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Die Lage, worin ich mich gegenwärtig befinde, ist recht eigentlich dazu gemacht, meiner Phantasie einen ganz neuen Schwung zu geben. Abgeschnitten von Ihrem interessanten Umgang, mein angenehmer Freund, und auf mehrere Wochen getrennt von meiner theuren Eugenie, bin ich, mehr als jemals, auf mich selbst zurück geworfen. Die süße Gewohnheit, mich Ihnen oder meiner Freundin mitzutheilen, würde für mich zur Folter werden, böte mir die Schriftsprache keinen
Nun, mein angenehmer Freund, jegliche
der Personen ins Auge faßt, welche einen so wesentlichen Einfluß auf meine Entwickelung hatten. Im Übrigen wissen Sie, mein angenehmer Freund, daß es wenig Menschen giebt, die mit ihrem Geschick zufriedener sind, als ich. Die Natur wollte nun einmal, daß in der Reihe der Wesen auch ein solches Geschöpf existiren sollte, wie ich bin. Eben so weit davon entfernt, mich als Muster darstellen zu wollen, als ich entfernt bin, meine eigene Anklägerin zu werden, will ich mich also nur in meiner Eigenthümlichkeit What ever is, is right.
Auch Sie, mein angenehmer Freund, werden mich so nehmen; und unter dieser Voraussetzung will ich Ihnen alles bekennen, was nur von einigem Interesse für Sie seyn kann.
durch meine Geburt, oder bald nach derselben aufgehoben wurde.
Meine Erinnerungen reichen bis zu meinem sechsten Lebensjahre herab. – Wo ich auch vorher existirt haben mag, in diesem Alter brachte man mich, nach einer Reise, welche wenigstens drei Tage Mirabella nannte, sobald ich aus dem Reisewagen gestiegen war; denn ich konnte nicht begreifen, wie ganz fremde Personen mich kennen könnten. Wesen und Namen war für mich noch einerlei.
Welche Richtungen mein Inneres auch bis dahin erhalten haben mochte, so lag es in der Natur der Sache, daß sie durch die neue Lage verdrängt wurden; denn so lange der Mensch noch der Entwickelung fähig ist, bestimmt er sich nach seiner Umgebung, die um so kräftiger auf ihn einzuwirken pflegt, je abhängiger er in jedem Betracht von ihr ist. Eigenen Charakter darf man nur solchen Personen zuschreiben, die sich zu Meistern ihrer Umgebung gemacht haben.
Meine Erzieher waren, nach den Bildern,
In dem Hauswesen herrschte die größte Ordnung. Der Bruder bewegte sich in seinem Kreise, die Schwester in dem ihrigen. Beide Kreise berührten sich; aber sie griffen nie in einander, weil dies der Freiheit der Bewegung geschadet haben würde. Es war in der That eine Freude, zu sehen, wie diese Geschwister sich gegenseitig achteten. Großmüthig durch
Je mehr der ganze Gang des Hauswesens den Bedürfnissen meines Alters entsprach, desto leichter gewöhnte ich mich daran; und da meine Pflegeeltern unter sich selbst so einig waren, daß alles, was Leidenschaft genannt werden mag, aus ihrem Bezirk verbannt war, so konnte es nicht fehlen, daß ich in diese ihre Stimmung hineingezogen wurde. In so fern Liebe ein bestimmtes Gefühl ist, das zur Aufopferung treibt, war dies Gefühl nicht in mir; aber ich theilte die Harmonie des Hauses, und theilte sie um so mehr, weil ich von allen Hausgenossen gleichmäßig behandelt wurde, und die Entstehung dessen, was man Eigensinn zu nennen pflegt, in mir ganz unmöglich war. Was mir immer vorgehalten werden mochte, ich Wahrheit und Meinung, so würde ich, vorausgesetzt, daß zwei so abstrakte Dinge nicht ganz für mich verloren gewesen wären, auf der Stelle geantwortet haben: Das weiß ich recht gut; denn die Wahrheit ist bei meinem Vater und die Meinung bei den Andern. Das Geschlecht, zu welchem ich gehörte, gab mir diese Deferenz. Wär ich ein Knabe gewesen,
Ich habe oft gedacht, daß die Erziehung jedes menschlichen Wesens, das nur einigermaßen gerathen soll, höchst einfach seyn müsse. Es kommt zuletzt doch nur darauf an, daß man eine achtunggebietende Individualität gewinne. Wie will man aber zu einer solchen gelangen, wenn es durchaus nicht gestattet ist, bleibende Falten zu schlagen, die, sie mögen nun in Gefühlen oder in Ideen zum Vorschein treten, allein den Charakter ausmachen? In Städten, vorzüglich aber in Hauptstädten, besteht die Erziehung eigentlich darin, daß der eine Eindruck sogleich durch den andern vernichtet werde, so daß der Zögling am Ende in einem leeren Nichts dasteht; dies ist eine nothwendige Folge der allzuweit getriebenen Zusammengesetztheit der Richtungen, welche der Zögling (ob mit oder ohne Absicht, gilt hier
Ganz unstreitig verdanke ich nicht nur den größten, sondern auch den besten Theil meines Wesens der Erziehung, die ich in dem Hause meines Pflegevaters erhielt. Die Gewöhnung zur Reinlichkeit mußte mir die Reinlichkeit zum Bedürfniß machen; und indem der materielle Schmutz ein Gegenstand des innigsten Abscheues für mich wurde, konnte der immaterielle, vermöge des Zusammenhanges, worin das Physische mit dem Geistigen im Menschen
Mein Pflegevater lehrte mich Zeichnen, Rechnen, Lesen, Schreiben; und nachdem ich ein Alter von zwölf Jahren erreicht hatte, kam der Unterricht in der Naturgeschichte und Geographie hinzu. Wie sehr er auch Geistlicher war, so befaßte er sich doch nicht mit der Unterweisung in der Religion; unstreitig aus keinem anderen Grunde, als weil er noch kein bestimmtes Dogma in mich niederlegen wollte. Auch trug er mir nie eine förmliche Moral vor; und deute ich sein Wesen
Von meiner Pflegemutter lernte ich Stricken, Nähen, Brodiren; alles dieses in einem hohen Grade von Vollkommenheit. Wie sehr auch meine Lehrerin in ihren Wirthschaftsangelegenheiten versenkt schien, so fehlte es ihr doch durchaus nicht an Kunstsinn. Die Gewalt des Wahren war für sie eben so wenig vorhanden, als für irgend ein Weib; aber die Gewalt
Unbemerkt wuchs ich unter so wohlthätigen Einflüssen, als meine Pflegeeltern waren, heran. Meine Entwickelung ging
Es war um diese Zeit öfters davon die Rede, daß meine Erziehung nur in der Hauptstadt vollendet werden könnte; und da mir die Nothwendigkeit einer höheren Ausbildung nicht einleuchtete, so rief der Gedanke an eine nahe Trennung von meinen Pflegeeltern die ersten traurigen Gefühle auf, die ich bis jetzt gehabt hatte. Ob ich diese meine Pflegeeltern liebte oder nicht, war mir bisher eben so unbekannt geblieben, als dem wirklich Gesunden das Gefühl der Gesundheit. Jetzt, wo ich der
Das einzige Problem, das noch zu lösen war, bestand in der Trennung von dem Grund und Boden, auf welchem wir bisher gelebt hatten, die Nachbarschaft mit inbegriffen. Vorzüglich fiel es meinem Pflegevater schwer, sich von seiner Baumschule zu trennen, die ihm um so
Nach unserer Ankunft in der Hauptstadt sollte ich vor allen Dingen Musik und Tanz lernen. Beides würde ich mit großer Leichtigkeit gelernt haben, hätte ich solche Lehrer gefunden, als mein Pflegevater war. Es fehlte mir weder an Lust, noch an Fähigkeit; aber die Eigenthümlichkeit meiner Lehrer verhinderte alle Fortschritte, die ich hätte machen können, und wurde auf diese Weise die Ursache, warum zwei Talente, die ich erwerben konnte, mir immer fremd geblieben sind.
Fräulein Mirabella nannte, veränderte er seine Methode auf Kosten seiner Kunst. Bis dahin hatte er ganz treuherzig gesagt: So und so muß es seyn. Jetzt bat er, daß es mir belieben möchte, es so und so zu machen. Griff ich f statt fis, so bat er sich ein gnädiges fis aus. Überhaupt war seine Deferenz gegen das Vorurtheil
Obgleich die Lektüre damals noch nicht zu den Dingen gehörte, welche die Elemente einer weiblichen Erziehung ausmachen; so war ich doch durch meinen Pflegevater von meinem funfzehnten Jahre an mit drei französischen Dichtern bekannt geworden, die ich unablässig las und beinahe auswendig lernte. Es waren de la Fontaine, Peter Corneille und Racine.
So lange ich auf dem Lande gelebt hatte, waren mir gewisse Empfindungen ganz unbekannt geblieben. Dahin gehörten die des Mitleids und Erbarmens, für welche es auf dem Dorfe, das ich in der empfand bei dachte, der in seinen Werken etwas Bewundernswürdiges geleistet haben würde, wenn er das Problem seiner eigenen herrlichen Natur gelöset hätte.
Der Zeitpunkt war gekommen, wo ich in die Gemeinschaft der Christen durch einen förmlichen Akt aufgenommen werden mußte. Mein Pflegevater selbst wollte diesen Akt verrichten, und bereitete mich daher auf das sorgfältigste dazu vor. So viel ich mich seines Unterrichts noch jetzt erinnern kann, unterschied er Christenthum von christlicher Religion. Das erstere setzte er in eine gewissenhafte Anwendung des Moralprincips auf alle die gesellschaftlichen Verhältnis se, in welchen sich das Individuum befindet; in der letzteren erblickte er eine Sammlung von Anschauungen des Inneren der menschlichen Natur, welche die Dumpfheit des Mittelalters in Mysterien verwandelt hatte. Nach ihm Geist) symbolisch als den Vater dar. Eine andere Kraft in ihm (das Gemüth) enthielt die ewigen Aufforderungen zu neuen Schöpfungen; und wie hätte diese Kraft schicklicher personifizirt werden können, als unter dem Bilde des Sohnes, der den Vater liebt und von ihm geliebt wird? Die dritte Kraft ging aus dem Verhältnisse der beiden ersteren hervor, und war in sich selbst das Gewissen); daher die symbolische Bezeichnung derselben durch den heiligen Geist, der von Vater und Sohn ausgeht. Die Lehre von der Dreieinigkeit lag also wesentlich im Menschen, und ist im Grunde genommen die umfassendste Reflection, die der Mensch jemals über sich selbst gemacht hat. Ein Gegenstand des blinden Glaubens und des spottenden Zweifels, so lange das Innere noch nicht erwacht ist, wird sie ein Gegenstand der unmittelbaren Anschauung und der innigsten Überzeugung, so bald man anfängt, sein eigenes Wesen zu zergliedern. Wie viele Spötter unserer Zeit würden plötzlich verstummen, wenn es möglich wäre, ihnen den wahren Sinn des neuen Testaments und der ersten Kirchenväter einzuimpfen! Man findet es gegenwärtig ehrenvoll ein Atheist zu seyn; aber nur weil furchtbaren Weltursache die Rede ist; aber ist die Weltursache von beiden nicht wesentlich verschieden? In Beziehung auf diese ist es an und für sich unmöglich ein Atheist zu seyn, und versteht man das neue Testament auch nur einigermaßen, so entdeckt man eine auffallende Harmonie zwischen Schrift und Vernunft. Was kann das Christenthum besser charakterisiren, als der Ausspruch: Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die Liebe treibet die Furcht aus? Und was ist zugleich erhabener und umfassender, als der Satz: Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm? Wir müssen nur nicht außer uns suchen, was nur in uns seyn kann; und wir sind alles, was wir werden können, wenn unser Geist
Auf diese Weise erklärte mir mein Pflegevater jedes andere Dogma der christlichen Religion, mir das Geheimniß meines Inneren entschleiernd und mir Achtung vor mir selbst einflößend. Ein Ausspruch, der für ihn einen tiefen Sinn enthielt, und den er mir oft wiederholte, um ein bleibendes Ideal in mich niederzulegen, war der Ausspruch, wodurch der Stifter des Christenthums seine Schüler aufforderte: Klug zu seyn, wie die Schlangen, und ohne Falsch, wie die Tauben. Auch ist mir dieser immer gegenwärtig geblieben.
Der Sitte jener Zeiten gemäß, durfte ein junges Mädchen nicht eher öffentlich erscheinen, als bis sie durch die Confirmation dazu berechtigt war; durch diese
Es kam auf diesem Wege nur allzubald dahin, daß ich von Allen gesucht wurde. Man möchte nun glauben, daß ich ein Gegenstand des Neides für andere Mädchen meines Alters geworden sey; dies war aber durchaus nicht der Fall. Da ich keiner in den Weg trat, so wurde ich mit meiner Gutmüthigkeit ein Stützpunkt für alle, so daß selbst diejenigen von ihnen, welche die meisten Ansprüche auf Werthschätzung machten, mir gegenüber diese Ansprüche fahren ließen, und
Ich selbst fing an, mir unbegreiflich zu werden, so wie ich in der Meinung Anderer höher emporstieg. Dem Abstich, den ich durch meine Individualität bildete, die Deferenz, welche man mir von allen Seiten her bewies, zuzuschreiben, dazu war ich mit aller Verständigkeit doch noch zu unschuldig. Da ich nun in Zeiten lebte, wo man noch gar keine Ahnung davon hatte, daß eine vornehme Geburt nichts geben, wohl aber sehr viel nehmen kann, wenn nicht von staatsbürgerlichem, sondern von rein-menschlichem Werth die Rede ist; so gerieth ich auf die natürlichste Weise von der Welt auf den Gedanken, daß ich über mich selbst unfehlbar ins Reine gekommen seyn würde, so bald ich mir die nöthigen Aufschlüsse über meine Abkunft verschafft hätte.
