine mir der Ueberdruß unmöglich. ––
Unser seltsamer, aber herrliche Freund Sokan saß da, stützte seinen Kopf auf den Tisch, durchblätterte die Briefe meiner Frau und auch meine an Sie, hörte hie und da uns zu, warf
Wir stuzten da, und gukten ihn an. Er lächelte. –– »Und das ist wahr!« sagte er, »denn wenn ich nun sage, daß diese Guden mir so ganz gefällt, und ich sie liebe, so theile ich ja auch den Tadel, den sie sich zuzog. – Wer hätte aber diesen guten Wollingen da oben geholfen, wenn ihre liebe Schwärmerey nicht gewesen wäre? – Der Beamte that was er konnte. Der zierliche Pindorf schenkte was, aber sie blieben doch in der armen Hütte. – Liebe dieses Weibs eine Last! – Ich kann es Euch beynah nicht verzeihen.« –– Dann fuhr er fort: »Aber, wir Menschen sind immer voll Widerspruch im Großen und Kleinen. Moralisten und Philosophen behaupten das Daseyn eines Hangs zum Wunderbaren und Ausserordentlichen. Wir Vielwisser und Vielseher können es an uns selbst bemerken; und wie deutlich liegt dieser Zug im Volke! – dennoch, wenn sich unter uns bey einzelnen Personen ungewöhnliches Verdienst
Sie kennen ihn, den Eiferer, wenn er so die Gestalt dessen, was seyn sollte und seyn könnte, vor sich hat; wie er da überfließt und zehn andre Sachen noch mit sich hin nimmt. – Mich freute er, und ich trieb ihn weiter, da ich ihn nach der kleinen Erkältung fragte, die zwischen ihm und seinen Freunde W** entstanden ist. – Er antwortete hitzig: »Was Erkältung! ich liebte ihn nie mehr, als jetzt. Mein halbes Leben gäb ich, wenn er den verdrießlichen Handel mit seinen Verwandten ansähe, wie ich! –– Ich haßte Alle, die seinen Werth nicht erkannten. – Alle, die seine Güte mißbrauchten und mir den Weg zu seinem Herzen verschlossen.« –
»Beleidigung! –– Ist es Beleidigung, wenn ich denke und erwarte, daß jemand in einer wichtigen Gelegenheit seines Lebens alles thun wird, was seinen edlen, großen und gerechten Gesinnungen gemäß ist? was ich überzeugt bin, daß er von mir in den nehmlichen Fall gefordert hätte?« ––
Rosaliens edler Freund F*** fiel ein: »Ach, eh die Gelegenheit zu handeln da war, wird er gewiß diese Erwartung als dey höchsten Grad Verehrung seines Charakters angesehen haben; und es lebt gewiß kein Mensch, der nicht in ruhigen Tagen die innigste Freude hätte, diese ruhmvolle Erwartung in der Seele eines jeden seiner Freunde zu sehen. Aber, so bald er sich bewußt seyn wird, diese Erwartung nicht erfüllt zu haben, so empört sich sein Kopf und Herz bey dem Gedanken, daß man ihn nach diesen Ideen richten werde; und alsdann müssen auch diejenigen, die am meisten hofften, die widrigsten Gegenstände für ihn werden.« ––
»Ey, warum dieses?« ––
»Aber, wenn ich nun einen Freund habe, in dem alles Große, Wahre und Gute liegt; und wenn dieses der einzige Grund seiner Glückseligkeit ist, – und er ändert sich in einem Falle und wird dadurch elend: muß ich ihm da nicht sagen, wo sein Uebel liegt?«
»Ach, die Menschen sind nur durch ihre eignen Ideen glücklich.« – sagte Herr Fr**
»Schweigen Sie mir, von dem Ganzen! Die beste Freude meines Lebens ist hier verlohren gegangen. Ein großer Kreis von Menschen hat den schönen Anlaß zu einer großmüthigen und gerechten Handlung versäumt, mit Füssen von sich gestossen! –– Fromme haben nicht als Christen, und Philosophen, nicht als Weise gehandelt! – – Ich habe mich matt geredet. geschrieben, und gebeten; niemand, niemand hörte mich an; und endlich mißhandelten und mißdeuteten mich Alle.« ––
»Da müssen Sie denken, daß es bey starken Erschütterungen der Seele wie mit dem Körper geht, in welchem, durch einen heftigen
Nun schlug er seine Hände zusammen: »Ach! wenn jemand auf Erden mich so liebt und schätzt, wie ich meinen Freund W** liebe und schätze: se möge ein grausamer Zufall eher mich tödten, ehe ich seinem Herzen den Kummer mache, den ich litte!« ––
Es war mir nun leid, daß ich ihn von dem Berge der Wollinge abgebracht hatte. – Aber ich wollte einem von zwey Leuten, die da waren, die Seele unsers S** zeigen, besonders in dieser Sache, wo er so viel Unrecht gelitten hat.
Sie fragten mich letzt nach ihm, ob er noch immer Enthusiast wäre? da er doch seine Funfzige bald zählen würde. Sie sehen, das bleibt er mit Leib und Seele. – Ich sagt ihm, daß Sie das alles erfahren sollten. Es war ihm recht; – nur über Freund W** soll ich
O, wie groß ist das stille Verdienst der vortreflichen Familienmutter! – lassen Sie mir doch Alles Ihnen schreiben, was von der Frau Itten in meiner Seele haften blieb. –
Sie konnten auf Clebergs Billet nicht. schweigen, sondern antworteten, es würde beyde Eltern freuen, den Herrn Residenten bey sich zu sehen. Mein Mann ging gleich hin, fand Beyde in einem geräumigen, äusserst reinlichen, aber nach alter Art ausgetäfelten Zimmer, den Tisch in der Mitte, auf welchem ein großer Teppich lag; die Stühle und Spiegelrahme von schwarz gebeitztem
Cleberg sagte, er hätte sich an dem Tage, wo ihm mein Oheim seine Stelle verschafte, vorgenommen, auch einen jungen Mann, von rechtschafenen Eltern, in sein Haus zu nehmen, wie mein Oheim ihn nahm, und ihn auch nach seinen Kräften zu unterstützen, so wie ihm wiederfahren sey; – mit der einzigen Bedingung, daß der junge Mann einst wieder so denken möge. Er hätte sich daher, nachdem er völlig in seinem Dienst und Hause eingerichtet gewesen, nach jemand umsehen wollen. Die gute Bildung und vielversprechende Physiognomie ihrer Söhne, habe ihn auf einen von Beyden angezogen; die guten Zeugnisse ihrer Lehret hätten ihn bestärkt, und es würde ihn freuen, wenn sie den Vorschlag annähmen und er dadurch mit einer so schätzbaren Familie in ein Verhältniß käme. ––
Nun sagte die Frau: »Geh, Lieber, und ruf unsere Söhne.« – Als er weg war fing sie an; »Herr Resident! Ihr Vorschlag hat mich in das größte Staunen gesetzt. Aber, der Beweggrund, den Sie angeben, hat mir alles Vertrauen eingeflößt. Es sind vier und zwanzig Jahr, daß ich hier bin; und ich kann sagen, daß es eben so lang ist, daß ich von der ganzen Welt abgesondert lebe und nur mit meinem Mann und Kindern war. Es ist mir süß, sagte sie mit einigen Thränen, daß die Versorgung eines meiner guten Kinder, mich wieder hervorruft. – Sie werden meinen Segen haben, und an meinem Sohn einen Jüngling voll Fähigkeiten, Güte und Tugend finden. – Nähren Sie! ach, nähren Sie die Tugenden, die Sie in ihm
Sie war da aufgestanden, gegen meinen Mann mit flehendem Gesicht und Händen hingetreten und hatte ihn angeblickt, daß er, ganz erweicht und bewegt, ihre beyden Hände ergriff, und ihr vor Gott angelobte, getreu für die Sitten und Gesinnungen ihres Sohns zu sorgen. Wenn sie aber einmal befürchten sollte, daß Gefahr für seine moralische Güte da wäre, so wollte er dulden daß sie ihn wieder nähme.
»Ach, wiedernehmen! dieses hälfe nichts mehr. Denn wenn er einmal bey Ihnen ist, so wird seines Vaters Haus nicht mehr für ihn seyn, was er bis jetzo war.« ––
»O, glauben Sie gewiß, daß Verehrung und Liebe für seine Eltern, die Gefühle seyn werden, die ich um eifrigsten in ihm unterhalten will.« ––
»Das glaub ich wohl. – Aber es ist so viel Reitz in dem Glänzenden, das Sie umgiebt, daß die Sinne des jungen Menschen hingerissen werden, –– Wie sollte es ihm
»Aber, theure Frau Räthin, es wäre ja so nicht möglich, daß Ihre Söhne immer bey Ihnen blieben.« ––
»Das weiß ich, und deswegen willigten wir gleich in Ihren Antrag; – auch vergeben Sie, besonders ich deswegen, weil Sie so nah bey uns wohnen. Nicht aus übertriebner Mutterliebe für mein Söhnchen, sondern allein in Hofnung, den Gang seiner Gesinnung genauer bemerken zu können.« –
»Zu dieser Absicht, theure Frau Räthin, wird Ihnen die Bekanntschaft mit meiner Frau am meisten dienen. Sie ist nur vier und zwanzig Jahr alt, aber ihre Seele ist voll Edelmüthigkeit und Tugend, ob sie schon in einem großen' gesellschaftlichen Zirkel lebte.« ––
»O! ich bin überzeugt, daß dieser große Zirkel viele, viele vortrefliche Menschen hat. Aber die Umstände müssen günstig seyn. Dies konnt ich meinen Kindern nicht versichern, deswegen hielt ich sie zu Hause, und wollt es so lange thun, bis die Denkungsart, die ich in ihnen wünschte, so stark, und so zur
»Ich verehre Sie wegen alles dieses, werthe Frau Räthin. Glauben Sie nur, daß meine Rosalia und ich nichts untergraben werden, was Sie aufbauten!«
Nun kam der Vater mit beyden Söhnen in das Zimmer. Die jungen Leute hatten sich etwas gut angekleidet, machten furchtsam, aber mit Anstand, ihre Verbeugung und blickten ihre Mutter an. – Sie hatte sich völlig gefaßt, ging gegen sie, nahm sie bey der Hand und sagte meinem Manne: »Hier sind meine zwey guten Söhne, von denen Sie einen zu haben wünschen. Beyde haben Ihr Billet gelesen. Der Aeltere war brüderlich genug, dem Jüngern zu sagen, daß, wenn es ihn kränken sollte, diesen angenehmen Platz nicht zu haben, so möchte er es ihm vertrauen; es würde ihm lieb seyn, ihm durch den Vorzug, den er ihm geben wollte, eine Probe seiner Liebe abzustatten. Der Jüngere dankte, und erklärte da, daß er gerne Theologie studiren möchte, und also von seinem Weg abkäme. Doch, weil der Antrag so edelmüthig gemacht wäre, und es ein Vortheil
»Nun wählen Sie;« sagte der Vater.
Stellen Sie sich, theure Mariane, einen Augenblick die Gruppe vor; – Vater, Mutter, zwey Söhne, mein Mann, der wählen sollte; – die Andern auf seine Augen, auf. ihn sehend! – Er ging gegen die jungen Leute, und reichte jedem eine Hand. »Da Sie, edle Jünglinge, Beyde ein gleiches Vertrauen in mein Herz haben, wie ich zu Ihnen: so will ich so wählen, daß Sie Beyde zufrieden seyn werden. Sie, zu den Aeltern, vertrauen sich und Ihr Schicksal mir; und Sie, zum Jüngern, sind mein Freund, – und erlauben, daß ich eine Stelle im fürstlichen Stipendio für Sie nachsuchen darf, wo Sie Ihr Studium verfolgen können.« ––
Da wollten die junge Leute Clebergs Hände küssen; aber er umarmete Beyde von Herzen
Die guten Söhne konnten nun nichts mehr sagen, sondern küßten den Eltern die Hände. Mein Mann sprach dann von dem Gehalt und den Beschäftigungen, die er ihm geben wolle, und daß er doch die mathematische Stunden fort halten sollte. – Von Frau Itten bat er sich die Erlaubniß aus, daß ich zu ihr kommen dürfe. Sie sagte aber, daß sie den andern Tag mit ihrem Mann und Söhnen zu uns kommen würde. – Nachdem kam mein Cleberg herrlich, wie von einer Eroberung, zurück, umarmte mich mit Entzücken. »Salie, liebe Salie! Du sollt meinen Dank annehmen, den ich gern diesen Augenblick
Da erzählt er mir, was ich Ihnen schrieb; und ich fahre fort, auch das aufzusetzen, was mir die liebe Frau von ihrem Leben und Grundsätzen sagte. – Wir liessen sie auf ein Frühstück bitten, weil Nachmittags immer viel Leute zu uns kommen, und wir diese Frau allein geniessen wollten. – Ich nahm sie aber nicht in meinem großen Besuchzimmer an, sondern in dem ganz weiß getäfelten, so an unserm Eßzimmer ist, wo wir den Caffee geben; weil es, im neuen Geschmack eben so simpel ist, als Frau Itten Zimmer nach dem alten; denn die Stühle haben auch nur hölzerne Lehnen, die Kissen von Zitz und alles Holzwerk weiß in Oelfarbe gemahlt. – Ich und mein Mann kleideten uns auch äusserst simpel an, um diese schätzbare Frau durch keinen Schein von Pracht zu verletzen. –– Die erste halbe Stunde ging mit dem Frühstück und allgemeinen Gesprächen vorüber, wobey ich immer alles unterbrach, was Danksagung
»Ach, Frau Residentin, ich werde wohl den Bitten meiner Kinder nachgeben müssen. Es sind die ersten, die sie mit so viel Eifer an mich thun. – Aber ich sehe daraus, wie viel Gewalt sie sich bisher angethan haben, keine Freude ausser meinem Hause zu suchen. Ich danke nur Gott, daß, da der Strom der Welt in meine Familie dringen sollte, er nur eine Schleuse aushob, und nicht die Dämme niederriß, welches durch Verführung meiner Söhne geschehen wäre.« –
»Ich bin auch froh, daß ihr Haus nur der edlen und redlichen Hand meines Clebergs geöffnet wurde. Denn so wie ich Sie jetzt kenne, würde ich jedem Andern den Zutritt beneidet haben. Laffen Sie es sich nicht leid seyn, theure Frau Räthin, daß Sie dem Ruf des Schicksals nachgaben. Ihre
»Das weiß ich nicht; sagte sie. Ich kenne freylich von dem hiesigen Frauenzimmer nur die, welche in unsere Pfarre gehören; aber ich habe seit vier und zwanzig Jahren viel artige und schöne Töchter aufblühen sehen, die dem Auge durch ihre Gestalt und abgeänderten Modeputz und Kleidung besser gefallen mußten, als meine Töchter, die ganz gewöhnliche Figuren, und gar, gar keine abwechselnde Verzierung ihrer Person haben. –– Ich seh auch viele junge Mannsleute so kostbar und reich in ihrem Anzuge, daß sie gewiß Vermögen haben, eine Frau zu unterhalten. Und die bekannten Frauenzimmer, mit denen sie sprechen und sie begleiten, welken dennoch, mit all ihren Reitzen, Putz und Talenten, an der Seite ihrer Mütter dahin, wie es meinen
»Ich kann Ihnen, in alle diesem nicht Unrecht geben. Die zu eifrige Nachahmung der französischen Erfindungen, der Pracht und kostbaren Zeitvertreibe, sind allem Ansehn nach Ursache, daß die Heyrathen seltner werden; weil man immer fürchtet, sein Auskommen reiche nicht zu, mit Frau und Kindern standsmäßig zu leben.« ––
»Das ist auch wahr. Denn wenn ich nach dem Titel meines Mannes und der jetzigen Mode, wie man es heißt standsmäßig hätte leben, mich und Kinder kleiden, das Hausgeräth schaffen sollen: so hätt ich kaum für
»Sind denn die Einkünfte des Herrn Rath so gering?« ––
»Wissen Sie denn nicht, daß er eigentlich nichts als zweyter Registrator ist, und nur der kleine Stolz seiner Frau Mutter ihm den Rathstittel kaufte? Ich war auch stolz und klug genug, als Frau Räthin mich keiner Geringschätzung bloßzugeben, und ganz geduldig als Frau Registratorin kärglich zu leben.«
»Sie sind nicht von hier, meine Frau Räthin, das weiß ich. Haben Sie auch keine nahe Verwandte in der Stadt?«
»Ich bin fremd. Mein Mann hat Verwandte, aber keine Freunde, sonst hätten wir auch nicht so eingeschlossen gelebt.« ––
»Keine Geschwister sind es doch nicht, diese unfreundliche Verwandte?«
»Nein, nur ein Oheim mütterlicher Seite, der großes Vermögen, aber eigne Kinder hat und meinen Mann, der stillen, ruhigen Ganges lebt, nicht achtet und ihm blos zu dieser Stelle half. Wenn mein Vater länger gelebt hätte, so wär er besser besorgt
O, Mariane! ich zerfloß in Thränen, und bat die edle, würdige Frau um die Erlaubniß, sie Mutter zu nennen.
Da komm ich vom Frühstück aus dem Ittenschen Hause, trunken von Bewunderung und noch nie gefühltem Vergnügen! – Ach Gott! was können die Menschen nicht, wenn sie sich mit vereinigten Kräften des Guten befleissen; und was für ein seliges Geschöpf bin ich durch die Bekanntschaft mit so vielen vortreflichen Leuten! Wenn man den Adel der Seele durch edle Freunde beweisen müßte, wie den der Geburt, durch edle Ahnen: so wär ich ja in der höchsten Klasse.
»Ihre Neugierde, soll vergnügt werden.« – Da gingen wir die halbe Wendelstiege hinunter in ein Seitengebäude, das auf einer Fensterreihe den Hof, und auf der andern, den Garten hat. Von der Treppe kommt man auf einen Gang, der das Licht von dem Speicher empfängt; und hier geht man links in die Küche und Speisekammer, die beyde höchst reinlich und schön weiß getüncht sind. Sie kochen in lauter irdenen Geschirr, und essen aus ganz altförmigen Zinn. – Dann ist ein großes Wohnzimmer, dessen Wände von Vater und Söhnen artig gemahlt sind. Die Stühle und Tische sind ganz glat, aber alle von Herr Itten selbst verfertigt, nußfarb angestrichen und lackirt. Auf einer Seite standen fünf Spinnräder und kleine Stühlgen dabey. Ueber jedem Platz war ein Haken in der Wand, woran die Stränge Garn hingen, die jedes diese Woche schon gesponnen hatte. Dieser Anblick bewegte mich innig. – Gewiß ist Fleiß eine Tugend! ich fühlte es da in der Ehrfurcht die mich in diesem Zimmer
Es freute mich, daß Cleberg gleich auf der Stelle sagte; »Salie! wir wollen auch ein solches Zimmer haben, denn es ist in Menschenwohnungen eben so nöthig, als eine Küche.«
»Meine Töchter sagten: Wir spannen, bleichten und nähten sie, wir wollen sie auch immer selbst waschen. Und weil Reinlichkeit allein der Grund zu dieser Bitte war, so erlaubte ich es ihnen gern. Die Wände haben ihre Brüder so frühlingsmäßig gemahlt.« –
Zwischen zwey Betten steht auf jeder Seite ein Schrank, worinn immer zwey Schwestern ihre Kleider und Weißzeug haben. Oben an den zwey Fenstern hin läuft ein langer, schmaler Tisch und an dem Pfeiler ist ein Spiegel, der einzige für vier schöne Mädchen. Unter dem Spiegel, eine alte große Stockuhr die sehr herzhaft die Stunden des Erwachens schlägt; und auf dem langen Tische, gegen die Seite, wo zwey Töchter schlafen, dieser Beyden Nähküssen und Strickkästchen. –– Unter dem blau und weißen Vorhange, der am Tisch hinläuft, sind auf einem Gefache,
Nun kam das Schlaf- und Arbeitszimmer der beyden großen Söhne. Die haben auch alles abgetheilt, jeder ein Fenster in Besitz, und eigenen Schreibtisch, Büchergestell, – Schrank und Betten so ordentlich, so rein und
Die Mutter nahm diesen bey der Hand: – »Wilst Du nicht den guten Reinhold, au Ernsts Platz, in Deine Stube nehmen?« – Der Junge hüpfte an Heinrich hinauf. –– »Nimm mich doch, lieber Bruder; – sieh! ich werde auch groß.« Da stellte er sich ganz gerade vor ihn. ––
»Ja, mein Reine, Du alleine sollst mich Ernsten vergessen machen.« –– und küßte ihn da. – »Ernst! rief der Kleine, da krieg ich Deinen Schreibtisch und deinen Stuhl und Bett auch. – Dann will ich Heinrichen sagen: Da saß Ernst, der gute Bruder, als er mir schreiben lehrte; – in jenem Winkel stand ich, wie er mir von Pappendekel Vierecke und Achtecke und Dreyecke machte, und ich ganz geschwind einen runden Ring mit dem Rötel mußte zeichnen lernen.« »Lieber Schwätzer, sagte Ernst, – ich kann Dir den Schreibtisch und Stuhl nicht lassen;
»Du hast Recht, Ernst! Du must es mitnehmen und den Papa immer ehren, auf daß dirs wohlgehe und Du lange lebest auf Erden.« –– O, Mariane! wie herrlich ist das gewesen.
