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Niemals hab' ich einen Vater gesehn, der seinen Sohn, wenn er auch gleich bucklig oder grindig war, nicht für sein Kind erkannt hätte; obwohl er, wenn er nicht ganz von Zärtlichkeit berauscht ist, schon merkt, wo's ihm fehlt; aber bei alledem ist es sein Kind. So geht's mir! Ich sehe besser als jeder andere, daß dies hier Träumereien eines Menschen sind, der von den Wissenschaften nur die äußere Rinde in seiner Kindheit gekostet hat und sich ihrer nicht weiter erinnert als nach ihren Hauptzügen und das dazu nur undeutlich. Ein wenig von allem, auf gut französisch, und im ganzen nichts. Und läuft alles darauf hinaus, daß ich weiß, es gibt eine Arzneigelahrtheit, eine Jurisprudenz, vier Teile in der Mathematik und so im Bausch und Bogen die Anwendung, die man davon macht. Und so ungefähr weiß ich auch, was die Wissenschaften überhaupt für Nutzen fürs menschliche Leben verheißen; tiefer aber hineinzudringen, mir über den Aristoteles, den Monarchen der neuen Philosophie die Nägel zerkäuen oder auf irgendeine Scienz zu erpichen, das war nie meine Sache. Auch könnte ich von keiner einzigen der freien Künste die ersten Grundzüge zu Papier bringen. Und das müßte ein elender Tertianer sein, der sich nicht für gelehrter zu halten berechtigt wäre als ich! Denn ich würde schön dastehn, wenn ich ihn über seine Lektion examinieren sollte. Und wenn man mich mit Gewalt dazu zwänge, so wäre ich genötigt, ihm, schülerhaft genug, einige allgemeine Fragen vorzulegen, um bloß zu erfahren, ob er Menschenverstand und Mutterwitz hätte; das wäre aber eine Lektion, die unseren Tertianern ebenso fremd sein würde als mir die ihrigen.
Ich habe keinen ordentlichen Umgang mit irgendeinem
Vor einigen Tagen stieß ich eben auf eine solche Passage: ich war ermüdet und ermattet, hinter so blut-und saftlosen französischen Worten herzujagen, die so leer an Sinn und Inhalt waren, daß man nichts Treffenderes von ihnen sagen konnte als französische Worte; nach einer langen und verdrießlichen Jagd traf ich auf eine entzückende Stelle, die sich majestätisch bis in die Wolken erhob. Hätte ich den Abhang ein wenig sanft gefunden und den Steig ein wenig linde, so wäre darüber nichts zu sagen gewesen. Aber es war eine so schroffe, abgeschnittene Anhöhe, daß ich bei den sechs ersten Worten gewahr ward, wie ich in die andere Welt aufflöge; von da an entdeckte ich die Schlucht, aus der ich kam, so tief, so tief, daß ich mich niemals habe überwinden können, wieder hinunterzusinken. Hätte ich eine meiner Abhandlungen mit dem, was ich auf jener Höhe fand, ausgeschmückt, so
In anderen meine eigenen Fehler züchtigen, scheint mir ebenso erlaubt zu sein als an mir selbst, wie ich oft tue, die Fehler anderer zu rügen. Man muß sie allenthalben vor Gericht ziehn und ihnen gar keine Freistatt zugestehn. Ich weiß auch, wie kühnerweise ich selbst es unternehme, jedesmal meine eigenen Fabrikwaren der eingeschwärzten gleichzumachen, so daß man keinen Unterschied merke, nicht ohne eine verwegene Hoffnung, das Auge des Kenners zu täuschen. Aber ich suche es ebensosehr durch die Anwendung, die ich davon mache, als durch meine Erfindung und durch meine Kräfte zu bewerkstelligen. Übrigens ringe ich auch nicht in Bausch und Bogen mit jenen alten Kämpfern oder Faust gegen Faust, sondern in leichten Versuchen und kleinen, wiederholten Gängen. Ich lasse mich nicht ein auf Faustkampf, ich betaste sie bloß und gehe nicht sowohl als ich mich bereden lasse zu gehn. Ja, könnte ich ihnen Fuß halten; ehrlicher Mann genug wär' ich; denn ich packe sie nur da an, wo sie die stärksten Sehnen haben. Es zu machen, wie ich von einigen wahrgenommen habe, die sich mit fremden Waffen dergestalt bedecken, daß sie nicht einmal eine Fingerspitze bloß geben und die ihr Vorhaben durchsetzen, wie das bei einer gemeinen Materie hinter den Meinungen der Alten für diejenigen leicht genug ist, die solche zusammenflicken, unkennbar machen und für ihr Eigentum ausgeben wollen: Aber erstlich ist es ungerecht und niederträchtig, indem sie nichts im Vermögen haben, womit sie sich zeigen könnten und sich also bloß mit fremden Schätzen breitmachen; und ferner ist's eine plumpe Dummheit, indem sie sich durch solche Mausereien ein Lob des unwissenden Haufens erschleichen und sich bei Leuten von Verstand, die dieses erborgte Mosaik mit Hohnlachen schauen, in üblen Ruf setzen, deren Lob doch nur allein von Bedeutung ist. Meinerseits möchte ich nichts so ungern tun als dies. Ich sage nie einem anderen etwas, als um es mir um so nachdrücklicher zu sagen. Dies ist keine
Das Amt des Privatlehrers, den Sie ihm geben werden, von dessen Wahl die ganze Wirkung der Erziehung abhängt, hat verschiedene andere wichtige Zweige, die ich aber nicht berühre, weil ich nichts Triftigeres darüber vorzubringen weiß; und von dem Artikel, worüber ich ihm meinen Rat zu erteilen mir beigehn lasse, mag er mir so viel glauben, als ihm davon glaubwürdig erscheint. Einem Kind von vornehmem Haus, das man den Wissenschaften zuführen will (nicht aus Absicht auf Gewinn – denn ein so niedriger Zweck wäre der Huld und Milde der Musen unwürdig, und hängt dabei ab von Zufälligkeiten –, auch eben nicht sowohl auf äußere Bequemlichkeiten als auf sein eigenes Wohl, um sein Inneres damit zu zieren und zu bereichern und um ihn vielmehr zu einem brauchbaren als gelehrten Mann zu bilden), wollte ich, daß man sorgfältig wäre, einen Führer zu wählen, dessen Kopf viel mehr hell und klar wäre, als voll geschüttelt und gerüttelt; daß man zwar auf beides, aber mehr auf Sitten und Verstand als auf Gelehrsamkeit bei ihm achtet, und daß er sich in seinem Amt auf eine neue Art benehme. Man schreit uns immer in die Ohren, als ob man's in einen Trichter schüttete, und unser Tun dabei ist nichts anderes 1
