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Die Wilhelmine könnte in dieser neuen Auflage ganz wohl ohne Vorrede erscheinen, weil der Verfasser nicht viel über dieses kleine unwichtige Gedicht zu sagen hat. Durch den Beifall, womit ihn einige Personen beehrt, denen er vorzüglich zu gefallen wünschte, hat er seine Absicht vollkommen erreicht – Indessen ist ihm auch nicht unbekannt geblieben, daß ihn verschiedene andere lieber beschuldigt hätten, als ob er mit dieser Kleinigkeit etwas Böses wider die Religion und ihre Diener im Sinne führe, und diesen zu ernsthaften Kunstrichtern hält er sich für verbunden, öffentlich zu sagen, daß keiner von ihnen vielleicht selbst mehr Ehrerbietung gegen die Religion und Hochachtung gegen vernünftige Geistliche haben könne als er; wie würden sie sich wundern, wenn der Verfasser hier die ehrwürdigen Namen einiger großen Geistlichen hersetzen wollte, die dieses Gedicht bei allen seinen ersten Fehlern mit Vergnügen gelesen und kein Geheimniß daraus gemacht haben. Da sich aber der Verfasser auf einen witzigen Einfall, dem ein zu strenger Eifer vielleicht ein verdächtiges Gepräge geben könnte, nicht so viel zu Gute thut, um ihn nicht ohne Barmherzigkeit auszustreichen, so hat er, auf den Rath eines unsrer trefflichsten Dichter, diesen Anstoß durch einige Veränderungen zu
Es ist mir des Herrn Pastors wegen nicht lieb, daß Wilhelmine, seitdem sie an ihn verheirathet ist, mit ihren Kleidern noch so oft ändert, als sie es am Hofe gewohnt war, und von jeder Leipziger Messe wenigstens mit einem Jüpon versehen wird, woran der Pastor, wie man wohl denken kann, nicht den geringsten Antheil hat.
Das sind die Sitten der großen Welt, Madame, die Sie auf dem Lande ablegen müssen! Kann man es den Leuten verdenken, wenn sie sich darüber aufhalten? »Was bildet sich denn die Frau ein?« habe ich schon hier und da sagen hören. »Trägt sie nicht Spitzen, die mehr kosten, als die Pfarre ihres Mannes in vielen Jahren kaum einträgt – da andere ehrliche Weiber, die doch wohl
Einen seltenen Sieg der Liebe sing' ich, den ein armer Dorfprediger über einen vornehmen Hofmarschall erhielt, der ihm seine Geliebte vier lange Jahre entfernte, doch endlich durch das Schicksal gezwungen wurde, sie ihm geputzt und artig wieder zurück zu bringen.
Der große Gedanke, der sonst die deutschen Dichter erhitzt, daß sie die Freuden des Tages und die Erquickung der Nacht – daß sie die Peiniger der menschlichen Natur, Hunger und Durst, und die größeren Qualen der Dichter, den Spott der Satyre und die Faust des Kunstrichters verachten – dieser große Gedanke: Einst wird die Nachwelt mich lesen – hat keinen Antheil an meinen Gesängen. Dein belohnendes Lächeln allein, komische Muse! reizt mich an, diesen neuen Sieg der Liebe zu singen; und will ja die Göttin des Ruhms der süßen Bemühung des Dichters noch eine Belohnung hinzuthun, so sey es der theure Beifall meiner Caroline! Sie lese dies Lied, das ich, entfernt von ihr, aus Einsamkeit sang, meinen Geist zu ermuntern! Ihr harmonisches Herz schwell' auf; unwillig über den Einfluß des glücklichen Dichters, in ihr jugendlich wallendes Blut, verschluckte Sie dann eine doppelte Dosis Bezoarpulver, und seufzte nach meiner Zurückkunft!
Nah an der glänzenden Residenz eines glücklichen Fürsten, nicht fern von der schiffbaren Elbe, verbreiteten sich in dem anmuthigsten Thale zwanzig kleine Wohnungen fröhlicher Landleute. Junge Haselstauden und wohlriechende Birken verbauten dieß Landgut in Schatten, und versüßten dem fleißigen Bauer die entkräftende Arbeit, wenn der Hundsstern wüthete; und, entblättert vom
Nur der Pastor des Dorfes allein, der gelehrte Sebaldus, hatte seit vier unglücklichen Jahren die ländliche Munterkeit verloren, die auch sonst auf seiner offenen Stirn gezeichnet war. Ein geheimer Kummer peinigte sein Herz. Wenn er die ganze Woche hindurch in der Einsamkeit seiner verrußten Klause getrauert hatte, dann winselte er am Sonntage der schlafenden Gemeinde unleidliche Reden vor, und selbst bei dem theuer bezahlten Leichensermon verließ ihn seine sonst männliche Stimme. Die Klügsten der Gemeinde marterten sich umsonst, die Ursache seines Leidens zu entwickeln. Was fehlt unserm Magister? fragte einer den andern: Wir lieben ihn ja, er ist der Vornehmste im Dorf, und er wird auch nicht etwan, wie dieser und jener – von einem hochmüthigen