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Genesis 1, 27–28.
Das säkularisirte Kloster Douay in der Normandie wurde 1830 insofern seinem ursprünglichen Zweck zurückgegeben, als ein Erziehungs-Institut für Mädchen in den weiten prachtvollen Räumen, und unter der geistlichen Oberleitung eines Abbé mit der nöthigen Anzahl von Lehrkräften in der Gestalt von Dominikanerinnen – die auch früher das Kloster inne gehabt – von der Regierung gestattet worden war. Die dort erzogenen, jungen Damen gehörten den ersten Familien des Landes an. Man wollte dem damals noch gekränkten französischen Adel gern einige Concessionen machen, und ihm, der damals die Hauptstädte, und besonders Paris, mied, gern auf dem Lande das einräumen, was er dort nicht erreichen konnte: Ansehen, freies, glanzvolles Auftreten, und besonders einen gewissen Einfluß auf die örtlichen Institutionen des Landes und der Bevölkerung. Daß dieser Einfluß sich mit einer Stärkung des katholischen Gedankens deckte, lag in der Natur der Sache. Und es war ganz im Einvernehmen mit den Protectricen des klösterlichen Erziehungs-Instituts, wenn die jungen Damen beim Eintritt in ihre Lernzeit eine Art von Gelübden ablegten. Das war vor Allem vornehm. Und es gab einen Vorgeschmack für das eigentliche klösterliche Leben, sollte die Eine oder Andere, bei dem damaligen niedrigen Cours aristokratischer Brautschaften, es vorziehen, definitiv den Schleier zu nehmen. Also Gelübde wurden abgelegt. Von den bekannten Drei war das der Armuth natürlich nicht von jungen Aristocratinnen zu verlangen, deren Eltern sonntäglich zwei- und vierspännig von ihren Gütern herüberkamen, und den Kindern ein reiches Extra-Taschengeld für Obst- und Zuckersachen daließen. Dagegen wurde das Gelübde des Gehorsams streng gefordert und geleistet, und ebenso – die Mädchen waren alle zwischen 14 und 18 – das der Keuschheit. Wir kommen auf den letzteren Punkt später zurück. Er ist nicht ganz irrelevant in der gleich zu beginnenden Geschichte. – Beauregard; Monsieur hatte also eigentlich nur eine Respects-Stellung; er war vermögend und konnte seiner Vorliebe für Bücher ungehindert nachgehen; doch war Wissensdurst nicht eigentlich das, was ihn trieb. Er war ein Schlecker; er öffnete heute dies, morgen jenes Bändchen, um ein paar Gedanken zu fischen, und mit diesen dann den Tag über zu scherzen; sein Feld war ausschließlich Theologie; natürlich fehlten auf seinen Regalen nicht die Classiker, und nicht die paar erotischen Schriften, die zu ihnen gehören; sinnlich war Monsieur l'Abbé nicht; dazu war der Körper zu beleibt und das Gesicht zu gutmüthig; auch productiv war er nicht; er behandelte keine These des Thomas d'Aquino; und gab keine Vorschläge zur zeitgemäßen Abänderung der geistlichen Exercitien in Klosterschulen heraus; er war eine ruhige, sublime Natur, zufrieden mit Allem, was der Tag brachte; so ein Geistlicher aus den Romanen des Cherbuliez; ein braver Spaziergänger in dem Weinberg des Herrn, der nicht auf die Trauben schimpft, aber auch nichts zur Verbesserung der Reben beiträgt; sondern wachsen läßt, was wächst; die Stirne war nieder, das kurze Haar kräftig und voll; die Augen klein und friedlich; volle, zufriedene Wangen; einen äußerst feinen Mund; die Statur untersetzt; die Rede kurz, klein, knapp, frei von jedem Pathos; absolut keine Predigernatur; ein still in sich und für sich arbeitendes Wesen; das Habit immer tadellos. –
Da war dann Madame la Superieure, meist nur Madame genannt, das weibliche Oberhaupt des Instituts; sie war eine de Vremy, aus alter normännischer Adels-Familie; sie trug das Dominikanerinnen-Habit; eine unsäglich stolze Dame; gut in Vis-à-vis. Die negativen Gründe dafür lagen auf beiden Seiten. Monsieur war eine quietive, meditirende Natur; Madame scharfsichtig, in ihrem Gemüth erkaltet, und in ihren Jahren gänzlich vom Verstande beherrscht. Was Madame leidenschaftlich liebte, war Lectüre weltlicher Gattung; und außer der Bibliothek des Abbé, die sie allein zu durchstöbern das Recht hatte, bekam sie monatlich ein großes Packet aus Paris. Wenn die Mägde ihre Zimmer am Abend herrichteten, fanden sie selbe mit einem feinen, bläulichen Rauch erfüllt. Auffallend war es, daß Madame, obwohl sie gar keine Stunden gab, und sich nur an der Morgenandacht und den Gottesdiensten in der Kirche betheiligte, viele der jüngsten Pensionärinnen stundenlang auf ihrem Zimmer zurückhielt. Im Uebrigen war die Superiorin selten zu sehen, war sehr schweigsam, mischte sich nie persönlich in Affairen, ließ sich von den 8 Ordensschwestern mündlich Bericht erstatten, schickte ihre Befehle durch Untergeordnete hinunter und durch alle Räumlichkeiten und Sparten der weitläuftigen Klosteranlage; sogar im Dorfe war jeder ihrer Winke eine sichere Ordre; und ihr unsichtbarer Geist beherrschte alle Verhältnisse rings um Douay und weit über Beau-Regard hinaus. –
Mit der folgenden Persönlichkeit kommen wir in die Nähe des eigentlichen Kloster-Conflicts, der weiter unten Gegenstand der Erzählung. Mademoiselle Henriette de Bujac war die Nichte von Madame de Vremy, der Superiorin, ein etwa 17jähriges, hübsches
