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Mit lächelnder Rührung überschaut und eröffnet Petrarca die Sammlung seiner ewigen Romanzen. Höflich und schmeichelnd redet der kluge Boccaz am Eingang und am Schluß seines reichen Buchs zu allen Damen. Und selbst der hohe Cervantes, auch als Greis und in der Agonie noch freundlich und voll von zartem Witz, bekleidet das bunte Schauspiel der lebensvollen Werke mit dem kostbaren Teppich einer Vorrede, die selbst schon ein schönes romantisches Gemälde ist.
Hebt eine herrliche Pflanze aus dem fruchtbaren mütterlichen Boden, und es wird sich manches liebevoll daran hängen, was nur einem Kargen überflüssig scheinen kann.
Aber was soll mein Geist seinem Sohne geben, der gleich ihm so arm an Poesie ist als reich an Liebe?
Nur ein Wort, ein Bild zum Abschiede: Nicht der königliche Adler allein darf das Gekrächz der Raben verachten; auch der Schwan ist stolz, und nimmt es nicht wahr. Ihn kümmert nichts, als daß der Glanz seiner weißen Fittiche rein bleibe. Er sinnt nur darauf, sich an den Schoß der Leda zu schmiegen, ohne ihn zu verletzen; und alles was sterblich ist an ihm, in Gesänge auszuhauchen.
Die Menschen und was sie wollen und tun, erschienen mir, wenn ich mich daran erinnerte, wie aschgraue Figuren ohne Bewegung; aber in der heiligen Einsamkeit um mich her war alles Licht und Farbe und ein frischer warmer Hauch von Leben und Liebe wehte mich an und rauschte und regte sich in allen Zweigen des üppigen Hains. Ich schaute und ich genoß alles zugleich, das kräftige Grün, die weiße Blüte und die goldne Frucht. Und so sah ich auch mit dem Auge meines Geistes die Eine ewig und einzig Geliebte in vielen Gestalten, bald als kindliches Mädchen, bald als Frau in der vollen Blüte und Energie der Liebe und der Weiblichkeit, und dann als würdige Mutter mit dem ernsten Knaben im Arm. Ich atmete Frühling, klar sah ich die ewige Jugend um mich und lächelnd sagte ich: Wenn die Welt auch eben nicht die beste oder die nützlichste sein mag, so weiß ich doch, sie ist die schönste. In diesem Gefühle oder Gedanken hätte mich auch nichts stören können, weder allgemeine Zweifel noch eigne Furcht. Denn ich glaubte einen tiefen Blick in das Verborgne der Natur zu tun; ich fühlte, daß alles ewig lebe und daß der Tod auch freundlich sei und nur eine Täuschung. Doch dachte ich daran eigentlich nicht sehr, wenigstens zum Gliedern und Zergliedern der Begriffe war ich nicht sonderlich gestimmt. Aber gern und tief verlor ich mich in alle die Vermischungen und Verschlingungen von Freude und Schmerz, aus denen die Würze des Lebens und die Blüte der Empfindung hervorgeht, die geistige Wollust wie die sinnliche Seligkeit. Ein feines Feuer strömte durch meine Adern; was ich träumte, war nicht etwa bloß ein Kuß, die Umschließung deiner Arme, es war nicht bloß der Wunsch, den quälenden Stachel der Sehnsucht zu brechen und die süße Glut in Hingebung zu kühlen; nicht nach deinen Lippen allein sehnte ich mich, oder nach deinen Augen, oder nach deinem Leibe: sondern es war eine romantische Verwirrung von allen diesen Dingen, ein wundersames Gemisch von den verschiedensten Erinnerungen und Sehnsuchten. Alle Mysterien des weiblichen und des männlichen Mutwillens schienen mich zu umschweben, als mich Einsamen plötzlich deine wahre Gegenwart und der Schimmer der blühenden Freude auf deinem Gesichte vollends entzündete. Witz
Du bist so außerordentlich klug, liebste Lucinde, daß du wahrscheinlich schon längst auf die Vermutung geraten bist, dies alles sei nur ein schöner Traum. So ist es leider auch, und ich würde untröstlich darüber sein, wenn ich nicht hoffen dürfte, daß wir wenigstens einen Teil davon nächstens realisieren könnten. Das Wahre an der Sache ist, daß ich vorhin am Fenster stand; wie lange, das weiß ich nicht recht: denn mit den andern Regeln der Vernunft und der Sittlichkeit ist auch die Zeitrechnung dabei ganz von mir vergessen worden. Also ich stand am Fenster und sah ins Freie; der Morgen verdient allerdings schön genannt zu werden, die Luft ist still und warm genug, auch ist das Grün hier vor mir ganz frisch, und wie sich die weite Ebne bald hebt bald senket, so windet sich der ruhige, breite silberhelle Strom in großen Schwüngen und Bogen, bis er und die Fantasie des Liebenden, die sich gleich dem Schwane auf ihm wiegte, in die Ferne hinziehen und sich in das Unermeßliche langsam verlieren. Den Hain und sein südliches Kolorit verdankt meine Vision wahrscheinlich dem großen Blumenhaufen hier neben mir, unter denen sich eine beträchtliche Anzahl von Orangen befindet. Alles übrige läßt sich leicht aus der Psychologie erklären. Es war Illusion, liebe Freundin, alles Illusion, außer daß ich vorhin am Fenster stand und nichts tat, und daß ich jetzt hier sitze und etwas tue, was auch nur wenig mehr oder wohl gar noch etwas weniger als nichts tun ist.
So weit war an dich geschrieben, was ich mit mir gesprochen hatte, als mich mitten in meinen zarten Gedanken und sinnreichen Gefühlen über den eben so wunderbaren als verwickelten dramatischen Zusammenhang unsrer Umarmungen ein ungebildeter und ungefälliger
Die Auswahl wird mir nicht schwer. Denn da unter den Träumereien, die hier schon, den ewigen Lettern und dir anvertrauet sind, die Erinnerung an die schönste Welt noch das gehaltvollste ist, und noch am ersten eine gewisse Art von Ähnlichkeit mit den sogenannten Gedanken hat: so nehme ich vor allen andern die dithyrambische Fantasie über die schönste Situation. Denn wissen wir erst sicher, daß wir in der schönsten Welt leben: so ist es unstreitig das nächste Bedürfnis uns über die schönste Situation in dieser schönsten Welt durch andre oder durch uns selbst gründlich zu belehren.
Eine große Träne fällt auf das heilige Blatt, welches ich hier statt deiner fand. Wie treu und wie einfach hast du ihn aufgezeichnet, den kühnen alten Gedanken zu meinem liebsten und geheimsten Vorhaben. In dir ist er groß geworden und in diesem Spiegel scheue ich mich nicht, mich selbst zu bewundern und zu lieben. Nur hier sehe ich mich ganz und harmonisch, oder vielmehr die volle ganze Menschheit in mir und in dir. Denn auch dein Geist steht bestimmt und vollendet vor mir; es sind nicht mehr Züge die erscheinen und zerfließen: sondern wie eine von den Gestalten, die ewig dauern, blickt er mich aus hohen Augen freudig an und öffnet die Arme, den meinigen zu umschließen. Die flüchtigsten und heiligsten von jenen zarten Zügen und Äußerungen der Seele, die dem, welcher das Höchste nicht kennt, allein schon Seligkeit scheinen, sind nur die gemeinschaftliche Atmosphäre unsers geistigen Atmens und Lebens.
Die Worte sind matt und trübe; auch würde ich in diesem Gedränge von Erscheinungen nur immer das eine unerschöpfliche Gefühl unsrer ursprünglichen Harmonie von neuem wiederholen müssen. Eine große Zukunft winkt mich eilends weiter ins Unermeßliche hinaus, jede Idee öffnet ihren Schoß und entfaltet sich in unzählige neue Geburten. Die äußersten Enden der zügellosen Lust und der stillen Ahndung leben zugleich in mir. Ich erinnere mich an alles, auch an die Schmerzen, und alle meine ehemaligen und künftigen Gedanken regen sich und stehen wider mich auf. In den geschwollnen Adern tobt das wilde Blut, der Mund durstet nach Vereinigung und unter den vielen Gestalten der Freude wählt und wechselt die Fantasie und findet keine, in der die Begierde sich endlich erfüllen und endlich Ruhe finden könnte. Und dann gedenke ich wieder plötzlich und rührend der dunkeln Zeit, da ich immer wartete, ohne zu hoffen, und heftig liebte, ohne daß ich es wußte; da mein innerstes Wesen sich ganz in unbestimmte Sehnsucht ergoß und sie nur selten in halb unterdrückten Seufzern aushauchte.
Ja! ich würde es für ein Märchen gehalten haben, daß es solche Freude gebe und solche Liebe, wie ich nun fühle, und eine solche Frau, die mir zugleich die zärtlichste Geliebte und die beste Gesellschaft wäre und auch eine vollkommene Freundin. Denn in der Freundschaft besonders suchte ich alles, was ich entbehrte und was ich in keinem weiblichen Wesen zu finden hoffte. In dir habe ich es alles gefunden
Das äußerste Leiden, wenn es uns nur umgäbe, ohne uns zu trennen, würde mir nichts scheinen als ein reizender Gegensatz für den hohen Leichtsinn unsrer Ehe. Warum sollten wir nicht die herbeste Laune des Zufalls für schönen Witz und ausgelassene Willkür nehmen, da wir unsterblich sind wie die Liebe? Ich kann nicht mehr sagen, meine Liebe oder deine Liebe; beide sind sich gleich und vollkommen Eins, so viel Liebe als Gegenliebe. Es ist Ehe, ewige Einheit und Verbindung unsrer Geister, nicht bloß für das was wir diese oder jene Welt nennen, sondern für die eine wahre, unteilbare, namenlose, unendliche Welt, für unser ganzes ewiges Sein und Leben. Darum würde ich auch, wenn es mir Zeit schiene, eben so froh und eben so leicht eine Tasse Kirschlorbeerwasser mit dir ausleeren, wie das letzte Glas Champagner, was wir zusammen tranken, mit den Worten von mir: »So laß uns den Rest unsers Lebens austrinken.« – So sprach und trank ich eilig, ehe der edelste Geist des Weins verschäumte; und so, das sage ich noch einmal, so laß uns leben und lieben. Ich weiß, auch du würdest mich nicht überleben wollen, du würdest dem voreiligen Gemahle auch im Sarge folgen, und aus Lust und Liebe in den flammenden Abgrund steigen, in den ein rasendes Gesetz die indischen Frauen zwingt und die zartesten Heiligtümer der Willkür durch grobe Absicht und Befehl entweiht und zerstört.
Dort wird dann vielleicht die Sehnsucht voller befriedigt. Ich bin oft darüber erstaunt: jeder Gedanke und was sonst gebildet in uns ist, scheint in sich selbst vollendet, einzeln und unteilbar wie eine Person; eines verdrängt das andre, und was eben ganz nah und gegenwärtig war, sinkt bald in Dunkel zurück. Und dann gibt es doch
Weißt du noch, wie der erste Keim dieses Gedankens vor dir in meiner Seele aufsproßte und auch gleich in der deinigen Wurzel faßte? – So schlingt die Religion der Liebe unsre Liebe immer inniger und stärker zusammen, wie das Kind die Lust der zärtlichen Eltern dem Echo gleich verdoppelt.
Nichts kann uns trennen und gewiß würde jede Entfernung mich nur gewaltsamer an dich reißen. Ich denke mir, wie ich bei der letzten Umarmung im Gedränge der heftigen Widersprüche zugleich in Tränen und in Lachen ausbreche. Dann würde ich still werden und in einer Art von Betäubung durchaus nicht glauben, daß ich von dir entfernt sei, bis die neuen Gegenstände um mich her mich wider Willen überzeugten. Aber dann würde auch meine Sehnsucht unaufhaltsam wachsen, bis ich auf ihren Flügeln in deine Arme sänke. Laß auch die Worte oder die Menschen ein Mißverständnis zwischen uns erregen! Der tiefe Schmerz würde flüchtig sein und sich bald in vollkommenere Harmonie auflösen. Ich würde ihn so wenig achten, wie die liebende Geliebte im Enthusiasmus der Wollust die kleine Verletzung achtet.
Wie könnte uns die Entfernung entfernen, da uns die Gegenwart selbst gleichsam zu gegenwärtig ist. Wir müssen ihre verzehrende Glut in Scherzen lindern und kühlen und so ist uns die witzigste unter den Gestalten und Situationen der Freude auch die schönste. Eine unter allen ist die witzigste und die schönste: wenn wir die Rollen vertauschen und mit kindischer Lust wetteifern, wer den andern täuschender nachäffen kann, ob dir die schonende Heftigkeit des Mannes besser gelingt, oder mir die anziehende Hingebung des Weibes. Aber weißt du wohl, daß dieses süße Spiel für mich noch ganz andre Reize hat als seine eignen? Es ist auch nicht bloß die Wollust der Ermattung
Das war die dithyrambische Fantasie über die schönste Situation in der schönsten Welt! Ich weiß noch recht gut, wie du sie damals gefunden und genommen hast. Aber ich glaube auch eben so gut zu wissen, wie du sie hier finden und nehmen wirst; hier in diesem Büchelchen, von dem du mehr treue Geschichte, schlichte Wahrheit und ruhigen Verstand, ja sogar Moral, die liebenswürdige Moral der Liebe erwartest. »Wie kann man schreiben wollen, was kaum zu sagen erlaubt ist, was man nur fühlen sollte?« – Ich antworte: Fühlt man es, so muß man es sagen wollen, und was man sagen will, darf man auch schreiben können.
Ich wollte dir erst beweisen und begründen, es liege ursprünglich und wesentlich in der Natur des Mannes ein gewisser tölpelhafter Enthusiasmus, der gern mit allem Zarten und Heiligen herausplatzt, nicht selten über seinen eignen treuherzigen Eifer ungeschickterweise hinstürzt und mit einem Worte leicht bis zur Grobheit göttlich ist.
Durch diese Apologie wäre ich zwar gerettet, aber vielleicht nur auf Unkosten der Männlichkeit selbst: denn so viel ihr auch im einzelnen von dieser haltet, so habt ihr doch immer viel und vieles wider das Ganze der Gattung. Ich will indessen auf keinen Fall gemeine Sache mit einer solchen Race haben und verteidige oder entschuldige daher meine Freiheit und Frechheit lieber bloß mit dem Beispiele der unschuldigen kleinen Wilhelmine, da sie doch auch eine Dame ist, die ich überdem auf das zärtlichste liebe. Darum will ich sie auch gleich ein wenig charakterisieren.
Betrachtet man das sonderbare Kind nicht mit Rücksicht auf eine einseitige Theorie, sondern wie es sich ziemt, im Großen und Ganzen: so darf man kühnlich von ihr sagen, und es ist vielleicht das beste was
Aber freilich ist Geist, Witz und Originalität bei Kindern gerade so selten wie bei Erwachsenen. Doch alles dies und so vieles andre gehört nicht hieher und würde mich über die Grenzen meines Zweckes führen! Denn diese Charakteristik soll ja nichts darstellen als ein Ideal, welches ich mir stets vor Augen halten will, um in diesem kleinen Kunstwerke schöner und zierlicher Lebensweisheit nie von der zarten Linie des Schicklichen zu verirren, und dir, damit du alle die Freiheiten und Frechheiten, die ich mir noch zu nehmen denke, im voraus verzeihst, oder doch von einem höhern Standpunkte beurteilen und würdigen kannst.
Habe ich etwa unrecht, wenn ich die Sittlichkeit bei Kindern, Zartheit und Zierlichkeit in Gedanken und Worten vornehmlich beim weiblichen Geschlecht suche? –
Und nun sieh! diese liebenswürdige Wilhelmine findet nicht selten ein unaussprechliches Vergnügen darin, auf dem Rücken liegend mit den Beinchen in die Höhe zu gestikulieren, unbekümmert um ihren Rock und um das Urteil der Welt. Wenn das Wilhelmine tut, was darf ich nicht tun, da ich doch bei Gott! ein Mann bin, und nicht zarter zu sein brauche wie das zarteste weibliche Wesen?