Es ist gut, daß er ihn vor sich trottieren lasse, damit er seinen Gang kennen und beurteilen lerne, wie tief er sich zu ihm herablassen müsse, um sich seinen Kräften gleichzuhalten. Versäumt man dieses Verhältnis, so verdirbt man alles. Um es zu treffen und sich aufs gemessenste danach zu richten, ist unter allen Pflichten, die ich von einem Hofmeister erfordere, die dringendste. Und es ist die Wirkung einer hohen und starken Seele, sich zu diesem kindischen Gang herablassen und ihn leiten zu können. Ich trete fester und sicherer auf, wenn ich bergan, als wenn ich bergab gehe. Es ist kein Wunder, wenn nach heutiger Gewohnheit gewisse Erzieher, welche es unternehmen, eine ganze Herde Kinder von so verschiedenen Geistesfähigkeiten und Gemütsarten in eine und dieselbe Lektion zu nehmen und nach einem Plane zu unterrichten, unter dem ganzen Haufen kaum zwei oder drei finden, die noch einigermaßen gute Früchte ihrer Zucht bringen! Der Hofmeister muß von seinem Zögling nicht bloß Rechnung von den Worten seiner Lektion fordern, sondern von ihrem Sinn und ihrem Inhalt. Er muß von dem Nutzen, den er daraus gezogen hat, nicht nach dem Zeugnis des Gedächtnisses seines Zöglings, sondern nach seinem Leben urteilen! Er muß ihn das, was er gelernt 2
Ich habe in Pisa einen hübschen Mann sehr genau gekannt, der ein so arger Aristotelianer war, daß sein vornehmster Lehrsatz hieß: Der Probierstein aller gegründeten Meinungen, aller Wahrheiten sei die Übereinstimmung mit den Lehren des Aristoteles. Außerdem gäbe es weiter nichts als Chimären und Possen; denn Aristoteles habe alles ergründet und alles gesagt. Diese seine Meinung, die man ein wenig zu allgemein und zu ausgedehnt verstanden hatte, veruneinigte ihn ein wenig stark und lange mit der Inquisition zu Rom. Laß den Hofmeister also jede Meinung durchs Sieb schlagen und nichts in den Kopf seines Zöglings setzen, was sich bloß auf Ansehen und Kredit fußt. Er muß ihn ebensowenig auf ein Prinzip des Aristoteles als auf ein Prinzip des Epikur oder der Stoiker schwören lassen. Man lege ihm die Verschiedenheit der Meinungen vor; kann er darunter wählen, um so besser; wo nicht, so laß ihn zweifeln.
Che non men che saper, dubbiar m'aggrata.
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Laß ihn vor allen Dingen wissen, was er weiß. Er muß wenigstens ihren Ideengang kennenlernen, ihre Lehrsätze braucht er nicht zu beschwören. Laß ihn geradezu vergessen, wenn's ihm gut deucht, woher er seine Meinungen hat; laß ihn sich solche aber zu eigen machen. Wahrheit und Vernunft sind ein allgemeines Gut und sind kein ausschließenderes Eigentum dessen, der sie zuerst, als dessen, der sie nachher gesagt hat. Sie sind kein Eigentum Platos oder das meinige, weil er und ich solche gleich richtig einsehen. Die Bienen sammeln hier und allerorten von Blumen, aber sie machen daraus Honig, der ihnen ganz eigen gehört. Es ist weder Thymian mehr noch Majoran. Ebenso wird der Zögling das, was er von anderen borgt, verändern und verwandeln, um ein ihm eigenes Werk daraus zu bilden; das heißt, sein Urteil, seine Erziehung, seine Arbeit und sein Studium wird dahin gehn, sich selbst zu bilden. Mag er immer verbergen, womit er sich ausgeholfen, und mir zeigen, was er selbst gemacht hat. Diejenigen, welche borgen und stehlen, prunken mit ihren Gebäuden und Ankaufungen, ohne zu sagen, was sie von fremdem Gut dazu haben. Wir sehen nicht, was die Richter und Advokaten für Geschenke einnehmen, sondern nur, wie sich ihre Familie aufnimmt und ihr Staat sich vermehrt. Niemand hält öffentliche Rechnung über seine Einnahme. Seine Ausgaben verheimlicht niemand; die gibt jedermann zur Schau. Der Gewinn unseres Studierens ist, wenn wir dadurch besser und weiser geworden sind. Epicharmus pflegte zu sagen: der Verstand ist's, welcher hört und sieht; der Verstand zieht Nutzen von allem, er ordnet alles, er wirkt, herrscht, regiert, alles übrige ist blind, taub und ohne Seele.
Es ist nicht genug, seine Seele festzumachen, es muß ihm auch die Muskeln stählen. Die Seele ist viel zu geschäftig, wenn sie keine Hilfe hat, und hat zu viel zu tun, wenn sie zwei Ämtern vorstehen soll. Ich weiß, wie sich die meinige in der Gesellschaft eines so weichen, fühlbaren Körpers plackt, der sich so sehr auf sie steift und stützt. 6
Man muß den Zögling zu den Mühseligkeiten der Arbeit und den Unbequemlichkeiten der Leibesübungen gewöhnen, um ihn gegen allerlei Schmerz unempfindlicher zu machen; dahin gehören Verrenkungen der Glieder, Schmerzen in den Eingeweiden, Brennmittel auf der Haut, sogar Gefängnis und Marter der Folter. Denn selbst den letzteren kann er zu gewissen Zeiten ausgesetzt sein so gut wie die Bösewichter. Wir haben die Exempel! Wer die Gesetze bestreitet, droht dem Rechtschaffenen mit Geißel und Strick. Überdem noch wird das Ansehen des Hofmeisters, das über den Zögling uneingeschränkt sein soll, durch die Gegenwart der Eltern unterbrochen und geschmälert. Dazugenommen den Respekt, den das Hausgesinde dem jungen Herrn zeigt, und die Idee, die er sich von der Größe und Hoheit seiner Familie macht, so sind das nach meiner Meinung keine kleinen Hindernisse bei seinem Alter. In dieser Schule des Umgangs mit Menschen habe ich auch die Unbequemlichkeit bemerkt, daß, anstatt uns die Kenntnis von anderen zu erwerben, wir nur darauf arbeiten, uns anderen bemerklich zu
Denn es ist eine unhöfliche Anmaßung, alles herabzuwürdigen, was nicht nach unserem Geschmack ist. Laß es ihm genügen, sich selbst zu bessern; und nicht anderen darüber Vorwürfe zu machen, was es sich selbst zu tun versagt; noch die öffentlichen Sitten reformieren wollen. Licet sapere sine pompa, sine invidia.