Junker geplagt, denn der unsere lebt, Gott sey es gedankt, ferne von uns, und verbraust seine Renten in Frankreich. So klagten die Bauern den Kummer ihres Magisters! Aber umsonst blieb ihr mitleidiges Nachforschen; der tiefsinnige Pastor verbarg seine Sorgen der Neugier, und außer Sonntags, wo sein Amt ihm gebot, schien seine Sprache verloren. Vier Jahrgänge finsterer Predigten hatt' er also geendiget: mit zitternden Händen geschrieben und auf einen Haufen gesammlet, lagen sie in einem verriegelten Schranke, oft von andächtigen Würmern besucht, die alle Buchstaben zerfraßen, und höflicher für die dankbare Nachwelt sorgten, als der betrogene Buchhändler, der so oft mit drolligsten Postillen den einfältigen Freygeist belustigt. Aber die komische Muse hüpft ängstlich über den heiligen Staub und über die traurigen Scheduln des Pastors; sie beschäftige sich nur mit seinem Glücke – und erzähle den wunderbaren Traum, der ihm,
In der zwölften Stunde der Nacht, damals, als sich das zweiundsechzigste blutige Jahr des achtzehnten Jahrhunderts von wenigen Minuten loszuarbeiten suchte, um sich an die Reihe so vieler vergangenen Jahrtausende zu hängen; so wie der fruchtbare Nachtvogel
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auf dessen Rücken die Natur einen Todtenkopf gebildet, sich mühsam aus dem Gefängnisse seiner Puppe herauswindet, seine schweren Flügel versucht – und verschwinden würde, wenn nicht ein naturforschender Rösel sein Leben verfolgte – Der pfählt ihn mit einem glühenden Pfriemen gleich nach seiner Geburt, und setzt diesen gräulichen Vogel in die bunte Gesellschaft der Schmetterlinge, Heuschrecken und Käfer. Da erschien Amor dem eingeschlummerten Priester, der über das Zudrängen dieses kleinen Unbekannten heftig erschrak, denn bisher hatt' Er ihn nur aus dem großen Rufe seiner Verwüstungen gekannt – wie etwan den Beelzebub oder den General Meyer; doch der freundliche Amor ließ ihn nicht lange in seinem ungewissen Erstaunen, schüttelte seinen Köcher und sprach also zu ihm: Entschuldige den Amor, theurer Sebaldus! wenn er bisher wider seinen Willen dein Feind gewesen ist, und erschrick nicht über seine Erscheinung, die dir ein Glück verkündigt, das dir wenigstens vormals nicht gleichgültig war. Wilhelmine – bei diesem Namen durchströmte ein leuchtendes Roth die verfallnen Wangen des Pastors – und Amor fuhr lächelnd fort: Ich sehe, du erinnerst dich noch dieser lebhaften Schöne, die einst, in diesen Fluren geboren, nur von der unschuldigen Natur erzogen ward, die dir oft in der feurigsten Predigt, durch einen einzigen Blick ihrer hellblauen Augen, ein langes, verhaßtes Stottern – und wenn du allein warst, manchen lauten Seufzer erregte – Ach sie hätte dich gewiß zum Glücklichsten deines Standes erhoben, wenn nicht die Intrigue eines neidischen Hofes sie deinem Kirchspiel entführet, und unter die fürstlichen Zofen versetzt hätte. O wie traurig hast du diese Zeit ihres Hofdienstes
Was könnten wir bessers vornehmen, komische Muse, um nicht selber zu schlafen, als wenn wir in die vergangenen Zeiten blicken, Wilhelminen in ländlicher Unschuld betrachten und erforschen, wie des Magisters Liebe und sein Unglück entstand, dessen Ende ihm Amor in dieser merkwürdigen Nacht verkündigt hat.
Schon der sechzehnte Frühling hatte Wilhelminens Wangen mit einer höhern Röthe gemalt, ihre Augen funkelnder gemacht, und ihr Haar schwärzer gefärbt. Ihr nesseltuchnes Halstuch hob und senkte sich schon, aber keiner – ists möglich? – keiner von den hartherzigen Bauern gab Achtung darauf. Sie selbst wußte
Ein Spürhund der Liebe, ein leichtfertiger Page, der einst in seinem Müßiggange diese ländliche Venus erblickte, prahlte so laut mit seiner Entdeckung, daß sein verliebtes Geschwätz durch funfzig Thüren in die Ohren des aufmerksamen Hofmarschalls erklang, der sogleich den sultanischen Entschluß faßte, mit den Reizungen der holden Wilhelmine den Hofstaat zu verschönern und sie dem unsaubern Dorfe und der List eines Pagen zu entziehen. Wenn die weibliche Elster in der Mitte des Weinbergs eine volle Traube entdeckt, die von hundert Blättern beschützt die letzte Zeit ihrer Reife erlangt hat: so erweckt oft dieß prophetische Geschrei bei dem reisenden Handwerksmann ein durstiges Nachdenken – Er ersteigt den Weinberg und entzieht dem Stocke und der verjagten Schwätzerin die vortrefflichsten Beeren.
