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Anton Hausdorfer, pensionierter Beamter.
Heinrich.
Borromäus, Gärtner.
Guten Abend, gnädiger Herr. Der gnädige Herr sind wohl heut nachmittag in der Stadt drin gewesen, nicht wahr?
Ich hab' nur gedacht, weil der gnädige Herr nachmittag wieder nicht in der Laube den schwarzen Kaffee getrunken hat.
Nein, nein, ich war nicht in der Stadt. Ich bin drin auf dem Sofa gelegen. Ich hab' nämlich ein bißchen Kopfweh gehabt. Na, was tun Sie denn? Wir werden ja bald den ganzen Garten umgegraben haben.
Freilich, gnädiger Herr. Es ist auch notwendig. Über Nacht kann ein Frost da sein. Ich lass' mich von diesen milden Tagen nicht betrügen, wenn's einmal Oktober ist. Erinnern sich gnädiger Herr noch an den Herbst im Jahre 93? Am Abend ist man im Freien gesessen – ja, am 28. Oktober – und in der Früh' um drei ist der Frost dagewesen. Und 87 und 88 war ganz dieselbe Geschichte. Ah nein, mich betrügen die schönen Tage nicht.
Sie haben schon recht, Borromäus. Schaut ihm zu. Nun, was setzen wir denn heuer ein? Er versinkt in Nachdenken, hört die Antwort kaum an.
Ja, davon hab' ich mit dem gnädigen Herrn grad reden wollen. Ich war nämlich heut nach Tisch beim Franz drüben. –
Beim Gärtner vom Baron Weißeneck. Er ist hochmütig, ja, aber er versteht was. Ja, er kennt sich besser aus als ich. Ich muß es schon selber sagen. Er hat's auch in Büchern studiert. Zwanzig so Bänd' stehn bei ihm oben auf'm Kasten. Na, und darum genier' ich mich gar nicht, ihn um Rat zu fragen.
O, ich kann mir schon denken! Wenn ich mir erlauben darf zu fragen – gewiß geht's der Frau Hofrätin wieder schlechter? Da Hausdorfer nicht antwortet, verlegener. Na ja, ich denk' halt, weil sie schon drei Wochen nicht mehr bei uns heraußen gewesen ist.
Lassen Sie doch. Sie ist tot. Ich dank' Ihnen für Ihre Teilnahme. Die Frau Hofrätin ist tot. Er hat sich gesetzt.
Ja, ist es denn möglich! O Gott! Ich hab' ja gar keine Ahnung gehabt, daß die Frau Hofrätin so krank war. Schüttelt den Kopf. Und war doch noch eine jüngere Frau sozusagen.
Na, lieber Borromäus, jung ... Allerdings, sieben Jahre jünger als ich; aber ich bin halt auch schon sechzig.
Ja, sehn Sie, gnädiger Herr, es mag auch daher kommen, daß ich die Frau Hofrätin doch beinah Tag für Tag gesehn hab' in diesen fünfzehn oder zwanzig Jahren, – also damals –
Aber auch in der allerletzten Zeit hat doch die Frau Hofrätin nicht einer alten Frau gleichgeschaut! Und grad heuer im Sommer, wie sie so blaß und mager worden ist, da hätt' man geschworen ... Ja, einmal wie ich spät am Abend aus der Allee dort herausgekommen bin und die Frau Hofrätin ist da gesessen – meiner Seel', ich hab' gemeint, es ist eine jüngere Schwester von der Frau Hofrätin – entschuldigen der gnädige Herr.
O nein, gbädiger Herr, o nein! Ich will jetzt nicht mehr von so gleichgültigen Sachen reden. Er küßt ihm die Hand. Ich weiß, was das heißt – ich hab' auch einmal eine Frau gehabt und – begraben. Er erschrickt gleich wieder über seine eigene Bemerkung. O, ich meine nur ...
Ich meine, der junge Herr Heinrich – es ist doch schrecklich! O Gott, o Gott! Wenn ich daran denk', wie er die Frau Hofrätin in der letzten Zeit immer herausbegleitet hat und abgeholt am Abend ...
Nein, nein. Ich erwarte ihn jeden Tag. Er ist nämlich fort – er ist abgereist. Aber er muß jeden Tag zurückkommen. Er erholt sich halt ein wenig. Na ja, er muß doch wieder arbeiten können.
Nichts wissen Sie, gar nichts. Wir wissen das alle nicht, wir gewöhnlichen Menschen, die nichts weiter können als ihre Gärten bepflanzen ...
Na ja, Borromäus, Sie meinen, ich hab' früher auch noch was anderes getan – ja, ja. Aber doch nichts besseres als jetzt. In einem Bureau bin ich gesessen drin in der Stadt, tagtäglich von acht bis zwei, manchmal ist auch drei oder gar vier worden.
Es muß doch eine Plag' sein, täglich auf einem Fleck sitzen sechs Stunden lang. – Ich hab' den gnädigen Herrn oft bedauert in früherer Zeit, wenn er erst so spät am Abend aufs Land herausgekommen ist. Und gar im Winter –
Was soll man machen, Borromäus? Jetzt sitzt ein anderer auf meinem Platz, und wenn's der erlebt wie ich, kriegt er auch einmal seine Pension, und drin im Bureau sitzt wieder ein anderer! – Aber wer da drin auf meinem Platz sitzt, das ist ganz egal, das kann bald einer. Aber ein Dichter – das ist schon eine andere Art von Mensch wie unsereiner, Borromäus. Wenn so einer in Pension geht, kann's passieren, daß die Stelle recht lang unbesetzt bleibt. Ja, so einer muß auf sich schauen, das ist er der Welt schuldig – verstehen S', Borromäus?
Nichts verstehen S', gar nichts. Haben Sie denn gar nichts bemerkt am Heinrich? Haben Sie denn nie den Schein um seinen Kopf bemerkt? Na, sehn Sie!
Haben S' keine Angst, Borromäus, – ich bin nicht verrückt. Ich red' von keinem wirklichen Schein, nur von einem figürlichen. Sie können ihn nicht sehen, Borromäus, – ich auch nicht; – aber die Frau Hofrätin hat ihn gesehen.
Ah, ich weiß schon, was der gnädige Herr meint. Ja, weil der Herr Heinrich, so jung als er ist, schon so viel in der Zeitung steht und die Leut' von ihm reden – ja, ja, das ist – Geste, als wollte er den Schein um den Kopf bezeichnen.
Erlauben der gnädige Herr – ich hab' ja noch gar keine Gelegenheit gehabt, dem Herrn Heinrich mein Beileid auszusprechen ...
Ja. Ich bin vom Friedhof nach Hause, habe gepackt und bin fort. Ich hätte die Nacht zu Hause nicht mehr ertragen.
Das ist nämlich ein Ort, wo ich mich sonst immer wohl gefühlt habe. Eine Stadt des Trostes, wahrhaftig.
Ja, unter gewissen Umständen gibt es solche Orte, und ich bin wirklich nicht aufs Geratewohl nach Salzburg gereist. Ich habe nämlich einmal etwas sehr Schweres oder wenigstens Trübseliges erlebt – vor sieben oder acht Jahren ... Wissen Sie, Herr Hausdorfer, so eine Geschichte, daß ich dachte, es wird überhaupt nie wieder gut ... Ja, und da bin ich fortgereist, eben nach Salzburg. Und schon am ersten Nachmittag, während eines einsamen Spazierganges in Hellbrunn, in dem reizenden Rokokogarten, linderte sich mein Schmerz und am Morgen daraufhin ich wie gesundet aufgewacht, habe sogar wieder arbeiten können.
Am nächsten Tag bin ich fort. Nach München. Ich hoffte nämlich auf die beruhigende Wirkung der alten Bilder. Ich bin in die Pinakothek, in die alte, wo meine geliebten Dürer und Holbein hängen. Und wahrhaftig, dort hab' ich zum ersten Mal nach langer, nach sehr langer Zeit wieder aufgeatmet. Pause. Sie erlauben doch, daß ich Ihnen das alles erzähle. Ich habe ein wahres Bedürfnis, mich Ihnen gegenüber auszusprechen.
Ich danke Ihnen. Sitzt. Sehen Sie, Herr Hausdorfer, ich hab' es einigermaßen schmerzlich empfunden, daß wir einander im Lauf der letzten Jahre ... ich kann's nicht anders sagen – ein wenig fremder geworden sind.
Ja. Ich habe sehr gut gespürt, daß Sie mich nicht mehr so gern hatten, wie früher einmal, wie zu der Zeit, da ich ein Bub' war und hier auf der Wiese gespielt habe.
Gott, mein lieber Heinrich, das ist freilich schon recht lange her. Und schließlich wirst du ja auch zugestehen, daß du eigentlich derjenige warst – na ja, ich mein' nur so ... es ist doch natürlich, daß du deine eigenen Wege gegangen bist. Ein junger Mensch! Es war ja nicht sehr amüsant bei mir heraußen. Du hast deinen Kreis. Ich hab' dir doch mein Lebtag keinen Vorwurf gemacht – oder ja?
Aber! – Ich wollte Ihnen nur sagen, wie tief ich gerade jetzt, nach dieser mißglückten Reise – oder Flucht, empfunden habe, daß ich mit keinem Menschen so stark zusammenhänge als mit Ihnen. Sie werden mich verstehen. Wie dankbar muß ich Ihnen sein! Was sind Sie meiner armen Mutter gewesen! Wie haben Sie ihre letzten Lebensjahre verschönt!
Ja, ja ... Erzähl' doch weiter. Also in München bist du gewesen, die Bilder hast du dir angeschaut. Und da hast du Trost gefunden.
Solang ich eben in den kühlen, stillen Sälen war. Kaum bin ich auf die Straße hinausgetreten, so war alles vorbei. Und gar die Abende, diese endlosen einsamen Abende. Ich versuchte zu arbeiten, zu denken – unmöglich! Als wäre alles in mir vernichtet. Pause. Ist aufgestanden. Wie lange wird das noch dauern!
Gewöhnt? Ich bin's ja längst nicht mehr. Das ist es eben. Seit zwei, drei Jahren kann ich nichts mehr zustande bringen. Sie wissen ja ...
Aber es war auch eine vollkommene Unmöglichkeit. Ein geliebtes Wesen, eine Mutter leiden sehen, so leiden, und wissen, daß sie dem Tod entgegensiecht, – und daß sie es Große Pause. Die Wohnung hab' ich aufgegeben.
Abgesehen davon; ich könnte in diesen Räumen doch nie wieder eine Zeile schreiben. Ich würde doch Nacht für Nacht das Stöhnen aus dem Zimmer nebenan zu hören glauben, das mir ins Herz geschnitten und mir jede Fähigkeit, jede Lust zu schaffen, ja zu leben zu Grund gerichtet hat. O Gott! Pause. Und wissen Sie, was mir Doktor Heusser noch am Sonntag vor ihrem Tode gesagt hat?
