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Wohnung Stefan Klagenfurters. Großes Zimmer. Rechts zwei Fenster. In der Mitte der Hinterwand die Tür. Zwischen Tür und der Fensterwand Herdofen, daneben links Wasserleitung. Zwischen den beiden Fenstern einfache Kommode, darauf ein paar Photographien und ein niedriges Bücherbord. Unter dem vorderen Fenster größerer Koffer. Über dem Herd Gestelle für Teller, Gewürzbüchsen und so weiter. In der Ecke rechts Küchenschrank, an dem Hand- und Tellertücher hängen. Links vorn schwarzes Sofa mit Deckchen. Davor runder überdeckter Tisch und zwei schwarze Stoffstühle. Links an der Hinterwand steht das Doppelbett ins Zimmer hinein, daneben rechts Nachttisch und Stuhl, links primitive Waschgelegenheit (Blechgestell) und Spiegel. In der Mitte des Zimmers großer Küchentisch mit Wachstuchdecke, dabei eine Nähmaschine und ein paar Küchenhocker. Unter dem Sofatisch einfacher Teppich. An der linken Wand und über dem Sofa eine Telleruhr mit Gewicht. In der Mitte der Wand Öldruckporträts von Marx und Bebel. Weiter zurück gerahmte Photographien. Über dem Bett ein Haussegen. Die Fenster haben leichte Tüllvorhänge; ein paar Blumentöpfe davor. Über dem großen Tisch hängt von der Decke herunter eine Petroleumlampe. Im Herdofen ist Glut. Auf dem Küchentisch ist Leinenzeug ausgebreitet.
Es ist gegen halb vier Uhr am Nachmittag. Frau Marie Klagenfurter arbeitet an der Nähmaschine, hält inne und reißt den Faden ab. Sie hebt das Kinderjäckchen, das sie genäht hat, lächelnd vor sich gegen das Licht. Dann steht sie auf. Man sieht deutlich die Merkmale vorgeschrittener Schwangerschaft. Sie sieht auf die Uhr, schüttelt den Kopf, geht nervös zum Fenster, stochert dann im Herdfeuer und blickt in den Wassertopf, der darauf steht. Plötzlich horcht sie auf. Schritte werden draußen hörbar. Die Tür wird energisch geöffnet. Stefan Klagenfurter tritt ein, in Hut und Überzieher.
Das wäre! – Du schonst dich in deinem Zustand, verstanden? Und läufst nicht mir nichts, dir nichts aus dem warmen Zimmer. Ich kann mein Zeug schon selber in den Kasten hängen. Geht hinaus, läßt die Tür offen.
Bloß erst den Hals freikriegen. War überhaupt
Gewiß. Er ist fertig. Macht sich am Herd zu schaffen und nimmt Geschirr aus dem Küchenschrank. Aber du quälst mich, Liebster. Laß mich doch endlich wissen!
Nur ruhig, Kind! Nur nicht auf regen – du weißt schon. – Und dann ist's ja noch nicht soweit. Sie werden mich ja nicht gleich holen.
Meinst du? – Aber denk mal, so lange konnten sie dich nicht brauchen – und jetzt auf einmal: – trotz deinem Herzfehler.
Ja, der Krieg ist noch wundertätiger als die Muttergottes von Lourdes. Der macht mit der Zeit aus dem lahmsten Krüppel einen Helden.
O ja – er geht an. Ob wir einmal wieder Bohnenkaffee mit Zucker und Milch erleben werden? Wenn wir weiter so »durchhalten« wie bisher, dann wird unser Kleiner mal meinen, vor seiner Geburt wäre Deutschland das Schlaraffenland gewesen.
Schau, Steffi, was ich gemacht hab. Zeigt ihm das Jäckchen. Steckkissen sind fertig, Häubchen
Was wir glücklich sein könnten! – Und jetzt die Schweinerei. Küßt sie. – Wenn man noch an den Schwindel glaubte – aber mit dem Ekel vor dem allen! – Der alte Trotz baut schon an der Wiege – und ich soll mein Kleines womöglich gar nicht mehr darin schaukeln können!
Ja, Frieden! – Wir kämpfen ja »bis zum letzten Blutstropfen« – bis zu unserm nämlich. Die Proletarier können verbluten – und die großen Herren machen das feinste Geschäft dabei. – Da hör! Von der Straße ertönt Soldatengesang, man versteht die Worte: »Siegreich wollen wir Frankreich schlagen«. Pfui Teufel! Da kann man doch alle Hoffnung verlieren, wenn die Soldaten selbst noch – –. Na ja, sie müssen singen. Auf Kommando.
Hab schon dran gedacht. Bloß wird sie's nicht tun. Dreher kriegt sie noch genug. Und mir sind sie sowieso nicht grün – sie kennen meine Ansichten zu gut. Übrigens – Reklamationen von k.-v.-Leuten haben fast nie Zweck.
Unsinn, Schatz! Tapfer sein! – Wird schon alles nocht gut werden. Die Einberufung ist noch nicht da. Er zieht eine Holzpfeife aus der Tasche. Von zehn Uhr in der Frühe haben sie mich da rumstehen lassen, viele sind noch nicht fertig.
Hast recht. Ist schon mal blau gemacht, kann's ganz wie Sonntag sein. Nimmt aus der Kommode eine Zigarre und zündet sie an. Schändlich: fünfunddreißig Pfennig für das miserable Kraut. Dafür hab ich früher die ganze Woche täglich eine Zigarre gehabt.
Das Brot schlägt auch wieder um zwei Pfennig auf. Und Nähfaden ist kaum mehr zu kriegen. Es ist schrecklich, wie alles teuer wird! Es klopft.
Ruhig, Kind! Denk doch an deinen Zustand! Und noch stürme ich ja nicht. Bis dahin kann noch manches anders kommen.
Was gibt es da noch zu überlegen? Auf der einen Seite steht das Kapital und macht Ansprüche auf dich, auf dein Leben, deine Gesundheit, dein Glück und deine Überzeugung – auf der andern Seite stehst du, deine Frau und das Kind, das ihr haben werdet. –
Und was noch wichtiger ist: deine Gesinnung, deine proletarische Ehre, Stefan! Du bist doch ein Kämpfer und weißt, wogegen wir zu kämpfen haben. Da willst du dir vom Feind ein Gewehr geben lassen und auf sein Kommando gegen dein eigenes Gewissen und gegen deine Klassengenossen losgehen?
Es ist alles richtig, was du sagst. Hab's ja
Zwingen? Man kann mich zwingen, etwas zu unterlassen, wenn man mich gewaltsam dran hindert. Aber man kann mich nicht zwingen, etwas zu tun, was ich nicht tun will.
Sind ja noch zwei Monate hin, Liebling. Bei dir sein kann ich dann doch auf keinen Fall. Entweder sie holen mich, dann bin ich nach vier Wochen Abrichtung vorn; oder sie sperren mich ein – oder ich drück mich eben. Nur – wovon sollst du leben?
Dafür laß uns sorgen. Wovon soll sie denn leben, wenn du Soldat bist? Was Vater Staat ihr an Unterstützung gäbe, das bringen wir im
Dazu haben Sie gar keinen Grund. Übrigens rechne ich bestimmt damit, daß sich die Arbeiter doch endlich rühren werden.
In Berlin soll etwas bevorstehen. Hier muß es Seebald machen. Das ist der einzige, auf den sie hören. – Die andern müssen übrigens bald kommen.
Da muß ich mir rasch eine andere Schürze vorbinden.
Nimmt eine weiße Schürze aus der Kommode
und legt sie an. Und das Zeug da!
Weil du heut nicht bei der Arbeit warst. Die Genossen bei Wachsmann machen extra früher Schicht. Es ist schon ein bißchen Streikstimmung in der Luft.
In Berlin scheint es dicht vorm Klappen zu stehn. Sie wollen vor allen Dingen Liebknecht heraushaben. Vielleicht müssen wir bald kampffertig sein.
Es ist wahr: Er hat Feuer und reißt alle mit. Aber jetzt ist er doch ganz in seinen Verein verkapselt mit Studenten und Künstlern. Ich habe Mißtrauen gegen die Intellektuellen. Was das Proletariat angeht, davon wissen sie wenig.
Es gibt Ausnahmen. Denk nur an Flora Severin. Und die Ästheten im »Bund Neuer Menschen« sind Seebald selbst zuwider. Wenn einer Revolutionär ist, dann ist er es. Er will den Frieden.
Er spricht ja immer wieder davon, daß nur die Arbeiter den Krieg zu Ende bringen können, wenn sie nicht mehr für den Krieg arbeiten; – wenn sie sich weigern, Soldat zu sein; wenn sie anfangen, an sich selbst zu denken.
Nein, gewiß nicht. Das ist in Rußland nicht ohne Gewalt gegangen, und bei uns sind die Widerstände noch größer, besonders, solange sie sich einbilden, daß sie siegen werden!
So. Setzt euch, wo ihr Platz findet. Geh, Anton, zieh mal den Koffer mit vor. Zieht mit Braun den Koffer mitten ins Zimmer. Seid ihr schon alle? – Die Sachen nur immer aufs Bett.
Diese Hunde, diese verfluchten! Andern die Augen herausschießen können sie, statt sie sich selbst aus dem Kopf zu schämen!
Ist es nicht wahr, was ich sage? Habt ihr den Tagesbericht gelesen heute? 40 Lokomotiven haben sie erbeutet und über 1200 Eisenbahnwagen. Und wo? In Rußland, wo sich kein Mensch mehr wehrt, wo sie den Frieden geschlossen haben – die Halunken. Erbeutet nennen sie das! Gestohlen haben sie's, ganz gemein gestohlen, diese Boches, die verdammten! Im Rußland der Revolution. Im Lande der Freiheit!
Natürlich, alles Bruch, alles Dreck in diesem Lande des Schwindels. Aber sie sollen es nur hören, die Leute. Meine Ansicht ist kein Geheimnis. Ich hasse es – mein sogenanntes Vaterland.
Ist schon recht, Dietrich. Aber du bist hier nicht in einer Volksversammlung. Wir haben über sehr wichtige Dinge zu reden, die die Nachbarschaft vorläufig noch gar nichts angehen. Also brüll nicht so – tu uns den Gefallen.
So sind sie alle, diese Schufte. Um ihr bißchen Kadaver zu salvieren, treten sie auf den Arbeitern herum und machen sich vor den Direktoren in die Hosen.
Mich hat ein Meister herausgedrängelt, um an meinen Platz einen Verwandten von seiner Frau reklamieren zu lassen.
Ach, frag gar nicht. Mit den paar Groschen Unterstützung, da kann man ja das Nötigste nicht heranschaffen. Und dann der Mietzins. Ich kann doch nicht selbst auch noch auf Arbeit gehen – mit den kleinen Kindern. Und wer soll Ernst führen?
Schon, aber den Arbeitern geht der Anstand zum Teufel. Sie saufen Sekt und vergessen, daß sie kein Brot haben.
Das ist das Traurigste, daß sich überhaupt Frauen dazu finden, Granaten zu machen. Blutarbeit – und jede macht einen Mann frei für den Heldentod.
Komm, Fritz, setz dich zu mir auf den Koffer. Trotz nimmt auf dem Sofa, links von Laßmann, Platz, Rund auf dem Koffer und Färber auf einem Hocker am Tisch.
Ich meine aber auch, wir müssen auf die Severin warten. Wir können alle nicht so genau erkennen, wie es eigentlich steht. Was wissen wir? – Aus den Zeitungen!
Die schon draußen waren, sind meistens gut. Aber die jungen – besonders die vom Lande – glauben noch alles.
Und wenn sie ganz Frankreich kriegen und England dazu, dann haben sie noch gar nichts. Bloß der Krieg dauert drei Jahre länger – oder auch zehn Jahre.
Die Frauen haben wohl Grund zum Weinen. Aber sie haben die schönste Aufgabe. Ihr müßt zu uns Männern stehen, wenn die Stunde da ist. Wenn ihr uns verlaßt, sind wir verlassen.
Zuerst dürfen wir uns selbst nicht verlassen. Frieden kann nur das Proletariat schaffen. Und so lang ist kein Frieden, wie nicht Revolution ist.
Revolution – ja! Für den Frieden – ja! – Aber was ist Friede? Die Revolution muß den Sozialismus bringen, sonst bringt sie auch den Frieden nicht. Vielleicht bin ich noch nicht zu alt, um es zu erleben.
Genossen! Gut, daß ich euch zusammen treffe. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Berlin steht auf. Allgemeine Erregung, lebhaftes Durcheinander.
Dietrich! Kindskopf mit deinen fünfzig Jahren! Jetzt heißt's hierbleiben. Jetzt heißt's: Klarheit vor allem!
Hier ist es. Liest. »An die Bevölkerung! Durch feindliche Agenten und gewissenlose Hetzer verführt –«
»– haben in Berlin die Arbeiter einzelner Betriebe die Arbeit niedergelegt. Sie stellen an die Regierung die wahnwitzige Forderung, sie sollte die Feinde um Frieden bitten, und drohen der Regierung mit der Einsetzung von Arbeiterräten. –«
»Im Bewußtsein ihrer vaterländischen Pflicht ist die große Mehrheit der Arbeiterschaft dem frivolen Ansinnen, den Generalstreik zu proklamieren, nicht gefolgt. Vor allem haben die berufenen Vertreter der Arbeiterschaft, die sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaftskommission jede Gemeinschaft mit den verräterischen Elementen ausdrücklich verweigert.«
»– und kleinere Herde des verbrecherischen Unternehmens sind bereits an anderen Orten entstanden, jedoch großenteils bereits im Keime erstickt worden. – Es besteht der begründete Verdacht, daß auch in unserer Stadt einzelne Personen danach trachten, Unruhe und Widerstand in die Reihen der werktätigen Bevölkerung zu tragen. Diese Personen sind der Behörde genau bekannt.«
»Im Vertrauen auf die bewährte Besonnenheit und das vaterländische Empfinden der hiesigen Arbeiterschaft warne ich auf das
»Die heldenmütigen Besatzungen unserer U-Boote sind im Begriff, unseren heimtückischsten und erbittertsten Gegner, das perfide Albion, in die Knie zu zwingen. Nur noch kurze Zeit des Ausharrens – und sämtliche Feinde werden niedergeworfen, den Frieden von uns erbitten, der der Ehre und Sicherheit Deutschlands Genüge tun und die Existenz des deutschen Volkes für alle Zeiten sicherstellen wird.
In diesem Augenblicke gilt es, die letzten Kräfte zusammenzuraffen. Wer jetzt streikt, schlägt unseren tapferen Truppen das Gewehr aus der Hand und begeht Verrat am Vaterlande. Ich verbiete daher jeden Streik, jede Ansammlung auf der Straße, jede nicht 48 Stunden vorher schriftlich angemeldete Versammlung. Wer in der Fabrik oder sonstwo zum Streik auffordert, wer Flugschriften verteilt, aufreizende Reden führt, unwahre Gerüchte verbreitet oder sich in irgendeiner Weise gegen meine Anordnungen vergeht, wird wegen Landesverrats belangt und sofort verhaftet.