Hiermit, – noch eine Anzahl Mägde, Zöglinge, weißgekleideter Schwestern mit Scapulier hinzugedacht, – sind wir mit unserem Personen-Verzeichniß fertig; und nun mag der 20. Juni 1831 beginnen, welchen Tag sich die Klostermauern von Douay gemerkt haben, an dessen Abend die 100 oder 120 Insassen, die das Institut zählte, ausnahmslos sich klopfenden Herzens und brütender Stirne zu Bett begaben; dann noch eine Nacht, und am folgenden frühen Morgen war dann eine der glänzendsten Natur-Aeußerungen, aber auch eine der scheußlichsten Katastrophen zum Abschluß gebracht. –
Monsieur l'Abbé saß in seinem Zimmer; der Frühstückskaffee war getrunken und zur Seite gestellt; Monsieur l'Abbé rauchte nicht; aber er las; als Frühstückscigarre las er Liguori, Theologiae moralis libri sex; Monsieur war auf keinem Gebiet so zu Haus, wie auf dem der Moraltheologie; Busenbaum, Ribadeneira, Sanchez, die alle darüber geschrieben, lagen in hübschen, gepreßten Pergament-Ausgaben daneben; ob Monsieur im Leben sehr moralisch war? Das läßt sich nicht beantworten; gehört aber auch nicht daher; Monsieur las gern moralische Werke, wie ein Anderer gern auf die Jagd geht; ohne daß diesen Jemand fragen würde, ob er mit Vorliebe Thiere umbringe; de Verecundia gelesen haben; aber dann war es nicht die Schamhaftigkeit selbst, die ihn interessirte, sondern die feinen Unterschiede mit der Castitas, der Keuschheit; und nicht etwa die Schamhaftigkeit, wie sie sich bei Dienstmädchen manifestirte, war dann der Gegenstand seines Interesses, sondern der viel feineren Darlegung, wie sich selbe etwa an den Engeln im Himmel zeige, spürte er nach. –
Da wir das genaue Capitel, welches Monsieur studirte, nicht erkennen können, so wollen wir uns anderweitig im Zimmer des Abbé etwas umsehen. Hell und freundlich war es; die Morgensonne kam zu dem Fenster herein, an dem der große, platte Arbeitstisch des vornehmen Geistlichen stand; grüne schwere Portières milderten diese Morgensonne: am Fußboden ein leuchtendes Tigerfell, in dessen Falten die kleinen Schnallenschuhe von Abbé spielten; rückwärts, gegen das zweite Fenster zu, ein großer seideüberzogener Paravant, der vom Zimmer ca. ein Drittel abschneidet, und hinter den wir, hinter dem Abbé stehend, nicht sehen können; nach Vorwärts, von einem weiteren Morgenfenster mit gänzlich aufgezogener Portière beleuchtet, vier bis fünf Bücherschreine, knapp an die Wand gerückt, vollgepfropft mit Volumina, deren Titel wir von der Entfernung nicht lesen können, die aber nach den zahlreichen gilblichen Pergament- und Schweins-Rücken zu schließen, eine Menge Theologie bergen. Noch ein kleiner Betpult zu unserer Linken;
Während der Abbé sich hier in moralische Probleme des Liguori vertiefte, zogen oben im 3. Stock die 14-, 15- und 16-jährigen Mädchen ihre Höschen an, schlüpften in die Pantöffelchen, und begaben sich jedes an den abgezirkelt neben jedem Bett stehenden Waschtisch, und begannen das frische Wasser über die dünnen Nacken zu spritzen, und Wangen und Stirn ein wenig zu reiben, und die überhängenden Haare hinauszustreichen, und sich zu beugen, und wieder kerzengerad aufzurichten; denn es war Morgens 7 Uhr und Aufstehenszeit; und Monsieur war nur so früh daran, weil er ja seine Messe lesen mußte; In dem ganzen Schlafsaal sah man jetzt nur weiße Lichter und Flächen; chamoisgelbe Arme und Nacken; blendendweiße Röckchen und Hemdstücke; und manchmal glitzernde Punkte von aufgesperrten Mündern; und ein Schliefen, Rutschen, Anziehe- und Auskleide-Geräusch, ein Knipsen der Strumpfbänder, ein Schlappen, Wischen und Wenden ging durch den Saal. Sonst war Alles ruhig; denn der Geist dieser jungen Geschöpfe lag noch eingebunden in den Windeln ihrer Träume, und hinderte sie am Plappern und Schwätzen.
Was geschah aber mit Madame la Supérieure um diese Zeit? Sie war wohl schon aufgestanden und trank Chocolade, und lag in einem mit Kreuzen, Herzen und Passionsnägeln gestickten Schlafrock, damit beschäftigt jenen blauen Rauch in ihren Zimmern zu entwickeln, den die Mägde immer bei ihr vorfanden, und den sie für den Weihrauch von Madame's Privatandacht hielten; und vielleicht griff sie in das halb aufgemachte Pariser
Inzwischen aber trampelten und rutschten und trappten die 70 oder 80 Klosterfräulein mit noch verschlafenen Wimpern die Treppen hinunter in die großen Betsäle im Parterre, um die kurze Morgenandacht zu absolviren, der gleich darauf das fiebernd erwartete Frühstück mit viel Weißbrod, viel Butter und viel Kaffe folgte.
Schon während dieses Treppen-Hinabjagens, und während der Andacht, und noch mehr während des Frühstücks, wo die zarten Mäulchen die ersten Exercitien für die Schwatzthätigkeit des ganzen Tags machten, gewahrte man heute ein Zischeln, ein Zuflüstern, ein Gesticuliren, welches zu dieser verschlafenen Morgenstunde ganz ungewöhnlich war. Und als endlich nach dem Frühstück Groß und Klein an die Arbeit sich begeben sollte, und die einzelnen Classenzimmer mit Arithmetik, Memoriren, Classiker, Aufsatz, Schönschreiben sich füllen sollten, zeigte sich's, daß eine ungewöhnliche Erregung den ganzen jungen Bienenschwarm ergriffen hatte, daß ein Ferment von intensiver Wirkung Allen in die Herzen und in die Köpfe gefahren war; daß alle Augen funkelten, alle Wangen glühten; und da La Soeur Première, weit entfernt mit einer einzigen Handbewegung, wie sie's konnte, die kecken Palast-Revolutionäre in ihre Arbeitsstuben zu jagen, lächelnd alles geschehen ließ, so war's kein Wunder, wenn geschah, was nun folgte.