Ja. Und die schlimmste Zeit wäre erst gekommen. Sie hätte das Zimmer nicht verlassen, hätte nicht einmal mehr die paar Stunden in der Woche haben dürfen – hier im Garten, wo ihr immer so wohl gewesen ist. Blick auf den leeren Lehnstuhl.
Mein verehrter Herr Hausdorfer, ich rede da immer von mir, und ich bin noch jung, und es liegt doch noch irgendwas wie eine Zukunft vor mir. Was haben Sie verloren!
Ich erinnere mich noch an den Tag, da mir die Mutter sagte, der Papa sei abgereist. Und als er nicht zurückkam, hab' ich mir eine Zeit lang eingebildet, daß er gestorben sei, und in der Nacht hab' ich manchmal bitterlich geweint. Aber kurz darauf bin ich ihm auf der Straße begegnet, und zwar mit jener andern, um derentwillen er meine Mutter verlassen
Entschuldigen Sie, ich habe mich wahrscheinlich ungeschickt ausgedrückt. Wieder wärmer. Aber soll man denn nicht über einfache und natürliche Dinge einfach und natürlich reden können, besonders in einem solchen Augenblick? Es drängt mich, Ihnen wie einem Vater die Hand zu drücken, denn ich weiß, wie sehr meine Mutter Sie geliebt hat. Es wird immer dunkler. Auf der Straße jenseits des Gitters werden Laternen angezündet.
Geliebt – das war' schon was besonderes. Was hebt sich nicht alles auf der Welt, wenn's jung ist. Freunde sind wir gewesen, Heinrich, alte Leute und Freunde. Verstehst du das? Oder hat das Wort für so junge Ohren noch keinen Klang? Aber wie sollt ihr das verstehn, ihr jungen Leute, vor denen noch die Zukunft liegt, denen die Welt offensteht, – und gar ein Mensch wie du, mit solchen Aussichten. Es ist ja kein Wunder.
Sie irren sich, Herr Hausdorfer: ich begreife das sehr gut. Wenn ich Ihnen ... uns meine arme Mutter wieder zurückrufen könnte – o Gott! Wenn ich sie nur noch einmal, nur für einen Abend wieder hier sitzen sähe, wie vieles gab' ich dafür hin!
Es ist mir, als wenn ich meine ganze Zukunft, als wenn ich alles, was ich noch leisten, alles, was ich noch erreichen will, dafür hingeben könnte.
Es ist nicht wahr, Heinrich. Auch wenn du die Macht hättest – ich kenne dich! Euch alle kenn' ich, ich weiß, wie ihr seid.
Du mußt für niemanden einstehn. Wenn ich »ihr« sage, so weiß ich schon, wie ich das mein'. Da hab' ich
Nun ja. Ich verstehe ganz gut, daß viele und gerade sehr vortreffliche Menschen solchen Dingen gegenüber eine Art Grauen empfinden mögen. –
Aber sagen Sie selbst, Herr Hausdorfer: sind die Leute nicht eigentlich beneidenswert, denen es so schnell gelingt, sich hinauszuretten – in ihren Beruf, in ihre Kunst? die vielleicht sogar die wunderbare Fähigkeit haben, ihren Schmerz in ihrer Weise zu gestalten, statt ihn in nutzlosen Tränen hinströmen zu lassen?
So wenig als die Tränen. Ich sage auch nicht, daß die Freude an der Arbeit das Leid über ein entschwundenes Wesen aufwiegt. Aber ist es nicht endlich das Einzige, was uns übrig bleibt: arbeiten? Werden Sie nicht Ihren Garten pflegen wie zuvor? Und ich – ja, ich ersehne den Tag, da ich wieder fähig sein werde, etwas Ordentliches zu schaffen wie früher einmal. Ins Unabänderliche müssen wir uns fügen.
Gewiß. Mit welchen Gedanken
Wie können Sie das behaupten, Herr Hausdorfer? Sie nehmen doch nicht an, daß irgend etwas versäumt worden ist?
Ach so. Das ist schon wahr. Aber der Doktor machte auch auf die Möglichkeit eines plötzlichen Todes aufmerksam, wie Ihnen sehr wohl bekannt ist.
Plötzlich? – Das war' ja schon richtig. Zögernd, aber dann entschlossen. Aber ob's auch natürlich zugegangen ist, das wär' noch eine andere Frage.
Wie?! Warum diese ... Nein. Ich verstehe nicht, was Sie auf diese Vermutung bringt, zu der nicht der geringste ... Der Arzt hätte es doch merken müssen.
Warum denn? Man trinkt das Morphiumflascherl aus, in der Früh' wird man tot im Bett gefunden; die Angehörigen sind ja vorbereitet.
Sie sagen das mit einer so eigentümlichen Bestimmtheit ... Hat meine Mutter vielleicht eine Äußerung getan? ...
So, so ... Aber warum bin ich eigentlich erstaunt? Wie oft in diesen furchtbaren Nächten hab' ich mich gefragt – ja, ich gesteh' es Ihnen, auf die Gefahr, daß ich Ihnen wieder grauenhaft erscheine – was uns armselige Geschöpfe denn zwingt, so viel Elend, so viel Martern auf uns zu nehmen, wenn es doch in unserer Macht liegt, jeden Augenblick selbst ein Ende zu machen.
Aber du weißt ja nichts, Heinrich – du weißt ja gar nichts! Sie hätte ja weiter gelitten und weiter gelebt, solang ihr der Herrgott das Leben schenkt – für mich hätt' sie weitergelebt und für sich – für die paar Stunden hier in dem Garten, der voll Erinnerungen an unsere Jugend und an unser Glück ist – gestorben ist sie deinetwegen – deinetwegen, Heinrich, daß du's weißt – für dich!
Verstehst du's wirklich nicht? Kannst du dir's denn nicht denken? Hast du nicht selbst eben davon gesprochen?
Hast du mir nicht selbst erzählt, was in dir vorgegangen ist? Und du bildest dir ein, deine Mutter hat nichts gemerkt?
Daß dich ihre Krankheit in deinem Beruf gestört hat, daß du nichts mehr hast arbeiten können – daß du Angst bekommen hast, es ist für immer aus mit deinem Talent – daß du – du! der Gequälte, der Gemarterte, der Ruinierte warst – das hat sie gesehen und darum ...
Nein, Herr Hausdorfer, Ihr Gram bringt Sie auf Vermutungen, die durch nichts gerechtfertigt sind. Ich weiß ja sehr wohl, daß meiner Mutter mein Seelenzustand kein Geheimnis bleiben konnte, so sehr ich mich bemüht habe – aber daß das der Grund gewesen sein sollte ... nein, das ist –
Warum willst du mir denn nicht glauben? Meinst du, ich lüge dir was vor? Ja, warum denn? – Da! Nimmt einen Brief aus der Tasche. Lies! lies! da! Der Brief ist bei klarem Bewußtsein geschrieben – das ist der, der auf dem Schreibtisch gelegen ist! Am letzten Abend hat sie ihn geschrieben. Und eine halbe Stunde nachher ... Ja, lies – da drin steht's ... weil sie dich leiden gesehen hat – sie dich
Mutter! Mutter! Sinkt wie vernichtet nieder. Für mich! Um meinetwillen! Da bin ich ja ihr ... O Gott! O Gott! – Mutter! Er vergräbt den Kopf auf dem Lehnstuhl.
Ich will nun gehen. Ich begreife, daß Ihnen mein Anblick schmerzlich sein muß. Hier ist der Brief. Er behält ihn noch in der Hand. Er ist bei klarem Bewußtsein geschrieben und enthält die Wahrheit. Ja, ich zweifle nicht mehr. Nach einigem Zögern. Erlauben Sie mir nur, Sie auf diese Stelle aufmerksam zu machen.
Diese hier. In der meine Mutter Sie beschwört – Mit dem Finger darauf weisend. »Ich beschwöre dich ...« mir von dem Inhalt dieses Briefes nichts zu verraten und mich zeitlebens in dem Glauben zu lassen, daß sie eines natürlichen Todes gestorben sei. Dieser Brief war ausschließlich für Sie und ganz gewiß nicht für mich bestimmt.
Ich bestimm' ihn für dich! Ich bestimm' ihn für dich! Ich erlaube mir – ich erlaube mir. Du wirst es überleben.
Sie haben durch Ihre Verfügung den ganzen Sinn dieses freiwilligen, dieses Opfertodes zerstört. Ihr Wille war es nicht, daß ich mich als Mörder fühlen, als ein Verdammter auf der Welt herumgehen sollte! Und Sie werden vielleicht später selbst empfinden, daß Sie nicht nur an mir, sondern auch an ihr ein Unrecht begangen haben, das beinah das meine aufwiegt.
Ich nehm's auf mich, Heinrich. Ich hab' es dir sagen dürfen, dir schon. Du wirst dich nicht lang als Schuldiger fühlen – nein! Du wirst dich aufraffen! leben! gestalten!
Das ist mein Recht, vielleicht sogar meine Pflicht. Denn mir bleibt nicht anderes übrig als mich selbst zu töten – oder den Beweis zu versuchen, daß meine Mutter – nicht vergeblich gestorben ist.
Heinrich! Vor einem Monat hat deine Mutter noch gelebt, und du kannst so reden? Für dich hat sie sich umgebracht, und du gehst hin und schüttelst es von dir ab? Und in ein paar Tagen nimmst du's vielleicht hin, als wär'
Lebendige Stunden? Sie leben doch nicht länger als der letzte, der sich ihrer erinnert. Es ist nicht der schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer zu verleihen, über ihre Zeit hinaus. – Leben Sie wohl, Herr Hausdorfer. Ihr Schmerz gibt Ihnen heute noch das Recht, mich mißzuverstehen. Im Frühjahr, wenn Ihr Garten aufs neue blüht, sprechen wir uns wieder. Denn auch Sie leben weiter. Er geht über die Terrasse, aus der ein breiter Lichtstrahl von der Lampe in den Garten fällt.
Pauline.
Leonhard.
Remigio.
Richtig. Ich wußte nicht, daß Sie das so genau nehmen. Ich wagte kaum zu hoffen, daß Sie heute kommen würden.
Die ganze Welt mag ihm zu Füßen liegen, das kümmert mich wenig. Aber Sie, Pauline, Sie haben ihn gestern abend mehr geliebt als je – Sie waren stolz auf ihn.
Hab' ich keine Ursache dazu? Bewundern Sie ihn nicht selbst? Waren Sie nicht in der tiefsten Seele ergriffen und haben Sie nicht wie wahnsinnig applaudiert, als der Vorhang zum letzten Male fiel?