Der kommandierende General
Freiherr von Lychenheim.«
Direkt darunter. – Also: »Die sozialdemokratische Partei und das Kartell freier Gewerkschaften mißbilligt auf das entschiedenste den Versuch mißleiteter oder aus unsauberen Quellen gespeister Arbeiter –«
»– in diesem Moment, der die siegreiche Entscheidung des Krieges nahe erwarten läßt, den an der Front kämpfenden Proletariern in den Rücken zu fallen. Wir ersuchen die Genossen dringend, proletarische Disziplin zu halten, sich nicht von unverantwortlichen Hetzern, die wahrscheinlich im Solde der Entente stehen –«
»– zu eigenmächtigen Handlungen hinreißen zu lassen und jeden, der es unternimmt, Verwirrung zu stiften, unverzüglich zur Anzeige zu bringen.–«
»Proletarier! Die deutsche Regierung hat bewiesen, daß sie den Krieg beenden möchte, sobald es möglich ist. Ihr Friedensangebot an
Wie willst du denn das machen, Junge? Es muß gut organisiert sein. Vielleicht können wir es bis übermorgen schaffen.
Einen Augenblick noch. Es sind Telegramme angeschlagen von der Tageszeitung: Man schätzt die Zahl der Streikenden auf hundert- bis hundertfünfzigtausend.
Das ist schwer zu sagen. Es traut sich ja niemand. Also was soll geschehen? – Genosse Schenk, Sie wollten heute doch ohnehin Ihren Plan für einen solchen Fall entwickeln.
Ich denke mir die Sache so: Zunächst brauchen wir Flugblätter – einfache Handzettel. – Welches Datum haben wir?
Gut, wir müssen sehen, daß wir womöglich übermorgen schon handeln können. Man kann nicht wissen, was inzwischen in Berlin vorgeht. – Flora, Sie schreiben es.
Nein, Sie! Ich habe persönlich kein Mißtrauen gegen Sie, Herr Tiedtken. Aber Sie sind Literat, Sie sind Intellektueller.
Das ist wahr. Das wird in die Wiege gelegt, wenn es auch eine seidene ist. Erlernen läßt sich's nicht. – Nichts für ungut, Herr Tiedtken.
Dann hört zu. Die Flugblätter ganz kurz: Der
Dummheit. Jeder nimmt einen kleinen Stoß und verteilt ihn unbemerkt vor der Arbeit oder während der Brotzeit auf die Plätze. Niemand darf wissen, woher die Zettel kommen. Nach der Verteilung darf keiner mehr als einen bei sich haben. Geht das?
Gut. Du bist ein ruhiger Mensch, Fischer, du kannst es beurteilen. – Das geschieht morgen. Außerdem muß jeder in der Mittagspause oder schon früh vor der Arbeit an einige absolut zuverlässige Genossen –
Also – ihr habt dafür zu sorgen, daß jeder größere Betrieb von vollständig sicheren Leuten mit Flugblättern bearbeitet wird. Ihr müßt noch heute abend herumlaufen und die betreffenden Genossen aufsuchen. Es muß alles klappen –
Er ist ein berühmter Gelehrter. Wenn der mit den Arbeitern gemeinsame Sache macht,
Das ist auch meine Ansicht. Es muß eine große Demonstration werden – ein geschlossener Zug mit roten Fahnen –
Frau Marie, wir Frauen müssen die Männer anfeuern, aber nicht sie entmutigen. Im Felde wird auch geschossen.
Nein, laßt sie. Das Kleine will gut empfangen sein. Marie arbeitet für die Zukunft – und das ist unsere Pflicht. – Jeder an seinem Platz.
Morgen abend tagt der »Bund Neuer Menschen« in der »Hütte«. Dort werde ich mit Seebald sprechen. Er muß an der Spitze marschieren.
Nein – nein! An der Spitze gehe ich. Ich will die Rote Fahne tragen. Ich will die Arbeiter führen. – Ich! – Das wird sein, als wenn ich die Sonne wiedersehe –.
Ich auch. Die Firma Wachsmann wird ohnehin versorgt. Ich gehe jetzt zu Genossen von Bartels & Moser und von der Motorengesellschaft.
Ich? Meinst du denn, ich bleib zu Hause? Ich gehe mit dir, Braun. Wir müssen unterwegs die Genossen einteilen, wo wir Besuch machen. Ich gehe zuerst zu Thielmann und dann zu Schulz.
Ich arbeite die Nacht durch in der Druckerei. Die Zettel können morgen früh um sechs Uhr bei mir abgeholt werden.
Nicht arg. Aber seien Sie vorsichtig, es könnte Glatteis geben. Rudolf, du begleitest wohl Frau Klagenfurter?
Deiner Ehrlichkeit keineswegs. Aber du mußt
Rudolf, du fragst wie ein Primaner. Es geht jetzt um das Volk, um das Proletariat. – Sieh, davon verstehst du nichts. Du weißt nicht, was das ist. Du kennst nur die Worte und bewunderst mein Mitleben in dieser Welt wie ein fremdes Schauspiel. Du bist Ästhet, Literat. – Ich bin von der anderen Welt.
Ja, Rudi – gewiß. Das ging bis jetzt. Aber was nun kommt, braucht mich ganz. Ich darf Körper und Geist nicht länger ein verschiedenes Leben führen lassen.
So. Ich bin soweit. – Hier haben Sie Schreibzeug und Papier. Nimmt Schreibunterlage, Tintenfaß und Papier von der Kommode. Auf Wiedersehen!
Nein, bitte rauchen Sie. Es ist nur für den Augenblick. Er hüstelt und bekämpft sichtlich den Hustenreiz. Ich sehe Sie gerne rauchen. Es gehört zu Ihnen.
Erst recht. Das Proletariat muß die Arbeiterfeindlichkeit der Herrschendem am eigenen Leib spüren. Vorher wird es zu nichts zu gebrauchen sein.
Wir beide müssen zusammenstehen, Schenk. – Hören Sie mich an: Das Volk ist noch vollständig blind für alles, was vorgeht. – Der Krieg ist für Deutschland verloren.
Nach Brest-Litowsk nicht mehr. Die Frage steht so: Wird die Niederlage durch die Revolution kommen, oder wird die Revolution die Folge der Niederlage sein? Die Revolution aus Verzweiflung über den militärischen Mißerfolg wäre das größte Unglück für das Proletariat. Im Auslande würde man unsere Revolution nicht ernst nehmen und im Inland versuchen, uns mit Reförmchen abzuspeisen.
Am schlimmsten wäre es, wenn wir sie noch zur West-Offensive kommen ließen. Wenn ihnen der Durchbruch gelingt, dauert der Krieg noch jahrelang.
Und der Pöbel läßt sich von neuem foppen, hängt Fahnen heraus, zeichnet Kriegsanleihe und schreit Hurra für Kaiser und Hindenburg. Es gibt nur einen Weg – den, den die Bolschewiki gegangen sind. Der Krieg muß durch die Revolution sabotiert werden. Das deutsche Volk muß die Niederlage erzwingen.
Nur, wenn wir den Krieg erst militärisch verlieren. Dann kann der Entente-Imperialismus mit Deutschland machen, was er will. Das Proletariat drüben hat dann wenig Interesse, es zu verhindern – am wenigsten, wenn wir jetzt den Raubzug gegen Sowjetrußland geschehen lassen. Dann ist der Krieg vom Kapitalismus begonnen und von ihm bis zu Ende geführt worden, und der siegreiche Kapitalismus wird die Leiche des Besiegten fleddern. Das ist selbstverständlich.
Bringen wir aber den Krieg durch Insurrektion zu Ende, dann werden sich die Sieger hüten,
Bestimmt nicht. Dann ist aber für den Entente-Imperialismus der Sieg kein Sieg mehr – und die Revolution kommt in allen Ländern zum Ausbruch.
Die Weltrevolution! – und der Sieg des Sozialismus, des Kommunismus. Es hängt alles vom deutschen Proletariat ab.
Noch nicht. Nur muß es eine wirkliche Rebellion werden, kein Versuch einer Minderheit, der im Keim steckenbleibt. Der moralische Eindruck bleibt der gleiche, wenn wir auch diesmal noch unterliegen. Das Volk braucht die Lehre.
Wenn es uns gelänge, die Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften zu sprengen, dann hätten wir gewonnen – auch wenn wir äußerlich verlieren.
Die will ich auch in den Flugblättern fordern. – Jetzt ist das wichtigste, daß wir alle Parteiführer von der Bewegung fernhalten.
Es wäre gut, aber er ist – Pazifist, wenn er auch weitergeht, wenn er auch Tolstoische
Wird aber viel gewonnen sein, wenn er den Massen sagt: Die Waffen nieder!? – Wir brauchen einen Mann, der ihnen zuruft: An die Gewehre!
Ja – ja. Der Streik nützt nichts, wenn er nicht zum Aufstand wird. Nachdenklich. Das kommt darauf an, Seebald erst einmal auf der Straße zu haben. Bringen wir ihn dahin, dann können wir ihn auch zum Handeln zwingen.
Auch noch, wenn die andern aktiv werden? Sein Freund Lecharjow hat's 1909 in Rußland mitgemacht. Der wird ihn treiben.
Wäre ich nur ein bißchen gesünder, ich würde freiwillig Soldat – um mit dabei zu sein, wenn es gegen die Arbeiter ginge.
Ja! Der Feind lehrt den Menschen handeln. – Kann sein, daß auch Seebald erst vom Feind
Ich weiß. Seebald ist der Abgott der Menge – und sein Ruf in der ganzen Welt. Ein Gelehrter – ein Philosoph. –
An die glaub ich am wenigsten. Aber gleichviel. – Wenn es nicht anders geht, muß Seebald geopfert werden.
Das heißt, er muß an den gefährlichsten Posten. – Und er muß selbst zum Sturm aufrufen. Dann werden sie auch nach ihm greifen.
Ich? – Für ihn sterben könnte ich jede Minute. Er ist ein herrlicher Mensch, der reinste und beste. Er ist mein Vorbild, mein Meister.
Und volles Vertrauen – immer und überall! Schenk Volles Vertrauen! – Nur eins: es ist nicht Eigennutz – –
Am Abend des nächsten Tages. Vereinszimmer der »Hütte«. Vorn ein schmaler Raum in der ganzen Ausdehnung der Bühne. An ihn schließt sich ohne Tür ein langes, in den Hintergrund führendes Zimmer an, das die Wand in der Mitte rechtwinklig durchbricht und etwa die halbe Breite des vorderen Raumes hat. Der Eingang zum zweiten Zimmer wird von Portieren und zwei Kübeln mit Blattpflanzen flankiert. Im vorderen Raum links ein Klavier mit Drehschemel. An der Hinterwand rechts Bank mit Armlehnen, davor ein längerer Tisch mit bunter Wirtshausdecke und Stühlen. Rechts von Holzläden verdecktes Fenster. Links vom Ausgang ein Schränkchen mit studentischen Verbindungszeichen. Darüber zwei gekreuzte Rapiere. An den Wänden Bilder des deutschen Kaisers, Hindenburgs und anderer Heerführer. Über der Bank eine Draperie von Fähnchen in deutschen, österreichischen, ungarischen, türkischen und bulgarischen Farben. Ein Fußläufer bedeckt einen Teil des Bodens. Elektrische Birnenarrangements über dem Klavier und zu beiden Seiten des Eingangs. Im hinteren Raum sieht man durch die Pflanzenkübel hindurch einen langen, ungedeckten Tisch mit Stühlen zu beiden Seiten und ganz im Hintergrund eine große Milchglastür, die von rückwärts schwach erleuchtet ist. Im vorderen Raum helle Beleuchtung, die den schwächer beleuchteten
zweiten Raum in undeutliches Licht setzt. Wenn sich die Glastür hinten öffnet, ändert sich dabei die Beleuchtung. Der vordere Raum ist leer, im zweiten ist Stimmengewirr, man sieht undeutlich sich verschiedene Personen bewegen. Aus ihnen lösen sich Werra Adler, ältliche, aber jugendlich aufgeputzte Person, und Klara Wendt, junges Mädchen, die Arm in Arm den Vordergrund betreten.
Und hier, siehst du, bleibt dann meistens nach den Diskussionen der engste Kreis beisammen – im ganz internen Gespräch.
Unser Meister! – Um den gruppiert sich doch alles. Ach, ich freue mich so, daß du ihn heute kennenlernen wirst.
Du kannst mir glauben: Auf die bin ich oft geradezu eifersüchtig. Unsereiner kommt sich manchmal wie geduldet vor, so bevorzugt er das niedere Volk.
Das ist verschieden. Manchmal schickt er uns Bessere direkt fort. – Du hast doch den lahmen Rothaarigen gesehen drinnen?
Der bleibt fast immer mit hier; auch wenn bloß noch Klaviervorträge sind oder ein jüngerer Dichter, zum Beispiel Herr Tiedtken, Verse vorträgt.
Ist vielleicht nicht mal nötig. Ich möchte den Herrschaften bloß sagen, daß die Versammlung heute nicht sein kann.
Ja – es ist grad wieder ein neuer Befehl gekommen, daß jede Art Versammlung, auch Vereinszusammenkünfte, verboten sind. Mir tut's ja selbst leid. Aber was soll ich wohl machen?
Ach, Herr Wirt, lassen Sie uns doch so lange bleiben, bis wir den Meister begrüßt haben. – Ja? – Bitte!
Ja – natürlich – – sofort! Will ab, dreht sich noch mal um. Nur bitte – Vorträge dürfen auf keinen Fall gehalten werden. – Nur ganz zwanglos. Ab.
Ach – ich hätt mir's denken können. Nach den letzten Nachrichten, die bei der Redaktion eingelaufen sind. –
Ja, nun – der Streik dehnt sich aus. Besonders von Österreich kommen die beunruhigendsten Meldungen; in Wien, Graz, Prag, Brünn ruht die Arbeit vollständig.
Ich fürchte, Genosse Dietrich, Sie verkennen die Situation. Nach meiner Überzeugung kann diese Bewegung in einem solchen Augenblick den Frieden nicht fördern, sondern höchstens schädigen – wenn die Wirkungen nicht noch bedenklicher werden sollten. Die Front ohne Munition lassen –
BOSSENIUS. Also, Herr Strauß, der Wirt hat mir eben erklärt, daß eine Sitzung des Bundes keinesfalls stattfinden dürfe. Nun meinen die Herren –
Das mag jeder halten, wie er will. Meine Freunde und ich sind in diesem Augenblicke Gäste in der »Hütte«. Wenn die Vereinsräume für Sitzungen gesperrt sind, so benützen wir sie eben als Wirtschaftsräume.
Ich bleibe nur, bis der Meister kommt. Ich will ihm wenigstens die Hand drücken und ihm ins Auge schauen.
Ach, der Meister kommt! Der Meister! – Komm, Klärchen – ihm entgegen! Mit Klara in den Hintergrund. –
Der kleine Doktor hat schon Angst für seine Karriere – und der Strauß, der Verräter, möchte am liebsten gleich die Polizei holen!
