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Die wohlgemeinte Absicht, das Moralischgute überall als höchsten Zweck zu verfolgen, die in der Kunst schon so manches Mittelmäßige erzeugte und in Schutz nahm, hat auch in der Theorie einen ähnlichen Schaden angerichtet. Um den Künsten einen recht hohen Rang anzuweisen, um ihnen die Gunst des Staats, die Ehrfurcht aller Menschen zu erwerben, vertreibt man sie aus ihrem eigentümlichen Gebiet, um ihnen einen Beruf aufzudringen, der ihnen fremd und ganz unnatürlich ist. Man glaubt ihnen einen großen Dienst zu erweisen, indem man ihnen, anstatt des frivolen Zwecks, zu ergötzen, einen moralischen unterschiebt, und ihr so sehr in die Augen fallender Einfluß auf die Sittlichkeit muß diese Behauptung unterstützen. Man findet es widersprechend, daß dieselbe Kunst, die den höchsten Zweck der Menschheit in so großem Maße befördert, nur beiläufig diese Wirkung leisten und einen so gemeinen Zweck, wie man sich das Vergnügen denkt, zu ihrem letzten Augenmerk haben sollte. Aber diesen anscheinenden Widerspruch würde, wenn wir sie hätten, eine bündige Theorie des Vergnügens und eine vollständige Philosophie der Kunst sehr leicht zu heben imstande sein. Aus dieser würde sich ergeben, daß ein freies Vergnügen, so wie die Kunst es hervorbringt, durchaus auf moralischen Bedingungen beruhe, daß die ganze sittliche Natur des Menschen dabei tätig sei. Aus ihr würde sich ferner ergeben, daß die Hervorbringung dieses Vergnügens ein Zweck sei, der schlechterdings nur durch moralische Mittel erreicht werden könne, daß also die Kunst, um das Vergnügen als ihren wahren Zweck vollkommen zu erreichen, durch die Moralität ihren Weg nehmen höchste ästhetische Wirkung erfüllt, wird sie einen wohltätigen Einfuß auf die Sittlichkeit haben; aber nur indem sie ihre völlige Freiheit ausübt, kann sie ihre höchste ästhetische Wirkung erfüllen.
Es ist ferner gewiß, daß jedes Vergnügen, insofern es aus sittlichen Quellen fließt, den Menschen sittlich verbessert und daß hier die Wirkung wieder zur Ursache werden muß. Die Lust am Schönen, am Rührenden, am Erhabenen stärkt unsre moralischen Gefühle, wie das Vergnügen am Wohltun, an der Liebe usf. alle diese Neigungen stärkt. Ebenso, wie ein vergnügter Geist das gewisse Los eines sittlich vortrefflichen Menschen ist, so ist sittliche Vortrefflichkeit gern die Begleiterin eines vergnügten Gemüts. Die Kunst wirkt also nicht deswegen allein sittlich, weil sie durch sittliche Mittel ergötzt, sondern auch deswegen, weil das Vergnügen selbst, das die Kunst gewährt, ein Mittel zur Sittlichkeit wird.
Die Mittel, wodurch die Kunst ihren Zweck erreicht, sind so vielfach, als es überhaupt Quellen eines freien Vergnügens gibt. Frei aber nenne ich das jenige Vergnügen, wobei die geistigen Kräfte, Vernunft und Einbildungskraft, tätig sind und wo die Empfindung durch eine Vorstellung erzeugt wird; im Gegensatz von dem physischen oder sinnlichen Vergnügen, wobei die Seele einer blinden Naturnotwendigkeit unterworfen wird und die Empfindung unmittelbar auf ihre physische Ursache erfolget. Die sinnliche Lust ist die einzige, die vom Gebiet der schönen Kunst ausgeschlossen wird, und eine Geschicklichkeit, die sinnliche Lust zu erwecken, kann sich nie oder alsdann nur zur Kunst erheben, wenn die sinnlichen Eindrücke nach
Die allgemeine Quelle jedes, auch des sinnlichen Vergnügens ist Zweckmäßigkeit. Das Vergnügen ist sinnlich, wenn die Zweckmäßigkeit nicht durch die Vorstellungskraft erkannt wird, sondern bloß durch das Gesetz der Notwendigkeit die Empfindung des Vergnügens zur physischen Folge hat. So erzeugt eine zweckmäßige Bewegung des Bluts und der Lebensgeister in einzelnen Organen oder in der ganzen Maschine die körperliche Lust mit allen ihren Arten und Modifikationen; wir fühlen diese Zweckmäßigkeit durch das Medium der angenehmen Empfindung, aber wir gelangen zu keiner, weder klaren noch verworrenen Vorstellung von ihr.