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Es vermeide das Bild eines angemaßten und ungesitteten Reformators der Welt und den kindischen Ehrgeiz, feiner zu scheinen, weil es anders denkt und als ob es eine so schwere Sache wäre zu tadeln, neue Sachen vorzubringen und sich dadurch einen großen Namen zu erwerben. So wie es nur großen Dichtern anständig ist, sich poetischer Freiheiten zu bedienen, so ist es auch nur bei großen und vorzüglichen Seelen erträglich, wenn sie sich die Freiheit nehmen, sich über die Gewohnheit hinwegzusetzen. Si quid Socrates et Aristippus contra morem et consuetudinem fecerunt, idem sibi ne arbitretur licere: magnis enim illi et divinis bonis hanc licentiam assequebantur.
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Man muß es lehren, sich in kein Gespräch oder in Wortstreit einzulassen, als wenn es einen Gegner findet, der es mit ihm aufnehmen kann, und selbst alsdann sich nicht aller Wendungen bedienen, die ihm zustatten kommen könnten, sondern bloß der dienlichsten. Man flöße ihm Delikatesse ein in der Wahl und Darlegung seiner Gründe und Liebe zum Zweckdienlichen, 9
Ist der Hofmeister meines Sinnes, so wird er den Willen des Zöglings dahin lenken, ein treuer, anhänglicher und tapferer Dienstmann seines Fürsten zu werden, wird ihm aber die Begierde abkühlen, ihm aus anderer Rücksicht zu dienen als aus öffentlicher Staatsbürgerpflicht. Außer verschiedenen anderen Unbequemlichkeiten, welche durch diese besonderen Verbindlichkeiten unsere Freiheit kränken, ist das Urteil eines gemieteten oder gekauften Menschen entweder weniger unbefangen und weniger frei, oder es hat den Schein der Unbesonnenheit und Undankbarkeit gegen sich. Ein wahrer Hofmann kann kein ander Gesetz, keinen anderen Willen haben, als vorteilhaft von seinem Herrn zu sprechen und zu denken, der ihn unter so viel tausend Untertanen gewählt hat, um ihn zu nähren und mit seiner Hand zu erhöhn. Diese Gunst, dieser Nutzen bestechen nicht ohne alle Ursache seine Offenherzigkeit und blenden sein Urteil. Gleichwohl sieht man gewöhnlicherweise, daß die Sprache dieser Leute von der Sprache anderer in einem Staat sehr verschieden und in dergleichen Materien nicht sehr zuverlässig ist. Aus den Reden des Zöglings müssen sein Gewissen und seine Tugend hervorleuchten; und sie müssen bloß die Vernunft zur Führerin haben. Man mache es ihm einleuchtend, daß die Fehler gestehn, die er in
Er muß sich erkundigen nach den Sitten, den Einkünften einem Despoten untertan, weil sie eine Silbe nicht aussprechen könnten! Das Wort Nein nämlich, welches vielleicht dem Böethius Stoff und Anlaß zu seiner Schrift »Die freiwillige Knechtschaft« gab. Zuweilen stellt er in dem Leben eines Mannes eine Handlung oder ein Wort, welche unbedeutend schienen, in ein solches Licht, daß solche einen wichtigen Sinn bekommen. Es ist schade, daß die Menschen von so großem Verstand so sehr die Kürze lieben! Unstreitig gewinnt dadurch ihr Ruhm; aber wir verlieren dabei. Plutarch will lieber, daß wir ihn seines richtigen Verstandes wegen rühmen als seiner Gelehrsamkeit. Er will uns lieber sein Begehren lassen als uns sättigen. Er wußte, daß man selbst von guten Dingen zuviel sagen könne und daß Alexandrides demjenigen, welcher den Ephoren einen guten aber zu langen Vortrag tat, mit Recht den Verweis gab: »O Fremdling, gute Sachen sagst du, du sagst sie nur nicht gut.« Wer einen magern Leib hat, trägt gern einen ausgestopften Wams, und denen, welchen die Materie schwindet, schwellen die Worte.
Man zieht eine unvergleichliche Klarheit für den menschlichen Verstand aus dem fleißigen Umgang mit Menschen. Wir sind alle in Haufen zusammengedrängt und sehn nicht weiter, als unsere Nasen reichen. Als Sokrates befragt war, woher er gebürtig sei, antwortete er nicht: »aus Athen«, sondern: »aus der Welt.« Dieser Weise, dessen Geist besser genährt und weniger umgrenzt war, umfaßte die ganze Welt wie seine Vaterstadt; weihte seine Kenntnis, seinen Umgang und sein Wohlwollen dem ganzen Menschengeschlecht; nicht wie wir, wir sehen nur unter uns herab. Wenn in meinem Dorf der Weinstock verfriert, so zieht mein Pfarrer daraus den Schluß, daß Gott über das ganze Menschentum zürne, und urteilt, daß den Kannibalen davon schon das Zäpflein geschossen sei. Wer schreit beim Anblick unserer bürgerlichen Kriege nicht, daß die Maschine zu Trümmern gehe und daß uns der
Wir sind alle, weniger oder mehr, in diesem Irrtum. Ein Irrtum von großem und nachteiligem Einfluß. Wer sich aber das große Bild unserer Mutter Natur gleichsam wie in einem Gemälde in ihrer ganzen Majestät vorstellt; wer in ihrem Gesichte eine so allgemeine, so beständige Abänderung sieht; wer sich darin betrachtet, und nicht bloß sich selbst, sondern ein ganzes Reich, wie den Strich von einer sehr zarten Spitze – nur der schätzt die Dinge nach ihrer wahren Größe. Diese große Welt, welche einige noch wie Spezies unter ein Genus multiplizieren, ist der Spiegel, in den wir schauen müssen, um unseren wackeren Balken wahrzunehmen. Kurz, ich verlange, daß sie das Buch meines Schülers sein soll. So vielerlei Charaktere, Sekten, Urteile, Meinungen, Gesetze und Gewohnheiten lehren uns, richtig von unseren eigenen zu urteilen, und überzeugen unseren Verstand von seiner Unvollkommenheit und von seiner natürlichen Schwäche; und das ist keine leichte Lektion. So manche Staatsrevolutionen und Umkehrungen der öffentlichen Glückseligkeit so mancher Reiche lehren uns, aus unserem eigenen kein so großes Wunderwerk machen. So viele Heldennamen, so viele Siege und Eroberungen, die in der Vergessenheit begraben liegen, machen die Hoffnung lächerlich, durch Gefangennehmung von zehn Landmilizen und die Eroberung
Was Wissen ist und was Unwissenheit; was der Endzweck alles Lernens ist; was Tapferkeit ist, was Mäßigkeit und Gerechtigkeit; was sich zwischen Ehrgeiz und Geldreiz bemerken läßt; was zwischen Knechtschaft und
Et quo quemque modo fugiatque feratque laborem.