Das ist ein Prachtmädel! Sie war heute bei mir, im Vorbeikommen. Hat sich bloß ausgeruht und Bericht erstattet. Den ganzen Tag ist sie auf den Beinen und agitiert. Ich hab sie ein Stück begleitet.
Die kann alles. In die könnte ich alter Mann mich noch verlieben. – Sie ist in der Volksküche und unterhält sich ganz arglos mit den Leuten.
Tüchtig. In den Geschäften nimmt sie einen Krautkopf in die Hand und jammert: Sechzig Pfennig! Das ist ja Sünde und Schande. Und dann kommen mit der unschuldigsten Miene Betrachtungen über den Krieg, über die Not – und dann ist sie auch schon beim Streik. – Ich war mit ihr in einem Laden. –
Na ja, sie kaufte Zigaretten. – Ach Gott, der Preis! Und dann auch noch so schlecht! Ja – wenn man reden dürfte! Wenn die Leute nachdenken wollten! – Na, es waren noch zwei Leute da, ein Arbeiter und eine Frau. – Ja, reden Sie nur, Fräulein. Was meinen Sie denn? – Na, und dann legte sie los, daß den Leuten der Kopf warm wurde. Und ich tat, als ob ich nicht zu ihr gehörte, und hab mitgeholfen.
Als sie weggingen, haben sie nur noch an den Streik gedacht – und wenn er doch bei uns auch zustande käme.
Am besten hat Konrad Fischer gearbeitet. Als bei Wachsmann die Leute kamen, lagen an jedem Platz ein paar Blätter.
Donnerwetter! Die Severin hat's los! Die paar Sätze – aber jedes Wort wie mit der Keule! Trotz Schrei die Namen nicht so – wenn's der Strauß hört!
Wachsmann ist gut. Bei der Motorengesellschaft ist es nicht sicher. Ich traf Schulz. Er meint, die Hälfte würde wohl mittun. Von Bartels & Moser weiß ich noch nichts.
Verräter sind immer dabei. Aber wer soll die kennen? Da haben wir schon unter dem Sozialistengesetz Überraschungen genug
Liebster Meister! Jetzt müssen Sie endlich mal unsere jüngste Schülerin anschauen, hier meine kleine Schutzbefohlene Klara Wendt. Es ist eine Nichte meines geschiedenen Gatten. Aber sie hält der ganzen Familie zum Trotz zu mir.
Schon gut, liebes Kind. – Aber die Damen entschuldigen mich jetzt. Ah – da sind ja meine Freunde alle beieinander.
Läßt Werra stehen. Raffael! Gut, daß Sie da sind.
Nicht viel mehr, als die Zeitung bringt. Aber es geht ein neuer Geist durch die Massen – das spürt man, und das läßt einen Mut fassen. Berlin – Wien – Prag – Leipzig – – nun, und wird bei uns alles beim alten bleiben?
Ich bezweifle, daß die Bewegung hierher übergreifen wird. Es ist allerdings versucht worden, die Arbeiterschaft durch anonyme Flugblätter zum Streik aufzuputschen. Aber es sind alle Gegenmaßnahmen getroffen worden.
Bitte nicht zu streiten. – Ich glaub nur, Herr Strauß, daß Sie bei allem guten Willen, dem Proletariat zu nützen, seinen Feinden die Karten mischen.
Und ich glaube, daß ein Streik in diesem kritischen Augenblick die Soldaten, die doch auch Proletarier sind, wehrlos den Feinden ausliefern würde.
Erlauben Sie mir bitte – bitte – Sie sagen: Kritischer Augenblick. Wollen Sie mir sagen – bitte – was heißt kritischer Augenblick?
Er wird noch lange vor seiner Entscheidung stehen, wenn die Arbeiter die Entscheidung nicht herbeiführen.
Die Arbeiter können den Krieg nur im Sinne einer Niederlage entscheiden. Jetzt stehen wir vor der Entscheidung, die unsere Existenz sichert.
Bitte – erlauben Sie noch mal –, wollen Sie mir sagen – ich bitte – wann ist gestanden seit August 1914 der Krieg nicht im kritischsten Augenblick? Und was heißt Existenz sichern – ich bitte? Wessen Existenz, wenn ich fragen darf? Die proletarische Existenz ist nicht gesichert, wenn Krieg ist, und ist nicht gesichert, wenn Frieden ist.
Ich bin doch ein wenig erstaunt, meine Herren, diese Ansichten in unserem Kreis zu hören. Wir haben uns doch hier zu einem »Bund Neuer Menschen« zusammengefunden.
Aber, bester Meister, eine kleine Meinungsverschiedenheit macht doch nichts aus. Wir wollen doch alle dasselbe: das Gute, das Wahre und das Schöne. – Wir sollten uns doch nicht mit der häßlichen Politik abgeben. Vielleicht trägt lieber jemand etwas vor: Ein Liedchen oder ein schönes Gedicht. – – Ist Herr Tiedtken denn nicht da?
Sie sind im Irrtum, verehrte Frau Adler. Ästhetische Unterhaltungen sind nicht der Gegenstand unserer Gemeinschaft. Wenigstens habe ich mir, als ich den »Bund Neuer Menschen« schuf, etwas anderes dabei gedacht. Die Pflege der Kunst ist nur eines der Mittel, die den Geist bereitmachen für das Gute, Wahre und Schöne. Die Bedingung für Güte, Wahrheit und Schönheit wird aber nicht durch künstlerische Vorträge geschaffen. Sie heißt Friede und Gerechtigkeit.
BOSSENIUS. Fräulein Severin kann schwerlich ein proletarisches Klassenbewußtsein mit auf den Weg bekommen haben. Ihr Herr Vater ist meines Wissens Bankdirektor.
Ich bitte, Raffael, werden Sie nicht ausfallend; und um das gleiche bitte ich auch Sie, Herr Dr. Bossenius. Was wir in unserem Bunde anstreben, ist ja gerade die innere Wandlung des Menschen, die ihn das Wesen echter Gemeinschaft erkennen läßt.
Das fragt sich gar nicht. Bourgeoisie ist das Verächtlichste. – Das Proletariat hat die Zukunft. In ihm sind alle Anlagen noch unverbildet. Insofern lasse ich die Unterscheidung, die Sie mit dem Wort »Gebildete« machen, allenfalls gelten. – Wenn hier Proletarier und Bour – – Angehörige der andern Klasse zusammenkommen, so sollen dabei die Arbeiter nicht etwa »gehoben« werden, sondern die übrigen sollen sich prüfen, ob sie ihre Herkunft so völlig abstreifen können, daß sie berechtigt sind, sich zum Volk zu zählen.
So ähnlich. Das Ziel ist die klassenlose Gesellschaft, in der überhaupt erst vom Volk die Rede sein kann. Wenn wir einen Ausgleich schaffen wollen, so ist das nur möglich in einem freien Bunde abgesonderter und darum neuer Menschen. Das müssen Menschen sein, die die neue Gemeinschaft schon in sich tragen, die den Unwert der Klassengesellschaft mit ihrer Ausbeutung, ihrer Gewalt, ihrem Krieg, ihrer Sklaverei, ihrer Herrschsucht
Die Diktatur des Kapitalismus lassen Sie sich aber gefallen. Das Kapital verfügt über sämtliche Machtmittel des Staates und der Menschen überhaupt. Es zwingt alle Arbeitskräfte in seinen Dienst, zwingt sogar den Ausgebeuteten zu töten und getötet zu werden, um noch größeren Gewinn aus sich herauspressen zu lassen, und dadurch, daß es alle Organe der Beeinflussung in seiner Macht hat, bringt das Kapital obendrein seine Opfer zu dem Glauben, daß alles so sein müsse, wie es ist.
Sie sprechen aus: Bolschewismus. Wissen Sie, was ist Bolschewismus? Werd ich Ihnen sagen: Bolschewismus ist – – Bolschewismus ist die Seele des russischen Volkes. Die Seele des russischen Volkes – – das ist Bolschewismus.
Nicht? – nichts gesagt? Ich will Ihnen sagen – ich bitte, hören Sie mir zu –: Damit ist nichts gesagt für Sie. Damit ist gesagt viel – alles für den, der die Seele kennt des russischen Volkes und jedes andern Volkes. Sehen Sie auf mich, wie ich bin: 1905 hab ich gestanden auf der Barrikade in Petersburg und war schon damals nicht weit von 50 Jahren – und hab gekämpft bewußt für den Bolschewismus.
BOSSENIUS. Mir stehen die großen Menschheitsideen nicht ferner als einem von Ihnen. Aber ich kenne dabei noch ein nationales Pflichtbewußtsein.
Streng. Herr Dr. Bossenius! In diesem Bunde gibt es ein Menschenbewußtsein, dem sich jede Pflicht unterordnet. Wenn Ihr nationales Pflichtbewußtsein eine besondere Sorte ist, die den Mord, die Gewalt, das Verbrechen zuläßt, dann wüßte ich nicht, was Sie veranlassen kann, unseren Kreis zu betreten. – In allen Weltgegenden werden in diesem Augenblick, in dem wir hier sprechen, Menschen getötet von anderen Menschen, die sich nicht kennen und die sich gar nichts angehen – in dieser Minute werden Hunderte zu Krüppeln geschossen, werden in der ganzen Welt aus Frauen und Kindern Witwen und Waisen gemacht. Da habe auch ich mein Pflichtbewußtsein – und das heißt nicht national sein und für die Mordenden der einen Seite Partei nehmen, sondern jedes, durchaus jedes Mittel anwenden, um dem unsäglichen Frevel Einhalt zu tun. – Wir haben uns hier nicht darüber zu unterhalten, ob dies oder
Die halten wir auch nicht. Wir werden uns dem Verbot der Militärbehörde fügen. Ich für meinen Teil möchte mich nur mit meinen nächsten Freunden unterhalten. Wollen wir uns hier in die Ecke setzen, Flora?
Oh, dann wollen wir natürlich nicht lästig fallen. – Liebster Meister, das nächste Mal wird hoffentlich alles wieder wie immer sein.
Wir werden sehen. Leben Sie wohl, Frau Adler. – Gute Nacht, Fräulein. Seebald nimmt auf der Bank Platz, neben ihm zur Rechten Flora. An der Seite links Schenk. Links von Seebald auf der Bank Trotz. Daneben auf einem Stuhl rechts Lecharjow. Klagenfurter, Dietrich und Rosa bleiben noch stehen.
Ach, da ist ja das Fräulein. Kellnerin tritt auf und bringt Getränke. Will noch jemand bestellen? Kellnerin nimmt Bestellungen auf und notiert. Inzwischen Aufbruch der Herren und Damen.
Wie schade, daß du den Meister heute nur so wenig kennenlernen konntest, Kindchen. Aber heute in acht Tagen, denk ich –
Ach wo, die Ästheten tun uns nichts. Sie sind zu feige zum Handeln und zu vornehm zum Denunzieren. Aber Strauß unternimmt bestimmt etwas.
Freunde, wir haben niemanden zu fürchten. Unreine Seelen flecken nur nach innen. Was sollte er auch wohl unternehmen können?
Das soll er. Arbeiter, bei denen er Erfolg hat, sind für uns vorläufig doch wertlos. Wir müssen sie erst heranziehen zu neuen Menschen.
Ich weiß gut, wie Sie es meinen. – Und Sie haben auch recht. Ich muß diese Anhänger und Anhängsel von mir abschütteln.
Nur aus Proletariern kann man neue Menschen machen. Die andern müssen erst
Wir müssen über die Sache reden, Genossen. Ich bin ein alter Mann, ich habe keine Zeit mehr zum Philosophieren.
Die Arbeiter in allen Betrieben sind aufgefordert, morgen zu feiern. Flugblätter sind heute überall verteilt worden. Die große Mehrheit des Proletariats scheint gewonnen zu sein. Der Streikpostendienst ist organisiert. Nachmittags soll ein Demonstrationszug stattfinden.
Um drei Uhr sammeln sich die Arbeiter auf dem Platz vor der Wachsmannschen Fabrik. Rote Fahnen und Plakate haben Trotz und Dietrich vorbereitet.
Er war heute mittag bloß auf einen Sprung bei mir. Das ganze Militär muß in den Kasernen bleiben. Es ist schärfste Bereitschaft befohlen.
Sie müssen um drei Uhr bei der Wachsmannschen Fabrik sein, müssen zur Masse sprechen und sich an die Spitze des Zuges stellen.
Alles. Keiner von uns könnte den Arbeitern das ausdrücken, worum es sich handelt und was auf dem Spiel steht. Wenigstens genießt keiner von uns soviel Vertrauen wie Sie. – Und dann der Eindruck auf das Bürgertum. Die Presse und die Partei- und Gewerkschaftsführer würden es nicht mehr wagen, von Verrat und Bestechung zu reden – und das Militär müßte sich mindestens zurückhalten.
Ich liebe demonstrative Herausforderungen gar nicht. Aber wenn ich bestimmt wüßte, daß ich nötig wäre. – Was denkst du, Fedor?
Was soll ich denken? – Wenn die Demonstration wäre bewaffnet, hätt ich gesagt: Es ist unnütz zu reden und voranzugehen. Dann soll vorangehen ein Mann, der kann kommandieren und weiß Bescheid mit dem Krieg.
Wenn die Demonstration ist unbewaffnet – kann ich wissen, was geschieht? Ich kann nur wissen, wer unterliegt, wenn man schießt; ob du an der Spitze marschierst oder zu Hause
Damals. Aber jetzt, wo alles kriegsmüde ist, nicht zuletzt die Soldaten selbst, werden sie sich's überlegen.
Möglich – sie werden sich's überlegen. Möglich, sie werden sich sagen: Der Mathias Seebald vornean – gut, sie sollen sich Luft machen mit ihrem Zorn, sie werden wieder heimgehen – der Seebald ist ein guter Mensch; er wird sie von Unbesonnenheiten zurückhalten, und dann schaden sie uns nicht. – Möglich auch, der Kapitalismus wird sagen: Der Mathias Seebald an der Spitze? Das ist gefährlich. Er wird die Leute bringen zum Ausharren im Streik, er wird die Soldaten bringen zur Gehorsamverweigerung, er wird den Leuten aufdecken den Betrug von Brest-Litowsk. Ihn selber möchte man vielleicht nicht gerne einsperren, wegen seinem Ruf im Ausland. Wird man zusammenschießen, die ihm folgen, als warnendes Exempel – ich kann nicht wissen, was sie werden tun.
Ich meine gar nichts. Kann ich wissen? –
Das ist deine Aufgabe. – Du mußt es durchsetzen. – Komm jetzt zurück. Er zieht sie hinter den Pflanzenkübel.
Lieber Mensch! Sie küßt ihm die Hand. Wir müssen stark sein, du und ich. Gehen unauffällig an den Tisch zurück.
Ach, er träumt ja seit gestern abend bloß davon. Ich hab ihm schon heut einen Besen in die Hand geben müssen und ihn im Zimmer herumführen – und die Kinder mußten hinterherlaufen.
Komm, Tilde, ich zeig's. Er geht am Arm der Frau, seinen Stock hochhaltend, durch den Saal. Mir nach, Genossen!