O beneidenswürdige Freiheit von Vorurteilen! Wirf auch du sie von dir, liebe Freundin, alle die Reste von falscher Scham, wie ich oft die fatalen Kleider von dir riß und in schöner Anarchie umherstreute. Und sollte dir ja dieser kleine Roman meines Lebens zu wild scheinen: so denke dir, daß er ein Kind sei und ertrage seinen unschuldigen Mutwillen mit mütterlicher Langmut und laß dich von ihm liebkosen.
Wenn du es mit der Wahrscheinlichkeit und durchgängigen Bedeutsamkeit einer Allegorie nicht so gar strenge nehmen und dabei so viel Ungeschicklichkeit im Erzählen erwarten wolltest, als man von den Bekenntnissen eines Ungeschickten fodern muß, wenn das Costum nicht verletzt werden soll: so möchte ich dir hier einen der letzten meiner wachenden Träume erzählen, da er ein ähnliches Resultat gibt wie die Charakteristik der kleinen Wilhelmine.
Sorglos stand ich in einem kunstreichen Garten an einem runden Beet, welches mit einem Chaos der herrlichsten Blumen, ausländischen und inländischen, prangte. Ich sog den würzigen Duft ein und ergötzte mich an den bunten Farben; aber plötzlich sprang ein häßliches Untier mitten aus den Blumen hervor. Es schien geschwollen von Gift, die durchsichtige Haut spielte in allen Farben und man sah die Eingeweide sich winden wie Gewürme. Es war groß genug, um Furcht einzuflößen; dabei öffnete es Krebsscheren nach allen Seiten rund um den ganzen Leib; bald hüpfte es wie ein Frosch, dann kroch es wieder mit ekelhafter Beweglichkeit auf einer unzähligen Menge kleiner Füße. Mit Entsetzen wandte ich mich weg: da es mich aber verfolgen wollte, faßte ich Mut, warf es mit einem kräftigen Stoß auf den Rücken, und sogleich schien es mir nichts als ein gemeiner Frosch. Ich erstaunte nicht wenig, und noch mehr, da plötzlich jemand ganz dicht hinter mir sagte: »Das ist die öffentliche Meinung, und ich bin der Witz; deine falschen Freunde, jene Blumen sind schon alle welk.« – Ich sah mich um und erblickte eine männliche Gestalt mittlerer Größe; die großen Formen des edlen Gesichts waren so ausgearbeitet und übertrieben, wie wir sie oft an römischen Brustbildern sehn. Ein freundliches Feuer strahlte aus den offnen lichten Augen, und zwei große Locken warfen und drängten sich sonderbar auf der kühnen Stirn. »Ich werde ein altes Schauspiel vor dir erneuern,« sprach er: »einige Jünglinge am Scheidewege. Ich selbst habe es der Mühe wert gehalten, sie in müßigen Stunden mit der göttlichen Fantasie zu erzeugen. Es sind die echten Romane, vier an der Zahl und unsterblich wie wir.« – Ich schaute wohin er winkte, und ein schöner Jüngling flog kaum bekleidet über die grüne Ebne. Schon war er fern und ich sah nur noch eben, daß er sich auf ein Roß schwang und davon eilte als wollte er den lauen Abendwind überflügeln und seiner Langsamkeit spotten. Auf dem Hügel zeigte sich ein Ritter in voller Rüstung, groß und hehr von Gestalt, beinah ein Riese: aber die genaue Richtigkeit seines Wuchses und seiner Bildung nebst der treuherzigen Freundlichkeit in seinen bedeutenden Blicken und umständlichen Gebärden gab ihm dennoch eine gewisse altväterische Zierlichkeit. Er neigte sich gegen die untergehende Sonne, ließ sich langsam auf ein Knie nieder und schien mit großer Inbrunst zu beten, die rechte Hand aufs Herz, die linke an der Stirn. Der Jüngling, der zuvor so schnell war, lag nun ganz ruhig am Abhange und sonnte sich in den letzten
Jener ernste sinnliche Jüngling war unterdessen der einsamen Leibesübungen überdrüssig geworden und eilte mit leichten Schritten gerade auf uns zu. Er war nun ganz bekleidet, fast wie ein Schäfer, aber sehr bunt und sonderbar. Er hätte so auf einer Maskerade erscheinen können, auch spielten die Finger seiner Linken mit den Fäden, an denen eine Maske hing. Man hätte den fantastischen Knaben eben so gut für ein mutwilliges Mädchen halten mögen, das sich aus Laune verkleidet. Bisher ging er in gerader Richtung, aber plötzlich wurde er unsicher; er ging erst auf die eine Seite, dann eilte er zurück nach der andern und lachte dabei über sich selbst. »Der junge Mensch weiß nicht, ob er sich zur Frechheit oder zur Delikatesse halten soll,« sagte mein Begleiter. Ich sah zur Linken eine Gesellschaft schöner Frauen und Mädchen; zur Rechten stand eine große allein, und da ich hinsehen wollte nach der gewaltigen Form, begegnete ihr Blick dem meinen so scharf und kühn, daß ich die Augen niederschlug. Mitten unter den Damen war ein junger Mann, den ich sogleich für einen Bruder der andern Romane erkannte. Einer von denen wie man sie gegenwärtig sieht, aber viel gebildeter; seine Gestalt und sein Gesicht war nicht schön, aber fein, sehr verständig und äußerst anziehend. Man hätte ihn eben so gut für einen Franzosen wie für einen Deutschen halten können; seine Kleidung und seine ganze Art war einfach, aber sorgfältig und völlig modern. Er unterhielt die Gesellschaft und schien sich für alle lebhaft zu interessieren. Die Mädchen waren sehr beweglich um die vornehmste Dame und schwatzten viel unter einander. »Ich habe doch noch mehr Gemüt wie du, liebe Sittlichkeit!« sagte die eine; »aber ich heiße auch Seele und zwar die schöne.« Die Sittlichkeit wurde etwas blaß und die Tränen schienen ihr nahe zu sein. »Ich war doch gestern so tugendhaft,« sagte
»Der junge Schwärmer da,« sagte die Delikatesse, »soll mich recht amüsieren; der wird immer schöne Verse auf mich machen. Ich werde ihn in der Ferne halten wie den Ritter. Der Ritter ist freilich schön, wenn er nur nicht so ernsthaft und feierlich aussähe. Der klügste von allen ist wohl der Elegant, der jetzt mit der Bescheidenheit spricht; ich glaube, er persifliert sie. Wenigstens hat er über die Sittlichkeit und ihr fades Gesicht viel Hübsches gesagt. Er hat doch mit mir am meisten gesprochen, und könnte mich wohl einmal verführen, wenn ich mich nicht anders besinne, oder wenn keiner erscheint, der noch mehr nach der Mode ist.« – Der Ritter hatte sich der Gesellschaft nun auch genähert; die linke Hand stützte sich auf den Griff des großen Schwertes, und mit der rechten bot er den Anwesenden höflichen Gruß. – »Ihr seid doch alle gewöhnlich und ich habe Langeweile,« sagte der moderne Mann, gähnte und ging fort. Ich sah nunmehr, daß die Frauen, die ich beim ersten Blick für schön gehalten hatte, eigentlich nur blühend und artig, übrigens aber unbedeutend waren. Sah man genau zu, so fanden sich sogar gemeine Züge und Spuren von Verderbtheit. Die Frechheit schien mir nun weniger hart, ich konnte sie dreist ansehen und mußte es mir mit Verwunderung gestehn, daß ihre Bildung groß und edel sei. Sie ging hastig auf die schöne Seele zu und griff ihr gerade ins Gesicht. »Das ist nur eine Maske,« sagte sie; »du bist nicht die schöne Seele, sondern höchstens die Zierlichkeit, oft auch die Koketterie.« – Dann wandte sie sich zum Witz mit den Worten: »Wenn du die gemacht hast, die man jetzt Romane nennt, so hättest du deine Zeit auch besser anwenden können. Kaum hie und da finde ich in den besten etwas von der leichten Poesie des flüchtigen Lebens: aber wohin ist sie entflohen, die kühne Musik die Zeit ist da, fiel wie eine Flocke von himmlischem Feuer in meine Seele. Es brannte und zehrte in meinem Mark; es drängte und stürmte sich zu äußern. Ich griff nach Waffen, um mich in das Kriegsgetümmel der Leidenschaften, die mit Vorurteilen wie mit Waffen wüten, zu stürzen und für die Liebe und die Wahrheit zu kämpfen: aber es waren keine Waffen da. Ich öffnete den Mund, um sie in Gesang zu verkündigen, und ich dachte, alle Wesen müßten ihn vernehmen und die ganze Welt sollte harmonisch wiederklingen: aber ich besann mich, daß meine Lippen die Kunst nicht gelernt hätten, die Gesänge des Geistes nachzubilden. – »Du mußt das unsterbliche Feuer nicht rein und roh mitteilen wollen,« sprach die bekannte Stimme meines freundlichen Begleiters. »Bilde, erfinde, verwandle und erhalte die Welt und ihre ewigen Gestalten im steten Wechsel neuer Trennungen und Vermählungen. Verhülle und binde den Geist im Buchstaben. Der echte Buchstabe ist allmächtig und der eigentliche Zauberstab. Er ist es, mit dem die unwiderstehliche Willkür der hohen Zauberin Fantasie das erhabene Chaos der vollen Natur berührt, und das unendliche Wort ans Licht ruft, welches ein Ebenbild und Spiegel des göttlichen Geistes ist, und welches die Sterblichen Universum nennen.«
Wie die weibliche Kleidung vor der männlichen, so hat auch der weibliche Geist vor dem männlichen den Vorzug, daß man sich da durch eine einzige kühne Kombination über alle Vorurteile der Kultur und bürgerlichen Konventionen wegsetzen und mit einemmale mitten im Stande der Unschuld und im Schoß der Natur befinden kann.
An wen sollte also wohl die Rhetorik der Liebe ihre Apologie der Natur und der Unschuld richten als an alle Frauen, in deren zarten Herzen das heilige Feuer der göttlichen Wollust tief verschlossen ruht, und nie ganz verlöschen kann, wenn es auch noch so sehr verwahrlost
Wenn dieses tolle kleine Buch einmal gefunden, vielleicht gedruckt, und gar gelesen wird, so muß es auf alle glücklichen Jünglinge ungefähr den gleichen Eindruck machen. Nur verschieden nach den verschiedenen Stufen ihrer Ausbildung. Denen vom ersten Grad wird es die Empfindung des Fleisches erregen; die vom zweiten kann es ganz befriedigen; und denen vom dritten soll bloß warm dabei werden.
Ganz anders würde es mit den Frauen sein. Unter ihnen gibt es keine Ungeweihten; denn jede hat die Liebe schon ganz in sich, von deren unerschöpflichem Wesen wir Jünglinge nur immer ein wenig mehr lernen und begreifen. Schon entfaltet, oder noch im Keime, das ist gleichviel. Auch das Mädchen weiß in ihrer naiven Unwissenheit doch schon alles, noch ehe der Blitz der Liebe in ihrem zarten Schoß gezündet, und die verschloßne Knospe zum vollen Blumenkelch der Lust entfaltet hat. Und wenn eine Knospe Gefühl hätte, würde nicht das Vorgefühl der Blume deutlicher in ihr sein, als das Bewußtsein ihrer selbst? –
Darum gibt es in der weiblichen Liebe keine Grade und Stufen der Bildung, überhaupt nichts allgemeines; sondern so viel Individuen, so viel eigentümliche Arten. Kein Linné kann uns alle diese schönen Gewächse und Pflanzen im großen Garten des Lebens klassifizieren und verderben; und nur der eingeweihte Liebling der Götter versteht ihre wunderbare Botanik; die göttliche Kunst, ihre verhüllten Kräfte und Schönheiten zu erraten und zu erkennen, wann die Zeit ihrer Blüte sei und welches Erdreich sie bedürfen. Da wo der Anfang der Welt oder doch der Anfang der Menschen ist, da ist auch der eigentliche Mittelpunkt der Originalität, und kein Weiser hat die Weiblichkeit ergründet.
Eines zwar scheint die Frauen in zwei große Klassen zu teilen. Das nämlich, ob sie die Sinne achten und ehren, die Natur, sich selbst und die Männlichkeit: oder ob sie diese wahre innere Unschuld verloren haben, und jeden Genuß mit Reue erkaufen, bis zur bittern Gefühllosigkeit gegen innere Mißbilligung. Das ist ja die Geschichte so vieler. Erst scheuen sie die Männer, dann werden sie Unwürdigen hingegeben, welche sie bald hassen oder betrügen, bis sie sich selbst
Aber sind sie unheilbar weil sie ungeheilt sind? Mir ist es so einleuchtend und klar, daß nichts unnatürlicher für eine Frau sei, als Prüderie (ein Laster an das ich nie ohne eine gewisse innerliche Wut denken kann) und nichts beschwerlicher als Unnatürlichkeit, daß ich keine Grenze bestimmen, und keine für unheilbar halten möchte. Ich glaube ihre Unnatur kann nie zuverlässig werden, wenn sie auch noch so viel Leichtigkeit und Unbefangenheit darin erlangt haben, bis zu einem Schein von Konsequenz und Charakter. Es bleibt doch nur Schein; das Feuer der Liebe ist durchaus unverlöschlich, und noch unter der tiefsten Asche glühen Funken.
Diese heilige Funken zu wecken, von der Asche der Vorurteile zu reinigen, und wo die Flamme schon lauter brennt, sie mit bescheidenem Opfer zu nähren; das wäre das höchste Ziel meines männlichen Ehrgeizes. Laß mich's bekennen, ich liebe nicht dich allein, ich liebe die Weiblichkeit selbst. Ich liebe sie nicht bloß, ich bete sie an, weil ich die Menschheit anbete, und weil die Blume der Gipfel der Pflanze und ihrer natürlichen Schönheit und Bildung ist.
Es ist die älteste kindlichste einfachste Religion, zu der ich zurückgekehrt bin. Ich verehre als vorzüglichstes Sinnbild der Gottheit das Feuer; und wo gibts ein schöneres, als das was die Natur tief in die weiche Brust der Frauen verschloß? – Weihe du mich zum Priester, nicht um es müßig zu beschauen, sondern um es zu befreien, zu wecken, und zu reinigen: wo es rein ist, erhält es sich selber, ohne Wache und ohne Vestalinnen.