Warum »abgesehen«? Lächelnd. Man kann nicht wissen ... Im Katalog blätternd. Numero siebenhundertsechsundzwanzig – »Frau mit dem Dolch« – unbekannter Maler – starb um 1530 ....
Sind –? Es könnten meine Augen sein. Bleiben wir doch ein wenig in diesem Saal; ich fühle mich hier sehr wohl.
Ich glaube – nicht um Ihretwillen. Da drüben bei den Auf ein Bild an der rechten Wand weisend. dieser Herr dort anblickt. Es würde mich nicht wundern, wenn er mich grüßte.
Warum nicht? Meine Mutter stammt aus Florenz. Jedenfalls hat man sich damals schöner getragen als heut, – womit ich nichts gegen Ihren neuen schwarzen Überzieher sagen will, der Ihnen vortrefflich steht.
Den, für den Sie und Ihr ganzes Schicksal nichts anderes zu bedeuten hat, als eine Gelegenheit, seinen Witz oder meinethalben sein Genie zu zeigen.
Und auch das gehört zum Sinn Ihres Lebens, daß seine Geheimnisse vor den Pöbel hin geworfen werden? Nicht pathetisch. Prinzessin Maria! und jeder wußte, es ist die, die da oben in der Loge sitzt. Meister Gottfried! und jeder wußte, der hat das Stück geschrieben. Und alle Worte und Küsse unten auf der Bühne – und sein Verrat – und ihre Verzweiflung – und seine Rückkehr und ihr Verzeihen – und alle Erbärmlichkeit und alle Glut – alles wahr – und Herr Gottfried hatte daraus ein Stück gemacht – und Prinzessin Maria saß in der Loge und sah der Komödie zu. Ah Pauline, mir war gestern immer, als müßt' ich zu Ihnen – Sie holen, Sie befreien, Sie retten. Denn wie eine Sklavin kamen Sie mir vor, wehrlos und erniedrigt. Mitleid hatt' ich mit Ihnen und habe mich zugleich geschämt.
Zürnen Sie mir nicht, Pauline. Ich weiß ja, daß mein ganzes Recht, so mit Ihnen zu reden, nur darauf beruht, daß mich nichts auf der Welt kümmert als Sie, daß ich bereit wäre, für Sie zu sterben, und daß ich jung bin.
Das ist vielleicht nicht so wenig. Aber lassen wir das. Und gehen wir endlich weiter. Kommen Sie. Abwehrend. Nichts mehr, nichts mehr, ich bitte Sie.
Warum, Pauline, sagen Sie selbst, warum sind Sie heute gekommen? Warum waren Sie vorgestern hier, warum vor acht Tagen? Warum, Pauline, hat gestern, als ich schweigend neben Ihnen saß, Ihr Knie das meine berührt und
Was sollen diese heftigen Fragen, Leonhard? Ich leugne nichts ab; denn das find' ich widerwärtig und feig. Aber die schlimmste von allen Lügen wäre doch, wenn ich Ihnen sagte, ich liebe Sie. Es hat keinen Augenblick gegeben, in dem ich es selbst glaubte; und doch gab es einen Augenblick, in dem ich bereit war, Ihre Geliebte zu werden. Sie haben ihn versäumt und er wird nicht wiederkommen. Nie werden Sie erraten, wann das war. Ja, es ist nun einmal so. Das ist keine Schande für mich und keine Ehre für Sie. Es ist millionenmal dagewesen. Nur sagen andere Frauen in meinem Fall: Ich hege für Sie die Liebe einer Schwester, einer Freundin – verlangen Sie keine andere. Ich, Leonhard, sage Ihnen, daß ich so ziemlich alles für Sie fühle, was Sie sich nur wünschen könnten, nur Freundschaft nicht, bei Gott, nein. Hält inne, wie verloren. Hab' ich Ihnen nicht das schon ein mal ...?
Was ist mir ...? wo bin ich ...? Verloren. Ich schweige. Allmählich erwachend. Nun ja, was ist noch weiter zu sagen? Leben Sie wohl.
Warum? – Weil ich keine Lust habe, für – wie heißt das doch? für eine selige Stunde meine Ruhe, mein Lebensglück, vielleicht mein Leben selbst hinzugeben.
Er ist ein Mann, und wir alle sind eitel. Er ist ein Dichter und tausendmal eitler als wir alle. Er wird Sie Ihr Leben lang büßen lassen.
Lassen Sie mich gehen; ich muß nach Hause. Hören Sie doch, es ist schon zwölf Uhr. Er weiß ja auch, daß ich hier bin, um Ihnen Adieu zu sagen. Und wenn ich es wagte, heute
Ich bin es, ich bin es selbst. Erkennen Sie mich nicht? Und hier im Schatten – der tote Jüngling – Sie –
Erinnern Sie sich nicht, Leonhard? Sie hält ihn bei der Hand; beide setzen sich langsam auf den Divan, den Blick dem Bilde zugewendet.
Wo ich war? Ihn lange betrachtend. Da Sie's nicht wissen, können Sie's auch nicht verstehen. – Steht auf. Leben Sie wohl! ... Entfernt sich von ihm.
Heut abend.'.–.? Heut abend –? In ihren Zügen drückt sich allmählich die Überzeugung aus, daß ein Schicksal über ihr ist, dem sie nicht entrinnen kann. Sie reicht Leonhard die Hand, sieht ihm ernst und fest ins Auge und sagt, nicht mit dem Ausdruck der Liebe, sondern der Entschlossenheit. Ich komme. –
Dann gebt sie rasch ab.
Karl Rademacher, Journalist.
Florian Jackwerth, Schauspieler.
Alexander Weihgast.
Dr. Halmschlöger,
Dr. Tann, Sekundaärzte im Wiener Allgemeinen Krankenhaus.
Juliane Paschanda, Wärterin.
Ja, sind Sie schon wieder aufgestanden? Was wird denn der Herr Sekundarius sagen! Gehn S' doch schlafen.
Gewiß, ich denke sogar einen langen Schlaf zu tun. Kann ich Ihnen nicht behilflich sein, schönes Weib? Ich mein' nicht beim Schlafen.
Danke bestens, danke bestens. Habe keinerlei Verwendung. Sie, Frau Paschanda, Vertraulich. haben Sie das Fräulein gesehn, das mir heute nachmittag die Ehre ihres Besuchs erwiesen hat?
Roter Hut – roter Hut ... Es war eine Kollegin von mir – jawohl! Wir waren zusammen engagiert im vorigen Jahr – in Olmütz. Erste Liebhaberin jenes Fräulein – jugendlicher Held der ergebenst Unterzeichnete. Schaun Sie mich an, bitte – ich brauche nicht mehr zu sagen. – Jawohl, ich habe ihr eine Korrespondenzkarte geschrieben ... einfach eine Karte – und sie ist gleich gekommen. Es gibt noch Treue beim Theater. Und sie hat mir versprochen, sie wird sich umschaun, mit einem Agenten wird sie sprechen – damit ich ein Sommerengagement krieg', wenn ich aus diesem Lokal entlassen werde. Deswegen kann ein Fräulein ein sehr gutes Herz haben, wenn sie auch einen roten Hut trägt, Frau von Paschanda. Immer gereizter, später hustend. Sie kommt vielleicht noch einmal her – ich werd' ihr halt schreiben, sie soll sich nächstens einen blauen Hut aufsetzen – weil die Frau Paschanda die rote Farb' nicht vertragen kann.
Ah, der Doktor Halmschlöger. Ein feiner Herr, nur etwas eingebildet. Sieht, daß Rademacher wach wurde. Habe die Ehre, Herr von Rademacher.
Nun, mein lieber Rademacher, wie befinden Sie sich heute? Tut, als ob er den Überzieher ablegte und ihn der Wärterin reichte. Ach, Hebe Frau Paschanda,
Na warten Sie nur, das ist noch gar nichts. Er läßt sich plötzlich auf einen Sessel fallen, sein Gesicht scheint schmerzverzerrt, und er verdreht die Augen.
Der vom Bett siebzehn, der Engstl – der Dachdecker, der vorgestern gestorben ist. Na, werden Sie nicht aufhören! Sie versündigen sich ja.
Ja, meine liebe Frau Paschanda, meinen Sie, unsereiner ist umsonst im Spital herin? Da kann man was lernen.
Ja, für unsereiner rentiert sich das, im Spital zu liegen. Sie meinen, ich kann das nicht brauchen, weil ich Komiker bin? Gefehlt! Das ist nämlich eine Entdeckung, die ich gemacht habe, Herr Rademacher. Wichtig. Aus dem traurigen, ja selbst dem schmerzstarrenden Antlitz jedes Individuums läßt sich durch geniale schauspielerische Intuition die lustige Visage berechnen. Wenn ich einmal einen sterben gesehn hab', weiß ich akkurat, wie er ausschaut, wenn man ihm einen guten Witz erzählt hat. – Aber was haben Sie denn, Herr Rademacher? Kourage! Nicht den Humor verlieren. Schaun Sie mich an – ha! Vor acht Tagen war ich aufgegeben – nicht! nur von den Herren Doktoren, das war' nicht so gefährlich gewesen, aber von mir selber! Und jetzt bin ich kreuzfidel. Und in acht Tagen – gehorsamster Diener! So lebe wohl, du stilles Haus! Womit ich mir erlaube, Euer Hochwohlgeboren zu meinem ersten Auftreten ergebenst einzuladen. Hustet.
Na, ich hätt' Komödie gespielt, und Sie hätten eine Rezension geschrieben und mich verrissen, und Leut', die mich verreißen, hab' ich nie leiden können. Und so sind wir die besten Freunde geworden. – Ja, sagen Sie, Herr Rademacher, hab' ich auch so dreing'schaut vor acht Tagen wie Sie?
FLORIAN. Sie brauchen mich nicht so anzuschaun – es fehlt nicht mehr viel. Ich hab' die traurigen Gedanken einfach nicht aufkommen lassen!
Ich hab' einfach allen Leuten, auf die ich einen Zorn gehabt hab', innerlich die fürchterlichsten Grobheiten gesagt. Oh, das erleichtert, das erleichtert, sag' ich Ihnen! Ich hab' mir sogar ausstudiert, wem ich als Geist erscheinen würde, wenn ich einmal gestorben bin. – Also da ist vor allem ein Kolleg' von Ihnen, in Olmütz – ein boshaftes Luder! Na, und dann der Herr Direktor, der mir die halbe Gasch' abgezogen hat fürs Extemporieren. Dabei haben die Leut' überhaupt nur über mich gelacht und gar nicht über die Stück'. Er hätt' froh sein können, der Herr Direktor. Statt dessen – na wart', wart'! Ich hätt' ja ein Talent zum Erscheinen – oh, ich hätt' auch im Himmel mein anständiges Auskommen gehabt. – Ich hätt' nämlich ein Engagement bei den Spiritisten angenommen.