Ich habe die schwersten Gewissensbedenken. – Ich könnte nicht weiterleben, wenn durch mich Blut flösse.
Angestrengt! Das bei Verdun war eine andere Anstrengung, sag ich euch. Wir mußten vor, ob wir mochten oder nicht. Mitten durchs Sperrfeuer – immer zehn Schritt laufen und dann auf den Bauch. Da ging's wie verrückt – ssss – bum! ssss – bum!! – Die Kameraden fielen wie die Fliegen, links und rechts – und immer auf! Hingeschmissen! – Auf! – Hingeschmissen – in den dicken Dreck. – Ja, und dann kam's. Ich dachte, es riß mir den Kopf weg – und das wär auch wohl besser gewesen.
Ja, das ist wahr – morgen! – Ja, aber doch – wie ich wieder zu mir kam im Lazarett und nichts sah – gar nichts. Und bis ich dann wußte, daß ich gar nie wieder werde sehen können – ich habe es nicht glauben wollen, viele Tage nicht. Und die Schwester meinte auch, es käme wieder, daß ich sehen würde. Ich glaube auch, der Stabsarzt hat die Schuld.
Ernst, sag du uns deine Meinung. Soll nicht Mathias Seebald dabeisein vor der Wachsmannschen Fabrik? Soll er nicht neben dir dem Zuge vorangehen?
Nein. Die Arbeiter können und dürfen nur durch sich selbst siegen. Ihr Sieg hängt nicht von meiner Person und von keiner andern Person ab. Auch die Demonstration kann den Sieg nicht bringen. Nur die Verweigerung der Arbeit, die Verweigerung des Dienstes an jeder Gewalt kann helfen. Am Streik kann ich mich freuen – am Umzug nicht.
Ihr berauscht euch an der Geste. Das Wesentliche liegt nicht im äußeren Schein. Die Verödung der Fabriken wird mehr Klärung schaffen als die glänzendste Parade. Der Staat bricht zusammen, gewaltlos, wenn die arbeitenden Hände erlahmen, und das Beispiel des gewaltlosen Widerstands, das ihr den Soldaten gebt, wird größer sein und tiefer wirken, als wenn ihr auf die Straße geht.
Wir können nicht warten, bis der Staat langsam zusammenbricht. So lange hält kein Arbeiter das Streiken aus. Und wir dürfen erst recht nicht warten, bis die Front streikt. Das wird sie nur tun, wenn in der Heimat das Proletariat seine ganze Macht entfaltet. Der Umzug muß den Streik erklären und ihn erweitern.
Ich habe manchen Streik mitgemacht in meinem Leben. So einfach geht das nicht, daß die Arbeiter die Maschinen stehenlassen und zu Hause bleiben bei Frau und Kindern. Sie
Das war ein gutes Wort, Genosse Trotz. – So denkt ein alter Proletarier, Professor. Können Sie sich da noch sträuben?
Guten Abend, meine Herrschaften! Bitte um Entschuldigung, wenn ich störe. Nur – ja – es wird doch nicht länger gehen hier.
Nein – es war keiner von den Herren, die hierher gehören. Es mag wohl einer von der Behörde gewesen sein.
Die Herren fragten nur, wer noch da wäre, und machten mich auf die Folgen aufmerksam, wenn ich die Zusammenkunft hier hinten dulde. – Wenn die Herrschaften natürlich vorn im Lokal sitzen wollen –
Ich möchte nur bitten: Wenn Sie vielleicht nicht alle zusammen gehen wollen – daß es weniger auffällt.
Es ist ja nicht meinetwegen. Aber, wissen Sie: Man weiß jetzt nie, wer noch dem andern trauen darf. Und ich, Herr Professor, ich
Herr Schenk, solange der Herr Professor da ist, traut sich die Polizei nicht, hereinzukommen. Aber wenn er wegginge, wären die übrigen Herrschaften nachher gleich aufgeschrieben.
Sei nicht unverständig, Raffael. Ich komme morgen früh bestimmt zu dir, ganz früh. Denk an das Werk und tue das Deine!
Das ist ein Weibsbild. Mit tausend Arbeitern, wo wie dies eine Mädel, wollte ich die Welt umkrempeln.
Bei uns in Rußland – die Frauen haben gestellt die besten Kämpfer für unsere Revolution. Sie waren die Glut der Bewegung – und sind gegangen in den Tod, unsere Studentinnen zu Hunderten, wie wenn sie's gewöhnt wären, zu sterben.
Aber sie wird es nicht bleiben. Das Vorbild zeugt Nacheiferung. Der Wille zum Guten tut sich nicht genug mit einem Herzen. Durch den Mund des einen geht er in andere über. Das Ideal vermehrt sich dauernd aus sich selbst.
Das ist leider wahr. Die akademische Jugend hat in Deutschland das Ideal verloren. Der Kultus der Gewalt hat sie verdorben.
Ich werd euch sagen, was ich hab für eine Meinung. Bei uns in Rußland waren die Studenten und Studentinnen die Träger der großen Ideen. Das kommt, weil man hat verfolgt die Intelligenz, weil die Intelligenz immer ist eine Gefahr für die Brutalität und weil der zaristische Staat war aufgebaut auf der Brutalität. In Deutschland ist die Studentenschaft nicht mehr Verfechter der Intelligenz, sondern des Interesses.
Ja, ich will sagen. Was ich gesehen hab hier von Studenten, waren keine Studenten wie bei uns, mit dem Feuer der Jugend und mit Leidenschaft. Nein – waren nichts weiter als zukünftige Ärzte, zukünftige Oberlehrer, zukünftige Richter, zukünftige Diplomaten. Darum werden in Deutschland die Studenten nicht Revolutionäre.
Ich will es mir noch überschlafen. Wollen Sie morgen mittag zu mir kommen, dann will ich Ihnen sagen, was ich tun werde.
Mein lieber Raffael, jetzt sind Sie böse auf mich. – Das tut mir leid. – So habe ich Sie ja nie gesehen. – So kurz angebunden, so übellaunig. Sind Sie enttäuscht von mir?
Ja. Ich habe an einen einzigen Menschen geglaubt. Das waren Sie. – Und jetzt sehe ich, daß Sie noch nicht einmal imstande sind, sich in dem Augenblick, wo eine Frage an Sie herantritt, zu einem klaren Ja oder Nein zu entschließen.
Sie verkennen mich. Meine Stellung zu den
Ach ja – die Idee, die Gesinnung, das Erkennen – das ist alles da. Das Schwanken fängt erst an, wo es ans Handeln geht.
Laßt's genügend sein. Ihr redet mit verschiedenen Zungen ein jeder. Wie könnt ihr euch verstehen? Morgen werden Sie Bescheid holen und wissen: Ja oder nein. – Gehen Sie jetzt nach Hause, Genosse Schenk, und schlafen Sie aus bis morgen und richten Sie ein Ihre Gedanken dar auf, daß Sie sich fragen: Was hab ich für meine Person zu tun? – Ob Mathias Seebald kommt oder wegbleibt – gleichviel!
Ich? – Junger Mann, was geht mich an Ihr Wille, was geht mich an sein Wille? Ich hab meinen Willen. Ich werde sein, wo das Proletariat ist – und wenn das Proletariat auf die Straße geht, werde ich auch gehen auf die Straße.
Bin ich sein Vormund? – Mathias Seebald hat seinen Kopf, wie ich hab meinen Kopf und Sie haben Ihren Kopf. Jeder denkt nur mit seinem Kopf. Gehn Sie schlafen, Genosse, und setzen Sie sich auseinander mit Ihrem Gewissen, wie er sich wird auseinandersetzen mit seinem Gewissen. Und morgen werden wir sehen.
Mathias Seebald ist so notwendig für das Gelingen, wie Sie, Raffael Schenk, notwendig sind, oder wie ich, Fedor Wladimirowitsch Lecharjow, notwendig bin. Jeder muß wissen, wo er notwendig ist und wie er notwendig ist. Am notwendigsten ist das Volk, das revolutionäre Proletariat. Und wenn das Volk nicht selbst weiß, was notwendig ist, dann ist seine ganze Sache nicht notwendig.
Ach ja – gewiß. Reicht ihm die Hand. Ich hoffe, daß ich es auch morgen noch kann. – Gute Nacht, Genosse Lecharjow. Gibt Lecharjow die Hand.
Was wäre eine Idee wert, wenn sie nicht entzündete Fanatiker? Auf Menschen wie Raffael Schenk und Flora Severin ruht die Zukunft Deutschlands.
Nein. Gewalt ist vom Übel. Wenn ich ginge, könnte ich nur versuchen, Gewalt zu verhindern. Aber ich sehe die Gefahr, daß ein solcher Versuch gerade das Signal zur Gewalt sein könnte.
Schenk – das sehe ich deutlich – will die Gewalt. Er ist zum Letzten entschlossen – und ich glaube, Flora Severin bestärkt ihn noch darin.
Er ist ein sanfter Mensch, aber er kann sein ein reißendes Tier. Jetzt ist alles in Wallung in seinem Blut. Seine Krankheit läßt ihn mißachten sein eigenes Leben. – Wie mir scheint, ist er besinnungslos verliebt in Flora – –.
Und sie erwidert die Liebe und leitet sie über aufs Geistige. Das reißt ihn aus allen Bahnen. Für ihn ist der Kampf des Proletariats gegen den Krieg und für den Sozialismus zugleich sein eigener Kampf, um sich würdig zu machen der Frau, und seine Arbeit für die Gesundung der Menschheit ist fanatisiert von dem Leiden an seiner eigenen Krankheit.
Glaubst du, er liebt dich jetzt weniger? Im Gegenteil. Ich habe gesehen, wie er bangt um dich – um deine Seele –.
Er könnte um dich verbluten. Er könnte auch dich verbluten sehen um deiner Seele willen. Aber – dich verraten? –
In der Frühe des nächsten Tages. Schenks Zimmer. Mansardenstübchen. Der Dachstuhl bildet an der rechten Seite die schräge Zimmerdecke über dem kleinen Fenster, an dem saubere Gardinen hängen. Auf dem Fensterbrett eine leere Blumenvase. An der Hinterwand rechts die Ausgangstür mit Kleiderhaken. In der Mitte der Wand Kleiderschrank. Weiter links einfache Waschkommode, daneben Eimer. Viereckiger kleiner Spiegel. An der linken Seite hinten Tür zur Küche. In der Ecke links runder Eisenofen mit langem Rohr. An der Wand links eiserne Bettstelle. Unter dem Fenster langes Brett mit Büchern. In der Mitte des Zimmers ungedeckter Tisch und ein paar Rohrstühle. Im Vordergrund rechts ein stark abgenützter Liegestuhl. Auf dem Tisch Schreibzeug und Papier. Über dem Bett hängen ungerahmte »Jugend«-Bilder. Unter dem Tisch Strohmatte. Das Bett ist aufgewühlt.
Er wäscht sich die letzten Spuren der Rasierseife ab, trocknet das Gesicht und legt das Rasiermesser in die Schublade des Waschtisches. Mutter!
Sei nur unbesorgt. Rosa Fiebig hat gleich zwei hergegeben, deinen Mantel hab ich schon in der Küche. So, mach dich fertig, Ralf, ich hol den Kaffee. Ab.
Nein – die Marmelade ist
Aber Ralf, ich hab doch erst gestern abend bei dir ausgefegt. Du tust ja, als wenn Ostern wäre. Was ist das bloß heute mit dir?
Mein Gott, nein – mitten im Winter! – Aber du, ich will mir dann doch lieber das gute Kleid anziehen. So im Arbeitskleid – das geht doch nicht.
Du bleibst, wie du bist, Mutter. Flora soll sehen, daß sie zu Proletariern kommt. Und das will sie auch sehen.
Sie ist auch keine Frau wie die andern. – Sie denkt und lebt nur mit dem Volk. Sie will es aufwiegeln zum Aufstand – zur Revolution.
Dieser abscheuliche Krieg! – Ja, wenn das wahr ist, was du sagst, dann muß man ja selbst Revolution wünschen.
Mutter! Wenn ich mein lahmes Bein und die kranke Lunge nicht hätte, wäre ich doch immer in Gefahr. Das müßtest du auch aushalten.
Ja, du gehst überhaupt viel zu leichtsinnig um mit deiner Gesundheit. Du wirst dich wieder schrecklich aufregen – und du weißt ja, dann kommt das Husten wieder.
Was du dir doch einbildest! – Mir geht es jetzt viel besser. – Ich habe heute nacht kaum einmal gehustet. Er hüstelt.
Bei deinem Vater war es geradeso. Als er noch jung war und recht verliebt in mich, hat er oft tagelang gar nicht gehustet. Und dann, als du geboren warst, da war er vor Freude beinahe ganz gesund. Aber zwei Jahre drauf hat ihn die Schwindsucht doch hingeworfen.
Gott, wie das so war damals. In der Gewerkschaft war er ja, und bei den Wahlen hat er immer den Sozialdemokraten geholfen. Aber sonst hat er sich nicht viel um das Ganze gekümmert.
Ja, natürlich. – Ich hab dich doch heut nicht früher geweckt, weil du doch nicht zur Arbeit gehst wegen dem Streik. – Du hast Inhaber noch gar nicht erzählt von gestern abend.
Die durften sich gestern gleich drücken. Das Generalkommando hatte ja alles verboten. – Nein, über Seebald selber.
Na ja, er sollte heute reden vor der Wachsmannschen Fabrik und dann den Zug anführen. Aber da hat er plötzlich so viel Bedenken, so viele Wenn und Aber – –
Gib nur noch eins her. Vielleicht treib ich noch ein paar Brotmarken auf. Aber heut muß ich gut im Stande sein. Heut gibt's noch zu tun.
Das ist ein Kreuz mit dem Brot – Streicht ihm ein Brot. Was sind das bloß für Zeiten! Es läutet.
Es hat geschellt, Mutter. Das ist sie – sie weiß nicht, daß die Flurtür offen ist. – Bleib da, ich mache auf.
Oh, wie herrlich. Und Ralf hat gerade geklagt, daß wir keine Blumen im Zimmer haben für Sie. – Hilf doch beim Ausziehen, Junge.
Wenn er nur glücklich ist – da haben Sie eine schöne Aufgabe, mein Kind. Gießt ihr ein. Auch ein Marmeladebrot?
Ich trinke bloß mittags ein Glas, und wenn heute soviel darin fehlt, wie du brauchst, um deinen Kaffee zu weißen, dann bekommt sie mir dreimal so gut.
Währenddem sitzen Schenk und Flora wortlos Hand in Hand. Kommt zurück. So, nun bedienen Sie sich, und mich entschuldigen Sie. Ich muß einholen gehen.
Nimmt aus dem Kleiderschrank ein Umschlagetuch, während sie es umlegt. Das Frühstücksgeschirr stell dann nur auf den Küchentisch, Ralf!
Kann sein, daß ich ein bißchen länger wegbleib. Ich gehe noch bei Frau Päpke vorbei
Nein – sie wohnt ein tüchtiges Stück weg. Aber sie ist ein Patenkind von mir. – Aber jetzt muß ich laufen. Guten Morgen, Kinder. Ab.