Monsieur l'Abbé saß noch immer auf seiner Tigerdecke und las noch immer Liguori, Theologiae moralis libri sex. Er hatte ja schon längst gefrühstückt. Und bei der Morgenandacht pflegte er auch nicht zu erscheinen. Nun fing es plötzlich außen an seiner Thüre, die zum Corridor führte, zu summen und zu brodeln an; es war ein Klirren, als wenn ein Hagelwetter von kleinen Zähnen sich da draußen zu üben begänne; und ein Wetzen von Röcken und Schürzen, und ein Schlürfen von jungen, kleinen Schuhsohlen,
Monsieur las noch immer und hatte den rechten Zeigefinger rings um den Nasenhöcker gelegt. Er pflegte gern sein moralisches Frühstück mit Liguori oder Thomas d'Aquino bis 10 oder 11 Uhr auszudehnen. Jetzt aber stand er auf, als vor dem Gestumpe die Thüre einzubrechen drohte. Er ging hin, macht auf: und der ganze Haufe junger Mädchen, mit ihren grauen Arbeitsschürzchen umgebunden, an den Schultern weiße Tüllpuffen, die wilden Haare unter delicatem Chamois-Häubchen versteckt, stürmte herein, schrie durcheinander, voll Entrüstung, beugte sich vorwärts, spreitete die Hände auseinander, um sie dann zusammen zu patschen, und was Monsieur aus dem Tumult verstehen konnte, waren nur die Namen Henriette und La Maitresse. La Maitresse nannten die Mädchen mit einem von ihnen eingeführten Namen Alexina, die in der letzten Zeit einige Lehrstunden bei den jüngeren Classen erhalten hatte. La Maitresse blieb dann für Alexina, wurde allgemein acceptirt, und schien für dieselbe in glücklicher Weise ihre zukünftige Stellung im Kloster anzudeuten. Jetzt aber sollte dieser Ausdruck plötzlich eine unerhörte Wendung bekommen. Also immer nur Henriette und La Maitresse war es, was Monsieur verstehen konnte. Endlich gebot der Abbé Stillschweigen, und frug eines der ältesten Mädchen, was vorgefallen. Nun kam es denn heraus: Man habe Henriette, die Nichte von Madame, mit Alexina, ihrer intimen Freundin, heute Morgen beim Aufstehen, im Schlafsaal der älteren Mädchen, Hände und Körper verschlungen, in einem Bett, dem Alexina's, schlafend gefunden; Henriette's Bett, das in einer ganz anderen Reihe stehe, sei leer gewesen; eines der älteren Mädchen, welches zufällig und wegen eines bestimmten Bedürfnisses etwas vor der Zeit aufgestanden, habe die Beiden liegen sehen; sei aber fortgegangen; bei ihrer Rückkehr seien sie aber Eh b'ien?« vernehmen ließ, als wollte er sagen: Nun, und was ist jetzt? – stürzten die jungen Fratzen mit aufgehobenen Händen auf ihn zu, und riefen fast wie aus einem Munde: »Mais c'est honteux! c'est terrible ça! c'est sale! Enfin c'est tout ce que vous voudrez!« – Die jungen Zöglinge durften wohl in dieser Weise sich vernehmen lassen, ohne die ungeheure Distance, die sie von ihrem Vorstand und Priester trennte, zu verringern. Monsieur hatte so zu sagen einen breiten Buckel, auf den die jungen Fäustchen auch gelegentlich herumtrommeln durften. Und wenn er auf der einen Seite faktisch für die 80 oder 100 strengreligiösen Mädchen so gut als wie le bon Dieu war, so war er dafür doch auch wieder le bon père, der auch das in dieser hohen Stellung liegende Wohlwollen zum Ausdruck brachte; und gar in weiblichen Dingen durften die Mädchen ihre Ansichten mit den ihnen eigenthümlichen extremsten Wortformen, und unter Aufwand einer großen Dosis Pathos, zum Vortrag bringen. Auffallend war dem Abbé, daß auch die größeren Mädchen sich eingefunden hatten, und mit verlegenen Gesichtern dortstanden. – Jetzt ging die Thüre auf, und la Soeur Première kam mit einem verstörten Gesicht, welches vielleicht etwas übertrieben war, herein, fiel dicht vor dem Abbé auf die Kniee (das war eine übliche, pathetische Klosterform), bedeckte ihr Gesicht mit ihren Händen und theilweise seiner Soutane, und rief schluchzend »oh Monsieur, c'est honteux!« – Was es denn gebe, – beruhigte der Abbé, und hob die erste Schwester, der er sehr gewogen war, auf. Henriette und Alexina, – hieß es nun, – seien verschwunden, seien weder zur Andacht noch zum Frühstück gekommen. Dies, und allerlei Flüsterungen, die man C'est bien!« verließ die Première das Zimmer, und Madame und Monsieur waren nun allein. – Der Abbé hatte bis jetzt gar nichts entschieden. Er liebte es, stummer Zuschauer zu sein, und die Thatsachen in seinem Kopfe zu registriren. Auch jetzt ergriff er nicht das Wort, sondern wartete, daß Madame sprach. – Das sei ja eine grauenhafte Geschichte, – meinte diese, und zeigte erst jetzt ihre große Besorgniß – nicht die Sache selbst, sondern die Aufregung, die sie hervorgerufen. Daß selbe solche Dimensionen annehmen konnte. Das sei ja, als wenn der Teufel der ganzen Klostertracht in die Glieder gefahren wäre. – Monsieur machte eine abwehrende Bewegung und schlug drei Kreuze in die Geste hinein. – Ach was! – meinte Madame, – es sei ein großer Fehler gewesen, die Sache soweit kommen zu lassen. Die Schwestern hätten nicht ihre Schuldigkeit gethan. Sie verlange die Bestrafung von la Première, am besten deren Versetzung in ein Schwester-Kloster. – La Première, – wehrte Monsieur ab, der sie sehr gern mochte, – sei als Lehrkraft unentbehrlich für das Kloster. Wer solle sie, nur im französischen Stil, ersetzen. Abgesehen von ihren Qualitäten als Aufsichts-Person. Nein! der Fehler sei, daß weder er, noch sie, Madame, jemals bei der Andacht noch beim Frühstück anwesend seien. Dann hätte man die Affaire, die schon seit früh 6 oder 7 spiele, rascher entdeckt. Um 9 Uhr war der Bienenschwarm schon ausgeflogen. – Madame aber blieb dabei, die Schwestern hätten das Unglück angerichtet. Kinder mit 15, 16 Jahren kämen nicht von selbst so weit. – Aber, was Monsieur weit mehr interessirte, war der moralische Theil der Geschichte. Ob es denn etwas Häufiges sei, daß Mädchen so zusammen im Bett lägen. – Gewiß, die Kleinen spielten ja wie die Katzen. – Aber Henriette sei doch fast 17, und la Maitresse gehe in's 18te, und unterrichte schon die Jüngsten. – Allerdings, aber das Freundschaftsband zwischen Beiden sei ein außerordentlich enges. – Ob diese Mädchenfreundschaften sich so sinnlich äußerten? meinte der Abbé. – Zuweilen, ja! Von dieser Ausdehnung habe sie allerdings keine Ahnung gehabt; aber wohl schon
Darin irrte sie sich. Wenn nur La Première nicht entschlossen gewesen wäre, das Eisen, das jetzt glühend, unter keinen Umständen erkalten zu lassen. Und wenn nur Monsieur l'Abbé sein moralisches Interesse aufgegeben hätte, und auf jede weitere Zufuhr von Details Verzicht geleistet! – Dieser hatte inzwischen das Dictionnaire ecclésiastique hervorgezogen und unter dem Titel »Sappho« gesucht; und als er hier nicht fand, was er wollte, suchte er unter »Lesbos«; und als ihm dies auch nicht genügte, holte er den Artikel »Tribade«. Diesen nahm er mit auf's Tigerfell, und blieb über ihn wohl eine halbe Stunde. –
Für einen Moment war jetzt Alles ruhig. Aber wir können dem Leser keine Zeit zu einer Pause geben. Er muß die ganze Skandal-Affaire, so wie sie stattgefunden, in den paar Stunden des Nachmittags mit uns durchhetzen. Er muß durch diesen Hexen-Breughel eines Kloster-Interieurs wie im Flug mit uns durchsausen. Zum Erblicken von Details ist sowieso keine Zeit. Aber auch nicht zum Verhalten und Ausschnaufen.