Ich bin ja so ausgeschlafen, Herr Doktor; es geht mir ja famos. Ich erlaube mir, den Herrn Doktor zu meinem Wiederauftreten ...
39,4 – na! Gestern haben wir doch 40 gehabt. Wärterin nickt. Es geht ja besser. Na, gute Nacht. Will gehen.
Herr Doktor, ich bitte recht schön, behandeln Sie mich nicht wie den ersten Besten. Oh, entschuldigen Herr Doktor –
Ich bitte, nur noch ein Wort, Herr Doktor. Entschlossen. Ich muß nämlich die Wahrheit wissen – ich muß – aus einer ganz bestimmten Ursache! –
Die Wahrheit ... Ich hoffe zuversichtlich – Nun, die Zukunft ist in gewissem Sinn uns allen verschlossen – aber ich kann sagen –
Herr Doktor, – wenn ich nun aber noch etwas sehr Wichtiges vorhätte – irgendwas, wovon das Schicksal anderer Leute abhängig ist – und meine Ruhe – die Ruhe meiner Sterbestunde ...
Aber, aber! – Wollen Sie sich nicht näher Immer freundlich. Aber möglichst kurz, wenn ich bitten darf. Ich habe noch zwei Zimmer vor mir. Denken Sie, wenn jeder so lang – Also bitte.
Nun, Sie können ja dem Betreffenden schreiben, wenn es Sie beruhigt. Morgen nachmittag zwischen vier und fünf dürfen Sie empfangen, wen Sie wollen. Ich habe gar nichts dagegen.
Herr Doktor – das ist zu spät – das kann zu spät sein – ich fühl's ... morgen früh ist vielleicht alles vorbei. Noch heute muß ich mit – dem Betreffenden reden.
Das ist nicht möglich. Was soll das Ganze? Wenn Ihnen so viel darauf ankommt, hätten Sie ja schon gestern ...
Herr Doktor! Sie sind immer sehr gut zu mir gewesen – ich weiß ja, daß ich ein bißchen zudringlich bin – aber sehen Sie, Herr Doktor, wenn es einmal ganz sicher ist, daß einen morgen oder übermorgen die gewissen Herrn im weißen Kittel hinuntertragen, da bildet man sich halt ein, man kann keck werden und mehr verlangen als ein anderer.
Herr Rademacher, es ist unmöglich. Und Schluß. Mild. Um Sie zu beruhigen, werde ich Herrn Weihgast, den ich zufällig persönlich kenne, noch heute ein Wort schreiben und ihm anheimstellen, Sie morgen zu einer beliebigen Stunde aufzusuchen.
Herr Doktor, ich weiß ja, es ist unverschämt von mir, – aber Sie sind ja doch ein Mensch, Herr Doktor, und fassen die Dinge menschlich auf. Nicht wie manche andere, die nur nach der Schablone urteilen. Und Sie wissen, Herr Doktor – da ist einer, der morgen sterben muß, und der hat noch einen Wunsch, an dem ihm ungeheuer viel liegt, und ich kann ihm den Wunsch erfüllen ... Ich bitte Sie, Herr Doktor, gehn Sie zu ihm hin, holen Sie mir ihn her!
Ja – wenn ich für meinen Teil mich dazu entschließen wollte – ich bitte Sie, Herr Rademacher, wie kann ich es verlangen – um diese Zeit ... wahrhaftig, es ist eine so sonderbare Zumutung! Überlegen Sie doch selbst.
Oh, Herr Doktor, ich kenne meinen Freund Weihgast. Wenn Sie dem sagen: Sein alter Freund Rademacher stirbt im Allgemeinen Krankenhaus und will ihn noch einmal sehen – oh, das läßt er sich nicht entgehen. – Ich beschwöre Sie, Herr Doktor – für Sie ist es einfach ein Weg, – nicht wahr? Und für mich – für mich ...
Ja, das ist es eben! Für mich hat es natürlich nichts zu bedeuten. Aber für Sie – jawohl, für Sie könnte die Aufregung von schlimmen Folgen sein.
Herr Doktor – Herr Doktor! Wir sind ja Männer! – Auf eine Stund' früher oder später kommt's doch nicht an.
Ich kann natürlich keine Garantie n übernehmen, daß ich ihn herbringe. Aber da Ihnen so viel dran zu Hegen scheint, – Da Rademacher wieder danken will. Schon gut, schon gut. Wendet sich ab.
Lieber Tann, ich werd' dich sehr bitten, – schau' du indes auf die andern Zimmer, es ist nichts Besonderes – zwei Injektionen – die Wärterin wird dir schon sagen –
Eine sonderbare Geschichte. Der arme Teufel bittet mich, ihm einen alten Freund herzuholen, dem er offenbar
Na, und du gehst hin? Ja, sag', bist denn du ein Dienstmann? Na, hör' zu, die Leut' nützen hier einfach deine Gutmütigkeit aus.
Lieber Freund, das ist Empfindungssache. Meiner Ansicht nach sind gerade solche Dinge das Allerinteressanteste in unserm Beruf.
Ich komm' vielleicht noch hin.
HALMSCHLÖGER, TANN UND WÄRTERIN ab. FLORIAN kommt wieder herein. Ja, was haben denn Sie so lang mit dem Doktor zu reden gehabt?
Ja, mein lieber Jackwerth – geben Sie nur acht, da gibt's wieder was zu lernen ... an meinem Besuch nämlich. Den Herrn müssen Sie sich anschaun, wenn er hereinkommt zu mir, und nachher, wenn er wieder von mir fortgeht ... Ah! Immer erregter. Wenn ich's nur erleb' – wenn ich's nur erleb'! – Geben S' mir ein Glas Wasser, Jackwerth – ich bitt' recht schön. Geschieht; er trinkt gierig. Dank schön – dank schön. – Ja, so lang wird die Maschine schon noch halten ... Beinahe mit Angst. Wenn er nur kommt ... wenn er nur kommt ...
Ihm schreiben? ... Nein, davon hätt' ich nichts ... Nein, da muß ich ihn haben – da – mir gegenüber ... Aug' in Aug', Stirn an Stirn – ah! ...
Haben Sie keine Angst um mich – es ist ganz überflüssig. Es wird mir ganz leicht, meiner Seel', ich fürcht' mich nicht einmal mehr vorm Sterben ... Es wird gar nicht so arg sein, wenn der erst dagewesen ist ... Ah,
Ich möchte mich Ihnen dankbar erweisen. Sie haben mich nämlich auf diese Idee gebracht – jawohl. Ich
Wenn ich gesund werde – ich schwör's, wenn ich je wieder den Fuß aus dem Spital setz', so fang' ich von frischem an – ja. Ich fang' wieder an.
Zu kämpfen – jawohl, zu kämpfen! Ich probier's wieder. Ich geb's noch nicht auf – nein. Ich bin ja noch nicht so alt, – vierundfünfzig ... Ist das überhaupt ein Alter, wenn man gesund ist? Ich bin wer.
Jackwerth – ich bin wer, das können Sie mir glauben. Ich hab' nur Malheur gehabt. Ich bin so viel wie mancher andere, der auf dem hohen Roß sitzt, mein lieber Herr – und ich kann's mit manchem aufnehmen, der sich für was Besseres hält wie ich, weil er mehr Glück gehabt hat. Fiebrisch. Wenn er nur kommt ... wenn er nur kommt ... Ich bitt' dich, mein Herrgott, wenn du mich auch vierundfünfzig Jahre lang im Such gelassen hast, gib mir wenigstens die letzte Viertelstunde noch Kraft, daß es sich ausgleicht, so gut, als es geht. Laß mich's erleben, daß er da vor mir sitzt – bleich, vernichtet – so klein gegen mich, als er sich sein Leben lang überlegen gefühlt hat ... Ja, mein lieber Jackwerth, der, den ich da erwarte, das ist nämlich ein Jugendfreund von mir. Und vor fünfundzwanzig Jahren – und auch noch vor zwanzig – waren wir sehr gut miteinander, denn wir haben beide auf demselben Fleck angefangen – nur daß wir dann einen verschiedenen Weg gegangen sind – er immer höher hinauf und ich immer tiefer hinunter. Und heut ist es so weit, daß er ein reicher und berühmter Dichter ist, und ich bin ein armer Teufel von Journalist und krepier' im Spital. – Aber es macht nichts, es macht nichts – denn jetzt kommt der Moment, wo ich ihn zerschmettern kann ... und ich werd' es tun! Wenn er nur kommt – wenn er nur kommt! Ich weiß, Herr Jackwerth, heute nachmittag war Ihre Geliebte bei Ihnen – aber was ist denn alle Glut, mit der man ein geliebtes Wesen erwartet gegen die Sehnsucht nach einem, den man haßt, den man sein ganzes Leben lang gehaßt hat und dem man vergessen hat, es zu sagen.
Wer weiß, wer weiß? – Hören Sie, Herr Rademacher, ich werd' Ihnen einen Vorschlag machen. Halten wir doch eine Probe ab. – Ja, Herr Rademacher, ich mach' keinen Spaß. Ich kenn' mich doch aus. Verstehen Sie mich: Es kommt ja immer drauf an, wie man die Sachen bringt, nicht wahr? Was haben Sie denn schon davon, wenn Sie ihm sagen: »Du bist ein niederträchtiger Mensch, und ich hasse dich« – das wirkt ja nicht. Da denkt er sich: Du schimpfst mir lang gut, wenn du daherin liegst im Kammerl mit 39 Grad und ich geh' gemütlich spazieren und rauch' mein Zigarrl.
Ich werd' ihm noch ganz was anderes sagen. Darüber, daß einer niederträchtig ist, tröstet er sich bald. Aber daß er lächerlich war sein Leben lang für die Menschen, die er vielleicht am meisten geliebt hat – das verwindet er nicht.
Also reden Sie, reden Sie. Stellen Sie sich vor, ich bin der Jugendfreund. Ich steh' da, ich hab' den Sack voller Geld, den Kopf voller Einbildung – Spielend. »Hier bin ich, alter Freund. Du hast mich zu sprechen gewünscht. Bitte.« Na also.
Jawohl, ich hab' dich rufen lassen. Aber nicht, um von dir Abschied zu nehmen, in Erinnerung alter Freundschaft – nein, um dir etwas zu erzählen, eh' es zu spät ist.