»Aber,« sagte die kleine Mariane, »da solltest Du wohl auch Dein Bett nehmen, woran die Mama und die Schwestern arbeiteten; – sonst vergießest Du diese.« ––
»Ach, gewiß nicht! – sie werden in meinem Herzen bleiben, wo ich auch immer seyn werde.« ––
Wie viel Wahrheit und Treue ist in dieser Familie! ––
Jetzt ging es die Stiege zur Seite hinab, wo wir in das Stübchen kamen, in dem Frau Itten, bey dem Leben ihrer Schwiegermutter wohnte. Es war noch getäfelt, runde Scheiben in den Fenstern. Aufziehläden und der Ofen von Töpferarbeit, mit schwarzer Glasur. An der Decke liefen die Balken ganz frey über, waren aber geweißt. – Ein klein
Mein so galanter Eleberg, der so viel auf verfeinerten Geschmack hält, konnte sich nicht
»Und ich will von Ihnen lernen, eine gute Hauswirthin und treue Mutter zu seyn,« – sagte ich, mit rührender Stimme und wollte ihre Hand küssen; – aber sie litt es nicht sondern küßte mich, und weinte dabey, aber aus zärtlicher Empfindung.
»Sie sind die erste fremde Person, die ich in meine Arme schliesse; denn ich habe, ausser meinen Geschwistern, Mann, und Kindern, noch Niemand geküßt. Und wenn ich für Sie, wie Sie sagen, ein anziehendes Beyspiel häuslicher und mütterlicher Pflichten bin, so sind Sie mir das einzige Model einer gesellschaftlichen Freundinn für meine Töchter, deren Unschuld und Reinigkeit der Sitten ich ohne Sorgen und Gefahr in Ihrer Bekanntschaft sehe.« ––
Ich küßte die guten Mädchen nach der Reihe, als meine liebe Schwestern. Wie herzlich war der Druck ihrer Hände dagegen, und wie sanft der Kuß, den sie mir gaben! –
»Gott segne Sie und Ihren Gemahl tausendmal, daß sie meine Frau und Kinder so gütig behandeln. – Beyde dauerten mich schon lange, aber ich wollte meine Frau, durch vollkommne Freyheit in all ihren Handlungen, für erlittene Plage und ihre übende Tugend belohnen. – Aber es wird ihr doch gut thun, mit einer so sehr lieben fremden Frau in Freundschaft zu stehen. – Und meine Töchter, ach, für die klopft mein Herz vor Freude! – Es sind gute, gute Kinder; meinen Ernst werden Sie auch so finden.« –
Wie glücklich war unser übriger Tag, und ich, da ich Ihnen noch schreibe! denn Ernst Itten
Hier ist noch ein Brief voll Ittens, so wie einst einige voll Henrietten von Essen, Madame S**, Julie, Otte, und noch mehr der van Guden und der Wollinge voll waren. Aber was soll ich Ihnen schreiben, wenn es nicht von den Gefühlen meiner Seele ist? denn alle Gegenstände des Nachdenkens, Durchforschens und Wissens sind Ihnen schon bekannt oder liegen so reichhaltig in Ihren Büchern, daß vielleicht selbst ein männlicher Geist Ihnen nichts Neues darüber sagen könnte. – Sie versicherten mich an einem der glücklichen Tage, die ich den letzten Herbst mit Ihnen verlebte, daß die Art, wie ich Menschen und Sachen betrachtete und beschriebe, so eigen sey und Ihnen so sehr gefalle, daß ich immer fortfahren sollte, Ihnen von der Menschen- und Gotteswelt, die in meinen Gesichts-Kreis käme, Original-Gemälde von meiner Hand zu schicken. – Das hab ich immer mit
Gestern hatte ich große Gesellschaft. Frau G** und Julie waren auch dabey, und früher als die Andern gekommen. Da erzählte ich ihnen etwas von dem, was ich bey Frau Itten gesehen, und las ihnen die Abschrift meiner Briefe an Sie.
»Alles das ist herrlich und schätzbar, sagte Frau G**; aber Weibchen! das sollst Du mir nicht ohne Unterschied vor allen Männer erzählen. – Vor Weibern wohl, denn wir nehmen von Tugenden, wie von Kappen und Bändern, nur das, was zu unsrer eigenen Freude taugt. – Aber da könnt es reiche Geizteufel, oder andre Haustyrannen von Männern geben, die heim gingen, und ihre Weiber und Töchter in die heßlichen
O, Madame G**, was für häßliche Arbeit machen Sie da aus meinem so schönen Bilde! – Julie, haben Sie auch so was gedacht? ––
»Ganz und gar nicht! Es dünkt mich, daß die Familie sehr glücklich und nachahmungswürdig ist.« ––
»Was doch die guten Tugend; Schwärmer und Schwärmerinnen abgeschmakt seyn können! – Ich schätze gewiß diese Frau nicht weniger als Ihr. Sie that das Beste und Edelste, was Sie nach ihren Umständen
»Mir kommt auch ganz glaubwürdig vor,« sagte meine sanfte Julie, »daß, wenn hie und da beym Bekanntwerden des jungen Herrn Itten, mit vieler Achtung von seiner Erziehung und dem rühmlichen Fleisse seiner Frau Mutter und Schwestern gesprochen würde, die Neugierde rege gemacht, und dann Stückweis etwas erzählt werden sollte. Besonders wenn man sich, nach Kenntniß der Umstände, die Zuhörer aussuchte, könnte Gutes geschaft werden, das freylich wenn man das Ganze hört, gerade durch die Vollkommenheit,
»Ist hier nicht ein Stück Ihrer van Guden wohl angebracht?« fragte Frau G**. »Denn schrieb nicht diese einmal: – Großes, ungewöhntes Gute, ohne Vorsicht dargestelt, schadet oft bey Menschen, die an Vorurtheilen haften. –– Sie sehen doch auch, Liebe!« fuhr sie fort, »daß die schönen Sachen, die Sie uns mittheilen, nicht verloren sind; nur mit dem Unterschied, daß Julie sie in der That anwendet, und ich die Worte recht säuberlich im Gedächtniß behalte.« ––
Nun kamen die Uebrigen zusammen, und diese Unterredung wurde abgebrochen; hatte aber auf mich einen zu tiefen Eindruck gemacht, um eine Sylbe vergessen zu haben. – Ich hatte in meinem Herzen Frau G** rauh und unempfindlich gescholten, weil sie mir meine innige Freude des Mittheilens dieser Familiengeschichte, gleichsam verdorben hatte. Aber ich fand nachdem doch, daß ihr Urtheil ganz richtig ist. Und zudem hat sie den Anlaß gegeben, daß die so fein fühlende Julie Orte, durch diese Mühe welche sie nahm, meine
Schrieb ich nicht letzthin, daß meine Briefe nicht mehr so lang werden könten, als ich wollte? Sehen Sie, Liebe! am verwichnen Donnerstag fing ich an, und wurde fünf Tage gehindert ihn zu endigen. Aber dafür hab ich ausgesuchte Stunden genossen. –– Cleberg und Otte kamen von ihrem Spaziergange mit Ernst Itten so zufrieden zurück, daß mein Mann in einen großen Eifer gerieth, den jungen Mann bald eigen zu haben. Ich war also den Freytag und Sonnabend beschäftigt, sein Zimmer zurecht zu wachen, daß er Montags früh dasselbe beziehen könnte. – Sein, von seinem Vater verfertigter Schreibetisch
»Das ist wahr, liebe Kinder! Aber wir müssen diese Güte um so weniger mißbrauchen.« ––
»Das erkannten die guten Mädchen auch, und genügten sich also, mir meinen Koffer zu packen. Jede legte, mit Thränen der
Ich dachte da auf ein Mittel, den guten Mädchen ihren so billigen Wunsch zu erfüllen, und glücklicherweise gab ein Tadel meines Mannes den Anlaß dazu. Er ging in Ittens Zimmer, fand alles gut, nur die weißen Vorhänge wären zu kurz; – ob ich diesem Fehler nicht noch abhelfen könnte, indem ich andre aufmachte? – das konnt ich nicht, weil ich für den obern Stock noch nicht doppelte Vorhänge habe, aber durch Falbala konnt ich sie verlängern. Die waren aber auch noch nicht gemacht, und wer garnirte mir in einem Nachmittage sechs Vorhänge! Aber, wenn ich nun zu Mama Itten ginge, und sie bäte, mir ihre vier Töchter zu diesem Freundschaftsdienst auf den Nachmittag zu erlauben? –– Ich maß die Weite und Länge,
Meine Magd hatte an dem Fenster der Gesimstube auf mich gewartet, die Hausthür war also gleich offen, wie wir kamen. Ich verbot, meinem Manne und Herrn Itten etwas zu sagen, und zog mit meinen artigen, schüchternen Mädchen, in mein Zimmer. In
»Wie gütig sind Sie! – ach, das wäre glücklich! – unser guter Ernst hat uns immer schöne Tage gemacht.« – Das sagten sie so in der holden Verwirrung gemeinschaftlichen Vergnügens. – Hannchen sah dann die Stühle. – »Ist dies unsre Arbeit, Frau Residentin?« »Ja, meine Lieben! wollen wir anfangen?« und ich nahm meinen zugeschnittenen Theil. Wie schön war die liebreiche Eile, die sie bezeigten, als jede ihre Zwirnfäden, die ich nur vom Strange geschnitten hatte, um ihren artigen Hals hing, die Leinwand in einer Hand hielt und mit der andern Nadelbüchsgen und Fingerhut suchte; dann sich setzte, und mit so viel Anstand, und
Der liebe, rasche Mann hätte mich bald für Freude krank gemacht. Er war mir so werth, daß er die Sache der Itten so betrieben und ausgeführt hatte. –– Da mußten nun die Eltern an unsere Redlichkeit glauben; Denn einsame Menschen, die sich aus Schmerz und Mangel abgesondert haben, sind gegen die Versprechen der Glücklichen so mißtrauisch, und dann hatte ich auch gefürchtet, daß Clebergs Eifer erkalten möchte, und daß er mit dem Stipendio zu viel gesprochen hätte. – Das war nun alles wie es mein Herz wünschen konnte. Ich ging durch eine Seitenthüre zu meiner Köchin, ordnete noch alles an, gab Weißzeug und etwas Confect her, und kam wieder, da die guten Mädchen schon meine Arbeit genommen hatten und fertig machten, indem die Aeltere ausserordentlich geschwind nähet. – Wir kamen mir Falten und Allem noch zurecht, und Cleberg, der die Herren alle in einem Nebenzimmer unterhielt, hatte mit ihnen vielen Spaß. Als ich nun oben in Ittens Zimmer die Falbala an die
Mein Oheim ist mit Clebergen, wegen dessen, was er ihm von den Ittens schrieb, und für sie zu thun wünschte, ausserordentlich zufrieden, und dankt dem Himmel, daß er sich, in Beurtheilung seines Charakters, nicht betrogen habe; freut sich auch, daß unser Hof jetzo einen Minister hat, der sich nicht zu groß dünkt, eine Familiengeschichte anzuhören, die, ob sie schon nur den kleinen Zirkel eines alten Privathauses betrift, dennoch der Menschheit Ehre macht.
»Unserm edlen Minister von H**,« sagt mein Oheim, »der mit philosophischen Geiste Menschen und Staaten durchdenkt, nur Wahrheit und Natur würklich schätzt und liebt, und bey dem das, was er an sich selbst am meisten achtet, nicht das Zufällige seiner adelichen Geburt und nicht die Ehrenstellen sind, die er bekleidet, sondern das, was er sich durch unermüdeten Fleiß an
Ist dieser Zug allein nicht hinreichend, Ihnen, meine Mariane die größte Hochachtung für unsern Minister einzuflössen! – Aber niemals vergiebt er Fehler gegen die Rechtschaffenheit und Pflichten eines Amts; und das schätzt mein Oheim sehr. ––
Meine Liebe! – wie sonderbar ist dies! – vor zwey Tagen erhielt ich den Brief meines Oheims, aus welchem ich Ihnen heute früh obige Auszüge machte; und diesen Abend kam er selbst, und kündigte mir und Cleberg an, daß wir mit ihm auf acht Tage nach der Residenzstadt unsers Fürsten reisen müßten. – Ach, wie ungern thu ich das! – Frau G**, die mit uns zu Nacht speißte, macht mir
Und heute, nur eiligen guten Abend bis aufs Wiederkommen. – Adieu sagte ich diesen Morgen auch ganz kurz. Ich mußte meine zehn schöne Putzsachen einpaken lassen, und nun früh schlafen gehen, daß wir bey anbrechenden Tage auf dem Wege seyn können. Sie sollen bey meiner Zurückkunft hören, ob ich eben so von unserm Minister denke, wie mein Oheim. ––
Montags; gerade vierzehn Tage nach unserer Abreise, ganz ausgeruht und nachgedacht.
Da bin ich wieder! mit neuen Ideen bereichert, im alten Guten bestärkt, und von Vorurtheilen befreyet, die man mir mitgegeben hatte. ––
Schöner kann beynah keine Lage seyn, als die Lage der Stadt C**, an dem Zusammenfluß zwey schiffreicher Ströme, der R**
Ich habe unsern Fürsten und Ihre Hoheit, Seine Prinzeßinn Schwester, selbst gesehen und gesprochen. Wie viele Leutseligkeit und Herablassung wohnt neben Größe der Geburt und Tugenden, in ihnen! Es geht mir auch, wie meinem Oheim. Möge doch ihnen Beyden nichts als reine Wahrheit, Treue, Verdienst und ehrerbietige Liebe sich nähern! – weil, wie man sagt, die besten Fürsten sehr oft von feinen, bösen und eigennützigen Menschen umgeben sind, die ihre Güte mißbrauchen. ––
Die zwey Damen der Fürstinn sind sehr verehrungswürdig und vereinigen alle Eigenschaften in sich, die von rechtswegen Adeliche immer besitzen sollten, weil sie, nach der Ordnung der sittlichen Welt, die tägliche Gesellschaft der Fürsten sind, und freymüthig mit ihnen sprechen können. – O, wie innig heftete
Cleberg ist von dem Minister ganz und gar eingenommen, – nicht allein wegen der besondern Achtung welche er ihm bewieß, sondern wegen der vielen Wissenschaften, wegen seines Geschmacks an schönen Künsten, und weil er sehr vergnügt schien, mit einem Menschen zu sprechen, der auch nützlich gereist war, und Kenntniß und Freude bey seiner schönen Büchersammlung bezeigte. Bey dem Gegenbesuch den er bey meinem Mann und Oheim ablegte, sah ich ihn auch, voll Ernst und Würde in seinem Bezeigen und seiner edeln Gestalt. Diese Würde war auch in seiner Höflichkeit gegen mich; sie begleitete seine Bescheidenheit, und jede Unterredung. –– Als er weg war, fragten mein Mann und Oheim mich, wie er mir gefallen hatte? – Ich sprach in einem sehr lebhaften Ton der Verehrung von ihm. – »Aber er ist ja gar nicht galant,« sagte Cleberg, »und Du bist doch so ein schönes junges Weib.«
»Aber, wenn er nun nicht höflich gegen Dich gewesen wäre, was würdest Du gesagt haben?« sprach mein Oheim. ––
»Ey. Höflichkeit und das, was man galant nennt, ist weit verschieden. Ich habe an seinen Blicken bemerkt, daß er mich, auch so gar meiner eignen Person wegen, seiner Achtung würdig hielt. Diese flüchtigen Blicke, in denen er den Kenner des Schönen und Artigen zeigte, ohne seine edle Kälte dabey zu verlieren, waren meiner feinen Eigenliebe viel schmeichelhafter, als wenn er mir schöne Tändeleyen gesagt hätte, die, unter uns sey es bemerkt, noch keinem einzigen Menschen einen Funken Ruhm erwarben, und auch keinen besondern Aufwand von Geist erfordern; sonst würdet Ihr Männer
Cleberg und mein Oheim lachten herzlich über mich. »Aber Rosalia!« sagte mein Oheim, »Cleberg suchte doch auch artig um Dich zu seyn und schöne Sachen zu sagen. Warum äussertest Du diesen Widerwillen nicht auch gegen ihn?«
»Ich weiß nicht mein Onkel, ob es edler Stolz seiner Seele, oder feine Kenntniß meines Charakters war, was ihn verhinderte, meine Achtung und meine Liebe mit dieser
Cleberg umarmte mich. »Meine liebe, sonderbare Rosalia! sieh ich will Dir was bekennen. Schon vier Jahr liebst Du mich; – Du bist nun mein! Aber Deine Hochachtung für meinen Charakter und meine Denkungsart, ist mir so werth, daß ich untröstlich wäre, wenn ich diese Gesinnung in Deinem Kopf und Herzen vermindert sehen sollte. Denn unsre Verömdung soll in Nichts den Gang der Leute nehmen, die Du Alltagsleute nennst. – Du bist kein Alltagsweib, und ich schmeichle mir, auch eine gleiche Ausnahme unter jungen Männern zu verdienen; so wie ich sicher bin, immer süsses, wahres Glück des vernünftigen Mannes, in meinem Leben mit dir zu genüssen, wenn auch schon diese reizenden Wangen welkend, Dein Auge matt und die schönen kastanienbraunen Haare silberfarb seyn werden. Laß mich nur immer
Er wandte sich gegen meinen Oheim und faßte eine seiner Hände, während er mich mit einem Arm umschlungen hielt. »O, mein Oheim! Ehrenstellen und Vermögen, die ich durch Sie erhalten habe, sind der geringste Theil meines Glücks. Aber Wahrheit und Stärke Ihrer Seele, die Sie in Rosalien, neben weiblicher Feinheit des Gefühls, und zärtlicher Liebe pflanzen konnten, – das, das macht mich selig.« ––
Sagen Sie, liebe Mariane! war das nicht eine schöne Stunde meines Lebens, die mir allein meine Reise nach C** auf ewig werth machen muß? ––
Ich machte bey allen Damen Besuche, und habe es gestern bey Mademoisell Bogen in zahlreicher Gesellschaft erzählt. Alle, Alle haben mir auf das gütigste begegnet, mir meinen Besuch erwiedert; eben so, wie Frauenzimmer meines Standes mir viele Höflichkeit und Begierde nach meiner längern Bekanntschaft zeigten. Da waren nun bey den Bogens einige Personen die mir sagten: ––
»Wir wollen billig seyn,« sagte ich. »Wenn wir nun in einer Gesellschaft sind, wie diese hier, würden wir es gerne haben, daß sich Leute von andern unter uns stehenden Klassen zu uns drängten? würden wir nicht auch näher zusammen rucken, um unsre Plätze unvermischt zu erhalten? – Ich für meinen Theil habe gar nichts gegen die eingeführte Rangordnung zu sagen, und bin aus Erfahrung überzeugt, wenn man dem Adel seine gerechten Vorzüge läßt, und zeiget, daß man sie erkennt, und von ihm nicht mehr fordert, als uns gebühret: so ist er gewiß auch gegen uns gesinnt, wie es Klugheit und Billigkeit wollen. Unser Spotten und Tadeln ihres Stolzes ist lächerlich und fließt auch aus übertriebnem Hochmuth. – Natürlicher Weise faßt der Stand des Adels, so wenig als andre lauter verdienstvolle Personen in sich; aber ich kenne Viele? die in Wahrheit den Adel der Seele mit dem Adel ihres
Vielleicht, meine Mariane, hab ich zu lebhaft widersprochen. Aber ich kann nichts Unrechtes, und nichts niederträchtig Hoffärtiges leiden. Es ist in Wahrheit unbillig, wenn wir zu sehr auf den Ahnenstolz losziehen. Denn sagen Sie, ist nicht eine ganze Nation auf den Namen und Ruhm eines Mannes stolz, der in Wissenschaften oder großen Thaten sich vorzüglich merkwürdig machte? – Ist nicht die Privatfamilie stolz, in deren Schoos er erzeugt wurde? – Nun so geht es denen, die seit Jahrhunderten den Namen eines ruhmwürdigen oder mächtigen Mannes führen. Daß sie manchmal dieses Gefühl übertreiben, ist wahr und empfindlich; aber wann, in was, ist jemals eine Leidenschaft im Gleichmaaße geblieben? ––
Hier, meine theure Freundinn! wieder ein Blätgen mehr, und einen Tag weiter. Wenn es so fortgeht, so muß ich Ihnen in Zukunft nur halbe Briefe schicken, oder alle Vierteljahr
Dieser hier, ist von Cleberg gelesen worden. Er kam freundlich, aber zu einer mir unverhoften Stunde, in mein Zimmer, fragte, an wen ich schriebe? Ich sagt es. Er bat mich, ihm etwas davon zu lesen; ich that es. Er schien zufrieden, hielt sich aber besonders bey dem Zuge auf wo von Alltagsleuten gesprochen wird. – Ich fragte ihn da, ob es ihm Ernst gewesen, als er mich versicherte, daß ihm meine Hochachtung eben so werth sey, als die von Fremden oder von einem Manne? »ja meine Liebe! sie ist es mir in Allem, was edles und feines Gefühl der Seele betrifft; weil Du von Allem, was menschliche Gesinnungen angeht, große und richtige Begriffe hast, und weil ich, in meiner Klasse, einer der besten Menschen seyn möchte, und Du, als die nächste Zeuginn meines Lebens, mich durch Beyfall belohnen, oder durch eine
Ich war gerührt, erstaunt und glücklich, alles zugleich; nahm seine Hand, die eine der Meinigen hielt, druckte sie mit beyden Händen an meine Brust, sah mit Zärtlichkeit ihn an: »Theurer Mann! Du heiligest den Werth, den, ich gesteh es Dir, meine Eigenliebe auf mein Herz und auf meinen Kopf gelegt hatte. Ich darf also Dich beobachten, Dir Freude zeigen, wenn ich Gedanken und Handlungen von Dir sehe, die den edlen, rechtschaffenen Mann bezeichnen, wenn ja Feuer des männlichen Charakters in gewißen Anlässen Dich zu einer Heftigkeit führte, die Deiner unwerth seyn könnte. – Mein Cleberg hat also die kleine, niedrige Besorgniß nicht, daß feine beste Freundinn stolz werden, oder sich in Etwas über ihn erheben möchte, wenn er ihr manchmal eine Bitte für sein Wohl und seine Ruhe zugestünde.« –
»Salie! diese Besorgniß könnte nur ein Mann haben, dessen Seele durch Eitelkeit, und Eigendünkel so eingeschränkt und verblendet wäre, zu glauben, daß er niemals fehlen könne; und dieser Mensch würde
»Das will ich, bester Mann! Sage mir nur, was Dir angenehm ist.« ––
»Noch Alles, in Allem,« – sagte er lächelnd, indem er mich vom Kopf bis zu den Füssen beschaute; und dann zu Otten ging, den er mit Julien zum Abendessen brachte. – Dünkt es Sie nicht, daß auf diese Art das Glück meines Lebens dauerhaft seyn wird? Ich will schön, recht schön auf kleine Sachen Achtung geben, nie keine rügen, die sich nur auf mich beziehen, nur mir empfindlich wären; –– sondern bloß, was Andre, und die Ruhe und den Ruhm von Clebergen angehen kann, keine von meinen Pflichten versäumen, und, wie mich die van Guden schon belehrte, immer in meinem Hause am liebenswürdigsten seyn. –
Es freut mich, daß der Ton meines Hauses Fremden und Einheimischen gefällt, und daß man zufrieden ist, alle Nachmittage bey uns wohl aufgenommen zu seyn und gute Gesellschaft zu finden, ohne von mir eine ängstliche Erwiederung der Besuche zu fodern. – Die Ittenschen Töchter kommen nun wechselweis
Er mischte eine Menge schmeichelhafte Sachen für sie alle darunter, und die muntere junge Louise L** forderte ihn auf, ihr allerseitiger Lehrmeister zu seyn. Sie verspreche für sich und ihre Gesellschafterinnen viele Aufmerksamkeit und Folgsamkeit; aber er solle auch für die edlere Bildung der jungen Mannsleute sorgen, damit sie artige Mädchen auch liebenswerthe Bewundrer haben möchten. Sie wolle ihm auch hie und da erzehlen, was gute Frauenzimmer zu wünschen hätten, damit sie ihre künftigen Herren Meister ihren Söhnen mit gutem Gewissen zum Beyspiel anpreisen und den Gehorsam mit Hochachtung verbinden könnten. Sie hätten sich ohnehin Alle
»Sie geben mir und Rosalien eine schöne Rolle! – Salie! Du bist die Tugend, und ich, das Glück, so Dich belohnt!«
»O, die hochmüthigen Männer die! – Glück der weiblichen Tugend zu seyn!« – sagte Frau G**, »Wäre dies nur immer wahr! – aber Ihr seyd so oft nichts, als Uebung- und Zuchtmeister dieser Tugend!«
Cleberg floh hier aus dem Zimmer, mit einer Bewegung von Angst gegen Frau G**. Adieu, beste Mariane, adieu. ––
Ich bin seit vier Tagen allein. Ob ich schon von meinen Freunden und Bekanten mehr als sonst umgeben werde, so fühle ich doch, daß Cleberg, daß mein Oheim nicht da sind. Clebergs Abwesenheit macht mich einsam. O, ich liebe ihn, ich bin an ihn geheftet! – Gott sey Dank, daß mein langes Verwerfen und Wählen mich eine glückliche Verbindung finden ließ, mich, über mein Leben mit ihm, zu freuen; Schmerz über seine Abwesenheit, und Sehnsucht nach seiner Rückkunft zu fühlen! Ich habe noch dabey sichere Hofnung, daß er als ein noch edlerer Mann zurückkommen wird. –– Ich will Ihnen hier den Grund dazu schreiben. Mein Oheim hatte seit unsrer Zurückreise von C** öftere Unterredungen mit meinem Manne, über hundert Gegenstände, die sowohl den Fürsten, die Minister und die Räthe, als auch die Geschäfte und den Ton, in welchen sie geführt werden, angingen.