Ich schreibe und schwärme, wie du siehst, nicht ohne Salbung; aber es geschieht auch nicht ohne Beruf, und zwar göttlichen Beruf. Was darf sich der nicht zutrauen, zu dem der Witz selbst durch eine Stimme vom geöffneten Himmel herab sprach: »Du bist mein lieber Sohn an dem ich Wohlgefallen habe.« – Und warum soll ich nicht aus eigner Vollmacht und Willkür von mir sagen: »Ich bin des Witzes lieber Sohn;« wie mancher Edle, der auf Abenteuer durchs Leben wanderte, von sich sagte: »Ich bin des Glückes lieber Sohn.« –
Verstehen würden mich alle, keine so mißverstehen und so mißbrauchen wie die uneingeweihten Jünglinge. Viele würden mich besser verstehen als ich selbst, aber nur Eine ganz, und die bist du. Alle übrigen hoffe ich wechselweise anzuziehen und abzustoßen, oft zu verletzen und eben so oft zu versöhnen. Bei jeder gebildeten wird der Eindruck ganz verschieden, und ganz eigen sein; so eigen und so verschieden wie ihre eigentümliche Art zu sein, und zu lieben. Clementinen wird das Ganze bloß interessieren als eine Sonderbarkeit, hinter der aber doch wohl etwas sein könnte; einiges indessen wird sie richtig finden. Man nennt sie hart und heftig, und doch glaube ich an ihre Liebenswürdigkeit. Ihre Heftigkeit versöhnt mich mit ihrer Härte, obgleich beide sich dem äußern Anschein nach vermehren. Wäre die Härte allein, so müßte sie Kälte und Mangel an Herz scheinen; die Heftigkeit zeigt, daß heiliges Feuer da ist, was durchbrechen will. Du kannst leicht denken wie sie einem mitspielen würde, den sie im Ernst liebte. Die weiche und verletzbare Rosamunde wird sich eben so oft anneigen als wegwenden, bis »scheue Zartheit kühner wird und nichts als Unschuld sieht in inn'ger Liebe Tun«. Juliane hat eben so viel Poesie als Liebe, eben so viel Enthusiasmus als Witz: aber beides ist zu isoliert in in ihr, darum wird sie bisweilen über das kühne Chaos weiblich erschrecken, und dem Ganzen etwas mehr Poesie und etwas weniger Liebe wünschen.
Ich könnte so noch lange fortfahren, denn ich strebe aus allen Kräften nach Menschenkenntnis, und ich weiß meine Einsamkeit oft nicht würdiger anzuwenden, als indem ich darüber reflektiere, wie diese oder jene interessante Frau in diesem oder jenem interessanten Verhältnisse wohl sein und sich verhalten dürfte. Doch genug für jetzt, sonst möchte es dir zu viel werden, und die Vielseitigkeit deinem Propheten übel geraten.
Denke nur nicht so arg von mir und glaube, daß ich nicht allein für dich sondern für die Mitwelt dichte. Glaube mir, es ist mir bloß um die Objektivität mei ner Liebe zu tun. Diese Objektivität und jede Anlage zu ihr bestätigt und bildet ja eben die Magie der Schrift, und weil es mir versagt ist, meine Flamme in Gesänge auszuhauchen,
»Sieh ich lernte von selbst, und ein Gott hat mancherlei Weisen mir in die Seele gepflanzt.« So darf ich kühnlich sagen, wenn nicht von der fröhlichen Wissenschaft der Poesie die Rede ist, sondern von der gottähnlichen Kunst der Faulheit. Mit wem sollte ich also lieber über den Müßiggang denken und reden als mit mir selbst? Und so sprach ich denn auch in jener unsterblichen Stunde, da mir der Genius eingab, das hohe Evangelium der echten Lust und Liebe zu verkündigen, zu mir selbst: »O Müßiggang, Müßiggang! du bist die Lebensluft der Unschuld und der Begeisterung; dich atmen die Seligen, und selig ist wer dich hat und hegt, du heiliges Kleinod! einziges Fragment von Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradiese blieb.« Ich saß, da ich so in mir sprach, wie ein nachdenkliches Mädchen in einer gedankenlosen Romanze am Bach, sah den fliehenden Wellen nach. Aber die Wellen flohen und flossen so gelassen, ruhig und sentimental, als sollte sich ein Narcissus in der klaren Fläche bespiegeln und sich in schönen Egoismus berauschen. Auch mich hätte sie locken können, mich immer tiefer in die innere Perspektive meines Geistes zu verlieren, wenn nicht meine Natur so uneigennützig und so praktisch wäre, daß sogar meine Spekulation unaufhörlich nur um das allgemeine Gute besorgt ist. Daher dachte ich auch, ungeachtet mein Gemüt in seiner Behaglichkeit so matt war, wie die von der gewaltigen Hitze aufgelösten und hingesunknen Glieder, ernstlich über die Möglichkeit einer dauernden Umarmung nach. Ich sann auf Mittel das Beisammensein zu verlängern, und künftig lieber alle kindlich rührenden Elegien über plötzliche Trennung zu verhüten, als uns wie bisher an dem Komischen einer solchen Fügung des Schicksals zu ergötzen, weil es nun doch einmal geschehen und unabänderlich sei.
Gleich einem Weisen des Orients war ich ganz versunken in ein heiliges Hinbrüten und ruhiges Anschauen der ewigen Substanzen, vorzüglich der deinigen und der meinigen. Größe in Ruhe, sagen die Meister, sei der höchste Gegenstand der bildenden Kunst; und ohne es deutlich zu wollen, oder mich unwürdig zu bemühen, bildete und dichtete ich auch unsre ewigen Substanzen in diesem würdigen Styl. Ich erinnerte mich, und ich sah uns, wie gelinder Schlaf die Umarmten mitten in der Umarmung umfing. Dann und wann öffnete einer die Augen, lächelte über den süßen Schlaf des andern und wurde wach genug um ein scherzendes Wort, eine Liebkosung zu beginnen: aber noch ehe der angefangene Mutwille geendigt war, sanken wir beide fest verschlungen in den seligen Schoß einer halbbesonnenen Selbstvergessenheit zurück.
Mit dem äußersten Unwillen dachte ich nun an die schlechten Menschen, welche den Schlaf vom Leben subtrahieren wollen. Sie haben wahrscheinlich nie geschlafen, und auch nie gelebt. Warum sind denn die Götter Götter, als weil sie mit Bewußtsein und Absicht nichts tun, weil sie das verstehen und Meister darin sind? Und wie streben die Dichter, die Weisen und die Heiligen auch darin den Göttern ähnlich zu werden! Wie wetteifern sie im Lobe der Einsamkeit, der Muße, und einer liberalen Sorglosigkeit und Untätigkeit! Und mit großem Recht: denn alles Gute und Schöne ist schon da und erhält sich durch seine eigne Kraft. Was soll also das unbedingte Streben und Fortschreiten ohne Stillstand und Mittelpunkt? Kann
Endlich wo ist mehr Genuß, und mehr Dauer, Kraft und Geist des Genusses; bei den Frauen, deren Verhältnis wir Passivität nennen, oder etwa bei den Männern, bei denen der Übergang von übereilender Wut zur Langenweile schneller ist, als der Übergang vom Guten zum Bösen?
In der Tat man sollte das Studium des Müßiggangs nicht so sträflich vernachlässigen, sondern es zur Kunst und Wissenschaft, ja zur Religion bilden! Um alles in Eins zu fassen: je göttlicher ein Mensch oder ein Werk des Menschen ist, je ähnlicher werden sie der Pflanze; diese ist unter allen Formen der Natur die sittlichste, und die schönste. Und also wäre ja das höchste vollendetste Leben nichts als ein reines Vegetieren.
Ich nahm mir vor, mich zufrieden im Genuß meines Daseins über alle doch endliche, und also verächtliche Zwecke und Vorsätze zu erheben. Die Natur selbst schien mich in diesem Unternehmen zu
Du bist doch allein Lucinde? – Ich weiß nicht... vielleicht... ich glaube – Bitte, bitte! liebe Lucinde. Weißt du wohl wenn die kleine Wilhelmine, Bitte, bitte! sagt, und man tut's nicht gleich, so schreit sie's immer lauter und ernsthafter, bis ihr Wille geschieht. – Also das hast du mir sagen wollen, darum stürzest du so außer Atem ins Zimmer und hast mich so erschreckt? – Sei nicht böse, süßes Weib! o laß mich, mein Kind! du Schöne! mach mir keine Vorwürfe, gutes Mädchen! – Nun, wirst du noch nicht bald sagen: schließ die Türen zu? – So?... Gleich will ich dir antworten. Nur erst einen recht langen Kuß, und wieder einen, dann noch einige und viele andre mehr. – O, du mußt mich nicht so küssen wenn ich vernünftig bleiben soll. Das macht böse Gedanken. – Die verdienst du. Kannst du wirklich lachen, meine verdrießliche Dame? Wer hätte das denken sollen! aber ich weiß wohl, du lachst bloß weil du mich auslachen kannst. Aus Lust tust du es nicht. Denn wer sah nur eben so ernsthaft aus wie ein römischer Senator? Recht entzückend hättest du aussehen können, liebes Kind! mit deinen heiligen dunklen Augen, mit deinen langen schwarzen Haaren im glänzenden Widerschein der
Pharao zu spielen mit dem Anscheine der heftigsten Leidenschaft und doch zerstreut und abwesend zu sein; in einem Augenblick von Hitze alles zu wagen und sobald es verloren war, sich gleichgültig wegzuwenden: das war nur eine von den schlimmen Gewohnheiten, unter denen Julius seine wilde Jugend verstürmte. Diese eine ist genug, den Geist eines Lebens zu schildern, welches in der Fülle der empörten Kräfte selbst den unvermeidlichen Keim eines frühen Verderbens enthielt. Eine Liebe ohne Gegenstand brannte in ihm und zerrüttete sein Innres. Bei dem geringsten Anlaß brachen die Flammen der Leidenschaft aus; aber bald schien diese aus Stolz oder aus Eigensinn ihren Gegenstand selbst zu verschmähen, und wandte sich
Bei diesem Charakter mußte er oft in der geselligsten und fröhlichsten Gesellschaft einsam sein, und er fand sich eigentlich am wenigsten allein, wenn niemand bei ihm war. Dann berauschte er sich in Bildern der Hoffnung und Erinnerung und ließ sich absichtlich von seiner eignen Fantasie verführen. Jeder seiner Wünsche stieg mit unermeßlicher Schnelligkeit und fast ohne Zwischenraum von der
Noch war er nicht ganz verdorben als im Schoß der einsamen Wünsche ein heiliges Bild der Unschuld in seine Seele blitzte. Ein Strahl von Verlangen und Erinnerung traf und entzündete sie und dieser gefährliche Traum war entscheidend für sein ganzes Leben.
Er gedachte an ein edles Mädchen, mit dem er in ruhigen glücklichen Zeiten der frischen Jugend aus reiner kindlicher Zuneigung freundlich und fröhlich getändelt hatte. Da er der erste war, welcher sie durch sein Interesse an ihr reizte, so wandte auch das liebliche Kind ihre junge Seele nach ihm hin, wie sich die Blume zum Licht der Sonne neigt. Daß sie kaum reif und noch an der Grenze der Kindheit war, reizte sein Verlangen nur um so unwiderstehlicher. Sie zu besitzen, schien ihm das höchste Gut; er war entschlossen alles zu wagen und glaubte nicht ohne das leben zu können. Dabei verabscheute er die entfernteste Erinnerung an bürgerliche Verhältnisse, wie jede Art von Zwang.
Er eilte zurück in ihre Nähe und fand sie ausgebildeter, aber noch eben so edel und eigen, so sinnig und stolz wie ehedem. Was ihn noch mehr reizte als ihre Liebenswürdigkeit, waren die Spuren von tiefem Gefühl. Sie schien nur fröhlich und leichtfertig durchs Leben zu schwärmen wie über eine blumenreiche Ebne, und verriet doch seinem aufmerksamen Auge die entschiedenste Anlage zu einer grenzenlosen Leidenschaftlichkeit. Ihre Neigung, ihre Unschuld und ihr verschwiegenes und verschlossenes Wesen boten ihm leicht Mittel dar, sie allein zu sehen, und die Gefahr, die damit verbunden war,
Indessen wurde er nicht müde zu hoffen und zu beobachten. Einst überraschte er sie, als sie es am wenigsten erwartete. Sie war schon lange allein gewesen und mochte sich ihrer Fantasie und einer unbestimmten Sehnsucht mehr als gewöhnlich überlassen haben. Da er dies gewahr ward, wollte er den Augenblick, der vielleicht nie wieder käme, nicht verscherzen und geriet durch die plötzliche Hoffnung selbst in einen Taumel von Begeisterung. Ein Strom von Bitten, von Schmeicheleien und von Sophismen floß von seinen Lippen. Er bedeckte sie mit Liebkosungen und er geriet außer sich vor Entzücken, da das liebenswürdige Köpfchen endlich an seine Brust sank, wie sich die zu volle Blume an ihrem Stengel senket. Ohne Zurückhaltung schmiegte sich die schlanke Gestalt um ihn, die seiednen Locken der goldnen Haare flossen über seine Hand, mit zärtlicher Sehnsucht öffnete sich die Knospe des schönen Mundes, und aus den frommen dunkelblauen Augen strahlte und schmachtete ein ungewohntes Feuer. Sie setzte den kühnsten Liebkosungen nur noch schwachen Widerstand entgegen. Bald hörte auch dieser auf, sie ließ plötzlich ihre Arme sinken, und alles war ihm hingegeben, der zarte jungfräuliche Leib und die Früchte des jungen Busens. Aber in demselben Augenblick brach ein Strom von Tränen aus ihren Augen, und die bitterste Verzweiflung entstellte ihr Gesicht. Julius erschrak heftig; nicht sowohl über die Tränen, aber er kam nun mit einem Male zur vollen Besinnung. Er dachte an alles was vorhergegangen war, und was nun folgen würde; an das Opfer vor ihm und an das arme Schicksal der Menschen. Da überlief ihn ein kalter Schauder, ein leiser Seufzer stahl sich aus tiefer Brust über seine Lippen. Er verschmähte sich selbst von der Höhe seines eignen Gefühls, und vergaß die Gegenwart und seine Absicht in Gedanken von allgemeiner Sympathie.
Der Augenblick war versäumt. Er suchte nur das gute Kind zu trösten und zu besänftigen, und eilte mit Abscheu von dem Orte hinweg, wo er den Blütenkranz der Unschuld mutwillig hatte zerreißen wollen. Er wußte wohl, daß mancher seiner Freunde, der noch
So lebte er von neuem eine Zeit auf die alte Weise in einem Wechsel von Schwermut und Ausgelassenheit. Der einzige Freund, der Kraft und Ernst genug hatte, ihn trösten und beschäftigen zu können und auf dem Wege zum Verderben einzuhalten, war weit entfernt, und seine Sehnsucht also auch von dieser Seite unbefriedigt. Heftig streckte er einst die Arme nach ihm aus, als müsse er nun endlich da sein, und trostlos ließ er sie wieder sinken, nachdem er lange vergeblich gewartet. Er vergoß keine Träne, aber sein Geist fiel in eine Agonie von hoffnungsloser Wehmut, aus der er sich nur zu neuen Torheiten ermannte.
Er freute sich laut, da er im Glanz der prachtvollen Morgensonne auf die Stadt zurücksah, die er schon als Kind geliebt und wo er nur noch eben so ganz lebte, und die er nun auf immer zu verlassen hoffte. Er atmete schon das frische Leben der neuen Heimat, die ihn in der Fremde erwarten sollte, und deren Bilder er schon mit Heftigkeit liebte.
Er fand bald einen andern reizenden Wohnort, wo ihn zwar nichts fesselte, aber doch vieles anzog. Alle seine Kräfte und Neigungen wurden rege durch die neuen Gegenstände; ohne Zweck und Maß in seinem Innern, nahm er teil an allem Äußern, was nur irgend merkwürdig war, und ließ sich überall ein.