Das Vergnügen ist frei, wenn wir uns die Zweckmäßigkeit vorstellen und die angenehme Empfindung die Vorstellung begleitet; alle Vorstellungen also, wodurch wir Übereinstimmung und Zweckmäßigkeit erfahren, sind Quellen eines freien Vergnügens und insofern fähig, von der Kunst zu dieser Absicht gebraucht zu werden. Sie erschöpfen sich in folgenden Klassen: Gut, Wahr, Vollkommen, Schön, Rührend, Erhaben. Das Gute beschäftigt unsre Vernunft, das Wahre und Vollkommene den Verstand; das Schöne den Verstand mit der Einbildungskraft, das Rührende und Erhabene die Vernunft mit der Einbildungskraft. Zwar ergötzt auch schon der Reiz oder die zur Tätigkeit aufgefoderte Kraft, aber die Kunst bedient sich des Reizes nur, um die höhern Gefühle der Zweckmäßigkeit zu begleiten; allein betrachtet verliert er sich unter die Lebensgefühle, und die Kunst verschmäht ihn wie alle sinnlichen Lüste.
Die Verschiedenheit der Quellen, aus welchen die Kunst das Vergnügen schöpft, das sie uns gewähret, kann für sich allein zu keiner Einteilung der Künste berechtigen, da in derselben Kunstklasse mehrere, ja oft alle Arten des Vergnügens zusammenfließen können. Aber insofern eine gewisse Art derselben als Hauptzweck verfolgt wird, kann sie, wenngleich nicht eine eigene Klasse, doch eine eigne
Das Rührende und Erhabene kommen darin über ein, daß sie Lust durch Unlust hervorbringen, daß sie uns also (da die Lust aus Zweckmäßigkeit, der Schmerz aber aus dem Gegenteil entspringt) eine Zweckmäßigkeit zu empfinden geben, die eine Zweckwidrigkeit voraussetzt.
Das Gefühl des Erhabenen besteht einerseits aus dem Gefühl unsrer Ohnmacht und Begrenzung, einen Gegenstand zu umfassen, anderseits aber aus dem Gefühl unsrer Übermacht, welche vor keinen Grenzen erschrickt und dasjenige sich geistig unterwirft, dem unsre sinnlichen Kräfte unterliegen. Der Gegenstand des Erhabenen widerstreitet also unserm sinnlichen Vermögen, und diese Unzweckmäßigkeit muß uns notwendig Unlust erwecken. Aber sie wird zugleich eine Veranlassung, ein anderes Vermögen in uns zu unserm Bewußtsein zu bringen, welches demjenigen, woran die Einbildungskraft erliegt, überlegen ist. Ein erhabener Gegenstand ist also eben dadurch, daß er der Sinnlichkeit widerstreitet, zweckmäßig für die Vernunft und ergötzt durch das höhere Vermögen, indem er durch das niedrige schmerzt.
Rührung enthält ebenso wie das Gefühl des Erhabenen zwei Bestandteile, Schmerz und Vergnügen; also hier wie dort liegt der Zweckmäßigkeit eine Zweckwidrigkeit zum Grunde. So scheint es eine Zweckwidrigkeit in der Natur zu sein, daß der Mensch leidet, der doch nicht zum Leiden bestimmt ist, und diese Zweckwidrigkeit tut uns wehe. Aber dieses Wehetun der Zweckwidrigkeit ist zweckmäßig für unsere vernünftige Natur überhaupt und, insofern es uns zur Tätigkeit auffordert, zweckmäßig für die menschliche Gesellschaft. Wir müssen also über die Unlust selbst, welche das Zweckwidrige in uns erregt, notwendig Lust empfinden, weil jene Unlust zweckmäßig ist. Um zu bestimmen, ob bei einer Rührung die Lust oder die Unlust hervorstechen werde, kommt es darauf an, ob die Vorstellung der Zweckwidrigkeit oder die der Zweckmäßigkeit die Oberhand behält. Dies kann nun entweder von der Menge der Zwecke, die erreicht oder verletzt werden, oder von ihrem Verhältnis zu dem letzten Zweck aller Zwecke abhängen.