Es bestand eine Kloster-Verordnung, wonach jeder einzelne Zögling sich zu jeder Zeit entweder zum Abbé oder zur Supérieure melden durfte, um ein Anliegen, eine Beschwerde vorzubringen. Dies war ein Paragraph, der zu Gunsten der Eltern und Angehörigen aufgenommen worden war, um diesen die denkbar größte Sicherheit gegen mißbräuchliche Gewalt-Anwendung bei ihren Kindern von Seite der subalternen Organe zu geben, der aber bei der humanen und fast patriarchalischen Kloster-Zucht wohl niemals in Anspruch genommen wurde. Diese Verordnung scheint durch La Soeur Première und die übrigen Schwestern den Kindern und Zöglingen neu in Erinnerung gebracht worden zu sein; denn als um 10 Uhr die Mädchen aus ihren respective Classen entlassen wurden, um während der nächsten Viertel-Stunde ein Stück kräftigen Schwarz-Brods zu Et cetera. Et cetera. Dies war der Gedankengang Monsieur's, der ihn ganz beschäftigte, und in dem die diplomatischen Mahnungen von Madame von vorhin, die Sache nicht um sich greifen zu lassen, längt untergegangen waren. – Und somit öffnete der Abbé schnell die Thüre, die auf den Corridor führte, und ließ die sämmtlichen Mädchen, die mit heißen Lippen und ungegessenem Brod dortstanden, herein, die Thüre darauf schließend. – Kinder, – sagte er, – nur um das Eine muß ich bitten: Eine nach der Andern, und: Nicht zwei dasselbe erzählen! Und nun kam ein ganzer Lavastrom der ungeheuerlichsten Dinge heraus, die die Mädchen in der letzten Stunde statt Schönschreibens, Geschichte, Memoriren, Rechnen und dergl. aus ihrem Gedächtniß mit Hülfe der Aufsicht-übenden Schwestern geboren hatten: Schon lange habe man eigenthümliche Dinge zwischen La Maitresse und Henriette vor sich gehen sehen; immer steckten sie beieinander in einem dunklen Winkel, und zischelten, und flüsterten; des gegenseitigen Küssens sei kein Ende gewesen; wenn sie in einer Klasse von einander entfernt gesessen, hätten sie »Augenschmeißen« und Handzeichen gewechselt; es sei unerhört, wie die Zwei einander nachliefen und ineinander »verbacken« seien, wie zwei Kletten, lieu d'aisance kichern hören; Henriette sei überhaupt im letzten halben Jahr nie in ihrem Bett geschlafen, sondern stets hinüber zu Alexina gegangen, nur sei sie sehr früh aufgestanden; Alexina, das ist la Maitresse, trage keine Mädchenhosen, sondern absonderliche Beinkleider, die an der unrechten Stelle den Schlitz hätten; ihr Corset sitze nicht; sie sei auch so knochig; und gehen thue sie, wie gar kein Mädchen; kurz la Maitresse sei eine ganz merkwürdige Person; und deswegen könne sie auch Dinge, die andere nicht könnten, und sei gescheidter, als Alle miteinander. – Wieder eine andere Gruppe, darunter eine Schlafnachbarin von Alexina: Henriette und la Maitresse hätten sich im Bett, wie sie gehört, obwohl sie sich schlafend gestellt, oft leidenschaftlich geküßt, umschlungen, und sich ma bien aimée! genannt; als man heute morgen in Gegenwart vieler Mädchen den Beiden die Decke weggerissen, seien sie mit den Füßen durcheinander geschlungen gewesen, und mit einem großen Theil des Körpers gänzlich entblößt; auch habe Alexina grobe Glieder, und Haare an den Beinen wie der Teufel. – Diese letzte Wendung, die mit einem eckelnden »Äh!« von dem ganzen Chorus der Mädchen begleitet war, tadelte der Abbé, da es unsicher sei, ob und wie stark der Teufel an den Beinen behaart sei; dies auch kein Gegenstand der Untersuchung für junge Mädchen abgeben könne. – Ein einzelnes, schon zu den älteren gehöriges, Mädchen deponirt: sie habe Mademoiselle Alexina gesehen, wie sie Henriette unter die Röcke gelangt habe, welches diese, obwohl sie heftig erröthet sei, habe geschehen lassen; als sie aber ihrer ansichtig geworden, seien sie unter Lachen hinweggesprungen. – Ah, c'est dégoûtant! – riefen alle Mädchen, c'est dégoûtant! – Endlich sagte noch eine der älteren Schülerinnen: sie glaube überhaupt nicht, daß Alexina ein Mädchen sei; sie sei viel zu gescheidt, und wisse fast Alles; sie sei auch gar nicht sanft, wie andere Mädchen, sondern wild und hart; sie glaube Alexina sei ein böser Geist in Mädchengestalt, der eines Tags unter Gestank
Während diese wichtigen Verhöre und Aussagen in Monsieur's Arbeitszimmer statt hatten, schien Madame in ihrem II. Stock schon wieder ihr ganzes Wohlbehagen gefunden zu haben. Wenigstens kam sie nicht herunter, um über die fernere Kloster-Ordnung sich zu informiren. Und ihre treuen, dienenden Geister, die sonst sofort mit einem Sprung, und noch diesen Morgen bei ihr oben waren, um ihr die letzte Neuigkeit mit einem zischelnden Triumphiren in's Zimmer zu rufen, schienen plötzlich alle mit einem gewissen Ratteninstinct zur Partei der Soeur Première übergetreten zu sein. Und so blieb die stolze und bis jetzt allmächtige soi disant Äbtissin oben bei ihren Romanen und Cigaretten, und hatte keine Ahnung von allem, was da unten vorging, und, wie sie eigentlich schon excludirt war. – Im Nebenzimmer bei ihr saßen, wohl etwas stumm und in sich gekehrt in Folge der zweifellos erhaltenen Vermahnungen und Androhungen, aber im Uebrigen auffallend frisch und erholt, Henriette und Alexina. Henriette, ein prachtvoll hübsches Mädchen, mit jener unbekümmerten Nonchalence, die ein so obsiegendes Moment, wie strahlende Schönheit mit sich bringt, und im Bewußtsein ihrer Unangriffsfähigkeit, als Nichte von Madame, hatte sich ihre schönste Crême-Toilette holen lassen, und saß dort, heiter und zu allem aufgelegt. Ganz anders Alexina; nicht nur war ihre Zukunft unsicherer im Falle eines Fehltritts; sondern sie hatte auch ein gewisses Bewußtsein der Sachlage; und wenn sie auch ihr Verhältniß zu Henriette als ein harmloses, unschuldiges, berechtigtes auffaßte, so hatte sie doch, schon durch ihre fromme Erziehung, ein scharfes Urtheil für das, was sich für sie, die schon halb Lehrerin war, nun einmal nicht paßte, und empfand das moralisch Bedenkliche des Vorgefallenen wie einen heftigen Stich in ihrem Innern. Daneben aber kam doch ein gewisses triumphirendes Gefühl in ihren Augen zum Ausdruck, darüber, daß sie mit ihrem starken Willen alle Hindernisse, die sich ihrer Neigung zu Henriette entgegengestellt,