Da er auch in diesem Geräusch bald Leerheit und Überdruß empfand, so kehrte er oft zurück zu seinen einsamen Träumen und wiederholte das alte Gewebe seiner unbefriedigten Wünsche. Eine Träne entfiel ihm über sich selbst, da er einst im Spiegel sah, wie trübe und stechend das Feuer der unterdrückten Liebe aus seinem dunkeln Auge brannte und wie sich unter wilden schwarzen
So verwirrte er sich immer tiefer in die Intrigen einer schlechten Gesellschaft und was ihm noch übrig blieb von Zeit und Kraft in dem Wirbel der Zerstreuungen, wandte er auf ein Mädchen, die er so sehr als möglich allein zu besitzen strebte, obgleich er sie unter denen gefunden hatte, die beinah öffentlich sind. Was sie ihm so interessant machte, war nicht allein das weshalb sie allgemein gesucht und gleichsam berühmt war, ihre seltne Gewandtheit und unerschöpfliche Mannichfaltigkeit in allen verführerischen Künsten der Sinnlichkeit. Ihr naiver Witz überraschte ihn mehr und reizte ihn am meisten, wie die hellen Funken von rohem tüchtigem Verstand, vorzüglich aber ihre entschiedne Manier und ihr konsequentes Betragen. Mitten im Stande der äußersten Verderbtheit zeigte sie eine Art von Charakter; sie war voll von Eigenheiten und ihr Egoismus nicht im gemeinen Stil. Nächst der Unabhängigkeit liebte sie nichts so unmäßig wie das Geld, aber sie wußte es zu brauchen. Dabei war sie billig gegen jeden, der nicht sehr reich war und selbst gegen die andern treuherzig in ihrer Habsucht und ohne Ränke. Sie schien ganz sorgenlos nur in der Gegenwart zu leben und war doch immer auf die Zukunft bedacht. Sie
Der Eindruck, den diese überraschende Tragödie auf den reizbaren Jüngling machte, war unauslöschlich, und brannte durch seine eigne Kraft immer tiefer. Die erste Folge von Lisettens Ruin war, daß er ihr Andenken mit schwärmerischer Achtung vergötterte. Er verglich ihre hohe Energie mit den nichtswürdigen Intrigen der Dame, die ihn verstrickt hatte, und sein Gefühl mußte laut entscheiden, daß jene sittlicher und weiblicher sei: denn diese Kokette gab nie eine kleine oder große Gunst ohne Nebenabsicht; und doch ward sie von aller Welt geachtet und bewundert, wie so viele andre, die ihr gleichen. Darüber widersetzte sich sein Verstand mit Heftigkeit allen falschen und allen wahren Meinungen, die man über die weibliche Tugend hat. Es war Grundsatz bei ihm, die gesellschaftlichen Vorurteile, welche er bisher nur vernachlässigte, nun ausdrücklich zu verachten. Er gedachte an die zarte Louis, die beinah ein Raub seiner Verführung geworden wäre und er erschrak. Denn auch Lisette war von guter Familie, früh gefallen, entführt und in der Fremde verlassen, zu stolz gewesen umzukehren, und durch die erste Erfahrung so belehrt wie andre nicht durch die letzte. Mit schmerzlichem Vergnügen
Diese Ausnahme von dem, was Julius für gewöhnlich hielt beim weiblichen Geschlecht, war zu einzig und die Umgebung, in der er sie fand, zu unrein, als daß er dadurch zu einer wahren Ansicht hätte gelangen können. Vielmehr trieb ihn sein Gefühl, sich fast ganz von den Frauen und von den Gesellschaften, wo sie den Ton angeben, zurück zu ziehen. Er fürchtete seine Leidenschaftlichkeit und warf seinen ganzen Sinn auf die Freundschaft mit Jünglingen, die wie er der Begeisterung fähig waren. Diesen ergab er sein Herz, nur sie waren für ihn wahrhaft wirklich, die übrige Menge gemeiner Schattenwesen freute er sich zu verachten. Mit Leidenschaft und mit Spitzfindigkeit stritt er innerlich und grübelte über seine Freunde, über ihre verschiedenen Vorzüge und Verhältnisse zu ihm. Er erhitzte sich in seinen eigenen Gedanken und Gesprächen und war berauscht von Stolz und von Männlichkeit. Auch glühten sie alle von edler Liebe, unentwickelt schlummerte hier manche große Kraft, und sie sagten nicht selten in rohen aber treffenden Worten erhabene Dinge über die Wunder der Kunst, über den Wert des Lebens und über das Wesen der Tugend und Selbstständigkeit. Vorzüglich aber über die Göttlichkeit der männlichen Freundschaft, die Julius zum eigentlichen Geschäft seines Lebens zu machen gesonnen war. Er hatte viele Verbindungen, und war unersättlich immer neue zu knüpfen. Jeden Mann, der ihm interessant erschien, suchte er, und ruhte nicht, bis er ihn gewonnen und die Zurückhaltung des andern durch seine jugendliche Zudringlichkeit und Zuversicht besiegt hatte. Es läßt sich denken, daß er, der sich eigentlich alles erlaubt hielt und sich selbst über das Lächerliche wegsetzen konnte, eine andre Schicklichkeit im Sinne und vor Augen hatte als die, welche allgemein gilt.
In dem Gefühl und Umgang des einen Freundes fand er mehr als weibliche Schonung und Zartheit bei erhabenem Verstande und fest gebildetem Charakter. Ein zweiter brannte mit ihm in edlem Unwillen über das schlechte Zeitalter und wollte etwas Großes wirken. Der liebenswürdige Geist des dritten war noch ein Chaos von Andeutungen: aber er hatte zarten Sinn für alles und ahndete die Welt. Den einen verehrte er als seinen Meister in der Kunst würdig zu leben. Den andern dachte er als seinen Jünger und wollte sich nur vor der
Es waren große Gegenstände, nach denen sie mit Ernst strebten. Indessen blieb es bei hohen Worten und vortrefflichen Wünschen. Julius kam nicht weiter und ward nicht klarer, er handelte nicht und er bildete nichts. Ja er vernachlässigte seine Kunst fast nie mehr, als da er sich und seine Freunde mit Projekten überströmte von allen Werken, die er vollbringen wollte, und die ihm im Augenblick der ersten Begeisterung schon fertig schienen. Die wenigen Anwandlungen von Nüchternheit, die ihm noch übrig blieben, erstickte er in Musik, die für ihn ein gefährlicher, bodenloser Abgrund von Sehnsucht und Wehmut war, in den er sich gern und willig versinken sah.
Diese innere Gärung hätte heilsam sein können, und aus der Verzweiflung wäre endlich Ruhe und Festigkeit hervorgegangen, und er wäre klar geworden über sich selbst. Aber die Wut der Unbefriedigung zerstückte seine Erinnerung, er hatte nie weniger eine Ansicht vom Ganzen seines Ich. Er lebte nur in der Gegenwart, an der er mit durstigen Lippen hing, und vertiefte sich ohne Ende in jeden unendlich kleinen und doch unergründlichen Teil der ungeheuren Zeit, als müsse es nun in diesem endlich zu finden sein, was er schon so lange suche. Diese Wut der Unbefriedigung mußte ihn bald mit seinen Freunden selbst verstimmen und entzweien, von denen die meisten bei den herrlichsten Anlagen ebenso untätig und mit sich uneins waren wie er. Dieser schien ihn nicht zu verstehn, jener bewunderte nur seinen Geist, äußerte aber Mißtrauen gegen sein Herz und tat ihm wirklich unrecht. Da hielt er seine innerste Ehre gekränkt und fühlte sich von geheimem Haß zerrissen. Er überließ sich diesem Gefühl ohne Scheu, denn er glaubte, nur wen man achten müsse, dürfe man hassen, und nur Freunde könnten einer dem andern das zarteste Gefühl so tief verletzen. Der eine Jüngling war durch eigne Schuld zu Grunde gegangen; der andre fing gar an selbst gewöhnlich zu werden. Mit einem dritten war sein Verhältnis verstimmt und fast gemein geworden. Es war ganz geistig gewesen, und so hätte es auch bleiben sollen. Aber eben weil es so zart war, mußte mit der feinsten Blüte alles verloren gehn, als die Gelegenheit es gab, daß einer dem andern Dienste leistete. Da gerieten sie in Wettstreite von Großmut und Dankbarkeit und fingen endlich an, in der geheimsten Tiefe der Seele irdische Foderungen an sich zu machen und zu vergleichen.
An sich selbst dachte er nicht, nur dann und wann überfiel ihn ein klares Gefühl, er werde plötzlich zu Grunde gehn. Die Reue unterdrückte er durch Stolz, und die Gedanken und Bilder des Selbstmordes waren ihm schon in seiner frühsten jugendlichen Schwermut so geläufig gewesen, daß sie den Reiz der Neuheit für ihn verloren hatten. Einen solchen Entschluß auszuführen, wäre er sehr fähig gewesen, wenn er nur überhaupt zu einem Entschluß hätte kommen können. Es schien ihm kaum der Mühe wert, weil er doch nicht hoffen wollte, der Langeweile des Daseins und dem Eckel über das Schicksal auf diesem Wege zu entfliehn. Er verachtete die Welt und alles, und war stolz darauf.
Auch diese Krankheit wie alle vorigen heilte und vernichtete der erste Anblick einer Frau die einzig war, und die seinen Geist zum erstenmal ganz und in der Mitte traf. Seine bisherigen Leidenschaften spielten nur auf der Oberfläche, oder es waren vorübergehende Zustände ohne Zusammenhang. Jetzt ergriff ihn ein neues unbekanntes Gefühl, daß dieser Gegenstand allein der rechte, und dieser Eindruck ewig sei. Der erste Blick schon entschied, beim zweiten wußte er's, und sagte sich's, daß es nun gekommen, und wirklich da sei, was er
Diese Größe der Seele war die Seite, von der Julius im Anfange seiner Leidenschaft ihr Wesen am meisten ergriff, weil diese zu dem Ernst derselben am besten stimmte. Sein ganzes Wesen war gleichsam von der Oberfläche zurückgetreten nach dem Innern; er versank in eine allgemeine Verschlossenheit und floh den Umgang der Menschen. Rauhe Felsen waren seine liebste Gesellschaft, am Gestade des einsamen Meeres hing er seinen Gedanken nach, und ging zu Rate mit sich selbst, und wenn das Sausen des Windes in den hohen Tannen rauschte, so wähnte er, die mächtigen Wogen tief unter ihm wollten sich aus Teilnahme und Mitleiden ihm nähern, und schwermütig blickte er den fernen Schiffen nach und der sinkenden Sonne. Dieser Ort war sein Liebling, er ward ihm durch die Erinnerung zu einer heiligen Heimat aller Schmerzen und Entschlüsse.
Die Vergötterung seiner erhabenen Freundin wurde für seinen Geist ein fester Mittelpunkt und Boden einer neuen Welt. Hier schwanden alle Zweifel, in diesem wirklichen Gute fühlte er den Wert des Lebens und ahndete die Allmacht des Willens. Er stand in Wahrheit auf frischem Grün einer kräftigen mütterlichen Erde, und ein neuer Himmel wölbte sich unermeßlich über ihm im blauen Äther. Er erkannte in sich den hohen Beruf zur göttlichen Kunst, er schalt seine Trägheit, daß er noch so weit zurück sei in der Bildung und zu weichlich gewesen war zu jeder gewaltigen Anstrengung. Er ließ sich nicht in müßige Verzweiflung sinken, sondern er folgte der weckenden
So litt und lebte er viele Jahre, und wer ihn sah, hielt ihn für älter als er war. Was er bildete, war groß gedacht und in altem Stil, aber der Ernst war abschreckend, die Formen fielen ins Ungeheure, das Antike ward ihm zu einer harten Manier, und seine Gemälde blieben bei aller Gründlichkeit und Einsicht steif und steinern. Es war vieles zu loben, nur die Anmut fehlte; und darin glich er seinen Werken. Sein Charakter war rein gebrannt im Leiden göttlicher Liebe und glänzte in heller Kraft, aber er war spröde und starr wie echter Stahl. Er war aus Kälte ruhig, und nur dann geriet er in Aufruhr, wenn ihn eine hohe Wildnis der einsamen Natur mehr als gewöhnlich reizte, wenn er seiner entfernten Freundin treuen Bericht gab von dem Kampf seiner Bildung und dem Ziel aller Arbeit, oder wenn ihn die Begeisterung für die Kunst in Gegenwart andrer überraschte, daß nach langem Schweigen einige geflügelte Worte aus seinem innersten Gemüt brachen. Doch das geschah nur selten, denn er nahm so wenig Anteil an den Menschen als an sich selbst. Über ihr Glück und ihr Beginnen konnte er nur freundlich lächeln und er glaubte es ihnen aufs Wort, wenn er bemerkte, wie sie ihn unliebend und unliebenswürdig fanden.
Doch schien ihn eine edle Frau etwas zu bemerken und vorzuziehn. Ihr feiner Geist und ihr zartes Gefühl zog ihn lebhaft an, da sie noch durch den Reiz einer liebenswürdigen und dabei sonderbaren Gestalt und durch ein Auge voll stiller Schwermut erhöht wurden. Aber so oft er herzlicher werden wollte, ergriff ihn das alte Mißtrauen und die gewohnte Kälte. Er sah sie häufig und konnte sich nie äußern, bis auch dieser Strom von Gefühl zurückfloß in das innere Meer allgemeiner Begeisterung. Selbst die Gebieterin des Herzens trat in ein heiliges Dunkel zurück, und würde ihm fern geblieben sein, wenn er sie wiedergesehn hätte.
Das einzige was ihn milder und wärmer stimmte, war der Umgang mit einer anderen Frau, die er als Schwester ehrte und liebte,
Die Natur belohnte endlich die mütterliche Tugend der vortrefflichen Frau und es keimte, da sie es kaum hoffte, ein neues Leben unter ihrem treuen Herzen. Das erfüllte den Jüngling, der so sehr an ihr hing und an ihrem häuslichen Glücke den wärmsten Anteil nahm, mit lebhafter Freude: aber es regte vieles in ihm an, was lange geschwiegen hatte.
Da nun einige seiner künstlerischen Versuche auch in seiner Brust ein neues Zutrauen weckten, und ihn der erste Beifall großer Meister aufmunterte; da ihn die Kunst an neue sehenswürdige Orte und unter fremde fröhliche Menschen führte: so erweichte sich sein Gefühl und floß mächtig, wie ein großer Strom, wenn das Eis schmilzt und bricht, und die Wogen mit neuer Kraft sich durch die alte Bahn reißen.
Er war verwundert sich wieder ausgelassen und fröhlich in der Gesellschaft der Menschen zu fühlen. Seine Denkart war männlich und rauh, aber sein Herz in der Einsamkeit wieder kindlich und schüchtern geworden. Er sehnte sich nach einer Heimat und dachte an eine schöne Ehe, die mit den Foderungen der Kunst nicht streiten sollte. War er dann unter der Blüte junger Mädchen, so fand er leicht eine oder mehrere von ihnen liebenswürdig. Heiraten, meinte er, wolle er sie gleich, wenn er sie schon nicht lieben könne. Denn der Begriff und selbst der Name der Liebe war ihm überheilig und blieb ganz in der Ferne. Bei solchen Gelegenheiten lächelte er dann über die scheinbare Beschränktheit seiner augenblicklichen Wünsche und fühlte wohl, wie unermeßlich viel ihm noch fehlen möchte, wenn sie durch einen Zauberschlag sogleich erfüllt würden. Ein anderesmal lachte er lauter über seine alte Heftigkeit nach so langem Enthalten, da ihm eine schnelle Gelegenheit einen frischen Genuß anbot, und sein Gemüt durch einen Roman, der in wenigen Minuten angefangen, vollendet und beschlossen war, wenigstens von einigem Brennstoff befreite und erleichterte.
Einem sehr gebildeten Mädchen gefiel er, weil er ihr seelenvolles Gespräch und ihren schönen Geist mit sichtbarer Innigkeit bewunderte, und ihr, ohne eine Schmeichelei auszusprechen, bloß durch die Art seines Umgangs huldigte, so gut, daß sie ihm nach und nach alles erlaubte, außer das letzte. Und selbst diese Grenze setzte sie ihm nicht aus Kälte, noch aus Vorsicht und Grundsatz: denn sie war reizbar genug, sie hatte eine starke Anlage zum Leichtsinn und lebte in den freisten Verhältnissen. Es war weiblicher Stolz und Scheu vor dem, was sie für tierisch und roh hielt. So wenig nun ein solches Beginnen ohne Vollendung nach Julius Sinne war, und obgleich er über die kleine Einbildung des Mädchens lächeln mußte, wenn er bei diesem verkehrten und verkünstelten Wesen an das Schaffen und Wirken der allmächtigen Natur, an ihre ewigen Gesetze, an die Hoheit und Größe der Mutterwürde, und an die Schönheit des Mannes dachte, den in der Fülle der Gesundheit und Liebe die Begeisterung des Lebens ergreift, oder des Weibes, das sich ihr hingibt: so freute er sich doch bei dieser Gelegenheit zu sehn, daß er den Sinn für zarten und feinen Genuß noch nicht verloren habe.