Nicht wahr? – Sonst geht sie nie vor halb zehn Uhr einkaufen. Und daß sie zu der Wöchnerin muß, ist auch nur, damit sie die Zeit hinbringt und uns nicht zu früh stört. – Und jetzt einen Kuß, Flora!
Noch einen. Küßt ihn. Und damit ist's genug. Zum Schnäbeln haben wir später Zeit. Heut haben wir Ernsteres zu tun. – Weißt du etwas Neues?
Nur Anschläge vom Generalkommando und den Gewerkschaften: Warnungen, Beschwichtigungen, Drohungen – du kennst die Tonart.
Ich traf die Fiebig. Bei Wachsmann feiert alles. Bei Bartels & Moser soll ein Teil zur Arbeit gegangen sein.
Da bin ich gewiß. Die hab ich gut bearbeitet. Du siehst ja auch – keine Zeitung. Das spürt der gute Bürger zuerst.
Du sollst dich auch schonen. Ich war schon bei Trotz und bei Fischer. Die Sache geht
Der Zug formiert sich nach Betrieben und Berufen im großen Vorhof der Fabrik. Und am Eingang, wo das Gitter aufhört, steht doch der hohe vierkantige Stein – du kennst dich doch dort aus?
Der Ansicht bin ich auch. Um ein Uhr soll ich bei ihm Bescheid holen. – Aber sagtest du nicht, um eins kommen die Genossen hier zusammen?
Nein, Flora. Lassen wir ihn gehen. – Er meint es gut – aber er ist nicht der Mensch, für den wir ihn hielten.
Um sieben Uhr war ein Soldat da und brachte die Einberufung. Ich soll heut vormittag um acht Uhr in der Infanteriekaserne eintreten.
Sie haben mich abgelauert gestern abend bei der »Hütte«. Den ganzen Weg hatte ich Spitzel hinter mir.
Vielleicht gerade. Glaubst du, über die Freundschaften unter den revolutionären Arbeitern werden keine Listen geführt?
Ich hab's. Gehen Sie zu der geschiedenen Frau, die im »Bund Neuer Menschen« immer auf unseren Nerven Harfe spielt.
Zu der alten Hysterikerin! – Das ist ein Gedanke. Wart, ihre Adresse habe ich. Sieht im Notizbuch nach. Hier: Frau Werra Adler – ich schreib dir's auf. Schreibt einen Zettel, gibt ihn Klagenfurter.
Ich komme eben von deiner Frau, Stefan. Es waren gerade zwei Soldaten dagewesen, um dich zu holen. Dann wollte ich zu mir heim. Gerade kamen sie bei mir die Treppe herunter, diese Kanaillen.
Sie kannten mich doch nicht. Ich bin dann gleich umgekehrt und hierher. Wahrscheinlich sucht die Polizei auch schon.
Weil ich die Burschen auf der Straße mit einem Zivilisten sprechen sah, der mir verflucht nach Kriminaler aussah. Ein Kerl im Pelz. Der schlug sein Buch auf und gab dann offenbar eine andere Adresse an. Sie gingen dann miteinander die Gertrudstraße hinunter, also wahrscheinlich zu Braun oder Färber.
Ja, mein Lieber, da wird's wohl das beste sein, du läufst gleich weiter, daß du ihnen hier unten nicht grad in die Arme fällst.
Das ist großartig. Das hat natürlich unsere Severin ausgeheckt! Na, jedenfalls wird man dir ein gutes Weinchen vorsetzen, Alter!
Denk jetzt nicht an deine Frau. Der geschieht nichts. Denk an dich selbst und laß dich nicht erwischen.
Du kannst dich drauf verlassen. Sie mögen mich an die Wand stellen, dann weiß ich wenigstens, wofür ich sterbe. Soldat werde ich nicht!
Brav, Genosse Klagenfurter. – Jetzt gehen Sie aber, Dietrich als Schrittmacher zuerst. – Und um Ihre Frau werde ich mich kümmern. Das verspreche ich Ihnen.
Es zeigt, daß sie sich noch sicher fühlen. Es ist kaum zu fassen, diese Verblendung. Aber es ist gut so. – Verheimlichen läßt es sich an der Front nicht, wie es in der Heimat zugeht. Auf jeden Fall wird die Niederlage beschleunigt.
Das glaube ich nicht. Aber du weißt ja, wie die Urlauber reden; alle hoffen aufs Hinterland. Rührt sich hier erst mal etwas, dann werden sie sich doch nicht mehr so fest einreden lassen, daß nur Stürmen und Siegen sie aus dem Elend des Schützengrabens befreien
Wahrscheinlich ist es nicht. Aber Strauß haßt ihn – und ich glaube, der und die anderen sogenannten Arbeiterführer haben das ganze Spiel in den Händen.
Das ist er ja im Grunde auch. Ohne seine Tätigkeit hätten wir die Arbeiter nicht aus den Werkstätten bekommen.
Trotzdem – sie werden es nicht wagen. – Wenn ich mir vorstelle, daß man ihn womöglich an den Arbeitern vorbeiführt. – Von seiner Wohnung zum Gefängnis müßten sie ja an der Wachsmannschen Fabrik vorüber. – – Ob man ihn befreien würde?
Oh, mein Sie steht auf, geht durchs Zimmer, setzt sich auf den Liegestuhl, nimmt das Taschentuch vor die Augen, schluchzt auf.
Es wird Tote geben und Verwundungen. Man wird brave Menschen in den Kerker werfen. – Es ist schwer, das alles zu verantworten.
Wir haben einander Vertrauen gelobt, Raffael. Du darfst sehen, daß es mir nicht leicht wird, du allein.
Nein, ich will nicht weich sein. Ich will nicht! Wir müssen fest bleiben, du und ich. – Hart müssen wir sein!
Kann man mich denn nicht einmal fünf Minuten glücklich sein lassen! Ab zum Korridor. Die Tür bleibt offen. Noch draußen. Sie sind's, Frau Laßmann? – Ja, bitte, treten Sie ein!
Was ist denn passiert? – Sie sind aufgeregt. Schiebt ihr einen Stuhl hin.
Sie wissen doch, wie es uns jetzt geht – mit der Invalidenrente die paar Mark und dann mit dem blinden Mann und mit den sechs Kindern. –
Ja, sehen Sie – es ist mit dem Mietzins – unsere Leni war doch so krank im letzten Herbst. Und da sind wir seit drei Monaten im Rückstand geblieben mit der Miete. Ich hab den Hausherrn gebeten und gebeten, er soll noch etwas Geduld haben – und heute früh – heute früh – haben wir die Exmission gekriegt.
Ach, das gibt es alles noch. Sie wissen immer, wo heraus aus den neuen Bestimmungen, die Reichen. Und jetzt sollen wir bis heut abend die 78 Mark bezahlen oder sonst morgen früh raus aus der Wohnung.
78 Mark! Ich müßte sehen, daß ich sie heute noch zusammenbrächte. – Ließe sich denn der Wirt nicht auf eine Teilzahlung ein?
Ich hab ihm schon angeboten – 20 Mark. Da meinte er, übermorgen ist der erste Februar, das wäre ja noch nicht mal genug für den neuen Monat. Er will uns ja nur raushaben – mit den vielen Kindern. Kein Mensch mag ja mehr Kinder im Haus haben.
Und dann, wenn ich mal ein paar Groschen in der Hand hab – ja, dann denk ich ja auch nicht gleich an den Hausherrn. Die Kinder kriegen ja so viel zuwenig Milch – die Großen gar keine mehr; und was es auf die Marken gibt, davon kann man ja rein verhungern.
Dann muß man eben sehen, hintenrum was zu erwischen, und dabei wird einem die Haut ganz heruntergezogen. Aber das ist doch das erste, daß man die Kinder sattkriegt. Und dann brauchen sie Kleider und Schuhe – und alles wird immer teurer –
Vor vierzehn Tagen hatte mein Mann mal die Brille abgenommen, weil er sich das Auge auswischen wollte – und ich war gerade nicht da. Und als er sie dann auf dem Tisch wieder gesucht hat, da hat er sie runtergestoßen – und beide Gläser kaputt. Jetzt die teuren schwarzen Gläser. –
Nein, sie haben sich geweigert, weil es aus Unvorsichtigkeit geschehen ist. Als wenn er was dafür könnte, daß er blind ist.
Ach, mit Ernst ist ja gar nicht mehr zu reden. Der sagt, ich soll mich gar nicht sorgen. Heute gibt's Revolution – und dann sollte der Hausherr schon sehen, wer herausfliegt, wir oder er selbst. Der ist ja wie närrisch.
Ich glaube, am besten ist es, ich gehe gleich
Doch. Mit uns Proletariern glauben sie ja, können sie alles machen. Wenn aber einmal ein anderer mit ihnen spricht, dann wollen sie nicht wie Unmenschen aussehen. – Das ist immer so.
Ich geh von dort aus gleich auch zu Frau Klagenfurter. Gegen Mittag bin ich wieder hier. Also auf Wiedersehen, Raffael.
Ich bin so froh, daß ich Sie getroffen hab, Flora. Flora und Frau Laßmann ab. Schenk begleitet sie hinaus. Man hört draußen noch ihre Stimmen, dann die Korridortüre zufallen. Schenk tritt wieder ein. Er nimmt die Rosen in die Hand und berührt sie mit dem Mund. Öffnet das Fenster, holt einen Stuhl heran und beugt sich weit vor, um auf die Straße hinabzusehen. Schließt das Fenster wieder, stellt den Stuhl zurück. Macht sich am Ofen zu schaffen. Es klopft.
Mutter, bist du's? Kannst schon hereinkommen. Flora ist eben fort. Er öffnet und prallt zusammen mit Seebald. Sie – ja, das überrascht mich. – Daß Sie zu mir kommen!
Guten Morgen, Raffael. Ja – ich möchte Ihnen den Besuch bei mir doch nicht zumuten. Sie werden dann genug zu tun haben.
Bis Mittag mußten wir alle Anordnungen doch ohne Rücksicht auf Sie treffen. – Und wenn Sie sich für uns entscheiden wollten, hätten Sie den Weg zu Wachsmann ja auch allein gefunden.
Was mich herführt, ist – Raffael! Wir müssen uns einmal aussprechen. Der Schatten von gestern abend darf nicht zwischen uns liegen.
Nein – die nehm ich Ihnen nicht weg. Die sind für Ihre Gesundheit. Trinkt. Ah – das ist ein seltener Genuß jetzt, gute Milch.
Drum eben müssen wir uns verständigen. – Sie waren von mir enttäuscht. Schenk schweigt. – – Ich begreife Sie gut. Sie sagen sich, dieser Mann hat sich zur Lebensaufgabe die Bekämpfung des Krieges gestellt. Er hat sich durch diesen Kampf die Liebe und das Vertrauen des Volks errungen. –
Nicht eigentlich dadurch, sondern, weil Sie nicht wie die anderen Pazifisten einen Verständigungsfrieden zwischen den Regierenden verlangen – weil Sie sich ans Proletariat wenden.
Gut: Ich habe immer gelehrt: Wer unter einem Zustand leidet, dessen Aufgabe ist es, ihn zu ändern. Und ich habe den Soldaten gesagt: Wenn ihr den Frieden wollt, führt keinen Krieg – und den Arbeitern: Wenn ihr die Freiheit wollt, arbeitet nicht für die Knechtschaft! – Jetzt stehen Sie vor einem Rätsel. In dem Augenblick, wo die Arbeiter zum ersten Mal nach meinen Worten handeln, scheine ich mich zurückzuziehen. Das erbittert Sie gegen mich. Ist es so, Raffael?
Das freut mich, daß ich mich dagegen nicht zu verteidigen brauche. Also weiter: Sie wissen, daß bei allen Verfolgungen und Schikanen mich die Behörde stets in Ruhe gelassen hat. Wie erklären Sie sich das?
Sie sind zu berühmt. Ihre Werke werden in
Ja, aber immer mit Respekt. Vor ein paar Tagen las ich noch in der Tageszeitung, die doch vor Patriotismus Purzelbäume schlägt, von den bedauerlichen Verirrungen unseres großen Mitbürgers, dessen Namen aber man doch mit Ehrfurcht nennen müßte. Wenn man an Sie Hand anlegte, wäre der Skandal ungeheuer. Vom feindlichen Ausland will ich nicht reden, daran würden sich die Generäle wohl nicht viel kehren – aber auch in ganz Deutschland und besonders bei den Neutralen. – Es wäre dasselbe, als wenn sie in Belgien den Kardinal Mercier einsperrten.
Aber bei Ihnen ginge der letzte Rest Achtung vor den Deutschen verloren. Und den möchten sich unsere Politiker gerne retten. – Vielleicht brauchen sie mal mildernde Umstände.
Mit Ihnen kann ich anders sprechen als sonst mit Arbeitern. Ich will Ihnen meine Meinung sagen. Das alles wäre für die Regierung noch kein Grund, mich gewähren zu lassen. Sie kennen das schöne Wort: Staatsräson! – Die steht den Herren weit höher als das bißchen moralische Ansehen. Um ihren guten Ruf in der Welt sind sie viel weniger bange, als Sie
Der Grund sitzt viel tiefer. Ich muß Ihnen da vielleicht ein wenig metaphysisch kommen. Sie verstehen, was das heißt?
Dann wissen Sie also, worauf meine ganze Weltanschauung sich gründet: Ablehnung der Gewalt, in jeder Form und unter allen Umständen. Wenn Tolstoi mit Christus sagt: Widerstrebe nicht der Gewalt, so lehre ich: Nimm niemals teil an der Gewalt und lasse die Gewalt nie an dich herankommen. – Das heißt: Begehe keine Handlung, die die Gewalt herausfordert! – Wenn mich nun bisher die Behörde nicht gefaßt hat, so entnehme ich daraus, daß ich meiner eigenen Lehre treu geblieben bin und die Forderung der Gewaltlosigkeit nicht selbst zum Anlaß der Gewaltentfesselung gemacht habe.
Angenommen aber, heute oder morgen besänne sich die Behörde anders und verhaftete Sie – wäre dann nicht Ihre ganze Theorie widerlegt?
Nein, es wäre ein Beweis, daß ich falsch gehandelt hätte. Ich glaube, daß der Wille zum Guten, wo er die Seele eines Menschen ganz erfüllt, sich selbst die Abwehrmittel schafft, um das Böse fernzuhalten.
Das ist auch so, wenn Sie das Wort Schuld richtig verstehen. Im Drama zum Beispiel spricht man von einer tragischen Schuld; das ist die im besten Glauben begangene fehlhafte Handlung, die das Verderben des Menschen bewirkt. – Daß Sie, Raffael, mit Ihrer großen Liebe zur Menschheit und zum Frieden nicht mit den andern in die Kaserne und ins Feld müssen, das führe ich zurück auf die Abwehrmittel, die sich Ihr Wille zum Guten unbewußt geschaffen hat.
Ich glaube zuversichtlich, daß Ihre Lunge noch heilen wird, wenn mit Ihrer Mithilfe lebenswürdige Verhältnisse unter den Menschen entstanden sein werden. – Und Ihr Bein? Lächelt. Denken Sie einmal nach: Macht es Ihnen den Genuß des höchstausdenkbaren irdischen Glückes unmöglich? Er neigt sich zu den Rosen.