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Was für Triebfedern uns in Bewegung setzen und was uns auf so mancherlei Art wünschen und handeln läßt. Denn nach meiner Meinung müssen die ersten Weisheitslehren, womit man seinen Verstand erquickt, darin bestehn, daß sie seine Sitten lenken und seine Empfindungen; daß sie ihn lehren, sich selbst erkennen, gut leben und gut sterben. Unter den freien Künsten laß uns mit der Kunst anfangen, die uns frei macht. Sie dienen freilich alle, ohne Widerrede, auf gewisse Weise zum Unterricht für unser Leben und dessen Anwendung; wie alle anderen Dinge gewissermaßen dazu ebenfalls dienen. Aber laß uns diejenigen wählen, welche uns geradewegs und vermöge ihrer Natur dienen. Wenn wir die Bedürfnisse unseres Leben in ihre richtigen und natürlichen Grenzen einzuschränken wüßten, so würden wir finden, daß der größte Teil der Wissenschaften, welche im Gebrauch sind, für uns von keinem Gebrauch sind. Und daß selbst bei denen, welche es sind, es solche unnütze Ausdehnungen und Vertiefungen gibt, über die wir besser täten, hinwegzusehn; und daß wir nach dem Rat des Sokrates uns mit unserem Studieren bloß an die halten sollen, welche nützen:
die Wissenschaft der Gestirne und Kenntnis des Ganges der achten Sphäre, eh' sie noch ihre eigenen kennen.
Anaximenes schrieb an Pythagoras: Aus welcher Absicht könnte ich mich mit dem Geheimnis der Gestirne befassen, da ich Tod und Knechtschaft beständig vor meinen Augen schweben sehe? Denn damals rüsteten sich die persischen Könige zum Kriege gegen sein Vaterland. Ein jeder muß so sagen, der von Ehrsucht, Geldgeiz, Übermut, Aberglauben bekämpft wird und in seinem Inneren noch dergleichen andere Feinde des Lebens hegt: Soll ich mich um den Lauf der Dinge dieser Welt bekümmern?
Nachdem man den Zögling gelehrt hat, was nötig ist, um ihn weiser und besser zu machen, so mag man ihn mit der Logik, Physik, Geometrie und Rhetorik bekannt machen; und welche Wissenschaft er dann auch wählt, da einmal sein Verstand gebildet worden, so wird er davon bald Meister werden. Sein Unterricht werde ihm bald durch trauliche Gespräche, bald durch Bücher beigebracht. Zuweilen gebe ihm der Lehrer die Schriftsteller selbst in die Hände, die zu diesem Zwecke tauglich sind; zuweilen gebe er ihm daraus Saft und Mark ganz zubereitet. Sollte der Lehrer selbst nicht hinlängliche Bekanntschaft mit den Büchern haben, um die zu seiner Absicht dienlichen
Es ist seltsam, daß es in unserem Jahrhundert mit uns dahin gekommen, daß selbst bei Leuten von Verstand die Philosophie bis zu einem bedeutungsleeren Worte, ohne allen Nutzen, ohne allen Wert, weder in Meinung noch in Wirkung, herabgesunken ist. Ich glaube, die Ergos, die sich ihrer Zugänge bemächtigt haben, sind schuld daran. Man hat groß unrecht, sie den Kindern als unzugänglich vorzumalen und ihnen solche mit mürrischem, grämlichem und schreckendem Gesicht abzubilden. Wer hat sie in diese bleiche, runzlige Larve vermummt? Nichts ist heiterer, munterer, fröhlicher; fast möcht' ich sagen, scherzhafter! Sie predigt nichts als Frohsinn und Wohlleben. Trübe und finstere Mienen sind ein Zeichen, daß sie da nicht herbergt. Als Demetrius der Grammatiker im Tempel zu Delphos einen Haufen Philosophen beisammensitzen sah, sagte er: Entweder ich betrüge mich, oder euere so heiteren, friedlichen Gesichter sagen mir, daß ihr eben in keiner wichtigen Unterredung begriffen seid. – Worauf einer unter ihnen, Heracleon der Megarier, antwortete: Mögen diejenigen, welche untersuchen, ob das Futurum von βάλλω ein doppeltes λλ hat, oder welche die Abstammung der Komparative χειρον und βέλτιον oder der Superlative χείριστον und βέλτιστον ausfindig machen wollen, die Stirnen runzeln, wenn sie sich von ihrer Wissenschaft unterhalten; was aber die philosophischen Untersuchungen anlangt, so machen solche gewöhnlich diejenigen froh und munter, die sich damit abgeben, und nichts weniger als finster und mürrisch.
Eine Seele, in welcher die Philosophie ihre Wohnung genommen hat, muß durch ihre Gesundheit auch ihren Körper gesund machen. Sie muß ihre Ruhe und ihr Wohlbehagen selbst von außen scheinen und leuchten lassen; muß das Betragen des Körpers nach dem ihrigen abmessen und es folglich mit einem angenehmen, festen Mute bewaffnen, mit lebhaften, frohen Bewegungen und mit einem zufriedenen und gefälligen Anstand. Der sicherste Stempel der Weisheit ist ein ununterbrochener Frohsinn: ihr Anblick ist wie der Luftraum über dem Monde, beständig heiter. Baroco und Baralipton aber machen ihre Leute so schmutzig und räucherig, nicht die Weisheit, denn die kennen sie nur aus Hörensagen. Wie? Ihr Geschäft ist, die Stürme in der Seele zu legen und Hunger und Fieber lachen zu lehren: nicht durch Täuschung und Vorspiegelung, sondern durch vernünftige, faßliche Gründe. Sie leitet gerade hin zur Tugend, die nicht, wie die Schule lehrt, auf der Spitze eines steilen, schroffen, unzugänglichen Berges gepflanzt ist. Diejenigen, welche bis zu ihr gelangt sind, sagen im Gegenteil, sie wohne in einer fruchtbaren, lieblichen Ebene, von daraus sie zwar alle Dinge in der Tiefe unter sich sieht, zu welcher man aber gleichwohl, wenn man richtige Anweisung hat, durch schattige, von Blumenduft umwehte, leicht sich hebende, eben gebahnte Wege (wie die Wege am Gewölbe des Himmels) gelangen kann. Weil sie keine Bekanntschaft mit dieser erhabenen Tugend gemacht haben, die so schön, so mächtig, so lieblich, so reizend und zugleich so mutvoll, eine offenbare und unversöhnliche Feindin alles Haders, alles Mißvergnügens, aller Furcht und alles Zwanges ist, deren Führer Natur, deren Begleiter Glück
Sollte der Zögling von so sonderbarem Gemüt sein, daß er lieber ein Märchen als die Erzählung einer schönen Reise hören möchte oder sonst ein vergnügtes Gespräch, das nicht über seine Begriffe ginge; oder sollte er beim Schall der Trommel, die seine jungen Spießgesellen mit Mut anfüllt, auf den Ton einer anderen horchen, die zur Gaukelbude lockt; sollte er etwa nicht mehr Lust und Freude daran finden, bestaubt und als Sieger aus einem Gefecht als vom Tanz- oder Fechtboden mit den bei diesen Übungen gewöhnlichen Preisen zurückzukommen, nun, so weiß ich keinen besseren Rat, als man tu' ihn in irgendeiner Stadt zu einem Pastetenbäcker, und wär's auch der Sohn eines Grafen und Herrn, nach der Lehre des Plato, welcher will, man solle die Kinder nicht nach dem Vermögen ihrer Väter anstellen, sondern nach dem, was ihre eigenen Seelen vermögen.