»Die beyden erstern Eigenschaften kenn ich in Ihnen schon lange; aber, warum setzen Sie undurchdringliche Verschlossenheit dazu?«
»Weil ich an den Höfen, die ich sah, und an den Geschäftsführern, die ich beobachten konnte, so oft Ursach fand, zu glauben, daß ihr Ansehen und der gute Fortgang nützlicher Entwürfe, viel fester und gewisser gewesen seyn würden, wenn sie ihre Leidenschaften
»Es giebt aber Leidenschaften, die uns lieben oder fürchten machen; – und beyde weiß ein kluger Mann zu benutzen.« ––
»Nicht so gut, und nicht so lange, als er seine Gleichmüthigkeit benutzen wird. Denn durch unsre Leidenschaften werden Andre Meister über uns, und lenken sie, wie es ihr Eigennutz erfordert. – Und bey einem Manne, der nah an dem Fürsten ist, wird endlich die Furcht in Haß, und die Liebe in eine Vertraulichkeit verwandelt, die beyde das nothwendige Gewicht aufheben, und seiner Person und den Würkungen seiner Arbeiten schaden; so wie die Entdeckung seiner Absichten, bösartigen und neidischen Menschen den Anlaß giebt, das Beste zu verhindern, zu erschweren und zu untergraben.«
»Aber, wenn Sie so verschlossen sind, so wird sich auch niemand gegen Sie eröffnen; und das ist doch bey einem Manne, an dem Platze, wo ich Sie denke, eine sehr nöthige Sache.« ––
»Es wird einige Zeit dauern, bis ich Vertrauen habe. Aber wenn ich nun gegen
Mein Oheim faßte ihn bey der Hand, schüttelte sie freundlich, und sah ihm lächelnd ins Gesicht: »Lieber, junger Mann! wie schnell gingen Sie den Weg zur Größe der Seele, wenn diese schönen Vorsätze einst von Ihnen anhaltend ausgeführt würden!« ––
Andre Unterredungen müssen meinem Oheim noch besser gefallen haben, weil er endlich sagte: »Rosalia! Dein Cleberg hat mir die Freude gemacht, an ihm einen würdigen Gesellschafter zu einer Reise zu haben, die meinem Herzen angelegen ist. – Du mußt mir ihn acht Tage überlassen.« ––
»Salie! ich war in Warthaußen, hatte aber das Glück nicht, Jemand von der Gräflichen Familie anzutreffen. – Sie sind in Loth- [«] [Anschlußfehler in der Vorlage]
Dem Beamten, der bey uns war, und von dem er mir viel Gutes gesagt hatte, drückte er die Hand, und sagte dabey: »Sie haben ihn auch gekannt; – ehren Sie immer sein Andenken!« ––
Damit ging er, mit schnellen Schritten, einen, mit wildwachsenden Bäumen schön gedeckten Weg, den Berg hinunter, wo unser Wagen hielt, wir Beyde schweigend einstiegen, und eine Viertelstunde davon wieder Halte machten, und in eine Dorfkirche gingen, wo er mit dem Küster etwas sprach, der ihn dann auf einen Platz in dem Chor führte, auf den Boden wies und sagte: »Hier liegt der alte Graf.« – Ich möchte mein eigenes Gefühl und den Ausdruck beschreiben können, der nicht nur, in den Gesichtszügen, sondern in der ganzen Stellung unsers Oheims war, als er einige Minuten still [Anschlußfehler in der Vorlage, M.L.]
Er schenkte dem Küster was, kniete sich schnell hin, küßte den Stein der die Gruft deckt. – »Diese Thräne des Danks und der Verehrung, ist Alles, was ich Dir geben kan«; –– sprach er mit äusserster Bewegung. – »Aber, so lang ein Tropfen Blut in mir wallet, wird das Andenken Deiner großen Eigenschaften, und Deiner Güte, Deinem L. R** heilig seyn!« ––
Dann stand er eilig auf, ging fort, und ich saß fast eine Stunde neben ihm, eh er ein Wort sagte. Endlich fing er an: »Nun ist mir wohl! – ich habe noch einmal den Ort gesehen, wo der Mann lebte, dem ich den Anbau meiner Talente, meines Charakters, und meines Glücks schuldig bin. Wär aber auch all dies nicht, so freute michs immer, in ihm einen wahren Edlen von Deutschland gekannt zu haben, der seinem Vaterlande, seinem Stande und jeder Stelle, die er bekleidete, Ehre machte.« – Nach einigem Schweigen fuhr er fort: »Wie viel Menschen- und Sachen-Kenntniß hab ich
Hier schwieg er wieder lange, in Gedanken verhüllt; – endlich faßte er mich, mit einer Hand, und sagte ganz Ernst: »Ich weiß nicht, was für eine Würkung diese Reise und diese Scene auf Ihre Seele machen; – aber lassen Sie mich den Wunsch sagen, daß bey dem Grabmale dieses Mannes der große Borsatz in Ihnen bekräftigt werde, ein rechtschaffener, und um das gemeine Beste verdienter Mann zu werden! –– Es ist ein Beweis meiner Achtung und Liebe gewesen, daß ich Sie mit nahm. Nun sind meine Reisen zu Ende; ich will auch Ruhe und
»Salie! Du kennst das Herz, das so ganz Dein gehört; – Du kannst Dir das Gelübde denken, so ich Deinem Oheim ablegte; – und, Liebe! Du sollst erfahren, daß ich es niemals brechen werde.« ––
O Mariane! wie viel Wiedererinnerung hat dieser Brief von Cleberg in meine Seele gebracht! – Ich habe auch wieder Gelübde erneuert, von Allem was ich Edles und Gutes, in meinen Lebensplan bringen kan. – Es wär auch schrecklich und unverantwortlich, wenn ich, nach so vieler Gelegenheit die besten
Immer will ich Hochachtung verdienen, von Ihnen, Edelste, Beste; und von den unschäzbaren Freunden, die zerstreut von mir, auf dieser Erde wohnen, und denen mein, für Tugend und Verdienste so fühlbares Herz, Verehrung und Liebe gewidmet hat. ––
Ach, Mariane! es ist gewiß nichts vollkommen, weder Glück noch Tugend. Ich erfahre beydes an mir selbst. Mein Cleberg und mein Oheim kamen vergnügt von ihrer Reise zurück; meine Freude sie wieder zu sehen, wurde durch ihre beyderseitigen Erzählungen von dem, was sie gesehen und gehöret, was mein Oheim an Clebergen lobte, und dieser von der Güte des Erstern rühmte, unendlich vervielfältigt, und ich wollte Ihnen Alles das recht schön, in meiner ersten Entzückung schreiben. – Aber da wurde mein Oheim krank, sehr krank, und ist noch so, daß ich seine Reise zum Grabe seines Wohlthäters, als eine Vorbedeutung seines eignen Todes ansehen kan. – Der Himmel und Sie kennen mein Herz genugsam, um die Aufrichtigkeit meiner Sorgfalt und Wünsche für die Erhaltung meines Oheims zu glauben. Aber, nun kam ich auf die Probe über mich selbst. –
Es ist mir leid; mein guter Oheim tröstet mich, und dankt mir für Thränen und für Unruhe, die nicht für ihn allein sind. Cleberg will mich stärker und gelaßner haben, – und ach! der Himmel vergeb es mir, ich habe gewünscht, daß mein Oheim überwunden hätte und nicht mehr litte! – Es war aber nicht so ganz rein der Gedanke, daß er nicht mehr leiden möchte, sondern auch der, daß ich alsdann zur van Guden eilen könnte. – Sagen Sie, o meine Mariane! sagen Sie, kann ich mein Herz von den Vorwürfen befreyen, die ich mir darüber mache? – Hätten Sie, hätt ich selbst jemals gedacht, daß das Gefühl meiner Dankbarkeit, und meiner kindlichen Liebe für meinem so gütigen, liebreichen Oheim, bis zu diesem Grade unterbrochen werden könte! – Ach! liebe, liebe Freundin! und dann maße ich mir das Recht an, die Unvollkommenheiten Andrer zu beurtheilen, im Stillstande meiner herrschenden Leidenschaften Andre zu tadeln, die durch die erregte Unordnung in ihren
Mein Kummer über meinen Oheim, und die Beängstigung, welche ich über die van Guden bezeigte, machte Clebergen unruhig. Er umarmte mich und sagte mir so gütig, so gütig und so männlich dabey: »Liebe Rosalia! ich bete Sie wegen ihrer zärtlichen und starken Empfindungen an. Es war der Grund meiner Liebe und des Wunsches, mit dem Herzen der Einzigen mein Leben zuzubringen. – Aber, o meine theure Liebe! bemühen Sie sich, Alles, was Schicksal, was Folgen der Gesetze der Natur, und nothwendige Folgen erster Schritte, in Begebenheiten sind, mit ruhiger Unterwerfung und Muth zu tragen; sonst zittre ich, Sie und mein Glück nicht lange zu geniessen!« –
Ach, Mariane! mich dünkt, ich habe Muth für meine Leiden; aber für die von meinen Freunden habe ich keinen. Lehren Sie michs haben!
»Ich kann Ihnen, liebe Rosalia, auf Ihren letzten Brief nicht viel sagen. – Ich
Meine Freundin! ich athme wieder, aber meine Brust ist sehr, recht sehr abgemattet. – Es war zu arg, zu überfallend! – Ich werde Ihnen erzählen, wie Jemand der aus einem ruhig schwimmenden Boot durch das jähe Anstossen auf einen verborgnen Felsen, in die See stürzt, für Schrecken seine eigene Kräfte nicht gebrauchen kan, – und halb durch die Wellen selbst, halb durch mitleidige Hände an das Ufer gebracht wurde, noch in den nassen Kleidern zittert, und selbst seine Rettung noch nicht glauben kann. Das Aeusserste von meiner Vernunft und meinem Herzen ist geschehen. – Hofnung und Furcht, Zweifel und Ungewißheit, sind alle weit von mir! – O Rosalia! denken Sie sich, was ich Ihnen von Pindorf erzählte; denken Sie, was meine Liebe für ihn noch war, als ich von Ihnen reiste, seine Kinder zu besuchen und hier die Gegend zu sehen, von welcher er mit so vieler
Ich hörte die Antwort nicht, sondern eilte in mein Zimmer zurück, weiß aber nicht, wie ich hin kam. – Gott, – Pindorf! er! – edel, einnehmend, Alles, was seine Person ehmals mir war! –– dieses Gefühl war Rausch, und Taumel. –– Der Gedanke: zwey Damen mit ihm! war Schlag, betäubender Schlag. – Eine gewiß seine Schwester; – aber die Andre! was ist die? –– Dunkel erschien es in meiner Seele, das Bild einer zweyten Gemahlin Pindorfs, – aber ich wand mit Abscheu und Schmerz mich davon ab, und hing mit verwirrten Ideen und Empfindungen an ihm, – allein an ihm! – Ach Rosalia, Gott sey Dank, daß er vorbey ist, der Jammer, der mich zerreist! – es ist über alle Beschreibung. – Wer? o, wer schriebe, was ich fühlte, als Wolling halb ausser Athem zu mir kam: »Kommen Sie, meine Wohlthäterinn, Herr von Pindorf ist da! – ihm hab ich Ihre Güte zu danken. – Er hat seine Gemahlin, und Schwester
Ich weiß nicht; wie die Bewegungen unsrer Seele in gewissen Augenblicken sind. Aber ich glaube, so wie mir da war, so ist die Ruhe derer gewesen, die durch unbewegliche Anhänglichkeit an eine Parthey, ihr Leben auf dem Schavott verlohren, und noch Anreden hielten. ––
»Lieber Herr Wolling,« sagt ich mit Ruhe, »ich kann und ich will weder die Damen noch Herrn von Pindorf sehen, niemals, mein Freund, – niemals! – – Ich bitte Ihn, sag Er, daß ich Niemand sehe. Weise Er ihnen Alles; – sag Er alles was Er will, nur nicht viel von mir. Mein altes Schlafzimmer soll aber Niemand sehen, als Herr von Pindorf, nur er!« ––
Wolling faltete seine Hände, sah mich an: »O Gott! was seh, was errath ich erst jetzt!« Ich reichte ihm freundlich die Hand. –– »Es ist gut so, lieber Herr Wolling. –– Sorg Er für unsre Gäste; – hernach soll Er Alles, was ich hier verborgen habe, von mir hören.« – Er sah fest und wehmüthig
Er ging. – Was ich that, weiß ich nicht; aber ich war gewiß elend, unbegreiflich elend. Beynah zwey Tage fragte ich gar nicht und Wolling sagte nichts, aber er war tiefsinnig und traurig, seine Frau ängstlich. – Die Kinder hatten kaum das Herz zu sprechen; – meine Meta blickte mit thränendem, gesenktem Auge nach mir; – das Gesinde ging niedergeschlagen herum. – Ich hatte Trost nöthig: das allgemeine Leidwesen drückte mich noch mehr! – Tugend wohnte hier, übende zufriedne Tugend; – und meine aufs neue erweckte Leidenschaft störte in all diesen unschuldigen, guten Herzen, den Genuß ihrer Freude und ihres schuldlosen Lebens? – Ach, wie dank ich Gott für die lebhafte Empfindung die er mir für Recht und Wohl meines Nächsten gab, weil dieses immer meine Seele und mein Leben rettete. – Ich ertrug den Gedanken nicht, den Ausdruck des Wohls und der Freude bey meinen Wollingen erloschen zu sehen, und bat ihn den zweyten Tag Abends, mir zu sagen, warum er so traurig mich anblicke,
Er antwortete mit Bewegung: »Ach, Sie! – Er! – die mich und meine Lotte so selig machten, Sie Beyde so unaussprechlich elend zu sehen, das verbittert mein ganzes Leben!« ––
»Wie so, Herr Wolling? – Bey mir ist nun Alles Ruhe. – Ich liebte Pindorfen, so lang ich ihn kenne; – ich wünschte, ich hofte ihn; – das Schicksal wollte es nicht. Die Vorsicht segne ihn, auf immer!« ––
»Ach! dieser Segen kommt zu spat, – er hilft ihm nichts mehr.« –– »O, Herr Wolling was will das sagen? – das muß ich wissen! – wie weiß Er das?«
»Aus dem Jammer, aus dem Wahnsinn, der ihn befiel, als er Ihr Zimmer und Ihre Zeichnungen erblickte. – Blaß und betroffen sank er auf einen Stuhl, nahm meine Hand: Wolling! wo ist die Person, die diese Zeichnungen machte?« sagte er. ––
»Sie wohnt in meinem Hauß'.«
»Hier; in Wollinghof!« ––
»Ja, seit zwey Jahren; und ihr hab ich all mein Glück zu danken. Sie hatten ihr
»Meine Rückkunft erwarten! – o, van Guden! wie bin ich verwickelt!« er schlug sich mit beyden Händen vor den Kopf. »Vor drey Monaten hätt ich noch glücklich seyn können!«
Nachdem mußte ich ihm sagen, wie Sie zu uns gekommen waren? – Was Sie bisher gethan, und wie Sie leben. – »Wohnte Sie in diesem Zimmer?« – –
»Ja, bis das Haus gebaut war:« – Er »hatte sich, während ich redte, auf den kleinen Tisch gesezt. Endlich stand er auf, betrachtete mit thränenden Augen den Platz, wo ich ihm gesagt, daß Ihr Klavier gestanden, blickte auf Ihr simples Bettgen und ging nah an die Wand, wo Ihre Zeichnungen von Rom und England sind; legte seinen Kopf an eins, und breitete beyde Arme über die andern aus. – Nach wenig Augenblicken warf er sich auf den Boden, küßte die Schwelle Ihres Schlafzimmers; – – »Wolling! sagen Sie dem Engel, daß ich mit Todesraserey ihre Fußstapfen küßte.« –
Des andern Tages war er wieder da, in aller Frühe. Wolling mußte ihn in mein altes Zimmer führen. Dort erzählte er ihm Alles, von sich und mir; – wehklagte, daß er mich nicht mehr in Holland gefunden, verwünschte sich und seine Schwester, die ihn wegen der Schulden, in die sein Garten und Hausbau ihn gestürzt, zu einer reichen Heyrath übertaumelt habe; – daß schon meine Geschenke an seine Kinder sein Herz zerrissen hätten. – Nun wünscht er, noch einmal mich zu sehen, und in meinem Zimmer zu sterben.
Verzeihen Sie, Rosalia! aber ich weinte sehr bey dieser Erzählung, und das war glücklich; – denn ich hatte noch nicht geweint. Mir wurde leichter – und ich sagte Wolling meine Besorgniß, daß Pindorf mir auflauren möchte; daß ich ihn noch nicht sehen könnte, und auch an seiner Frau, die ihn liebte, keinen Raub begehen wollte. Ach! wenn sie edel ist, wie Amalia von T** gegen das
Rosalia! fühlen Sie nicht, wie glücklich Sie bey dem Loose Ihres Lebens sind? –– Segnen Sie, o segnen Sie die Hand, die Sie leitete, und mit dem Beyfall der ganzen Welt an das Ziel Ihrer Bestimmung führte, Gattinn, – Freundinn und Mutter zu werden. – Nicht alle Ihre Tage werden heiter seyn. – Aber das Zeugniß erfüllter Pflichten in ihrem Herzen; das Zeugniß derer, die Sie handeln sehen, wie süße Beruhigung gießt dies über jede Bekümmerniß des Lebens aus! glauben Sie, ausserordentliches Glück, ausserordentliches Schicksal, haben eisernes Gewicht, das oft zu Boden drückt! – Aber ich will mich zur Rechenschaft ziehen, über jede Kenntniß, jede Erfahrung, und jeden Theil meines Wohlergehens; und will nicht mehr eigensinnig, nicht mehr undankbar seyn. – Aber
Rosalia! Morgen, morgen seh ich ihn! Seine Ruhe wills. –– Wolling soll Zeuge seyn. –– Ich will ihn bey der alten Hütte sehen am Bogen, wo man das ganze Thal vor sich hat, – auf dem Platze, wo Wolling den edlen Muth hatte, seiner Lotte zu entsagen.