Mein Pflegevater hörte mich, seinem Charakter gemäß, sehr ruhig an, und nachdem er mich auf einen Sessel hingezogen hatte, der neben seinem Lehnstuhl stand, antwortete er mir folgendes: »Dein Ursprung, meine geliebte Tochter, ist mir selbst immer ein Geheimniß geblieben. Es war der geheime Rath von K..., der mir deine Erziehung antrug. Von ihm hab' ich sehr regelmäßig die Gelder erhalten, welche bei der ersten schriftlichen Verhandlung stipulirt wurden. Ob er aber im Stande ist, Auskunft über deine Geburt zu geben, weiß ich nicht; ich habe es aber immer vermuthet, weil er dich in seinen Schreiben immer Fräulein Mirabella nannte. Wenn du von mir verlangst, daß ich ihn um Erörterungen bitten soll, so kann ich nicht umhin, dir eine seyn.«
Ich war um so gelassener, weil um diese Zeit mein Kopf in eben den Wirbel gezogen wurde, worin sich die Köpfe aller jungen Mädchen von meiner Bekanntschaft dreheten. Nichts ergreift eine weibliche Einbildungskraft so heftig und sicher, als die lebendige Vorstellung des schönen Zukünftigen. Die ganze Gegenwart versinkt,
Ungefähr um eben die Zeit, wo meine Pflegeeltern mit mir in die Hauptstadt gezogen waren, hatte sich die Frau von Z... mit ihrer Tochter daselbst niedergelassen. Das Fräulein war von meinem Alter, und ihre nächste Bestimmung fiel mit der meinigen zusammen, in sofern wir unsere letzte Ausbildung in der Nähe eines
Adelaide hatte eine ungemeine Fertigkeit auf dem Claviere, und liebte es, Proben ihrer Geschicklichkeit abzulegen. In dieser Hinsicht paßten wir vortreflich zusammen; lyrisches Ganze zu schaffen. Indessen paßten wir auch in dieser Hinsicht herrlich zusammen. War in ihr die Erhebung, welche zu freien Schöpfungen führt, so war in mir die Ruhe, welche diese Schöpfungen vollendet; und nachdem ich das Mechanische des Versbaues weg hatte, fehlte es mir nicht an Kraft, meiner Freundin da nachzuhelfen, wo sie von ihrer Unvollkommenheit in Stich gelassen wurde. Auf diese Weise lebten wir ohne alle Eifersucht, mehr als Schwestern, denn als Freundinnen, bis die Ankunft ihres Bruders unseren gegenseitigen Gefühlen eine andere Wendung zu geben versprach.
Wenn Alles um uns her Politik treibt, so giebt es unstreitig kein sicherers Mittel, unseren Concurrenten den Rang abzulaufen, als stilles Zurückbleiben und ruhiges Abwarten des vortheilhaften Augenblicks, wo die Übrigen verzweifeln. Ich sage damit nicht, daß ich dieser Maxime gemäß handelte, als ich mich aus dem Kreise zurückzog, der Adelaiden umgab; ich folgte dabei keiner Idee, sondern nur einem Gefühl. Allein die Idee hätte mich nicht sicherer leiten können, als das Gefühl mich leitete. Kaum war Herr von Z... der Bewerbungen überdrüßig geworden, deren Gegenstand er war, so zog er sich in die Einsamkeit zurück; und kaum war er den Augen seiner Bewerberinnen
Adelaiden so reden zu hören, kam mir freilich unerwartet; allein da ich mich auf die Wahrheit ihrer Aussage verlassen rien n'est beau que le vrai ist das Siegel des poetischen Unvermögens der Franzosen, die, wenn sie jemals Dichter werden wollen, von neuem geboren werden müssen. Es ist zuletzt nur die höhere Kraft
Adelaide war, so wie ich, nicht wenig über diese Erklärung erstaunt. Wir kämpften für unsern Corneille und Racine und Voltaire, so viel wir konnten; allein über diesen Punkt fand für den Herrn von Z... kein Capituliren statt. Als wir zuletzt,
Wenn ich in meinen Urtheilen vorsichtiger war, so hatte diese Vorsichtigkeit ihren Grund nicht in einem schwächeren Gefühl, sondern in dem Verhältniß, worin Wärme sey. Es war, mit einem Worte, die Phantasie, wodurch er mich so unwiderstehlich an sich zog. Was ich damals nicht begriff, was mir aber seitdem sehr deutlich geworden ist, war: daß ein Weib an einem Manne zuletzt nie etwas anderes lieben kann, als jene schaffende Kraft, wodurch er, das Geschöpf, wiederum zum Schöpfer wird. Was Platon die irdische Liebe nennt, ist immer nur ein Abglanz der himmlischen, und ohne diese würde jene gar nicht vorhanden seyn, wenigstens nicht in einer weiblichen
Ich ging, ich bekenne es, nach und nach in Adelaidens Bruder so vollkommen unter, daß ich nur in ihm lebte und webte. War aber jemals ein Mann unfähig, diese vollendete Hingebung auf eine unedle Weise zu benutzen, so war es Moritz. Wie theuer ich ihm war, leuchtete aus seinem ganzen Betragen gegen mich hervor, das außer mir – worin bestand sie? Ich schloß auf eine frühere Verbindung, auf ein gegebenes Wort und dergleichen zurück.
Um hierüber ins Reine zu kommen, erkundigte ich mich bei Adelaiden mit aller nur möglichen Schonung nach den Verhältnissen, worin ihr Bruder stehe; den Vorzug besitze, für das gesellschaftliche Leben, das durch meine Poesie zu Grunde gerichtet werde, neues Interesse einzuflößen. Mehr bring' ich nicht aus ihm heraus; und wenn seine Behauptungen nicht Unsinn seyn sollen,
Nach diesen Aufschlüssen mußte ich annehmen, daß die Mathematik meine Nebenbuhlerin sey; allein wie hätte ich dazu kommen sollen, dieser Voraussetzung Wahrheit zuzuschreiben, da Moritz höchstens 25 Jahre zählte? Der Reiz der Wissenschaft sey noch so groß, so ist er doch nicht früher vorhanden, als der Besitz. Was uns aber zur Erwerbung treibt, ist nie die Wissenschaft, sondern irgend etwas Menschliches, dem sie als Mittel dienen soll. Was trieb nun meinen Moritz?
Ich war der Katastrophe, welche das Geschick meines Lebens entscheiden sollte, bei weitem näher, als ich glaubte; ehe ich aber der Aufschlüsse erwähne, welche mir Moritz über sein Inneres gab, muß ich von den Zeiten reden, in welchen dies vorfiel.
seine Angelegenheit die des ganzen Deutschlands, daß seine Thaten selbst in die entferntesten Kreise drangen, und wenigstens die muntere Jugend für den Helden ihrer Zeit begeisterten.
Kein Jahr war reicher an Glückswechseln, als das Jahr 1757. Im Anfang desselben Sieger, so daß Maria Theresia sich in Wien selbst nicht sicher glaubte, wurde Friedrich bald darauf aus Böhmen vertrieben. Von seinen Bundesgenossen verlassen, von allen Seiten mit Feinden umringt, dem Verderben blosgestellt, ermannte er sich zu neuen Triumphen. Die Schlachten bei Rosbach und Leuthen setzten ganz Europa in Erstaunen; vorzüglich die letztere, in welcher eine selbstgeschaffene Taktik dem dreimal stärkeren Feinde den Sieg entriß. Die Wiedereroberung Schlesiens folgte diesem Siege. Gern hätte Friedrich auf seinen Lorbeern ausgeruht; denn der Krieg war gegen alle seine Wünsche erfolgt, und die Fortsetzung desselben störte ihn in edleren Entwürfen. Allein wie tief auch seine
Ich befand mich bald nach der Schlacht bei Leuthen eines Nachmittags in dem Hause der Frau von Z... Es war die Rede von dem neuen herrlichen Siege, den die preußische Tapferkeit erfochten hatte, und mit tiefgefühlter Theilnahme sprach man von Friedrichs mißlicher Lage bei seiner Ankunft in Schlesien, und von der Art und Weise, wie er, wenige Tage vor der Schlacht, seinen Generalen in einem Kriegsrath den Zustand seines Gemüthes offenbaret. Plötzlich sprang Moritz, der während dieser Unterhaltung stumm und in sich selbst vertieft da gesessen hatte, von seinem Lehnstuhl auf, und, in die Mitte des Zimmers tretend, sprach er, starren Blickes und festen Tones, uns allen unerwartet, folgenden Monolog:
»Könnt' ich etwas an diesem Friedrich tadeln, so würde es die Vorliebe seyn, die er für französischen Geist und französische Sitte zeigt. Wie wenig kennt er sich selbst, wenn er Formen ehrt, die keine andere Grundlage haben, als die Flachheit selbst! Doch er gebehrde sich, wie er wolle, nie wird er das Gemüth eines Deutschen ganz verleugnen können. Durch dies kräftige, reiche Gemüth gebietet er selbst den Franzosen, deren Schöngeisterei vor seinem Genie verstummt, und deren Hinterhaltigkeit vor seiner Ehrlichkeit erbebt. Ja, er ist das Größte, was das Schicksal diesen Zeiten verleihen konnte; der einzige Mann seines Jahrhunderts, bestimmt, ein neues Geschlecht zu gründen, und in der Weltgeschichte mit unverwelklichem Lorbeer zu prangen. Wer seine Rechtlichkeit anklagt, vergisset, daß das Genie die unversiegliche Quelle neuen Rechtes ist, und jeglichen Beruf aus sich
Es war uns sonderbar zu Muthe bei diesem Monolog; denn so rücksichtslos wurde er gesprochen, daß unsere erste Ahnung keine andere seyn konnte, als die, daß Moritz von Sinnen gekommen sey. Adelaide, welche neben mir saß, umschlang mich mit ihrer Linken und starrte auf ihren Bruder hin. Ob auch ich auf ihn hinstarrte, oder die Augen niederschlug, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß ich nun mit einemmale gefunden hatte, was ich bisher vergebens suchte. Es war also Friedrich der Große, der sich zwischen mich und meinen Moritz in die Mitte stellte und unsere Vereinigung verhinderte.
Es wird nach allem, was ich bisher gesagt habe, schwerlich auffallen, wenn ich hinzufüge, daß ich nicht unterließ, meine Freundin, wie bisher, zu besuchen, und mich dadurch dem Herrn von Z... zu nähern; ich konnte dies jetzt um so eher thun, da das Verhältniß, worin ich mit ihm stand, durch die Bestimmtheit, welche seine letzte Erklärung ihm gegeben hatte, eine Unschuld gewann, die es zu einem kindlichen machte. Von dem Auftritte
»Ich gestehe Ihnen, meine Theure, daß ich vor ungefähr einer Woche an den König von Preußen geschrieben habe, um ihm meine Dienste anzutragen. Schon lange war dies mein geheimer Entschluß; allein ehe ich ihn zur Ausführung bringen konnte, bedurfte es mehrerer Vorbereitungen,
Meine Antwort auf diese Frage war: »Sie haben sich, mein edler Freund, durch diese Analyse vor sich selbst zu rechtfertigen gesucht; aber ich glaube nicht, daß es einer solchen Rechtfertigung bedarf. Es war genug, daß Ihr Gemüth so entschieden hatte. Friedrichs Wesen umschließt alles, was Sie groß und edel nennen; darum drängen Sie sich in seine Nähe, wie ich mich in die Ihrige gedrängt habe. Ich verstehe Sie vollkommen; und weil ich Sie verstehe, muß ich Ihre Schritte billigen. Wie konnten Sie erwarten, daß wir hierin verschiedener Meinung seyn würden? Dies sind wir nie gewesen, dies können wir niemals werden. Der Streit ist nur für diejenigen vorhanden, die sich einander nicht begreifen; wir aber können, dünkt mich, nur zusammen sprechen, nicht mit einander
Um keinen Preis hätte ich eine andere Antwort geben können, und ihre Wahrheit ergriff den Herrn von Z... so sehr, daß er in ein tiefes Nachdenken versank. Mutter und Schwester kehrten zu uns zurück, und nun war von anderen Dingen die Rede. Schwerlich ist jemals eine Liebeserklärung in dieser Form gemacht worden; und schwerlich meinten es gleichwohl zwei Liebende ernstlicher und redlicher mir einander. Mit welchem Feuer würden wir uns umfaßt haben, hätte es keinen
Ein Eilbote überbrachte in einem königlichen Handschreiben die Nachricht von Moritzens Anstellung im Gefolge des Monarchen nach einem monatlichen Garnisondienst. Die Anstalten zur Abreise wurden unverzüglich gemacht. Mein Herz klopfte bei dem Anblick derselben, und eine schwarze Ahnung bemächtigte sich meines Gemüths; aber ich half beim Einpacken, indem ich Pflicht nannte, was ich zu meiner Zerstreuung that. Moritz war wechselsweise exaltirt und niedergeschlagen, und ich sah nur allzudeutlich, wie er sich zugleich an mich angezogen und von mir zurückgehalten fühlte. Einmal sagte er mir: »Es bleibt eine ewige Wahrheit, daß die Ruhe nur in dem Gemüthe der Weiber ewige Wahrheit einzuwenden hatte.