Weil es die Philosophie ist, die uns lehrt, wie wir leben sollen, und sie auch der Jugend ebensowohl Lehren erteilt
Man lehrt uns die Kunst zu leben, wenn unser Leben dahin ist. Hundert Schüler haben sich Krankheiten der Unzucht zugezogen, bevor sie in ihrem Aristoteles bis an das Kapitel der Mäßigung gekommen waren. Cicero sagt, wenn er auch das Alter zweier Menschen leben sollte, würde er sich doch nicht die Zeit nehmen, die lyrischen Dichter zu studieren. Und ich halte die Ergotisten auf eine weit kläglichere Weise für unnütz. Mit unserem Kinde hat es größere Eile: nur die ersten fünfzehn oder sechzehn Jahre des Lebens gehören der Schulerziehung, das übrige gehört fürs Handeln. Eine so kurze Zeit müssen wir auf den notwendigen Unterricht verwenden. Man schaffe den Mißbrauch aus dem Wege! Man entferne die verworrenen Spitzfindigkeiten der Disputierkunst, die unser Leben nicht bessern können, und halte sich an die einfachen Sätze der Philosophie; nur verstehe man, sie richtig zu wählen und vorzutragen; sie sind leichter zu fassen als eine Erzählung des Boccaccio. Ein Kind, das eben der Amme entnommen wird, kann sie begreifen, weit leichter als Lesenlernen oder Schreiben. Die Philosophie hat Lehren für die Kindheit des Menschen wie für sein hinfälliges Alter. Ich bin der Meinung Plutarchs, daß Aristoteles seinen großen Zögling nicht sowohl dabei aufhielt, ihn künstliche Syllogismen drechseln zu lassen oder geometrische Aufgaben zu berechnen, als er ihm vielmehr sichere Anleitung zur Herzhaftigkeit, Tapferkeit, Größe der Seele, Mäßigung und Unerschrockenheit gab. Mit diesen Eigenschaften ausgerüstet, schickte er ihn
Das ist es, was Epikur im Anfang seines Briefes an Menikäus sagt: Laß den Jüngling sich nicht weigern zu philosophieren noch den Ältesten darob zu ermüden. Wer das Gegenteil tut, scheint dadurch zu sagen, seine Zeit, glücklich zu leben, sei noch nicht gekommen oder sie sei für ihn dahin. Gleichwohl will ich mit diesem allen nicht sagen, daß man den Jüngling einkerkern solle. Ich verlange nicht, daß man ihn dem Zorn und der düsteren Laune seines Schulmeisters überlasse: meine Meinung ist nicht, seinen Geist ins Joch oder auf die Folter zu spannen oder ihn nach der Weise einiger seine vierzehn bis fünfzehn Stunden des Tages wie einen Lastträger unter den Büchern schwitzen zu lassen. Ich würde es nicht einmal billigen, wenn er aus düsterem, melancholischem Temperament unmäßigerweise über den Büchern läge und man ihn darin bestärken wollte. Dergleichen macht junge Leute ungeschickt zum artigen Umgang und hält sie ab von besseren Beschäftigungen. Wie manchen Menschen hab' ich in meinem Leben wegen zu großer Gier nach Wissenschaft verdummt gesehen! Carneades war darauf so närrisch erpicht, daß er sich darüber nicht die Zeit ließ, sich den Bart zu scheren und die Nägel zu küppen. Auch möchte ich unserem Jüngling nicht gern die großmütigen Sitten durch die Rauheit und Grobheit anderer verderben. Ehemals
Als Isokrates der Orator bei einem Gastmahl ersucht wurde, von seiner Kunst zu sprechen, antwortete er nach jedermanns Urteil sehr richtig: Es ist jetzt nicht die Zeit, von dem zu sprechen, was ich verstehe, und auf dasjenige, wozu es jetzt Zeit wäre, verstehe ich mich nicht. – Denn eine Gesellschaft, die sich versammelt hat, um zu lachen und Wohlleben zu treiben, mit zierlichen Reden oder ästhetischen Abhandlungen unterhalten, hieße ein Mischmasch von Tönen ohne Zusammenhang vortragen. Und dasselbe ließe sich von allen übrigen Wissenschaften sagen. In Ansehung der Philosophie aber, insofern sie vom Menschen und seinen verschiedenen Pflichten handelt, sind alle Weisen der einstimmigen Meinung gewesen, daß man solcher ihrer anmutigen Unterhaltung wegen zu keiner fröhlichen Versammlung oder keinen Spielen den Zutritt versagen dürfe. Und wir sehen, wie sie beim Plato, der sie zu seinem Kränzchen als Gast eingeladen hatte, die Gesellschaft auf eine gefällige, dem Ort und der Zeit angemessene Weise unterhält, obgleich sie von den erhabensten und nützlichsten Sachen spricht.
Also wird er auch gewiß weniger Feierstunden machen wie ein anderer. Aber, gleich wie die Schritte, die wir in einer Galerie spazierend tun, uns nicht so ermüden, täten wir ihrer auch dreimal soviel als auf einem vorgeschriebenen Wege: ebenso werden unsere Lektionen, die wir bei allem unserem Tun so gleichsam als zufälligerweise mitnehmen, ohne an Zeit und Ort gebunden zu sein, hingehen, ohne uns im geringsten zu ermüden. Selbst unsere Spielstunden und unsere Leibesübungen, Laufen, Ringen, Musik, Tanzen, Reiten, Fechten und die Jagd werden einen guten Teil unseres Studierens ausmachen. Ich will, daß ein äußerer Anstand des Körpers, ein gefälliges Wesen der Person im Umgang zu gleicher Zeit gebildet werde als die Seele. Es ist nicht eine Seele, nicht ein Körper, den wir erziehen; es ist ein Mensch. Aus dem müssen wir keine zwei machen. Und wie Plato sagt: man muß den einen nicht abrichten ohne den anderen, sondern sie beide gleich führen und leiten, wie ein Paar an eine Deichsel gespannter Pferde. Und scheint es nach seiner Meinung nicht mehr Zeit und Mühe zu erfordern, den Körper auszubilden als den Geist; und nicht umgekehrt? Übrigens muß bei unserer Erziehungsmethode mit strenger Sanftmut verfahren werden, und nicht, wie wohl es bisher gewöhnlich war. Anstatt den Kindern Lust zum Lernen einzuflößen, machte man ihnen davor Furcht und Grauen. Weg mit Zwang und Gewalt! Nichts erniedrigt und verdummt nach meiner Meinung so arg eine sonst gutgeartete Natur.