Bald aber vergaß er diese und andre ähnliche Kleinigkeiten, da er eine junge Künstlerin traf, welche das Schöne gleich ihm leidenschaftlich verehrte, die Einsamkeit und Natur ebenso zu lieben schien. In ihren Landschaften sah und fühlte man den lebendigen Hauch
Lucinde hatte einen entschiednen Hang zum Romantischen, er fühlte sich betroffen über die neue Ähnlichkeit und er entdeckte immer mehrere. Auch sie war von denen, die nicht in der gemeinen Welt leben, sondern in einer eignen selbstgedachten und selbstgebildeten. Nur was sie von Herzen liebte und ehrte, war in der Tat wirklich für sie, alles andre nichts; und sie wußte was Wert hat. Auch sie hatte mit kühner Entschlossenheit alle Rücksichten und alle Bande zerrissen und lebte völlig frei und unabhängig.
Die wunderbare Gleichheit zog den Jüngling bald in ihre Nähe, er bemerkte, daß auch sie diese Gleichheit fühle, und beide nahmen es gewahr, daß sie sich nicht gleichgültig wären. Es war noch nicht lange daß sie sich sahen und Julius wagte nur einzelne abgerißne Worte, die bedeutend aber nicht deutlich waren. Er sehnte sich mehr von ihren Schicksalen und ihrem ehemaligen Leben zu wissen, worüber sie gegen andre sehr geheimnisvoll war. Ihm gestand sie nicht ohne gewaltsame Erschütterung, sie sei schon Mutter gewesen von einem schönen starken Knaben, den ihr der Tod bald wieder entrissen. Auch er erinnerte sich an die Vergangenheit und sein Leben ward ihm, indem er es ihr erzählte, zum erstenmal zu einer gebildeten Geschichte. Wie freute sich Julius, da er mit ihr über Musik herrliche Frau! als die fatale Gesellschaft unerwartet hereintrat.
Nun hatte sie ihm nach seinen Begriffen eigentlich schon alles gewährt; es war ihm nicht möglich zu künsteln an einem Verhältnis, das er sich so rein und groß dachte, und doch war ihm jede Zögerung unerträglich. Von einer Gottheit, dachte er, begehrt man nicht erst das, was man nur als Übergang und Mittel denkt, sondern man bekennt sogleich mit Offenheit und Zuversicht das Ziel aller Wünsche. So bat auch er sie mit der unschuldigsten Unbefangenheit um alles, was man eine Geliebte bitten kann, und stellte ihr in einem Strome von Beredsamkeit dar, wie seine Leidenschaftlichkeit ihn zerstören würde, wenn sie zu weiblich sein wollte. Sie war nicht wenig überrascht, aber sie ahndete wohl, daß er nach der Hingebung liebender und treuer sein würde wie vorher. Sie konnte keinen Entschluß fassen, und überließ es nur den Umständen, die es so fügten, wie es gut war. Sie waren nur wenige Tage allein, als sie sich ihm auf ewig ergab und ihm die Tiefe ihrer großen Seele öffnete, und alle Kraft, Natur und Heiligkeit, die in ihr war. Auch sie lebte lange in gewaltsamer Verschlossenheit, und nun brachen zwischen den Umarmungen in Strömen der Rede das zurückgedrängte Zutrauen und die Mitteilung mit einemmale hervor aus dem innersten Gemüt. In einer Nacht wechselten sie mehr als einmal heftig zu weinen und laut zu lachen. Sie waren ganz hingegeben und eins und doch war jeder ganz er selbst, mehr als sie es noch je gewesen waren, und jede Äußerung war voll vom tiefsten Gefühl und eigensten Wesen. Bald ergriff sie eine unendliche Begeisterung, bald tändelten und scherzten sie mutwillig und Amor war hier wirklich, was er so selten ist, ein fröhliches Kind.
Durch das, was seine Freundin ihm offenbart hatte, ward es dem Jünglinge klar, daß nur ein Weib recht unglücklich sein kann und recht
Indessen floß die Zeit und die Freude wuchs. Julius fand in Lucindens Armen seine Jugend wieder. Die üppige Ausbildung ihres schönen Wuchses war für die Wut seiner Liebe und seiner Sinne reizender, wie der frische Reiz der Brüste und der Spiegel eines jungfräuliches Leibes. Die hinreißende Kraft und Wärme ihrer Umschließung war mehr als mädchenhaft; sie hatte einen Anhauch von Begeisterung und Tiefe, den nur eine Mutter haben kann. Wenn er sie im Zauberschein einer milden Dämmerung hingegossen sah, konnte er nicht aufhören, die schwellenden Umrisse schmeichelnd zu berühren, und durch die zarte Hülle der ebnen Haut die warmen Ströme des feinsten Lebens zu fühlen. Sein Auge indessen berauschte sich an der Farbe die sich durch die Wirkung der Schatten vielfach zu verändern schien und doch immer eine und dieselbe blieb. Eine reine Mischung, wo nirgends Weiß oder Braun oder Rot allein abstach oder sich roh zeigte. Das alles war verschleiert und verschmolzen zu einem einzigen harmonischen Glanz von sanftem Leben. – Auch Julius war männlich schön, aber die Männlichkeit seiner Gestalt offenbarte sich nicht in der hervorgedrängten Kraft der Muskeln. Vielmehr waren die Umrisse sanft, die Glieder voll und rund, doch war nirgends ein Überfluß. In hellem Licht bildete die Oberfläche überall breite Massen und der glatte Körper schien dicht und fest wie Marmor, und in den Kämpfen der Liebe entwickelte sich mit einemmale der ganze Reichtum seiner kräftigen Bildung.
Sie erfreuten sich des jugendlichen Lebens, Monate vergingen wie Tage und mehr als zwei Jahre waren vorüber. Nun ward Julius erst allmählich inne, wie groß seine Ungeschicklichkeit sei und sein Mangel
Überhaupt schien es vorherbestimmt, daß jede Begebenheit seines Lebens ihn durch ein sonderbares Ende überraschen solle. Nichts zog ihn anfangs so sehr an, und hatte ihn so mächtig getroffen, als die Wahrnehmung, daß Lucinde von ähnlichem ja gleichem Sinn und Geist mit ihm selbst war, und nun mußte er von Tage zu Tage neue Verschiedenheiten entdecken. Zwar gründeten sich selbst diese nur auf eine tiefere Gleichheit, und je reicher ihr Wesen sich entwickelte, je vielseitiger und inniger ward ihre Verbindung. Er hatte es nicht geahndet, daß ihre Originalität so unerschöpflich war wie ihre Liebe. Ihr Aussehn sogar schien jugendlicher und blühender in seiner Gegenwart; und so blühte auch ihr Geist durch die Berührung des seinigen auf und bildete sich in neue Gestalten und in neue Welten. Er glaubte alles in ihr vereinigt zu besitzen, was er sonst einzeln geliebt hatte: die schöne Neuheit des Sinnes, die hinreißende Leidenschaftlichkeit, die bescheidne Tätigkeit und Bildsamkeit und den großen Charakter. Jedes neue Verhältnis, jede neue Ansicht war für sie ein neues Organ der Mitteilung und Harmonie. Wie der Sinn für einander, wuchs auch der Glauben an einander, und mit dem Glauben stieg der Mut und die Kraft.
Sie teilten ihre Neigung zur Kunst und Julius vollendete einiges. Seine Gemälde belebten sich, ein Strom von beseelendem Licht schien sich darüber zu ergießen und in frischer Farbe blühte das wahre Fleisch. Badende Mädchen, ein Jüngling der mit geheimer Lust sein Ebenbild im Wasser anschaut, oder eine holdselig lächelnde Mutter mit dem geliebten Kinde im Arm waren beinah die höchsten Gegenstände seines Pinsels. Die Formen selbst entsprachen vielleicht nicht immer den angenommenen Gesetzen einer künstlichen Schönheit. Was sie dem Auge empfahl, war eine gewisse stille Anmut, ein tiefer Ausdruck von ruhigem heitern Dasein und von Genuß dieses Daseins. Es schienen beseelte Pflanzen in der gottähnlichen Gestalt des Menschen. Eben diesen liebenswürdigen Charakter hatten auch seine Umarmungen, in deren Verschiedenheit er unerschöpflich war.
Wie seine Kunst sich vollendete und ihm von selbst in ihr gelang, was er zuvor durch kein Streben und Arbeiten erringen konnte: so ward ihm auch sein Leben zum Kunstwerk, ohne daß er eigentlich wahrnahm, wie es geschah. Es ward Licht in seinem Innern, er sah und übersah alle Massen seines Lebens und den Gliederbau des Ganzen klar und richtig, weil er in der Mitte stand. Er fühlte, daß er diese Einheit nie verlieren könne, das Rätsel seines Daseins war gelöst, er hatte das Wort gefunden, und alles schien ihm dazu vorherbestimmt und von den frühsten Zeiten darauf angelegt, daß er es in der Liebe finden sollte, zu der er sich aus jugendlichem Unverstand ganz ungeschickt geglaubt hatte.
Leicht und melodisch flossen ihnen die Jahre vorüber, wie ein schöner Gesang, sie lebten ein gebildetes Leben, auch ihre Umgebung ward harmonisch und ihr einfaches Glück schien mehr ein seltnes Talent als eine sonderbare Gabe des Zufalls. Julius hatte auch sein äußeres Betragen verändert; er war geselliger, und obgleich er viele ganz verwarf, um sich mit wenigen desto inniger zu verbinden, so unterschied er doch nicht mehr so hart, wurde vielseitiger und lernte das Gewöhnliche veredeln. Er zog allmählich manche vorzügliche Menschen an sich, Lucinde verband und erhielt das Ganze und so entstand eine freie Gesellschaft, oder vielmehr eine große Familie, die sich durch ihre Bildung immer neu blieb. Auch vorzügliche Ausländer erhielten den Zutritt. Julius sprach seltner mit ihnen, aber Lucinde wußte sie gut zu unterhalten; und zwar so, daß ihre groteske Allgemeinheit und ausgebildete Gemeinheit zugleich die andern ergötzte, und weder ein Stillstand noch ein Mißlaut in der geistigen Musik erregt ward, deren Schönheit eben in der harmonischen Mannichfaltigkeit und Abwechselung bestand. Neben dem großen, ernsten Styl in der Kunst der Geselligkeit sollte auch jede nur reizende Manier und flüchtige Laune ihre Stelle darin finden.
Eine allgemeine Zärtlichkeit schien Julius zu beseelen, nicht ein nützendes oder mitleidendes Wohlwollen an der Menge, sondern eine anschauende Freude über die Schönheit des Menschen, der ewig
Ich versetze mich gern in den Frühling unsrer Liebe; ich sehe alle die Veränderungen und Verwandlungen, ich lebe sie noch einmal, und ich möchte wenigstens einige von den leisen Umrissen des entfliehenden Lebens ergreifen und zu einem bleibenden Bilde gestalten, jetzt da es noch voller warmer Sommer in mir ist, ehe auch das vorüber und es auch dazu zu spät wird. Wir Sterblichen sind, so wie wir hier sind, nur die edelsten Gewächse dieser schönen Erde. Die Menschen vergessen das so leicht, höchlich mißbilligen sie die ewigen Gesetze der Welt und wollen die geliebte Oberfläche durchaus im Mittelpunkte wieder finden. Nicht also du und ich. Wir sind dankbar und zufrieden mit dem was die Götter wollen und was sie in der heiligen Schrift der schönen Natur so klar angedeutet haben. Das bescheidne Gemüt erkennt es, daß es auch seine wie aller Dinge natürliche Bestimmung sei, zu blühen, zu reifen und zu welken. Aber es weiß, daß eines doch in ihm unvergänglich sei. Dieses ist die ewige Sehnsucht nach der ewigen Jugend, die immer da ist und immer entflieht. Noch klaget die zärtliche Venus um den Tod des holden Adonis in jeder schönen Seele. Mit süßem Verlangen erwartet und sucht sie? den Jüngling, mit zarter Wehmut erinnert sie sich an die himmlischen Augen des Geliebten, an die sanften Züge und an die kindlichen Gespräche und Scherze, und lächelt dann eine Träne, hold errötend, auch sich nun unter den Blumen der bunten Erde zu erblicken.
Andeuten will ich dir wenigstens in göttlichen Sinnbildern, was ich nicht zu erzählen vermag. Denn wie ich auch die Vergangenheit überdenke, und in mein Ich zu dringen strebe, um die Erinnerung in klarer Gegenwart anzuschauen und dich anschauen zu lassen: es
Es war nicht ohne Grund, daß der fantastische Knabe, der mir am meisten gefiel unter den vier unsterblichen Romanen, die ich im Traum sah, mit der Maske spielt. Auch in dem was reine Darstellung und Tatsache scheint, hat sich Allegorie eingeschlichen, und unter die schöne Wahrheit bedeutende Lügen gemischt. Aber nur als geistiger Hauch schwebt sie beseelend über die ganze Masse, wie der Witz, der unsichtbar mit seinem Werke spielt und nur leise lächelt.
Es gibt Dichtungen in der alten Religion, die selbst in ihr einzig schön, heilig und zart erscheinen. Die Poesie hat sie so fein und reich gebildet und umgebildet, daß ihre schöne Bedeutsamkeit unbestimmt geblieben ist, und immer neue Deutungen und Bildungen erlaubt. Unter diesen habe ich, um dir einiges von dem anzudeuten, was ich über die Metamorphosen des liebenden Gemüts ahnde, die gewählt, von denen ich glaubte, der Gott der Harmonie könnte sie, nachdem ihn die Liebe vom Himmel auf die Erde geführt und ihn zum Hirten gemacht, den Musen erzählt oder doch von ihnen angehört haben. Damals an den Ufern des Amphrysos hat er auch, wie ich glaube, die Idylle und die Elegie ersonnen.
In süßer Ruhe schlummert der kindliche Geist und der Kuß der liebenden Göttin erregt ihm nur leichte Träume. Die Rose der Scham färbt seine Wange, er lächelt und scheint die Lippen zu öffnen, aber er erwacht nicht, und er weiß nicht was in ihm vorgeht. Erst nachdem der Reiz des äußern Lebens, durch ein innres Echo vervielfältigt und verstärkt, sein ganzes Wesen überall durchdrungen hat, schlägt er das Auge auf, frohlockend über die Sonne, und erinnert sich jetzt an die
So schaut das Auge in dem Spiegel des Flusses nur den Widerschein des blauen Himmels, die grünen Ufer, die schwankenden Bäume und die eigne Gestalt des in sich selbst versunkenen Betrachters. Wenn ein Gemüt voll unbewußter Liebe da, wo es Gegenliebe hoffte, sich selbst findet, wird es von Erstaunen getroffen. Doch bald läßt sich der Mensch wieder durch den Zauber der Anschauung locken und täuschen, seinen Schatten zu lieben. Dann ist der Augenblick der Anmut gekommen, die Seele bildet ihre Hülle noch einmal, und atmet den letzten Hauch der Vollendung durch die Gestalt. Der Geist verliert sich in seiner klaren Tiefe und findet sich wie Narcissus als Blume wieder.
Liebe ist höher als Anmut und wie bald würde die Blüte der Schönheit fruchtlos welken ohne die ergänzende Bildung der Gegenliebe!