Du meinst, daß du mehr bist als ich? – Mein lieber Freund, zu den Großen haben wir beide nie gehört, und in den Tiefen, wo wir zu Haus sind, gibt's in solchen Stunden keinen Unterschied. Deine ganze Größe ist eitel Trug und Schwindel. Dein Ruhm – ein Haufen Zeitungsblätter, der in den Wind verweht am Tag nach deinem Tod. Deine Freunde? – Schmeichler, die vor dem Erfolg auf dem Bauch liegen, Neidlinge, die die Faust im Sack ballen, wenn du den Rücken kehrst, Dummköpfe, denen du für ihre Bewunderung gerade klein genug bist. – Aber du bist ja so klug, um das zuweilen selbst zu ahnen. Ich hätte dich nicht herbemüht, um dir das mitzuteilen. Daß ich dir jetzt noch was anderes sagen will, ist Er steht auf. Ich hab' ja schon hundertmal Lust gehabt, dir's ins Gesicht zu schreien in den letzten Jahren, wenn wir einander zufällig auf der Straße begegnet sind und du die Gnade hattest, ein freundliches Wort an mich zu richten. Mein lieber Freund, nicht nur ich kenne dich, wie tausend andere – auch dein geliebtes Weib kennt dich besser als du ahnst und hat dich schon vor zwanzig Jahren durchschaut – in der Blüte deiner Jugend und deiner Erfolge. – Ja, durchschaut – und ich weiß es besser als irgendeiner ... Denn sie war meine Geliebte zwei Jahre lang, und hundertmal ist sie zu mir gelaufen, angewidert von deiner Nichtigkeit und Leere und hat mit mir auf und davon wollen. Aber ich war arm und sie war feig, und darum ist sie bei dir geblieben und hat dich betrogen! Es war bequemer für uns alle.
Ich? – Wie erwachend. Ach so ... Sie, Jackwerth, Sie haben den Schlüssel. Wenn er mir's nicht glaubt – im Schreibtisch sind auch die Briefe. Sie sind mein Testamentsverweser. – Überhaupt, in meinem Schreibtisch, da sind Schätze mancherlei – wer weiß, vielleicht ist nichts anderes nötig, um sie zu würdigen, als daß ich gestorben bin. – Ja, dann werden sich die Leute schon um mich kümmern. Insbesondere, wenn es heißt, daß ich in Not und Elend gestorben bin – denn ich sterbe in Not und Elend, wie ich gelebt habe. An meinem Grab wird schon einer reden. Ja, geben Sie nur acht, – Pflichttreue – Tüchtigkeit – Opfer seines Berufes ... Ja, das ist wahr. Florian Jackwerth, seit ich einen Beruf habe, bin ich sein Opfer – vom ersten Augenblick an bin ich ein Opfer meines Berufes gewesen. Und wissen Sie, woran ich zugrund geh'? Sie meinen an den lateinischen Vokabeln, die da auf der Tafel stehn –? Oh nein! An Gall', daß ich vor Leuten hab' Buckerln machen müssen, die ich verachtet hab', um eine Stellung zu kriegen. Am Ekel, daß ich Dinge hab' schreiben müssen, an die ich nicht geglaubt hab', um nicht zu verhungern. Am Zorn, daß ich für die infamsten Leutausbeuter hab' Zeilen schinden müssen, die ihr Geld erschwindelt und ergaunert haben, und daß ich ihnen noch dabei geholfen hab' mit meinem Talent. Ich kann mich zwar nicht
So – hier. Zu Rademacher hin, herzlich. Rademacher – ist es möglich? Rademacher – so sehn wir uns wieder! Mein lieber Freund!
Und nun erlauben Sie mir, Herr Weihgast, daß ich als Arzt die Bitte an Sie richte, die Unterredung nicht länger als eine Viertelstunde auszudehnen. Ich werde so frei sein, nach der angegebenen Zeit selbst wiederzukommen und Sie hinab zu begleiten.
Nun, Herr Rademacher, auf Wiedersehen. Droht ihm ärztlich freundlich, er möge sich nicht aufregen. Dann wechselt er einige Worte mit der Wärterin und gebt mit ihr ab.
Nun, sag' mir einmal, mein lieber Rademacher, was ist das für eine Idee, sich hierher zu legen – ins Krankenhaus –!
Ja, gewiß bist du in den besten Händen. Doktor Halmschlöger ist ein sehr tüchtiger junger Arzt und, was mehr ist, ein vortrefflicher Mensch. Wie man ja den Menschen
Wenn du dich auch eine Reihe von Jahren um deinen alten Freund nicht mehr gekümmert hast, du kannst dir wohl denken, daß ich dir unter diesen Umständen in jeder Weise zur Verfügung ...
Nun ja – bitte. Es war wahrhaftig nicht bös' gemeint. Immerhin, es ist auch jetzt nicht zu spät. – Doktor Halmschlöger sagt mir, es ist nur eine Frage der Zeit, der guten Pflege ... in ein paar Wochen verläßt du das Spital, und was eine Nachkur auf dem Lande betrifft ...
Auch von dieser Hypochondrie hat mir Doktor Halmschlöger Mitteilung gemacht – ja. Er verträgt den auf ihn gerichteten Blick Rademachers nicht gut, schaut aber nicht fort. Also, du hast mich rufen lassen, wolltest mit mir sprechen. Nun, ich bin bereit. Warum lächelst du? – Nein, es ist der Schimmer von dem Licht. Die Beleuchtung ist hier nicht ganz auf der Höhe. – Nun, ich warte. Ich werde Herrn Doktor Halmschlöger erklären, daß du von den ersten fünf Minuten keinen Gebrauch gemacht hast. Nun? –
Wie ist's dir denn immer ergangen? Leicht verlegen. Hm, die Frage ist etwas ungeschickt in diesem Moment. Ich bin ein wenig befangen, ich will es dir gestehn; denn, äußerlich betrachtet, möchte man wohl glauben, daß ich derjenige bin, dessen Los besser gefallen ist. Und doch – wenn man die Sache so nimmt, wie sie ja doch eigentlich genommen werden muß – wer hat mehr Enttäuschungen erlebt? Immer der, der scheinbar mehr erreicht hat. – Das klingt paradox, und doch ist es so. – Ah, wenn ich dir erzählen wollte ... nichts als Kämpfe – nichts als Sorgen – Ich weiß nicht, ob du die Bewegung der letzten Zeit so verfolgt hast. Nun stürzen sie über mich her ... Wer? Die Jungen. Wenn man bedenkt, daß man vor zehn Jahren selbst noch ein Junger war. Jetzt versuchen sie, mich zu entthronen ... Wenn man diese neuen Revuen liest ... Ah, es ist, um Übelkeiten zu bekommen! Mit Hohn,
Ein Bauer auf dem Land möcht ich sein, ein Schafhirt, ein Nordpolfahrer – ah, was du willst! – Nur nichts von der Literatur. – Aber es ist noch nicht aller Tage Abend.
Ah nein. Aber in der nächsten Saison, zu Beginn, kommt ein neues Stück von mir. Da sollen sie sehen, da sollen sie sehen! Ah, ich lass' mich nicht unterkriegen! Wartet nur! wartet nur! – Nun, wenn alles gut geht, so sollst du dabei sein, mein alter Freund. Ich verspreche dir, dir Billette zu schicken. Obwohl euer Blatt im allgemeinen verflucht wenig Notiz von mir nimmt. Ja, meine letzten zwei Bücher wurden bei euch direkt totgeschwiegen. Aber du hast ja mit dem Ressort nichts zu tun. Na! – Übrigens, was für gleichgültiges albernes Zeug ... So erzähle mir doch endlich. Was hast du mir zu sagen? Wenn dir das laute Sprechen Mühe macht ... ich kann ja auch ganz nahe rücken. – Hm ... Pause. Was meine Frau dazu sagen wird, wenn ich ihr erzähle, daß unser alter Rademacher im Allgemeinen Krankenhaus liegt ... Dein Stolz, mein lieber Rademacher, dein verdammter Stolz ... Na, wir wollen nicht davon reden ... Übrigens ist meine Frau augenblicklich nicht in Wien – in Abbazia. Immer etwas leidend.
Gott sei Dank, nein. Mein Lieber, dann stund' es auch mit mir schlecht. Wahrhaftig, bei ihr find' ich mich selbst – den Glauben an mich selbst wieder, wenn ich nah daran bin, ihn zu verlieren – die Kraft zu schaffen, die Lust zu leben. Und je älter man wird, um so mehr fühlt man, daß dies doch der einzige wahre Zusammenhang ist, den es gibt. Denn die Kinder ... o Gott!
Meine Tochter ist verheiratet. Ja, ich bin schon zweifacher Großvater. Man sieht's mir nicht an, ich weiß. Und mein Bub' – Bub'!! – dient heuer sein Freiwilligenjahr – macht Schulden – hat neulich ein Duell gehabt mit einem jungen
Nun, die Zeit verrinnt. Ich warte. Was hast du mir zu sagen? Ich bin bereit, alles, was du wünschest ... Soll ich vielleicht bei der Konkordia Schritte tun? Oder kann ich vielleicht in der Redaktion des »Neuen Tags« für den Fall deiner baldigen Wiederherstellung ... Oder – du entschuldigst, daß ich auch von solchen Dingen spreche – kann ich dir irgendwie mit dem schnöden Mammon ...
Laß, laß. Ich brauche nichts – nichts ... Ich hab' i dich nur noch einmal sehen wollen, mein alter Freund, – das ist alles. Ja. Reicht ihm die Hand.
So? Wahrhaftig es rührt mich. Ja. – Nun, wenn du wieder gesund bist, so hoff' ich, wir werden einander wieder öfter ... na!
Also auf Wiedersehen, lieber Freund. Wenn der Herr Doktor gestattet, so schau' ich in ein paar Tagen wieder einmal nach.
WEIHGAST. Also nochmals Adieu und gute Besserung und nicht kleinmütig sein. Gegen den Ausgang mit Halmschlöger.
Drum halt' ich auch jede Strenge für überflüssig. Regeln für Sterbende – das hat doch keinen rechten Sinn.
Sehr richtig. – Es hat mich wirklich gefreut, bei dieser Gelegenheit Ihre nähere Bekanntschaft zu machen und Sie sozusagen einmal bei der Arbeit zu belauschen. Es war mir überhaupt in vieler Beziehung interessant.
Nun, wenn ich fragen darf, war es wirklich etwas so Wichtiges, was Ihnen Ihr Freund mitzuteilen hatte?
Keine Idee. Wir haben in längst vergangener Zeit miteinander verkehrt, er wollte mich noch einmal sehen ... das war alles. Ich glaube übrigens, daß ihn mein Kommen sehr beruhigt hat. Im Gehen.
Na also, was war denn? Der Mensch muß eine kolossale Selbstbeherrschung haben. Ich versteh' mich doch auf Physiognomien – aber ich hab' ihm nichts angemerkt. Wie hat er's denn aufgenommen?