Verlangt ihr, daß ein Zögling Schimpf und Strafe fürchtet, so verhärtet solchen nicht dagegen. Härtet ihn ab gegen Schweiß, Kälte, Wind, Sonne und Zufälligkeiten, die er nicht achten lernen muß. Entwöhnt ihn aller 20
Ich meinte wirklich einen Herrn vom Stande, der sowenig als nur irgendein Mensch in ganz Frankreich zur Unmäßigkeit geneigt war, dadurch zu ehren, daß ich ihn in guter Gesellschaft fragte, wie oft er sich wohl in Deutschland, aus Notwendigkeit wegen der Geschäfte des Königs, betrunken hätte. Er nahm es auch im rechten Sinn auf und antwortete, es sei dreimal geschehen, und erzählte dabei die Umstände. Ich kenne Personen, die aus Mangel dieser Fähigkeit sich, weil sie mit dieser Nation zu verhandeln hatten, in schlimmer Verlegenheit befunden haben. Oft habe ich mit großer Bewunderung die vortreffliche Natur des Alcibiades bemerkt, der sich so geschmeidig in ganz verschiedene Lagen fügen konnte, ohne daß seine Gesundheit dabei litt, indem er zuweilen die persische Pracht und Üppigkeit übertraf und zuweilen die Mäßigkeit und Strenge der Lakedämonier, ebenso nüchtern in Sparta war als schlemmend in Ionien.
Omnis Aristippum decuit color, et status, et res.
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So sind meine Lehren beschaffen. Der hat sie besser studiert, der sie ausübt, als der sie auswendig gelernt hat. Wenn man ihn sieht, so hört man ihn: wenn man ihn hört, so sieht man ihn. Gott wolle nicht, sagt jemand beim Plato, daß Philosophieren soviel heiße als Dinge lernen 23
Als Leo, Fürst der Phliasier, sich beim Heraclides Ponticus erkundigte, von welcher Kunst oder Wissenschaft er eigentlich Profession mache, antwortete ihm dieser: »Ich weiß weder Kunst noch Wissenschaft, sondern ich bin ein Philosoph.« Man machte dem Diogenes den Vorwurf, daß er als ein Ungelehrter sich mit der Philosophie abgäbe. »Eben darum«, sagte er, »bin ich dazu fähiger.« Hegesias bat ihn, er möchte ihm aus einem Buche vorlesen. »Du bist doch sonderbar«, sagt er zu ihm, »du wählst wahre, natürliche und nicht gemalte Feigen: warum wählst du nicht zu deiner Geistesnahrung wahre, natürliche und nicht geschriebene Sachen?« Mein Schüler soll seine Lektion nicht sowohl aufsagen als ausüben. Er wird solche durch Handlungen in sein Gedächtnis prägen. Man wird sehen, ob er bei seinen Unternehmungen Klugheit braucht; ob bei seinem Betragen Güte und Gerechtigkeit vorwaltet; ob in seinen Reden Verstand und Anmut herrscht; ob Standhaftigkeit in seinen Krankheiten; ob Bescheidenheit in seinen Spielen; ob Mäßigkeit in seiner Wollust; Ordnung in seiner Haushaltung; ob Gleichgültigkeit in seinem Geschmack an Fleisch oder Fischen, an Wein oder Wasser. Qui disciplinam suam non ostentationem scientiae, sed legem vitae putet, quique obtemperet ipse sibi, et decretis pareat.
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Der wahre Spiegel unserer Vernunft ist der Lauf unseres Lebens. Zeuxidamus antwortete jemand, der ihn fragte, warum die Lakedämonier die Verordnungen über die Kriegszucht nicht schriftlich abfaßten und ihrer Jugend zu lesen gäben, das geschehe deswegen nicht, weil sie solche an Taten und
Meinerseits halt' ich dafür, und Sokrates behauptet, daß jedermann, der in seinem Geist eine lebhafte, deutliche Idee hat, solche darstellen wird, sei's durch Provinzialismen, sei's auch nur durch Gebärden, wenn er stumm ist.
Verbaque praevisam rem non invita sequentur.
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Und wie jener in seiner Prosa ebenso poetisch sagte: quum res animum occupavere, verba ambiunt
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, und jener andere: ipsae res verba rapiunt.
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Er weiß so wenig von Ablativ, Konjunktiv, Substantiv oder Grammatik als sein Schuhputzer oder Heringshökerin an der Ecke eines Gäßchens, und doch werden uns diese genug vorschwatzen, wenn uns danach gelüstet, und werden sich vielleicht dabei ebensowenig von den Regeln ihrer Muttersprache entfernen als der beste Schulmagister im Lande. Er weiß nichts von der Redekunst, nicht wie man eingangsweise das Wohlwollen des günstigen Lesers erschleichen müsse, und weiß auch nicht, wozu es nötig wäre. Im Ernst, diese ganze schöne Malerei verbleicht gar schnell vor dem Glanze einer ungeschmückten Wahrheit. Dergleichen Kußhandkünste dienen zu nichts weiter, als dem großen Haufen Honig ums Maul zu schmieren, der noch nicht imstande ist, kräftigere und derbere Speisen zu verdauen,
Als Cicero einst eine wohlausgearbeitete Rede hielt, traten viele mit Bewunderung auf seine Seite. Cato aber tat dabei nichts als lachen und sagte: »Wir haben da einen redseligen Konsul.« – Vor- oder nachher gesagt, ein nützlicher Spruch, ein schöner Zug stehen immer am rechten Orte. Schickten sie sich nicht auf das Vorgehende oder Nachfolgende, so sind sie doch schön an und für sich selbst. Ich bin keiner von denen, welche dafür halten, der hübsche Reim mache das gute Gedicht. Mag unser junger Mann eine lange Silbe kurz brauchen, was hängt daran? Wenn seine Erfindung sinnreich ist, wenn Witz und Verstand dabei ihre Pflicht getan haben, so werde ich sagen: Es ist ein guter Dichter, obgleich ein schlechter Versemacher.
Emunctae naris, durus componere versus.