Sie ist vorbey; meine Unterredung mit Pindorf! – Sie ist vorbey; und mit ihr alles Wünschen, alles Hoffen so vieler Jahre. – Aber ich habe meine Ruhe wieder, und diese ist doch das größte Glück, des müde gelaufenen Menschen. – Ich will Sie nicht mit der Erzählung alles dessen plagen, was noch seit seiner ersten Erscheinung auf meinem Berg, durch den immer vor mir schwebenden schwarzen und niederdrückenden Gedanken seines zweyten und gänzlichen
Es war mir lange unmöglich, an eine Unterredung mit Pindorf zu denken; mir schauderte immer davor; aber Wollings Abschilderungen des zunehmenden Weh und Kummers von Pindorf, und die Betrachtung, daß er auch beynahe Nichts, von aller meiner sonderbaren Zärtlichkeit für ihn gewußt habe, – dieß bewog mich endlich seiner Ruhe zu Liebe, und auch der Meinigen, wäre sie auch durchs Leiden zu erringen, vor zehn Tagen zu dem Entschluß, ihn zu sprechen. – Er wünschte, daß es in meiner alten kleinen Wohnung, zwischen den Schloßmauren seyn möchte. Aber, das konnte ich nicht; die vielfache Abbildung seiner Person, die die beyden Kämmerchen ringsum ganz bekleiden; die Aussicht auf die Stadt W; – die Erinnerung jedes Seufzers um ihn; alle das wäre mir zu nahe gewesen und hätte mich vielleicht zu sehr erweicht – oder auch zu einer bittern Empörung gegen ihn
Ich eilte itzt Pindorf entgegen, der sich auf einen Arm gegen die Mauer stützte. Wie edel, o, wie höchst edel war diese Stellung! und wie viel vermehrte sie meine Uebel. Wolling blieb zurück; ich faßte mich, so viel ich konnte, nahm Pindorfs matte, da liegende, eine Hand; setzte mich neben ihn, konnte aber nicht sprechen, sondern blickte ihn an, mit Augen voll Thränen. Schnell wandte er sich, und faßte nun meine Hand in seine Beyden, ließ seinen Kopf darauf sinken, seufzte und weinte dabey. Ich unterbrach Ihn lange nicht, weder durch eine Bewegung meiner Hand, noch durch einen Laut meiner Stimme. Ich war froh, die ersten Augenblicke so vorüber gehen zu sehen. Endlich legte ich meine freye Hand auf seinen Arm:
Theurer Pindorf! fassen Sie sich: Schonen Sie Ihre arme van Guden!
O van Guden! was soll ich von alle meinem Elende sagen? meinem unaussprechlichen Elende!
Sagen Sie alles, was Sie wollen, was Ihr Herz erleichtern kann. Es lebt Niemand (sagte ich mit Thränen, und mit Erhebung seiner Hand an meine Brust) Niemand der mehr Antheil an Ihnen nimmt, als ihre Freundinn van Guden!
Freundinn van Guden! wiederhohlte er, mit einem sonderbaren Tone, und schwieg wieder lange. – Endlich fing er an:
Ich kann unter diesem Namen nicht mit Ihnen reden; ich kann nicht; ich muß Sie
Ach, Rosalia; wie sonderbar ist das Herz der Menschen. Er konnte mich nicht mit dem Namen eines Mannes denken, dem ich verwählt gewesen war, und dachte nicht daran, daß ich ihm als Mann von zwey Frauen nach einander vor mich sehen mußte! – Schreiben uns die Männer weniger Feinheit im Lieben, oder weniger Ansprüche zu?
Nennen Sie mich immer ganz freymüthig Sophie Hafen, denn ich bin's, ob ich schon van Guden heisse! –
Rosalia! dieß sagte ich! ich, die so klug seyn konnte; die so edelmüthig, so feindenkend zu seyn glaubte! O meine Freundin! auf wie vielerley Art führen uns Leidenschaft und Eigenliebe irr und übel. Pindorf war, glücklicher Weise, gar nicht gefaßt genug, um diese Unvorsichtigkeit zu bemerken, aber ich fühlte sie so lebhaft, daß ich mir gleich die strengste Beobachtung meiner selbst vorschrieb, – dem verwittweten Pindorf hätte ich dieses kaum sagen dürfen, und ich sagte es dem, der eine zweyte Gemahlin hatte. – Ach, Rosalia!
Pindorf war aufgestanden, blickte voll Liebe mich an; griff mit seinen beyden Händen nach den meinen.
Sagen Sie, Sophie, sagen Sie! würden Sie mich jedem andern Mann vorgezogen haben, wenn ich so glücklich gewesen wäre, Sie, in den Tagen meiner Freyheit anzutreffen. –
Ja, Pindorf! ich hätte Sie vorgezogen, der ganzen Welt vorgezogen! –
Er drückte meine Hände einen Moment, ließ sie gehen, wandte sich um, und legte sich auf seine verschlungene Arme, mit dem Gesicht über die abgefallene Mauer hin. Ich gerieth darüber in die äusserste Verlegenheit; schwieg auch wieder eine Zeitlang, und rief endlich:
Pindorf! kommen Sie! lehnen Sie sich auf den Arm der Freundschaft und Tugend! Sie sollen beyde unzertrennt in meiner Seele finden. Gönnen Sie mir das Glück, etwas über Sie zu vermögen!
Er antwortete nicht, sondern drückte seinen Kopf fester auf seine Arme – Er jammerte mich, und ich dachte auf ein Mittel – seinem
O, mißgönnen Sie mir dieses Glück nicht! Bereuen Sie es nicht! Denken Sie, daß es Alles ist, was ich von meiner Liebe für Sie habe!
Er sah mich hier unaussprechlich traurig an, und rang die Hände. Nach einigem Schweigen sagte er wieder: – Was ich ietzt leide, ist viel, viel bitterer, als das, was ich in Brüssel bey meiner Trennung empfand, nachdem ich so viele Monate lang alle Reitze Ihres Geists und der Güte und Anmuth Ihres Umgangs genossen hatte. – Auch der Schmerz, den ich einmal in Holland fühlte, als ich von ungefähr in van Gudens botanischem Garten herum ging, Sie erblickte, und von dem Glücke reden hörte, das Sie auf alle Menschen ergossen, die sich Ihnen näherten: – Auch dieser Schmerz war lange nicht so wüthend, wie der, so mir ietzo das Leben kosten wird – Sie liebten mich Sophie! Sie liebten mich, Sie hätten mich vorgezogen. Ach, ich hofte diese Antwort; ich hofte sie, nach den Merkmalen von zärtlicher Erinnerung an
Er war weit davon, zu denken, was ich da fühlte, als während seiner Rede, das Bild von seligen Tagen vor mir stund, die ich mit dem Edlen, Guten würde verlebt haben. Ich achtete ihn aber bedaurungswürdiger, als mich, und suchte auch nur für seine Beruhigung zu sorgen; und glaubte, daß, da er schon so lang hätte reden können, möge sein Herz etwas erleichtert seyn. Ich wollte diese Beobachtung nutzen. Ich war der Tugend und Feinheit des Gefühls einen Ersatz schuldig, wegen meiner Unbesonnenheit, und nahm gleich diesen Anlaß dazu, ihm zu sagen.
Lieber Pindorf, ich kenne das Hülfsmittel, das mich und Sie beydemal rettete, und glücklich erhielte. Es hat noch seine Kraft, und muß sie an unsern Herzen beweisen; denn wir lieben die Tugend viel zu aufrichtig, um Ihr nicht in allen Gelegenheiten zu folgen. –
Bey unserer Ersten Trennung wurden wir beyde durch das hohe Gefühl des Gedankens unterstützt, daß Sie Ihren Pflichten gegen
Ich schwieg hier etwas .... Nun! mein theurer Freund, jetzo –
Sophie! unsere Thränen vereinigen sich!
Siehe! sagte er, da er zugleich sich aufrichtete, und auf einen Tropfen deutete, der von meinem Gesicht auf einer Falte meiner Schürze hinfloß und eine Zähre, die von seinem Aug geträufelt war auffaßte. Mit schmachtenden Blicken sah er auf mich, seine Lippen bebten; es kam Angst und Betäubung in meine Seele, aber mein guter Genius umschwebte mich, und ließ mich ihm sagen –
Ja, Pindorf! und sie sollen vereint der edelmüthigen Entsagung unserer Liebe geweyht seyn! Lassen Sie mich in Ihnen einen verehrungswürdigen Freund besitzen, so wie ich Ihnen – Ihrer und meiner Liebe,
Ich hatte eine seiner Hände mit meinen beyden gefaßt und an mein Herz gedrückt. Meine Seele war erhaben und stark, so sehr sie auch mit Zärtlichkeit angefüllt schien.
Ich sah umher und sagte: Himmel und Erde sind Zeugen dieses neuen edlen Bundes unserer Seelen; Lassen Sie beyde, für jeden künftigen Tag, Zeugen von der Wahrheit unserer Tugend seyn!
Hier umschlang er meinen Arm und rufte: entsagen soll ich, Ihrer und meiner Liebe, in dem Augenblicke des Wiedersehens? ach, Sophie, ich ertrage diese Härte nicht! Da stund ich auf. – So muß ich fort, Pindorf, und darf auch in Zukunft Sie nicht sehen, und was mich am meisten grämt, ich werde auch einen süssen Entwurf meines Herzens aufgeben müssen. Schnell fragte er: – was! – was für einen süssen Entwurf! habe ich Antheil daran! wird das Süsse auch für mich Armen seyn? – Ich möchte Ihre Tochter erziehen, wenn Sie und Ihre Gemahlinn mir das liebe Kind anvertrauen wollten.
Stumm hüllte er seinen Kopf in meine Schürze und bat mich endlich, sie ihm zuschenken. Ich weigerte mich lang, aber müßte dennoch nachgeben. Mit Entzücken küßte er sie auf den Stellen, wo er dachte, daß sie von meinen Thränen benetzt gewesen und legte sie zusammengewickelt auf seine Brust:
Ihre Thränen – die Meinige –
Ich unterbrach ihn mit der Frage: werden Sie mir Henrietten bald geben?
Ach, wenn Sie wollen! Ich will also in acht Tagen kommen, um sie abzuholen, ich stund auf und setzte hinzu, versprechen Sie mir, daß ich Sie mit einem ruhigen Herzen finden werde, sorgen Sie für Ihre Gesundheit und auch, ich bitte Sie, für das Wohl meiner Tage.
Sie haben lange nichts von mir gehört, schreiben Sie; Sie sind darüber unruhig und bekümmert. Dank sey Ihnen, für Ihre immer gleich daurende Freundschaft, und mein langes Schweigen vergeben Sie mir!
Den ersten dieser Briefe hätte ich schon vor zwölf Tagen abschicken können; aber, da er Ihre Neugierde nur gereitzt, und nicht ganz befriedigt hätte, so dachte ich, daß Sie eher mein längeres Schweigen, als die Ungeduld nach dem Ausgang meiner Reise, um Henriette Pindorf ertragen würden; und heute kann ich Ihnen von allem genaue Rechenschaft geben. – Pindorf sah nicht gerne, daß ich selbst in sein Haus kommen, und die Kleine abholen wollte; aber ich hatte vielerley Ursachen, darauf zu bestehen. Ich wollte ihm beweisen, daß reine, ruhige Freundschaft in meiner Seele Platz genommen habe. Ich
Ich ließ in meinem großen Zimmer, das Sie kennen, auf der Seite gegen das Ihrige einen Abschnitt machen, wo ich für Henriette Pindorf eine Bettstelle, und zwey kleine Cabinette anordnete; denn sie soll Tag und Nacht um mich, und unter meinen Augen seyn; und dann ging ich vor vier Tagen mit Wolling in meinem simplen, aber sehr schönen englischen Reisewagen, ganz früh nach Pindorfs Landgut ab, um dort zu essen und Abends zeitlich wieder hier zu seyn; wo, durch unsere Bauren und Wollings Kinder, ein kleines Willkomms-Fest, für Henriette Pindorf veranstaltet war. – Meine weiß seidene, ganz englische Kleidung, mit Hut, Halstuch, Schürze und Manschetten von den feinsten Spitzen besetzt; die großen einfachen Brillanten meiner Ohrringe; die schönen Schnüre Perlen um meinen Hals und Hände, die auch durch Brillanten geschlossen werden, mußten mir, bey den Alltagsseelen, deren Verdienste und Glückseligkeit, am äusserlichem Anschein klebt, mehr Gewicht geben, als Weisheit und Güte in ihrem vollen Glanz nicht gethan hätten. Wolling hatte in
Sie wissen, daß ich den ganzen Brief Ihres Clebergs abgeschrieben habe, welcher das Gemählde von Ihrer Reise nach W. und dem Pindorfischen Garten enthält. Der Weg von Wollinghof führt gerade nach dem alten Wohnhaus und Baurenhof zu, wo wir, da es noch sehr früh war, abstiegen, etwas Milch aßen und alles betrachteten; endlich in den Lustgarten
Ich ging ihnen in die halbe Allee entgegen und sah mit Bedauren den überladenen Kopfputz der artigen Henriette, die unter einer Last von Federn, Bändern, Flor und welschen Blumen, ihr kleines Köpfgen schwankend bewegte, einen Reifrock, eine Schleppe am Kleide und Blonden und Falbala die Menge an Hals und Armen hatte. Die Söhne, in steifen gestickten Kleidern, sehr frisirt und gepudert, Degen an der Seite und die Hüte mit
Gut; dachte ich, liebes Mädchen, wie froh wirst du unter meinen zärtlichen Händen seyn, die dich nichts als den sanften Zug der Liebe werden fühlen lassen!
Ich eilte mit ausgebreiteten Armen auf sie zu, blickte alle mit der Frage an: –
Kennen Sie mich noch?
Liebe Madame! ich geh recht gern mit Ihnen, fragen Sie nur Papa und Mama, und die gnädige Frau Tante; ich habe gar nicht geweint, wie es der Papa sagte, ich freute mich gleich!
Ihre kleine Hand lag da vertraut auf meinem Halse, und treuherzig hatte sie dieses mir ganz nahe zugeredt.
Mein Bruder Gustav, sagte sie mir leise ins Ohr, gienge auch gern mit!
Ich beobachtete im nämlichen Augenblick, daß der arme Knabe wieder einen Kniff von seinem Hofmeister bekam, weil er sich von uns weggewendet hatte, und zu gleicher Zeit zupfte die Wärterinn an der Henriette: pfui! Sie
Nun, Junker Gustav, wenn werden Sie Ihre Reverenz machen?
Ein Zug von Eigensinn, Schmerz und Furcht, ging durch das Gesicht des Knabens, und es ist wahr, er machte eine sehr schlechte Figur bey seiner Verbeugung gegen mich, so wie ihm denn auch der Hofmeister einen stark drohenden Wink darüber machte. Junker Gustav wurde über diesen Wink blaß und roth; näherte sich seiner Schwester und sagte mit bittender Mine ihr etwas ins Ohr. Henriette
Junker Gustav, wir sollen ja den gnädigen Papa aufsuchen.
Die zwey Söhne gingen auch mit ihm hinweg, nachdem er der Wärterinn Etwas zugeflüstert hatte, die sich immer noch an die junge Pindorf hielt. Ich that, als ob ich alle das nicht bemerkt hätte, und fragte nur Henriette, ob sie mich auch würde erkannt haben, wenn ihr der Papa nichts gesagt hätte?
O ja; an Ihrem Hut, an Ihrem Gesicht – und weil Sie die Hände gleich nach mir reichten, wie Sie das Erstemal auf der Stiege im Stadthause thaten. Es ist noch keine Dame so gut mit mir gewesen wie Sie!
Was sagen Sie, Fräulein Jettchen, sind nicht die gnädige Damen, Mama und Tante, sehr gütig gegen Sie gewesen. – Sehen Sie nur Ihren Putz an, den hat Ihnen doch Ihre gütige Mama gegeben!
Ach! ist wahr! antwortete das liebe Geschöpf – aber, ich habe die schönen Sachen erst heute bekommen; und die alte Schnürbrust,
Alle Fräulein müssen jung so geschnürt werden. Sehen Sie nur die Madame an. –
Hier machte das elende Ding, mir eine niederträchtige Verbeugung ––
sie würde nicht so schön groß seyn, wenn sie nicht ganz klein, schöne feste Schnürleiber getragen hätte.
Ich fiel hier ein:
ich sähe, sie hätte viele Sorge für Henrietten getragen, und ich würde ihr auch ein Andenken dafür geben.
O Rosalia! wie sich da jeder Muskel ihres Leibs und ihres Gesichts zum Kriechen anschickte, was sie für Lobens machte, von dem, was sie von der alten Wärterin, die nun bey dem Weißzeug wäre, von mir und von den Geschenken gehört, die ich ihr und dem Herrn Hofmeister gemacht; sie hätte auch viel Sorge getragen, für den schönen Putztisch, den ich der Fräulein gegeben; wie lieb sie das Kind hätte, wie leid ihr wäre, es zu verlieren! aber, sagte sie leise gegen mich: die gnädige Frau waren ganz jalour über die Fräulein, denn der gnädige Herr lieben das Kind zu arg.
Sie werden wissen, Kinder machen Uneinigkeit! und die gnädige Frau hat aus Liebe für den gnädigen Herrn, all ihr Haab und Guth hergegeben! Sie werden sehen, wie kostbar alles ist. – Ganz reiche Stühle, und Betten und Canapees. – Ich habe selbst zu den fünf reichen Kleidern der seeligen Mama von der gnädigen Frau noch acht ankaufen müssen, um alle Zimmer der Herrschaft damit einzurichten, weil nur Zitz darinn war, und das stund so todt, und wenn ichs sagen soll, so armselig in dem schönen Schlosse da! (Sie wies auf das Haus). Alle die blau und silbernen Blumen-Töpfe mit vergoldeten Blumen, die zwischen den großen weißen Töpfen und Bildern stehen, hat die gnädige Frau heimlich machen und aufstellen lassen. Sie stehen sehr schöne! die auf der Gallerie blinken in der Sonne, und nun läßt das Parterre, wie eine grün atlaßene Weste mit Gold gestickt.
Rosalia! glauben Sie wohl, daß mir bey diesem Theil des Geschwätzes, eine Uebelkeit anfiel? Ich mußte Eßig nehmen und begehrte in freyere Luft, als in der Allee nicht war. Wie verhaßt wurde mir das Mensche nach diesem Zuge von unmännlicher Schwäche des Charakters, den sie an Pindorf beschrieb. Ich ging ganz nahe an das Ufer des Grabens gegen das Feld hin; hatte Henrietten an der Hand, und unvermerkt näherten wir uns dem andern Theile des Gartens, woben der Hofmeister mit den Söhnen gegangen war, um Herrn von Pindorf zu suchen. Da wir auf lauter Strassen giengen, so konnte man unsere
Ich stund still, und auf einmal drang der gute Gustav, nur in seiner Weste und Hemdeärmeln zwischen der Tannenhecke durch, zu uns, warf sich mir zu Füssen, mit aufgehobenen Händen:
O, liebe Madame, nehmen Sie mich doch auch mit, ich will alle Bücher auswendig lernen, und niemals reden, und mich bewegen! Nehmen Sie mich mit! oder ich laufe so vom Papa.
Ach, wie erschütterte mich das Flehen des armen Knaben. Pindorfs Ebenbild zu meinen Füssen. Die Güte, Schwäche und Unschuld der Kindheit, die Hülfe bey mir flehte; Henriette, die sich an mich hieng auch weinte und bat: O nehmen Sie meinen armen Gustav mit! ich bitte, bitte, ihr Köpfchen mit ihren Händchen in die Höhe haltend. Ich bückte mich und umfaßte beyde mit aller Zärtlichkeit und Mitleiden:
Ja, Lieben! ich will Euch beyde mit mir nehmen, wenn es der Papa und Mama zufrieden seyn wollen.
Gott behüte, mein lieber Gustav, wer wird das thun.
O der Herr Bärenz thuts! Sehen Sie, wie ich heute im Garten gekneipt wurde weil ich Jettchen gebeten, sie solle machen, daß ich mit ihr wegkäme, und weil ich die Reverenz nicht so schön machte, als ich sollte. – Er streifte seinen Ermel auf und, liebe Rosalia! die beyden Oberntheile seiner Arme waren blau und gelb gekniffen. – Der Unmensch vom Aufseher! Henriette streichelte mit holder rührender Mine, die neuen Flicken, die er zeigte; indem er von andern sagte: die sind alt, der ist von gestern!
O, du armer Gustav, wie web muß das gethan haben! die Jungfer Zwingen kneipte mich auch manchmal, ach, Madame, das thut sehr weh; Sie könnens nicht glauben! Und fuhr der Knabe fort, wir dürfens dem
Ich führte beyde Kinder, bey einem Durchschnitt der Hecke, in den Wald; setzte mich mit ihnen auf eine Bank. Wolling und die Wärterin kamen nach und ich bat Jungfer Zwingen, dem Junker Gustav seinen Rock zu holen. Wo liessen Sie ihn dann, sauberer Junker? sagte sie mit spitzen Gesicht, weisen Sie mir den Platz.
Der Arme holte tief Athem, sah mich ängstlich fragend an, ob er gehen solle –
Nein, mein Lieber, Er bleibt bey mir; Herr Wolling ist so gütig und hilft ihn holen:
Da sagte er, sein Rock liege am Rosengang: der Platz, wo wir sassen, war die Phasanenhecke. Wenige Minuten nachher da Wolling mit der häußlichen Dirne weg war, und die Kinder und ich ganz stille geschwiegen, kam eine welsche Henne mit acht jungen Phasanen, die sie führte. Junge Tannen-Bäume, Blumen,
Die Idee, daß Pindorfs Federvieh weit glücklicher, als seine Kinder sey, erweichte mein Herz unendlich. Ich faßte beyde, und sagte sie sollten mich recht betrachten, ob sie dann mein Gesicht alle Tage gern sehen und mich immer lieben wollten? Mit was für Ausdruck sahen Sie mich an! wie viel Wahrheit und Liebe war in ihren Augen!