Meisterwerke! – Und wenn schon ... Nachwelt gibt's auch nur für die Lebendigen. Wie seherisch. Jetzt ist er unten. Jetzt geht er durch die Allee – durchs Tor – jetzt ist er auf der Straße – die Laternen brennen – die Wagen rollen – Leute kommen von oben ... und unten ... Er ist langsam aufgestanden.
Was hab' ich mit ihm zu schaffen? Was geht mich sein Glück, was gehn mich seine Sorgen an? Was haben wir zwei miteinander zu reden gehabt? He! was? ... Er faßt Florian
bei der Hand. Was hat unsereiner mit den Leuten zu schaffen, die morgen noch auf der Welt sein werden?
Margarete.
Klemens.
Gilbert.
Horner ist seiner Sache sicher – vielmehr meiner Sache; Waterloo fünf zu eins, Barometer zwanzig zu eins, Busserl sieben zu eins, Attila sechzehn zu eins.
Diese Ausdrücke habe ich früher gekannt als dich. Ist es übrigens ausgemacht, daß du den Lord selbst reitest?
Wie kannst du denn fragen! – Damenpreis! Wen sollt' ich denn reiten lassen? Und wenn der Horner nicht wüßt', daß ich ihn reit', stund' er nicht anderthalb zu eins – darauf kannst du dich verlassen.
Das glaub' ich. – Du bist so schön, wenn du zu Pferd sitzt, einfach zum Totschießen! Nie werd' ich vergessen, wie du in München, grad am Tag, an dem ich dich kennen gelernt ...
Erinner' mich nicht daran. Da hab' ich Pech gehabt. Nie hätt' der Windisch das Rennen gewonnen, wenn er beim Start nicht zehn Längen profitiert hätt'. Aber diesmal – na! – Und am Tag drauf reisen wir ab.
Aber Kind, natürlich deswegen. Du hast noch aus früherer Zeit so gewisse Vorstellungen von Eleganz, so ... du entschuldigst schon – so ein bißl aus die Witzblätter.
Na, dem Szigrati darfst du nicht alles glauben, er verbreitet jetzt das Gerücht, daß der Badegast nicht mitgeht, damit die Odds länger werden.
Ja, glaubst du, unter uns gibt's keine Spekulanten? Für manche ist das Ganze nur ein Geschäft. Glaubst du, so ein Mensch wie der Szigrati hat das geringste Interesse für den Sport? Er könnt' ebensogut auf die Börs' gehen. Im übrigen, für'n Badegast könnt' man ihm ruhig hundert gegen eins legen.
Aber der Butters reit't ja nicht für den Szigrati. Das ist ein Stallbursch gewesen. – Übrigens kann der Badegast aussehen, wie er will, egal – er ist ein Blender. Na, Margaret', bei deinem Talent wirst du die wahren Größen bald von den falschen unterscheiden lernen. Es ist ja wirklich unglaublich, mit welcher Geschwindigkeit du dich in alle diese Dinge sozusagen eingearbeitet hast. Es übertrifft meine kühnsten Erwartungen.
Warum übertrifft's denn deine Erwartungen?
Was hat das mit meinen persönlichen Anschauungen zu tun, daß mein Mann eine Baumwollspinnerei gehabt hat? Ich hab' mich immer auf meine eigene Weise weitergebildet. Im übrigen reden wir nicht mehr von dieser Zeit, die liegt fern, Gott sei Dank!
Na, ich mein' nur, in deiner Münchener Gesellschaft kannst du doch nicht viel von sportlichen Dingen gehört haben, soweit ich das beurteilen kann.
Möchtest du nicht bald aufhören, mir die Gesellschaft zum Vorwurf zu machen, in der du mich kennen gelernt hast.
Vorwurf? – Davon kann gar keine Rede sein! Es ist und bleibt mir nur unbegreiflich, wie du zu den Leuten gekommen bist.
Kind, ich geb' dir mein Wort: Einige haben absolut ausgesehn wie Straßenräuber. Es ist mir ganz unbegreiflich, wie du's mit deinem ausgeprägten Sinn ... Na, ich will ja gar nichts andres sagen als für – Reinlichkeit und gute Parfüms unter diesen Menschen hast aushaken, mit ihnen an einem Tisch sitzen können.
Neben ihnen – nicht mit ihnen. Ja – und um deinetwillen, ausschließlich um deinetwillen, wie du sehr wohl weißt. Übrigens will ich gar nicht leugnen, daß einige bei näherer Bekanntschaft gewonnen haben; es waren ganz interessante Leut' darunter. Du darfst auch nicht glauben, mein Schatz, daß ich mich über alle Menschen, die schlecht angezogen sind, erhaben fühle. – Daran liegt's ja auch nicht. In ihrem ganzen Benehmen, in ihrem Wesen ist irgendwas, das einen nervös macht.
Na, sei nur nicht beleidigt, Schatz. Ich hab's ja schon gesagt: es sind sehr interessante Leute drunter. Aber wie sich eine Dame unter ihnen auf die Dauer wohlfühlen kann, das werde ich nie und nimmer begreifen.
Du vergißt eben eins, mein lieber Klemens, daß ich in gewissem Sinn auch zu ihnen gehöre oder wenigstens gehört hab'.
»Nicht mitkannst« – das hab' ich sehr gern! Ich kann schon ganz gut mit – du weißt, was mich an deiner Schreiberei geniert hat, und du weißt, daß es etwas ganz Persönliches ist.
Nun, es gibt Frauen, die in meiner damaligen Situation Schlimmeres getan hätten, als Gedichte zu schreiben.
Aber solche! solche! Er nimmt ein kleines Buch vom Kaminsims. Darum handelt es sich. Ich kann dir versichern, sooft ich's daliegen seh', sooft ich nur dran denke, schäm' ich mich, daß es von dir ist.
Dafür fehlt dir das Verständnis ... Na, sei nicht bös' – wenn du das hättest, wärst du eben vollkommen und das soll wahrscheinlich nicht sein. – Aber was geniert dich denn dran? Du weißt doch, daß ich nichts von alledem erlebt habe.
Da muß ich halt fragen: wie kann eine Dame so phantasieren? Liest. »An deinem Halse häng' ich trunken und sauge mich an deinen Lippen fest ...« Kopfschüttelnd. Wie kann eine Dame so was niederschreiben, – wie kann eine Dame so was drucken lassen? Jeder Mensch, der das liest, muß sich doch die Verfasserin vorstellen und den betreffenden Hals und – die betreffende Trunkenheit.
Ich kann mir's auch nicht vorstellen. Das ist ja mein Glück – und deins, Margarete. Aber wie bist du zu solchen Phantasien gekommen? Auf deinen ersten Mann können sich
Natürlich nicht! Deswegen hab' ich mich ja von ihm scheiden lassen. Du kennst ja die Geschichte. Neben einem Menschen, der für nichts Sinn hat als für Essen und Trinken und Baumwolle, habe ich nicht existieren können.
Wieso? Du hast doch keine Entbehrungen zu leiden gehabt? In dieser Hinsicht hat sich ja dein Mann, das muß man ihm lassen, sehr anständig benommen. Du warst nicht darauf angewiesen, dir Geld zu verdienen. Und wenn sie dir schon für ein Gedicht hundert Gulden geben – mehr zahlen sie doch gewiß nicht – du warst doch nicht gezwungen, so ein Buch zu schreiben.
Liebster Kle, ich meinte »Lage« auch nicht in materiellem Sinn; ich meinte meinen Seelenzustand. Hast du denn eine Ahnung ... Als du mich kennen lerntest, war es ja schon viel besser, da hatt' ich mich in mancherlei gefunden, aber anfangs! – Ich war ja so ratlos, so zerfahren ... Alles mögliche hab' ich versucht, gemalt hab' ich – sogar eine englische Lektion hab' ich gegeben in der Pension, wo ich gewohnt hab'. Denk' dir nur, mit zweiundzwanzig Jahren dastehen als geschiedene Frau, niemanden haben –
Weil ich mit meiner Familie auseinander war. Es hat mich ja niemand verstanden. Na, diese Leute! Glaubst du, irgendwer von meiner Familie hat begriffen, daß man auch noch was anderes vom Leben will als einen Mann und schöne Kleider und eine soziale Position? O Gott! Wenn ich ein Kind gehabt hätt', war' vielleicht alles anders gekommen – möglich, vielleicht auch nicht. Ich bin ja sehr kompliziert. Im übrigen, darfst du dich beklagen? War es nicht endlich das beste, was ich überhaupt tun konnte, nach München zu gehen? Hätt' ich dich sonst kennen gelernt?
Ich wollte frei werden – ich meine: innerlich frei. Ich habe sehen wollen, ob ich aus eigner Kraft weiterkommen
Daran hab' ich noch nie gedacht. Ich habe dich vom ersten Moment an geliebt, das war es. Denn einen wie dich hab' ich mir immer geträumt. Ich hab's immer gewußt, glücklich machen kann mich nur einer wie du. Rass', – das ist kein leerer Wahn. Was ist alles andere dagegen! Siehst du, drum glaub' ich auch im mer –
Vor dir darf man halt nicht sagen, was man sich denkt. Das fehlt dir, – sonst wärst du eben vollkommen Sie schmeichelt sich an ihn heran. Ich habe dich ja so unglaublich gern. Gleich am ersten Abend, wie du ins Kaffeehaus gekommen bist, mit dem Wangenheim – gleich hab' ich's gewußt: der ist es! Wahrhaftig, du bist unter die Leute getreten wie aus einer andern Welt.
Hoff' ich. Und sehr dazugehörig hast du, Gott sei Dank, auch nicht ausgesehen. Nein, wenn ich mich an diese Gesellschaft erinner' – an die Russin zum Beispiel, die ausgeschaut hat wie ein Student mit ihren kurzgeschnittenen Haaren – nur daß sie kein Kappel getragen hat.
Ich weiß. Du hast sie mir ja in der Pinakothek gezeigt; da ist sie auf der Leiter gestanden und hat kopiert. – Und dann der Kerl mit dem polnischen Namen –
Bemüh' dich nicht, hast es ja jetzt nimmer notwendig.
Aber natürlich! Talentiert sind sie ja alle im Kaffeehaus. – Na, und dann dieser Bengel, die ser unerträgliche –
Du weißt schon, wen ich mein'. Der immer die taktlosen Bemerkungen über die Aristokratie gemacht hat.
Ja. Ich will gewiß nicht alle meine Standesgenossen verteidigen, Lumpen gibt's überall, sogar unter den Dichtern, hab' ich mir sagen lassen – aber es ist doch manierlos von einem Menschen, wenn einer von uns dabei ist ...
Es war ein interessanter Mensch bei alledem – ja. Und dann kam noch dazu, daß er sehr eifersüchtig auf dich war.