So kam das Mittagessen herbei. Dies war die einzige Gelegenheit, bei der alle Kloster-Insassen mit Ausnahme der Mägde, vereinigt waren. Wie ein plappernder Prozessionszug ergoß sich die Schaar der auf's Höchste erregten und vor Neugier fiebernden Mädchen in die geräumigen Hallen des alten Kloster-Refectoriums. Und nun geschah das Unglaubliche: Als Madame in Begleitung von Henriette und Alexina den Speisesaal betrat und die zwei Mädchen ihre gewohnten Mittagsplätze einnehmen wollten, fuhren die Zöglinge, und besonders die ganz jungen, 14- und 15jährigen, wie von einer plötzlichen Panik ergriffen, kreischend und Abscheu ausdrückend, vor den zwei Sünderinnen, besonders aber vor Alexina, zurück, welch' letztere als ›la Maitresse‹ gleichzeitig die Aufsicht an einem Tisch ganz junger Zöglinge führte. Die Soeurs im Habit machten nicht die geringste Miene die Scene zu ändern; und als Madame mit einer drohenden Miene, und, als wolle sie die Mädchen zu ihrer Ordnung zurückführen, hinüberrief, »Qu'est-ce que ça veut dire!« entstand eine solche Aufregung und Zusammenrotten, von dem schließlich auch die älteren Zöglinge ergriffen wurden, daß man jeden weiteren Widerstand aufgab, und die beiden Mädchen ihrem Schicksal überließ. Diese ganze Wendung hatte die scharfsichtige Alexina mit einem einzigen Blick aus Madame's Gesicht abgelesen, und im nächstfolgenden Moment ihren Entschluß fassend, eilte sie, die beiden Hände wie zur Abwehr vor sich streckend, im Sturmschritt zum Saal hinaus. Die Zöglinge wichen wie vor der Pest vor ihr zurück, und ließen sie durch. Und aus der Menge hörte man unter verschiedentlichen Athmungs-Erleichterungen und staunenden Interjectionen den präcisen Ausruf: »Ah, tenez, le diable!«
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– »Le diable! Le diable!« klang es beistimmend durch alle Reihen. Und in der That, wenn man das scharfgeschnittene, knochige und edelgebaute Gesicht Alexina's mit den leuchtend schwarzen Augen und den drohend zusammengewachsenen Augenbraunen in Betracht zog, dann hatte dieser Ausruf etwas in der Phantasie der Kinder Berechtigtes. Aber kaum war Alexina verschwunden, so sah man Henriette, die sich im ersten Moment der Ueberraschung zu Voilà sa fiançée!«
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rief wieder eine einzelne Stimme. Und »le diable et sa fiançée!« ging es jetzt besonders bei den Jüngeren wie etwas Selbstverständliches von Mund zu Mund. Und ganz von selbst begab sich jetzt Alles zu Tische und die Mägde begannen aufzutragen. – Die Masse hatte obgesiegt, und Monsieur und Madame sahen jetzt erst, welche Dimensionen dieser Fall angenommen, und was die kleine Schlafscene im Saal der älteren Zöglinge heute Morgen innerhalb wenigen Stunden in den Köpfen der erregbaren Mädchen angerichtet. Und die scharfen, von der Saaldecke zurückgeworfenen Laute von »la Mäträsse!« und »la Prämiäre!« und »Aläxina!« und »la Fianßä!«, welche die jungen Zähnchen zerknitterten und zerbissen, und die wie Schmeißmücken während des Essens durch den Saal schwirrten, bewiesen, daß von einem Zurückdämmen jetzt keine Rede mehr sein konnte. Jetzt konnte das Kloster und seine Intaktheit nur durch offene, strenge, disciplinäre Behandlung des Falles gerettet werden.
Unter großer Erregung war man nach dem Mittagessen auseinander gegangen. Monsieur und Madame hatten, zurückgeblieben, einige Worte miteinander gewechselt. Eine Magd, die oben im II. Stock bediente, kam und brachte La Supérieure eine leis vorgebrachte Meldung. Inzwischen wartete La Première an des Abbé Thüre. Er hatte sie ja schon vor dem Mittagessen rufen lassen. Sie komme gerade recht, – meinte er – er müsse mit ihr gründlich sprechen. Sie gingen zusammen hinein, und Monsieur ging mit auf dem Rücken gekreuzten Händen längere Zeit erregt auf und ab. Die Sache war jetzt doch auch ihm über den Kopf gewachsen. Er fürchtete nicht nur für den Ruf und Besuch des Klosters. Er fürchtete, sein nächster Vorgesetzter, der Erzbischof von Rouen, könnte die Sache schlimm aufnehmen. Trotzdem war der Moralist und exegetische Spürhund in ihm noch nicht zum Schweigen gebracht. Der Fall war ja ganz großartig, ganz mittelalterlich. Gott! wenn Sanchez den Fall gekannt hätte! Was hätte der draus gemacht! In seinem Sensorium repetirten immer noch die Laute »le diable et sa Fianßä! – le diable et sa Fianßä!«
et cetera, et cetera. – Die Sache – fügte Monsieur voll Eifer hinzu – habe auch wissenschaftlich und moraltheologisch die höchste Bedeutung. – Aber la Première, die erst kurz über die 30er war, senkte ihr bleiches Gesicht auf das Skapulir, kreuzte die Hände über die Brust, und schwieg. – Mon Dieu! – sagte der Abbé und wurde etwas unwillig, – wenn sie nicht spräche, müsse er sich an la Supérieure wenden. Dies wirkte. Monsieur möge fragen, – meinte sie – sie werde dann antworten, so gut sie's vermöchte. – Dieser Modus convenirte: »Ob junge Mädchen gewohnheitsgemäß beieinander schliefen? – »»Nicht gewohnheitsgemäß, aber häufig.«« – »Zu welchem Zweck« – »»Viele der Kleinen fürchteten sich allein zu schlafen.«« – »Ob es hier zu Berührungen käme?« – »»Zu den unvermeidlichen!«« – »Ob selbe sinnlicher Natur seien?« – »»Bei den größeren sei dies nicht ausgeschlossen; diese schliefen aber seltener zusammen;«« – »Kämen Ineinanderschlingungen und Umarmungen bei solchen Zusammenschlafungen vor?« – »»Hätte sie nie beobachtet; doch gäbe es kindlich und weichherzig angelegte Mädchen, die auch Tags über, und in den Kleidern, ihre Freundinnen umhalsten, abküßten und bavardage!««