Den Augenblick zappelte Henriette, die ihren Vater sah, von der Bank weg und rief: Papa, Papa! Lief aber, als er sich gegen uns wandte, wieder zu mir, und hieng sich an meinem Arm. Gustav bebte. – O bitten Sie für mich! Was er noch sagte weiß ich nicht; meine eigene Bewegung hinderte mich, ihn zu beobachten.
Sie bekommen in der That ein Buch, statt ein paar Briefen! aber, ich will meinen Kopf und mein Herz mit einemmal von allen diesen Bildern und Empfindungen losmachen, und nichts als den Plan und die Bemühung für Erziehung und Glück der Kinder meiner Seele darinn erhalten. Hören Sie also den Ueberrest meines Tags in Pindorfswald.
Ich hatte meine Backe an das Gesicht seines Sohns gedrückt, da er zu Wolling, der allein mit Gustavs Rock mit ihm kam, etwas sagte und mit trauriger Miene auf mich deutete. Ich verstund diesen Wink in meiner Seele.
Es war der Wunsch, daß ich Mutter seiner Kinder seyn möchte! Wolling sagte mirs hernach
Pindorf blieb mit seinem Hute auf dem Kopf, halb an einen Baum gelehnt stehen.
Zieh Er seinen Rock an, sagte ich, und komm Er gleich wieder.
Henriette war noch an meiner Linken, die Rechte nahm Pindorf und küßte sie etlichemal ohne zu reden. Gustav kam da wieder, und ich wiederhohlte: Haben Sie gehört, Papa, daß wir dreye was von Ihnen bitten.
Ja, was wollen Sie! Alles, alles was ich bin, ist Ihnen!
Haben Sie Dank, mein Freund!
Also ist ihr guter Gustav auch mein Gustav, samt Henrietten? sagte Er, mit einem etwas staunenden und fragenden Gesicht.
Ja; beyde!
Sie behalten Fritzgen, besuchen uns manchmal, und sehen was wir für gute und schöne Sachen thun werden. Denn das haben wir uns versprochen. Ich konnte lang reden; er war etwas verwirrt und unruhig. Gustav nahm seine Hand, lieber Papa; wollen Sie mich zu Madame lassen?
Ach, nein! aber Sie kommen ja zu uns, wie Madame bat, und ich will Ihnen Freude machen, wenn Sie mich sehen!
Er küßte seinen Sohn zärtlich.
Ja, du sollst mit mein Kind!
Meine glückliche Kinder, fuhr er fort, da er mir von jedem eine Hand darreichte, nicht reden konnte, und so auf die Bank sich hinsetzte; die Hände sinken ließ, und ich die Kinder umarmte, küßte, und mit vieler Bewegung auf Englisch sagte:
Sie gehören nun meinem Herzen! Und nichts soll der Treue und Liebe gleichen, die sie darinn finden werden.
Nun nahm er beyde an seine Brust, küßte jedes auf die Stelle, die mein Mund berührt hatte und sagte:
Mehr, tausendmal mehr, als ihr mich liebt, sollt ihr Madame Guden lieben!
Ich mußte ihm dieses sagen lassen; ich widersprach auch nicht, sondern sagte zu Gustav! Herr Wolling, auf den ich deutete, hätte auch einen Sohn, der schon viel gute Sachen wissen und der sein Freund seyn würde. Pindorf stund da auf, und nahm Wollings Hand.
Ich verachtete zum voraus, alles, was die zwey Weiber waren und thaten, so, daß mich diese Art geringschätziger Behandlung gar nicht beleidigte. Pindorf war aber sehr darüber betroffen; bot mir seinen Arm mit sichtbarer Verlegenheit zum Führen an; den ich aber ausschlug, weil ich gern allein geh, und ihn durch mein Fragen nach dem was ich sah, nach und nach ermuntern wollte. Der Platz bey den Grazien ist, wie Sie wissen, wirklich sehr schön, und die Rosen-Schaßmin- und Hollunder-Bögen waren in voller Blüte. Ueber zwanzig Schritte lang hatte ich die Bildsäulen der Huldgöttinnen, und die zwey gezierten Damen, nebst vier Herren im Gesicht, von denen allen auch Wir, gar sehr begukt und begast wurden. – Zwey französische süsse Herren, waren in dem äusserst nachläßigen Anzuge um
Frau von Sofein, Schwester des Herrn von Pindorf, groß, wohlgewachsen, aber nicht so edel gestaltet, als ihr Bruder; ein artiges Gesicht; Spottgeist in ihrem Auge; Falschheit in ihrem Lächeln; mit sehr feinem Geschmacke gekleidet; mit Gang, Stellung und Geberden einer Tänzerinn; spricht das Französische sehr gut; kennt alle Romane und Comödien. Nach letztern ist der Ton ihrer Unterredungen und ihrer Grundsätze gestimmt, so wie sie auch das Maaß ihrer Kenntnisse sind. So stolz und so höflich, als sie, habe ich
Ach! dachte ich, ihr wollt mich von eurer Höhe behandeln! Ich habe auch Weiber- Grillen, die um Eure Köpfe sumsen können!
Ein Blick auf Pindorf, der etwas verlegen schien, als er mich und Herr Wolling vorstellen sollte; die mich messende Miene seiner Schwester, worüber er roth wurde; die großen Augen seiner Frau, die gleich an meinen Perlen am Hals und Ohrringen sich starr guckten. – Hier gab Verachtung der zwey Weiber, und der Gedanke der Schwäche von Pindorfs Charakter meiner Eigenliebe einen Schwung über sie alle, und auch über meine Leidenschaft. Ich sah mit einemmal die Ursachen, welche die Gewalt seiner Liebe für mich
Ich erhob meinen Kopf nun auch, machte eine von meinen halben Verbeugungen, von denen man immer sagte, daß niemand so viel edlen Anstand dabey zeige, als ich; nahm Gustaven und Henrietten bey der Hand, und sagte in einem ganz bekannten, aber sehr sanften Ton: Ich weiß nicht, ob es die beyden Damen artig finden werden, daß ich bey meinem ersten Besuch, diese zwey liebenswürdige Kinder entführen will! Herr von Pindorf wird Sie aber versichern können, daß sein Sohn und Tochter recht gut versorgt seyn werden.
Mit der leichtesten Miene führte ich beyde Kinder gegen ihre ganz stockend aussehende Mama und sagte zu ihnen: Meine Lieben! ersuchen
Die Kinder gingen hin, beyden die Hände zu küssen. Frau von Pindorf spitzte ihren Mund.
So, Gustav! gehest Du auch weg? Ja, gnädige Mama, wenn Sie und die gnädige Tante es erlauben! O gerne! sagte sie, gegen ihre Schwägerin blickend, die hinzusetzte: unsere Einwendung käme wohl zu spät! Und dann sagte die Frau noch, führt Euch nur gut auf und lernt schön fleißig bey der Madame und dem Herrn, auf Wolling zeigend. Mein Mann wird wohl den Accord schon gemacht haben? sagte sie gegen mich, indem sie die Kinder mit der Hand zurückwies.
O ja, schon lange! antwortete ich, mit einer muntern Verbeugung dazu. Herr von Pindorf schien über seine Frau und mich etwas verdrießlich. Seitenblicke seiner Frau Schwester brachten ihn völlig aus der Fassung. Ich ging zu den Bildsäulen bin, ließ seine Flau, mit ihrem lächerlichen stoffnen Canapee und die Dame von Sofein mit den galanten Messieurs stehen, und sprach mit Wolling über die Schönheit der Grazien und den so vortreflich gewählten Platz. Wolling hatte noch en Polissons lachten, wie wir selbst hörten, sehr stark. Die andern Fremden sprachen unter sich und Pindorf redete seiner Schwester zu. Die Kinder kamen zu mir, und ich setzte mich an den Fuß eines Baumes, der den Grazien gegenüber stund, und fragte die Kinder: welche von den drey Figuren ihnen am besten gefiele? that nicht einmal, als ob die andern Gesichter da wären; suchte auch Pindorfen mit keinem Blick auf. Endlich kam er, und sagte etwas unmuthig und beschämt; ob wir nicht mit ins Haus wollten? Herr und Frau von Bargen wären auch angekommen. Meine kleine Unzufriedenheit gab mir eine Röthe auf die Wangen, die mir, nach Wolling, vortreflich stund. Einer der vernünftigen Fremden bot mir den Arm; ich nahm ihn, und da er mich französisch angeredet, so sprach ich mit ihm über den Garten, die Verzierungen desselben und über die Gebäude fort. Pindorf nahm seine Kinder, und der herrliche Wolling
Wer ist die Englisch gekleidete Dame?
So ist es doch eine Person von Talenten, und wird gut Englisch reden: und hierauf ging sie auf mich zu; und fragte mich: ob ich schon lange aus meinem Vaterland entfernt sey? lobte meinen Gedanken, eine englische Erziehungsanstalt zu errichten; es würde, hofte sie, (sprach sie deutsch, weil Dame Sofein zuhörte,) bey allen vernünftigen Leuten mehr gefallen, als die französischen Nachäfereyen. Dame Sofein sagte hier ganz richtig: Ey, mein Schatz! wenn die Rede vom Nachäffen ist, so muß ich fragen, ob die Englischen Aefgens artiger sind, als die Französischen?
Frau von Bargen schien etwas empfindlich, und ich antwortete statt ihr: –
Frau von Sofein können ganz ruhig glauben, daß Gustav und Henriette, in Nichts affenartig werden sollen:
Ich will es mir auch ausbitten; erwiederte sie. – Die Bargen sprach nun wieder Englisch, und fragte, wo ich wohnte? Sie hätte eine Nichte von Henriettens Alter, die wolle
Cari prali è selere, und endigte mit einer Arie, deren Worte ich selbst zusammen gesetzt habe, worinn Ueberdruß der lärmenden Weltliebe, Liebe der Einsamkeit, und Ruhe der Seelen ausgedrückt ist. Pindorf lehnte sich auf meinen Stuhl, während ich sang. und machte mir als ich aufstund, nur eine Verbeugung. Herr Bargen, seine Frau und die zwey Fremden sagten mir vieles. Frau von Pindorf küßte mich; es war mir in meiner Seele zuwider, besonders, da sie noch hinzufügte, daß ich den Abend da bleiben solle. Das war mir aber unmöglich. Darüber wurde sie auch wieder böse, wie Kinder, wenn man nicht thut, was sie wollen.
Frau von Sofein spielte eine wahre Coquetten-Rolle mit den zwey artigen Herren, Ihre Schwägerin war auch mit dabey; aber nur als Fürwand und Gegenstand des heimlichen und hämischen Spottes. Ich hatte Herrn Wolling um Bestellung unseres Wagens
Sie gehen mißvergnügt aus meinem Hause! sagte Pindorf. Nicht mißvergnügt, aber traurig über die Gewalt die Ihre Frau Schwester in Allem über Sie hat, und nicht verdient. Suchen Sie den Grund davon in Ihrer Seele auf, denken Sie nach. Dem guten Kinde, das Sie zu Ihrer Gemahlin machten, begegnen Sie edelmüthig, und bilden Sie sie selbst. In den Händen Ihrer Frau Schwester wird sie schlecht und sie ist doch Ihre Frau! Sie verachten mich, sagte er mit Schmerz. Nein! da wäre ich am elendesten; aber, Ihre Schwester wird Scheidewand zwischen mir und Ihnen. Eine große Seele, in der Gewalt einer kleinen, arglistigen. – O Pindorf! – Und da ging ich, nahm kurzen Abschied, und sagte dem Hofmeister, er möchte sich das Kneipen abgewöhnen. Die zwey guten Kinder schliefen nach der ersten halben Stunde ein; und es
Daß Eigenliebe mich elend gemacht und Eigenliebe mich rettete.
Meine Leidenschaft für Pindorf hatte zu der Zeit angefangen, da ich in ihm die nämlichen Grundsätze, Beschäftigungen und Geschmack sahe, die mich beherrschten. Dies war mit der Gestalt und dem Bezeugen verbunden, die ich allein edel und liebenswürdig achtete. Gemeinsame unerfüllte Wünsche nährten unsere stille Liebe. Das, was ich in der Opera empfand, war im eigentlichen Verstande Eifersucht; und die ist immer Beweis der Liebe
Und auch, nachdem ich so viel geschrieben, sind Sie doch ungedultig? weil ich das kleine Kinder Fest nicht gleich dazu gefügt hatte. Soll ich wohl glauben, daß das Glück, so Sie mit Ihrem Cleberg geniessen, ein verwöhntes eigensinniges Kind aus Ihnen machte, das sein Stirnchen runzelt, das Mäulchen eckig zieht, und ein kleines abgebrochenes Murren äussert, wenn es nicht den ganzen Vorrath von dem kleinen Spielzeug bekommt, den es in der zweyten Schieblade des Schranks vermuthet? Verzeihen Sie mir, meine Liebe, und fragen Sie sich, ob Sie nicht unrecht haben, so eifrig in mich zu dringen? Glauben Sie aber nicht, daß ich aus Unmuth vier Tage später antwortete. Ich hatte zwey davon mit dem Entwurf eines Erziehungsplans für die Pindorfischen Kinder zugebracht; ich fühle, daß ich eine schwere Arbeit unternommen; und auch, daß mein Plan manchen lächerlich Wohl wieder zu geniessen, dem Uebel zu entgehen, diese Triebe bestimmen die erste Richtung des Auges, nach Hülfsmitteln zu sehen, und die Anspannung der Kräfte, sie zu erreichen. Eigenliebe und Nächstenliebe zeigen sich da in Mittheilung des Guten, oder im Alleinhabenwollen; wohl gar auch im gewaltigen, offenen, oder listig heimlichen Wegnehmen bey der andern. Heftigkeit der Begierden zeigt sich im Genuß des Vergnügens, im Darumbitten, und im Danken. Ich hatte im Pindorfischen Hause bemerkt, daß der Vater sehr wenig von seinen Kindern mußte, und ihr Aufseher den Willen und Verstand nicht hatte, sie richtig zu kennen und zu leiten.
Sieh, mein Kind! du und die Bäume und das Feld sind so wohl und schön, durch den nächtlichen Schutz Gottes. Ich danke ihm dafür, und bitte ihn, dich deinen Papa, und alle Menschen auf der ganzen Erde zu seegnen, Drückte sie an mich und küßte sie. – Sie können nicht glauben, liebe Freundin, wie süß mir die Rührung war, die ich in Henrietten hervorgebracht hatte; sie schloß ihre Arme um mich und ich hielt sie noch einige Augenblicke still in den meinigen, und sagte dann, daß sie nun zum Ankleiden und zum Frühstück gehen müsse. Ich kann mich selbst nicht anziehen, sagte sie ganz verschämt und kleinmüthig.
Ich weiß es Liebe! denn ich brauchte auch einmal gute erwachsene Menschen, die für mich sorgten.
Kaum hatten die Mädchen das ausgesungen, als die Knaben auf der andern Seite hervor tanzten. Carl und Gottlieb Wolling mit Bernhard und Philipp Moos in saubern leichten Zeug gekleidet und Kränze um ihre Strohhüte gewunden, hatten auch eine Blumenkette, an der sie sich hielten, gegen Gustav sich bewegten, und Carl, der einen Kranz in der Hand trug, setzte ihn unterm Singen auf Gustavs Hut:
Während dem Singen der Knaben tanzten die Mädchen auf der andern Seite im Reyhen
Sie blickten mich an und ich winkte ihnen, daß sie es thun, und mittanzen sollten. – Mit was für Freude sah ich die liebenswürdige Reihe dieser guten unverdorbenen Herzen, voll inniger Fröhlichkeit, gesund und harmlos mit so viel natürlicher Anmuth herumspringen! – Schon im Singen hatten Sie mein Herz erweicht. Ich wollte die Baurenkinder sich mit anschliessen lassen, und bewegte mich also von meinen Platze. Den Augenblick kamen Wolling, seine Frau, Meta und Willhelm Moos hinter einer Fichtenwand hervor, schlossen sich an die Reihen, und tanzten alle um mich her. Meta sang mit ihrer so schönen Stimme:
Wollinghof hat tausend Freuden,
Fließen auf van Gudens Hand.
Sie mögen denken, wie äusserst gerührt ich da stand. Ein süsser Schmerz durchdrang meine Seele. Ich mußte weinen. Küßte meine beyde Hände, und reichte mit meinen Armen nach Frau Wolling, die mit den andern noch im Reihen herumtanzte. Nun kam sie, faßte meine Hand, küßte sie; alle andre tanzten fort, schlossen sich aber nach und nach um mich, und die, welche einen Arm, ein Stück Kleid von mir erreichen konnten, küßten und drückten sie. Die Schalmey und wir alle, schwiegen eine Zeitlang; denn, wer kann da reden! Ich umarmte endlich Frau Wolling, und sagte ihr:
»O was machen Sie!«
Er blickte mich an und dann gen Himmel, konnte nicht reden, alle Augen waren auf uns geheftet. – Dank! sagte ich endlich, tausend Dank! kommt Ihr Lieben alle, wir wollen
Sie klagen in Ihrem gestrigen Briefe über trübe und leere Stunden: dieser Gedanke schmerzt mich von Ihnen mehr, als von tausend andern, weil er mir entweder eine große Zerrüttung Ihrer Gesundheit oder einen ausserordentlichen Zufall in Ihrer Familie anzeigt; denn Ihr Reichthum und Geschmack an Kenntnissen, und der richtige Werth, den sie auf alles Zufällige, Leichte oder Wandelbare legen, läßt mich keine geringe Ursache vermuthen. Ziehen Sie mich, ich bitte Sie, aus dieser Besorgnis und sehen Sie in diesem Paquet nach, ob Sie, wie Sie von mir verlangen, etwas fremdes Zerstreuendes darin finden können. Es sind lauter Papiere von Wollinghof, worinn die Auflösung des Zauber-Knotens erzählt ist, mit welchem die Liebe meine sonderbare van Guden neun Jahre lang gefesselt hielt. Ich wünsche sehr, daß Sie mir Ihre Gedanken
Ich war auch zu ihr gegangen, und hatte sie umfaßt. Sie fing zum Glück an zu
Bey alle dem Scherze war bittre Wahrheit, die ich mir merkte, und sehr sorgfältig wurde, die für Kleinigkeiten so fühlbare Seite meines Mannes kennen zu lernen. Denn das Große verwahrt sich selbst, und wird auch von selbst geschont! Es ist ihm aber etwas gegen Frau Grafe geblieben; denn er wollte nicht, daß sie jemals zu den Lesestunden kommen solle, die
Cleberg, sagte ich, es ist Seeligkeit für mich, so von dir geschätzt zu seyn. Sag aber, was ist dir das Liebste in meinem Charakter? Daß du ein teutsches Weib bist, und neben den glänzenden Eigenschaften, die eine Französin, Engländerin und Italienerin zieren würden, auch Hauswirthin bist, und weißt woraus unsere tuchnen Männerröcke, euer Tafentrock und Weißzeug bestehen; daß man die Baumwolle nicht macht, den Wein nicht brauet, und das Papier nicht webt; daß du deine Köchin die Suppe und das Backwerk, den Braten und
Nro. 1. Abgehendes weiches Leinen für arme Kranke, oder Verwundete. –
Nro. 2. Bettücher zum Wenden.
Nro. 3. Bettzeug für nicht oft kommende Fremde; weil es fein, aber nicht mehr so dauerhaft ist, vieles Brauchen und Waschen zu leiden.
Nro. 4. Tischzeug alle Jahre zweymahl zu verwenden, bis das andre stärkere gewaschen ist, und ein wenig geruht hat. –
Nro. 5. Verschiedenes Weißzeug zum Hausgebrauch, wo dichtes und grobes unnütz wäre. – – –
Was kann ich zu alle dem sagen? es ist süß, von seinem Ehemann gelobt zu werden. Aber wie wohl hat mich der Genius meines Schicksals geleitet, von selbst alles zu thun, was der Mann fodert! Denn, hören Sie, meine Liebe, was Cleberg sagt: er würde mir,
Ich hatte hier eine Thräne in den Augen und sah etwas bedenklich, auch, wie er sagte, traurig aus. Er fragte sehr freundlich nach der Ursache. Ach Lieber! das Gefühl meines Glücks mit dir, und der Gedanke des Wehes und Elendes so vieler liebenswürdigen Weiber ist vor mir und schmerzt mich. Meine gute menschenfreundliche Salie! das bist du wieder ganz. Es giebt schlecht denkende Männer, die unrechtmäßig mit ihren Gehülfinnen handeln; aber, glaube mein Engel, viele sind selbst Schuld; denn, ich muß auf mein Gleichniß zurück kommen, es ist in Teutschland nun einmal noch Sitte, daß der Mann bey seiner Verheyrathung denkt, er vertraue seinem Mädchen ein Amt; und er vermuthet, wie der Herr, der ihm eins gab, daß das Mädchen alles wisse, was zu guter Verwaltung
Sie können sich nicht genug vorstellen, meine unschätzbare Freundin, wie aufmerksam die lieben Mädchen waren; wie sie wechselsweise bald mich, bald Cleberg ansahen, der am Ende ganz munter gegen alle eine Verbeugung machte, und sie bat, dieß, was er da gesagt, als Vorrede zu den Lesetagen anzusehen, die wir doch nur zu dem Ende mit einander halten würden, damit ein halbdutzend rechtschaffener junger Männer, durch sie die liebenswürdigsten Weiber bekämen. Er hätte ihnen nun fügte er hinzu, schon einen Theil der Geheimnisse der besten Jünglinge verrathen, das Uebrige wolle er in den Lesestunden austheilen, wenn sie Gefallen daran fänden.