Sehen Sie also – und nun verstehen Sie auch das Dilemma, in das mich Ihr Verlangen versetzte, ich solle heute an der Demonstration teilnehmen. Diese Demonstration ist – das fürchte ich sehr – an und für sich eine Herausforderung der Gewalt.
Aber Sie wissen auch, was geschehen wird, wenn Sie fortbleiben? – Dann werden die
Das alles habe ich mir selbst auch schon gesagt. Und deshalb bin ich hier, um Sie zu bitten – zu beschwören: Verhindern Sie den ganzen Umzug. Die Arbeiter sollen streiken, aber nicht die Gewalt herausfordern. Raffael, mein Freund, mein liebster Schüler – hören Sie auf mich!
Das Ganze ist bis ins kleinste organisiert. Um zwei Uhr sammeln sich die Arbeiter vor ihren Betrieben.
Dann sind noch über vier Stunden Zeit. Gehen Sie jetzt sofort zu Ihren nächsten Genossen. Machen Sie Anschläge an den Fabriktoren, daß die Demonstration nicht stattfindet, um Blutvergießen zu vermeiden. Fordern Sie die Arbeiter auf, weiter zu streiken. –
Nein! – Das tue ich nicht! – Ich bin selber Proletarier – das vergessen Sie. Ich weiß, was die Arbeiter denken und wollen und fühlen. – Was meinen Sie wohl, was folgen würde? Morgen früh hieße es einfach, alle Reklamationen sind aufgehoben. Wer nicht arbeitet, wird sofort eingezogen. – Streikbrecher gibt es ohnehin genug.
Besinnen Sie sich, Mensch! Wollen Sie das Blut von Hunderten friedlichen Arbeitern, von Frauen und Kindern auf Ihr Gewissen nehmen?
Wird durch unsern Aufstand der Krieg auch nur um einen Tag abgekürzt, dann rettet er zehnmal soviel Menschen das Leben, wie im schlimmsten Falle dabei geopfert werden.
Allerdings. Mit schönen Worten allein ist uns Arbeitern nicht gedient. Wer uns sagt: Weigert euch, für das Unrecht zu arbeiten – der muß wissen, daß er damit zum Kampf auffordert. – Das ist Herausforderung der Gewalt. – Habe ich aber einmal die Gewalt herausgefordert, dann setze ich ihr auch die Gewalt entgegen.
Dann wäre ich der Urheber von Gewaltsamkeiten? – Raffael Schenk, das kann nicht Ihre wahre Meinung sein.
Ich mache Ihnen doch keinen Vorwurf deswegen.
Möglich. – Glauben Sie immer noch, daß Sie durch Ihren geistigen Schutzpanzer gegen die Staatsgewalt gesichert sind?
Spotten Sie nicht. Der Panzer hat mich gedeckt, solange mich mein Gewissen freisprach von Gewalt. Jetzt fühle ich ihn von mir abfallen.
Ach, Ihnen wird auch weiterhin nichts geschehen, wenn Sie heute schön daheim bleiben. Machen Sie sich keine Sorgen, Professor Seebald. Die Schuld an dem, was passiert, werden nicht Sie haben, sondern die Arbeiter, die fallen oder ins Gefängnis wandern. Und die Schuld am Kriege haben nicht die Kapitalisten, sondern die Proletarier, die in Drecklöchern verfaulen; die Laßmanns, denen man die Augen herausgeschossen hat. Aber die wahren Tugendhaften, das sind die Schwindsüchtigen wie ich, oder die Idioten in den Narrenhäusern. Die haben ja ihren Schutzmantel – so war doch Ihre Theorie!
Sie lästern, Schenk. – Sie wissen genau, daß Sie jetzt entstellen, solange Sie in dieser Verfassung sind, kann ich nicht mit Ihnen reden.
Es wäre auch überflüssig. Die Demonstration findet statt – mit Ihnen oder ohne Sie. Und ich werde die Arbeiter nicht nach Hause schicken, sondern sie zum Kampf aufrufen. Sie mögen tun, was Ihnen beliebt.
Raffael! Ich bin Ihnen wegen der Sprache, die Sie gegen mich führen, nicht böse. Sie sind erregt. Aber wenn Sie nachher allein sind, denken Sie nach, ob nicht Ihr eigenes schlechtes Gewissen Sie ungerecht macht gegen andere.
Das glauben Sie jetzt. – Ich bitte Sie nur noch um eines. Gehen Sie noch einmal mit sich zu Rate und tun Sie nichts, was Sie später bereuen könnten. Er will zur Tür. Währenddem tritt Frau Schenk ein.
So, Ralf, da bin ich wieder. – Oh, der Herr Professor! Grüß Sie Gott, Herr Professor! Gibt ihm die Hand. Haben Sie selbst hergeschaut nach meinem Jungen?
Eben. Das habe ich schon gemerkt. – Können
Unbesonnen? – Nein, das ist mein Ralf nicht – das glaub ich nicht. Und in seine Politik misch ich mich nicht. Da hör ich ihm bloß zu. Das wäre ja auch gerade, als wenn er sich um meine Küche kümmern wollte.
Halten Sie es nicht für möglich, daß er vielleicht gerade im Augenblick unter einem gefährlichen seelischen Eindruck steht?
Nun – gerade heraus: Er hält doch jetzt enge Freundschaft mit Fräulein Severin! Meinen Sie nicht, daß da ungünstige Einwirkungen stattfinden könnten?
Herr Professor, ich bin seine Mutter – und ich will sein Glück. Und heute früh habe ich ihn zum ersten Male glücklich gesehen. Da wüßt ich nicht, was ich da ungünstig finden sollte.
Ich meine, ob sie ihn nicht vielleicht auf Wege drängt, die er aus eigenem Antrieb nicht betreten würde.
Aber Sie haben doch Vertrauen zu mir? Sie sind doch überzeugt, daß ich in Wirklichkeit Raffaels Freund bin?
Er wäre ja für Sie auch durchs Feuer gegangen. – Aber was ihm taugt, Herr Professor, das können Sie so wenig sehen wie ich. Dazu ist er selbst alt genug.
Bewahre. Ihre Liebe zu Raffael ist herrlich schön, und die will ich gewiß lassen, wie sie ist. Auf Wiedersehen, liebe Frau Schenk.
Grüß Gott, Herr Professor! Händedruck. Sie läßt ihn hinaus, schüttelt verwundert den Kopf, macht die Küchentür auf. Ralf, ja – hast du dich denn versteckt?
Ja, Ralf, ich hab gar nicht recht gewußt, was er wollte. Und ich hab ihm auch gesagt, daß ich in deine Sachen nicht dreinrede.
Gar nichts Bestimmtes. – Aber zuletzt meinte er, ob Flora nicht auf dich einen ungünstigen Einfluß hätte.
Nun ja – – Flora da mit hineinziehen. Starker Hustenanfall. Mich – – von – – Flora – trennenEr bricht unter Keuchen und Atemnot auf einem Stuhl zusammen.
Um Gottes willen! – Wart, Ralf – ich komme – ich bring deine Milch. Die hilft dir gleich. In die Küche.
Aber Ralf! Du weißt doch, was der Doktor gesagt hat. Daß du auch ja jeden Tag deinen viertel Liter Milch trinken sollst.
Offen gestanden – ich bin etwas müde gelaufen und bin hier heraufgekommen, nur um meine Pflicht zu tun, aber ohne große Hoffnung, den zu finden, den ich suche.
Allerdings. Ich habe den Auftrag, einen stellungspflichtigen Eisendreher – Stefan Klagenfurter, der heute in der Infanteriekaserne hätte einrücken sollen, aber offenbar flüchtig gegangen ist, zu verhaften und einzuliefern.
Nach bestimmten Auskünften, die die Polizei erhalten hat, sollen Sie ein Freund des betreffenden Fahnenflüchtigen sein.
Über meine Freundschaften brauche ich ja wohl keine Rechenschaft zu geben. Jedenfalls halte ich niemand verborgen.
Wenn Sie sich überzeugen wollen. Dies ist der einzig größere Raum der Wohnung. Nebenan ist die Küche und die Kammer, wo meine Mutter schläft. Das ist alles. Meine Mutter kann Sie auch noch in den Keller führen, wenn Sie mögen.
Aber ich bitte Sie, Herr Schenk. Ihre Versicherung, daß sich der Herr Klagenfurter nicht bei Ihnen aufhält, genügt mir vollständig. Hätte ich die Absicht gehabt, die Wohnung zu durchsuchen, dann wäre ich ja selbst gar nicht heraufgekommen, sondern hätte die beiden Soldaten geschickt, die die Verhaftung vorzunehmen haben.
Ich muß natürlich noch die Frage an Sie richten: Wissen Sie, wo sich der flüchtig gegangene Dreher Stefan Klagenfurter aufhält?
Ganz richtig – selbstverständlich. – Ich mußte mit der Frage ja auch nur meiner formellen Pflicht genügen. Bleibt sitzen, fixiert Schenk.
Sehr liebenswürdig. Der Arzt hat mir verordnet, nach Möglichkeit unerwünschte Unterhaltungen zu vermeiden.
Gestatten Sie mir trotzdem noch ein paar Minuten. Sehen Sie, ich bin persönlich hier zu Ihnen gekommen, obwohl solche Verhaftung in der Regel natürlich die Angelegenheit subalterner Organe ist.
Herr Schenk, Sie sollten doch mal ein paar Wochen ausspannen und in einem Sanatorium die Lunge auskurieren lassen.
Ich möchte Sie jetzt im Ernst bitten, mir zu sagen, was Sie noch von mir wollen, und weiter kein Mitleid an mich zu verschwenden.
Sie behandeln mich wie einen Feind, Herr
Na, ich denke, es liegt nicht so ferne. – Vielleicht führt Sie der Hinweis auf die Fährte, daß ich im Polizeipräsidium das Referat für die öffentliche Sicherheit unter mir habe. Darunter fallen natürlich auch alle Arten von Streikbewegungen und Tumulten.
Ja – aber was hätten wir beide da – Plötzlich auffahrend. – Herr! Wollen Sie etwa von mir Auskünfte einziehen?! –
Ich will es Ihnen sofort erklären. Sehen Sie, Herr Schenk, wir von der Polizei beschäftigen uns natürlich nicht bloß mit Tatsachen, sondern vor allem auch mit Personen. Das bringt unsere ganze Tätigkeit so mit sich. So sind wir – und das wird Sie ja gar nicht überraschen – über die eigentlichen Leiter der gegenwärtigen Bewegung ganz genau informiert.
Es hätte ja auch gar keinen Zweck, wenn ich vor Ihnen Komödie spielte. Ich weiß also auch über Ihre Person vieles, was für Ihre
Es ist natürlich auch zum guten Teil meine eigene Kombination. Man muß doch etwas Psychologe sein in meinem Beruf – und ich lasse Sie schon recht lange beobachten und kenne viele Äußerungen von Ihnen.
Herr Schenk! Unsere Wünsche für den Verlauf des Unternehmens gehen gar nicht weit auseinander, natürlich aus ganz entgegengesetztem Interesse. Sie wollen eine Art Kraftprobe. – Und wir, sowohl Polizei wie Militär, sind ebenfalls bereit, es auf eine Kraftprobe ankommen zu lassen.
Ich muß gestehen, Herr Polizeirat, daß ich
Ich bin mittendrin in der Sache. Wenn es doch schon einen Aderlaß geben soll, dann, meine ich, soll er nicht gar zu blutig ausfallen – und mindestens für Ihre Partei, also die Arbeiter, nicht obendrein lächerlich ausgehen.
Und nun kommt sozusagen der General der einen Armee zum feindlichen Generalstab und möchte mit dem einen Schlachtplan entwerfen.
Warum nicht lieber einen andern Vergleich? – Vor einem ritterlichen Turnier setzen die Gegner in aller Kameradschaft die Bedingungen fest und prüfen die Chancen.
Wie Sie wünschen. – Ich will Ihnen nur sagen, was geschieht, wenn wir nicht irgendwie einig werden. Die Arbeiterzüge, die von den verschiedenen Fabriken kommen, stellen sich auf. Man verteilt rote Fahnen, und irgendwer will vielleicht eine Ansprache halten, angenommen Professor Seebald. Dann rückt eine Kompanie Soldaten an. Der Leutnant geht sehr höflich zum Redner und sagt: Bitte sehr, Herr Professor, wollen Sie mich mal durchlassen? Und bevor der Zug formiert ist, fordert er die Leute auf, auseinander zu gehen. Hinter ihm stehen die Soldaten mit angelegtem Gewehr. Glauben Sie, Ihre Arbeiter bleiben stehen? – Ich nicht. – Aber angenommen, es laufen nicht gleich alle weg. Was kommt dann? Ein Schreckschuß – und die Revolution ist aus. Völlig aus, Herr
Nein – das ist nicht egal.
Nach einem inneren Kampf – mit plötzlicher Eingebung. Herr Polizeirat, ich will Ihnen einen Rat geben!
Dann erlauben Sie, daß ich gleich das Geschäftliche mit Ihnen regle. Zieht ein Briefkuvert aus der Tasche. Ich habe hier zunächst 500 Mark für Sie. Und da ist die Quittung – bitte!
Ich muß wissen, daß ich nicht gefoppt werde. Ich kann doch nicht erwarten, daß Sie mir derartige Dienste um meiner schönen Augen willen leisten. Die Polizei muß in jeder Hinsicht sichergehen.
Wollen Sie hier unterschreiben? – Das Vertrauen zu unserer absoluten Verschwiegenheit haben Sie wohl.
Durchaus. Unterschreibt. Steckt das Geld mit einer Gebärde des Abscheus in seine Brieftasche. Hüstelt.
Um die Verwendung machen Sie sich nur kein Kopfzerbrechen. – Ich darf Ihnen also jetzt meinen Plan auseinandersetzen.
Welches Ansehen Seebald bei den Arbeitern genießt, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. In dem Augenblick, wo Hand an ihn gelegt wird, wird das das Signal zum Losbrechen sein. Da er wohl nicht an Ort und Stelle sein wird, ist es wahrscheinlich, daß irgendein gemäßigter Parteiführer beschwichtigen wird, und dann fällt die ganze Aktion ins Wasser. Lassen Sie ihn also als geistigen Urheber des Ganzen in seiner Wohnung festnehmen und, wenn die Masse im Wachsmannschen Vorhof versammelt ist, vorbeiführen. Dann haben Sie, was Sie wollen. Der Weg zum Gefängnis führt ja ohnehin dort vorüber.
Ich glaube, Sie haben recht. – Da müßte ich also das Militär instruieren, vorher nichts zu unternehmen. – Wenn nun aber Seebald doch dort sein sollte?
Ich werde auf jeden Fall rechtzeitig dort sein. Wir können uns ja an Ort und Stelle immer noch verständigen.
Noch eines: Können Sie mir versprechen, daß außer Seebald von den führenden Personen niemand festgenommen wird?