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– »Ob dies bei älteren, wie Alexina und Henriette, auch vorkäme?« – »»In anderer Form; und dann aus Interesse für die Toilette!«« – »Ob es hier zu Berührungen käme?« »»Zu den unvermeidlichen!«« – »Ob ein directes Berühren der Körpertheile der Andern dabei beabsichtigt sei?« – »»Viele Mädchen brüsteten sich mit der Schönheit, Vollkommenheit ihrer Formen; andere wollten sich davon überzeugen, und so käme es zu gegenseitigen Untersuchungen!«« – »Ob sie glaube, daß dies das Produkt teuflischer Anreizungen sei?« – »»Sie können dies nicht entscheiden! übrigens trügen ja die Mädchen bei solchen Gelegenheiten immer noch Hüllen von Parchent, Shirting, Mouslin um sich!«« – »Mouslin-, Tüll-, Mull-Stoffe, das sei gerade das, was der Teufel besonders liebe!« – »»Dann sei allerdings die Gefahr sehr groß; – meinte la Première – und Henriette habe einen solchen Ueberfluß von kostbaren und feinen Toiletten!«« – Damit war die Unterredung zu Ende. Der Abbé war wieder so weit wie vorher. Was er wissen wollte, ob der Verkehr Henriettes und Alexinas eine teuflische, sinnliche Anreizung, die mehr oder
Inzwischen waren Henriette und Alexina oben bei Madame geblieben, wo nicht minder leidenschaftliche Gespräche stattgefunden hatten. Zum Nachmittag-Café kam la Supérieure herunter zum Abbé. Sie erklärte, es müsse etwas zur Rettung des Rufes des Klosters dem Landesadel gegenüber geschehen. Die Briefe der Mädchen könne man ja inhibiren; aber bei den sonntäglichen Besuchen, wo einzelne Zöglinge von ihren Eltern im Wagen abgeholt würden, werde die Sache doch ruchbar, und dann entsprechend aufgebauscht und entstellt. – Monsieur trug seine moral-theologischen Unterscheidungen und Bedenken vor, von denen einzig und allein der Ausgang des Falles abhänge. – La Supérieure erwiederte etwas gereizt: von wissenschaftlichen Spitzfindigkeiten verstände die Welt draußen so viel wie sie; zunächst handle es sich um Abschneidung aller weiteren Controversen; sie gedenke die beiden Mädchen für's erste auf einige Zeit aus dem Kloster zu entfernen. – Dem widersprach sehr ernst der Abbé; damit gestehe man eine Schande zu, bevor sie erwiesen. Er wünsche in jedem Falle Alexina zu verhören. – Das könne er – meinte Madame piquirt – inzwischen werde sie ihre Nichte, um sie weiteren Beschimpfungen zu entziehen, beim Pfarrer des Dorfes unterbringen; – und verließ ohne eine Antwort abzuwarten das Zimmer des Abbé. –
Wenige Minuten darauf betrat la Maitresse mit verweinten Augen das Zimmer von Abbé, warf sich ihm zu Füßen, und fing zu schluchzen und zu weinen an. – Ah Mademoiselle, begann der Abbé, Sie haben dem Kloster jetzt schon einen großen, unberechenbaren moralischen Schaden zugefügt, und ich fürchte, Sie haben eine noch weit größere Sünde auf dem Gewissen. – Mon père – fiel Alexina mit großem Nachdruck ein, und sah den Abbé mit großen, glänzenden Augen an, – meine Liebe zu Henriette ist rein wie der Schnee auf dem Hebron; Ah, mon père, – fiel Alexina wieder mit dem Ton des vollsten Gefühl-Enthusiasmus ein – ja, ich bewunderte Henriette's Erscheinung, ihren Körper, ihre Augen, ihre Haare, ihre Stimme, ihren Gang, kurz Alles, Alles, ihre Strümpfe, ihre Schuhe, Alles was sie war und was sie trug, weil ich selbst so gar nichts bin, und nichts habe, und nichts gleich sehe; und ebenso bewunderte, glaube ich, Henriette meinen Geist, meine Energie, meine Kenntnisse, enfin, das Bischen, was ich von Gott bekommen habe: meine Seele; und gewiß berührten wir uns, wo es nur möglich war, wo es nur geschehen konnte; sie meine Seele; ich ihren Körper; oh, mit einer Inbrunst, mon père, wie sich nie zwei Mädchen geliebt haben; und Inbrunst, mon père, ist doch in der Freundschaft, in der Liebe erlaubt, wie im Gebet, in der Reue, in der Verehrung zu Gott. – Hier war der Abbé doch paff. Dieses Mädchen war stärker, als er. – Und niedrige, unziemliche Empfindungen und sündhaftes Verlangen kam nie in Eure Seele, ma fille? – frug nochmals der Abbé eindringlich. – Nur die Begeisterung – rief Alexina, und streckte beide Arme mit Enthusiasmus empor, – nur die Begeisterung, die Gott selbst in unsere Seele gepflanzt. – C'est bien! sagte nun der Abbé, und hob das Mädchen auf, das noch immer auf den Knieen lag; c'est bien, wir hoffen, daß sich noch Alles zum Besten wenden wird. Gott wird Deine Seele auch ferner bewahren. – Alexina ging wieder hinauf zu Madame; und nun schien Alles eine befriedigende Wendung zu nehmen. –
Aber schon um 4 Uhr kam la Première, und brachte ein Paquet Briefe, welche man Henriette, als sie in höchst geheimnisvoller Weise ihr Schreibfach ausleeren wollte, um es mit zum Pfarrer zu nehmen, abgenommen. Die Briefe zeigten die Handschrift Alexinas, und es sei vielleicht zu erwarten, daß ihr Inhalt zur Aufklärung über das Verhältniß von la Maitresse zu Henriette beitrage. – Monsieur öffnete die Briefe, und las, und las, und
Mit der Lectüre dieser Briefe war es inzwischen fünf Uhr geworden. Der Abbé wußte wohl, daß er hier einem außerordentlichen Fall gegenüber stand, einem Ereigniß, einem Verhältniß, das auf Monate zurückdatire, das langsam gereift, wie ein Wespennest sich Zelle um Zelle agglomerirt hatte, zuletzt einen gewaltigen Stock gebildet, und in dem la Maitresse der eigentliche Baumeister, der Schöpfer und Angreifer gewesen, während Henriette sich auf eine mehr passive Rolle beschränkt hatte. Aber worüber sich Monsieur nicht klar werden konnte, war, wie weit die materiellen Beziehungen in dem erotischen Leben der beiden
Es war jetzt Vesperzeit. Die Mädchen hatten eine halbe Stunde Erholung, bevor die zwei Abendstunden die Arbeit des Tages schlossen. Wie ein Bienenschwarm gährte und brauste es unter den jungen Geschöpfen, die, ermahnt, mit ihren Beobachtungen und Ansichten Monsieur l'Abbé nicht länger zu behelligen, um so eifriger unter sich und mit ihren eigentlichen Vertrauten, den Schwestern, Rath's pflogen und Ansichten austauschten. Die Entfernung Henriettes zum Pfarrer des Dorfes hatte man als eine Art Bestätigung aller Vermuthungen angesehen. Man wußte aber auch, daß la Maitresse, in der doch auch alle Mädchen den eigentlichen actor rerum sahen, noch oben bei la Supérieure weile. Und so concentrirten sich denn alle Combinationen und Erörterungen noch einmal auf ihre Person. Schlimmer aber als Alles dies, war der Umstand, daß mit der Transferirung Henriettes in's Dorf Beauregard nun auch dieses anfing sich an der Discusion zu betheiligen und Gelegenheit hatte, neues Material herbeizuschaffen. Ein Resultat dieser neuen Beziehungen war, daß gegen das Ende des Interstitiums, um 1/2
