Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Mein innigst verehrter Freund.
Daß ich lebe, und Kraft und Muth zur Arbeit habe, dank' ich Ihnen, mein ewig werther Freund. Sie retteten erst mir, und dann meinem Gatten das Leben, und Ihr erheiternder Freundes-Zuspruch; wirkte auf uns wieder Auflebende, wie die Frühlingssonne auf Siechende. Schon dazumal sann ich auf ein Denkmal meiner Verehrung und tief empfundnen Dankbarkeit, das dauernder wäre, als verhallende Worte. Und nun wage ichs, Ihnen dies Buch zu widmen, mit welchem ich deutscher Biederkeit ein Ehrendenkmal zu setzen gedenke. Es ist Ihrer nicht würdig; aber nehmen Sie's dennoch mit der freundlichen Nachsicht auf, an welche Sie mich gewöhnt
Die günstige Aufnahme, welche der erste Theil von Julchen Grünthal gefunden hat, mußte für die Verfasserin ein lebhafter Antrieb seyn, nicht nur das angefangene Werkchen fortzusetzen und zu vollenden, sondern auch das, was davon schon herausgegeben war, so sehr als möglich zu verbessern. Der Umstand, daß es einer fremden, ihr ganz unbekannten Hand gefallen hatte, einen zweiten Theil zu schreiben und drucken zu lassen, bestätigte sie noch in ihrem Vorsatz.
Sie hat jetzt ihren Entschluß ausgeführt, und überreicht denen, die sich für Julchens Schicksal schon interessirt haben, oder noch interessiren wollen, eine völlige Umarbeitung des ersten
Theils, und einen ganz neuen zweiten und letzten Theil, worin die Ereignisse der Familie Grünthal so weit erzählt werden, als sie ihr bekannt geworden sind.
Sie bittet nun für das Ganze um dieselbe Nachsicht, welche man schon der ersten Hälfte desselben in einer unvollkommnern Gestalt geschenkt hat. Sie hofft diese Nachsicht zuversichtlich bei jedem zu finden, der sich den wahren Gesichtspunkt der Beurtheilung nicht verschieben und sich erinnern will, daß sie nicht für Gelehrte, sondern zunächst für ihr eignes Geschlecht, für ihre Mitbürgerinnen schrieb, zu deren Veredlung mitwirken zu können der angelegentlichste Wunsch ihres Herzens ist.
Berlin, im September 1797.
dahin, gegeben, (er sagte dies mit schwer zurückgehaltnen Thränen,) so wär' auch ich noch ein glücklicher Gatte und Vater!
Der Prediger und dessen Frau äußerten ein großes Verlangen, sie zu hören. Dunkel haben wir davon gehört, sagte Madame Seelmann; aber Sie werden sich uns verbinden, wenn Sie uns die wahren Umstände derselben mittheilen.