Der entschlossene Hofmarschall fuhr, von der Kabale, seiner beständigen Schutzgöttin, begleitet, in hoher Person zu Nicklas dem Verwalter, übersah mit geschwind forschenden Blicken die Schönheit des verschämten Landmädchens, und es währte nicht lange, so hatte er seine großmüthige Absicht eröffnet. »Ich will,« sagte er freundlich zu dem Alten, »eure schöne Tochter in den glänzenden Posten einer fürstlichen Kammerjungfer erheben: dieß ist die Ursache meines Besuchs.«
Betäubt von den höflichen Reden des vornehmen Herrn stand der alte Verwalter vor ihm, strich ungeschickt mit dem Fuß aus und fühlte ängstlich seine Verwirrung. Der feine Hofmarschall ließ ihm Zeit, Athem zu holen und versuchte indeß mit Wilhelminen zu sprechen: aber die Schöne verstummte, blinzte mit den Augen, und ihr Blödsinn zeigte ihm eine so weiße Reihe von Zähnen, die ihm noch nie die vornehme Sucht zu gefallen, in dem langen Laufe seines Lebens verrieth. Die Verlegenheit der Tochter
Die neue Sonne rollte den jungen Tag des Jahres herauf. Ihr ungewohnter Blick übersah schüchtern die Planeten, die sie bescheinen sollte, und nun wandte sie auch ihr unschuldiges Gesicht zu unserer Erdkugel. Ein Heer vorausbezahlter Gratulanten jauchzt' ihr entgegen, andre – unglücklicher, zerrissen das Neujahrsgedicht, seit dem frostigen September geschmiedet; denn ihr alter Mäcen ist den heiligen Abend vorher gestorben, und hinterläßt geizige Erben, die den Apoll samt den Musen verachten und ungeheißene Arbeiten niemals großmüthig belohnen. Verjährte Rechte, drohende Wechselbriefe, erfüllte Hoffnungen und erseufzte Majorennitäten drängten sich auf den Strahlen des neuen Lichts in das beunruhigte Herz der erwachten Sterblichen. Aber friedliebend und sanft wirkt sie, die mächtige Sonne, auf die Felsenherzen der Großen und in die morschen Gebeine der Helden, die jetzt, voller Neigung zur Ruhe, sich beschwerlich von ihren Lagern
Und der voll Hoffnung erwachte Pfarrherr ging in der Frühe zu Nicklas, dem Verwalter, wünschte ihm ein fröhliches neues Jahr und ließ sich wieder eins wünschen; dann erzählte er ihm seinen nächtlichen Traum bündig und kurz – denn die gebietenden Glocken hatten schon zum drittenmale geläutet, und die geputzte Gemeinde sah sehnlich ihrem Herrn Pastor mit seinem Neujahrswunsche entgegen. Ach wie fröhlich klopfte nicht Nicklas dem Herrn Magister die Achsel, und zweifelte gar nicht an der Erfüllung des Traums. Hurtig bestellt' er die Küche, damit sie, zur Ehre eines so lieben Besuchs, viele schmackhafte Gerichte den Mittag zu liefern vermöchte. Er bat auch den werthesten Träumer zur Tafel, und ging an seiner rechten Seite mit ihm vertraulich zur Kirche. Der
Noch halb berauscht von dem Besuche seiner Tochter und dem seltenen Weine, den er bei vollen Gläsern getrunken, ging nun der alte Verwalter aus, sein häusliches Glück den Gevattern und der Versammlung der Schenke zu verkündigen. Wie schien sich doch alles zur Feier dieses seines glücklichen Tages zu verbinden! Er hörte schon von weitem den Schall einer muthigen Fiedel. In der Freude seines Herzens vergaß er sein Alter und tanzte mit Jauchzen der harmonischen Schenke entgegen. Ein ungewöhnlicher Schimmer umleuchtete heute ihre rostigen Wände – denn das Schicksal vergönnte diesen Abend den fröhlichen Bauern ein seltenes Vergnügen. Die Schauspielkunst war vor kurzem mit allem dem Pomp ihrer ersten Erfindung eingezogen. Welch ein frohes Getümmel! Welch eine Lust! Ein vielstimmiger Mann schwebte wie Jupiter unsichtbar über einer lärmenden thörichten Welt, lenkte mit seiner Rechten ganze tragische Jahrhunderte und regierte mit gegenwärtigem Geiste die schrecklichsten Begebenheiten und Veränderungen der Dinge, über welche die weisesten Menschen erstaunen. Jetzt sah man hochmüthige Städte, wie sie sich über Dörfer erheben – und augenblicklich darauf eingeäschert oder in einem Erdbeben versunken; Rom und Carthago, Troja und Lissabon wurden zerstört, und der Hellespont schlug über ihre stolzen Thürme
Indessen waren die beiden Verliebten nach drei kurzen hinweg geplauderten Stunden in den Mauern der Residenz. Der ehrwürdige Fremde begab sich unter den Schutz des wirthbaren Hirsches, und Braut und Bräutigam trennten sich hier bis auf ein glückliches Wiedersehn, mit höchst zärtlichen Küssen. Welche Bene, ein freudiges Ende, und die gelehrten Herren Beisitzer widersprachen ihm nicht. Sollten sie etwa durch lange Untersuchungen sich um die kurzen Lustbarkeiten der Messe und den schwitzenden Kandidaten um's Amt bringen? O nein! Aus Menschenliebe hofften sie, er würde es schon löblich verwalten, und sie überließen die Seelen der Bauern seiner Treue und Gottes Barmherzigkeit. Mit mehrerm Recht freute er sich jetzt, und schmeichelhaft fragt' er sich: Ist es nicht dein eigenes Verdienst, das sprödeste Mädchen in einem Nachmittage besiegt zu haben? Wie wohl that ich, daß ich meinem prophetischen Traume folgte, mich so dreist und munter bezeigte, wie die vornehme Welt es verlangt. Ach welch eine Liebe für mich muß nicht in der Brust meiner Wilhelmine erwacht sein, da sie sich so heilig entschließt, den prächtigen Hof zu verlassen, um einem armen Dorfprediger zu folgen, dessen altfränkische Wohnung – wer weiß wie manche Reformation überlebt hat.