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dadurch wird es nicht aufhören, Poesie zu sein; selbst die einzelnen Brocken davon werden schön bleiben. Das ist es, was Menander dem antwortete, der ihn ausforschen wollte, als der Tag annahte, an dem er ein Schauspiel versprochen, an welches er aber noch keine Hand gelegt hatte: »Das Schauspiel ist fertig und bereit; ich muß nur erst noch die Verse dazu machen.« Nachdem er Materie und Plan in seinen Gedanken geordnet hatte, hielt er das übrige für sehr leicht. Seitdem Ronsard und Bellay unsere französische Dichtkunst in Aufnahme gebracht haben, wüßte ich nicht den geringsten Lehrling, der nicht Worte aufblase und nicht, ungefähr wie jene, einen Vers auf seine Füße stelle. Aber plus sonat quam valet
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; es ist Theaterdonner. Für den großen Haufen haben wir niemals so viele Dichter gehabt. So leicht es ihnen aber geworden ist, ihre Reime nachzuklingeln, so weit sind sie zurück, wenn sie die unerschöpfliche Darstellungskunst des einen und die so große Feinheit der Erfindungen des anderen nachahmen wollen. Recht gut! Aber, was wird unser Jüngling tun, wenn man ihm mit der Spitzfindigkeit sophistischer Syllogismen auf den Leib rückt? Wie z.B. Schinken essen reizt zum Trinken; trinken löscht den Durst: ergo löscht Schinkenessen den Durst! Laß ihn darüber lachen; drüber lachen ist viel gescheiter, als darauf antworten. Laß ihn vom Aristipp die spaßhafte Gegenlist borgen: »Warum sollte ich euer Rätsel auflösen, da es mir gebunden schon so viel zu schaffen
Wenn solche gelehrten Schwänke, contorta et aculeata sophismata
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, ihm Unwahrheit zur Wahrheit machen sollten, so wären sie freilich gefährlich. Wenn sie aber ohne Wirkung abglitschen und ihm bloß zu lachen geben, so seh' ich nicht, warum er dagegen so ängstlich auf seiner Hut zu sein braucht. Es gibt so dumme Hänse, die zu halben Meilen von ihrem geraden Wege abschweifen können, um einen witzigen Einfall zu haschen. Aut qui non verba rebus aptant, sed res extrinsecas arcessunt quibus verba conveniant
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und der andere: qui alicuius verbi decore placentis vocentur ad id quod non proposuerant scribere.
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Ich mag lieber einem anderen einen brav gesagten Gedanken abdrehn und solchen den meinigen einflicken, als den Faden meiner eigenen auftrieseln, um ihn einzudrillen. Umgekehrt, sag' ich, die Worte müssen nachtreten und das Buch tragen, und wenn der Franzose nicht dahin reichen kann, der Gaskogner kann alles. Ich fordere, daß ein Hörer oder Leser von den Sachen überwältigt und seine Imagination davon solchermaßen angefüllt werde, daß er sich der Worte darüber gar nicht bewußt sei. Die Sprache, die ich vorzüglich liebhabe, ist eine Sprache ohne künstliche Ziererei, aber von natürlichem Ausdruck, gleichviel abgeschrieben oder gesprochen, eine kräftige, nachdrückliche Sprache, kurz und gedrungen, nicht sowohl zart, geschmückt und gekrümmt, als andringlich und hastig.
Haec demum sapiet dictio, quae feriet
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lieber schwer, als langweilig; ohne Affektation, ohne Rute, den Zügel der Regel leicht tragend und kühn. Jeder Wurf muß darin seine Stelle füllen; sie muß nicht pedantisch sein, nicht mönchisch, nicht zungendrescherisch, sondern vielmehr soldatisch, wie Sueton die Sprache des Julius Cäsar nennt, ob ich gleich nicht recht einsehe, warum. Ich habe mit Fleiß diese Ungebundenheit nachgeahmt, die man an unserer Jugend, in ihrer Art die Kleidung zu tragen, wahr nimmt. Das trägt seinen Mantel quer über Brust und Rücken, läßt die Kappe herunterhängen bis auf die Schultern und läßt die Strümpfe am Beine schlottern, und das zeigt dann in dieser sonderbaren Zier und künstlichen Nachlässigkeit so ein gewisses stolzes Freiheitsgefühl. Ich finde diese Ungebundenheit aber noch besser angebracht in der Form der Sprache.
Eine Affektation, besonders bei der französischen Lebhaftigkeit und Freiheit, kann einem Hofmann wohl anstehn; und in einer Monarchie muß jeder von Adel auf den Hofton gestimmt sein. Deshalb tun wir wohl, ein wenig auf der Seite des Ungezwungenen und des Kopfwerfens zu hinken. Ich habe ein Gewebe nicht gern, worin die Weberknoten und Nähte sichtbar sind; sowenig wie man an einem schönen Körper die Knochen und Adern muß zählen können. Quae veritati operam dat oratio, incomposita sit et simplex.
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Quis accurate loquitur, nisi qui vult putide loqui?
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Die Beredsamkeit, welche uns auf sich selbst zieht, tut den Sachen Gewalt und Unrecht. So wie es bei unsern Kleidungen kindisch ist, sich durch irgend etwas Besonderes
Die Athenienser, sagt Plato, haben zu ihrem Anteil die Sorge für den Reichtum und die Zierlichkeit der Sprache; die Lakedämonier für ihre Kürze; die von Kreta aber für die Fruchtbarkeit der Gedanken vielmehr als für die Sprache. Diese letzten sind die besten. Zenon sagt, er habe zwei Gattungen von Schülern: die einen, die er φιλόλογος, gierig Sachen zu lernen, nannte, wären seine Lieblinge; die anderen λογόφιλος, dächten auf nichts als auf die Sprache. Das heißt aber nicht soviel gesagt, als sei es nicht eine recht hübsche Sache um die Reinheit und Richtigkeit der Sprache! Nur ist es nicht so wichtig, als wozu man's macht, und ich ärgere mich nur darüber, daß wir unser ganzes Leben darauf verwenden sollen.