Freilich gefiel es ihnen und machte auch mehr Eindruck, als wenn es von dem schönsten oder weisesten Weibe wäre vorgetragen worden.
Bald will ich Ihnen von unsern Lesetagen Nachricht geben. Aber erst, wenn einige davon vorbey sind, und ich Etwas von den Wirkungen werde sagen können.
Mir ist leid, daß ich noch immer in der Stadt bin, da doch Ort und Julie schon zwey Monate in Seedorf wohnen. Anfangs künftiger Woche ziehen wir auch hin, weil bis jetzo unser Haus noch nicht trocken genug war. Doch muß Cleberg wieder Etwas vorhaben, denn ich durfte seit zwanzig Wochen nicht hin, sondern nur von Kahnberg aus bis nach Ottens Landhans fahren, und mußte ihn versprechen, auch Niemand zu fragen, was man da machte? Mein Oheim ist mit einverstanden, und da muß es was Gutes seyn; denn dieser liebt die angenehmen Ueberraschungen gar sehr.
Frau Grafe sagte letzt: Cleberg wäre so artig als ein Hausdespote immer nur seyn könne!
Nun wohne ich seit einigen Tagen auf dem Lande und bin froh, daß ich immer dieses Leben liebte, immer die Beschreibungen davon gerne las; auf meinen Reisen mich über den Landmann und seine Arbeiten freute; gerne meinen Schlaf abbrach, um, wie mein Oheim sagte, mit ihm der Sonne entgegen zu gehen. Hier kann ich aus meinem Bette sie willkommen heissen, denn unser Schlafzimmer ist gegen Morgen, und ich darf nur einen Laden aufziehen und in meinem Bette mich aufrichten, so seh ich über meinem Garten hin, am Ende des Wäldgen die entfernte Anhöhe, hinter welchen die Purpurwolken sich färben und dann der schimmernden Aurora Platz machen. Die Morgenluft strömt in mein Zimmer, ich höre das Plätschern des kleinen Springbrunnen in meinen Garten bald auf der steinernen Einfassung, wohin der Wind den dünnen Wasserstrahl treibt, bald im Becken
Das Gräschen.
Ich will alle Landarbeiten kennen lernen. Ackerbau, Viehzucht, die ersten der nützlichen Wissenschaften; von diesen will ich anfangen, einen neuen Gang durch alle menschliche Kenntnisse zu machen. Sie denken aber schon, daß es nichts anders seyn wird, als Namen und kleine Beschreibungen des Gebiets der Erfindungen und des Wissens durchzugehen, wie man, ohne von seinem Geburtsort zu reisen, die geographische Beschreibung der Erde sich bekannt machen kann, und es angenehm ist, bey Durchlesung einer Zeitung, oder Anhörung einer Geschichte, gleich zu wissen, in
Meine Hauseinrichtung war den Ersten Tag geschehen, weil alles höchst einfach angestellt ist. Da habe ich gleich die Bekanntschaft, mit unserer Bauren-Haushaltung gemacht. O, Liebe! was für ein theures, schätzbares Weib ist eine gute Bäurin! Wie viel mehr, als wir, muß sie die Kräfte ihres Lebens verwenden, um Kühe, Kälber, Milch, Butter und Käse zu der gehörigen Nahrung ihrer Leute und zugleich zum nutzbaren Verkauf einzutheilen. Den Hühnerhof und das Mastvieh durch Abfall der Früchte des Obsts- und des Gemüsgartens aufzuziehen, und zu vermehren; damit alles benüzt und von des Bauren angepflanzten Futter, wieder Etwas zum Verkauf gespart werden könne. Hanf- und Flachsbau, Zubereitung, nöthiges Leinen davon in das Haus und dann das möglich Uebrige auch zu Gelde gemacht, früh und spate Aussicht über das Gesinde, und dann Kindes zu besorgen. Die Verantwortung des ganzen innern Hauswesens; das Beyspiel der Arbeit in allen Zeiten; in der Heu- und Korn-Erndte, die so schwer sind. Ich seh mit wahrer Achtung
Unser Hofbaner soll der zweyte Klyjag werden, und es ist schon alle Anstalt zu des Schwitzers Dünger gemacht. So gar aus meiner Koch- und Waschküche darf kein Tropfen verlohren gehen. Der Eifer, den mein sonst so galanter Cleberg für alle diese Beschäftigungen zeigt, macht mir ihn sehr werth. Er legt einen Ton von Verehrung der Erde und ihrer Wohlthaten hinein, der an dem schönen jungen Weltmann ganz reizend ist. Die Ursache, warum ich nicht in unsern Garten durfte, eh wir herzogen, war, das eine artige englische Brücke über den großen Graben geschlagen wurde, der durch Cleberg zur Austrocknung eines Sumpfs diesen Winter aufgeführt ward. O wie viel kann ein denkender und thätiger Mensch für sich und andere thun, besonders
So müd' ich auch von einem etwas langen Spatziergange bin, so muß ich doch das beschreiben, was mich besonders rührte. Eine Viertel-Stunde von Seedorf geht das Land abwärts und macht ein anmuthiges Thal, das durch die Ringbach bewässert wird. In der Spitze dieses Thals liegt ein kleines Dorf, welches vor einigen Jahren beynah ganz abbrannte und freylich jetzo um so schöner aussieht. Ein Fußpfad leitet in der jähesten Ecke hinunter. Mein Oheim führte uns zum Müller des Orts in den Garten, der in ein Baum-und Gemüsstück abgetheilt ist. Nun liebe ich von meiner ersten Jugend an die Baumstücke am meisten, weil ich in einem Bauergarten das Erstemal eine freye Aussicht, freye Luft, die Schönheit der Wiesen und
»1772 hab ich, Hanns Kofel, 80 Jahr alt, bey dem Brand meine zwey Enkel, Michel und Hanns Kofel, sammt 200 Thaler Herrengeld hierher aus der Münle getragen und bin nach dem guten Werk, aus Angst für meinen braven Sohn, der zu viel wagte, auf diesem Steine selig verschieden.«
Mein Oheim drückte mir die Hand:
Nicht wahr, Salie! der Hausvater-Tod ist auch ein schöner Tod? Der gute Alte! In der Angst seines Herzens arbeiteten die Triebfedern, die in seinem ganzen redlichen Bürgerleben ihn geleitet hatten. Nun Liebe! adieu.
Ich dachte schon einigemal, meine Liebe, daß die immerwährenden Erzählungen von dem, was um mich in unserm Seedorf geschieht und mein häusliches Leben angeht, Sie wohl ermüden könnte, und freue mich in der That Sie mit einem neuen und wahren Character bekannt zu machen, der nächstens bey uns erscheinen wird. Ein Universitätsfreund meines Clebergs und Ottens, von dem sie lange nichts gehört hatten, schrieb vorgestern an den letztern eine Art Geschichte von sich, die auf einer Seite den eigensten willkührlichsten, aber auch einen von den schätzbarsten Menschen bezeichnet. Sie sollen nicht alles lesen, weil viele jugendliche Züge darinn sind, die wenig Reize für sie haben könnten, obschon nichts Unordentliches und Unanständiges darinn ist, und ihm auch seine Freunde das Zeugnis der besten Sitten geben. Herr Latten ist der einzige Sohn eines reichen Kaufmanns und wurde
Das Danken und Achtung geben der Leute fiel mir beschwerlich; und ich ging bey Nacht und Nebel fort, kam Abends spät auf ein dem Herrn von Grünburg gehöriges Guth, war müd, und legte mich nach einer kurzen Mahlzeit
Der Beamte war stolz, geitzig und hartherzig; sonst, voll Verstand seiner Zeit und seines Amtes; in Geschäften und Rechnungen fleißig und genau, ordentlich und eigensinnig dabey. Die Frau eine sehr geschickte Hauswirthin, schmeichlerisch und voll Ziererey, aber reinlich in allem; sprach viel von der alten gnädigen Frau bey der sie Cammermagd gewesen; trug Sonn- und Feyertags die stoffenen
Ey! ein Wams von meinem selbst gesponnenen Canevas damit sticken! Wenn ich Else wär, (sagte der gnädige Herr mit lachen) so stickte ich mir ein Brautbett, denn du wirst ja Frau Amtmännin!
Heute Latten so weit! Die nächste Woche das Uebrige, wenn Ihnen der Mensch eben so
O meine Liebe! wie viel verborgenes Weh, und was für gehäßige, einem wohlwollenden Herzen unglaubliche Art Menschen wohnen mit und neben uns auf der guten Erde; Gott sey Dank! daß es gewiß eben o viel unbekannte Freuden und Tugenden giebt, die den Himmel wieder aussöhnen, und uns vor einer neuen allgemeinen Verwüstung bewahren; dieser Anfang meines Briefs muß ihnen sonderbar scheinen; aber, wenn Sie nun das Uebrige von Herrn Lattens Schreiben werden gelesen haben, und Da Sie mich kennen, so wird es
»Nachdem ich etwas über fünf Monate da gewesen, wurde ich krank und mußte mein Zimmer hüten; konnte aber dabey herumgehen und schreiben; ich ging manchmal an mein Fenster, um mich des Morgens an der schönen Aussicht zu erquicken, da sah ich den zweyten Tag einen Hügel herunter, eine liebenswürdige Gestalt langsam gegen die zerfallene Schloßtreppe gehen, an einem Stocke heruntersteigen und auf dem Kirchhof, zwischen den Gräbern hin, an den abgesonderten Platz schleichen, wo die sogenannten armen Sünder verscharrt werden. Sie setzte sich auf den Absatz der Mauer, (ich hatte mich gleich Anfangs zurückgezogen, um sie, von ihr ungesehen, zu beobachten) lehnte ihren Stock neben sich, faltete ihre Hände, streckte sie mit einer Art von ringender Bewegung auf einem ihrer Kniee aus, senkte mit kummervoller Anmuth ihren Oberleib und Kopf gegen diese Seite, und schien den Platz eines elenden Grabhügels zu betrachten; sah von Zeit zu Zeit gen Himmel und mit sanfter Wendung des Hauptes auf dem Kirchhof umher; weinte, betete, brach Blumen von dem
Ich fragte den jungen Beamten, der mich alle Abend besuchte, nach der Person, die mit auf dem Kirchhofe, und der alten Schloßtreppe erschienen war? Sie ist die Wittwe eines jungen Strassenräubers, der bey einem Angriffe im benachbarten Walde geblieben, und auf den Armen-Sünderplatz begraben wurde. Gott! was für ein Schauer durchlief mich! Das mich so anziehende, weibliche Geschöpf,
Ich war stumm und starr bey dem innern Gewühle dieser Gedanken. Ich fragte meinen Freund noch den folgenden Tag, um die Geschichte, die mir fürchterlich war, die ich nicht glauben konnte, nicht glauben wollte und eben so elend darüber wurde, als ob sie meiner Schwester begegnet wäre. Friedmann brachte mir das Gerichts-Protokoll, in welchem der ganze Vorgang beschrieben, und von dem Schwager der Wittwe ein Eid abgelegt war, daß ihr Mann mit den Räubern einverstanden gewesen, zu ihnen aus der Schaise gesprungen, seiner Frau, die er herausgezogen, was zugeredt, und sie darauf weggelaufen sey, Er und seine kranke Frau darauf angefallen, geplündert und seine Frau so mißhandelt worden, daß sie kurz darauf gestorben wäre. Das Protokoll sagte auch, daß die Wittwe des Erschossenen mit Aechzen und Flehen von der Unschuld
Guter Mann! Ihr sogt mir alles, nur das nicht, was ich wissen möchte. Lieber Herr Amtschreiber! ich glaub, sie wissen schon Alles, was man ins Protokoll gesetzt hat, und was kann da ein armer gemeiner Mann gegen ein Amtsurtel sagen, wo noch dazu ein Reicher einen Eid geschworen hast Hirt! Soll ich jezt auch böse werden, weil ihr über die Amtsurtel so verdächtig redt?
Manchmal kommts; aber, wenn ich denk, daß vor Gott alles gleich ist, so ist mir alles recht; ich wär' doch nichts, als Bauer oder Schulmeister worden, aber das hätt' mich am meisten gefreut, und de alte Pfarr hatte mich auch abgericht. Gott vergelt ihm noch seine Bücher. Was habt Ihr denn für Bücher von ihm? Predigten, Gebeter und Auslegung vom Catechismus, zwey Bücher von der Viehzucht, vom Futter, Kräutern, Vieharzney; und eins, zu was der Ehrenpreis, die Salbey- die Camillen und Schaafgarben für Menschen gut sind; das hat mir viel geholfen. Dadurch könnt ihr ja der beste Hirt im ganzen Land werden! Seyd es gern. Ein ehrlicher und geschickter Mann ziert einen jeden Stand, ihr könnt dem gemeinen Wesen mehr nützen, als ihr glaubt, und ich bin sicher, daß die ganze Gemeinde was auf euch hält!
Hastig sagte sie: Ach Gott! ja! hören sie mich nur: Nun weinte sie wieder stark und ich war selbst so sehr erschüttert, daß ich den Vorschlag that, sie sollte sich zu beruhigen suchen, ich wollte unterdessen ein wenig in das Baumgärtgen gehen. Es war mir auch bey der starken Gemüthsbewegung in dem engen niedern Stübchen bange. Ich ließ sie mit der Hirtin und ging allein durch den kleinen Gemüßgarten dem Baumstück zu und setzte mich auf einen am Ende liegenden Klotz. Es dauerte beynah eine halbe Stunde eh sie zu mir kam. Die Hirtin führte sie. Bebend und erröthend setzte sie sich neben mich, schwieg lang und fing dann mit gesetztem Ton an: Ich werde ihnen eine kurze Geschichte von Unschuld
Sie weinte nun vor sich bin. Ich war auch still, und gewiß, die ganze Welt mit Größe und Macht war vor dem Hirtenhause an der Seite einer höchst unglücklichen, dem
Die Ergiessungen der Freude und des Segens seiner Witwe sind unbeschreiblich, eben so, wie die Scene vierzehn Tage vor ihrem Tode.
Als es eines Morgens sehr neblicht war, wollte ich, wie im Frühjahr das Aufsteigen der Wolken, und ihre durch den mindesten Hauch des Windes abgeänderte Gestalten sehen, und dachte wohl, daß die Dünste des Kirchhofs die stärksten und dichtesten seyn müßten; heftete also meine Augen am meisten dahin, und wurde allmählig einen weissen Fleck gewahr, der an der Seite der Mauer fest blieb. Als ich ihn deutlich erblickte, war es die Gegend von Rechels neuem Grabe auf dem sein armes Weib mit ausgestreckten Armen lag. Ich eilte mit Angst dem Kirchhofe zu, und fand sie wirklich starr und sinnlos auf dem nassen Hügel liegen; faßte sie in meine Arme, und suchte sie zu beleben; legte ihre todtkalten Hände auf meine Brust, mein Herz wurde durchbebt und mit der heftigsten Theilnehmung durchglüht und ich glaube noch, daß meine heisse Wangen, die ich an ihr blasses lebloses Gesicht
Ich nahm, mit aller Feyerlichkeit das arme Fritzgen an Kindesstatt an, und seine bedaurenswürdige Mutter fiel in dem Augenblick, da ich ihren Sohn von ihrem Bett in meine
»Hier ruhen
Wilhelm und Amalia Rechel, junge, treue, unschuldige und unglückliche Ehgatten. Die Ewigkeit lohnet ihre Liebe, ihre Tugend und ihre Leiden.«
Ich nahm meinen Sohn mit der Hirtin zu meinem Freunde Rohr, der mit einem schätzbaren Weibe recht wohl und genügsam lebte. Dem erzählte ich nun, was ich unterdessen gewesen und gethan. Seine Frau sorgte für meinen Fritz, der hold und lieb heran wuchs; immer Gegenstand der Sorge und Zärtlichkeit. Rohre Vaterstadt ist eine kleine Republik, deren wir ja unserm Teutschland so viele haben. Alte Sitte und Gewohnheiten, Patriciat, Magistrat, Zünfte, Kirchen, Einkünfte und Spitäler alles ist unter Catholische und Lutherische Glaubensverwandte getheilt. Unter beyden sind viel Hochachtungswürdige Personen, mit denen ich zwey Jahre lang, schöne ruhige Tage verlebte. Die Gegend ist höchst
Nun hat aber mein Fritzgen drey Jahre; ist schön stark, gesund, voll Fähigkeiten, die ich in meinem Zirkel von Kenntnissen und Künsten anbauen möchte. Doch so, daß sein Unterricht von den Sachen nicht vom Wortlehren und Erklären käme. Ich habe mich bey diesem Nachdenken an alles erinnert, was mir in meiner Jugend gewesen ist; und da erschien mir Ott als der beste meiner Universitätsbekannten, und Cleberg, den ich auf meinen Reisen mit so vielem Vergnügen sah. Ich erkundigte mich nach euch, und hörte ganz viel herrliche Sachen von Aemtern, Heyrathen und Lebenstone und mich dünkte, daß ich recht wohl zu euch stimmen könnte und ich machte
So weit die Auszüge aus Lattens Briefe an Ott, bey dessen Vorlesung Julie und ich, Linke, Hannchen und ihre jüngere Schwester nebst Lisette Boder waren. Cleberg foderte unsere Meynung auf; wir wollten ihn alle hier haben, und Linke schafte ihm schon ein Haus in der Stadt und ein Landguth an. Ott machte
O Mariane! es giebt keine daurende Glückseligkeit, nein, es giebt keine! Wir mögen es machen wie wir wollen; besonders wenn Weh und Freude unsers Lebens an die Gesinnungen eines andern Menschen gebunden sind.
Hören sie, Liebe, aber nur sie allein von allen Menschen der Erde; denn mein Oheim darf von diesem nichts wissen. Cleberg, der mir um alle des eigenen Sonderbaren willen so werth, so vorzüglich wurde, dem ich tausend Liebhaber aufgeopfert hätte, den ich edler als andre Männer glaubte, nicht vermuthete, daß jemals eine große oder kleine Coquette etwas für ihn seyn könnte, ist selbst Coquet. Ich finde kein Wort im Teutschen um dieß so eigentlich auszudrücken was man unter Coquet versteht, und so lassen sie es da seyn, Er ist es; schon die ersten vierzehn Tage, da wir Lesestunden hielten, fing ich an es zu bemerken
Sie pries mich immer so glücklich, den schönen artigen Mann zu haben, der noch nach seiner Heyrath so gallant wäre, wie ein Liebhaber; sie merkte sich alle Redensarten von Cleberg; gewöhnte sich am ersten alles an, was er im Bezeigen, Ton und Wesen eines Frauenzimmrs lobte; wenn er vorlas und die andern Mädchen alle arbeiteten, so ging sie hinter seinen Stuhl, und sah ihm über seine Achsel
Ich nähte einen recht schönen Tapetenfeuerschirm und nun hilft sie mir; verdirbt manches wenn Cleberg im Zimmer ist, weil sie nur ihn sieht; und ich freue mich über die Gewalt, die ich über mich habe, es ihr mit der äussersten Sanftmuts und Lächeln zu zeigen. Wenn er zusieht; so arbeitet sie artig, und ich senke meinen Kopf etwas tiefer; denn oft ist sein Gesicht ganz nahe zwischen ihrem und meinem. Gestern sagte er in einem dieser Augenblicke: Rosalie! ich wollte, daß dieses Stück die Lehne eines großen Armstuhls für mich würde, in dem ich Abends bey stillen nachdenkenden Stunden mich setzen, und artige Sachen träumen könnte. O ja! rief sie; aber da muß das Stück, wo ich arbeite, gerade für das Anlehnen ihres Kopfs seyn.
Hannchen wurde aus einer Empfindung für mich ganz feuerroth, und bewegt sah sie Linken an, der sagte: Sie sind sehr neugierig, Lisette, Madame Cleberg fragt nicht einmal; und, Lisette fiel ein, hätte mehr Recht; wollen sie sagen; aber, fuhr sie fort, die Frauen sind der Gesellschaft ihrer artigen Männer so gewohnt, daß sie sie nicht mehr achter. Hannchen sah sie starr und mit Unmuth an. Ey, Lisette! wie kommen sie zu diesem Gedanken
Sie rückte ihren Stuhl, ich war von meinem aufgestanden; Hannchen erhob sich den nemlichen Augenblick mit einem Was? und auf sie blickend. So wie Linke mit einer Hand
Das war ihr recht, und sie schafte ihren Rahmen gleich hin, wollte mich küssen, das konnte ich aber nicht leiden. Ihre Annäherung und die Absicht war mir Näherung einer glänzenden Schlange, die mit doppelter Zunge mir doppelte Wunden drohte. Ich wand mich seitwärts ob. Schauer fuhr durch mich, Widerwillen ergoß sich in jeden Tropfen meines Bluts. Ich lasse mich in Clebergs Abwesenheit von Niemand küssen, sagte ich. Nun wurden wir aber alle still, und zum Glück, kam Julie und Ott mit ihrem ältern Kinde und sagte, sie wollten mich trösten und zerstreuen helfen. Ich ging einen Augenblick hin, um das Zimmer für den Fremden zu besehen und ließ es gleich vollends zurecht
Dies brachte mich von dem dumpfen Gefühl zurück, daß meinem Herzen das nemliche Schicksal drohte. Ich ging dann mit der ganzen Gesellschaft in den Garten. Lisette dauerte mich beynah, ungeachtet meiner Gehäßigkeit gegen sie. Denn alle begegneten ihr mit so viel Kälte und Geringschätzung, daß man sie gar nicht anredete, sondern sich nur mit mir beschäftigte. Sie ging aber auch gern allein, sie war auf einmal weg und ich sah nur noch einen Zipfel ihres Kleides, wie sie in den kleinen Schoppen ging, den Cleberg bey dem Bau des Hauses zur Schreinerey hatte errichten lassen, und nun seine Drechselbank und kleine Steinhauerey
Ich will fortfahren, ihnen zu schreiben. Es erleichtert und stärkt mich. Neben diesem fiel mir auch der Gedanke ein, daß ich durch die Briefe über diesen Vorgang in meinem Kopfe und Herzen, einmal bey wiederkommender Ruhe mich selbst recht kennen werde. Ich bin gestern sehr früh aufgestanden, weil ich diesen Gast habe, und völlig angekleidet zum Frühstück kommen wollte. Mein Putz nimmt mir so nicht viele Zeit weg, eine braun und blauspielende tafente Polonaise, ein Strohhut mit blauen Bändern, eine weise Schürze und ein Halstuch von weisem Flor war alles. Mein Nährahmen aus der Stadt
Ottens Baurenhaus gefiel dem Herrn Latten ungemein und er zeichnete es heut früh mit farbigen Bleystiften ab; so, wie er auch mit unserm Landhause und Garten thun will.