Schon tönte der Wächter seinen letzten Nachtgesang in einem tiefen verunglückten Baß – hüllte sich in seinen Schafpelz und beurlaubte sich von der Stadt. In gehöriger Entfernung schlichen die Spötter seiner Aufsicht, die glücklichen Diebe, ihm nach, weckten den Thorschreiber auf, und erreichten bald das sichere Gehölze: und am Horizont fing schon der Tag an zu grauen, eh' unser Verliebter einschlafen konnte. Wie war es auch möglich? Auf allen Seiten verfolgten ihn Unruh und Schrecken. Gleich höllischen Gespenstern rasselt' unter ihm mit Ketten der böhmische Fuhrmann: doch Gedanken der Liebe machten noch einen größern Tumult in seinem zerrütteten Herzen. Aus Mattigkeit fiel er endlich in die Arme des Schlafs – Doch auch der Schlaf eines Verliebten ist Unruh – Denn sobald er das Bellen der Hunde und das Rasen
In einer prächtigen Wintertracht war heute die Sonne dem Erdball erschienen; ihr Einfluß hatte die lebenden Geschöpfe der Welt schon alle aus dem Schlafe geweckt, wenn ich in Savoyen die Murmeltiere, und in Deutschland die Mädchen ausnehme, welche die Mode erzieht; sogar die berühmten Schläfer der Residenz, alle Hofjunker und Staatsräthe waren erwacht, hatten nun ausgegähnt und fingen an ihren erhabenen Trieb nach Geschäften zu fühlen; denn einige verschluckten schon levantischen Kaffee und blätterten im Herrn und Diener,
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oder bezeichneten, um nach vollbrachtem Tage weiter zu lesen, dankbar die rührende Stelle, bei der ihnen den Abend vorher – die Gedanken in Schlaf übergingen. Mit edlem Eifer übten sich andere im Stillen die Zahlen der Würfel zu lenken, oder durch geschwinde Volten (ein mystisches Wort) sich über allen Wechsel des Glücks zu erheben. Die von flüchtigerm Geblüte flatterten schon über das Pflaster, um die blassen Fräulein an der Toilette zu besuchen, und ihnen durch mächtige Scherze rothe Wangen zu schaffen. Aber noch immer schnarchte der müde Magister; ja! er würde gewiß den Endzweck
Haben Sie etwas zu schachern? schrie der Ebräer gewaltig hinein, daß die Fenster erklangen, und der betäubte Magister in die Höhe fuhr. Der Ungläubige floh – erschrocken sah der schläfrige Christ nach seiner tombacknen Uhr, erstaunte, daß es so spät war, und warf sich schleunig in seinen bepuderten Schwarzrock. Halb träumend lief er über die Gassen, und ohne Vorbereitung den Komplimenten des Hofmarschalls entgegen. Aber welche Muse beschreibt mir den Einzug des frommen Pedanten in das vergoldete Zimmer des glänzenden Weltmanns? In einem Schlafrock von Stoffe empfing er den Pastor mit offener Stirne und satyrischer Miene, die sein schlauer Diener verstand, der hinter dem Rücken des armen Magisters die galante Falschheit widerlächelnd bewunderte. Mit Husten und Scharrfüßen suchte der Supplikant den Eingang zur Rede; aber als Ceremonienmeister trat der bellende Melampus ihm entgegen – nöthigte ihn stille zu stehen, und zerstreuete die hervorquellenden Worte, daß sie ungehört vom Hofmarschall sich an den Spiegeln zerstießen, und ihr Widerhall den betenden Pfarrherrn in Angst und Schrecken versetzte. Endlich legte des Hofmanns mächtige Stimme dem ergrimmten Cerberus Stillschweigen auf – Gehorsam kroch er zu den Füßen seines Herrn, und leckte schmeichelnd den saffianen Pantoffel. Darauf wandte sich die Rede zu dem immer sich bückenden Verliebten: »Ich weiß schon Ihr Anbringen, lieber Herr Pastor, ist es nicht wahr? Sie wollen uns unsere Wilhelmine entziehen? das schönste und ehrlichste Mädchen in diesem ganzen Gebiete! Habe ich es nicht errathen, Herr Pastor? Schon gestern hat sie mir selbst Ihre Lieb' eröffnet, und mit verschämtem Gesichte um den glücklichen Abschied gebeten. Wohlan! Ich werde kein Hinderniß Ihrer Neigung und bescheidenen Bitte in den Weg legen, wenn Sie mir anders eine kleine Bedingung versprechen – werden Sie nicht unruhig, Herr Pastor! Es hat mich unsre Wilhelmine gebeten, morgen
Wie vergnügt hörte nicht der Verliebte diese freundlichen Reden – Gern und ohne Anstand versprach er, diesen leichten Befehlen zu folgen, um sich der hohen Ehre und Gnade würdig zu machen. Darauf nahm er Abschied und schnappte nach dem Zipfel des Schlafrocks: aber mit höflichen geübten Händen schlug der Hofmarschall beide Theile zurück, strich mit dem Fuße aus, und empfahl sich dem Pastor Sebaldus. Bald nach ihm trat Wilhelmine herein, und brachte ihrem gnädigen Gönner Chokolade mit perlendem Schaume; da gab ihr der Marschall das Dokument ihrer Tugend, den ehrlichsten Abschied, sauber auf Pergament geschrieben, und siehe da! welche großmüthige Gnade! Er umarmte sie mit gefälligen Händen, und küßte sie zärtlich. Eine ganz sapphische Empfindung strömte durch ihr dankbares Herz, und trieb ihren wallenden Busen empor, daß der blaßrothe Atlas zu knistern anfing, der ihn weit unter der Hälfte umspannte. Ach welch ein reizender Busen! o scherzhafte Muse beschreib ihn! Auf seiner linken Erhöhung lag ein mondförmiges Schönfleckchen aufgeheftet durch Gummi, von dem ein kleiner Liebesgott immer mit drolligsten Reverenzen die Blicke der Grafen und Läufer – Laquaien und Freiherren auf sich zog. Aber jetzt erhob sich dreimal die warme bebende Brust, und trennte die gedörrte Musche vom Gummi. Der
Mit einer bedeutenden Röthe rauschte bald die schöne Verlobte in die Versammlung der übrigen Zofen des Hofs, die schon ihre glühenden Wangen beneiden, aber Wilhelmine vollendet ihrer aller Verzweiflung, als sie ihnen den papiernen Triumph zeigt, den sie jetzt vom Hofmarschall erhalten. Aeußerlich klagen sie zwar ihre verkaufte Gespielin: »Ach du armes verblendetes Mädchen! So willst du denn fern von deinem verbrämten Amanten, in der Einöde des Landes dein junges Leben verseufzen – und nur von Bauern bewundert, den stolzen Busen erheben? So willst du denn in einer dunkeln geistlichen Hütte als Frau Magisterin wirthschaften? Ach du armes verblendetes Mädchen!«
So klagten alle die Zofen den Abschied der erweichten Wilhelmine, aber heimlich wünschte sich jede, bald auch so beweint zu werden, und in den sichern Armen des weiblichen Schutzgottes, des Hymen, den Wechsel des falschen Hofes zu verlachen.