Das Leiden des Tugendhaften rührt uns schmerzhafter als das Leiden des Lasterhaften, weil dort nicht nur dem allgemeinen Zweck der Menschen, glücklich zu sein, sondern auch dem besondern, daß die Tugend glücklich mache, hier aber nur dem erstern widersprochen wird. Hingegen schmerzt uns das Glück des Bösewichts auch weit mehr als das Unglück des Tugendhaften, weil erstlich das Laster selbst und zweitens die Belohnung des Lasters eine Zweckwidrigkeit enthalten.
Außerdem ist die Tugend weit mehr geschickt, sich selbst zu belohnen, als das glückliche Laster, sich zu bestrafen; eben deswegen
Vorzüglich aber kommt es bei Bestimmung des Verhältnisses der Lust zu der Unlust in Rührungen darauf an, ob der verletzte Zweck den erreichten oder der erreichte den, der verletzt wird, an Wichtigkeit übertreffen. Keine Zweckmäßigkeit geht uns so nah an als die moralische, und nichts geht über die Lust, die wir über diese empfinden. Die Naturzweckmäßigkeit könnte noch immer problematisch sein, die moralische ist uns erwiesen. Sie allein gründet sich auf unsre vernünftige Natur und auf innre Notwendigkeit. Sie ist uns die nächste, die wichtigste und zugleich die erkennbarste, weil sie durch nichts von außen, sondern durch ein innres Prinzip unsrer Vernunft be stimmt wird. Sie ist das Palladium unsrer Freiheit.
Diese moralische Zweckmäßigkeit wird am lebendigsten erkannt, wenn sie im Widerspruch mit andern die Oberhand behält; nur dann erweist sich die ganze Macht des Sittengesetzes, wenn es mit allen übrigen Naturkräften im Streit gezeigt wird und alle neben ihm ihre Gewalt über ein menschliches Herz verlieren. Unter diesen Naturkräften ist alles begriffen, was nicht moralisch ist, alles, was nicht unter der höchsten Gesetzgebung der Vernunft stehet; also Empfindungen, Triebe, Affekte, Leidenschaften so gut als die physische Notwendigkeit und das Schicksal. Je furchtbarer die Gegner, desto glorreicher der Sieg; der Widerstand allein kann die Kraft sichtbar machen. Aus diesem folgt, »daß das höchste Bewußtsein unsrer moralischen Natur nur in einem gewaltsamen Zustande, im Kampfe, erhalten werden kann, und daß das höchste moralische Vergnügen jederzeit von Schmerz begleitet sein wird«.
Diejenige Dichtungsart also, welche uns die moralische Lust in vorzüglichem Grade gewährt, muß sich eben deswegen der gemischten Empfindungen bedienen und uns durch den Schmerz ergötzen. Dies tut vorzugsweise die Tragödie, und ihr Gebiet umfaßt alle mögliche Fälle, in denen irgendeine Naturzweckmäßigkeit einer moralischen oder auch eine moralische Zweckmäßigkeit der andern, die höher ist, aufgeopfert wird. Es wäre vielleicht nicht unmöglich, nach dem Verhältnis, in welchem die moralische Zweckmäßigkeit im Widerspruch mit der andern erkannt und empfunden wird, eine
Wie sehr die Vorstellung der moralischen Zweckmäßigkeit der Naturzweckmäßigkeit in unserm Gemüt vorgezogen werde, wird aus einzelnen Beispielen einleuchtend zu erkennen sein.
Wenn wir Hüon und Amanda an den Marterpfahl gebunden sehen, beide aus freier Wahl bereit, lieber den fürchterlichen Feuertod zu sterben als durch Untreue gegen das Geliebte sich einen Thron zu erwerben – was macht uns wohl diesen Auftritt zum Gegenstand eines so himmlischen Vergnügens? Der Widerspruch ihres gegenwärtigen Zustands mit dem lachenden Schicksale, das sie verschmähten, die anscheinende Zweckwidrigkeit der Natur, welche Tugend mit Elend lohnt, die naturwidrige Verleugnung der Selbstliebe usf. sollten uns, da sie so viele Vorstellungen von Zweckwidrigkeit in unsre Seele rufen, mit dem empfindlichsten Schmerz erfüllen – aber was kümmert uns die Natur mit allen ihren Zwecken und Gesetzen, wenn sie durch ihre Zweckwidrigkeit eine Veranlassung wird, uns die moralische Zweckmäßigkeit in uns in ihrem vollesten Lichte zu zeigen? Die Erfahrung von der siegenden Macht des sittlichen Gesetzes, die wir bei diesem Anblick machen, ist ein so hohes, so wesentliches Gut, daß wir sogar versucht werden, uns mit dem Übel auszusöhnen, dem wir es zu verdanken haben. Übereinstimmung im Reich der Freiheit ergötzt uns unendlich mehr, als alle Widersprüche in der natürlichen Welt uns zu betrüben vermögen.