Wenn Sie Muth haben, sich der Geschwätzigkeit eines Alten, der mitunter gern von sich selbst spricht, auszusetzen, so bin ich von Herzen dazu bereit. Wir erinnern uns so gern der Freuden, die wir in unsrer gegenwärtigen Lage vermissen. – Grünthal setzte sich in dem großen ledernen Backenstuhl zurecht, und begann also:
Ich habe in Halle Jura studirt, und gedachte raschen Schrittes auf den Geheimenrath, Burg nahm mich beinahe väterlich in seinem Hause auf, auch nannte er mich Sohn. An einem schönen Morgen fiel es mir mit einemmal auf, daß seine einzige Tochter schöne blaue Augen, frische rosigte Wangen, und ein gutes liebes Herz hatte, und es schoß mir aufs Herz, daß ich durch dieses wackre Mädchen wohl im Ernst sein Sohn werden könne. Je öfter ich ihr in die dunkelblauen Augen kuckte, je wahrscheinlicher wurde es mir. Ich fing an mich mit Lieschen in mancherlei rührende Situationen des Hausstandes zu versetzen; bei diesen Träumereien wurde mir das Mädchen immer lieber, und endlich so lieb, daß allein genießen kann. – Erst sagen Sie mir aufrichtig, haben Sie mich
»Sprechen Sie mit meinem Vater; er will ich soll keinen andern als einen Landwirth nehmen.« – Wenn ich nun einer würde, nähmen Sie mich dann gern? – Ich habe Sie immer herzlich lieb gehabt, sagte sie mit gesenktem Blick, in welchem Thränen glänzten, und werde nie einen Menschen so lieb haben als Sie. – Lieschen, wenn das nicht Ihr Ernst ist, und ich fasse Sie beim Wort? – O ja, Herr Grünthal, der liebe Gott weiß es, daß ich Ihnen gleich gut
Von ihr eilte ich zu dem Vater. Wie ich einlenken sollte, um die Heirath aufs Tapet zu bringen, hatte ich nicht überlegt; der Alte brachte mich aber zufällig selbst ins rechte Geleis. Ich stockte und stammelte darauf alles hin, was er wissen sollte. Er hörte freundlich zu, nickte manchmal bedeutend dazwischen; endlich sagte er gutmüthig
Nach sechs Wochen waren wir Mann und Weib. Die Flitterzeit war ein Himmel. Ich war so ganz nach meiner eignen Art glücklich. Wir blüheten auf, und breiteten uns aus wie ein Baum an den Wasserbächen, beteten und arbeiteten, und der gute Gott gab das Gedeihen. Im ersten Jahr schenkte mir Lieschen einen Sohn, im zweiten noch einen, zwei Jahre nachher eine Tochter, und damit wars Basta! Bald darauf starb mein Schwiegervater; ich übernahm nun das ganze Amt. Zwar nahm nun die Wirthschaft den größten Theil meiner Zeit weg; doch strengte ich alle meine Kräfte an, auch etwas für die Bildung meiner Kinder zu thun. Als die Knaben der weiblichen Pflege entwuchsen, nahm ich einen gescheuten Hofmeister an, den ich freilich etwas
Vielleicht irre ich in meiner Überzeugung; allein der systematische Unterricht in Wissenschaften bei dem andern und schwächern Geschlecht hat mir nie zu Sinne gewollt; der anmaßende Ton der von ihrer Überlegenheit träumenden Weiber ekelt jeden, der Gefühl für prunklose weibliche Würde hat, von
Indeß war es meiner lieben guten Frau immer ein Dorn im Herzen, daß ein so reizendes Mädchen, wie unsre Tochter war, nur ländlich erzogen würde, nicht Tanzen, nicht Musik, nicht Französisch lernen sollte! Von dem letztern hatte sie zwar mit ihren Brüdern genug gelernt, um ein leichtes Buch verstehen zu können. Das war aber meinem armen Weibe nicht genug, die es sich selbst zu einem großen Mangel anzurechnen pflegte, daß sie diese Sprache nur verstand, nicht sprach, obschon in ihrem ganzen unschuldigen Leben kein einziger Fall eingetreten ist, wo sie sich durch dieses Nichtkönnen gedrückt gefühlt hätte. Julchen sollte ihrem Wunsche nach französisch plaudern können, wie eine galante Stadtjungfer. sot allemand nennen lassen? wie diese Dinger, wenn sie sich
Mein Mädchen war nun dreizehn Jahr geworden, und so gut und lieblich, daß ihr Anblick uns Eltern recht im Herzen wohl that. Ich habe von je her das Erndtefest zu einem allgemeinen Freudentage für meine Dorfgenossen bestimmt, und ihnen jede frohe Unterhaltung gestattet, wozu ich nach allen Kräften beitrug. Woran ließ ich aber stets ein frommes Dankfest gehen, dessen Einrichtung Sie, mein lieber Pastor, selbst gebilligt haben. Julchen, als ein herangewachsenes Mädchen, war diesmal die Königinn des Tages, und brachte Nun danket alle Gott! mit herzerhebenderm Gefühle gesungen. Mein Weib stand an meine Schulter gelehnt, auch sie war sanft gerührt.