Wir werden sehen, Herr Schenk. Also wenn er nicht hinkommen sollte, wird Professor Seebald Punkt 3 Uhr 15 an der Wachsmannschen Fabrik vorübergeführt. – Das wäre wohl alles. Dann schönen guten Morgen, Herr Schenk. Streckt ihm die Hand hin, die Schenk ostentativ übersieht.
Bis ein Uhr komme ich wieder. – Also guten Morgen, Mutter. Küßt sie. Luft muß ich haben – frische Luft! Ab.
Dasselbe Zimmer. Mittags gegen ein Uhr. Die Rosen stehen vor dem Fenster. Am Tisch sitzt Frau Schenk und näht. Bei ihr Flora, die Mütze auf dem Kopf, näht sich eine Rosette ans Jackett.
Freilich, selbst entworfen, selbst zugeschnitten und selbst gearbeitet. Beißt den Faden ab. – So, der Revolutionsorden sitzt fest.
So einfach ist das gemacht und so geschmackvoll. Nimmt Floras Gesicht zwischen die Hände. Nicht wahr, liebes Kind, Sie sind meinem Ralf gut?
Nur mit seiner Krankheit – er hat sie vom Vater geerbt. Aber ich denk immer, er kann doch noch gesund werden.
Ja, sehen Sie – er hat das schon mal erlebt. Es ist schon über ein Jahr her. Da hatte er einen Schatz – es war ein nettes Mädel soweit, die Annie. Er hat sie auch heiraten wollen, und mit einemmal hat sie ihn stehenlassen und ist mit einem andern gegangen. Einen kranken Mann könne sie nicht brauchen, hat sie gesagt.
Ja – und da muß er sich schrecklich erregt haben. Er hat ihm nicht einmal adieu gesagt. Ich kam gerade heim, und nachher sprach der Professor noch mit mir. Ich soll Ralf vor Ihnen in acht nehmen.
Und wie ich ihm dies erzählt habe, hat er einen schrecklichen Anfall bekommen. Und nachher war noch einer von der Polizei da – und das muß ihn auch ziemlich mitgenommen haben.
Ich weiß nicht. – Der Mann war lange da – und dann ist Ralf gleich fort. Er macht's immer so, wenn es ihm eng auf der Brust wird. Dann läuft er ein paar Stunden in den Park – und das hilft ihm. – Jetzt muß er aber wohl bald zurück sein.
Aber Trotz und Dietrich schellen doch bei uns nicht. Na, ich sehe nach. Geht hinaus und kommt mit Lecharjow zurück.
Ist der Genosse Schenk nicht zu Hause? – Ah, guten Tag, Genossin Severin! Ich bin gelaufen, was ich können hab, zu treffen den Genossen Schenk.
Ob's was Besonderes gibt? – Freilich, sehr etwas Besonderes. Die Revolution verläuft programmwidrig – es scheint.
Bei der Motorengesellschaft prügeln sich die Arbeiter untereinander, statt zu prügeln die kapitalistische Gesellschaft.
Soweit man mir hat erzählt, hat es angefangen damit, daß man hat verhindern wollen die Streikposten zu versehen ihren Dienst.
Ach wo. Die Polizei ist gar nicht zu sehen,
Ist wahr. Lassen wir. – Also werd ich erzählen. Ich bin gegangen durch die Stadt gegen elf Uhr, um zu sehen: Was ist mit dem Streik? Was werden machen die deutschen Arbeiter? – Zuerst ist mir gewesen wie im Bad. Als wenn es in der Welt keinen Krieg gäbe.
Nu – wenn man sonst geht, ist alles feldgrau. Soldaten von allen Graden und Waffengattungen. Heute keine Uniform auf der Straße. Als ob das Militär wäre abgeschafft worden.
Jedenfalls. Dann bin ich gegangen zur Wachsmannschen Fabrik. Alles still. Kein Schlot raucht. Ein paar Streikposten mit Rosetten.
Bin ich weitergegangen zu Bartels & Moser. War das Bild schon anders. Auch Streikposten, auch keine Polizei – aber konnt ich deutlich erkennen, daß gearbeitet wird. Vor dem Eingang Proletarier, Männer und Frauen – und disputierten mit den Streikposten. Hab ich mich erkundigt: Die Hälfte arbeitet, die Hälfte streikt.
Gut. Die Leute haben geglaubt, nach der Mittagspause werden noch wegbleiben. – Bin ich weiter zur Motorengesellschaft. War grade Mittag gepfiffen worden. Und Leute heraus genau wie jeden andern Tag. In Arbeitskitteln, mit geschwärzten Gesichtern. Haben sich Gruppen gebildet und aufgeregt hin und her geredet. Schließlich habe ich gesehen einen Haufen Menschen stehen um ein paar Leute und haben geschlagen einen Proletarier mit rotem Abzeichen.
Wie ich hinkam, hat er am Boden gelegen und geblutet. Ich kenne ihn. Es war der Genosse Braun. Er kommt auch in den »Bund Neuer Menschen«.
Strauß. Hat er abgemahnt von Gewalttätigkeiten und gesagt, die Hetzer und Schürer werden schon ihre Strafe finden, sie sollen sich nur nicht verleiten lassen und ruhig ihre Arbeit tun. Dann hat sich die Menge verlaufen, und ich hab gelesen einen von den gelben Zetteln, die angeschlagen waren an der Fabrik: »Wer eigenmächtig von der Arbeit fernbleibt, ist entlassen.«
Was soll ich weiter sagen? Ich bin gegangen Mittag essen in den »Schwan«. Unterwegs hab ich gesehen: Von zwanzig Proletariern hat gehabt einer die rote Schleife. Hab ich mir beim Essen überlegt: Was soll geschehen? – und bin hierher.
Ja – auf dem Programm. Aber wie wollen Sie aufführen ein Theaterstück, wenn die Schauspieler nicht auftreten?
Sie wollen doch nicht sagen, daß die Demonstration nicht zustande käme. Wenn bei Wachsmann alles feiert, bei Bartels & Moser die Hälfte – dann rechnen Sie noch die kleineren und ganz kleinen Betriebe.
Gewiß wird die Demonstration zusammenkommen. Aber sie wird sein lächerlich geringfügig. Die Stadt hat vierhunderttausend Einwohner, macht mit Angestellten und kleineren Beamten gut hunderttausend Proletarier. Lassen Sie nun hochgerechnet dreitausend Personen teilnehmen.
Lehren Sie mich doch das Proletariat kennen!
Die Bourgeoisie ist wieder klüger als das Proletariat. Sie wartet ruhig ab, bis sie die wenigen Sturmtruppen der revolutionären Arbeiterklasse beisammen hat. Und dann läßt sie hineinschießen und verhaften, was sie fassen kann. – Nun, das Proletariat wird lernen mit der Zeit.
Daß sie gar keine Polizei und gar kein Militär auf der Straße haben, ist kein gutes Zeichen. Aber was weiß ich.
Ich hab gar nichts raten wollen. Wie komme ich dazu? Ich habe bloß sagen wollen, was ich beobachtet habe. Kann ich wissen, ob Sie vielleicht wollen diese Wirkung des Unternehmens? Nun hab ich Ihnen gesagt. Das übrige müssen Sie selbst wissen.
Herein! Es treten ein Trotz, Dietrich, Braun – dieser mit verbundenem Kopf –, Färber, Fischer, Rosa Fiebig, alle mit großen Paketen und langen Stangen. Durcheinander der Begrüßung.
Wir können ja mal ein paar herzeigen. Er packt ein Paket mit viereckigen Schildern aus. Hier! Nieder mit dem Krieg! – Da – das stecken wir oben auf die Stange. Tut es. Da werden sie's lesen, diese Gewaltmenschen!
Es wird ein Bild werden – ha! – Hier, sehen
Liest Plakattafeln ab. Es lebe das freie Rußland! Frieden, Freiheit, Brot! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!
Wahrscheinlich hat Dietrich so laut auf das Frauenzimmer geschimpft, daß die Passanten aufmerksam wurden.
Da bleibe mal ruhig dabei! Wir kamen zusammen hin. Die kleine Kröte von Nichte machte uns auf, die sie gestern abend bei sich hatte. Dann kam sie selbst auf den Korridor, die Gnädige.
Keine Spur! – Na, Stefan rückte damit heraus, was er wollte – bloß bis Mittag zwei Uhr bei ihr Unterkunft haben. Ja – die beiden sehen sich an, als ob der Satan selber bei ihnen Quartier nehmen wollte. Und dann fing erst die Kleine an: Ach das geht aber nicht! – Ach, das wäre doch gefährlich für uns!
Und dann die Alte! – Was wir denn eigentlich
Ja, ja. – So viel Leute. – Ach so, ja, die Fahnen. – Ach, guten Tag, Flora! Schön, daß du da bist! – Und Genosse Lecharjow, Sie auch.
Aber man kann sich ja kaum umdrehen hier. – Macht doch die Arbeit in der Küche! Er öffnet die Küchentür. Rosa, Dietrich, Trotz mit den Plakaten ab in die Küche. Die Tür bleibt offen. Du bist verwundet, Braun?
Ja. Der Hausherr hat sich leider auf gar nichts eingelassen. Ich weiß noch gar nicht, was wir werden tun können.
Ich hätte ja gar nicht auf die Straße dürfen in Uniform. Es ist streng verboten. Aber ich mußte euch doch Bescheid bringen.
Ich war ja in der Kaserne, als er eingeliefert wurde. Schon vor zwei Stunden. Er hat sich
Das ist wahr. – Genossen! Alle, auch die aus der Küche, bilden einen Halbkreis um Flora, die mit Schenk, Frau Schenk und Lecharjow im Vordergrund rechts steht. Genosse Klagenfurter ist verhaftet und weigert sich, Militärdienst zu tun.
Der Fall muß sofort allgemein bekannt werden. Es ist ungeheuer wichtig, daß dadurch eine Forderung von lokaler und unmittelbarer Bedeutung aufgestellt werden kann.
Die Arbeiter müssen erklären: Die Arbeit wird nicht eher wieder aufgenommen, ehe nicht Klagenfurter frei ist.
Wer will das voraussehen? – Aber es ist keine Zeit zu verlieren. Bringt die Fahnen an Ort und Stelle, klärt die Leute auf, die schon dort
Marsch! Marsch! – An die Gewehre! Dietrich, Färber, Fischer, Braun, Trotz, Rosa nehmen die Pakete und Stangen.
Laßt mich zuerst gehen. Komm mit, Rosa. – Mit euch allen zusammen würde ich noch mehr auffallen in der Uniform.
Du mußt heute noch aushalten, Junge. Wir brauchen dich. Aber wenn wir es geschafft haben, wird's Zeit, daß du dich mal ordentlich erholst.
Raffael Schenk! Wir wollen wieder Freunde sein. Heute früh – das war häßlich. Wir wollen es vergessen. Sie haben mich überzeugt.
Daß das, was jetzt vorgeht, letzten Endes mein Werk ist. Deshalb darf ich nicht abseits bleiben. Mag daraus werden, was will.
Daß sie standhalten sollen in ihrer Weigerung, für den Krieg zu arbeiten. Ich werde ihnen zeigen, welcher Lohn ihnen winkt, wenn sie mit ihrer gewaltlosen Tat die Gewalt gebrochen haben werden.
Das heißt, Sie wollen jetzt, wo die Masse aufsteht, dieselbe Volksrede halten, die sie vorher schon ein dutzendmal von Ihnen gehört hat.
Es ist ein neues Ereignis eingetreten, Professor. Genosse Klagenfurter hat heute früh den Befehl erhalten, sofort zum Militärdienst
Das hat er getan? – Oh, das ist schön, das ist herrlich! Ja, das muß ich ihnen als Vorbild hinstellen!
Raffael! Verlangen Sie nichts Unmögliches. Wollen Sie es denn wirklich verantworten, Ihre Klassengenossen, Ihre Arbeitsgefährten geradewegs in den Tod zu treiben? Ist es noch nicht genug mit dem Jammer und dem Blut draußen im Felde? Muß auch noch unter denen, die noch im Lande sind, gemetzelt und getötet werden?
Ein friedlicher Spaziergang durch die Stadt würde es auch dann kaum werden, wenn Sie der Demonstration kein bestimmtes Ziel setzen. Und wollen Sie denn Klagenfurter einfach seinem Schicksal überlassen?
Ich verstehe gut deinen Standpunkt. Ich verstehe auch Flora und Schenk. Es wird nicht darauf ankommen, ob du willst Blutvergießen vermeiden um jeden Preis. Es wird auch nicht darauf ankommen, ob die andern riskieren wollen das Letzte. Sondern es wird darauf ankommen, ob die Demonstranten werden kämpfen mögen für ihre Zukunft oder ob sie
Kein Mensch tut etwas auf jeden Fall. Sind die Soldaten nicht Proletarier? Sie sind Fleisch von ihrem Fleisch und Blut von ihrem Blut. Wie die einen sind, sind auch die andern. Wenn sie sehen werden Entschlossenheit, Todesmut, Begeisterung bei den Arbeitern für den Frieden und die Freiheit, so wird auch bei ihnen lebendig werden das Gefühl für Frieden und Freiheit, und sie werden den Mut haben zur Solidarität. Wenn sie aber sehen werden Zögern und Angst und Vorsichtigkeit, so wird das sein ein Zeichen, daß das Proletariat noch nicht frei ist von der Unterwürfigkeit, und so werden sie auch nicht frei sein von der Unterwürfigkeit und werden tun, was befehlen werden die Offiziere.
Danach läge es an Ihnen, Professor Seebald, so zu den Massen zu sprechen, daß sie die Angst vergessen und um jeden Preis alles wagen.
Jetzt muß ich Ihnen denn doch verbieten, in diesem Ton mit mir zu sprechen. Sie haben kein Recht,
Da gibt es nichts zu beschönigen, Herr Professor! Aber Sie täuschen sich, wenn Sie meinen, den Proletarier da kann man am Draht ziehen, wohin man mag. Ich brauche Ihre Erziehung nicht – verstehen Sie mich? Ich weiß selbst, wo ich hingehöre, und was dem Proletariat not tut, weiß ich besser als Sie – viel besser.
Ich bin gar kein guter Mensch. Aber ich kenne meinen Weg – und der geht geradeaus, Herr Professor Seebald! Geradeaus – und wenn es über Leichen ginge! – Und wenn es über Sie hinüberginge! – Vielleicht erleben Sie es. –
Aha! Das klingt Ihnen nicht lieblich in die Ohren, nicht wahr? – Aber Sie werden es auch nicht begreifen. Sie können mich überhaupt nie verstehen. – Und warum nicht? Passen Sie auf! Ich will es Ihnen sagen: Weil ich ein Proletarier bin – und Sie sind – ein Bourgeois!
Leben Sie wohl, Schenk! Ich hoffe, Sie werden mich noch einmal anders beurteilen – vielleicht noch heute. Will gehen.
Ich werde dich begleiten, Mathias. – Zu Schenk. Der Mensch muß sich nicht gehenlassen zu weit. Vielleicht haben Sie recht in der Sache, aber Sie haben unrecht, so zu reden mit Mathias Seebald. Wie wollen wir Krieg führen gegen den Kapitalismus, wenn wir nicht Frieden halten miteinander? Schenk schweigt. Nun – überlegen Sie sich's. Adieu, Genosse Schenk. Gibt ihm die Hand. Die Genossin Severin bleibt wohl noch hier – wie?