belle Henriette, wie man sie nenne, ein ganz braves, ehrbares nicht neben ihrer Freundin gelegen; beide Mädchen seien unten am Körper entblößt gewesen, und hätten nicht rasch genug ihre Kleider ordnen können, um dies zu verheimlichen; auch sei ihm aufgefallen, daß die größere, schlankere an den Beinen stark behaart gewesen sei. Die beiden hätten sich dann schnell wegbegeben, und er habe sie nicht verfolgt. – Alle Anwesenden, und auch sie – die Magd – hätten darauf den Waldhüter gebeten, sich in der Nähe des Klosters zu halten, um, für den Fall Monsieur l'Abbé ihn zu sprechen wünsche, da zu sein. Monsieur möge nun nach Belieben handeln. –
Nach dieser Erzählung ließ der Abbé die Magd abtreten, um sich mit la Première allein zu besprechen. Aber beide hatten noch nicht zwanzig Minuten Unterredung gepflogen, wobei Monsieur la Première verschiedentliche Stellen aus lateinischen und französischen Büchern zeigte, und ihr übersetzte, als eine zweite Schwester in heller Bestürzung hereinkam und die Meldung brachte, vor dem Kloster ständen mehrere hundert Leute, mit Mistgabeln und Aexten, die die Faust gegen das Gebäude ballten, Verwünschungen ausstießen, und fortwährend riefen, der Teufel le diable et sa fianßä! – le diable et sa fianßä! – Andere recitirten nach festem Takt den rasch zu Stande gekommenen Vers:
Gleich darauf kam auch Madame zitternd vor Erregung herein: die Mädchen seien wie auf ein gemeinsames Zeichen aus den Classen gestürmt, hätten geschrieen, der Teufel sei im Kloster, und wollten Alexina aus ihrer Stube ziehen. Sie sei jetzt überzeugt, das Ganze sei ein gegen sie, die Superiorin gerichteter Complot. Der Teufel habe mit der ganzen Sache so wenig zu thun, als mit ihr. – Die beiden Geistlichen machten zweifelhafte
Es war jetzt 7 Uhr Abends. Während zweier Stunden war wirklich der Teufel los gewesen, und Zucht und Ordnung im Kloster verschwunden. Die in Aussicht gestellten Schritte wirkten auf Alle beruhigend. Der Pfarrer ging in die Ortskirche, um Monstranz und Ciborium bereit zu halten. Auf dem Wege dahin sprach er begütigend zu Allen, die ihm begegneten. Auch trat die Dämmerung ein, und die meisten begaben sich nach Hause. La Première wurde zum Arzt geschickt. Madame selbst bereitete oben Alles für die Ankunft des Arztes vor. Monsieur hatte ebenfalls den Cooperator in der Klosterkirche avertirt, Alles zum Exorcisiren bereit zu halten. Er selbst schlug die genauen diesbezüglichen Directiven in seinem Ordinale auf, und machte sich aus Bodinus, Daemonomania, mit den körperlichen Stigmata für Teufelsbund bekannt. Die Zöglinge bekamen im Refektorium ihr Abendessen. Mit der Dunkelheit war bei den Mädchen, statt Ausgelassenheit, Bangigkeit und Furcht getreten. Alle baten, heute Nacht die Lichter im Schlafsaal brennen lassen zu dürfen. – Inzwischen war der Holzknecht wieder heruntergekommen, und hatte aufs Bestimmteste dem Abbé versichert, das Frauenzimmer, welches er soeben durch die Thürspalte bei
Es war schon halb neun, als der Arzt, ein fast jung zu nennender Mann, der die Faculté in Paris mit Auszeichnung absolvirt hatte, ankam. Er hatte noch einen Gang in's benachbarte Dorf gemacht, und hatte, eben erst zurückgekehrt, die ganze merkwürdige Geschichte gehört. Die Lichter im Kloster waren schon angesteckt. Es herrschte jetzt rings auf Gängen und Treppen tiefste Stille. Den Vorschlag Abbé's, mit ihm erst das Verzeichniß der Stigmata im Bodinus durchzugehen, hatte der Arzt abgelehnt. Er war dann von la Première sogleich in den II. Stock hinaufbegleitet worden. Droben empfing ihn Madame mit höchster Zuvorkommenheit in dem prächtig erleuchteten, reich ausgestatteten Salon, der zu ihren Appartements gehörte. In dem halb offen stehenden Nebenzimmer brannte nur ein Licht. Dort wartete Alexina halb entkleidet, auf dem Bettrand gekauert, auf den Arzt. Dieser wechselte nur wenig Worte mit Madame, und ging dann sogleich hinein, die Thüre wieder, wie es gerade die Handbewegung wollte, halb oder dreiviertel zugehen lassend. Und nun konnte man heraußen folgendes hören trotz des lauten Buchumblätterns, mit dem Madame sich und die Stille zu betäuben suchte: Kurzes Gemurmel und Begrüßungsformeln; einzelne Fragen, sehr knapp, ebenfalls knapp beantwortet; beide Stimmlagen sind sehr tief; die des Arztes ist aber schärfer scandirt und heller; die Alexina's dumpf und gaumig. Das Licht wird gerückt, so daß die Helle jetzt ganz aus der Thürspalte verschwindet; eine Aufforderung; dann ziehen und schleifen von ausgezogenen Gewändern; Pause, neue Aufforderung; Entgegnung; wiederholte Aufforderung in festerem Ton! ein Seufzen; dann wieder Ausziehen und Rutschgeräusche; strumpfiges Aufstampfen auf dem Boden; erst einmal; dann noch einmal; dann noch ein Rutschgeräusch; und jetzt ein weiches, schilfriges Gleiten; wie Epidermus auf Epidermis; und begleitet von zustimmenden Ah, c'est cela; c'est cela, oui des Arztes. Längere Pause. Dann wieder ein Commando; man hört die knerzenden Bewegungen eines Bettgestells und das knistrige Hingleiten auf eine Matratze; ein ruhiges Commando; ein stärkeres Commando; dringende, unwillige Aufforderung; seufzendes Wimmern von der andern Seite; Ah, vous me faites mal,
Monsieur;
Jetzt war's 11 Uhr; und Alles schlief in seinen Betten; d.h. Alles wachte, denn wer konnte nach solch' einem Tag schlafen. Oben huschten die Schwestern in schleppend weißen Nachtgewändern von Bett zu Bett und beruhigten die Kleinen, die alle eine schreckliche Furcht vor'm Teufel hatten. Die Lampen brannten alle hell. Und la Première selbst ging von Schlafsaal zu Schlafsaal, um jetzt keine Unordnung, keine Panik mehr ausbrechen zu lassen. Sie wußte ja, sie hatte gewonnen. – Und unten wachte in seinem Bett Monsieur l'Abbé. Er hatte noch