Auf den Uhren war schon der Mittag vorüber, aber in den Häusern der Großen brach er erst mit festlichem Pomp aus der Küche hervor – Hekatomben rauchten ihm – denn die mittägliche Sonne hat noch nicht ihre Anbeter verloren – Mit mehrerm Eifer als wohl jemals ein ägyptischer Priester gehabt, feiern sie täglich ihr Fest, mit sonnenrothen Gesichtern, bis das wohlthätige Licht den Eau de Levante ihre Hände zu waschen, die hier und da von der verrätherischen Dinte noch glänzten, und auch den anklagenden Brief aus dem Wege zu schaffen. Mit gegenwärtigem Geiste, o wie liebenswürdig! ergriff sie ihn, zerquetschte seinen durchsichtigen Kavalier und das Posthorn,
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und warf ihn klein gedrückt, hurtig unter das Bette; aber wie dauerte sie nicht der wohlgeschriebene Brief, als nur der nachbarliche Herr Pastor zur Kammerthüre hereintrat. Einen solchen Wechsel von heftigem Schrecken und stiller Betrübniß empfand einst der freigeistige Desbarraux, als er sich zur Fastenzeit einen Eierkuchen erlaubte. Schon hatte sein erzkatholischer Diener, blaß wie der Tod, das verbotene Gericht auf die einsame Tafel gesetzt, als ein geschwindes Gewitter am Himmel heraufzog, ein schrecklicher Schlag die näschichte Seele betäubte, und ihm den ersten Bissen im Munde zu Galle verwandelte. Was das für ein Lärmen um einen Eierkuchen ist! schrie er halb unwillig, halb furchtsam; ergriff das rauchende Essen, und warf es im Eifer auf die beregnete Gasse; aber wie dauerte ihn nicht das verlorne gute Gericht, als das Gewitter vorüber ging! Beschämt warf er sich seine zaghafte Eilfertigkeit vor, und quälte aufs neue den abergläubischen Koch, ihm ein andres zu backen.
Welch ein Tiefsinn bedeckt' jetzt mit den Fittigen der Mitternacht das Kabinet der schönen Klarisse! Ihre erfindungsreiche Liebe stritt immer mit der schwerfälligen Einsicht des Magisters: doch beide mußten sich der Erfahrung eines grauen Kammermädchens unterwerfen. Anschläge wurden gefaßt, untersucht, und durch neue verdrängt! Lange ging das wichtige Projekt wie ein Würfel im Kreislaufe herum, ehe die ältliche Zofe mit der verschmitzten hohen Miene eines versuchten Ministers, ihre Gedanken in folgenden klugen Worten entdeckte: »Jetzt, ehrwürdiger Herr, da sich Ihre Augen nach Ruhe sehnen, so hören Sie kürzlich meinen unmaßgeblichen Vorschlag: meine willige Stimme soll jetzt dem Wächter des Hofes befehlen, daß sein sicheres Geleite Sie, den Windhunden vorbei, in die Stube führe, die unser Haushofmeister bewohnet. Dieser wird gern eine Nacht sein Bette mit Ihnen theilen, und morgen meldet er Sie bei dem gnädigen Grafen. Dann gehen Sie nur unerschrocken zu dem alten Papa; er wird Sie gewiß Ihrer Bitte gewähren; denn er liebet Sie von Herzen, und Ihre klagenden Jahrgänge haben seine hypochondrische Brust mit Ehrfurcht für Sie, Herr Pastor, erfüllet. Also schlafen Sie sanft! bis die Morgenröthe Ihre gestärkten Glieder zum fröhlichen Hochzeitfeste erweckt!« Ein gütiger Lobspruch aus dem rosenfarbenen Munde der Gräfin belohnte die Einsicht der Zofe – auch der Magister wollte ihr gern seinen Beifall darüber bezeigen, aber seine Worte verwandelten sich in gähnenden Mißlaut, daß er zu Hilfe ein beredtes Kopfnicken rief. In wenig Minuten war jeder wichtige Umstand nach Sibyllens Sinne geendet. Der Haushofmeister beherbergte den schnarchenden Magister, und die dunkelbraune Nacht
Der volle Morgen hatte den hochgebornen Gerichtsherrn erweckt. Jetzt überdenkt er noch im Bette den Zustand seines Magens und fordert mit schwelgerischer Neugier den frühen Küchenzettel – Da tritt der Haushofmeister herein, und meldet ihm die Beherbergung des verspäteten Pfarrherrn, und wie er jetzt voller Verlangen Ihro Gräfliche Gnaden zu sprechen, vor der Kammerthüre lauschte. »Je, willkommen, werther Herr Pastor, willkommen!« schrie der Graf dem Verliebten entgegen. Bückend trat dieser vor das Vorhangbette des Grafen, und sein schwerer Athem blies sogleich die hochzeitliche Bitte hervor, die er mit einer Menge von Wünschen beschloß, wozu ihm der Wechsel der Zeit die beste Gelegenheit darbot. Bei starkem ungeduldigem Herzklopfen wartete er nun, bis der Morgenhusten des stotternden Grafen sich legte – als er auf einmal diese deutliche Antwort vernahm: »O sehr gern will ich meiner Tochter das Vergnügen erlauben, an Ihrem Ehrentage, lieber Herr Pastor, im schönsten Putze zu glänzen. Der priesterlichen Aufsicht überlassen, ist ihre Tugend sicherer, als unter meinem eignen Dache. Ja, mein Freund, verlassen Sie Sich darauf, sie soll Nachmittags mit sechs rüstigen Pferden vor Ihrer Hausthüre erscheinen, und das Hochzeitgeschenk will ich selber besorgen. Damit aber auch Sie, mein Lieber, Sich nicht vor Ihrer nahen Hochzeit ermüden, oder wieder beraubt werden, und sich im Walde verirren, so soll meine geschwinde Jagdchaise Sie jetzt Ihren erwartenden Geschäften zurück führen, und meine aufrichtigen Wünsche sollen Ihnen folgen.« Da ergriff der entzückte Magister die schwere Hand des Grafen von Nimmer, küßte sie hundertmal, und benetzte sie mit Thränen der Freude, die über seinen stachlichten Bart herunter rollten, wie ein plötzlicher Sommerregen über die glänzenden Stoppeln der Felder. Wie rechtmäßig war diese Freude; denn nach diesem Orakelspruche endigte sich alle sein Leiden. Halb war nun schon die Bedingung des Hofmarschalls erfüllt, und für die andere Hälfte wird die schöne Klarisse schon sorgen. Mit einem segnenden Komplimente verließ er