Ich würde erstlich meine Muttersprache und die Sprache meiner Nachbarn, mit denen ich gewöhnlich den meisten Verkehr habe, gut wissen wollen. Es ist allerdings ein fein und lieblich Ding um das Griechische und das Latein, nur kauft man es gar zu teuer. Ich will hier eine Art und Weise sagen, wie man es wohlfeileren Kaufs wie gewöhnlich
Betreffend das Griechische, das ich nun fast ganz wieder ausgeschwitzt habe, so machte mein Vater den Plan, solches mich durch einen Sprachmeister lehren zu lassen; jedoch nach einer neuen Methode; spielend und im Spazierengehen. Wir warfen uns die Deklinationen zu, so wie diejenigen zu tun pflegen, welche vermittelst gewisser Karten und Spielzeuge die Arithmetik und die Geometrie lernen. Denn unter anderem war auch meinem Vater geraten worden, meinen Willen ohne Zwang so zu leiten, daß ich aus eigenem Antrieb die Wissenschaften und meine Pflichten liebte, und meine Seele mit Liebe und Sanftmut zu bilden, ohne Strenge und Härte. Das ging bis zu der, möcht' ich sagen, Schwärmerei, daß, weil
Dieser Zug mag hinreichend sein, um vom übrigen zu urteilen, und auch die Fürsorge und zärtliche Liebe eines so guten Vaters zu preisen, dem man die Schuld nicht beimessen kann, wenn er keine Früchte eingeerntet hat, die einer so sorgfältigen Kultur entsprächen. Das lag an zwei Ursachen: Die erste war die Unfruchtbarkeit und Ungeschlachtheit des Ackers; denn ob ich gleich von guter und fester Gesundheit war und dabei zugleich von mildem und biegsamem Naturell, so war ich doch mitunter so träge, weichlich und schläfrig, daß man mich dem Müßiggang nicht zu entreißen vermochte, nicht einmal um zu spielen. Das was ich sah, sah ich richtig; und unter dieser schwerfälligen Komplexion unterhielt ich kühne Ideen und solche Meinungen, die über mein Alter gingen. Mein Witz war langsam und ging nicht weiter, als man ihn leitete; von Begriff war ich schleppend, meine Erfindungskraft war schlaff, und dabei war noch mein Gedächtnis unglaublich schwach. Zweitens: so wie diejenigen, welche ein heftiger Wunsch treibt, von irgendeinem Übel zu genesen, endlich jeden Rat ohne Unterschied befolgen, so ließ sich endlich mein guter Vater bei seiner gewaltigen Furcht, ich möchte ihm mit einer Sache fehlschlagen, die ihm so sehr am Herzen lag, vom allgemeinen Wahne hinreißen, welcher immer demjenigen nachschlendert, welcher vorangeht (wie die Kraniche), und fügte sich in die gewöhnliche Weise; denn er hatte die Männer nicht mehr um sich, die ihm den ersten Erziehungsplan an die Hand gegeben, den er aus Italien mitgebracht hatte, und sandte mich, da ich ungefähr sechs Jahre alt war, ins Guyenner Kolleg, das damals sehr blühend und das beste in Frankreich war. Hier wendete er alle mögliche Sorgfalt
Die erste Neigung, die ich zum Lesen bekam, entsprang aus dem Vergnügen an den Fabeln der Verwandlungen von Ovid. Denn in meinem siebenten oder achten Jahre entzog ich mich jedem andern Vergnügen, um solche zu lesen; um so mehr, da die Sprache gleichsam meine Muttersprache war und das Buch das leichteste für mich, das ich kannte, und zugleich, wegen seines Inhalts, für mein Alter das angemessenste. Denn die Lancelots du Lac, die Amadis, die Huons de Bordeaux und dergleichen alte Tröster von Romanen, woran sich die leselustige Jugend erfreute, kannte ich nicht einmal dem Titel nach, wie ich solche noch bis auf diese Stunde dem Inhalt nach nicht kenne; so genau war die Enteilung meiner Zeit. Ich ward dadurch nachlässiger, meine andern mir vorgeschriebenen Lektionen zu treiben. Hierbei kam es mir außerordentlich zustatten, daß ich es mit einem verständigen Manne von Präzeptor zu tun hatte, der bei dieser und ähnlichen Ausschweifungen auf eine sehr feine Art ein Auge zuzudrücken wußte. Denn dadurch las ich die Aeneis des Vergil in einem Zuge ganz durch, und dann den Lukrez, hierauf den Plautus und italienische Komödien, die mich alle durch den Reiz der Fabel anlockten. Wäre er töricht genug gewesen, mich in diesem Gang zu stören, so hätte ich, wie ich glaube, aus dem Collegio nichts mitgebracht
Meine Seele war nichtsdestoweniger dabei für sich, in der Stille, ganz geschäftig und urteilte sicher und frei über die Dinge, die sie kannte, und dachte für sich selbst nach, ohne sich gängeln zu lassen. Und unter anderem glaub' ich wirklich, daß sie ganz und gar unfähig gewesen sein würde, der Gewalt und dem Zwange nachzugeben. Darf ich aus meiner Kindheit dies noch anführen, daß es mir leicht ward, ohne Blödigkeit aufzutreten, und daß ich Biegsamkeit genug in Stimme und Gebärden besaß, um die Rollen gut auszuführen, die ich übernahm.
Alter ab undecimo tum me vix ceperat annus.
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Ich habe die Hauptrollen aus Buchanans, aus Guerentes und Murets lateinischen Tragödien gespielt, welche in unserm Collegio zu Guyenne mit Würde vorgestellt wurden. In diesem Punkte war Andreas Goveanus, wie in allen übrigen seines Amtes, ohn allen Vergleich der größte Schuldirektor in Frankreich; und mich hielt man darin für Meister oder wenigstens für einen Altgesellen. Es ist eine Übung, auf welche ich für vornehmer Leute Kinder nichts zu sagen habe; und habe ich seitdem unsere Prinzen selbst damit abgeben gesehen; nach edlem, ehrlichem und löblichem Beispiel einiger unter den Alten, bei denen es Leuten von Stand und Ehre sogar erlaubt war, daraus ein Gewerbe zu machen; und in Griechenland Aristoni tragico actori rem aperit: huic et genus et fortuna honesta erant; nec ars, quia nihil tale apud Graecos pudori est, ea deformabat.
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Denn ich habe immer die Leute für unbesonnen gehalten, welche diese Ergötzlichkeit verdammen; und diejenige für ungerecht,
Gute Polizeianstalten sorgen dafür, die Bürger zu versammeln und zu vereinigen, sowohl zur feierlichen Übung der öffentlichen Andacht als auch zur Übung fröhlicher Spiele; dadurch wird Geselligkeit und Freundschaft befördert, und überdem könnte man dem Volke keinen besser geordneten Zeitvertreib verstatten als einen solchen, der in aller Gegenwart und selbst unter den Augen obrigkeitlicher Personen stattfindet. Ich würde es nicht mehr als billig finden, wenn der Landesherr zuweilen, zum Zeichen seiner väterlichen Huld und Gewogenheit, auf seine Kosten den Untertanen damit ein Vergnügen machte und wenn man in volkreichen Städten besondere Anstalten und Gebäude für solche Schauspiele errichtete; dadurch würden schlimmere Gelage und heimliche Lustarten sich vermindern. Aber wieder auf meine Materie zu kommen: Man muß hauptsächlich darauf arbeiten, Lust und Liebe zum Studieren zu erregen; sonst erzielt man weiter nichts als mit Büchern bepackte Esel. Man gibt ihnen mit Karbatschenhieben den ganzen Schulbeutel voll Wissenschaft zum Aufheben und Bewahren, welche man, um es recht zu machen, nicht bloß bei sich zur Herberge nehmen, sondern als trautes Gemahl heimführen muß.