Die Stunde der Trennung rückte immer näher. Ich wollte einem förmlichen Lebewohl ausweichen, weil ich mich nicht stark genug dazu glaubte; allein Moritz hatte meine Absicht allzugut errathen, um sie nicht zu vereiteln. Überraschend erschien er in meiner Wohnung, und mit einer Miene, welche mir seinen inneren Zustand als sehr aufgeregt darstellte, überreichte er mir, außer einem Ringe, sein Bildniß im Kleinen an einer leichten goldenen Kette mit der Bitte, beides zu seinem Andenken zu tragen. Ich nahm Ring und Bildniß mit dem Versprechen an, daß ich sie tragen wollte, und fragte den Geber: Ob er gleiches Unterpfand von mir zu besitzen wünschte? Auf seine bejahende Antwort verabredeten wir den Ort, wohin
Moritz hörte nicht auf, mir gegenwärtig zu seyn, weil er abwesend war. Ring und Bildniß hatten nur eine untergeordnete Kraft, die sich bisweilen ganz verlor. Eine höhere lag in der italiänischen Poesie; denn noch immer dauerte die Täuschung fort, vermöge welcher diese für mich mit Moritz einerlei war. So oft ich das befreiete
Moritz schrieb häufig an mich und die Seinigen. Am liebsten sprach er von dem
Moritz, welcher, unmittelbar nach der Übergabe von Schweidnitz, in die Nähe des Königs gekommen war, begleitete sein Idol als Adjutant auf dem Zuge nach Mähren. Viele unvorhergesehene Hindernisse hemmten den Lauf der Kriegsoperationen. Als alle endlich überwunden waren und Olmütz belagert werden konnte, fehlte es an den Belagerungsmitteln, weil es den Österreichern gelungen war, einen großen Theil derselben zu zerstören. Die Lage des preußischen Heeres in Mähren war um so kritischer, da Laudon eine solche Stellung genommen hatte, daß der Rückzug nach Schlesien wo nicht unmöglich, doch wenigstens sehr gefährlich geworden war. Nur Friedrichs überlegenes Genie konnte hier Rettung bringen. Ein Marsch, auf den der österreichische
Bekanntlich waren die Russen, während Friedrich in Mähren verweilte, aus Preußen, welches sie als Eigenthum verschonten, verheerend nach Pommern und der Mark vorgedrungen. Küstrin, dessen Festung sie allein verhindern konnte, in das Herz des preußischen
Sie wurde bei Zorndorf geliefert. Was Andere vor mir beschrieben haben, mag ich nicht wiederholen. Genug, diese Schlacht war die Verklärung der preußischen Tapferkeit. Der König selbst stürzte sich in jegliche Gefahr. Um ihn her fielen seine Adjutanten, seine Pagen. Gleich einer ehernen Mauer stand der linke Flügel der Russen da, als der rechte bereits geschlagen war. Was diesem geschehen war, mußte auch jenem zu Theil werden, wenn Friedrich seine Staaten mit Erfolg retten wollte. Seidlitz eröffnete das Gemetzel, indem er die russische Reiterei warf. Es wurde vollendet; aber indem Moritz als
Seine Briefe blieben aus. Eine schwarze Ahnung trat in unsere Seelen. Die Sache selbst war gewiß, ehe die Bestätigung erfolgte. Endlich erfolgte auch diese. Die Mutter war trostlos; denn es war ihr einziger Sohn, den sie verloren hatte, und dieser einzige Sohn war um so mehr ihr Stolz, je unerreichbarer ihr die Höhe war, auf welcher er als geistiges Wesen stand. Adelaide weinte; allein ihr Kummer war weder tief, noch von ihn eben so bereitwillig sterben können, als er für sein eigenes Ideal gestorben war; aber seinen Verlust bejammern konnte ich nicht. Er war ja nicht der Meinige, wie ich die
Ich sage nicht, daß ich in jenen Unglückstagen, wo Mutter und Schwester durch die Bestätigung seines schönen Todes zu Boden geworfen wurden, so dachte; aber ich sage, daß ich so empfand, wenn es anders erlaubt ist, diesen Ausdruck da zu gebrauchen, wo Ruhe und Resignation obwalten. So also, und nicht anders, hätte ich mich gegen den Vorwurf der Fühllosigkeit vertheidigen müssen, wäre er mir gemacht worden. Ich würde sehr Wenigen verständlich geworden seyn; aber alle diejenigen, welchen ein über die gewöhnlichen Schranken hinausgehendes mir, sondern in den mangelhaften Vorstellungen derer, die davon beleidigt waren. Man hätte mich, man hätte Moritz ganz kennen müssen, um zu begreifen, wie ich bei seinem Tode gelassen seyn konnte. Ich bin versichert, daß Moritz, wäre mir sein Schicksal zu Theil geworden, auch ruhig geblieben seyn würde, wiewohl ich von allen weiblichen Geschöpfen das einzige war, dem er wohlwollen konnte. Nur da, wo eine Identifikation zweier Wesen vorhergegangen ist, kann eine Trennung mit tödtlichen Schmerzen verbunden seyn; nicht da, wo sie noch im Hintergrunde der Zukunft liegt und aus weiter Ferne winkt. Übrigens war es, in Beziehung auf Moritzens mit ihnen zu weinen – nicht um Moritz, sondern aus jener reinen Sympathie, welche sich bei allen besseren, von keiner Art des Egoismus zusammen geschrumpften Menschen wiederfindet, so oft sie Thränen des Kummers oder der Freude vergießen sehen. Was beide beklagten, war für mich noch kein Gegenstand der Klage; aber sie selbst waren Gegenstände des Mitleids, und so vermischten sich unsere Zähren, während der edlere Theil meines Selbst eben so unumwölkt blieb, als, nach dem Ausdruck des ersten aller Sänger, der Wohnsitz der seligen Olympier ist. So wenig war ich in meinem ganzen Wesen gestört, daß kein einziges meiner Geschäfte stockte. Es kam mir zwar vor, als wäre ich in vielen Dingen hurtiger und bestimmter geworden; und in sofern dies wirklich der Fall war, konnte
Adelaide, welche mir unter diesen Umständen besonders theuer wurde, nicht weil der Unterschied, den die Natur selbst zwischen uns gelegt hatte, durch die Länge der Zeit aufgehoben war, sondern weil die Gewohnheit des Beisammenseyns den Ausschlag über diesen Unterschied gab – Adelaide sah sich seit dem Tode ihres Bruders, der sie zu einer sehr reichen Erbin gemacht hatte, von Bewerbern umgeben, welche den Augenblick, wo sie sich für den einen oder den anderen von ihnen erklären würde, nicht zeitig genug erleben konnten. Das Unglück des armen Mädchens bestand recht eigentlich darin,
Herr von M..., den sie wählte, war ein begüterter Landedelmann, von gesundem Geist und guten Sitten. Er war unstreitig die beste Parthie, die Adelaide machen konnte; das Schlimme war nur, daß es für Adelaiden keine gute Parthie gab. Vermöge der Eigenthümlichkeit ihres Geistes standen ihre Mittel nie in einem nur erträglichen Verhältniß zu ihren neben nicht mit einander gehen konnten.
Um eben die Zeit, wo Adelaide sich mit dem Herrn von M.... verband, wurde mir die Stelle einer Gesellschaftsdame bei der jüngsten Tochter unseres Fürsten angetragen, welche damals ein Alter von funfzehn Jahren erreicht hatte. Dieser Antrag war um so ehrenvoller, weil ich berechtigt war, ihn als das Resultat der guten Meinung zu betrachten, in welche ich mich bei dem Publikum gesetzt hatte. Mehr indessen, als die Ehre, bestimmte mich die Liebenswürdigkeit der jungen Prinzessin, über welche nur Eine Stimme war. Das Einzige, was mich von der Annahme abschrecken konnte, war meine eigene Individualität, die, wie es mir vorkam, sehr schlecht zu den Verhältnissen paßte, welche ein Hof in sich selbst zu erzeugen pflegt. Als dieser Punkt
»In dem Leben mit Seinesgleichen,« sagte er, »hat man entweder gar keinen, oder nur einen sehr schwachen Antrieb, die eigene Individualität zu verbergen; und indem man sie mit Unbefangenheit Preis giebt, läuft man beständig Gefahr, dadurch anzustoßen, weil jeder einmal die seinige retten will. Nicht so im Umgange mit Vornehmeren. Hier kommt es darauf an, solche Formen zu gewinnen, daß man selbst die kräftigste Individualität rettet, ohne jemals dadurch zu beleidigen. Es ist wahr, daß es Personen giebt, die zuletzt nichts weiter haben, als die Form; allein dies ist nicht sowohl die Wirkung des Hoflebens, als vielmehr die einer ursprünglichen Leerheit, welche sich hinter Repräsentation du immer kannst, das heißt, so viel deine Einkünfte und deine Kräfte überhaupt erlauben; aber setze deine Freunde nicht in Contribution, weil du sie dadurch zu Gegengefälligkeiten berechtigen würdest, die zu sehr unangenehmen Verwickelungen führen könnten. Das große Problem, das du zu lösen hast, besteht,
Diese Bemerkungen meines Pflegevaters beruhigten mich, indem sie mir zugleich die Vermuthung zuführten, daß Alles vorher mit ihm verabredet worden sey. Wenigstens gerieth ich auf den Gedanken, daß seine Connivenz, außer dem pädagogischen Zwecke, den er nicht verhehlte, auch einen politischen haben könnte,
Sowohl der Fürst als dessen Gemahlin empfingen mich mit einer ausgezeichneten Huld, welche mir um so mehr wohlthat, da sie sich weniger in Lobsprüchen, als in – ich möchte sagen elterlicher Affection offenbarte, und mir zuraunte, daß es nur von mir abhange, um am Hofe wie zu Hause zu seyn. Prinzessin Caroline ihrer Seits kam mir mit aller der Naivetät entgegen, wodurch sie der Zauber aller ihrer Bekannten war. Da sie mich schon sonst gesehen hatte, so lag in meinem Wesen nichts Fremdes für sie; und dies mußte mir nothwendig um so ihr gezogen würde. Der Erfolg rechtfertigte meine Maximen. Ohne nur ein einzigesmal auf Albernheiten oder Fadaisen eingegangen zu seyn, wurde ich der Prinzessin
Ich wünschte, meine Gewohnheiten mit denen des Hofes in Harmonie zu setzen; und dies wurde mir nicht schwer, so bald die Tagesordnung des Hofes mir geläufig geworden war. Seit meinem sechsten Jahre gewohnt, um fünf Uhr des Morgens, im Winter wie im Sommer, aufzustehen, behielt ich diese Sitte bei, indem ich mir berechnete, daß die drei bis vier Stunden,
In Hinsicht meiner Neigungen hatte ich größere Mühe, mich in den Hof zu schicken. Es gab besonders zwei Punkte, Tanz, der andere das Spiel.
Um den Tanz zu lieben, fehlte es mir offenbar an Temperament; und da man nicht mit Erfolg tanzen kann, wenn man nicht gern tanzt, so war ich in einer desto größeren Verlegenheit. Es kam aber noch dazu, daß die Prinzessin Caroline über diesen Punkt ganz entgegengesetzter Neigung war, und nicht aufhörte, mich in ihr Interesse ziehen zu wollen. Ich that zuletzt, was in meinen Kräften stand, und erreichte dadurch alles, was ich zu erreichen nur wünschen konnte. Aber im Ganzen genommen blieb mir der Tanz zuwider, und mein liebster Trost war immer, daß die Gelegenheit dazu nicht täglich wiederkehrte.
Spielen hatte ich nie gelernt, wiewohl pis aller; weil es unmöglich ist, eine große Gesellschaft auf eine edle Weise in Thätigkeit zu setzen, so hat man diesen Ausweg erfunden, sie nicht ganz unbeschäftigt zu lassen. Ohne Spiel würde man in den Hofzirkeln von der Langenweile
Wie ich sie nennen soll, weiß ich nicht; ihrem Wesen nach aber bestand sie darin, daß, indem ich für alle Nichtspielenden die Gesellschaftsdame machte, ich die in der That nicht leichte Kunst lernte, mich
In welcher bestimmten Individualität ich auch als Weib dastehen mochte, so gab die Weiblichkeit in mir doch den Ausschlag über alles; und da der Grundcharakter des Weibes Resignation ist, so wurde mir die Erlernung jener nahmenlosen Kunst, die ich so eben beschrieben
nicht als Ideal vorgeschwebt hätte, so würde ich durch das Problem, dessen Auflösung ich einmal übernommen hatte, von allem, was Liebe im engeren Sinne des Wortes genannt wird, entfernt geblieben seyn. Ich hatte mich, trotz meines jugendlichen Alters, von der Liste der fühlenden Wesen gestrichen, um mich auf die der Intelligenzen setzen zu können.
Mein Pflegevater freuete sich nicht wenig über diese Verwandlung meines Wesens; sie entsprach seinen Erwartungen von mir eben so sehr, als seinen Wünschen. Unstreitig würde sie noch vollkommner gewesen seyn, hätte nicht mein Verhältniß zu der Prinzessin Caroline meinen ursprünglichen Charakter, d.h. denjenigen, mit welchem ich an den Hof gekommen war, auf das wesentliche festgehalten.
Wie der ganze übrige Hof, so war auch die Prinzessin von der Verbindung belehrt, in welcher ich mit dem Herrn von gerührt wurde, dies Wort in seinem gewöhnlichen Sinne genommen. Meine Erzählung enthielt gewiß alle Elemente des Tragischen; aber auf unsere Thränendrüsen wirkten diese nie zurück.