Dieser Augenblick, der Kuß des Amor und der Psyche ist die Rose des Lebens. – Die begeisterte Diotima hat ihrem Sokrates nur die Hälfte der Liebe offenbart. Die Liebe ist nicht bloß das stille Verlangen nach dem Unendlichen; sie ist auch der heilige Genuß einer schönen Gegenwart. Sie ist nicht bloß eine Mischung, ein Übergang vom Sterblichen zum Unsterblichen, sondern sie ist eine völlige Einheit beider. Es gibt eine reine Liebe, ein unteilbares und einfaches Gefühl ohne die leiseste Störung von unruhigem Streben. Jeder gibt dasselbe was er nimmt, einer wie der andre, alles ist gleich und ganz und in sich vollendet wie der ewige Kuß der göttlichen Kinder.
Durch die Magie der Freude zerfließt das große Chaos streitender Gestalten in ein harmonisches Meer der Vergessenheit. Wenn der Strahl des Glücks sich in der letzten Träne der Sehnsucht bricht, schmückt Iris schon die ewige Stirn des Himmels mit den zarten Farben ihres bunten Bogens. Die lieblichen Träume werden wahr, und schön wie Anadyomene heben sich aus den Wogen des Lethe die reinen Massen einer neuen Welt und entfalten ihren Gliederbau in die Stelle der verschwundnen Finsternis. In goldner Jugend und Unschuld wandelt die Zeit und der Mensch im göttlichen Frieden der Natur, und ewig kehrt Aurora schöner wieder.
Ist es denn wahr und wirklich, was ich so oft in der Stille wünschte und nicht zu äußern wagte? – Ich sehe das Licht einer heiligen Freude auf deinem Antlitz lächeln, und bescheiden gibst du mir die schöne Verheißung.
Du wirst Mutter sein! –
Lebe wohl Sehnsucht und du leise Klage, die Welt ist wieder schön, jetzt liebe ich die Erde, und die Morgenröte eines neuen Frühlings hebt ihr rosenstrahlendes Haupt über mein unsterbliches Dasein. Wenn ich Lorbeern hätte, würde ich sie um deine Stirn flechten, um dich einzuweihen zu neuem Ernst und zu neuer Tätigkeit; denn auch für dich beginnt nun ein anderes Leben. Dafür gib du mir den Myrthenkranz. Es steht mir wohl an, mich jugendlich zu schmücken mit dem Sinnbilde der Unschuld, da ich im Paradiese der Natur wandle. Was vorher war zwischen uns, ist nur Liebe gewesen und Leidenschaft. Nun hat uns die Natur inniger verbunden, ganz und unauflöslich. Die Natur allein ist die wahre Priesterin der Freude; nur sie versteht es, ein hochzeitliches Band zu knüpfen. Nicht durch eitle Worte ohne Segen, sondern durch frische Blüten und lebendige Früchte aus der Fülle ihrer Kraft. Im endlosen Wechsel neuer Gestalten flicht die bildende Zeit den Kranz der Ewigkeit, und heilig ist der Mensch, den das Glück berührt, daß er Früchte trägt und gesund ist. Wir sind nicht etwa taube Blüten unter den Wesen, die Götter wollen
Du hast recht, das kleine Landgut müssen wir durchaus kaufen. Es ist gut, daß du gleich die Anstalten getroffen hast, ohne auf meine Entscheidung zu warten. Richte alles ein, wie es dir gefällt; nur nicht gar zu schön, wenn ich bitten darf, aber auch nicht zu nützlich und vor allen Dingen nicht zu weitläuftig.
Wenn du nur alles ganz nach deinem eignen Sinn machst, und dir nichts einreden läßt von Gewöhnlichem und Schicklichem, so wird es schon recht sein, wie es sein muß und wie ich's wünsche, und ich werde eine herrliche Freude haben über das schöne Eigentum. Was ich sonst brauchte, hatte ich gedankenlos und ohne Gefühl von Besitz. Leichtsinnig lebte ich über die Erde weg, und war nicht einheimisch auf ihr. Nun hat das Heiligtum der Ehe mir das Bürgerrecht im Stande der Natur gegeben. Ich schwebe nicht mehr im leeren Raum einer allgemeinen Begeisterung, ich gefalle mir in der freundlichen Beschränkung, ich sehe das Nützliche in einem neuen Lichte und finde alles wahrhaft nützlich, was irgend eine ewige Liebe mit ihrem Gegenstande vermählt, kurz alles was zu einer echten Ehe dient. Die äußerlichen Dinge selbst flößen mir Hochachtung ein, wenn sie in ihrer Art tüchtig sind, und du wirst am Ende noch frohlockende Lobreden auf den Wert eines eignen Herdes und über die Würde der Häuslichkeit von mir hören.
Ich verstehe jetzt deine Vorliebe fürs Landleben, ich liebe sie an dir, und ich fühle wie du. Ich mag sie gar nicht mehr sehn, diese unbeholfnen Klumpen von allem was verderbt und krank ist in der Menschheit; und wenn ich sie im allgemeinen denken will, erscheinen sie mir wie wilde Tiere an der Kette, die nicht einmal frei wüten können. Auf dem Lande können die Menschen doch noch beisammen
Freilich werden wir auch auf dem Lande die Gemeinheit wieder finden, die noch überall herrscht. Es sollte eigentlich nur zwei Stände unter den Menschen geben, den bildenden und den gebildeten, den männlichen und den weiblichen, und statt aller künstlichen Gesellschaft eine große Ehe dieser beiden Stände, und allgemeine Brüderschaft aller einzelnen. Statt dessen sehen wir nur eine Unzahl von Rohheit, und als unbedeutende Ausnahme einige die durch Mißbildung verkehrt sind! Aber in der freien Luft kann doch das einzelne, was schön und gut ist, nicht so erdrückt werden durch die schlechte Masse und durch den Schein ihrer Allmacht.
Weißt du, welche Zeit unsrer Liebe mir besonders schön glänzt? – Zwar ist mir alles schön und rein in der Erinnerung, und auch an die ersten Tage denke ich mit wehmütigem Entzücken. Aber das Werteste unter allem Werten sind mir doch die letzten Tage, die wir zusammen auf dem Gute lebten. – Ein neuer Grund, um wieder auf dem Lande zu wohnen!
Noch eins. Laß mir die Weinreben nicht zu sehr beschneiden. Ich schreibe dies nur, weil du sie gar zu wild und üppig fandest, und weil es dir einfallen möchte, das kleine Haus von allen Seiten durchaus sauber vor dir zu sehn. Auch der grüne Rasenplatz muß bleiben wie er ist. Darauf soll das Kleine sein Wesen treiben, kriechen, spielen und sich wälzen.
Nicht wahr, der Schmerz, den dir mein trauriger Brief erregt hat, ist völlig vergütet? Ich kann mich in allen diesen Herrlichkeiten und im Taumel der Hoffnung nicht länger mit Sorge quälen. Mehr Schmerz als ich hast du nicht dabei empfunden. Aber was liegt daran, wenn du mich liebst, wirklich liebst, so recht im Innersten, ohne einen Hinterhalt von Fremdem. Welcher Schmerz wäre der Rede wert, wenn wir damit ein tieferes, heißeres Bewußtsein unsrer Liebe gewinnen? Auch du bist so gesinnt. Alles was ich dir da sage, wußtest du lange. Überhaupt ist kein Entzücken und keine Liebe in mir, die nicht schon in irgend einer Tiefe deines Wesens verborgen läge, du Unendliche und Glückliche!
Und woher entstehen solche kleine Abstoßungen als aus der gegenseitigen Unersättlichkeit im Lieben und Geliebtwerden? Ohne diese Unersättlichkeit gibt's keine Liebe. Wir leben und lieben bis zur Vernichtung. Und wenn die Liebe es ist, die uns erst zu wahren vollständigen Menschen macht, das Leben des Leben ist, so darf auch sie wohl die Widersprüche nicht scheuen, so wenig wie das Leben und die Menschheit; so wird auch ihr Frieden nur auf den Streit der Kräfte folgen.
Ich fühle mich glücklich, daß ich eine Frau liebe, die so wie du lieben kann. So wie du ist ein größeres Wort als alle Superlative. – Wie kannst du nur meine Worte loben, da ich, ohne es zu wollen, welche traf, die dich so verletzen mußten? Ich möchte sagen, ich schreibe zu gut, um dir sagen zu können, wie mir im innersten Gemüt ist. Ach Liebe! glaube es nur, daß keine Frage in dir ohne Antwort in mir ist. Deine Liebe kann nicht ewiger sein als die meinige. – Köstlich ist aber deine schöne Eifersucht auf meine Fantasie und ihre Wutbeschreibungen. Das bezeichnet recht die Grenzenlosigkeit deiner Treue, läßt aber doch hoffen, daß deine Eifersucht nahe daran sei, in ihrem eignen Übermaß sich selbst zu zernichten.
Es bedarf nun dieser Art von Fantasie – der geschriebenen – nicht mehr. Ich werde bald bei dir sein. Ich bin heiliger, ruhiger wie sonst. Ich kann dich im Geiste nur anblicken und stets vor dir stehn. Du fühlst alles ohne daß ich's sage, und glühst freudig halb den geliebten Mann halb das Kind im Herzen.
Weißt du noch, wie ich dir schrieb, keine Erinnerung könne dich mir entweihen, du seist ewig rein wie die heilige Jungfrau von unbeflecktem Empfängnis, und nichts fehle dir zur Madonna wie das Kind?
Nun hast du es, nun ist es da und wirklich. Bald trage ich ihn auf dem Arm, bald erzähle ich ihm Märchen, bald unterrichte ich ihn sehr ernsthaft, bald gebe ich ihm gute Lehren, wie der junge Mensch sich in der Welt zu betragen hat.
Wenn wir nur erst wieder beisammen sind, wollen wir unsrer Jugend ganz eingedenk sein, und ich will die Gegenwart heilig halten. Wohl hast du recht: Eine Stunde später ist unendlich viel später.
Es ist hart, daß ich eben jetzt nicht bei dir sein kann! Ich beginne aus Ungeduld viel Närrisches. Ich streife fast von Morgen bis Abend umher in der herrlichen Gegend; ich eile als ob es wunder wie notwendig wäre, und gerate endlich an einen Ort, wohin ich am wenigsten wollte. Ich gebärde mich als ob ich heftige Reden hielte; ich glaube allein zu sein und bin plötzlich unter Menschen; und muß dann lächeln, wenn ich bemerke, wie abwesend ich war. Auch schreiben kann ich nicht lange und will nur bald wieder hinaus, den schönen Abend an den Ufern des ruhigen Stroms zu verträumen.
Heute habe ich unter andern auch vergessen, daß es Zeit war, den Brief abzusenden. Dafür erhälst du nun desto mehr Verwirrung und Freude.
Die Menschen sind wirklich sehr gut mit mir. Sie verzeihn es mir nicht nur, daß ich so oft keinen Teil nehme und dann mit einemmale ihr Gespräch auf eine sonderbare Art unterbreche: sie scheinen sich sogar in der Stille an meiner Freude herzlich zu freuen. Besonders Juliane. Ich sage ihr nur weniges von dir, aber sie hat viel Sinn dafür und errät das übrige. Es gibt doch nichts Liebenswürdigeres als das reine uneigennützige Wohlgefallen an der Liebe!
Ich glaube freilich, ich würde jetzt meine Freunde hier lieben, wenn sie auch weniger vortreffliche Menschen wären. Ich fühle eine große Veränderung in meinem Wesen: eine allgemeine Weichheit und süße Wärme in allen Vermögen der Seele und des Geistes, wie die schöne Ermattung der Sinne die auf das höchste Leben folgt.
Und doch ist's nichts weniger als Weichlichkeit. Vielmehr weiß ich, daß ich alles was meines Berufs ist, von nun an mit größerer Liebe und frischer Kraft treiben werde. Ich fühlte nie mehr Zuversicht und
Das ist meine Tugend; so ziemt es mir, den Göttern ähnlich zu werden. Die deinige ist es, gleich der Natur als Priesterin der Freude das Geheimnis der Liebe leise zu offenbaren und in der Mitte würdiger Söhne und Töchter das schöne Leben zu einem heiligen Fest zu weihen.
Ich mache mir oft Sorge über deine Gesundheit. Du kleidest dich gar zu leicht und liebst die Abendluft! Das sind gefährliche Gewohnheiten, die du wie manche andre ablegen mußt.
Denke, daß eine neue Ordnung der Dinge für dich beginnt. Bisher hieß ich deinen Leichtsinn schön, weil er an der Zeit war und zum Ganzen stimmte. Ich fand es weiblich, wenn du mit dem Glück scherzen, und alle Rücksichten zerreißen und ganze Massen deines Lebens oder deiner Umgebung vernichten konntest.
Nun ist aber etwas da, worauf du immer Rücksicht nehmen, worauf du alles beziehen wirst. Nun mußt du dich allmählich zur Ökonomie bilden, versteht sich im allegorischen Sinn.
In diesem Brief geht alles recht bunt durcheinander, wie im menschlichen Leben Gebet und Essen, Schelmerei und Entzücken. Nun gute Nacht. – Ach warum kann ich nicht wenigstens im Traume bei dir sein, wirklich mit dir und in dir träumen! Denn wenn ich bloß von dir träume, ist's doch immer nur allein. – Du willst wissen, warum du nicht von mir träumst, da du doch so viel an mich denkst? Liebe! schweigst du nicht auch oft lange über mich?
Amaliens Brief hat mir große Freude gemacht. Freilich seh' ich aus dem schmeichelnden Ton, daß sie mich nicht von den Männern ausnimmt, die der Schmeichelei bedürfen. Ich verlange das auch gar nicht. Es wäre unbillig zu fordern, daß sie meinen Wert auf unsre Weise anerkennen soll. Genug, daß eine mich ganz kennt! – Sie Anbetung ist? Ich zweifle daran und bedaure sie, wenn sie es nicht weiß. Du nicht auch?
Heute fand ich in einem französischen Buche von zwei Liebenden den Ausdruck: »Sie waren einer dem andern das Universum« –
Wie fiel mir's auf, rührend und zum Lächeln, daß, was da so gedankenlos stand, bloß als eine Figur der Übertreibung, in uns buchstäblich wahr geworden sei!
Eigentlich ist's zwar auch für so eine französische Passion buchstäblich wahr. Sie finden das Universum einer in dem andern, weil sie den Sinn für alles andre verlieren.
Nicht so wir. Alles, was wir sonst liebten, lieben wir nun noch wärmer. Der Sinn für die Welt ist uns erst recht aufgegangen. Du hast durch mich die Unendlichkeit des menschlichen Geistes kennen gelernt, und ich habe durch dich die Ehe und das Leben begriffen, und die Herrlichkeit aller Dinge.
Alles ist beseelt für mich, spricht zu mir und alles ist heilig. Wenn man sich so liebt wie wir, kehrt auch die Natur im Menschen zu ihrer ursprünglichen Göttlichkeit zurück. Die Wollust wird in der einsamen Umarmung der Liebenden wieder, was sie im großen Ganzen ist – das heiligste Wunder der Natur; und was für andre nur etwas ist, dessen sie sich mit Recht schämen müssen, wird für uns wieder, was es an und für sich ist, das reine Feuer der edelsten Lebenskraft.
Drei Dinge wird unser Kind gewiß haben: viel Mutwillen, ein ernsthaftes Gesicht und etwas Anlage zur Kunst. Alles andre erwarte ich mit stiller Ergebung. Sohn oder Tochter, darüber kann ich keinen bestimmten Wunsch haben. Aber über die Erziehung habe ich schon unsäglich viel gedacht, nämlich, wie wir unser Kind vor aller Erziehung sorgfältig bewahren wollen; vielleicht mehr als drei vernünftige Väter denken und sorgen, um ihre Nachkommenschaft gleich von der Wiege in lauter Sittlichkeit einzuschnüren.