Und dennoch wäre alles gut geblieben, hätte uns nicht ein feindseliger Dämon einen neuen Forstmeister ins Dorf gebracht. Er war ein Edelmann und hatte eine gnädige Frau und gnädige Fräulein Töchter. Diese waren in Berlin in einer französischen Pensionsschule verbildet worden, schämten sich nun ihrer deutschpommerschen Namen, und nannten sich ma soeur Julie, und ma soeur Adelaide, den derbdeutschen Vater, der kaum ahnete, daß es noch andre Franzosen in der Welt gäbe, als die er als Kornet bei Rosbach hatte schlagen helfen, mon cher père; sie sangen Liederchen aus den Etiennes aux Dames, putzten und zupften sich den ganzen Tag vor dem Spiegel, und behohnlächelten jedesmal in der Kirche den ländlichen Aufzug meiner Frau und Tochter, die insupportable, brachte allerlei kleine nippes zum Vorschein, die sie von ihrer Mutter hatte, welche Hofdame an einem kleinen Hofe, und respektive intime Freundinn Sr. Durchlaucht des Fürsten gewesen war, sprach von großen Gesellschaften, in welchen sie zu Berlin hatte seyn unverantwortlich gemischt gewesen wären, daß sie den plattitudes
der krassen Bürgerlichen beständig ausgesetzt gewesen sey, es wär' entsetzlich, wie sich dort der Adel im bürgerlichen Umgange herabsetze; daher denn diese rohe Race sich anfange einzubilden, sie könne es endlich durch die Erziehung dem Adel wohl gleich thun! Man könne wohl populär seyn, aber sich doch mit dem Bürger nicht gemein machen. Meiner Frau Zupfen und Fußtreten unterm Tisch, und ihr bittendes Gesicht, bändigte einigermaßen den Geist, der aus mir reden wollte; doch entfuhren mir einige Kernsprüche, die ich der albernen adlichen Frau scharf ans Herz legte. Diese thaten gut; die Dame lenkte ein, und verfiel nun auf das Kapitel der Moden. Zu meinem Schrecken und Ärger verleideten sie nun meiner Frau jedes ihrer
Seit dem Tage ging mein Elend eigentlich an. Meine Frau sah beständig mißmüthig. auf mich. Meine herzlichste Liebkosung
Ich nahm Julchen bei Seite, um ihre eignen Wünsche über diese Angelegenheit auszuforschen. Sie äußerte zwar viel Gehorsam gegen mich; aber ich sah leicht, daß die Mutter ihrem biegsamen Herzen schon die ihr selbst gefällige Richtung gegeben hatte. Ihrem jungen unerfahrnen Sinne war Berlin in die glänzendsten Perspektive gestellt; la Porte sich gefallen ließe, gegen ein Kostgeld von 200 Rthl., die Maitres ungerechnet, meine Tochter in ihre Pension aufzunehmen, wo sie zugestutzt und zu einem Caquet abgerichtet werden sollte, daß sie hoffentlich in ihrem Leben nicht weiter gebraucht haben würde. Mein Weib hatte das alles, um sichrer zu gehen, durch ihre adlichen Gönnerinn, in der Stille betrieben. »Also willst du denn doch deine Tochter Preis
Den bittern Unmuth meines Herzens zu zerstreuen, eilte ich zu unserm Pfarrer; er war noch ein junger Mann, aber ganz nach meinem Herzen, – deutsch und bieder, ohne jene anstößige Roheit, wodurch unsre jungen Schriftsteller und manche Theaterdichter, den ehrlichen Deutschen zu bezeichnen denken. Er war mir gut, und darum klagt' ich ihm mein Leid. Und muß es denn nun eben eine französische Kostschule seyn? sagte er freundlich; muß es Berlin und ein fremdes Haus seyn, das ihrer liebenswürdigen Tochter Bildung vollenden soll, so giebt es ja deutsche Erziehungsanstalten jeglicher Art,
Ich willigte ein, und betrieb nun ebenfalls meine Sache im stillen, bis die Antworten gekommen und wieder geschrieben, und wieder gekommen waren; dann erst offenbarte ich den neuen weisen Plan meiner Frau, die dies und das daran zu erinnern hatte, unter andern, daß ihre ganze Freude mit dem Französischen nun vorbei sey, daß Julchen es künftig dem albernen schnipschen Fräulein gleich thun könne; nun würde doch wieder nur etwas ganz gewöhnlich Bürgerliches herauskommen. Ich unterdrückte die Antwort, die mir schon auf den Lippen schwebte, und wollte mich meines Sieges über die französische Jugendbildnerinn nicht zu sehr überheben.