Ach Gott, es waren alle auf dich eifersüchtig. Natürlich ... Du warst so anders. Und dann, es haben mir alle den Hof gemacht, grade weil ich gegen alle ganz gleich war. Das mußt du doch bemerkt haben – nicht? Warum lachst du denn?
Komisch! Wenn mir das einer prophezeit hätte, daß ich einen Stammgast aus dem »Café Maximilian« heiraten werde! Am besten gefallen haben mir eigentlich die zwei jungen Maler, sie waren wirklich wie aus einem Theaterstück. Weißt du, die sich so ähnlich gesehen und alles gemeinschaftlich gehabt haben, – mir scheint, auch die Russin auf der Leiter.
Aber Kind, sei doch nicht so empfindlich. Ich weiß ja,
Sag', Kle: Du wärst also wirklich nicht stolz, wenn deine Geliebte, deine Frau eine große und berühmte Dichterin wäre?
Ich hab' dir schon gesagt: meinetwegen halt mich für borniert in der Hinsicht, aber ich versichere dich, wenn du heut wieder anfingst, Gedichte zu schreiben, oder sie gar drucken ließest, in denen du meinethalben mich anschwärmst und der Welt von unserm Liebesglück erzähltest – Nichts war's mit dem Heiraten, auf und davon ging ich dir!
Mein Schatz, stadtbekannt hin, stadtbekannt her – ich hab's niemandem erzählt, ich hab's nicht drucken lassen, wenn mir eine trunken am Hals gehängt ist, und ein jeder hat sich's um einen Gulden fünfzig kaufen können! Darauf kommt's an! Ich weiß ja, daß es Leute gibt, die davon leben; aber ich find' es im höchsten Grad unfein. Ich sag' dir, mir kommt's ärger vor, als wenn sich eine im Trikot als griechische Statue beim Ronacher hinausstellt. So eine griechische Statue sagt doch nicht Mau! Aber was so ein Dichter alles ausplauscht, das geht über den Spaß!
Das ist doch sehr einfach: ich schreib' eben noch immer – oder ich habe wenigstens was geschrieben. Ja, so etwas ist stärker, als andere Menschen begreifen können. Ich glaub', ich wäre zu Grund gegangen, wenn ich nicht geschrieben hätte.
Einen Roman. Ich hatte zuviel auf dem Herzen. Ich wäre daran erstickt. Bis heut hab' ich dir's verschwiegen; endlich muß es doch heraus. Künigel ist entzückt davon.
Du irrst dich, liebes Kind. Ich finde das von dir ... Was kommen denn eigentlich für Sachen drin vor?
Das läßt sich nicht so leichthin sagen. Der Roman enthält sozusagen das meiste, was über das meiste zu sagen ist.
Und darum kann ich dir auch versprechen, daß ich von nun an keine Feder mehr anrühre. Es ist nicht mehr notwendig.
Wie kannst du fragen? Dich, nur dich! Soviel ich auch beobachtet, soviel ich auch gesehen habe – erlebt hab' ich nichts. Ich habe auf dich gewartet.
Daß du ihn hast schreiben müssen – gut; aber lesen soll ihn wenigstens keiner. Bring ihn her, wir wollen ihn ins Feuer werfen.
Weshalb? Wenn ich es wünsche, wenn ich erkläre, daß ich davon alles weitere abhängig mache ... Du verstehst mich ... wird es vielleicht doch möglich sein!
Klemens, ich hab' nicht anders können. Wenn er erst da ist, wirst du mir verzeihen! Mehr als das: – Du wirst stolz sein!
Klemens! Was bedeutet das? Er verläßt mich? Was soll ich denn tun? – Klemens! – Alles soll zu Ende sein? Nein, es ist ja nicht möglich! Klemens! – Ich muß ihm nach! Sie sucht nach ihrem Hut – Klingel. Ah! er kommt zurück! Er hat mir nur Angst machen wollen. – Oh, mein Klemens! Zur Türe.
Zu dem Stubenmädchen, das die Tür geöffnet hat. Ich sagte Ihnen ja, daß die gnädige Frau zu Hause ist. – Guten Tag, Margarete.
Das seh' ich. Aber es liegt kein Grund vor. Ich befinde mich hier nur auf der Durchreise; ich fahre nach Italien. Und eigentlich komme ich nur zu dir, um dir in Erinnerung alter Überreicht ihr das Buch. Da sie es nicht gleich nimmt, legt er es auf den Tisch.
Übergangsstadium, ich weiß. Für ein möbliertes Zimmer sieht es leidlich genug aus. Allerdings, diese Familienporträts an den Wänden würden mich wahnsinnig machen.
Warum soll ich's nicht sagen? An das kleine Zimmer in der Steinsdorfer Straße, mit dem Balkon auf die Isar. Erinnerst du dich, Margarete?
Wie du willst ... wie Sie wollen, Margarete. Pause. Plötzlich. Sie haben sich jämmerlich benommen, Margarete.
Oder wünschen Sie, daß ich in Umschreibungen rede? Ich finde leider kein anderes Wort. – Und es war so überflüssig, Margarete. Mit der Ehrlichkeit war' es ebensogut gegangen. Es war gar nicht notwendig, München bei Nacht und Nebel zu verlassen.
Es war weder Nacht noch Nebel. Ich bin um acht Uhr dreißig früh bei hellem Sonnenschein mit dem Expreß abgereist.
Was tut das? Sie haben ihm gewiß nicht gesagt, daß Sie einst in meinen Armen gelegen sind und mich angebetet haben. Ich bin eben ein guter Bekannter aus München. Und ein guter Bekannter darf Sie wohl besuchen?
Weshalb? Sie mißverstehen mich noch immer. Ich komme wirklich nur als guter Bekannter. Alles andere ist vorbei, längst vorbei ... Na, Sie werden ja sehen. Deutet auf sein Buch.
Ach Gott, ich erinnere mich, daß Ihr eigentliches Gebiet die kleine Skizze, die Beobachtung alltäglicher Vorkommnisse ...
Mein Gebiet? ... Mein Gebiet ist die Welt! Ich schreibe, was mir beliebt! Ich lasse mich nicht umgrenzen. Ich weiß nicht, was mich abhalten sollte, einen Roman zu schreiben!
Innerlich hab' ich ihn geohrfeigt! Du warst damals ebenso empört wie ich. Wir waren vollkommen einig, daß Neumann ein Kretin sei. »Wie darf dieses Nichts wagen ...« das waren deine Worte, »dir Grenzen abzustecken! Wie darf er es wagen, dein nächstes Buch sozusagen im Mutter leib zu erwürgen?« Du hast es gesagt! Und heute berufst du dich auf diesen Literaturhausierer!
Empfindlich? Du nennst mich empfindlich? Du? Ein Weib, das die schwersten Schüttelfröste bekam, wenn der kleinste Schmock im letzten Käseblatt ein böses Wort auszusprechen wagte?
Meines? Ich brauche nichts davon zurückzunehmen; ich erlaube mir nur zu bemerken, daß du deine paar hübschen Gedichte in unserer Zeit geschrieben hast.
Ich stehe starr! Soll ich dich an die Situationen erinnern, in welchen deine schönsten Verse entstanden sind?
Ha! kostbar! Woher hast du das? Weißt du, wie der Franzose in einem solchen Falle sagt? »Cest de la littérature!«
Ce n'est pas de la littérature! Das ist wahr, vollkommen wahr! Oder glaubst du im Ernst, daß ich dich mit dem schlanken Jüngling gemeint? Daß ich deine Locken besungen habe? – Du bist schon damals dick gewesen – und das waren doch niemals Locken! Sie fährt ihm in die Haare.
Damals hast du sie dafür gehalten. Oder hast sie wenigstens so genannt. Nun ja, was tut man nicht alles für den Vers, für den Wohlklang! Hab' ich dich nicht einmal in einem Sonett »mein kluges Mädchen« genannt? Dabei warst du weder ... Aber nein, ich will nicht ungerecht sein – klug bist du ja gewesen, beschämend klug, widerwärtig klug! Das ist dir gelungen! Im übrigen: wundern muß man sich nicht; du warst ja immer ein Snob. Ach Gott! Jetzt hast du ja deinen Willen. Du hast ihn eingefangen, deinen adeligen Jüngling mit den wohlgepflegten Händen und dem ungepflegten Gehirn, den vortrefflichen Reiter, Fechter, Schützen, Tennisspieler, Herzensbrecher – die Marlitt hätt' ihn nicht ekliger erfinden können. Ja, was willst du denn mehr? Ob dir das auf die Dauer genügen wird, dir, die einmal Höheres gekannt hat, das ist freilich eine andere Frage. Ich kann dir nur sagen: für mich bist du eine Herabgekommene der Liebe.
Ich hab' noch eins für dich: Früher warst du Weib, jetzt bist du Weibchen. Ja, das bist du! Was hat dich denn zu einem Menschen von dieser Sorte hingelockt? Nichts als der Trieb, der ganz gemeine Trieb!
Versuche jetzt nicht, unser Verhältnis herabzuziehen – es wird dir nicht gelingen. Es bleibt das Herrlichste, was du erlebt hast.
Ertragen? Du hast dich daran berauscht! Sei nicht undankbar – ich bin es auch nicht. Wie erbärmlich du dich am Ende auch benommen hast, mir kann es die Erinnerung nicht vergällen. Ich will noch mehr sagen: auch das hat dazu gehört.
Nämlich – diese Erklärung bin ich dir noch schuldig; höre! Gerade zu der Zeit, als du begannst, dich von mir abzuwenden, als du das Heimweh nach dem Stall bekamst – la nostalgie de l'écurie – gerade damals war ich soeben mit dir innerlich fertig geworden.
Es ist charakteristisch, daß du davon nicht das geringste bemerkt hast. – Fertig war ich mit dir, ja! Ich hab' dich einfach nicht mehr gebraucht. Was du mir geben konntest, hattest du mir gegeben – dein Amt war erfüllt. Du wußtest in den Tiefen deiner Seele – du wußtest unbewußt ...
Daß deine Zeit um war. Unser Verhältnis hat seinen Zweck erfüllt: ich bereue es nicht, dich geliebt zu haben.
Vortrefflich! In dieser kleinen Bemerkung spricht sich für den Kenner nicht weniger aus, als der tiefe Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Dilettanten. Für dich,
Was du triffst, bei Gott! das treff' ich auch! Auch ich habe einen Roman geschrieben, in den unsre einstigen Beziehungen hineinspielen, auch ich habe unsere einstige Liebe – oder was wir so nannten – der Ewigkeit aufbewahrt.
Von der Ewigkeit würd' ich an deiner Stelle doch nicht reden, bevor die zweite Auflage erschienen ist.
Denn du bist ein freier Mann, du brauchst dir die Stunden nicht zu stehlen, in denen du Künstler sein darfst, und du setzt nicht deine Zukunft aufs Spiel.