Ich habe einige Entwürfe gemacht, die dir gefallen werden. Auf dich ist sehr dabei gerechnet. Nur mußt du die Kunst nicht vernachlässigen! – Würdest du für deine Tochter, wenn es eine Tochter wäre, lieber das Portrait oder die Landschaft wählen? –
Nun rühmst du dich noch gar, daß du immer innerlich an mich schriebst und ich nur oft, du Sylbenstecherin! Erstlich denke ich immer so an dich, wie du es beschreibst, daß ich neben dir gehe, dich sehe, höre, spreche. Dann aber auch noch anders, besonders wenn ich des Nachts aufwache.
Wie kannst du nur an der Würdigkeit und Göttlichkeit deiner Briefe zweifeln! Der letzte blickt und leuchtet aus hellen Augen; es ist nicht Schrift sondern Gesang. –
Ich glaube wenn ich noch einige Monate fern von dir wäre, würde dein Styl sich völlig ausbilden. Indessen finde ich es doch ratsamer, daß wir den Styl und das Schreiben nun lassen und die schönsten und höchsten Studien nicht länger aussetzen, und ich bin so ziemlich entschlossen, in acht Tagen schon zu reisen.
Es ist sonderbar, daß der Mensch sich nicht vor sich selbst fürchtet. Die Kinder haben recht, daß sie so neugierig und doch so bange in die Gesellschaft der unbekannten Geister hineinblicken. Jeder einzelne Atom der ewigen Zeit kann eine Welt von Freude fassen, aber sich auch zu einem unermeßlichen Abgrund von Leiden und Schrecken öffnen. Ich begreife nun das alte Märchen von dem Manne, welchen ein Zauberer in wenigen Augenblicken viele Jahre durchleben ließ: denn ich habe die furchtbare Allmacht der Fantasie an mir selbst erfahren.
Seit dem letzten Briefe deiner Schwester – es sind nun drei Tage – habe ich die Schmerzen eines ganzen Menschenlebens gefühlt, von dem Sonnenlicht der glühenden Jugend, bis zum blassen Mondschein des weißen Alters.
Ich dachte es mir gar nicht als noch künftig oder als geschehe es jetzt. Alles war vergangen; schon lange warst du im Schoß der kühlen Erde verhüllt, Blumen keimten allmählich auf dem geliebten Grabe, und meine Tränen flossen schon milder. Stumm und einsam stand ich und sah nichts als die geliebten Züge und die süßen Blitze der sprechenden Augen. Unbeweglich blieb dieses Bild vor mir, nur trat bisweilen das bleiche Gesicht des letzten Lächelns und des letzten Schlummers leise an die Stelle, oder plötzlich verwirrten sich die verschiedenen Erinnerungen. Mit unglaublicher Schnelle veränderten sich die Umrisse, kehrten zur ersten Gestalt zurück, und verwandelten sich von neuem, bis der überspannten Einbildung alles verschwand. Nur deine heiligen Augen blieben im leeren Raum und standen unbeweglich da, wie die freundlichen Sterne ewig über unsrer Armut schimmern. Unverrückt schaute ich nach den schwarzen Lichtern, die mit bekanntem Lächeln in die Nacht meiner Trauer winkten. Bald brannte ein stechender Schmerz aus dunkeln Sonnen mit unerträglichem Blenden, bald schwebte und floß ein schöner Glanz, als wollte er mich locken. Da war es, als wehte eine frische Morgenluft mich an, ich warf mein Haupt in die Höhe, und es rief laut in mir: »Warum sollst du dich quälen, in wenigen Augenblicken kannst du ja bei ihr sein.«
Schon eilte ich, dir zu folgen, aber plötzlich hielt mich ein neuer Gedanke an, und ich sagte zu meinem Geist: »Unwürdiger, du kannst nicht einmal die kleinen Dissonanzen dieses mittelmäßigen Lebens ertragen und du hältst dich schon für ein höheres reif und würdig? Gehe hin zu leiden und zu tun was dein Beruf ist, und melde dich wieder, wenn deine Aufträge vollendet sind.« – Ist es nicht auch dir auffallend, wie alles auf dieser Erde nach der Mitte strebt, wie so ordentlich alles ist, wie so unbedeutend und kleinlich? So schien es
Die Pflicht zu leben hatte gesiegt, und ich war wieder in dem Gewühl des Lebens und der Menschen, ihrer und meiner ohnmächtigen Handlungen und fehlervollen Werke. Da befiel mich Entsetzen, wie wenn ein Sterblicher sich in der Mitte unabsehlicher Eisgebirge plötzlich allein fände. Alles war mir kalt und fremd und selbst die Träne gefror.
Wunderliche Welten erschienen und schwanden mir im ängstlichen Traum. Ich war krank und litt viel, aber ich liebte meine Krankheit und hieß selbst den Schmerz willkommen. Ich haßte alles Irdische und freute mich, daß es bestraft und zerrüttet würde; ich fühlte mich so allein und so sonderbar, und wie ein zarter Geist oft mitten im Schoß des Glücks über seine eigne Freude wehmütig wird, und uns grade auf dem Gipfel des Daseins das Gefühl seiner Nichtigkeit überfällt, so schaute ich mit geheimer Lust auf meinen Schmerz. Er ward mir zum Sinnbilde des allgemeinen Lebens, ich glaubte die ewige Zwietracht zu fühlen und zu sehen, durch die alles wird und existiert, und die schönen Gestalten der ruhigen Bildung schienen mit tot und klein gegen diese ungeheure Welt von unendlicher Kraft, und von unendlichem Kampf und Krieg bis in die verborgensten Tiefen des Daseins.
Durch dieses sonderbare Gefühl ward die Krankheit zu einer eignen Welt in sich vollendet und gebildet. Ich fühlte, ihr geheimnisreiches Leben sei voller und tiefer als die gemeine Gesundheit der eigentlich träumenden Nachtwandler um mich her. Und mit der Kränklichkeit, die mir gar nicht unangenehm war, blieb mir auch dieses Gefühl und sonderte mich völlig ab von den Menschen, wie mich von der Erde der Gedanke trennte, dein Wesen und meine Liebe sei zu heilig gewesen, um nicht ihr und ihren groben Banden flüchtig zu enteilen. Es sei alles gut so und dein notwendiger Tod nichts als ein sanftes Erwachen nach leisem Schlummer.
Auch ich glaubte zu wachen, wenn ich dein Bild anschaute, das sich immer mehr zu einer heitern Reinheit und Allgemeinheit verklärte. Ernst und doch liebreizend, ganz Du und doch nicht mehr Du, die göttliche Gestalt umschienen von wunderbarem Glanz. Bald war es wie der furchtbare Lichtstrahl der sichtbaren Allmacht und bald ein freundlicher Schimmer goldener Kindheit. Mit langen stillen Zügen
Langsam flossen die Jahre und mühevoll trat eine Tat nach der andern, ein Werk und dann wieder eines an sein Ziel, das so wenig das meinige war als ich jene Taten und Werke für das was sie heißen nahm. Es waren mir nur heilige Sinnbilder, alles Beziehungen auf die eine Geliebte, die die Mittlerin war zwischen meinem zerstückten Ich und der unteilbaren ewigen Menschheit; das ganze Dasein ein steter Gottesdienst einsamer Liebe.
Endlich nahm ich wahr, das sei nun das letzte. Die Stirn war nicht mehr glatt und die Locken wurden bleich. Meine Laufbahn war geendigt aber nicht vollendet. Die beste Kraft des Lebens war dahin und noch stand die Kunst und die Tugend ewig unerreichbar vor mir. Ich wäre verzweifelt, hätte ich nicht beide in Dir gesehn und vergöttert, holdselige Madonna! und Dich und Deine milde Göttlichkeit in mir.
Da erschienst Du mir bedeutend und winktest tödlich. Schon ergriff mich ein herzliches Verlangen nach Dir und nach der Freiheit; ich sehnte mich nach dem geliebten alten Vaterlande und wollte eben den Staub der Reise von mir schütteln, als ich wieder ins Leben gerufen ward durch das Verheißen und die Gewißheit Deiner Genesung.
Nun ward ich meines wachen Traumes inne, erschrack über alle die bedeutenden Beziehungen und Ähnlichkeiten und stand ängstlich an dem unsichtbaren Abgrund dieser innern Wahrheit.
Weißt Du was mir am meisten klar dadurch geworden ist? – Zuerst, daß ich Dich vergöttre, und daß es gut ist, daß ich so tue. Wir beide sind eins und nur dadurch wird der Mensch zu einem und ganz er selbst wenn er sich auch als Mittelpunkt des Ganzen und Geist der Welt anschaut und dichtet. Doch warum dichtet, da wir den Keim zu allem in uns finden und doch ewig nur ein Stück von uns selbst bleiben?
Und dann weiß ich's nun, daß der Tod sich auch schön und süß fühlen läßt. Ich begreife, wie das freie Gebildete sich in der Blüte aller Kräfte nach seiner Auflösung und Freiheit mit stiller Liebe sehnen und den Gedanken der Rückkehr freudig anschauen kann wie eine Morgensonne der Hoffnung.
Es ist meinem Gemüt nicht selten sonderbar aufgefallen, wie verständige und würdige Menschen mit nie ermüdender Industrie und mit so großem Ernst das kleine Spiel in ewigem Kreislauf immer von neuem wiederholen können, welches doch offenbar weder Nutzen bringt noch sich einem Ziele nähert, obgleich es das früheste aller Spiele sein mag.
Dann fragte mein Geist, was wohl die Natur, die überall so viel denkt, die List im Großen treibt und statt witzig zu reden, gleich witzig handelt, bei jenen naiven Andeutungen denken mag, welche gebildete Redner nur durch ihre Namenlosigkeit benennen.
Und diese Namenlosigkeit selbst ist von zweideutiger Bedeutung. Je verschämter und je moderner man ist, je mehr wird es Mode sie aufs Schamlose zu deuten. Für die alten Götter hingegen hat alles Leben eine gewisse klassische Würde und so auch die unverschämte Heldenkunst lebendig zu machen. Die Menge solcher Werke und die Größe der Erfindungskraft in ihr bestimmt Rang und Adel im Reiche der Mythologie.
Diese Zahl und diese Kraft sind gut, aber sie sind nicht das Höchste. Wo schlummert also das ersehnte Ideal verborgen? Oder findet das strebende Herz in der höchsten aller darstellenden Künste ewig nur andre Manieren und nie einen vollendeten Styl?
Das Denken hat die Eigenheit, daß es nächst sich selbst am liebsten über das denkt, worüber es ohne Ende denken kann. Darum ist das Leben des gebildeten und sinnigen Menschen ein stetes Bilden und Sinnen über das schöne Rätsel seiner Bestimmung. Er bestimmt sie immer neu, denn eben das ist seine ganze Bestimmung, bestimmt zu werden und zu bestimmen. Nur in seinem Suchen selbst findet der Geist des Menschen das Geheimnis welches er sucht.
Was ist denn aber das Bestimmende oder das Bestimmte selbst? In der Männlichkeit ist es das Namenlose. Und was ist das Namenlose in der Weiblichkeit? – das Unbestimmte.
Das Unbestimmte ist geheimnisreicher, aber das Bestimmte hat mehr Zauberkraft. Die reizende Verwirrung des Unbestimmten ist romantischer, aber die erhabene Bildung des Bestimmten ist genialischer. Die Schönheit des Unbestimmten ist vergänglich wie das Leben der Blumen und wie die ewige Jugend sterblicher Gefühle; die Energie des Bestimmten ist vorübergehend wie das echte Ungewitter und die echte Begeisterung.
Das Bestimmte und das Unbestimmte und die ganze Fülle ihrer bestimmten und unbestimmten Beziehungen; das ist das Eine und Ganze, das ist das Wunderlichste und doch das Einfachste, das Einfachste und doch das Höchste. Das Universum selbst ist nur ein Spielwerk des Bestimmten und des Unbestimmten und das wirkliche Bestimmen des Bestimmbaren ist eine allegorische Miniatur auf das Leben und Weben der ewig strömenden Schöpfung.
Mit ewig unwandelbarer Symmetrie streben beide auf entgegengesetzten Wegen sich dem Unendlichen zu nähern und ihm zu entfliehen. Mit leisen aber sichern Fortschritten erweitert das Unbestimmte seinen angebornen Wunsch aus der schönen Mitte der Endlichkeit ins Grenzenlose. Das vollendete Bestimmte hingegen wirft sich durch einen kühnen Sprung aus dem seligen Traum des unendlichen Wollens in die Schranken der endlichen Tat und nimmt sich selbst verfeinernd immer zu an großmütiger Selbstbeschränkung und schöner Genügsamkeit.
Auch in dieser Symmetrie offenbart sich der unglaubliche Humor, mit dem die konsequente Natur ihre allgemeinste und einfachste Antithese durchführt. Selbst in der zierlichsten und künstlichsten Organisation zeigen sich diese komischen Spitzen des großen Ganzen mit schalkhafter Bedeutsamkeit wie ein verkleinertes Portrait und geben aller Individualität, die allein durch sie und den Ernst ihrer Spiele entstehet und bestehet, die letzte Rundung und Vollendung.
Durch diese Individualität und jene Allegorie blüht das bunte Ideal witziger Sinnlichkeit aus dem Streben nach dem Unbedingten.
Nun ist alles klar! Daher die Allgegenwart der namenlosen unbekannten Gottheit. Die Natur selbst will den ewigen Kreislauf immer neuer Versuche; und sie will auch, daß jeder einzelne in sich vollendet einzig und neu sei, ein treues Abbild der höchsten unteilbaren Individualität.
Sich vertiefend in diese Individualität nahm die Reflexion eine so individuelle Richtung, daß sie bald anfing aufzuhören und sich selbst zu vergessen.
So wirst Du und würde Juliane zwar nicht sagen aber doch gewiß fragen.
Liebe Geliebte! darf der volle Blumenstrauß nur sittsame Rosen, stille Vergißmeinnicht und bescheidne Veilchen zeigen, und was sonst mädchenhaft und kindlich blüht, oder auch alles andre was in bunter Glorie sonderbar strahlt?
Die männliche Ungeschicklichkeit ist ein mannigfaltiges Wesen und reich an Blüten und Früchten jeder Art. Gönne selbst der wunderlichen Pflanze, die ich nicht nennen will, ihre Stelle. Sie dient wenigstens zur Folie für die hellbrennende Granate und die lichten Orangen. Oder soll es etwa statt dieser bunten Fülle nur eine vollkommne Blume geben, welche alle Schönheiten der übrigen vereint und ihr Dasein überflüssig macht?
Ich entschuldige nicht, was ich lieber sogleich noch einmal tun will, mit vollem Zutrauen auf Deinen objektiven Sinn für die Kunstwerke der Ungeschicklichkeit, welche den Stoff zu dem was sie bilden will, oft nicht ungern von der männlichen Begeisterung entlehnt.
Es ist ein zärtliches Furioso und ein kluges Adagio der Freundschaft: Du wirst Verschiednes daraus lernen können: daß Männer mit ungemeiner Delikatesse zu hassen verstehn, wie ihr zu lieben; daß sie dann einen Zank, wenn er vollendet ist, in eine Distinktion umbilden, und daß Du so viele Anmerkungen darüber machen darfst als Dir gefällig ist.