Wir wollen Ralf ein wenig allein lassen. Aber erinnern Sie ihn pünktlich um halb drei Uhr, daß er nachkommt. Ab.
Nein, Mutter, setz dich zu mir! Er schlägt den Feldstuhl auseinander, so daß er in halbliegender Stellung darauf sitzt. Frau Schenk zieht einen Stuhl daneben. Ich muß mir etwas vom Herzen reden.
Nein – nein. Ich habe alles – das größte Vertrauen zu Flora. – Ich möchte es ihr auch sagen. Aber erst sollst du es wissen.
Das denke ich auch, Mutter! – Aber kannst du dir denken, daß ein Mensch Gewissensbisse hat für etwas, was er getan hat, obgleich er es recht findet, daß er es tat?
Ja – das wird wohl davon abhängen, wie es ausgegangen ist. Dann zeigt es sich manchmal, daß es nicht das richtige war.
Hör mir mal zu, Mütterchen. – Ich habe etwas getan, weil ich es tun mußte und weil ich glaube, daß es nötig war. Aber für einen, der da nicht ganz genau alles weiß, wie man dazu kommt und warum das so sein muß, ist es vielleicht das Schlimmste, was ein Mensch überhaupt tun kann.
Du brauchst auch nicht zu wissen. Aber kannst du das fühlen, wie mir da zumute ist. – Sieh, wenn ich von irgendeinem andern, von meinem nächsten Freund, erführe, er hätte das getan, was ich getan habe – da würde ich gar nichts mehr fragen, da würde ich sagen: Der Lump! Und nie wieder etwas mit ihm zu schaffen haben wollen.
Nicht doch! Ich will ja nur wissen, ob du mich recht verstehst. – Es sind Gewissensbisse, die bloß daher kommen, daß ich mich frage: Wie würdest du selbst das aufnehmen, wenn
Flora? – Die hätte in derselben Lage vielleicht dasselbe getan. – Vielleicht natürlich auch nicht. – Aber ob sie es trotzdem von mir begreifen würde –?
Das glaube ich selbst. – Aber ob ich mal so werde mit ihr über alles sprechen können wie mit dir – das weiß ich doch nicht.
Jetzt ist's mir wieder gut. – Jetzt habe ich das herunter von der Seele, was darauf lag. Mein Gewissen ist wieder frei.
So, Mütterchen, die steck dir an – Befestigt sie an ihrem Schürzenband. –, sie ist von der, die ich lieb hab.
Für heute abend hab ich was Gutes für dich – drei Eier hab ich bekommen. Nickt ihm zu, ab in die Küche.
Du Gute, Liebe! Will abgehen, besinnt sich bei der Tür und geht zurück. Die Waffe! Er nimmt mit Seitenblick zur Küchentür rasch einen Browning aus der Kommode und steckt ihn ein. Schnell ab.
Nachmittag desselben Tages. Platz vor der Wachsmannschen Fabrik, deren Fassade an der linken Seite der Bühne zum Teil sichtbar ist. Großer Vorhof, um den sich vorn bis etwa zur Hälfte ein auf Zement aufgebautes Eisengitter schließt. Wo die Gitterpforte stehen sollte, hört die Umschließung auf. Die Pforte ist durch zwei vierkantige Steine angedeutet, deren einer freisteht. Vom Hintergrunde links führt eine Straße schräg in den offenen Vorhof hinein; auf beiden Seiten Laternen. Weit hinten sieht man Häuser und Schornsteine. Vorn links führt eine schmale Straße am Gitter vorbei. Im Hintergrund Bäume mit Schneeresten. Rechts hinten eine Hausecke, bei der eine Straße in den Platz mündet, in die der Ausblick durch einen Straßenbahnwagen mit zerbrochenen Scheiben und freihängender Stange verdeckt ist. Die Schienen führen über den Platz. Trambahndrähte sind ausgespannt. Rechts zurückliegend Häuser, vorn ein Wirtshaus, durch eine Traube gekennzeichnet, eine Freitreppe bezeichnet den Eingang. Die Straße links vorn setzt sich nach rechts, vor dem Wirtshaus vorbei, fort. Im Vorhof der Fabrik viele Menschen mit roten Rosetten. Man sieht rote Fahnen und Plakate. Ein Haufen Men schen steht um den Straßenbahnwagen herum.
Im Vordergrund etwas links eine Gruppe Arbeiter, darunter Trotz, Dietrich, Färber,
Fischer, Braun, Rosa, Rund und ein Trambahnführer.
Das ist Quatsch. Ich weiß, wo ich hingehöre an solchem Tag. Da hättest du auch deinen Wagen stehenlassen können.
Mein Mann ist drei Jahre draußen und schon zweimal verwundet, und jetzt ist er schon wieder in Flandern. Ich hab's satt mit den Kindern!
So sind sie alle. Bloß daß der Lohn nicht mal einen Tag ausfällt! Die Umstehenden verlaufen sich. Von rechts vorn treten auf Seebald, Lecharjow und Flora.
Ist auch mehr. Wenn ein Scheintoter rührt
Die Leute haben ihn angehalten. Die Passagiere mußten heraus, und weil der Führer nicht absteigen wollte, haben sie ihn heruntergeholt und die Scheiben eingeschlagen.
Jawohl! Und den Kontakt haben wir ausgehoben. So muß es mit allen Streikbrechern gemacht werden, diesen Schuften!
Der arme Kerl. Mit seiner Lunge will's gar nicht ordentlich werden. Seine Arbeit ist auch nichts für ihn. Immer am Setzkasten und den Bleistaub einatmen. –
Er ist da, Thilde. Ja, wir beide wollen vorangehen, Sie und ich – und ich werde die Fahne tragen. – Das ist ein Glückstag heute. Mir ist, als ob ich mein Augenlicht wiederkriegen sollte.
Ich danke Ihnen, Freunde, aber auf meine Person kommt's nicht an. Wir müssen für den Frieden arbeiten.
Ich meine aber doch, wenn ein Mann wie Professor Seebald sich an die Spitze stellt, dann kann es doch wohl nur dem Guten dienen.
Sie sind ein harmloser Mensch, Herr Tiedtken. Sie leben in Ihrer Welt der Schönheit und der Kunst. Da gehen Ihnen die schönen Worte Seebalds wie Honig ein. Ich sage Ihnen: Der Mann ist ein höchst gefährlicher Intrigant.
Ich muß Ihnen ehrlich gestehen: Der Aufruf von Partei und Gewerkschaften auf demselben Blatt wie die Drohungen des Generals Lychenheim hat mir sehr mißfallen.
Wir mußten es den Arbeitern ganz deutlich machen, daß sie bei diesem frevelhaften Spiel auf ihre Organisationen nicht im geringsten rechnen können.
Wieviel Arbeiter haben Sie denn im ganzen gesprochen? – Und ich kenne ja die Sorte, mit der Sie Fühlung haben. Ich weiß, welche Fäden Sie überhaupt nur mit Proletariern verbinden.
Das war gescheit. Sie sollten aber auch den Verkehr mit Seebald aufgeben. Das ist ein ausgemachter Scharlatan.
Was wissen denn Sie? Wen hat er denn hinter sich? Ein paar leichtgläubige Literaten – nehmen Sie mir die Offenheit nicht übel; ein paar unbefriedigte Hysterikerinnen und ein paar nervös gewordene Arbeiter. Und jeder verehrt ihn für was anderes: Ihr Ästheten für seine transzendentale Philosophasterei; – die alten Schachteln, weil er mit seinem mystischen Augenverdrehen ihre Geilheit kitzelt, und die Wirrköpfe von Arbeitern wegen seiner anarchistelnden Anführer-Allüren.
Nein – die Soldaten. Die wissen ganz genau, daß jetzt alles darauf ankommt, die letzten Kräfte zusammenzunehmen – und durch! Wissen Sie, die haben den Krieg bis zum Halse, und wenn Ihnen jetzt einer dazwischenkommt, gerade wo es dem Abschluß zugeht, und predigt ihnen Passivität, Desertion,
Einige, die von diesen Phrasenhelden benebelt sind. Aber die andern – die große Mehrzahl! Mein Lieber, zu uns kommen sie doch, zu uns haben sie Vertrauen. Da hab ich mehr als einmal gehört: Wenn wir den Kerl, den Seebald, mal unter die Fäuste kriegen – der kommt uns nicht heil wieder heraus!
Ja, schimpfen auf die Arbeiterführer ist leicht. Aber unsereiner, der von jung auf die Kleinarbeit gemacht hat in der Partei, der die Organisation mit hat aufbauen helfen von ihren kümmerlichen Anfängen an – der kennt das Proletariat, der weiß, wo es der Schuh drückt. Das dürfen Sie glauben. Wir haben die Erfahrung. Wir wissen auch jetzt, wie wir das Volk am heilsten durch diese verworrene Zeit bringen. – Realpolitik, mein Verehrter – darauf kommt es an; nicht auf Redensarten und solche Lächerlichkeiten wie das da! – Kommen Sie mit? Ich möchte ein bißchen herumhören.
Ich werde mich hüten. Nein, der Moment kommt noch. Faßt Tiedtken unter. Beide ab in den Hintergrund. Schenk kommt langsam vor, geht am Wirtshaus vorbei. Aus dem Wirtshaus tritt Tessendorff, unauffällig gekleidet.
Lassen Sie uns hier vortreten, da sieht man uns nicht. Sie stehen vor der Freitreppe, die sie deckt. Seebald ist hier!
Keine Umstände bitte. Punkt drei Uhr rückt das Militär an. Die Verhaftungen werden von Soldaten vorgenommen.
Sie hatten sich selbst auch eventuell zur Verfügung gestellt. Den geeigneten Moment gegen Seebald müssen Sie kenntlich machen.
Und da meinen Sie, Sie haben mich jetzt in der Hand? Sie können das Geld wiederhaben, Herr Polizeirat!
Die Polizei macht abgeschlossene Geschäfte nicht rückgängig. Übrigens waren Sie doch heute früh selbst noch der Meinung, daß wir im Falle der Anwesenheit Seebalds einen neuen Plan verabreden müssen. Wollen Sie jetzt, daß er die Leute heimschickt? Es ist doch wohl keine Frage, in welchem Sinne er sprechen wird. Er wird abwiegeln.
Das müssen Sie eben vorher herausbekommen. Wenn er selbst zum Vorgehen aufruft, um so besser! Dann brauchen wir ihn gar
Nein, nein! – Es fiel mir nur so ein, vergleichsweise. Also gut, ich werde ihm die Hand auf die Schulter legen.
In dem Augenblick schicke ich Soldaten vor zu seiner Festnahme. Und dann können Sie ja Ihre Freunde zu Hilfe rufen.
Auf ihre Sympathie legt die Polizei keinen Wert. – Aber ich möchte Sie noch auf eins aufmerksam machen: Handeln Sie gegen die Abrede, das heißt, bekommen Sie selbst Angst vor Ihrer Courage, oder wie man das so nennt – Gewissensbisse –
Nicht im mindesten. Ich will Ihnen nur sagen: es kommt genügend Militär, um den ganzen Platz zu umstellen. Es ist beabsichtigt, nur Handwaffen zu gebrauchen. Gehen die Dinge aber nicht nach Wunsch, so sind für alle Fälle auch Maschinengewehre dabei und für den äußersten Fall Flammenwerfer. Was dann noch mit dem Leben davonkommt, wird eingesperrt. Sie wissen jetzt Bescheid.
Jawohl. Wir ziehen zum Militärarrest. – Klagenfurter muß frei werden! Es sammeln sich mehr um die Gruppe.
Raffael, endlich! – Was steht ihr hier herum? Es ist höchste Zeit! Marie verläuft sich mit vielen andern.
Raffael! – Das ist mir unheimlich. Man hört eine Uhr zweimal anschlagen. Aus den Bäumen heraus laufen Arbeiter über den Platz.
Zu den im Hof Versammelten. Genossen! Sie haben es gewagt, Soldaten gegen die unbewaffnete Arbeiterschaft loszulassen!
Aber sie werden es nicht wagen, auf uns zu schießen, wenn die roten Fahnen uns voranwehen. Denkt an den Genossen Klagenfurter! – Wollt ihr ihn in den Klauen der Militärbestie lassen?
Zum Zeughaus! – Zum Zeughaus! Die Menge drängt ungeordnet vor und steht jetzt zum Teil mitten auf dem Platz, den Soldaten gegenüber. In der Mitte vorn Schenk und Seebald.
Hier. Das ist er! – Der hat alles verschuldet. Das ist Professor Seebald. – Ich erkläre Sie für Zeigt seinen Ausweis. Soldaten packen Seebald, stoßen ihn mit dem Kolben zurück gegen die Mitte.
Befreit ihn! – Befreit Seebald!! Man hört Kommandorufe. Die Soldaten legen die Gewehre an. Die Menge weicht langsam.
Dietrich! – Er ist für seine Sache gestorben. – Warum hat's mich Alten nicht treffen können? – Er sieht in den Himmel, als begriffe er es noch gar nicht, daß wir verloren haben.
Genossen! Ihr braucht
Ich weiß doch auch nichts. Komm nur, komm! – Ach, es ist schrecklich. – Und morgen auch noch die Wohnung. –
Hier nehmen Sie, Frau Laßmann, Holt die Brieftasche heraus, gibt ihr das Geld.
Was will der Kerl? – Ach, das ist der, der seine eigenen Kameraden verraten hat. Gelächter und Gejohle.
Sie haben es anders gewollt – ich weiß es, Raffael. Er wird unter Geschrei nach rechts gestoßen. Man sieht ihn unter einem Gewehrkolben stürzen. Er wird fortgeschleift.
Hände hoch! Sie gehen mit erhobenen Händen nach rechts hinten ab. Schenk sieht zu, wie Dietrichs Leiche auf eine Bahre gelegt und weggetragen wird. Er steht vor der Freitreppe des Wirtshauses und sieht, wie Sanitäter auch bei Flora eine Tragbahre niederstellen. Nur dort stehen noch Menschen. Weiter zurück sieht man noch Tote liegen. Schenk zieht seinen Revolver aus der Tasche, geht dann nach rechts vorn ab. Unmittelbar darauf fällt ein Schuß.
Professor Seebald ist erschlagen worden von den Soldaten – und Schenk hat sich gleich da vorn erschossen.
KARFUNKELSTEIN tritt von links vorn auf, Notizbuch in der Hand, zu Lecharjow. Entschuldigen Sie bitte! Kann ich mich an Sie wenden um Auskunft?
KARFUNKELSTEIN. Mein Name ist Dr. Karfunkelstein. Ich bin Korrespondent der Berliner Morgenzeitung. Ich muß den Bericht noch vor sechs hinübergeben. Sonst kommt er nicht mehr rechtzeitig ins Blatt.
Gut. Schreiben Sie! – Das deutsche Proletariat hat vergossen das erste Blut für den