Ich kann bei dieser Gelegenheit nicht umhin, eine artistische Bemerkung zu machen, die, wie sehr sie auch den gewöhnlichen Theorien widersprechen mag, mir vollkommen richtig scheint. Sie ist: »daß die wahre Tragödie das Gemüth nicht foltern, sondern heben müsse, so daß der Zuschauer, nachdem der Vorhang gefallen, nicht mit beklommenem, sondern mit freudigem Herzen die Bühne verläßt.« Es ist gewiß nur immer die Schuld des Dichters, wenn dies nicht der Fall ist. Wer sich eines tragischen Stoffes so zu bemächtigen versteht, daß er die Entwickelung in ihrer Nothwendigkeit fortführen
Indem ich der Prinzessin gegenüber meine ganze Individualität festhielt, so konnte es schwerlich fehlen, daß, vermöge der achtungsvollen Anhänglichkeit, die sie für mich empfand, von meinem ganzen Wesen sehr viel auf sie überging. Ich möchte nicht sagen, daß ich mich zu ihr herabließ; dies war durchaus unnöthig, da alle ihre Anlagen von einer solchen Beschaffenheit waren, daß ich sie mit Wir konnten unserm Wesen nicht entsagen, ohne uns herabzuwürdigen; aber diejenigen, mit welchen wir zu schaffen hatten, konnten dies sehr wohl; und alles Unglück, das uns begegnete, rührte nur daher, daß sie in ihren Gewohnheiten allzu tief versunken waren, um das Edlere und Bessere zu lieben.
Ehe ich die Räthsel löse, welche in dem vorhergehenden Abschnitt enthalten sind, muß ich, aus Achtung für die Zeitfolge, noch des Todes meines Pflegevaters erwähnen. Er starb, nachdem ich ungefähr drei Jahre am Hofe gelebt hatte. Über sein Hinscheiden weiß ich nur das zu sagen, daß es das Hinscheiden eines ächten Christen war, der, wenn seine letzte Stunde geschlagen hat, mit Ergebung in den Mittelpunkt der Gesellschaft zurücksinkt, welcher er sich, sein ganzes Leben hindurch, nützlich zu machen gestrebt hat.
Ich war kaum mit meiner Erbschaft im Reinen, als das ...sche Fürstenhaus um die Hand der Prinzessin Caroline für den Erbprinzen Carl werben ließ. Ohne gerade glänzend zu seyn, war dieser Antrag ehrenvoll; auch wurde er keinesweges zurückgewiesen. Was man von dem Erbprinzen sagte, war so beschaffen, daß er zu den frohesten Erwartungen berechtigte; man schilderte ihn nämlich als einen schönen jungen Mann von den besten
Von der Vermählung der Prinzessin,
Die nächsten vierzehn Tage klärten
mich zurück zu halten,
Die Erbprinzessin verstand mich vollkommen; auch in den zartesten Empfindungen und Ideen begegnete sie mir mit einem Takt, der, wenn ein Dritter als Zuschauer zwischen uns in der Mitte gestanden hätte, diesen nothwendig hätte bezaubern müssen. Wir, die wir drei Jahre hindurch in der vollkommensten Freundschaft gelebt hatten, welche auf Erden möglich ist, verabredeten jetzt stillschweigend unter uns, daß, obgleich unsere Unschuld sie in Ansehung des Spielraums liebender Gefühle so wesentlich beschränkte, und wo ich meiner Seits durch die Erbärmlichkeit des Hofes ganz auf mich selbst zurückgeworfen wurde, jetzt konnten wir den Stützpunkt, dessen wir bedurften, nur eine in der anderen finden. Wir würden glücklich gewesen seyn, hätten wir dem Zuge folgen dürfen, der uns zu vereinigen
Den übrigen Mitgliedern des Hofes war ich ein unerklärbares Räthsel. Was sie durchaus nicht begreifen konnten, war, wie man an einem Hofe fremd und doch so abgeneigt seyn könnte, sich an irgend
Mich zu erforschen schickte man das Factotum des Hofes, den Herrn Hofcapellan, an mich ab. Dieser Mann, der, seinem Berufe nach, der rechtlichste und edelste des ganzen Hofes seyn sollte, war, wie es zu geschehen pflegt, nur der feinste und eigennützigste; und so groß war die Verkehrtheit aller Mitglieder des Hofes, daß man ihn gerade um derjenigen Eigenschaften willen achtete, die ihn vor jedem intelligenteren Richterstuhle verdammen mußten. Seine Erscheinung kam mir nicht mich zur Lektüre der Messiade; und als ich hierauf nicht antwortete, nahm er sogleich Gelegenheit, über die Irreligiosität des Zeitalters (welche ihm bei weitem vollendeter erschien, als sie wirklich war) ein Langes und Breites zu sprechen, und sich so eine Brücke zu bauen, um zur Herzogin zu kommen, die er als das Muster aller Fürstinnen vorstellte. Eine nähere Bekanntschaft mit ihr, meinte er, würde mir zeigen, wie sehr es zu wünschen wäre, daß ihr Geist den ganzen Hof durchströmen möchte; und hierauf erfolgten neben den Lobeserhebungen, welche der Herzogin gemacht wurden, mehrere Winke, welche mich orientiren sollten. Ich ließ den hochwürdigen Herrn ausreden, und als er das Bedürfniß fühlte, wieder zu Athem zu
Was den Kammerherrn des Erbprinzen betraf, so hatte ich längst bei mir ausgemacht, daß er bei weitem unschuldiger sey, als er in der Darstellung des Hofcapellans erschien. Sein Hauptverbrechen schöpferische, der Anderen gebietet, indem er ihnen Richtungen giebt, die sie aus sich selbst zu nehmen allzuschwach sind, sondern der legale, der nur immer den fremden Willen bearbeitet, und folglich gar nicht für und durch sich existirt. Des Kammerherrn höchster Grundsatz war: der Erbprinz ist der Herr. Diesem Grundsatz gemäß wagte er es nie, dem Erbprinzen zu widersprechen. Hätte dieser seine Gemahlin lieben können, so würde er nichts dagegen einzuwenden gehabt haben; da aber der Erbprinz dies nicht konnte, so hatte der Kammerherr auch wiederum nichts dagegen, daß er seine Verbindung mit einer
Ich konnte dies um so weniger, weil mir immer deutlicher einleuchtete, daß das Mißverhältniß zwischen dem Erbprinzen und seiner Gemahlin eben so sehr durch die Individualität der letzteren als durch die des ersteren gehalten wurde. Es ist gewiß sehr zu bedauern, wenn die Tugend selbst die Quelle unseres Mißgeschicks und unserer Leiden wird; allein dies ist unter gewissen Umständen eben so nothwendig, als daß das Gegentheil der Tugend zum Mißvergnügen mit sich selbst Vergiftung aus der Affaire gezogen. Dies ist besonders an großen Höfen der Fall gewesen, wo man noch weit mehr Ursach der Periode, von welcher hier die Rede ist, den höchsten Gipfel erstiegen hatte; allein es giebt Verhältnisse, bei welchen es gleich viel ist, welchen Grad der Verschlimmerung sie erreicht haben, so bald man sagen muß, daß sie aufgehört haben gut zu seyn. Die Erbprinzessin fühlte sich warlich nicht minder unglücklich, weil ihr Gemahl noch einige Rücksichten nahm, die unter Personen fürstlichen Standes nie
Ich machte sehr bald die Bemerkung, daß ein weit höheres Maaß von Kraft erfordert wird, die Dinge in einem gegebenen Zustande zu erhalten, als sie zu leiten. Das Erstere ist in der Regel ganz unmöglich; die menschliche Natur ist es, was diese Unmöglichkeit hervorbringt. Das letztere läßt sich bewerkstelligen; nur erfordert es eine Überlegenheit des Geistes, wodurch man den Ausschlag über seine ganze Umgebung giebt. Nichts war dadurch gewonnen worden, daß ich mich neutralisirt hatte; allein wie meine Taktik so verändern, daß ich das Verlorne wieder gewann? Diese Aufgabe war schlechterdings nicht zu lösen, da ich es mit Personen zu thun hatte, durch welche sich kein einziger von den Planen ausführen ließ, die ich entwerfen konnte. Unaussprechlich leiden sah ich die Prinzessin, und
Es war an einem von den schönen Tagen, durch welche der Frühling zum Sommer übergeht, als die Prinzessin mich gegen Abend zu sich rufen ließ. Ich eilte in ihre Nähe; wir waren allein. Der Vertrag, den wir stillschweigend geschlossen hatten, dauerte fort, und keine von uns beiden beabsichtigte einen Bruch desselben. Die Prinzessin bat mich indessen neben ihr Platz zu nehmen, und redete mich hierauf folgendermaßen an: »Ich kenne jetzt keine angenehmere Zerstreuung, als die der italiänischen Dichter, weil diese mich am schnellsten in die Regionen führen, wo ich die Wirklichkeit vergesse. Aber ich bin nicht länger im Stande, dies hohe
Als die Prinzessin, von ihren Gefühlen überwältigt, in die Worte ausbrach: »O wäre doch auch für mich eine Flucht möglich!« und unmittelbar darauf dem gepreßten Herzen durch einen Strom von Thränen Luft machte. Mir fiel bei diesem Anblick das befreiete Jerusalem aus den Händen, und, meiner früheren Vorsätze uneingedenk, warf ich mich zu den Füßen der Prinzessin nieder, sie beschwörend, daß sie mir nichts verhehlen möchte. »Ich bin ganz die Ihrige,« rief ich aus, »so bald Sie verlangen, daß ich es seyn soll.«
Die Prinzessin sah mich mit der Miene
»Ich habe Sie nur allzugut errathen, Mirabella; um nicht zu verschlimmern, was sich nicht verbessern ließ, nahmen Sie diese Stellung an, worin Sie die Dinge sich selbst überließen. Aber ich hätte Sie nie kennen lernen müssen, wenn ich auch nur einen Augenblick an Ihrer Bereitwilligkeit, alles was in Ihren Kräften steht, für mich zu leiden und zu thun, hätte zweifeln sollen. In dem gegenwärtigen Augenblicke folgen Sie mehr Ihrem Gemüthe, als Ihrem Verstande; aber dies liegt so sehr in der Natur der Sache, daß Sie mir dadurch nur um so theurer werden. Wie die Lage der Sachen ist, wissen Sie, ohne daß wir jemals darüber gesprochen haben. Auch jetzt wollen wir nicht ausführlich darüber werden. Genug, daß ich die Verlassenheit, worin ich mich befinde, nicht länger ertragen kann. An
Meine Antwort auf diese Frage war, wie sie nach einer solchen Scene seyn konnte; ich wiederholte mein: »Ich bin die Ihrige mit Allem, was in mir ist;« denn ob sich gleich die Folgen dieser Vereinigung nicht berechnen ließen, so wollte ich doch lieber aus Heroismus edel, als aus Feigheit klug handeln.
Es war von diesem Augenblick an gleich viel, wo wir existirten; aber um der
Die Lage des Lustschlosses war die reizendste, die man sich denken kann. Auf einer Anhöhe gelegen, war es rechts durch unabsehbare Wiesen und links durch einen dunklen Tannenwald begränzt. Vorn dehnte sich ein geräumiger Garten aus, den man anzubauen nicht vernachlässigt hatte, Chloe, wo sie mir gebot, sie selbst Daphne zu nennen.
Es fehlte uns beiden nicht an Erfindungskraft. Die ersten Morgenstunden wurden im Garten oder im Park verlebt, wo wir mit irgend einer leichten Arbeit in der Hand, mehr empfindend als denkend, uns nach allen Richtungen hin bewegten. Ward die Sonnenhitze uns allzustark, so begaben wir uns in einen Pavillon, wo wir abwechselnd vorlasen. Der Anfang wurde mit Gesners Idyllen gemacht; allein wir legten sie bald zurück, weil es uns vorkam, als ob der größte Reiz, den sie gewähren könnten, nicht in den Gemälden, sondern in der Einfassung enthalten sey. Ich hatte seit ungefähr
In diesem Kreislauf von Beschäftigungen und Vergnügen verstrich ein Tag nach dem andern, bis ein Schreiben von dem Kammerherrn des Erbprinzen mir zu verstehen gab, daß ich die Achtung für den Schein, auf welcher ich vor meiner Abreise in Beziehung auf die Prinzessin so nachdrücklich bestanden, seit meiner Ankunft auf dem Lustschlosse in Beziehung auf den Prinzen ganz aus den Augen gesetzt hätte. Der Vorwurf war gerecht; und wie schwer es uns auch fallen mochte, aus unserer Idyllenwelt, wär' es auch nur auf wenige Stunden, herauszutreten, so mußte doch irgend etwas geschehen, den
Derselbe Besuch wurde alle vierzehn Tage wieder holt, und zur Abwechselung erhielten wir auch wohl auf einige Stunden die Ehre, von dem Herzog oder dem Erbprinzen selbst besucht zu werden. So wie aber die Zeit vorrückte, fingen wir an, den Winter zu fürchten, den wir uns als diejenige Jahreszeit dachten, in welcher die künftige Freiheit durch die drückendste Sklaverei erkauft werden müßte. Wohlmeinender, liebender und schuldloser konnten schwerlich zwei andere Wesen seyn; allein dies alles rettete uns nicht vor der Langenweile, der Kränkung und dem Argwohn. Mit unseren Eigenschaften mußten wir das Schicksal mancher anderer Weiber theilen, die nur deswegen verkannt werden, weil man ihre Eigenthümlichkeit nicht zu begreifen vermag. Den Klang des
Unaufhaltbar näherte sich der Winter. Wir mußten unser Paradies verlassen und in die Hauptstadt zurückkehren. Die Verhältnisse am Hofe waren noch dieselben; aber das Gemüth der Erbprinzessin hatte durch den Aufenthalt auf dem Lustschlosse
Von den Eigenschaften seiner Schwiegertochter bezaubert, und, weil eben diese Schwiegertochter mit allem Glanze der Gesundheit und Schönheit bisher unfruchtbar geblieben war, nicht ohne Sorge für seine Descendenz, wollte der Herzog von den Ursachen belehrt seyn, welche den Pflicht betrachten konnte; allein so konnte derjenige nicht sprechen, der das Wort zum Räthsel hatte und zu beurtheilen verstand, welche Hindernisse in der Erbprinzessin zurückblieben, nachdem alle Hindernisse in dem Erbprinzen aus dem Wege geräumt waren. Ich versicherte – und gewiß mit Wahrheit – daß es nie an mir gelegen habe, den Erbprinzen in dem Besitz seiner liebenswürdigen Gemahlin beglückt zu sehen; ich fügte aber zugleich hinzu, daß man es der Zeit überlassen müsse, diejenige Vereinigung der Gemüther hervorzubringen, ohne welche eine Ehe nicht denkbar sey. »Das sind Chimären,« erwiederte der Herzog. »Was bedarf es hier der Zeit? Die Erbprinzessin ist hübsch; mein Sohn ist nicht häßlich. Daraus folgt, daß sich beide lieben können. Ich bin zufrieden, wenn ich vor meinem Tode einen wackern Enkel habe.« Gegen eine
Die Erbprinzessin war gegen die Maaßregel ihres Schwiegervaters so gleichgültig geblieben, als ob sie tausend Meilen von ihr entfernt genommen worden wäre. Das Einzige, was sie dabei zu befürchten schien, war, daß der Prinz, der gewaltsamen Richtung folgend, welche sein Vater ihm gegeben hatte, sich ihr wieder nähern könnte. Sie war weit davon entfernt, ihn zu hassen; allein sie war eben so weit davon entfernt, ihn zu lieben. So theuer waren ihr seit Jahr und Tag ihre Beschäftigungen geworden, daß sie keinen anderen Wunsch hatte, als sich selbst überlassen, pis aller gedacht hatte, vermöge der Vortrefflichkeit ihrer Anlagen, etwas ganz Anderes geworden war – wer konnte die Schuld tragen, wenn sie nicht von eben diesen Anlagen übernommen wurde? Wie achtungswerth, ja wie liebenswürdig sogar, die innere Nothwendigkeit seyn mochte, worin die Prinzessin meinen Blicken erschien; so konnte ich mir doch nicht verhehlen, daß diese Nothwendigkeit eben so eisern sey, als jede andere. Denn wie die Ideale, in welchen sie lebte und webte, wieder aus ihr verdrängen? So lange sie in ihrem bisherigen Geleise blieb, Prinzessin wieder in ihr emporkommen sollte; allein wie diese Zerstörung einleiten? Ich verzweifelte, so oft ich hierüber nachdachte; ich verzweifelte um so mehr, weil ich mich selbst genug kannte, um das Nothwendige in mir in einigen Anschlag zu bringen.