Latten stund mit Eile auf und bog sich mit edler Bewegung seiner Hände gegen uns: Julie, Rosalie! sie werden doch nicht ernsthaft unzufrieden seyn, wenn man schöne Wahrheiten von ihnen sagt? Also doch Wahrheiten! erwiederte Julie mit reizendem Nicken ihres artigen Kopfs. Wollen sie mir erlauben, daß ich es ernsthaft beweise, sagte Latten. Können sie dies wohl? fragte ich. Ja, und noch dazu wird mein Beweis völlig ihre Rechtfertigung mit sich führen. Also auch die meinige, fiel Ott noch ein. Gewiß, sagte Latten, aber da die Frage von lauten guten, die Menschen glücklich machenden Sachen ist: so müssen sie mich etwas ernst sprechen lassen.
Wir neigten uns alle ein wenig, um unsere Einwilligung zu zeigen, und er fing mit einem zärtlichen Ton der Stimme und der gefühlvollsten Miene an, indem er freundlich auf uns blickte: Ich glaube, daß wir alle recht gute Kinder der göttlichen Vorsicht sind; sie hat ihrer viele auf allen Ecken der Erde zerstreut
Hier erhob er seine Augen, aber nur blitzartig auf mich, wandte sie gleich ab, und ich sagte zu Julien! Wir wollen also moralische Seltenheiten sammlen und Herrn Latten bitten, sein Cabinet bald anzufangen; dann stund er auf und lehnte sich an ein Fenster. Wir waren olle still. Ort ging zu ihm. Julie sagte mir: Ich bringe heut einen Theil meines Mittagsessen zu dir, und mein Mädchen auch. Ja, meine Liebe das ist ein recht glücklicher Einfall. Hannchen ging mit ihr, und ich bemerkte erst da, daß Lisette nicht im Zimmer wäre. Ich fragte Linken: ob sie schon lange weg sey? Ey freylich! Es mußte ihr ja bey den Aeusserungen von Güte und Tugend ganz übel werden.
Diese bittere Anmerkung that mir für Lisetten weh.
Pfui Linke: schämen sie sich, daß diese Güte so wenig auf sie wirkte, um ihnen diese grausame Auslegung über etwas ganz Zufälliges sich zu
Nun, Mariane, kann ich auch sagen, ich habe das Schwerste gethan, was eine zärtlich liebende und empfindliche Frau thun kann. Vor fünf Tagen kam Cleberg mit meinem Oheim zurück. Ich hatte so viel über mich gewonnen, daß ich noch während seiner Abwesenheit Lisetten mit alle meiner vorherigen
Latten sprang auf, kniete zu ihm hin, faßte die geschlossenen Hände des Kindes in die seinigen: Lieber Gott, erhör das Gebet meines Fritzgens! und drückte ihn an sich. Was er für das Kind erbat, sprach sein Auge und seine darinn zitternde Thräne und der Knabe war so herzlich froh, daß sein Papa für die Erfüllung seiner Wünsche bettelte. Latten nahm diesen Weg zu dem Herzen seines Sohnes, daß er in
Vergleichst du mich mit deiner Blondine? dachte ich und sah ihn, ich bin es gewiß, mit lächelnder Kälte an. Er spielte noch mit der Scheere, der Seide und den Nadeln etwas fort; und biß in seine Lippe. Ich wollte hindern, daß niemand, als ich, es bemerken sollte und fing eine muntere Unterredung an. Da stund er heftig auf, biß einen Faden, den er um die Finger gewickelt hatte, entzwey und ging fort. Ich sah ihm nach, blickte unwillkührlich auf Lisettens Arbeit, und war etwas zerstreut. Lisette kam nicht zum Mittagsessen. Sie hätte Kopfweh, ließ sie sagen. Ich ging den Augenblick zu ihr, aber sie sagte mir mit Ungedult, sie könne nicht viel reden hören. Ich kam zurück und fragte Hannchen Itten, ob Lisette öfters mit dem heftigen Schmerz geplagt wäre? sie könne nicht einmal sprechen hören, und befahl den Leuten, ja leise hin und her zu gehen. Nach dem Caffee ging ich wieder zu ihr. Sie hatte sehr geweint und war noch mürrisch, ich redete sanft mit ihr. Sie war stöckisch; ich fühlte mich groß, und nahm ihre Hand. Lisette! dieses Betragen gegen
Nichts Lisette! nicht zornig! ich könnte es ja auch werden. Sehen sie mich an; denken sie, wie werth ich ihnen in den ersten Zeiten unserer Freundschaft gewesen bin. Löschen sie alle andre aus, und seyn sie wieder wie damals. Ich will es immer seyn, ich verspreche es ihnen! Das ist ganz gut. Machen sie
Ich sähe gern, daß sie sich eine Viertelstunde bedächten! Ich will wiederkommen, überlegen sie es noch einmal! es ist zu auffallend. Ich weiß alles, aber ich will weg. Nun so will ich Anstalt wachen; beruhigen sie sich!
Ich ging wirklich ganz verlegen weg. Soll ich sie gehen lassen, für mich allein? Soll ich es sagen, wem? In diesem Nachdenken ging ich langsam, mein Oheim begegnete mir bey meinem Zimmer, und hielt seine Arme offen. Ich umfaßte ihn und legte meinen Kopf an seine Brust. Mein Herz brach, als ich das Umschliessen seiner Arme fühlte, und von ihm halb getragen in mein Zimmer geleitet wurde. Ich weinte; er konnte nicht reden. Cleberg kam aus seinem Nebenzimmer. Plötzlich hörten meine Thränen auf und ich zitterte als er sich mir näherte. Er nahm meine Hand:
Mariane! der ungerechte Mann klagte Lisettens Eitelkeit an. Ich mußte sie vertheidigen.
Da, Liebe! haben sie den Ausgang der kleinen Hausgeschichte von Cleberg und mir.
Mein Oheim und er hatten mich und Lisetten belauscht; daher ging auch Cleberg sogleich, alles zu Lisettens Abreise zu bestellen, und mein Oheim bat mich, auch ihm zu
Bin ich nicht in einer sonderbaren Lage mit diesen zwey Männern und wie viele vortrefliche Herzen von Frauenzimmern würden elend durch die Leute, wenn sie sich nicht gerade zu, nach ihrem Sinn aufführten! Gott sey ewig für die Richtung gedankt, die er meinen Gefühlen
Lisette jammerte mich nun aufrichtig; wie wenig Kunst gehört für einem schönen, die Welt und Menschen kennenden Mann dazu, einem zärtlichen, etwas eiteln Mädchen etwas weis zu machen. Man wird sagen: ja! aber
Ich ging noch zu ihr, nahm Abschied, weinte mit ihr und schloß sie an mich: Lisette! liebenswürdige Lisette! ich bitte sie, verwahren sie ihr zärtliches Herz vor den Schmeicheleyen der Männer, von welcher Gattung sie seyn mögen; wachen sie über den Ausdruck ihrer Empfindungen, mein Kind, damit ihre Freude oder Mißvergnügen nicht gleich allen, die sie sehen, deutlich werde! Und, wenn sie eine Freundin brauchen, so rechnen sie auf Rosalia Cleberg. Sie ließ sich zu ihrer Tante aufs Land führen, wo sie schon eingeladen war und bis im Winter bleiben will. Ich weiß nun
»Lebelang, edle Rosalia!«
Ein Kranz vom blauem Feuer brannte umher, und Fritzgen Latten kam zu mir gehüpft,
»Noch ist meine Seele nicht groß genug, alle den Werth der Seeligkeit zu fassen, an ihre edle Brust gedrückt zu werden: aber mein Vater wird mich lehren, wie ich sie verehren soll, und dann komme ich und lerne süsse liebende Weisheit von ihnen, und bin wieder so glücklich, die Luft zu athmen, die sie umgiebt. Fritz Latten.«
Ich las es flüchtig durch, denn der Tag hatte von Clebergs Seite so viel Eindruck auf mich gemacht, daß ich nichts, als ihn dachte, und ihm auch diese Brieftasche erst den andern Tag zeigte, da wir alle über Lattens Abreise traurig und verwirrt beysammen saßen. Cleberg las diese Zeilen einigemale mit Aufmerksamkeit und Lächeln durch. Guter rechtschaffener Latten, sagte er gerührt: Gott erhalte dich, wo du auch seyn magst!
Warum, ach warum, mußte ich ihm gefallen! ich seine Ruhe stören! Möchte dieses schmeichelhafte Looß auf jemand anders gefallen seyn, und ich, als seine Freundin und Trösterin, ihn noch bey uns sehen, ihn zerstreuen helfen! Möge der erste Abendwind, den er nach dem schwülen Tage herbey rufen
Mein Cleberg ist sehr sorgfältig um mich herum, und läßt mir die Freude für Arme bey ihm zu bitten. Ich und Julie unterhalten vier arme alte Weibsleute; diese müssen aber, da alle junge bey der Erndte zu thun haben, für die kleinen Kinder im Dorfe sorgen. Wir haben ein Tagelöhner-Häußgen mit einem Baumgarten gekauft, darinn wohnen die vier Weiber, denen die Kinder recht gern zulaufen und auch zugetragen werden; die dann in dem Baumgarten sorgloß und frey herum krabeln, spielen und springen. Mädchen, die schon etwas Geschicklichkeit haben, sitzen da und spinnen, nähen oder stricken, welches Julie und ich einigen von ihnen gelehrt haben; auch müssen
Cleberg läßt mich nicht am Rahmen fortnähen, und wollte Lisetten ihre Arbeit nachschicken. Es schien mir aber grausam und ich widersetzte mich so lang, bis er nachgab. Nun liegt alles verschlossen. Rachsucht an leblosen Dingen, sagte ich: kommt aus der nämlichen Ursache, wie die Bewegung des Danks und der Liebe gegen Sachen, die eine uns werthe Person gleichsam einweyhete. Er gab mir recht, und ich nähe nun mit Hannchen an weissem Haus-Leinen. Julie kommt auch mit ihrem Strickzeug und unsere Männer lesen dann, wann wir keine Fremde haben und ihre Geschäfte vorbey sind, etwas aus neuen Schriften, aus Zeitungen, sprechen darüber, und wir freuen uns, so gute, vernünftige Männer und Freunde zu haben.
Uebermorgen kommt Frau Grafe, eine Ihrer Nichten, und ihr Mann auf vierzehn Tage zu uns; und dann wird der anfangende Herbst uns bald in der Stadt sammlen.
Trotze niemals dem Elende, und spiele nicht mit dem Glücke! denn das erste kann mit aller Gewalt über dich kommen, und das zweyte dir gar leicht entfliehen. Dieß, mein Lieber! dieß ist alles, was ich jetzt für mich und meine Freunde, von einem großen Plane zurück habe, den ich, um den Genuß meines Wohls zu vermehren, seit einigen Wochen befolgte. Meine Residentenstelle giebt mir wenig Arbeit, und mein artiges Amt und meine guten Bauren auch nicht viel. Ein noch ziemlich neuer Ehemann bin ich auch, so, daß wir noch erlaubt ist, mit meiner Frau zu tändeln. Ich habe freylich etliche ernsthafte Beobachtungen mit unter gemischt, die alle einen sehr angenehmen Aufschluß hatten. Denn, meine Salie ist, ohne es zu wollen und zu wissen, noch so artig so neu und blühend, als ein Mädchen; daneben aber so voll Würde, Klugheit und anstelligem Wesen, daß man sie für ein schätzbares
Sie hatte mit etlichen artigen Mädchen Freundschaft gemacht, und diese kamen alle Wochen zwey mal in unser Haus mit ihrer Arbeit, und da mußte ich Bücher zum Vorlesen schaffen. Oft las ich selbst was vor und ergötzte mich an den Ideen, den Fragen und dem Witze der Mädchen; sagte ihnen dabey auch oft schöne Sachen vor. Eine war hübsch, niedlich und aus Eitelkeit empfindlich; dann das mußte sie seyn, sonst wäre es nicht möglich gewesen, daß sich das Mädchen getraut hätte, neben Rosalien stehen zu wollen. Ich merkte dieß, und anfangs wollte ich bloß sehen, wie weit sie gehen würde; dann fiel mir der rasende Gedanke ein, meine Salie mit diesem Geschöpf auf die Probe der Eifersucht zu stellen. Zu meinen Glück habe ich alles ihrem Oheim gesagt, der auch seinen Spaß daran haben wollte, wenn sie nun zu ihm kommen würde, über mich zu jammern und zu klagen. Wir nahmen das Mädchen mit aufs Land, und dort führte ich meinen Entwurf aus. Lisette, so hieß sie, dachte sich wirklich vorgezogen,
Freylich liebt er anders, als ich; doch kann niemand mehr Zärtlichkeit für sein Weib haben, als ich für Salie, aber nach meiner Weise.
Mein Freund und Oheim mußten selbst mit dem Menschen sprechen, um ihn zu Ausrichtung meines Auftrages zu bewegen, den er auch nur erst annahm, als ihm versprochen wurde, daß er Saliens Briefe an ihre Mariane zu lesen bekommen sollte; weil ich sicher war, daß sie dieser ihr ganzes Herz aufschliessen würde, und am Ende auch die Rückfoderung dieser Briefe in meinem Plan kam; welche natürlicher Weise zu der ganzen Kenntniß von Saliens Empfindungsart nöthig waren.
Sie war Weib, aber ein edles, gutes Weib. Die vermeinte Theilung meines Herzens that ihr schmerzlich weh. Sie war tadelsüchtig, fand Fehler an Lisetten und mir; aber immer mischte sich Zärtlichkeit für mich, und Menschenliebe für Lisetten unter all dieses, und faßte also mehr Wahrheit und Natur in sich, als wenn sie gleich alles so groß angenommen und getragen hätte. Sie versöhnte sich; aber ihre Briefe an Marianen beweisen, daß mein
Er thut doch mehr als leben, er liebt noch. Denn da ich diese erstere Blätter schon vor zwey Tagen schrieb, da ich eben in einem Gedränge von Gedanken war, und der Bothe nach der Stadt erst heute abgeht, so kann ich dir noch etwas hinzusetzen.
Ott verreisete vor vier Tagen. Gestern kam er wieder und brachte Lattens Fritzgen mit sich zurück, den er Juliens und Rosaliens Güte empfiehlt; denn er geht noch einmal nach Italien, und will das Kind nicht mitnehmen, weil
Vergeben sie, Theure, Liebe! Ich schrieb wenige und kurze Briefe. Mein Herz war zu gedrängt, da konnte ich nicht sehr viel schreiben. Ich weiß nicht eigentlich so recht, wo mein Stocken lag! Vielleicht fürchtete ich, sie möchten meine Gemüthsverfassung tadeln; und ich hatte sie lieb, ob sie schon nicht ganz angenehm war, denn es lag noch viel gegen Cleberg in mir. Ich konnte ihm noch immer nicht vergeben. Mein Oheim und sie würden mich für übertrieben empfindlich gescholten haben; und ich konnte mir durch nichts als durch mein Schweigen eine Art von Rache aufbehalten. Ich bratzte doch nicht mit ihm; wie
Heute wird, denke ich, mein Brief Farben haben, wenn ich so glücklich bin, alles zu schildern, was seit einigen Tagen hier geschah. Madame Grafe ist mit einer artigen neu verheyratheten Nichte bey uns und Cleberg hat schon vor einer Woche einen sehr guten Maler hier, der ihn, Fritzgen und mich auf ein Stück für Latten malen soll. Der junge Mann ist voll Genie, und so ganz von seiner Kunst trunken voll, daß ihm alles eine malerische Stellung, einen malerischen Faltenbruch, ein malerisches Licht hat, und erblickt er so
Frau Grafe und ihre Nichte bleiben hier, bis Frau Cotte sie abholt. Die junge Person ist hübsch, gut, voll Heiterkeit eines schuldlosen Herzens, hat ungemein vielen natürlichen Geist, und hat oft die witzigsten Gedanken, lacht gern innig und treuherzig über den geringsten Anlaß, hängt weder an Putz noch ausserordentlichen Zeitvertreiben, haßt die Tadelsucht und Schwätzereyen mit einem ihrem Herzen Ehre machenden Abschen, jede Fähigkeit zu thätiger Tugend ihres Standes und zu Kenntnissen liegt in ihr unverdorben und ohne falsche Richtung, und sie kann in allem einen der schätzbarsten weiblichen Charaktere nach Geist und Seele werden. Ihre Erziehung war
Wir bleiben länger hier, als ich dachte! Alle Zimmer haben Oefen bekommen; denn Cleberg will erst den ein und zwanzigsten November in die Stadt zurück, um, wie er sagt, die Natur sich auskleiden und einschlafen zu sehen; welches bey dem ersten Schnee seyn wird. Er reist doch öfters nach der Stadt, und läßt gewiß da, nach seinem herrschenden Baugeiste, etwas machen, denn ich habe Briefe von Bauleuten und Tapezierern an ihn gesehen, jedoch nicht gelesen, weil wir beyde hierinn recht artig miteinander handeln, und keine Briefe öfnen, nach keinem fragen, und beyderseits mit dem, was wir uns davon erzählen, zufrieden sind. Dieß scheint eine unbedeutende Kleinigkeit unter Ehegatten zu seyn; und doch, meine Liebe, liegt in dieser Bescheidenheit viel Gutes, so, wie überhaupt an allen kleinen Fäden der Achtung und Höflichkeit.
Ich nahm meinen Brief Mittags 2 Uhr zurück, um Ihnen eine mich sehr freuende Nachricht zu geben. Linke frühstükte gestern bey Ott, und kam nachher sammt diesem zu uns. Halb munter fragte er: warum ist Hannchen fort? Ich sagte: ich wüßte es nicht. Es hat doch eigene Ursachen! Warum wollen sie es dann wissen? Weil es mir leid thäte, wenn es aus Liebe für Jemand geschehen wäre. Und wollten sie nicht, daß Hannchen liebte? Ja, aber nur mich! Husch, Linke; das ist schnell gefodert für einen Menschen, der so kalt war, als das artige Geschöpf hier lebte. Kalt? ich war eifersüchtig, und beobachtete sie nur; aber nie hat mein Herz eine andere Frau gewünscht, und nie werde ich eine andre nehmen. Hohlen sie sie wieder, reden sie für mich; mein Haus ist bestellt: es mag zum Sterben, oder Heyrathen seyn.
Linke! sagte ich, sie gefallen mir nur halb bey Allem, was sie da sagen; und mit diesem Tone da, sollen sie Hannchen nicht haben.
Vergeben sie mir! ich fühle, daß ich ihre
Nun erzählte er, warum er in die Stadt gegangen sey: eines theils, weil er wirklich vermuthet, Herr Stiegen sey Hannchen werther als er; und auch, um mit seiner Großmutter über einen Brief zu reden, in welchem er ihr von seinen Absichten auf Hannchen geschrieben hatte, um ihren Beyfall und eine Beysteuer zu erhalten; denn da er anfing, an Hannchens Neigung zu zweifeln, konnte er an seine Großmutter nicht mehr in dem dringendem Tone schreiben, und wollte daher lieber mündlich mit ihr reden, um alles auf Schrauben zu setzen, die sich wenden lassen, wenn sein Glück sich wendete. Also wäre die doppelte Besorgniß, daß er bey der alten Frau sich zu voreilig ausgelassen, und seine Eifersucht zugleich, die Ursache von seinem finstern und, wie ich gesagt, kalt scheinenden Aussehen gewesen; um so mehr, da seine Großmutter alles recht wohl genommen, und auch ihm viel Gutes versprochen
Cleberg war unvermerkt von uns fortgegangen, und hatte den jungen Itten aufgesucht, mit dem er von Linkens Absichten auf seine Schwester sprach, und ihn ersuchte, aufrichtig zu sagen, ob sie nicht für jemand anders eingenommen sey; und ob sein Freund sich
Ich war weit entfernt zu denken, daß die kleine Geschichte unsers guten Hannchen Ihnen so anziehend scheinen würde, um zu wünschen, daß sie die nachkommenden Auftritte des ersten Antrags sogleich erfahren möchten,
Da! da! sagte sie; aber Frau Itten kam mit möglichster Eile herbey; die Magd öfnete die Prunkstube und man führte den Besuch hinein.
Die Itten sahen sich an! Linke erholte sich wieder und dankte ihr. Nun nahm sie Frau Ittens Hand und bat sie ihr die Braut, ihre Enkelin, sehen zu lassen. Linke wollte sie holen. Das ist recht: aber du solltest doch erst Vater und Mutter fragen, ob du darfst?