Wenn Coriolan, von der Gatten- und Kindes- und Bürgerpflicht besiegt, das schon so gut als eroberte Rom verläßt, seine Rache unterdrückt, sein Heer zurückführt und sich dem Haß eines eifersüchtigen Nebenbuhlers zum Opfer dahingibt, so begeht er offenbar eine sehr
Aber das Leiden eines Verbrechers ist nicht weniger tragisch ergötzend als das Leiden des Tugendhaften; und doch erhalten wir hier die Vorstellung einer moralischen Zweckwidrigkeit. Der Widerspruch seiner Handlung mit dem Sittengesetz sollte uns mit Unwillen, die moralische Unvollkommenheit, die eine solche Art zu handeln voraussetzt, mit Schmerz erfüllen; wenn wir auch das Unglück der Schuldlosen nicht einmal in Anschlag brächten, die das Opfer davon werden. Hier ist keine Zufriedenheit mit der Moralität der Personen, die uns für den Schmerz zu entschädigen vermöchte, den wir über ihr Handeln und Leiden empfinden – und doch ist beides ein sehr dankbarer Gegenstand für die Kunst, bei dem wir mit hohem Wohlgefallen verweilen. Es wird nicht schwer sein, diese Erscheinung mit dem bisher Gesagten in Übereinstimmung zu zeigen.
Nicht allein der Gehorsam gegen das Sittengesetz gibt uns die Vorstellung moralischer Zweckmäßigkeit, auch der Schmerz über Verletzung desselben tut es. Die Traurigkeit, welche das Bewußtsein moralischer Unvollkommenheit erzeugt, ist zweckmäßig, weil sie der Zufriedenheit gegenübersteht, die das moralische Rechttun begleitet. Reue, Selbstverdammung, selbst in ihrem höchsten Grad, in der Verzweiflung,
Aber es gibt Fälle, wo das moralische Vergnügen nur durch einen moralischen Schmerz erkauft wird, und dies geschieht, wenn eine
Über keine moralische Erscheinung aber wird das Urteil der Menschen so verschieden ausfallen als gerade über diese, und der Grund
Soviel über das Gefühl der moralischen Zweckmäßigkeit, insofern es der tragischen Rührung und unsrer Lust an dem Leiden zum Grunde liegt. Aber es sind demohngeachtet Fälle genug vorhanden, wo uns die Naturzweckmäßigkeit selbst auf Unkosten der moralischen zu ergötzen scheint. Die höchste Konsequenz eines Bösewichts in Anordnung seiner Maschinen ergötzt uns offenbar, obgleich Anstalten und Zweck unserm moralischen Gefühl widerstreiten. Ein solcher Mensch ist fähig, unsre lebhafteste Teilnahme zu erwecken, und wir zittern vor dem Fehlschlag derselben Plane, deren Vereitlung wir, wenn es wirklich an dem wäre, daß wir alles auf die moralische Zweckmäßigkeit beziehen, aufs feurigste wünschen sollten. Aber auch diese Erscheinung hebt dasjenige nicht auf, was bisher
Zweckmäßigkeit gewährt uns unter allen Umständen Vergnügen, sie beziehe sich entweder gar nicht auf das Sittliche, oder sie widerstreite demselben. Wir genießen dieses Vergnügen rein, solange wir uns keines sittlichen Zwecks erinnern, dem dadurch widersprochen wird. Ebenso, wie wir uns an dem verstandähnlichen Instinkt der Tiere, an dem Kunstfleiß der Bienen u.dgl. ergötzen, ohne diese Naturzweckmäßigkeit auf einen verständigen Willen, noch weniger auf einen moralischen Zweck zu beziehen, so gewährt uns die Zweckmäßigkeit eines jeden menschlichen Geschäfts an sich selbst Vergnügen, sobald wir uns weiter nichts dabei denken als das Verhältnis der Mittel zu ihrem Zweck. Fällt es uns aber ein, diesen Zweck nebst seinen Mitteln auf ein sittliches Prinzip zu beziehen, und entdecken wir alsdann einen Widerspruch mit dem