Da aber von meiner Seite irgend Etwas geschehen mußte, so glaubte ich nicht besser zum Ziele kommen zu können, als wenn ich mich mit dem Kammerherrn des Erbprinzen zur Wiedervereinigung der beiden fürstlichen Personen verbände. Ich ging von der Voraussetzung aus, daß er, als ein Mann von Verstand, vor allen Anderen mich verstehen müsse, so bald ich ihm über das Wesen der Prinzessin die Aufschlüsse
Entwürfe dieser Art können nur dann gelingen, wenn sie zwischen einer Palatine und einem Kardinal von Retz verabredet werden. Ich sage wohl nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß der veredelte Geist der Palatine auf mir ruhete, als ich diese Vorschläge that; aber der Kammerherr war weit davon entfernt, ein Kardinal von Retz zu seyn. Es war seine Legalität, was ihn unfähig machte, mit mir vereinigt zu wirken. Gegen den Zweck hatte er nichts einzuwenden; eben so wenig konnte er die Mittel mißbilligen; die Verstand und Genie verwechselte. Ich glaubte an dem Kammerherrn einen tüchtigen Gehülfen gefunden zu haben, weil er ein Mann von Verstand war; aber ich bedurfte eines Mannes von Genie, und davon war, genau genommen, keine Spur in dem Kammerherrn. Mochte er noch so sehr versichern, daß er mich vollkommen verstanden habe; er konnte meine Idee nur verderben.
Da meine Operationen von denen des Kammerherrn abhingen; so war ich auf galantes war. Was in aller Welt konnte aber die Prinzessin mehr empören, als dieses Gemisch von Ehrerbietung und Verachtung, zusammengehalten durch Heuchelei und Niederträchtigkeit? Sie hätte zu den allergemeinsten Naturen gehören müssen, wenn ihr der Prinz auf diesem Wege achtungswerth geworden wäre. Auch fühlte sie sich tief verwundet; und ob sie gleich kein Wort fallen ließ, wodurch sie ihren inneren Zustand offenbaret hätte, so zeigte doch eine gewisse unbeschreibliche Traurigkeit, wie heftig der Schmerz war, der ihr Innerstes durchwühlte. Es lag am Tage, daß der Kammerherr sich nicht hatte von der Idee losreissen können, die er von der Gebrechlichkeit des weiblichen Geschlechts hatte; und wollen wir ihm ihrer Realität noch eine andere geben könne?
Es versteht sich von selbst, daß ich neutralisirt war, so bald die Sache diese Wendung genommen hatte; denn ich hatte mich nur zur Nachhülfe anheischig gemacht, und diese konnte nicht statt finden, so bald das ganze Werk verdorben war. Dies war indessen etwas, wovon sich der Kammerherr nicht überzeugen konnte. Da er sich einem so schwierigen Geschäfte einmal unterzogen hatte, so wollte er dies auch mit Verstand gethan haben. Hierüber fand kein Capituliren mit ihm statt; und weil ich ungern zankte, so blieb ich weit davon entfernt, ihm auch den glimpflichsten Vorwurf zu machen. Er selbst trat mit Vorwürfen hervor, so bald er sah, daß die Sache, anstatt von der Stelle zusie ewig verabscheuen mußte? Zu beidem war ich gleich unfähig; ich konnte daher nur die Hände in den Schooß legen, und den Donner, der mich vernichten sollte, voll Ergebung erwarten. In der That, mein Geschlecht ist in jeder Hinsicht
Was ich mit so viel Bestimmtheit vorhergesehen hatte, blieb nicht lange aus. Die ganze Schuld des Mißlingens fiel auf mich zurück, ob ich gleich nicht dahin gelangt war, auch nur einen Finger in der Sache selbst in Bewegung setzen zu können. Es kam nur noch darauf an, sich das Wie zu erklären. Man er schöpfte sich in Vermuthungen über die Natur
Verworren und dumpf hallten zu der Prinzessin und zu mir die Gerüchte herüber, die man auf unsere Kosten verbreitete. Was sollte, was mußte geschehen,
Ich sah es der Prinzessin an, daß sie große Lust hatte, mein Geschick zu theilen; allein dies war etwas, das ich aus allen Kräften, wenigstens für den Augenblick, abwenden mußte. Ich sagte ihr also: Ich nähme mit Freuden die ganze Schuld auf mich, und würde mich darüber an Ort und Stelle schon zu verantworten wissen. Da man es nur auf meine Entfernung anlegte, so wollte ich auch die Einzige seyn, welche das Terrain räumte, ein noch größerer Triumph wäre zu viel Ehre für diese erbärmlichen Seelen. Der Besiegte hätte in den Augen der Welt immer Unrecht, und darum müsse die Prinzessin
Die Prinzessin empfand, daß ich Recht hatte. Es war nun nur noch davon die Rede, wie meine Entfernung einzuleiten sey. »Ich habe,« sagte ich, »nur von Ihnen abgehangen, und kann daher meinen Abschied nur aus Ihren Händen erhalten.« Die Prinzessin setzte sich sogleich nieder, um dem Herzog und ihrem Gemahl zu melden, daß sie für gut befunden habe, mich zu entlassen, nachdem ich selbst darauf angetragen. Unter stummen Umarmungen schieden wir von einander, nicht ohne Thränen, diesen ewigen Symbolen
Ich kam wohlbehalten an. Mit meinem Berichte fand ich Eingang, so weit die elterlichen Gefühle reichten; da diese aber bei fürstlichen Personen durch politische Verhältnisse in sehr engen Schranken gehalten werden, so war das letzte Resultat meiner großmüthigen Unternehmung, daß man das Schicksal einer geliebten Tochter beklagte, und es ihrem Verstande überließ, die Gewalt desselben zu brechen. Vergeblich sagte ich, daß dies nur dadurch geschehen könne, daß die Prinzessin zur Gemeinheit herabsänke. Die einzige Antwort, die ich hierauf erhielt, war: daß man sich nach seiner
Umgebung bequemen müsse. Unstreitig bedachten diejenigen, die mir diese Antwort gaben, nicht, wie abscheulich sie war; ich aber mußte fortan den Muth verlieren, mich noch einmal zu verwenden. Zwar blieb ich in der Nähe des Hofes, und so oft ich an demselben erschien, wurde ich auf eine Art empfangen, welche sehr deutlich anzeigte, daß man mich um der Ideale willen ehrte, die aus mir sprachen; allein, da alle Berührungspunkte, in welchen ich ehemals gestanden hatte, wegfielen, so beschlich mich die Langeweile, und um dieser zu entrinnen, gab es keinen besseren Ausweg, als die Einsamkeit. Mit der Prinzessin blieb ich in Verbindung. Posttäglich empfing ich Briefe von ihr, worin sie mich mit den Begebenheiten des ...schen Hofes bekannt machte; posttäglich antwortete ich ihr, und jeder meiner Briefe enthielt irgend eine Aufforderung, ihren Charakter zu behaupten. Denn
Geschahe es, um meine Einsamkeit aufzuheitern, oder liebenden Gefühlen einen unmittelbaren Gegenstand zu verschaffen, daß ich mich um diese Zeit eines von seinen Eltern verlassenen liebenswürdigen Kindes annahm? Vielleicht war noch etwas Höheres dabei im Spiele. Der Mensch hört nicht auf, die Unschuld zu lieben, welche im Fortgange seiner Entwickelung so nothwendig als unwiderbringlich verloren geht. Nun hatte ich zwar die meinige bisher bewahrt; allein je theurer sie mir zu stehen kam, desto mehr
Während ich mich in Luisen – so hieß mein Zögling – zum zweitenmale erzog, und, weil ich mir selbst lebte, auf keine Weise in der Stimmung gestört wurde, die mich zur Harmonie mit der ganzen Welt führte, gerieth die Erbprinzessin aus einer mißlichen Lage in die andere. Von ihren fürstlichen Eltern verlassen, jeder anderen Stütze beraubt, den Intriguen des ...schen Hofes blosgestellt, und, weil sie überall dieselbe Gemeinheit fand, zuletzt an sich selbst verzweifelnd, schwankte sie so lange hin und her, bis sie sich zu einer Aussöhnung mit ihrem Gemahle entschloß. Von welcher Art diese Aussöhnung war, ist leicht zu errathen; zwei so ungleiche Naturen können nie zu einem dauerhaften Einverständniß zusammenschmelzen, nie diejenige Mich treffen diese Urtheile nicht; und eben deswegen dürfen sie Ew. Durchlaucht nicht berühren. Die Hauptsache ist und bleibt, daß die ewigen Oscillationen des Hofes zum Stillstand gebracht werden; und wenn dies durch Aufopferung meiner Renommée zu Stande gebracht werden kann, so bin ich damit sehr zufrieden; ich schätze mich sogar glücklich, daß ich mich in Gedanken an die nicht unbedeutende Anzahl der besseren Menschen anschließen kann, die man für Verbrecher oder Wahnsinnige hielt, weil man sie durchaus nicht verstand. Übrigens bin ich unbesorgt für die Wendung nehmen, die wir ihnen geben möchten; aber dafür nehmen sie oft eine weit glänzendere.«
Dieser Schluß meines Briefes drückte mehr meine Wünsche als meine Hoffnungen aus. Wie hätte ich auch das Mindeste hoffen können, da sich nicht begreifen ließ, wie eine solche Verwandlung des Erbprinzen zu Stande kommen könnte? Hat sich das Zarte einmal in eine Verbindung
Noch war seit unserer Trennung kein Jahr verstrichen, als mir die Prinzessin meldete, daß sie sich schwanger fühle. Wie viel Mühe es ihr auch gekostet haben mochte, die mit diesem Geständniß für sie verbundene Schaamröthe zu überwinden, so durchblitzte mich doch bei dieser
Dieser Zeitpunkt stellte sich weit früher ein, als ich es geglaubt hatte; denn der alte Herzog starb wenige Monate darauf. Da die Prinzessin mich an mein Versprechen erinnerte, so machte ich mich auf den Weg, so bald ihr Gemahl mich in einem eigenhändigen Schreiben dazu aufgefordert hatte. Ich kam früh genug an Ort und Stelle, um den Festlichkeiten der Succession beizuwohnen. Die junge Herzogin empfing mich mit all dem Enthusiasmus, welcher ihrer schönen Seele eigen war; aber eben dieser Enthusiasmus sagte mir auch, daß hier alles noch beim Alten sey; denn die Wiedererscheinung der
»Sie haben Recht, Mirabella,« sagte sie, »hier kein Gedeihen zu erwarten; und könnten Sie noch in meiner Achtung gewinnen, so würde es durch die Entsagung geschehen, womit Sie in Beziehung auf sich selbst zu Werke gehen, indem Sie die Stelle der Ersten Dame von sich ablehnen. Ich muß es ganz Ihrem Gutbefinden überlassen, ob Sie bei mir bleiben wollen oder nicht. Welche Parthie Sie aber auch ergreifen mögen, nie werd' ich an Ihnen irre werden, so lange noch etwas in mir ist, wodurch ich das Edle von dem Gemeinen, das Schöne von dem Häßlichen zu unterscheiden im Stande bin. Ich habe, um alles mit einem Worte zu sagen, weder das Recht, Sie unglücklich zu machen, noch die Befugniß, von Ihnen zu verlangen, daß Sie mich durch engeres Anschließen an meine Person noch unglücklicher
Es giebt, behaupte ich, kein angenehmeres Gefühl, als sich in einer großmüthigen Idee errathen zu sehen. Und wären mir, während meines kurzen Aufenthalts am ...schen Hofe, die größten Beleidigungen widerfahren; so würd' ich sie in diesem Augenblick vergessen haben. Ich küßte die Hand der Herzogin voll stummer Wehmuth, während sie mit einem Blick, aus welchem etwas Göttliches strahlte, mich ihre ewig theure Mirabella nannte.