Ich hab' es getan! Vor einer halben Stunde hat mich Klemens verlassen, weil ich ihm gestand, daß ich einen Roman geschrieben habe.
Ich weiß nicht. Auch das ist möglich. Er ist im Zorn fortgegangen. Er ist unberechenbar. Was er über mich beschließen wird, kann ich nicht voraussehen.
So! Also er verbietet dir zu schreiben! Er duldet nicht, daß seine Geliebte gewissermaßen von ihrem Gehirn Gebrauch macht! Ah, vortrefflich! Das ist die Blüte der Nation! So – ja! Und du, du schämst dich nicht, in den Armen eines solchen Idioten dasselbe zu empfinden, was du einst ...
Du weißt ja nicht, warum er dagegen ist, daß ich dichte! Nur aus Liebe! Er fühlt es, daß ich da in einer Welt lebe, die für ihn verschlossen ist, er schämt sich für mich, daß ich das Innerste meiner Seele vor Unberufenen ausbreite, er will mich für sich allein, ganz allein haben; und darum ist er fortgestürzt ... nein, nicht gestürzt, denn Klemens gehört nicht zu den Männern, welche fortstürzen ...
Gut beobachtet. Aber fort ist er doch. Über das Tempo wollen wir nicht diskutieren. Und er ist fort, weil er nicht duldet, daß du deinem Schaffensdrang nachgibst.
Ja, wenn er auch das noch verstünde! Aber das gibt's offenbar nicht. Ich könnte ja die beste, die treueste, die edelste Frau von der Welt sein, wenn es nur den richtigen Mann auf der Welt gäbe!
So begreife doch, daß er dich einfach knechtet, zugrunde richtet, dein ureigenes Ich aus Egoismus zu ruinieren sucht. Denke doch an die Margarete, die du einmal warst! Denke an die Freiheit, in der du dich entwickeln durftest, da du mich liebtest! Denke an die erlesenen Menschen, mit denen du damals verkehrtest, denke an die Jünger, die sich um mich versammelten und die auch die deinen waren. Sehnst du dich nicht manchmal zurück? Denkst du nicht an dein kleines Zimmer mit dem Balkon – unten rauschte die Isar – Er hat ihre Hände gefaßt und drängt sich an sie.
Es kann wieder so werden; es braucht ja nicht die Isar zu sein. – Ich will dir einen Vorschlag machen, Margarete. Sag' ihm, wenn er wiederkommen sollte, daß du in München noch einiges Dringende zu besorgen hättest, und verbringe diese Zeit mit mir. Margarete, du bist ja so schön! Wir wollen wieder glücklich sein wie einst, Margarete! Erinnerst du dich? Ganz nahe. »An deinem Halse häng' ich trunken ...«
Adieu. Sich noch einmal wendend. Willst du mir nicht wenigstens zum Abschied deinen Roman geben, wie ich dir den meinen gegeben habe?
Ihr erster Mann ist kein Baumwollfabrikant, sondern ein großer Spekulant – auch betrügt sie ihn nicht mit einem Tenor ...
Dann geht sie nicht nach München, sondern nach Dresden, und dort hat sie ein Verhältnis mit einem Bildhauer.
Ja, ein Erzherzog, der um ihretwillen den Hof verläßt, sie heiratet und mit ihr nach den Kanarischen Inseln auswandert.
Aufgesetzt – diese Briefe an mich, die wie in zitternder Eile hingeworfen schienen. »Noch ein Wort, Geliebter, eh' ich schlafen gehe, mir fallen die Augen zu ...« und dann, wenn dir die Augen zugefallen waren, hast du ihn ins Reine geschrieben?!
Ich hätt' es ahnen können. Ich muß ja noch froh sein, daß sie nicht einem Briefsteller für Liebende entnommen waren. Oh, wie bricht alles zusammen! Die ganze Vergangenheit ein Trümmerhaufen! ... Sie hat ihre Briefe aufgesetzt.
So sei doch froh. Wer weiß, ob meine Briefe an dich nicht das einzige sind, was von dir übrigbleiben wird.
Woher hast du denn die deinen gehabt? Die hab' doch ich! – Ah, siehst du, du hast sie auch aufgesetzt!
O nein, ich hab' sie nur abgeschrieben, bevor ich sie an dich absandte. Sie sollten nicht verloren gehen. Es sind sogar einige drin, die du gar nicht bekommen hast, die viel zu schön für dich waren, die du gar nicht verstanden hättest.
Ja, um Gottes willen, wenn es so ist ... In Gilberts Buch blätternd. Ja, es ist so! Ja, das ist doch ganz dasselbe, als wenn wir der Welt erzählten, daß wir zwei ... Um Himmels willen ... Aufgeregt blätternd. Ist am Ende auch der Brief aufgenommen, den du mir am Morgen nach der ersten Nacht ...
Aber das ist ja entsetzlich! Es wird ein europäischer Skandal! Und Klemens, um Gottes willen! Ich fange an zu wünschen, daß er nicht mehr zurückkommt! Ich bin ja verloren! Und du mit mir! Wo immer du sein magst, er wird dich zu finden wissen, er wird dich niederschießen wie einen tollen Hund!
Wie konntest du nur auf diese irrsinnige Idee kommen! Briefe einer Frau, die du angeblich geliebt hast ... Man sieht doch gleich, daß du kein Gentleman bist!
Es ist wahr, ich habe dir nichts vorzuwerfen. Wir sind einander würdig. Ja, Klemens hat recht. Ärger als die Weiber beim Ronacher sind wir, die sich in Trikots hinausstellen. Unsere geheimsten Seligkeiten, unsere Schmerzen, alles stellen wir aus! Pfui! pfui! mich ekelt ja vor mir! Wir zwei gehören zusammen. Klemens hätte recht, wenn er mich davonjagt. Plötzlich. Komm, Amandus!
Es kann wieder so werden wie einst, du hast es gesagt: es braucht nicht die Isar zu sein – nun, ich bin bereit!
Das ist ja vollkommen verrückt! Fliehen – was heißt denn das? Sagtest du nicht selbst, er wird mich überall zu finden wissen? Wenn du bei mir bist, findet er dich auch. Es wäre viel klüger, wenn jeder für sich allein ...
Elender, jetzt willst du mich im Stich lassen?! Und vor wenigen Minuten bist du vor mir auf den Knien gelegen? Schämst du dich nicht?
So sei doch nicht verrückt. Warum zitterst du denn so? Er kann doch nicht beide Romane gelesen haben. Komm doch zu dir! Leg' den Hut ab! Fort mit dem Mantel! Ist ihr behilflich. Wenn er dich in dieser Verfassung sieht, muß er ja ahnen ...
Das ist mir egal – lieber gleich, als später. Ich ertrag' es nicht, das Entsetzliche abzuwarten, ich sag' ihm sofort alles.
Ja, solang du noch da bist. Wenn ich ihm jetzt ehrlich alles eingestehe, wird er mir vielleicht verzeihen!
Und ich – und ich?! Ich habe doch wohl noch was Gescheiteres auf der Welt zu tun, als mich von einem eifersüchtigen Baron niederschießen zu lassen wie einen tollen Hund! Klingel.
Jawohl, Herr Baron. Auf einer Reise nach dem Süden begriffen, konnte ich mir nicht versagen, der gnädigen Frau meine Aufwartung zu machen.
Ach so. Pause. Ich scheine eine Unterhaltung unterbrochen zu haben, was mir sehr leid täte. Ich bitte, sich nicht stören zu lassen.
Vielleicht kann ich Ihrer Erinnerung zu Hilfe kommen? In München haben Sie wenigstens immer von Ihren Büchern gesprochen ...
Bitte, fahren Sie fort. Man kann jetzt auch mit mir über Literatur reden. Nicht wahr, Margarete? – Ist es ein naturalistischer Roman? ein symbolischer? erlebt? stilisiert?
Selbst wenn einer einen Nero schreibt, so ist es dazu unumgänglich notwendig, daß er Rom innerlich angezündet hat ...
Woher soll man schließlich Inspirationen nehmen als aus sich selbst? Woher Modelle als aus dem Leben ringsum;
Es ist nur schade, daß die Modelle selbst so selten darum gefragt werden. Ich muß schon sagen, wenn ich eine Frau wäre, ich tät' mich bedanken, daß man den Leuten erzählt ... Scharf. In anständiger Gesellschaft nennt man das, eine Frau kompromittieren!
Ich weiß nicht, ob ich mich zur anständigen Gesellschaft rechnen darf, aber ich nenne das, eine Frau adeln.
Das Wesentliche ist nur, ob's einer trifft! Denn was liegt in höherm Sinn daran, daß man von einer Frau weiß, ob sie in diesem oder jenem Bett glücklich gewesen ist.
Aber Margarete. Zu Gilbert. Es ist mir in hohem Grade peinlich, Herr Gilbert ... So steh doch auf, Margarete! Steh auf – es ist ja schon alles gut!
Es ist alles gut, es ist schon in Ordnung. Na ja, wenn ich dir sag'. Du brauchst nur noch ein Wort an Künigel hin
Ach, Sie wissen schon? Jedenfalls scheint es, Herr Gilbert, daß es mit der Kameradschaft nicht so weit her ist.
Ja. Es bleibt mir wirklich nichts anderes übrig, als um Entschuldigung zu bitten. Ich bin wahrhaftig beschämt.
Ich bedaure sehr, daß Sie einer Szene beiwohnen mußten, Herr Gilbert, die ich beinah schon eine häusliche nennen möchte.
Oh! – Ich will auch nicht weiter lästig fallen. Gnädige Frau – Herr Baron – Darf ich mir nun erlauben, als äußeres Zeichen, daß jedes Mißverständnis zwischen uns geschwunden, als schwachen Beweis meiner Sympathie, Ihnen, Herr Baron, meinen Roman zu überreichen?
Sie sind sehr liebenswürdig, Herr Gilbert. Ich muß zwar sagen – deutsche Romane sind nicht mein Faible. Na, das ist halt der letzte, den ich lesen werde – oder der vorletzte –
MARGARETE, GILBERT. Der vorletzte?
Deiner, mein Kind. Zieht ein Exemplar aus der Tasche. Ein Exemplar hab' ich mir nämlich von Künigel ausgebeten, um es dir mitzubringen – oder vielmehr – uns beiden.
MARGARETE, GILBERT tauschen ratlos Blicke.
Nein – Klemens ... nein, ich nehme soviel Güte nicht an – da – Sie wirft das Buch in den Kamin. Ich will von all dem nichts mehr wissen.
Es scheint, ich bin hier vollkommen überflüssig ... Gnädige Frau, Herr Baron – Für sich. Daß mir der Schluß entgehen mußte! Ab.