Sie nickten, ja! und er war fort; da sagte sie viel Gutes von ihrem Enkel Sohn, wie er von Jugend auf ein guter Bub gewesen, und ihr Mann ihn meist erzogen habe; daß ihre Tochter recht gut mit ihm ankom men würde, und daß sie gegen Gewohnheit der Schwiegermütter, mehr auf Hannchens als auf Linkens Seite seyn wolle. Hannchen kam etwas zaghaft und verschämt, aber sie ging ihr freundlich entgegen. Das ist recht schön! sagte sie: so sittsam roth zu werden das ist auch alte Mode, wie dieser Teppich und diese Stühle, aber meine
Diese Anrede und die Wendung, welche alles dadurch bekam, brachte allen Thränen in die Augen. Hannchen weinte am meisten, und küßte ihr die Hände, und die wunderliche Frau fand dieß auch neumodisch, so wie sie die zinnerne Waschbecken der guten Ittenschen Mädchen auch gefunden hatte und sich die Wasserkugel lobte, die sie in der Mutter Schlafzimmer, und in der Wohnstube angetroffen, über welche das Handtuch herunter hängt, und das Waschwasser aus dem kleinen Krahn in eine zinnerne Muschel läuft. Linke hatte Hannchen bey der Erinnerung des Neumodischen die Hand gedrückt. Sie verstunds und sagte lächelnd: Aber, liebe Großmama! wie soll ich ihnen dann meine Verehrung und meine Liebe zeigen? durch das Händeküssen geht das am besten und behendesten. Drücke sie meine Hand und gebe sie mir einen freundlichen Namen dabey: aber das soll unser größter Streit gewesen seyn, setzte sie hinzu, und suchte nun die Schlüssel zu ihrer Brieftasche
Im nemlichen Jahr gab sie ihr auch drey schöne seidene Halstücher für ihre Schwestern; führte aber das arme Hannchen mit dem grün und weißen Kleide überm Arme in Linkens Schlafzimmer, wo das gute Mädchen das Kleid auf seinem Bett ausbreiten, und seinen Schlafrock darüber legen mußte, damit er beym Schlafengehen es finde, und so gleich merken könne, wozu es gehöre. In dem Zimmer war es ziemlich unordentlich; nun fing sie an aufzuräumen, und Hannchen mußte helfen, damit er sähe, zu wes eine brave Frau nütze. Dies war der Braut herbe, weil sie sich da mit alten Kleidern und schwarzer Wäsche des Linken bekannt machen mußte, eh sie ihn selbst recht kannte. Es blieb ihr auch etwas von diesem Mißvergnügen übrig, als sie nach Hause kam, und sie vermied mit
»Weisses Zeug von Christian und Hanne Linke.«
Das gute Weibgen staunte und dankte ihr mit nassen Augen. Das hat sie durch ihr Spinnrad verdient, meine Tochter, sagte sie, indem sie ihr die Hände drückte. Ein Zimmer darf sie neumodisch einrichten, wär' es auch nur wegen Herrn und Frau Cleberg, damit die sehen können, daß sie nicht so schlecht sey. Die Sanftmuth und kindliche Achtung Hannchens freut die Frau ungemein, und sie will nun, daß der Sohn einer reichen guten Freundin von ihr eine Schwester Hannchens heyrathe, und Linke ist unendlich glücklich. Ich habe die zweyte Schwester zu mir genommen, ob schon Herr Stiegen gern gesehen hätte, daß es die dritte gewesen wäre, die ihm, nach Hannchen, am besten gefiel und wie Ott vorbat, so soll er sie recht wünschen, und dann bekommen. Die Mutter ließ mir sie nicht, weil sie zu luftig
Nun haben sie einen ganzen Roman aus dem Privatstande, denn Linke ist nur zweyter Stadtschreiber.
Ich habe einen neuen merkwürdigen Gast. Das ist ein sonderbarer Mann der alte Stiegen! Aber nie sah ich einen so einnehmenden und so geistvollen Alten, als ihn und meinen Oheim, jedoch mit dem wesentlichen Unterschied,
Der alte Stiegen hat sein Zimmer gleich neben meinem Oheim, da lassen sie die Thüren des Nachts offen und sprechen noch miteinander aus ihrem Bette, bis einer von ihnen einschläft, von alten und neuen Zeiten, von Menschen und Gewohnheiten. Es ist höchstrührend, wenn sie nun nach dem Frühstück oder Mittagsessen so ihre Welt und die unsrige vornehmen: Stiege, mit Eifer die Alte lobt und vorzieht, mein Oheim die jetzige vertheidigt und ihre Verdienste hererzählt; Stiege ihm zuhört! manchmal mit Lächeln den Kopf schüttelt, oder mit Empfindung ihm zunickt; endlich seine Hand ergreift und sagt: Nun, mein lieber Eben, du bist noch immer der gute Junge der du in Halle warest, du vertheidigst jetzt Nationen, wie du die Schulfüchse in deinen Schutz nahmst, wenn ich und andre alte Pursche zu derb mit ihnen verfahren wollten.
Ich komme so eben aus der gewohnten Dankpredigt, die am Ende und nach Einsammlung jedes Herbstes gehalten wird. Alles, was ich da fühlte und sah ist recht eigentlich dazu gemacht, an meine vorherige Gedanken angereihet zu werden. Die Kirche war voll, und schon dies freuete mich, das Gedränge zum Danken war der Beweis, daß sie den erhaltenen Segen mit Freuden fühlten. Alle Kleider, alle Gesichtszüge, waren festlich. Die Kirche wird ohnehin durch die Aufsicht des Pfarrherrn sehr rein und gut gehalten. Die Predigt, o meine Liebe! wie gerne sagte ich, es sey eine Engelszunge gewesen, die alle Herzen in Bewegung setzte. Wie einfach die Sprache und Ausdrücke, wie innig redete er die Alten, die Jüngern und Kinder an, da er ihnen das Bild der Erndte von ihrer Hände Arbeit und des von
Er sprach in eben dem Tone und auch kurz mit den Handwerkern, dem Gesinde und den Armen, die er tröstete und ermunterte, endlich allen andern Landleuten der ganzen Welt auch Gutes wünschte, wozu eine so gute Oberherrschaft und Beamten zu rechnen wäre, wie sie hätten. Sie sollten auch daher die Pflichten, als Unterthanen gerne erfüllen und gedenken, Te Deum gespielt und mein Cleberg und Oheim, Otte und die jungen Stiegen nebst mir dem Chor gesungen und Ott am Ende noch einige schöne in die Seele tönende Läufe gespielt hatte. Der ganze Kirchhof war voll von den Bauersleuten; alle sahen so liebend, so vertraut und vergnügt auf meinen Mann und ihren Pfarrer, der aus der Sakristey heraus kam. Cleberg ging mit schönen schnellen Schritten auf ihn zu, eichte schon, noch eine Strecke von ihm, nach seiner Hand und sagte: Lieber Herr Pfarrer! Gott segne sie für ihre Predigt. Aber wie kamen sie darzu, auf mich zu deuten? Er antwortete: Gott sey Dank! daß ich es mit dem Zeugnis der ganzen Gemeinde thun konnte. Nicht alle Pfarrer können
Ich bin wirklich sehr böse über mich: denn da ich mein Briefbüchelchen nachsehe, so sind es so viele Tage, daß ich Ihnen Antwort und einen Brief schuldig bin. Meine Abwesenheit trug was zu dieser Verzögerung bey, aber es ist doch nicht recht; ich hätte aus dem Hause der Frau Grafe schreiben können. Doch meine Nachläßigkeit ist genug bestraft, da ich so lange Zeit ohne eine Unterhaltung mit Ihnen zugebracht habe, und dann erinnere ich mich, daß Sie ein Paarmal mir sagten, daß Sie in spätern Briefen von mir, eher das sehen, was
Das ist nun eine lange Vorrede zu zweyen vielleicht sehr kleinen Gemählden, die Sie schon vermuthen, und ich will sie nun geschwind auspacken. Wir wurden von Frau Grafe gebeten noch ein paar Tage in Rehberg bey ihr zuzubringen; sie hätte ohnehin Fremde, die uns gewiß gefallen würden. Wir gingen auch vor sechs Tagen hin und trafen zwey Frauenzimmer und zwey Herren, die alle einen durch Bücher- und Menschenwelt ausgebildeten Geist zeigten. Wenigstens, sagt Cleberg, müßte viel Schönes und Merkwürdiges von ihnen vorbeygegangen seyn. Ich glaube, er will damit sagen, daß er ihnen keine gründlichen Kenntnisse zuschreibt. Es mag seyn, es liegt doch wahre Verehrung jedes Verdienstes in ihnen, und eines der Frauenzimmer kennt die Gesinnungen der Freundschaft gewiß ganz, denn es ist ihr Heiligthum, in dem sie mir als Priesterinn erschienen ist; und Frau Grafe behauptet vor diesen Fremden ein schöneres Stück Philosophie gelernt zu haben, als Sie und van Guden mir jemals mittheilten. Es war die Frage von Tadel und Verläumdung, welche so vieles
Diese Dame hieß Julie Bondeli, ein, wie die Fremde sagt, für alle, die sie kannten, heiliger, geliebter Name, weil er ihnen Größe des Geistes und der Seele in einem Bilde darstellt. Kenntnisse, Tugend und jeder Reiz des Verstandes und der Güte lagen in ihr vereint.
Sie gab uns dann Briefe von ihr zu lesen. O meine Mariane! diese Freundin hätten Sie haben, Sie kennen sollen. Unsere Männer bewunderten den Scharfsinn ihrer Einsichten, die Richtigkeit ihrer Urtheile und Ausdrücke, neben der schönen Schreibart. Ihre Feder hat alle Grazie ihres Geschlechts und ihr Geist alle
Cleberg und Ott behaupten, daß unsere Julie, seit diesem Tage einen geheimen Stolz auf ihren Namen hätte, und sie will, daß ihr nähestes Mädchen Julie Bondeli getauft werden soll. Mir sagte sie: Dann wird Latten finden, daß ich noch mehr Engländerin bin, als du, weil diese ihren Kindern so gar die Familiennamen ihrer geliebten Freunde geben. Das jüngere Frauenzimmer war eine artige Brunette, niedlich gebaut, hatte schöne schwarze Augen und war voll Verstand und Empfindung. Sie hat unschuldige Munterkeit wie ein Kind, ob sie schon mit drey und zwanzig Jahren selbst schon Mutter von drey Kindern ist. Cleberg sprach gern mit ihr, weil sie ihm voller Witz zu seyn schien; aber er fand mehr, wie er sagt; da
Sie waren alle vier Tage mit uns zu Rehberg und dies sind wirklich Göttertage für mich gewesen. Denken sie sich den Hausherrn und Frau, die Callen, die Kahnberge, Otten, der herrliche Rath Franke, unserer Grafe Bruder und feine artige Frau, wir Cleberge und meinen Oheim; dieser und mein Mann freuten sich ungemein über die Erneuerung vieler halb erloschenen Bilder, die ihnen durch diese wieder
Für mich war dieser Aufenthalt noch viel mehr als für die andern; weil er die ersten reizenden Tage in mein Gedächtnis zurück rief, die ich in Redberg verlebt habe. Der vortrefliche Pfarrer lebt nicht mehr, durch den ich Henriette von Effen kennen lernte; aber sein jüngerer Bruder hat die Stelle, und die Einwohner von Effenhofen sind durch Herr T. sehr glücklich, sagte Herr Callen, dessen Gut hier in Rehberg liegt. Mein Mann ließ mich nicht nach Effenhofen gehen, weil er mich von starken Gemüthsbewegungen
Nun ist die zweyte Ittensche Tochter ganz bey mir. Sie ist, ohne Schönheit, höchstgefällig, von mittler Größe, schlank, weiß, etwas Pockennarbigt, Wangen und Lippen fein roth, der Mund groß, aber schöne Zähne, und die Bewegung im Reden und Lachen ganz artig, Anstand in allem was sie thut. Sie faßt alles leicht, bewegt sich und geht leicht; denkt und spricht gut, ist freundlich, edel und dienstfertig. Wie innig das holde Mädchen sich an mich heftet, kann ich ihnen nicht genug sagen! Sie lauscht, sieht und horcht nach mir, wenn ich mich wende, komme oder rede. Aber eben so aufmerksam ist Ott auf sie. Letzt sagte sie mir, in seiner Gegenwart: Sie wolle meine mir ganz ähnliche Tochter werden. Da faßte er ihre Hand und sprach ganz lebhaft: O wie glücklich machten sie uns alle, meine Liebe, wenn dieß geschähe. Was will er damit? Ich ward roth, und das liebe Mädchen sagte so
Eine Begebenheit von diesem Morgen muß ich Ihnen noch erzählen. Wir gingen nach dem
Ich mußte sie hier freundlich anblicken und sie sagte mir: aber warum sagten sie nichts? Sie sind sonst so gut gegen die Armen. Ich mußte erst sehen, ob es meinem Cleberg mit
Nun schicken wir uns an zur Rückreise in die Stadt und mein Oheim sagt, unser Besuch bey dem sogenannten Moorbauren sey ein Abschiedsbesuch gewesen. Er hat mich diesen Abend sehr bewegt, da er mit mir auf dem kleinen Altane stund, der über unserer Hausthüre
Mariane! Sie, die immer alles was mich quälte und freute mit mir theilten, nehmen Sie heut den Ueberfluß dessen was ich gestern fühlte, und gewiß es freut Sie mit mir.
Gestern Abend zogen wir wieder in die Stadt, und wirklich ist unser Gartenhaus zu leicht gebauet, um uns genug gegen die Nordwinde zu schützen, meine Leute giengen schon des Morgens nach dem Frühstück ab. Wir aßen bey dem Pfatrer zu Mittag und es wurde bis zu unserer Ankunft in die Stadt so spät und dunkel, das schon in allen Häusern die Lichte angezündet waren. Cleberg hatte Carolinen zum Namenstag einen blauen Reiserock und Kappe mit weissem Pelz ausgeschlagen machen lassen, wie meine gelbe Kleidung ist. Wir mußten beyde diese Kleider anziehen, theils weil es kalt und duftig war, theils auch weil es uns beyden sehr gut stund. Sie denken sicher, daß uns letztere Ursache eben so wohl gefiel, als erstere
Ja meine Liebe, der Officier hat uns alles selbst erzählt, und Sie würden auch ohne Bitten einen kleinen Auszug der Geschichte dieses schätzbaren jungen Mannes erhalten haben. Aber eines müssen Sie thun, Mariane! In meinen ältern Briefen nachzusuchen, wo die Frau Wolling der van Guden ihre Geschichte erzählt; denn dort werden Sie einen jüngern Bruder finden, der Charlotten und ihren Carl unendlich liebte, aber mit 17 Jahren von dem väterlichen Hause wegkam, und gleich in Kriegsdienste trat. Sein schwanker richtig gebauter Körper, sein mit sanftem Feuer viel Geist versprechendes Auge, das gute Herz, und die Gefälligkeit, welche in seinem Lächeln und in dem Ton seiner Stimme bemerkt wurden, gefielen dem Obristen seines Regiments so gut, daß er sich gleich vorsetzte, eine besondre Sorgfalt auf die Ausbildung dieses Jünglings zu
Der Sturz seines Vaters, das verringerte Vermögen seiner Familie, eine Art von Beschämung, die er darüber fühlte, machte ihn wünschen, recht weit von seinem Vaterlande wegzukommen, und es gelang ihm, in russische Dienste aufgenommen zu werden; und daselbst unter der Anführung und dem Beyspiel eines deutschen Generals
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von großem Geist, seine
Schloß Mohnberg, durch adelichen Wohlstand der edlen Mohnheimer erbaut, durch adeliche Wuth im Faustkriege verstört; dennoch schützten meine Ueberreste neun Jahre lang die zu mir geflüchtete Unschuld und Tugend einer ganzen Familie, die mich nun als Denkmal der göttlichen Güte betrachtet. Möge ich für ihre Nachkommen ein Stein der Erinnerung werden, daß Gottesfurcht, Fleiß und Rechtschaffenheit die wahren Grundlagen des Glücks sind.
Als er dies aus seiner Schreibtafel vorgelesen hatte, fuhr er fort zu sagen, daß er während der ganzen Zeit, die er in Wollinghof zugebracht, immer ein Gefühl in sich getragen, als ob er in einem großen Tempel herum gienge, in welchem die wahreste und Gott gefälligste Religion gepredigt würde. Er habe auch Gottes Segen so sichtbar in allem gefunden, die Menschen, Thiere und Gewächse so gut, so glücklich, daß er oft im Wald, bey der Hütte, oder dem Stein seiner Mutter ausgerufen hätte: O das ist Elysium! Die größte irrdische Belohnung, die er sich für unsere van Guden
Es ist ein hochachtungswürdiget. Mann. Wir haben ihn malen lassen, ehe er nach Wollinghof zurück gieng. Sie werden also bey uns sein Bild sehen.
In drey Wochen keinen Brief! Schreiben Sie: nimmt van Guden alles? gehört ihr alles? –
Ja meine Beste! Sie haben Ursache zu klagen, daß ich so lange schwieg; aber hören Sie mich, und Sie werden sehen, daß van Guden von dieser Zeit an nicht mehr erhielt, als ihr gebührte. Ich nähere mich einem wichtigen Zeitpunkt meines Lebens, und die vielen obschon angenehmen Bewegungen der Seele, die ich einige Wochen durch zu tragen hatte, machten mich vermuthen, daß ich von einer frühen Niederkunft überrascht werden könnte; da führte ich also mit einer Art Aemsigkeit alle das aus, was ich mir auf diesen Fall vorgenommen hatte; das ist, nicht nur die nöthige Zubereitung der Betten und weißen Zeuges, denn das war alles fertig; aber eine mich stärker angreifende Beschäftigung, Briefe an Sie, meine
Ich und andre wären gerne mit dabey gewesen, aber van Guden wollte es nicht, sie glaubte, es würde eine Art Prunk für sie, und etwas niederdrückendes für die guten Leute seyn, wenn so viel stattliche Herren und Frauen mit ihr durch die Straße zögen, und sie nahm ganz allein unsern Latten mit sich, der auch ihr Haus bewohnt, worinn er eine kleine Leinenfabrik aufrichtet, und welchen sie bey dieser Gelegenheit den Leuten bekannt machen wollte. Er holte sie in der Frühe ab, und sie gieng in dem nemlichen braunen Kleib, das sie ehemals trug, zu ihren alten Freunden, von denen sie mit Liebe und Verehrung aufgenommen wurde. Latten bewunderte ihr höchst feines
Sie wollen von dem gesellschaftlichen Leben so vieler gescheuten Männer und Weiber mehr wissen, besonders da ich Ihnen von einem Entwurf schrieb, der für unsern Winter gemacht wurde. Das trieb sich sattsam umher, weil der muthwillige Kopf meines Mannes den Vorschlag gemacht hatte, daß man eine Zusammenkunft halten, und gemeinsam darüber sprechen sollte.
Wir sassen alle in van Guden Gesellschaftssaal umher. Glücklicher Weise hatten wir Frauenzimmer alle unsere Arbeit bey uns, so wie Mutter Guden an ihrem Tapetenrahme beschäftigt war; sonst würden wir lächerlich ausgesehen haben. Denn beynah wußten unsere Männer nicht ganz, was sie für eine Gattung Gesichter machen sollten: indem sie da höflich, aber doch vorzüglich klug zu Werk gehen wollten; die Weiber sehr bescheiden seyn, aber doch zugleich vorsichtig genug, um keinen von ihren
Diese durch meines Oheims Vorsatz geweckte Ideen hatten mich in van Gudens Cabinet geführt, wohin mir meine liebe Caroline Itten folgte, weil ihr fein fühlendes Herz die Bewegung des meinigen sehr deutlich mit empfunden hatte, und das gute Mädchen auch
Ich sagte es Clebergen gleich, daß Sie gewiß mit der Eintheilung unserer Tage nicht ganz zufrieden seyn würden; ob Sie schon versichert wären, daß selbst unser Scherz immer das Gepräge der Güte des Herzens und eines feinen Verstandes tragen würden: so
Frau Grafe hat Wort gehalten. Sie stiftetete würklich eine recht artige Heurath zwischen unsern guten jungen Itten und der liebenswürdigen Meta Mooß, die mit van Guden hierher kam. Es war ganz besonders, daß wir alle nichts bemerkten, indem Meta selten aus dem Hause geht, und der junge Mann niemals zu van Guden kam, als mit Cleberg, wo er dann entweder mit uns in dem Gesellschaftssaal sich aufhielt, oder bey dem jungen Pindorf und seinem Lehrer Mooß auf der Stube war. Bey unsern kleinen Concerten sang Meta, und bey den Gesprächen war sie neben der kleinen Henriette oder mit den Ittenschen Töchtern
Nun stimmte Frau Grafe wieder zu dem Muntern, und da sie mich von ihren Absichten unterrichtet hatte, so winkte sie dem Herrn Amtmann von Rehberg zu uns, und sagte ihm mit etwas ernstem Ton: er müsse sich nun auch bald nach einer guten artigen Frau umsehen. Er lächelte, erröthete; sagte aber ganz bescheiden: Er glaubte zuerst verbunden zu seyn, einen Beweis zu geben, daß er die Stelle verdiene, eh er es wage, eine ganze Haushaltung auf Rehberg zu führen. Ihre Bescheidenheit steht ganz schön; aber Sie denken doch, Herr Grafe mußte wissen, daß Sie der Mann für den Plan sind: und ich will jetzt für eine Frau dazu sorgen. Itten blieb staunend bey mir, sprach nichts, sah vor sich hin; nur auf einmal wandte er um und ging fort, kam aber
Um 10 Uhr Abends.
Mariane! ich bin nicht wohl, vielleicht – doch ich habe noch einen schönen Abend gelebt, ich sah das Glück und die Freude guter Menschen, sah Hr. von Pindorfs Entzücken für seine Kinder und seine Freundin, denn er kam noch unvermuthet.
Mariane! ich bin Mutter, habe meinen Sohn in meinen Armen. Welch ein unaussprechliches Gefühl! ich lebe! O bete um Gesundheit und Tugend für mein Kind und mich.