Und oben im II. Stock ruhte Madame. Sie hatte bange Ahnungen, es möchte mit ihrem Priorat im Kloster vorbei sein. Seit heute Abend 6 Uhr, als die Bauern die Sensen vor der Klosterthür schwangen, und den Teufel in Gestalt einer Lehrerin im Kloster suchten, war ihr klar, daß dies an ihr hinausgehen werde; diesmal hatte la Première die Sache fein dirigirt, und zur rechten Zeit in die Flamme geblasen, die noch heute Morgen mit dem Schuh auszulöschen war. Mein Gott, zwei Mädchen, die sich in ihren körperlichen und seelischen Eigenschaften einander ergänzten, beieinander schlafen und sich mit Zärtlichkeiten überhäufen sehen, – was da dran sei! Allerdings, diese Alexina sei ein merkwürdiges Geschöpf; und der Ausspruch des Arztes lasse erwarten, daß mit ihr etwas ganz besonderes los sein müsse. –
Und neben dran lag Alexina auf ihrem Lager; gestern noch die bewunderte, ob ihrer phänomenalen geistigen Eigenschaften
Noch bedeckte die Nacht mit ihrem colossalen Mantel Alles, Kloster, Menschen und ihre Gedanken. Aber die Sonne brannte schon mit Inbrunst, hervorzubrechen, und die ganze so schauderhafte Klosteraffaire zu beleuchten, und mit greller Flammenschrift Jedem in's Gewissen und in's Hirn zu schreiben. –
Es war jetzt wieder 7 Uhr Morgens; die Sonne glänzte durch die Scheiben des geistlichen Arbeitszimmer; das Frühstücksgeschirr stand auf dem Arbeitstisch bei Seite gestellt; und Monsieur l'Abbé las wieder eifrig in Liguori, Theologiae moralis, libri sex. Nichts in seinem Gesicht ließ etwa eine Unruhe oder Abspannung entdecken. Der Vorfall des gestrigen Tages hatte keinen nervösen Rest bei ihm zurückgelassen. Die gleiche sublime Ruhe waltete in seinen Zügen wie gestern. – In diesem Augenblick klopfte es an der Thüre; Monsieur rief herein! und die Pförtnerin brachte ein Schreiben großen Formats, welches soeben abgegeben
Beauregard, le 21. Juin 1831. Adolphe Duval, médecin agrégé de la Faculté de Paris, à Monsieur l'Abbé de Rochechouard, à Douay. – Monsieur! Ueber den körperlichen Befund des sogenannten Alexina Besnard, 18 Jahre alt, habe ich auf Grund der von mir gestern Abend vorgenommenen Untersuchung die Ehre Folgendes zu melden:
Alexina als Mädchen von außerordentlich hoher Statur, muß auch als Mann noch zu den größeren Gestalten gerechnet werden. Das magere Gesicht zeigt den Ausdruck hoher Intelligenz; der Blick entschieden männlich, convergirend; stark prominente Augenbögen, unter denen ein paar schwarze, kluge, flinke Augen herauslugen; keine Spur von Bart; die Kopfhaare etwas länger, als sie gewöhnlich von Männern getragen werden, aber weit entfernt die Länge von Mädchenhaaren zu erreichen (sie müßten denn absichtlich beschnitten sein) werden in einem Netz getragen, und sind eher spärlich zu nennen. Die Stimme Alexina's ist eine Altstimme. Der ganze Körperbau ist schlank, musculös, ohne eigentliches Fettpolster, zeigt in seinem oberen Theil femininen Charakter, zarte Haut, schwache mamma-Bildung mit weiblich gebildeter Warze; die unteren Extremitäten fallen sofort durch ihre reiche, dunkle, männliche Behaarung auf, und zeigen auch in ihrer allgemeinen Configuration männliche Anlage. Die Oberschenkel zeigen zum Knie hin nicht die beim Weib bekannte Convergenz, sondern verlaufen geradlinig. Die Hände sind zwar klein, dagegen die Füße sehr groß und kräftig. Die Hüfte charakterisirt sich schon durch den allgemeinen Anblick, durch das gänzliche Fehlen des seitlich ausladenden, wie durch Messungen, als Beckenanlage von rein männlichem Charakter. Der mons Veneris ist stark behaart und bedeckt auf den ersten Anblick die eigentliche Bildung der Genitalien. Dieselben zeigen wenig klaffende labia majora von wulstigem, faltigem Charakter, hinter denen die kleinen, wenig ausgebildeten labia minora sichtbar werden; keine Spur von hymen; der introitus vaginae ist so eng, und das versuchsweise Eindringen so schmerzhaft, daß es keinem Zweifel unterliegt, daß derselbe als blinder Sack endigt, und entweder keinen, oder höchstens rudimentären uterus als Fortsetzung trägt, der für die Ovulation labia minora in ihrem oberen Theil einen succulenten Körper, der vorne perforirt ist, und sich als wohl characterisirtes membrum Virile erweist; dasselbe ist der Erection fähig; obwohl es an seiner vollen Entfaltung durch ein von den genannten kleinen Labien ausgehendes straffes ligamentum gehindert ist. Die Perforation ist der Ausführungsgang der urethra, die ihrerseits in die Vesica urinalis endet. Testicel sind nirgends zu entdecken, und scheinen im Abdomen zurückgeblieben zu sein. – Somit ist Alexina Besnard ein Zwitter; und, da derselbe während der Untersuchung, offenbar durch die augenblickliche psychische Erregung hervorgerufen, auch eine unwillkürliche ejaculatio seminalis hatte, deren Bestand unter dem Mikroscop das deutliche Vorhandensein normaler, beweglicher Spermatozoen ergab, so muß Alexina als männlicher Zwitter angesprochen werden; somit ist Alexina ein Mann und zwar ein zeugungsfähiger Mann. – Auf Grund der mir obliegenden Pflicht habe ich bereits Anzeige an die betreffende Civil-Behörde behufs Aenderung der Stammrolle in der Heimath Alexina's gemacht, Eurer Hochwürden die weiteren Schritte bis zur definitiven staatlicherseits vorzunehmenden Aenderung der civilen Verhältnisse Alexina's überlassend. Mit hochachtungsvoller Ergebenheit ec. Adolf Duval.« –
Noch am gleichen Tag wurde Alexina in ihre Heimat zu ihren Eltern gebracht.
Mademoiselle Henriette Bujac, die in's Kloster zurückkehrte, sah sich genöthigt, nach etwa sechs Monaten aus dem Institut auszutreten, und wurde zu einer entfernt wohnenden Tante auf's Land geschickt.
Mit ihr verließ Madame la Supérieure definitiv das Kloster. – Und la Soeur Première wurde Superiorin. –