Der glücklich angelangte Magister fand seine verrostete Pfarre zu einem Palaste verwandelt, als er hinein trat. Ein Dutzend Bediente seines gnädigen Gönners hatten in seiner Abwesenheit die herkulische Arbeit unternommen, Stuben und Kammern zu säubern, und in der Küche herrschte ein ansehnlicher Koch, dessen eigensinnige Befehle tausend Geräthe verlangten, deren Namen noch nie in diesem Dorfe waren gehört worden. Seine donnernden Flüche flogen in der Küche herum, daß der erschrockene Pfarrherr mit einem Schauer vorbei ging, sich in sein ruhiges Museum setzte, und das Gesangbuch zur Hand nahm. Als ein Fremdling in einer eigenen Behausung, getrauete er sich nicht, jetzt von dem
Die dritte kritische Stunde des Nachmittags brach an, und lud durch ihren Glanz den Neid des ungebetenen Superintendenten und aller Amtsbrüder auf den Hals des armen Verlobten. Strenge dich an, Muse! und hilf mir das Gewühl der Vornehmen beschreiben, die sich jetzt in das Haus des Pfarrherrn sammelten. Zuerst erschien der lackirte Schlitten des Hofmarschalls an der Spitze vieler andern. Vier deutsche Hengste, chinesisch geschmückt, zogen ihn, und ein vergoldeter Jupiter regierte den schnurrbärtigen Kutscher – Ein musikalisches Silbergeläute hüpfte auf den Rücken der Pferde, indem unter ihren stampfenden Füßen die fröhliche Erde davon flog. Schon von ferne erkannte der zitternde Pfarrherr seinen Gönner, und an seiner Rechten die geputzte Braut. Mit unbedachtsamer Höflichkeit ging er dem fliegenden Schlitten entgegen – aber sein wilder Führer schwang die knallende Peitsche und wendete mit seinen vier Schimmeln im vollen Trabe um, daß der Magister, mit verzerrtem Gesichte, eilig wieder zurück sprang. Mit majestätischem Anstande stieg nun die einnehmende Wilhelmine von dem sammtenen Sitze, und da verrieth sich zugleich auf einige süße Augenblicke für den entzückten Bräutigam, ihr kleiner vorgestreckter Fuß bis an die Höhe des seidenen Strumpfbands, auf welchem mit Pünktchen von Silber ein zärtlicher Vers des Voltaire gestickt war. Ach wohin weiß doch nicht ein französischer Dichter zu schleichen! Gesteht es nur, ihr Deutschen! bis dahin ist noch keiner von Euern größten Geistern gedrungen. So bald sie ausgestiegen war, umrauschte ein buntfarbiger Stoff diese verdeckten Schönheiten. Eine schneeweiße türkische Feder blähete sich auf ihrem gekräuselten Haare, und bog sich neugierig über ihren wallenden Busen, der unter den feinen Spitzen aus Brabant hervorblickte, wie der volle Mond hinter den Sprößlingen eines jungen Orangenwäldchens. Nach ihr sprang der ansehnliche Hofmarschall unter die Menge der erstaunten Bauern, die heute Arbeit und Tagelohn vergaßen, um das Fest ihres Hirten zu begaffen. Ein
Ein anderer Schlitten, unter dem Zeichen des Mars, der – eine seltsame Erfindung des witzigen Bildhauers – auf einem Ladestock ritt, lieferte zwei aufgedünstete Müßiggänger am Hofe, Kammerherren genannt. Einst hatten sie in ihrer Jugend als hitzige Krieger einen einzelnen furchtsamen Räuber verjagt, und sich und dem geängsteten Prinzen das Leben gerettet. Zur Belohnung hatten sie sich dieses unthätige Leben erwählt, genossen einer feistmachenden Pension, erzählten immer die große That ihres Soldatenstandes – und gönnten gern ihre lärmende Gegenwart einem jeglichen Schmause. So lebten einst die Erhalter des Kapitols, jene berühmten Gänse, von den Wohlthaten der dankbaren Römer; ohne Furcht, geschlachtet zu werden, fraßen sie den ausgesuchtesten Weizen von Latiums Feldern, für einen wichtigen Dienst, den eine jede andere schnatternde Gans mit eben der Treue verrichtet hätte. Der flüchtige Merkur und vier schnaubende Rappen brachten die pigmäische Figur eines affektirten Kammerjunkers gefahren. Stolz auf einen eingebildeten guten Geschmack, ersetzten seine reichen Kleider den Mangel seines Verstandes. Zuversichtlich besah er heut' eine glänzende Weste, die, wie die weiße Wamme eines drollichten Eichhörnchens, unter seinem rothplüschnen Rocke hervorleuchtete; und fröhlich dacht' er an die Verdienste der weit kostbarern zurück, die sich noch in seiner Garderobe befanden. Ein paar blitzende Steinschnallen, und eine Dose von Saint-Martin erschaffen, waren ihm das, was einem rechtschaffenen Manne ein gutes Gewissen ist – sie machten ihn zufrieden mit sich selbst, und dreist in jeder Gesellschaft. Jetzt lief er gebückt in die Pfarre hinein; gebückt, als ob sein kleiner Körper
Zwei würdige Gesellschafter beschlossen den Einzug in einem alten Schlitten, den ein unscheinbares Bildniß beschwerte – Ob es einen nervigten Vulkan oder einen aufgeblähten Midas vorstellte, war für die Kunstrichter ein Räthsel. Ein halbgelehrter Patricius, ehemaliger Hofmeister des Marschalls, an Stande, so wie an Wissenschaft, weder Pferd noch Esel – nahm die eine Hälfte des bretternen Sitzes ein, und auf der andern saß ein graugewordener Hofnarr, der mühsam den ganzen Weg hindurch auf Einfälle dachte, in Versen und Prosa, die hohe Gesellschaft zu erlustigen: aber sein leerer Kopf blieb ohne Erfindung. Oft weinte der Arme, daß sein Alter ihm das Ruder aus den Händen wand, das er so lange glücklich regieret, und um welches sich jetzt der fürstliche Läufer, der Oberschenk und eine dicke Tyrolerin rissen.