letzten, kurz, erinnern wir uns, daß es die Handlung eines moralischen Wesens ist, so tritt eine tiefe Indignation an die Stelle jenes ersten Vergnügens, und keine noch so große Verstandeszweckmäßigkeit ist fähig, uns mit der Vorstellung einer sittlichen Zweckwidrigkeit zu versöhnen. Nie darf es uns lebhaft werden, daß dieser Richard III., dieser Jago, dieser Lovelace Menschen sind, sonst wird sich unsre Teilnahme unausbleiblich in ihr Gegenteil verwandeln. Daß wir aber ein Vermögen besitzen und auch häufig genug ausüben, unsre Aufmerksamkeit von einer gewissen Seite der Dinge freiwillig abzulenken und auf eine andre zu richten, daß das Vergnügen selbst, welches durch diese Absonderung allein für uns möglich ist, uns dazu einladet und dabei festhält, wird durch die tägliche Erfahrung bestätigt.
Nicht selten aber gewinnt eine geistreiche Bosheit vorzüglich deswegen unsre Gunst, weil sie ein Mittel ist, uns den Genuß der moralischen Zweckmäßigkeit zu verschaffen. Je gefährlicher die Schlingen sind, welche Lovelace Clarissens Tugend legt, je härter die Proben sind, auf welche die erfinderische Grausamkeit eines Despoten die Standhaftigkeit seines unschuldigen Opfers stellt, in desto höherem Glanz sehen wir die moralische Zweckmäßigkeit triumphieren. Wir freuen uns über die Macht des moralischen Pflichtgefühls, welches die Empfindungskraft eines Verführers so sehr in Arbeit setzen kann. Hingegen
Übrigens ist es unwidersprechlich, daß eine zweckmäßige Bosheit nur alsdann der Gegenstand eines vollkommenen Wohlgefallens werden kann, wenn sie vor der moralischen Zweckmäßigkeit zuschanden wird. Dann ist sie sogar eine wesentliche Bedingung des höchsten Wohlgefallens, weil sie allein vermag, die Übermacht des moralischen Gefühls recht einleuchtend zu machen. Es gibt davon keinen überzeugendern Beweis als den letzten Eindruck, mit dem uns der Verfasser der Clarissa entläßt. Die höchste Verstandeszweckmäßigkeit, die wir in dem Verführungsplane des Lovelace unfreiwillig bewundern mußten, wird durch die Vernunftzweckmäßigkeit, welche Clarissa diesem furchtbaren Feind ihrer Unschuld entgegensetzt, glorreich übertroffen, und wir sehen uns dadurch in den Stand gesetzt, den Genuß beider in einem hohen Grad zu vereinigen.
Insoferne sich der tragische Dichter zum Ziel setzt, das Gefühl der moralischen Zweckmäßigkeit zu einem lebendigen Bewußtsein zu bringen, insofern er also die Mittel zu diesem Zwecke verständig wählt und anwendet, muß er den Kenner jederzeit auf eine gedoppelte Art, durch die moralische und durch die Naturzweckmäßigkeit, ergötzen. Durch jene wird er das Herz, durch diese den Verstand befriedigen. Der große Haufe erleidet gleichsam blind die von dem Künstler auf das Herz beabsichtete Wirkung, ohne die Magie zu durchblicken, vermittelst welcher die Kunst diese Macht über ihn ausübte. Aber es gibt eine gewisse Klasse von Kennern, bei denen der Künstler, gerade umgekehrt, die auf das Herz abgezielte Wirkung verliert, deren Geschmack er aber durch die Zweckmäßigkeit der dazu angewandten Mittel für sich gewinnen kann. In diesen sonderbaren Widerspruch artet öfters die feinste Kultur des Geschmacks aus, besonders wo die moralische Veredlung hinter der Bildung des Kopfes zurückbleibt. Diese Art Kenner suchen im Rührenden und Erhabenen nur das Verständige; dieses empfinden und prüfen sie mit dem richtigsten