Um mir meinen Aufenthalt in der Nähe eines so herrlichen Wesens nicht unnöthig zu verbittern, sorgte ich dafür, daß es noch an demselben Tage bekannt wurde, daß ich die Stelle einer Oberhofmeisterin abgelehnt hätte. Die Wirkungen dieser Nachricht zeigten sich bald. Um die Achtung
Der bewaffneten Neutralität, in welcher ich den Hofleuten gegenüber dastand, verdankte ich es, daß der Rest meines Aufenthalts am Hofe sehr angenehm war. Lange durft' ich aber nicht bleiben, wofern ich nicht Mißtrauen und Eifersucht erregen wollte. Ich trennte mich also von der Herzogin, so bald ich es nur über mich erhalten konnte. »Wir sehen uns wieder,« sagte sie beim Abschied; »und so Gott will, kommt nun die Reihe des Aufsuchens an mich.« Ich verstand dies so, als ginge sie damit um, ihre Eltern zu besuchen, und antwortete in diesem Sinne. Nähere Verabredungen wurden unter uns nicht genommen. Ich trat meine Rückreise mit frohem Herzen an, weil mir volle Genugthuung zu Theil geworden war. Was ich nach meiner Zurückkunft unserem Hofe berichtete, machte um so mehr Vergnügen,
Das höhere Maaß von Freiheit, welches
Zwei Jahre mochten seit meiner Zurückkunft verstrichen seyn, als ich ganz unerwartet ein Schreiben voll Jubels von der Herzogin erhielt, worin sie mir nicht nur den Ausgang des langen Kampfes meldete, den sie gekämpft hatte, sondern auch sagte, daß sie, um bequemer zu
Ich war, als dies geschah, ein und dreißig Jahre alt; die Herzogin sechs Jahre jünger. Gesundheit und Erfahrung besaßen wir in gleichem Maaße; unsere Köpfe hatten dieselbe Richtung genommen. War irgend ein Unterschied, den physischen
Wenige Wochen nach ihrem letzten Schreiben kam sie bei ihren Eltern an. Diese waren wiederum sehr zufrieden mit der Wendung, welche das Schicksal ihrer Tochter genommen hatte. Sie freueten sich herzlich, sie wieder zu sehen; sie freueten sich aber noch weit mehr der bedeutenden
auf ihrem Herzen und Gewissen haben. Doch zur Sache!
Wenn die meisten Reisenden gar keinen Beruf zum Reisen haben, so haben dafür diejenigen Individuen den allerbestimmtesten Beruf, die aus dem Kampf mit der Gesellschaft eine Empfindlichkeit davon getragen haben, vermöge welcher sie, in bleibenden Verhältnissen, nur beleidigen oder beleidigt werden können. Auf Reisen hat man es in seiner Gewalt, seine ganze Eigenthümlichkeit zu behaupten; denn von dem Augenblick an, wo sie bekämpft wird, reiset man weiter; und da dem Reisenden, besonders dem bemittelten Reisenden, alles entgegen kommt,
In dieser Hinsicht war mein Bedürfniß zu reisen bei weitem nicht so stark, als das der Herzogin; allein da ich nur an meinen Idealen hing und in der Herzogin die Repräsentantin derselben liebte, so war es mir vollkommen gleichgültig, an welchem Orte ich existirte; und auf diese Weise begegneten die Wünsche meiner Freundin vortrefflich meinen Neigungen. Selbst die Reise nach der Schweiz ließ ich mir sehr gern gefallen, ob ich gleich für dieses Land nie die mindeste Zärtlichkeit empfunden hatte. Die Vorliebe der Herzogin für dasselbe gründete sich von der einen Seite auf die hohe Achtung, welche sie für Haller unterhielt, von der anderen auf die Urtheile jüngerer Dichter, welche die Schweiz als das Land der Freiheit und des Ruhmes besungen
Ich gestehe, daß, nachdem wir an Ort und Stelle angelangt waren, die Naturwunder der Schweiz einen starken Eindruck auf mich machten; allein wenn dieser Eindruck zur Erhebung führte, so führte er zugleich zur Niedergeschlagenheit; mit einem Worte: Er verwirrte das Gemüth und raubte die innere Freiheit, ohne welche es unmöglich ist, sich wohl zu befinden. Herrliche Einfassungen, eine üppige Vegetation und – was immer damit zusammenhängt – eine kräftige Animalität zeichnen die Schweiz vor allen Ländern Europa's aus; hat sie aber das, was der gebildete Mensch unaufhörlich sucht – Menschen von höherer Entwickelung? Ich möchte nicht gern darüber absprechen; das aber kann ich mit Wahrheit behaupten, daß ich dergleichen in der Schweiz nicht
Nach meiner Zurückkunft in Deutschland hab' ich, um meine Urtheile über die Schweizer zu berichtigen, ihre Geschichte studirt; allein ich muß gestehen, daß mich mein Studium in diesen Urtheilen nur bestärkt hat. Und hier kann ich nicht umhin, die Bemerkung zu machen, daß die Vorurtheile über die Schweiz in dem gegenwärtigen Augenblick so allgemein sind, daß sie sich selbst über den neuesten Geschichtschreiber dieses Volks erstrecken. Wie dieser Mann zu seiner Reputation
Wie es sich aber auch mit der Schweiz und ihren Bewohnern verhalten mag, immer bleibt es ausgemacht, daß man sich für Italien, als das Land der schönen Kunst, nicht besser vorbereiten kann, als durch einen längeren Aufenthalt in der Schweiz. Schwerlich giebt es zwei Länder, die sich in jeder Hinsicht noch mehr entgegen gesetzt wären. In der Schweiz sind die Menschen nichts; in Italien hingegen sind sie alles. Mag das Weltgeschick die Bewohner dieses schönen Erdstrichs für den Augenblick noch so sehr niedergedrückt haben; deshalb haben sie
Denn welche eigenthümliche Richtungen wir auch in unserer Ausbildung genommen hatten, so zeigte uns doch jetzt die Erfahrung, daß wir nicht die Einzigen unserer Gattung waren. Die Gräfin Luisa d'Albania war Unseresgleichen; auch hatten wir uns kaum kennen gelernt, als wir mit aller der Unzertrennlichkeit an
Der Mann, mit welchem die Gräfin in Verbindung stand, war der Graf Vittorio Alfieri d'Asti, ein Piemontese, dessen Römer im höchsten Sinne des Worts war; eine Natur, wie man sie in unseren Zeiten gar nicht mehr erwarten sollte. Eine lange, hagere Gestalt, bewegte er sich langsam, mit starrem, auf die Erde geheftetem Blick. Sein Gesicht war blaß, seine Lippen fein und geschlossen, seine Zähne weiß und scharf, seine Nase regelmäßig gebildet, seine Augen dunkelblau, seine Stirne groß, aber schön gewölbt. In seiner Miene lag neben unbegränztem Wohlwollen eine Wuth, die auch das Äußerste nicht scheuet; und dies war so ganz der Charakter seines Gemüthes, in welchem die sanftesten Empfindungen neben Thaten gestatteten, und in dem Schreiben allein eine Entschädigung erlaubten. »Ich setze mich an den Schreibtisch, nur um meinem Unwillen Luft zu machen und meine Galle zu verdünnen,« sagte er mir mehr denn zehnmal, und ich glaubte es ihm, weil dies mit seinem ganzen Wesen zusammenhing. Ein höchst charakteristischer Zug von ihm war, daß er, um ungehinderter schreiben zu können, oder, wie er sich aus zudrücken pflegte, per poter scemar la bile, seiner Schwester einen sehr wesentlichen Theil seines großen Vermögens abgetreten hatte.
Man hätte glauben sollen, daß die Etwas lieben wollte, gab es für ihn keinen anderen Gegenstand, als ein Weib von Luisa's Gepräge. Beide bewunderten sich um so mehr, je weniger sie sich begriffen. War der Graf Brutus, so war die Gräfin Portia. Dies Verhältniß wurde zuerst durch unsere Dazwischenkunft abgeändert. Die Herzogin, welche einmal für allemal mit dem männlichen Geschlecht gebrochen hatte, schloß sich enger an Luisen an, weil sie in ihr die eigene Vollendung zu erblicken glaubte. Ich hingegen fühlte mich an Vittorio Alfieri
Ich lernte nach und nach den Grafen ganz kennen. Selbst aus seinem besondern Antriebe zum Schreiben machte er mir kein Geheimniß, und es war warlich nicht seine Schuld, wenn ich seinen Tyrannenhaß nicht theilte. Diese Trauerspiele der Freiheit (wie er seine Tragödien nannte), die einander so ähnlich sind, daß sie dem Verunglimpfung der Fürstenmacht. Aus der Emsigkeit und Anstrengung, womit der Graf arbeitete, hätte man schließen sollen, daß ihm die Kunst über Alles theuer wäre; und doch war dies gar nicht der Fall. In ihm ordnete sich der Künstler dem Grafen, oder, wenn man lieber will, dem Aristokraten, auf das allerbestimmteste unter; in der That so sehr, daß er sich selbst verachtet haben würde, wenn er in sich nur den Künstler gesehen hätte. Was ihn unaussprechlich verwundete, war die Unempfindlichkeit seiner Zeitgenossen gegen den Zweck seiner Schöpfungen. Errathen sollten sie ihn und zu einem unendlichen Fürstenhaß hingerissen werden; und da weder das eine noch das andere er folgte, indem die Zuschauer und Leser nur bei dem tragischen Idee eines unbegränzten Ruhmes, der seiner in besseren Zeiten harrete. Mit unbeschreiblicher Wollust erfüllte ihn dagegen alles, was die Wahrheit seiner Grundidee auch nur von fernher bestätigte. Die Nordamerikanische Revolution war für ihn eine Erscheinung von unberechenbarer Wirksamkeit für den gesellschaftlichen Zustand von Europa; und so bestimmt sah er durch sie alle Thronen umgestürzt, daß er in einem Washington den Heiland der Welt verehrte. Was ihn zu seiner eigenen Gattung machte, war diese innige Vereinigung des Schönen mit dem Politischen, die sein Wesen so einzig bestimmte. Ob die Idee, von welcher er ausging, probehältig war, oder nicht, das
Sobald ich den Grafen genauer kennen gelernt hatte, verzieh ich ihm Alles, weil ich in ihm nur den verfehlten Monarchen sah. Ich konnte ihm nicht werden, was die Gräfin d'Albania ihm gewesen war und noch war; dazu fehlte es mir an Einbildungskraft. Allein, indem seine Poesie nannte, war freilich sehr wenig für uns vorhanden; allein wir fanden dabei dennoch unsere Rechnung auf eine doppelte Weise. Einmal konnten wir nicht umhin, über das reiche Gemüth eines Mannes zu erstaunen, der, unbekümmert um die gewöhnlichen Hülfsmittel der tragischen Kunst, seinen Personen eine solche innere
Zwei Jahre waren auf diese Weise verstrichen, als die Herzogin sich nach Rom zu sehnen begann. Die Gräfin d'Albania versprach uns dahin zu begleiten; der Graf Vittorio Alfieri hingegen, welcher seine Mirrha angefangen hatte, wollte sich nach Siena begeben, um seinen republikanischen
Obgleich der ausschließende Zweck unseres Aufenthalts in Rom die Kunst und nahmentlich die Malerei war; so konnten wir doch nicht umhin, auch auf die Menschen einzugehen, von welchen wir uns umgeben sahen. Man nennt die Römer schlau und fein; allein man vergißt, daß sie mit diesen Eigenschaften eine Unschuld
»Unser ganzes gegenwärtiges Wesen besteht aus drei Elementen, die, wie verschiedenartig sie auch scheinen mögen, den innigsten Zusammenhang unter einander Messerträgerei; eine Folge des unvollkommenen gesellschaftlichen Zustandes, in welchem wir leben. Das zweite ist unsere Religiosität, welche mit unserer physischen Trägheit in enger Verbindung steht, und durch nichts so sehr gehalten wird, als durch den Umstand, daß von Rom aus aller kirchlicher Impuls geschieht. Das dritte ist unsere Kunst, wodurch wir, abgesehen von der Kraft selbst, welche sie möglich macht, nichts weiter beabsichtigen, als Sicherstellung unserer Eigenthümlichkeit. Man zerstöre eines dieser Elemente in uns, so sind die beiden anderen zugleich zerstört. Auf den ersten Anblick sollte man freilich glauben, daß die Messerträgerei dem hohen Aufschwunge, welcher in das Gebiet der Kunst führet, nicht gerade nothwendig sey. Ich will auch nicht im Allgemeinen behaupten, daß ohne Messerträgerei keine Kunst statt findenkann, hat auch die Befugniß dazu, und niemand frägt, ob er ungroßmüthig gehandelt habe. Jeder will der Erste seyn; jeder sich zum Mittelpunkt machen. Er thue es auf seine Gefahr; gelingen kann es ihm immer nur in sofern, als er allen Übrigen zusammengenommen gewachsen ist. Möglich, daß unser Wesen in der Folgezeit sehr bedeutend abgeändert wird; aber so lange Rom das Centrum der Theokratie bleibt, wird es auch Römer geben, und überall begreife ich nicht, was den Römer aus der Welt verbannen könnte, da sein Wesen nicht an eine einzelne Form gebunden, sondern immer in der Kraft gegründet ist. Es ist vielleicht sogar wünschenswerth, daß irgend eine Revolution erfolge, die