Du hast Dich sehr verändert seit einiger Zeit! Sieh Dich vor Freund, daß der Sinn für das Große Dir nicht abhanden kommt, ehe Du es gewahr wirst. Was soll das geben? Du wirst endlich so viel Zartheit und Feinheit ansetzen, daß Herz und Gefühl drauf geht. Wo bleibt da die Männlichkeit und handelnde Kraft? – Ich werde noch dahin kommen, Dir zu tun wie Du mir tust, seit wir nicht mehr mit einander sondern neben einander leben. Ich werde Dir Grenzen setzen müssen und sagen, wenn er auch Sinn für alles hat, was sonst schön ist, so fehlt ihm doch der eine für die Freundschaft. Doch werde
Daß Du Dich zuerst an Dir selbst vergreifst, macht die Sache nur schlimmer. Sage mir im Ernst, suchst Du die Tugend in diesen kühlen Spitzfindigkeiten des Gefühls, in diesen Kunstübungen des Gemüts, die den Menschen aushöhlen und am vollen Mark seines Lebens zehren?
Schon lange war ich ergeben und still. Ich zweifelte gar nicht, daß Du, da Du so vieles weißt, auch wohl die Ursachen wissen würdest durch die unsre Freundschaft untergegangen ist. Fast scheint es ich habe mich geirrt, da Du so erstaunen konntest, daß ich mich ganz an Eduard anschließen will, da Du gleichsam nicht begreifend zu fragen schienst, wodurch Du mich denn beleidigt hättest. Wenn es nur das wäre, nur etwas einzelnes, dann wär er es den Mißlaut einer solchen Frage nicht wert, dann würde sich's von selbst beantworten und ausgleichen. Ist es aber nicht mehr wenn ich bei jeder Veranlassung es immer wieder als Entweihung fühlen muß, daß ich Dir alles von Eduard wie es vorfiel, mitteilte? Getan hast Du freilich nichts gegen ihn, auch nicht laut gesagt: aber ich weiß und sehe recht gut wie Du denkst. Und wenn ich es nicht wüßte und sähe, was wäre denn die unsichtbare Gemeinschaft unsrer Geister und die schöne Magie dieser Gemeinschaft? – Es kann Dir gewiß nicht einfallen, Dich hier noch länger zurückziehen und durch bloße Feinheit das Mißverständnis in Nichts auflösen zu wollen: denn sonst hätte auch ich wirklich nichts weiter zu sagen.
Unstreitig seid ihr durch eine ewige Kluft geschieden. Die ruhige klare Tiefe Deines Wesens, und der heiße Kampf seines rastlosen Lebens liegen an den entgegengesetzten Enden des menschlichen Daseins. Er ist ganz Handlung, Du bist eine fühlende und beschauende Natur. Darum solltest Du eben Sinn für alles haben und hast ihn auch, wo Du Dich nicht selbst absichtlich verschließest. Und das verdrüßt mich eigentlich. Möchtest Du den Herrlichen lieber hassen als verkennen! – Aber wohin soll es führen, wenn man sich unnatürlich gewöhnt, das wenige Große und Schöne was noch etwa da ist, so gemein zu nehmen, als es der Scharfsinn nur immer nehmen kann, ohne die Ansprüche auf den Sinn aufzugeben? – Was man überall sehn will, muß man endlich selbst werden.
Ist das die gerühmte Vielseitigkeit? – Freilich beobachtest du dabei den Grundsatz der Gleichheit, und einem geht's nicht viel besser
Freilich ist meine eigne Nachlässigkeit an allem schuld. Vielleicht war's auch Eigensinn, daß ich die ganze Gegenwart mit Dir teilen wollte, und Dich über Vergangenheit und Zukunft doch nicht belehrte. Ich weiß nicht, es widerstand meinem Gefühl, auch hielt ich's für überflüssig, denn ich traute Dir in der Tat unendlich viel Verstand zu.
O Antonio, wenn ich an ewigen Wahrheiten zweifeln könnte, so hättest Du mich dahin gebracht, jene stille schöne Freundschaft, die auf der bloßen Harmonie des Seins und Zusammenseins beruht, für etwas Falsches und Verkehrtes zu halten!
Ist es nun noch unbegreiflich wenn ich mich ganz auf die andre Seite werfe? – Ich entsage dem zarten Genuß und stürze mich in den wilden Kampf des Lebens. Ich eile zu Eduard. Alles ist verabredet. Wir wollen nicht bloß zusammen leben, sondern im brüderlichen Bunde vereint wirken und handeln. Er ist rauh und herbe, seine Tugend ist mehr kräftig als empfindsam: aber er hat ein männliches großes Herz, und in jedem bessern Zeitalter wäre er, das sage ich kühn, ein Held gewesen.
Es ist wohl schön, daß wir endlich einmal wieder miteinander gesprochen haben; ich bin es auch zufrieden, daß Du durchaus nicht schreiben wolltest, und auf die armen unschuldigen Buchstaben schiltst, weil Du wirklich zum Sprechen mehr Genie hast. Aber ich habe doch noch eins und das andre auf dem Herzen, was ich nicht sagen konnte und was ich versuchen will, Dir brieflich anzudeuten.
Warum aber auf diesem Wege? – O mein Freund, wenn ich nur noch ein feineres gebildeteres Element der Mitteilung wüßte, um das was ich möchte, in zarter Hülle leise aus der Ferne zu sagen! Das
Und können Männer die zusammen leben wollen, zu zart gegen einander in ihrem Umgange sein? – Es ist nicht als ob ich befürchtete, etwas zu Heftiges zu sagen, und daß ich darum gewisse Personen und gewisse Gegenstände in unserm Gespräch vermied. Darüber, denke ich, ist ja wohl die Grenzscheidung zwischen uns auf immer vernichtet!
Was ich Dir noch sagen wollte, ist etwas ganz Allgemeines; und doch wähle ich lieber diesen Umweg. Ich weiß nicht ob es eine falsche oder eine wahre Delikatesse ist, aber es würde mir schwer fallen, viel von der Freundschaft mit Dir zu reden von Angesicht zu Angesicht.
Und doch sind's Gedanken über diese, die ich Dir sagen muß. Die Anwendung – und auf die kommt es am meisten an – wirst Du leicht selbst machen können.
Für mein Gefühl gibt's zwei Arten von Freundschaft.
Die erste ist ganz äußerlich. Unersättlich eilt sie von Tat zu Tat und nimmt jeden würdigen Mann auf in den großen Bund vereinter Helden, schlingt den alten Knoten durch jede Tugend fester, und trachtet stets neue Brüder zu gewinnen; je mehr sie hat, je mehr begehrt sie.
Erinnre Dich an die Vorwelt und Du wirst diese Freundschaft, die den redlichen Krieg gegen alles Böse, wenn es auch in uns oder im Geliebten wäre, kämpft, überall finden, wo die edle Kraft in großen Massen wirkt und Welten bildet oder beherrscht.
Jetzt sind andre Zeiten, aber das Ideal dieser Freundschaft wird in mir sein, so lange wie ich selbst sein werde.
Die andre Freundschaft ist ganz innerlich. Eine wunderbare Symmetrie des Eigentümlichsten, als wenn es vorher bestimmt wäre, daß man sich überall ergänzen sollte. Alle Gedanken und Gefühle werden gesellig durch die gegenseitige Anregung und Ausbildung des Heiligsten. Und diese reingeistige Liebe, diese schöne Mystik des Umgangs schwebt nicht bloß als fernes Ziel vor einem vielleicht vergeblichen Streben. Nein, sie ist nur vollendet zu finden. Auch hat da keine Täuschung statt, wie bei jener andern heroischen. Ob die Tugend eines Mannes Stich hält, muß die Tat lehren. Aber wer
Zu dieser Freundschaft ist nur fähig, wer in sich ganz ruhig wurde und in Demut die Göttlichkeit des andern zu ehren weiß.
Haben die Götter einem Menschen eine solche Freundschaft geschenkt, so kann er weiter nichts, als sie mit Sorge vor allem was äußerlich ist bewahren und das heilige Wesen schonen. Denn vergänglich ist die zarte Blüte.
Leicht bekleidet standen Lucinde und Julius am Fenster im Pavillon, erfrischten sich an der kühlen Morgenluft und waren verloren im Anschaun der aufsteigenden Sonne, die von allen Vögeln mit munterem Gesang begrüßt ward.
Julius, fragte Lucinde, warum fühle ich in so heitrer Ruhe die tiefe Sehnsucht? – Nur in der Sehnsucht finden wir die Ruhe, antwortete Julius. Ja die Ruhe ist nur das, wenn unser Geist durch nichts gestört wird, sich zu sehnen und zu suchen, wo er nichts Höheres finden kann als die eigne Sehnsucht.
Nur in der Ruhe der Nacht, sagte Lucinde, glüht und glänzt die Sehnsucht und die Liebe hell und voll wie diese herrliche Sonne. – Und am Tage, erwiderte Julius, schimmert das Glück der Liebe blaß, so wie der Mond nur sparsam leuchtet. – Oder es erscheint und schwindet plötzlich ins allgemeine Dunkel, fügte Lucinde an, wie jene Blitze, die uns das Gemach erhellten, da der Mond verhüllt war.
Nur in der Nacht singt Klagen, sprach Julius, die kleine Nachtigall und tiefe Seufzer. Nur in der Nacht eröffnet sich die Blume schüchtern und atmet frei den schönsten Duft, um Geist und Sinne in gleicher Wonne zu berauschen. Nur in der Nacht, Lucinde, strömet tiefe Liebesglut und kühne Rede göttlich von den Lippen, die im Geräusch der Tage ihr süßes Heiligtum mit zartem Stolz verschließen.
Nicht ich, mein Julius, bin die die Du so heilig malst; obschon ich klagen möchte wie die Nachtigall, und, wie ich innig fühle, nur der Nacht geweiht bin. Du bist's, es ist die Wunderblume Deiner Fantasie,
Laß die Bescheidenheit und schmeichle nicht. Gedenke, Du bist die Priesterin der Nacht. Im Strahl der Sonne selbst verkündigt's der dunkle Glanz der vollen Locken, der ernsten Augen lichtes Schwarz, der hohe Wuchs, die Majestät der Stirn und aller edlen Glieder.
Die Augen sinken, indem Du rühmst, weil jetzt der laute Morgen blendet, und lust'ger Vögel buntes Lied die Seele stört und schreckt. Sonst möchte wohl das Ohr in stiller dunkler Abendkühle des süßen Freundes süße Rede gierig trinken.
Ach, daß das harte Licht den Schleier heben darf, der diese Flammen so verhüllte, daß der Sinne Scherz die heiße Seele kühlend lindern mochte!
So wird einst ewig kalter ernster Tag des Lebens warme Nacht zerreißen, wenn Jugend flieht und wenn ich Dir entsage wie Du der großen Liebe größer einst entsagtest.
Du liebst sie noch und wirst sie ewig mein auch ewig lieben. Das ist das große Wunder Deines wunderbaren Herzens.
Nicht wunderbarer als das Deine. Ich sehe Dich an meine Brust gelehnt mit Deines Guido Locke spielen; uns beide brüderlich vereint die würd'ge Stirn mit ew'gen Freudekränzen zieren.
Wo mag des Lebens Woge mit dem Wilden scherzen, den zart Gefühl und wildes Schicksal heftig fortriß in die herbe Welt?
O ew'ge Sehnsucht! – Doch endlich wird des Tages fruchtlos Sehnen, eitles Blenden sinken und erlöschen, und eine große Liebesnacht sich ewig ruhig fühlen.
So fühlt sich, wenn ich sein darf wie ich bin, das weibliche Gemüt in liebeswarmer Brust. Es sehnt sich nur nach Deinem Sehnen, ist ruhig wo Du Ruhe findest.
Durch die schweren lauten Anstalten zum Leben wird das zarte Götterkind Leben selbst verdrängt und jämmerlich erstickt in der Umarmung der nach Affenart liebenden Sorge.
Absichten haben, nach Absichten handeln, und Absichten mit Absichten zu neuer Absicht künstlich verweben; diese Unart ist so tief in die närrische Natur des gottähnlichen Menschen eingewurzelt, daß er sich's nun ordentlich vorsetzen und zur Absicht machen muß, wenn er sich einmal ohne alle Absicht, auf dem innern Strom ewig fließender Bilder und Gefühle frei bewegen will.
Es ist der Gipfel des Verstandes, aus eigner Wahl zu schweigen, die Seele der Fantasie wiederzugeben und die süßen Tändeleien der jungen Mutter mit ihrem Schoßkinde nicht zu stören.
Aber so verständig ist der Verstand nach dem goldnen Zeitalter seiner Unschuld nur sehr selten. Er will die Seele allein besitzen; auch wenn sie wähnt allein zu sein mit ihrer angebornen Liebe, lauscht er im Verborgnen und schiebt an die Stelle der heiligen Kinderspiele nur Erinnerung an ehemalige Zwecke oder Aussichten auf künftige. Ja er weiß den hohlen kalten Täuschungen einen Anstrich von Farbe und eine flüchtige Hitze zu geben und will durch seine nachahmende Kunst der arglosen Fantasie ihr eigenstes Wesen rauben.
Aber die jugendliche Seele läßt sich durch die Arglist des Altklugen nicht betören, und immer sieht sie den Liebling spielen mit den schönen Bildern der schönen Welt. Willig läßt sie ihre Stirn umflechten von den Kränzen, die das Kind aus den Blüten des Lebens flicht, und willig läßt sie sich in wachen Schlummer sinken, Musik der Liebe träumend, und geheimnisvoll freundliche Götterstimmen vernehmend, wie die einzelnen Laute einer fernen Romanze.
Alte wohlbekannte Gefühle tönen aus der Tiefe der Vergangenheit und Zukunft. Leise nur berühren sie den lauschenden Geist und schnell verlieren sie sich wieder in den Hintergrund verstummter Musik und dunkler Liebe. Alles liebt und lebt, klaget und freut sich in schöner Verwirrung. Hier öffnen sich am rauschenden Fest die Lippen aller Fröhlichen zu allgemeinem Gesange; und hier verstummt das einsame Mädchen vor dem Freunde, dem sie sich vertrauen möchte und versagt den Kuß mit lächelndem Munde. Gedankenvoll streue ich Blumen auf das Grab des zu früh entschlafnen Sohnes, die ich bald voll Freude und voll Hoffnung der Braut des geliebten Bruders darreiche, während die hohe Priesterin mir winkt und mir
Welche Seele solche Träume schlummert, die träumt sie ewig fort, auch wenn sie erwacht ist. Sie fühlt sich umschlungen von den Blüten der Liebe, sie hütet sich wohl die losen Kränze zu zerreißen, sie gibt sich gern gefangen und weiht sich selbst der Fantasie und läßt sich gern beherrschen von dem Kinde, das alle Muttersorgen durch seine süßen Tändeleien lohnt.
Dann zieht sich ein frischer Hauch von Jugendblüte über das ganze Dasein und ein Heiligenschein von kindlicher Wonne. Der Mann vergöttert die Geliebte, die Mutter das Kind und alle den ewigen Menschen.
Nun versteht die Seele die Klage der Nachtigall und das Lächeln des Neugebornen, und was auf Blumen wie an Sternen sich in geheimer Bilderschrift bedeutsam offenbart, versteht sie; den heiligen Sinn des Lebens wie die schöne Sprache der Natur. Alle Dinge reden zu ihr und überall sieht sie den lieblichen Geist durch die zarte Hülle.
Auf diesem festlich geschmückten Boden wandelt sie den leichten Tanz des Lebens, schuldlos und nur besorgt dem Rhythmus der Geselligkeit und Freundschaft zu folgen und keine Harmonie der Liebe zu stören.
Dazwischen ew'ger Gesang, von dem sie nur dann und wann einzelne Worte vernimmt, welche noch höhere Wunder verraten lassen.
Immer schöner umgibt sie dieser Zauberkreis. Sie kann ihn nie verlassen und was sie bildet oder spricht, lautet wie eine wunderbare Romanze von den schönen Geheimnissen der kindlichen Götterwelt, begleitet von einer bezaubernden Musik der Gefühle und geschmückt mit den bedeutendsten Blüten des lieblichen Lebens.