Niemand ward mehr erwartet, als die junge Komtesse. Der Hofmarschall stand unbeweglich an dem offenen Fenster, und seine feurigen Blicke fuhren, durch ein ungeduldiges Fernglas, auf den Weg hin, woher die schöne Klarisse kommen sollte. Wimmernd rang der angstvolle Magister die Hände, und versicherte ohn' Aufhören dem argwöhnischen Hofmann: »die junge Dame werde gewiß kommen. Ach! sagte er, sie hat mir ja mit der aufrichtigsten Miene versprochen, meine schwere Bedingung erfüllen zu helfen, und sie wird mich gewiß nicht in meinen Nöthen verlassen.« Unterdessen war auch schon der theure Mann angelangt, der dieß Brautpaar fester verbinden sollte. Auf dem benachbarten Dorfe, wo niemand die Reizungen einer Wilhelmine kannte, hatt' er von den drei Seiten seiner hölzernen Kanzel trotzig gefragt: ob jemand wider das Aufgebot seines Freundes etwas einzuwenden hätte? Und dreimal hatt' er die Verleumdung mit diesen mächtigen Worten gebannt: der schweige nachmals stille! Sein frommfarbichter Mantel bedeckt' ein wildes Herz; ohne Neigung war er ein Geistlicher, und in diesem gezwungenen Stande ward er selbst in einem Amte mager, das seit dreihundert Jahren die Schwindsüchtigen fett gemacht
Ein mathematischer Fourier hatt' indeß die hochzeitliche Tafel geordnet. Ehe man sich setzte, bewunderte man seinen Geschmack in einer minutenlangen Stille, und faltete dabei die Hände. Schimmernder Wein, der, wie die Begeisterung der Liebe, nicht beschrieben, nur empfunden werden muß, blickte durch den geruchvollen Dampf der theuren Gerichte, wie das Abendroth unter dem aufsteigenden Nebel hervor.
Jetzt ergriff der schimmernde Hofmarschall die warme, weiche Hand der blauäugichten Wilhelmine, führte sie an die oberste Stelle der Tafel, und bat den dankbaren Magister, sich neben seine Göttin zu setzen, und nicht durch den Zwang eines Neuvermählten die Freuden der Tafel zu stören. Ach! wie gibt hier die veränderliche Zeit ihr Recht zu erkennen! Er – der ehemals dem weinenden Pfarrherrn seine Geliebte entzog, giebt sie ihm jetzt bei einem freigebigen Gastmahle geputzt und artig wieder zurück, und macht ihm alle sein ausgestandenes Leiden vergessen. So überschickt' einst der große Agamemnon seine Briseis dem belorberten Priester des Apoll,
Der Schmaus ging an! Ein köstliches Gericht verdrängte das andere, und Bacchus und Ceres tanzten um den Tisch her. Der freimüthige Scherz, die feine Spötterei, und das fröhliche Lächeln, vertrieben unbemerkt die taumelnden Stunden des Nachmittags, und der Geist der Komtesse und des Champagners durchbrauste die fühlbaren Herzen der Gäste. Alles war munter und fröhlichen Muths. Nur der Magister und der Hofnarr – immer in sich gekehrt, saßen unruhig an der frohen Tafel. Den einen überfiel bald ein theologischer Scrupel, bald ein Gedanke seiner künftigen Liebe; und der andere ängstete sich heimlich, daß es in seinem Gehirne so finster, wie eine durchnebelte Winternacht, aussah. Wie oft buhlt' er vergebens um das belohnende Lächeln des Marschalls, und wie oft verfolgte sein schwerer Witz die flüchtigen Reden des lustigen Kammerjunkers! aber eh' er sie erreichte, waren sie von der Gesellschaft und von dem Redner selber vergessen, und mit Verdrusse nahm er wahr, daß niemand seine Einfälle begriff, und alle seine witzige Mühe verloren ging. Ein alter hungriger Wolf schleicht so dem Fuchse nach, der unbekümmert durchs Gras scherzt, den verdrießlichen Räuber bald nach dieser bald nach jener Seite hinlockte, und endlich doch seiner groben Tatze entwischt. Zur Erholung der gesättigten Gäste, deren immer sich anstrengender Witz manchmal schlaff zu werden begonnte, rief der kluge Hofmarschall den Verstand des sinnreichen Konditors zu Hülfe, der so oft seine Wirkung zeigt, wenn die langweiligen Reden des Fürsten seinen Hof einzuwiegen drohen – Und – auf einmal reizt eine überzuckerte Welt die weiten Augen der Gäste. Faunen und Liebesgötter und nackende Mädchen, in einem poetischen Brennofen gebildet, scherzten ohn' Aufhören im funkelnden Grase. In der Mitte entdeckte sich eine lachende Scene unter einer hohen arkadischen Laube, von ewigem Wintergrün: die porzelane Zeit war es, die mit einer furchtbaren
Die verdrießliche Langeweile fing wieder an, den angenehmen Lärm der Gesellschaft zu unterdrücken, als der schlaue Hofmarschall es zeitig bemerkte, und ein frohmachendes Hochzeitgeschenk aus seiner Tasche hervorzog. Er wickelt' es aus dem umhüllten Papier, und ermunterte die übrigen Gäste, seinem Beispiele zu folgen. Ungezwungen stellt' er sich hinter den Stuhl der angenehmen Braut,
Was für köstliche Geschenke häuften sich nicht in dem Schooße der glücklichen Wilhelmine – Spitzen und Ringe und Dosen und künstliche Blumen – Ach! dachte der Pastor – ach! so viel Reichthum habe ich ja nicht in meinem zehnjährigen beschwerlichen Amte gesammelt – und wie wunderbar! als Herr seines Weibes dankt' Er – auch Er! seinen großmüthigen Gönnern für diese Geschenke. Man sah es an dem satyrischen Lächeln der Gäste, wie gut seine fröhlichen Danksagungen angebracht waren.