Ich habe hier alles zusammengefaßt, was ich über die Römer zu bemerken hatte, damit ich ungestörter in meiner Erzählung fortschreiten möchte. Sowohl die Herzogin als die Gräfin d'Albania wurden sehr wenig von den Menschen um sie her berührt; die erstere, weil sie nur nach der Weihe strebte, welche die Kunst verleiht, die letztere, weil sie sich durch den Umgang in dem Fluge gehemmt fühlte, den ihre Einbildungskraft zum Universum genommen hatte. Fleißig wurden die Tempel der Kunst besucht, deren Rom so viele hat; aber verschieden waren die Eindrücke,
Diese verschiedene Empfänglichkeit für die Wunder der Kunst führte zu eigenthümlichen Entwickelungen. Während die Gräfin darüber hinaus war, und ich dahinter zurückblieb, ging die Herzogin darin unter. Eine längere Zeit hindurch schwankte sie zwischen verschiedenen Meistern hin und her; ihr Zustand konnte eine ästhetische Betäubung genannt werden, so wie die Allgewalt des Schönen ihn erzeugen muß. Als sie sich aber nach und nach wieder sammelte und mit Bewußtseyn zu empfinden begann, da erklärte sie sich mit allem, was in ihr war, für Raphael. Nie
Es ist unstreitig schon öfter der Fall gewesen, daß ein hingeschiedener Geist einen noch vorhandenen einzig beschäftigt hat; allein schwerlich ist dies jemals auf nur das Schöne lieben und – nur in dem Schönen untergehn.«
Und indem die Herzogin auf diese Weise ihrer Leidenschaft für Raphael das Wort redete, verzehrte die innere Gluth, womit sie empfand, ihre physischen Kräfte zusehends. Es war ein eigenthümliches
Er hatte seine Myrrha vollendet, als er bei uns ankam. Seiner eigenen Vorstellung nach war dies von allem, was er je gearbeitet hatte, das Beste. Er brannte vor Begierde, diese Tragödie vorzulesen, weil er es darin ausschließend auf eine Huldigung der Gräfin angelegt hatte. Meinen Wünschen nach sollte die Herzogin entfernt werden; aber dazu war keine Gelegenheit. Die Vorlesung nahm ihren
Hatte Alfieri's Vorlesung die Herzogin getödtet, so war Alfieri dabei ganz unschuldig. Es giebt Krankheiten, in welchen ein kaltes Lüftchen die Kraft hat, die leidende Maschine einmal für allemal zu zerrütten. Eine ähnliche Bewandniß mußte es mit dem Zustande der Herzogin
Von der Leichenbestattung der Herzogin kein Wort, so glänzend sie auch war, da die Fürstin für eine gute Catholikin ausgegeben wurde, und die römische Geistlichkeit keine Ursache fand, diese Unwahrheit zu bestreiten. Ihr Tod wirkte vorzüglich in sofern auf mich zurück, als er das Verhältniß zerriß, in welchem ich bisher mit Vittorio Alfieri gestanden hatte. Nicht daß ich ihm nicht theuer geblieben wäre; ich blieb ihm alles, was ich ihm jemals gewesen war. Allein die Gräfin war der Zeit nach seine erste Liebe, und mußte es auch dem Range nach bleiben, weil die Unendlichkeit, die in ihr war, durch kein anderes Weib ersetzt werden
Der Prätendent von England war indeß gestorben und bald darauf die französische Revolution ausgebrochen. Die Felsenmasse
Nur Weniges hab' ich seit meiner Trennung von beiden erfahren. Die erstere kehrte nach Italien zu rück, sobald die Revolution eine blutige Wendung genommen hatte. Der letztere blieb in Paris, bis alle seine Erwartungen getäuscht waren. In einer feurigen Ode besang er die Zerstörung der Bastille; in einer noch feurigern den Umsturz des Thrones. Als aber der Schrecken eintrat, da siegte
Uom, sei tu grande, o vil?
Muori; il saprai.
Aber der unglückliche Mann ist nie hinter das Geheimniß gekommen, das ihn einzig beschäftigte; denn nie konnte er seiner Verwirrung Meister werden; sie mußte ihn tödten. Ich habe oft gedacht, daß Alfieri in jenen Zeiten, wo das Feudalwesen in seiner Blüthe dastand, ein herrlicher, hoch hervorragender Mann gewesen seyn würde. Nicht die Feder, sondern Lanze und Schwert waren ihm, allen seinen Anlagen nach, vom Schicksal
Gleich bei der ersten Bekanntschaft fühlte ich mich unwiderstehlich an Eugenien angezogen. Es war ihre Physiognomie, was mir die Versicherung gab, daß wir Freundinnen werden könnten; und da dieser Bürge sich in diesem, wie in jedem anderen Falle, bewährt hat, so so seh' ich mich genöthigt, hier einen Theil meines Systemes in Ansehung freundschaftlicher Verbindungen zu enthüllen. Ich werde von der einen Seite sehr viel Mühe über das Verhältniß der Physiognomie zur Freundschaft hingerissen werden. Allein ich muß mich jener Beschwerde und diesem Übelstande unterwerfen, wofern meine Bekenntnisse nur einigermaßen vollständig ausfallen sollen.
Eine längere Zeit hindurch folgte ich in freundschaftlichen Verbindungen einem gewissen Instinkte, welcher mir sagte, daß mit diesen oder jenen Personen ein gutes Verhältniß für mich möglich oder unmöglich sey, weil ihre Physiognomie irgend eine Wendung hatte, die mich anzog oder zurückschreckte. Das Wunderbare hierbei war, daß sich, bei genauerer Bekanntschaft mit eben diesen Personen, beständig fand, daß die Aussage meines Instinktes eine sehr zuverlässige gewesen war. Eben deswegen wünschte ich alles Dunkle aus diesem
Daß die Physiognomie selbst nur etwas Symbolisches sey, leuchtete mir sehr bald ein. Eben so begriff ich ohne Mühe, daß sie als etwas Symbolisches nur auf das Gefühl wirken könnte. Wollte ich nun das Gefühl in Idee und den Instinkt in haltbare Formel verwandeln, so blieb mir nichts anderes übrig, als das Symbolische aus der Physiognomie fortzuschaffen, und, wo möglich, in ihr den inneren Zustand des einzelnen Menschen, dessen bloßer Typus sie war, zu erkennen und zu begreifen. Ich sagte mir selbst, daß dies nur auf dem Wege einer sehr genauen Analyse aller meiner Erfahrungen über einzelne Menschen geschehen könnte.
Gemüth, die andere durch Geist zu bezeichnen, und die letzte Bestimmung jedes menschlichen Individuums in die Harmonie dieser beiden Grundkräfte zu setzen. Die Menschen unterschieden sich demnach sehr wesentlich von einander, je nachdem sie mehr Gemüth, oder mehr Geist, oder Gemüth und Geist in Harmonie gesetzt, waren. Da, wo das Gemüth den Ausschlag gab, mußte ein rastloses Streben nach freundschaftlichen Verbindungen statt finden; allein, da in dem Gemüthe keine regulirende Kraft enthalten ist, so konnten die Gemüthreichen weder diskrete, noch standhafte und zuverlässige Freunde werden; sie mußten, vermöge ihrer ganzen Eigenthümlichkeit, immer zu unerfüllbaren Ansprüchen aufsteigen, und sich und ihre Geist den Ausschlag gab, war an gar keine freundschaftliche Verbindung zu denken; denn der Geist ist sich unter allen Umständen selbst genug, und, von dem Gemüthe getrennt, mehr eine umherschweifende, als regulirende Kraft. Nur da, wo Gemüth und Geist in Harmonie gesetzt sind, war eigentliche Freundschaft möglich, wiewohl nur immer unter der Bedingung, daß zwei gleichartige Wesen zusammen trafen; denn das bloße Gemüth des Freundes würde eben so zerstörend auf die Harmonie zurück gewirkt haben, als der bloße Geist desselben.
Mit diesen Grundbegriffen war ich im Stande, mir alle physiognomische Räthsel zu lösen. Die Idee festhaltend, daß die
Man urtheile über dies Räsonnement, wie man wolle, für mich ist es so hinreichend, daß ich aufrichtig bekenne, es vertrete bei mir die Stelle mathematischer Evidenz. Nie hat es mich irre geleitet, und eine große Menge von Erscheinungen hab' ich mir nur auf diesem Wege erklären können.
Dahin gehört, daß eben die Nation, der wir das schöne Ideal verdanken, für die Freundschaft so ausschließend vorhanden war, daß sie mit einem besonderen Sinne dafür ausgestattet schien. Allerdings hatte sie diesen besonderen Sinn; aber er lag in der Harmonie des Gemüths und des Geistes, welche den Griechen eigen und unstreitig das Resultat ihrer gesellschaftlichen Institutionen war. Dieselbe Harmonie aber, wodurch sie der wahren Freundschaft empfänglich wurden,
Wie verschieden von der griechischen Physiognomie ist die italiänische und die französische! In der ersteren lauter Carrikatur, wenn gleich nicht selten erhabene und höchst interessante Carrikatur; meiner Theorie nach, aus keiner anderen Ursache, als weil in dem Italiäner, von alten Zeiten her, das Gemüth den Ausschlag gegeben hat. In der letzteren bei weitem weniger Carrikatur, aber zugleich auch beinahe gar keine Spur von Erhebung und innerer Größe, weil in dem Franzosen das Gemüth dem Geiste weicht, und dieser, von dem Gemüthe verlassen, sich
Um bei diesem Gegenstande nicht allzulange zu verweilen, will ich nur noch eine artistische Bemerkung machen, die mir von einiger Bedeutung scheint. Sie besteht darin, daß der Streit, ob die Schönheit oder der Charakter der eigentliche Vorwurf der schönen Kunst sey? ein sehr unnützer Streit ist, weil es, nach allem bisher Gesagten, am Tage liegt, daß die Schönheit als etwas Sichtbares, nur immer das Resultat einer inneren Harmonie ist, die in sich selbst einen Charakter bildet, und zwar den höchsten, den es geben kann. Der Charakter ist also eben so sehr ein Vorwurf der schönen Kunst, als die Schönheit, oder vielmehr, beide sind in Beziehung auf die schöne Kunst eins und dasselbe, so daß der Künstler nie etwas anderes thut, als das Symbol der inneren Harmonie zwischen Gemüth und
Genug von meiner Lebensphilosophie und meinem Kunsttakt. Es kam blos darauf an, begreiflich zu machen, wie ich mich für Eugenien so lebhaft interessiren konnte, ohne sie jemals gesehen oder von ihr gehört zu haben. Die anziehende Kraft, die sie an mir ausübte, brachte uns sehr bald näher; und ich glaube mit Wahrheit behaupten zu können, daß wir Freundinnen waren, ehe wir uns dem Namen nach kannten. Erst am dritten Tage unzertrennlich waren, ist etwas, das sich nur dann wird sagen lassen, wenn die menschliche Sprache einen weit höheren Grad von innerer Vollkommenheit erreicht haben wird. Genug, daß das Interesse,
Mit großer Sorgfalt erzogen, hatte sie sich in einem Alter von siebzehn Jahren durch ihre Mutter bereden lassen, einem funfzigjährigen Manne, der sich in ihre Unschuld verliebte, ihre Hand zu geben. »Auch mein Herz,« fügte sie hinzu, »würd' ich hingegeben haben, wenn
Die letzte Bemerkung Eugenia's bezog sich auf neue Heirathsvorschläge, welche
Schwerlich hätten wir uns an irgend einem anderen großen Orte so theuer
Jahr und Tag war auf diese Weise verflossen, als die französische Gräfin C... sich enger an uns anzuschließen begann. Hätte sie es mit mir allein zu thun gehabt, so würde ihr die Lust dazu nach den ersten Versuchen vergangen seyn; denn meine physiognomische Formel sagte mir gleich bei der ersten Bekanntschaft, daß diese Frau, obgleich, vermöge ihres sehr gebildeten Verstandes, für den Umgang wie geschaffen, zu denjenigen gehöre, mit welchen man sich in kein bleibendes Verhältniß einlassen muß, weil sie seiner unwürdig
Die Gräfin war weit häufiger bei uns, als wir bei ihr; die Ursache lag in ihrer gegenwärtigen Lage, wel che eine strenge Ökonomie nothwendig machte. Wie selten wir uns aber auch bei ihr zeigen mochten, so hatten wir doch nie das Vergnügen, irgend
Wir mochten unsere Besuche drei bis viermal wiederholt haben, als wir bei der Gräfin eine gewisse Aurora kennen lernten, welche, um alles mit einem Worte zu sagen, die Gräfin in Ungebundenheit des Geistes noch übertraf, wiewohl es mir nicht entgehen konnte, daß sie sich, uns gegenüber, nicht wenig Gewalt anthat.