So endigte sich das fröhliche Hochzeitmahl. Die trunkenen Gäste taumelten in dem kleinen Raume des Zimmers immer wider einander. Ein Evan Evoe umschallte die Wände; Leuchter und Stühle drehten sich in einem Kreis herum, und unvollendete Lieder und halbgestohlne Küsse erfüllten die Luft. Die zerstreuten Kammerherren, ohne Gedanken, in welchem frommen Hause sie lebten, riefen nach einer Karte zum Pharao – die junge Komtesse, ihres jungfräulichen Zwanges, und ihrer Gouvernante uneingedenk, stellte
Jetzt ging der ungeduldige Ehemann in seine einsame Studierstube – verwünschte seine lärmenden Gäste, und rief also zum Amor: »O du mächtiger Sohn der Cythere! hast du mir deinen Schutz nur darum angeboten, und mich deines Rathes gewürdiget, um mich jetzt desto mehr zu kränken, und mein dankbares Herz wider dich zu empören? Was hilft es, daß du mich nach den Reizungen meiner Wilhelmine hast schmachten gelehrt, und daß du mich durch ihr melodisches Jawort beglückt hast – Was hilft es, daß mir dieser Tag in der schönsten Feier entflohen ist, wenn meine erste Brautnacht langweilig und ungefeiert davon zieht? Die lächelnde Morgenröthe wird mich spottend an die neue Bekanntschaft einer Freud' erinnern, die wider mein Verschulden mir fremd geblieben ist, und Wilhelmine wird mir mit ernsthaftem Lächeln in das Gesicht sehn, wenn sie die glückwünschenden Bauern Frau Magisterin grüßen. Diese Nacht, o Sohn der Venus, nur diese einzige Nacht beherrschest du noch mit dem Hymen in gemeinschaftlicher Ehre – So laß mir doch nicht durch das wilde Getöse der geputzten Höflinge, und durch das Wiehern ihrer Pferde, diese glücklichen Stunden entziehen, die keine Macht vermögend ist, mir wieder zurück zu führen, sollten sie einmal davon seyn!« Diese
Recht zu gelegner Zeit fiel dem kleinen Helden der Trojanische Brand ein, der die trotzige Garnison der Griechen nöthigte, den flammenden Platz zu verlassen, und diese so oft besungene schreckliche Geschichte gab ihm eine sinnreiche Kriegslist an die Hand, die er mit Glück und Tapferkeit ausführte. Er drehet' aus den Händen des gefesselten Hymen die hochzeitliche Fackel, die lichterloh brannte, und stahl sich unvermerkt in die Küche des Pfarrherrn. Von der edlen Kochkunst verlassen, die vor kurzem zwanzig schöpferische Hände darinnen beschäftigte, ruht' jetzt eine finstere Traurigkeit unter ihren Gewölben. Auf dem warmen Herde lag eine ungebrauchte Speckseite in der aufgehäuften Asche verborgen, woran die ganze große geschwänzte Armee des scherzhaften Mäonides sich hätte sättigen können. Dieses ungeheure Magazin steckte der freibeutische Amor mit abwärts gesenkter Fackel in Brand. Auf einmal floh es, durch die fettige Flamme belebt, in die schwarze Esse, die sich rauschend entzündete – und ihr blutrothes Feuer dem Firmamente zuwälzte – Es war geschehen – Amor schüttelte seine Flügel und floh, und stellte sich auf die knarrende Fahne des Kirchthurms. Hier stand er, wie Nero, als er mit grausamer Wollust seine Residenz brennen sah, freute sich seines gelungenen Anschlags, und erwartete den erschrecklichen Ausgang – Und nun – o Muse! hilf mir das Getümmel beschreiben, das in dem Hause des Magisters entstand, als die gräßliche feuerschreiende Stimme sich über das aufgeschreckte Dorf ausbreitete. Das hohle, furchtbare Getöne der stürmenden Glocken, die ein angstvoller Cantor unermüdet läutete, verkündigte den verzagten Matronen ihren Untergang, und das Geschrei der Kinder, und das Pochen der Nachbarn und das Bellen der Hunde, machte eine finstere unglückliche Nacht noch schrecklicher.
Kaum war die lärmende Versammlung der Götter-und Menschengestalten zum Dorfe hinaus, so gebot Amor: das Feuer sollte verlöschen – und es verlosch. Zwar verkannte der blinde Pöbel die Hilfe des Amors, und jauchzend dankten die Bauern ihre Rettung einem schwarzen Dämon, der es gewagt hatte, auf's priesterliche Dach zu steigen, wo er, dem Feuer zum Opfer, eine arme geraubte Najade der Elbe in den schwarzen Abgrund hinunter stieß, daß ihre zerschmetterten Glieder in einer schmutzigen Küche ein unbekanntes Grabmal bedeckte.
Jetzt stand der kleine Amor vor seiner freundlichen Mutter, und erzählt' ihr in scherzhafter Prahlerei seine Kriegslist und seinen Triumph, daß seine Stimme durch den Olymp schallte, und selbst die bescheidenen Musen ihm Beifall zuwinkten. Ihr Lächeln löste sich in einem sanften geistigen Sonnenschein auf, wovon ein goldener Blick in die Welt drang, und unter so vielen tausend poetischen Seelen die meinige allein begeisterte. Ich hab' alles gethan, was meine Muse befahl; ich habe das Elend des verliebten Magisters, und seine fröhliche Hochzeit besungen, und hab' ein Werk verrichtet, das durch eine schöne Druckerpresse vervielfältigt, der Vergänglichkeit trotzen kann.