Wir wurden auf die Bekanntschaft des Chevalier de B... vorbereitet, und nicht lange darauf führte die Gräfin ihn bei uns ein. Ein schöner Mann, wenn von bloßem Wuchse die Rede ist! In seinen Mienen lag etwas Hartes, das er vergeblich durch Geschliffenheit und gut gewandte Phrasen zu mildern suchte. Er
Für einen unbefangenen Einsichtsvollen hätte es ein Schauspiel ganz eigener Art seyn müssen, zwei deutsche Frauen ihre Eigenthümlichkeit gegen die Angriffe vertheidigen zu sehen, welche von zwei sehr gewiegten Französinnen, die von einem eben so gewiegten Franzosen unterstützt waren, darauf gemacht wurden. Ich will unsere Gegner nicht beschuldigen, daß sie es darauf anlegten, uns zu demoralisiren; eine solche Absicht zu haben, hätten sie sich in ihrer wahren Gestalt erkennen
So lange Eugenia dieser Ansicht getreu blieb, konnte ich ganz ruhig seyn. Ich störte also den Chevalier auf keine Weise in seinen Bewerbungen um meine Freundin, und sah es ruhig an, wie Aurora, anstatt die Ungebundenheit zu predigen, sie auf das allerliebenswürdigste repräsentirte. Meine ganze Aufmerksamkeit war nur darauf gerichtet, welche
Die Gräfin ließ mich nicht lange warten. Nachdem sie einigemale in der Gesellschaft gegähnt hatte, brachte sie das Kartenspiel in Vorschlag. Der Chevalier und Aurora waren nicht abgeneigt davon; und da Eugenia und ich die Wirthe waren, so durften wir uns nicht versagen, wie fremd uns auch der Spielgeist seyn mochte. Als aber die Sache einmal in Gang gebracht war, fand kein Stillstand statt. Wie bedeutend auch unsere Verluste seyn mochten, so durften wir sie nur in dem Lichte solcher Tribute betrachten, welche der Freundschaft dargebracht wurden. Dies war indessen der geringste Nachtheil, den wir von unserer Nachgiebigkeit hatten. Ein nicht zu berechnender stand uns dadurch bevor, daß wir uns durch das Spiel mit unseren Gegnern identifiziren dahin zu neigen, wo er die meiste Beschäftigung findet, sollte er sich auch dadurch zerstören. So lange der Austausch von Ideen und Gefühlen unsere einzige Unterhaltung gewesen war, fanden Eugenia und ich darin das Mittel, unsere Individualität gegen jeden Angriff zu vertheidigen. Sobald hingegen alle Unterhaltung in Spiel ausgeartet war, kamen wir in eine so unvortheilhafte Stellung, daß aller Widerstand vergeblich wurde und in sich selbst verging. In der That, man braucht nur aus Neigung zu spielen, um das Gefühl seines Werthes zu verlieren und jeder Erhebung unfähig zu werden; denn indem der Geist seine ganze Kraft auf das Spiel richtet, büßet er sie in Beziehung auf alle edleren Gegenstände ein, auf die sie gerichtet werden könnte.
damit, daß ich mich vom Spiele ausschloß und dadurch gewissermaßen aus der Schußweite setzte. Dies mußte sehr übel aufgenommen werden; und dies wurde auch wirklich der Fall. Ohne mich indessen daran zu kehren, spielte ich die Beobachterin. Mir selbst zurückgegeben, bemerkte ich mit Entsetzen, welche Fortschritte durch das Spiel in der Familiarität gemacht
Ich sah alle diese Manövres mit Gelassenheit an, weil meine Stunde noch nicht geschlagen hatte. Um Eugenien von diesen Vampyren zu befreien, mußte ich den Zeitpunkt abwarten, wo sie sich davon beschwert fühlte. Dieser Zeitpunkt konnte möglicherweise nicht eher eintreten, als bis meine Freundin in Geldverlegenheit gerieth und ihre Zuflucht zu meiner Casse nahm. Ich enthielt mich das erstemal aller Bemerkungen über ihre allzuweit getriebene Nachgiebigkeit; aber das
Ohne weder die Gräfin, noch den Chevalier, noch Auroren, noch irgend einen von den Übrigen anzuklagen, stellte ich sie Eugenien als Bedürftige dar, welche sie, aus irgend einem Instinkt, eben so behandelten, als sie ehemals den Hof behandelt hätten, und auf gleiche Weise von ihr abfallen würden, sobald sie nichts mehr zu geben hätte. »Es ist,« fügte ich hinzu, »ganz offenbar die Parasitenkunst,
Recht absichtlich drückte ich mich mit dieser Stärke aus, um einen tiefen Eindruck zu machen. Meinem Vorsatze nach wollte ich mich von Eugenien trennen, so bald sie dadurch beleidigt würde. Dies war aber so wenig der Fall, daß nur von den Mitteln die Rede war, sich aus der Schlinge zu ziehen.
Eugenia wollte sogleich abreisen; dagegen aber hatte ich Mehreres einzuwenden. Vor allen Dingen sollte meine Freundin die Kaiserstadt mit eben so unumwölkter Seele verlassen, als sie in dieselbe eingetreten war. Außerdem aber
Unsere Reise brachte alle die Wirkungen hervor, die ich beabsichtigt hatte, und Eugenia dankte dem Himmel für die Freiheit, die ihr zu Theil geworden war. Zur festgesetzten Zeit kehrten wir nach Wien zurück. Die Ausgewanderten unterließen nicht, sich wieder bei uns einzufinden, sobald sie unsere Ankunft erfahren hatten; allein wir hatten es jetzt in unserer Gewalt, jede beliebige Stellung gegen sie anzunehmen. Aurora stellte sich zuerst ein, und ganz offenbar legte sie es darauf an, uns durch ihre Familiarität in das alte Geleise zurück zu führen. Doch die Feierlichkeit, die wir ihr entgegensetzten, verwirrte sie so, daß sie sich ein Dementi über das andere gab, bis sie mit Bekenntnissen hervortrat, auf welche wir gar nicht gefaßt waren. Ihrer Aussage
Wir durchreiseten einen großen Theil des deutschen Reichs, um einen Aufenthalt zu finden, der unseren Neigungen entspräche; allein wir kamen nicht eher zur Ruhe, als bis Eugenia sich entschloß,
Seit dieser Zeit leben wir in unserer eigenen Welt, hinlänglich geschieden und hinlänglich berührt von unserer Umgebung, um in voller Freiheit zu existiren. Unsere Sorge ging gleich Anfangs dahin, das Nützliche dem Schönen so unterzuordnen, daß dieses ein hinreichendes Fundament in jenem erhielte; und dies ist uns über alle Erwartung gelungen. Unser Gütchen ist der Wohnsitz der Reinlichkeit, der Ordnung, der Bequemlichkeit und Gastfreundlichkeit; und in sofern diese Schöpfung von uns ausgegangen ist, macht sie, hoff ich, unserem Verstande keine Unehre. Die Angelegenheiten der Wirthschaft sind unter uns so getheilt, daß jede von uns ihren eigenen Wirkungskreis hat, ohne gleichwohl dadurch so beschäftigt zu seyn, daß wir außer Stande wären, uns im Nothfall zu ersetzen; denn wir haben das
Wir würden noch immer glücklich seyn, wenn wir auch ganz von der Welt getrennt lebten. Dies ist aber nicht der Fall; wir leben vielmehr mitten in der Welt. Es kam darauf an, eine solche Stellung zu gewinnen, daß wir von dem Geräusch um uns her nur gerade so viel berührt würden, als sich mit der Bestimmung vertrug, die wir uns selbst gegeben hatten. Zu diesem Endzweck konnten wir uns nur dem Umgange solcher Personen hingeben, die wirklich zu uns paßten; allein, indem wir in dieser Hinsicht so klug als vorsichtig waren, brachten wir es dahin, daß wir die ganze Welt durch
Durch Sie, mein theurer Cäsar, wurde ich von neuem in die deutsche Literatur eingeweihet, die mir seit vielen Jahren fremd geworden war; und dafür danke ich Ihnen, wenn es eines Dankes bedarf. Ich habe mich überzeugt, daß die Deutschen in jeder Kunst und Wissenschaft seit ungefähr dreißig Jahren Riesenschritte gemacht haben; und weit entfernt, an einen nahen Stillstand zu glauben, erwarte ich vielmehr von der Zukunft noch glänzendere Perioden. Mag doch die große Mehrheit der Schriftsteller in gar keine Betrachtung kommen; dies verschlägt demjenigen nichts, welcher einsieht, einen ausgezeichneten hervor zu bringen. Auch das Gold erzeugt sich nur in Bleistufen; und wer verlangt es, daß kein Blei existiren soll? Alle materielle Industrie ist die Bedingung der immateriellen, und in dieser Ansicht mögen wir jene wohl verzeihen.
In der That, ich freue mich, die Zeit erlebt zu haben, in welcher Göthe's natürliche Tochter erscheinen konnte. Höher als jedes andere Produkt desselben Meisters setz' ich dieses. Mag die Mitwelt darüber urtheilen wie sie wolle, die Nachwelt wird darin nur ein Dokument unseres gegenwärtigen Culturgrades erblicken; und auf diese Weise erwarte ich nichts Geringeres, als daß die natürliche Tochter die Zeiten, in welchen wir leben, verherrlichen werde. Was ist es denn zuletzt, was die Lektüre eines Reineke Fuchs so anziehend macht? Meinem Urtheile nach nichts anderes, als die Entdeckung,
Man rühmt es als einen großen Vorzug der letzteren, daß die edlen Formen der Griechen in ihr conzentrirt sind. Was mich betrifft, so bin ich der Meinung, daß die natürliche Tochter als Kunstwerk erbärmlich wenig seyn würde, wenn nur die Formen in Betrachtung gezogen werden sollen. Auch ohne jemals den Aeschylus und Sophokles gelesen zu haben, mußte Göthe, vermöge seines Verstandes, solche Formen erzeugen. Der Geist, welcher in der natürlichen Tochter lebt und webt, ist aber über den der Griechen so un endlich erhaben, daß ich zweifle, Aeschylus und Sophokles würden die natürliche Tochter
Da ich einmal ein wenig in das Göthische Kunstwerk verliebt bin; so müssen Sie mir, mein angenehmer Freund, verzeihen, wenn ich zu diesen Bemerkungen noch einige andere hinzufüge, von welchen ich glaube, daß sie zur Sache gehören.
Mir war bei der Lektüre der natürlichen Tochter eben so zu Muthe, als bei der Betrachtung der Verklärung Raphaels. Anfangs wußte ich nicht, wodurch ich in diese Stimmung gerathen war; als ich aber tiefer nachdachte, entdeckte ich zwischen beiden Kunstwerken eine auffallende Ähnlichkeit, welche darin bestand, daß in beiden eine doppelte Handlung vorgeht, welche die höchste Einheit mit sich führt. Wollen Sie sich gefälligst desjenigen erinnern, was ich weiter oben über das Raphaelsche Kunstwerk als Urtheil meiner verewigten Freundin bemerkt habe; so
Große, hocherhebende Gefühle wollte der Dichter erzeugen, und solche hat er in allen denen erzeugt, die ihn zu fassen Kraft genug haben. Doch auf die Menge konnte er nicht einwirken. Dieser mußte es sogar problematisch werden, ob sein Kunstwerk für eine wahre Tragödie zu achten sey, da sie sich in derselben durch nichts gemartert und gefoltert fühlte. Mit tiefer, alles umfassender Menschenkenntniß hatte der Dichter gezeigt, wie aus Eugenia's nicht gesetzmäßiger Geburt sich, mit ihren seltenen Talenten und ungemeinen Eigenschaften, ihre Ansprüche auf anerkannte Hoheit und ihre Schicksale entwickelten; allein sich mit einem solchen Wesen, wie diese Eugenia ist, zu identifiziren,
So wie die Sachen gegenwärtig stehen, ist dies unmöglich. Denn – um bei
So viel über Göthe's Eugenia, deren Lektüre mir unaussprechliches Vergnügen gemacht hat; ein Kunstwerk, das sich in jedem Betracht den ersten Meisterwerken aller Nationen zur Seite stellen kann, ohne durch die Vergleichung zu leiden, und das ganz unstreitig das allervollkommenste ist, das der deutsche Geist jemals geschaffen hat.
Ich komme nach dieser Abschweifung auf mich selbst zurück.
Durch die Lektüre auserlesener Geisteswerke erhalte ich meinem eigenen Geiste die jugendliche Kraft, wodurch ich mich von anderen Personen meines Alters unterscheide. Allen meinen Erfahrungen nach, giebt es kein besseres Mittel, dem Alter auszuweichen. Eine Sammlung wirklich
Da von meinen Schicksalen nicht weiter die Rede seyn kann, so bleibt mir nur noch übrig, von meiner Lebensweise und meinen Erwartungen zu sprechen.
Ich habe die Gewohnheiten und Neigungen meiner Jugend immer beibehalten; ich konnte es, weil sie in jeder Hinsicht leicht und bequem waren, und that es, weil ich mich dabei wohl befand. Meiner Mäßigkeit verdanke ich, daß ich nie krank gewesen bin. Aber ich kann mit gleicher Wahrheit sagen, daß ich mich nie unglücklich gefühlt habe; und dies bedeutet etwas mehr. Vielleicht sind die Gemüthskräfte nie so stark in mir gewesen, daß sie mich zu inneren Widersprüchen führen konnten; vielleicht aber auch hat die frühe Gewöhnung, ihren Anfällen zu begegnen, die Wirkung hervorgebracht,
Und nun, mein theurer Cäsar, hab' ich Ihnen alles mitgetheilt, was Sie wissen mußten, um mich nach meinem ganzen Wesen zu begreifen. Von größerer Ausführlichkeit haben mich zwei Rücksichten abgehalten. Einmal wollte ich Ihnen so wenig Langeweile machen, als mir immer möglich wäre, und Ihnen schlechterdings nichts von dem wiederholen, was sonst wohl zwischen uns beiden zur Sprache gekommen ist. Zweitens – ich weiß, Sie verzeihen, daß ich bei einem so unangenehmen Geschäfte,