Gnädige zu Rathe gezogen, nach deren Angabe die Sonntagskleider in Hauskleider verwandelt wurden. Die rechten Siegs- und Triumphröcke sollten in Berlin, von feinem Modezeug nach neuesten Schnitt gemacht werden; dagegen konnte ich vernünftiger Weise nichts einwenden, denn es ist Pedanterie gegen Mode und Geschlechtsgebrauch zu Felde zu ziehen, sobald beides nur nicht die Sittlichkeit, den Vermögenszustand und den Rang, den die Person in der Gesellschaft hat, überschreitet. Auch weiß ich daß man dem Geiste der Zeit etwas nachsehen muß. Die siechen versessenen Fräulein rümpften die Nasen, daß Julchen zu einer Deutschen ins Haus sollte: doch würde auch diese eine horrible Arbeit haben, Julchen zu
Ich sah dem Unwesen still wehmüthig zu. Der erste Julius, der zur Abreise bestimmte Tag, rückte immer näher, und unsre kleinen, sonst so frohen Mahlzeiten, wurden immer düstrer und früher abgebrochen. Sah Julchen meine mühsam zurückgehaltnen Thränen, so sank sie auf meine Hände, und zerfloß in Traurigkeit. »Mein lieber, lieber Vater, wie soll ich ohne sie leben! Was kann mir einen solchen Vater ersetzen! Ich werde es nicht ertragen!« – rief sie dann von Schluchzen unterbrochen aus. »Behalte Gott im Herzen, mein ewig theures Kind, und sein Segen begleitet dich überall!«
Doch ich eile zu dem letzten traurigen Abend vor ihrer Abreise. Tröstend war mir hier wieder untergehen! schluchzte sie, indem sie sich kindlich an mich schmiegte. Liebes Kind, – erwiederte ich, indem ich sie zärtlich an mein bekümmertes Herz drückte, – liebes Kind, die Trennung soll nur kurz seyn, du hast sie zwar selbst gewollt, arme Tochter, ich weiß es; ich hoffe du wirst dich bald aus der erstickenden Stadtluft hinwegsehnen. Denke dir indeß lebendig Gottes Auge über dir, und deines Vaters Herz bei dir. Morgen um diese Zeit bist du dorthin, schon weit, weit von uns weg. Dann gedenke, wenn die Sonne untergeht, deines betrübten Vaters, dessen Sonne nun vielleicht auf immer untergegangen seyn wird. – O wolle doch das Gott nicht, mein theurer ehrwürdiger Vater! Was kann ich thun, diese Liebe zu vergelten? rief sie tief erschüttert. – Ich fuhr wehmüthig fort: Hier auf diesem Hügel werd fürchten hättest.
Im Angesicht des allgegenwärtigen Vaters der Menschen, gelobte sie mir Treue und Gehorsam; ich segnete die liebe mit überströmenden Vaterherzen. Ihr Blick durchlief noch einmal die Gegend, die sich allmählich im Schatten verlor, und wir kehrten still und ernst zu unsrer Wohnung zurück.
Meine gute Frau erzwang eine Heiterkeit, die nicht aus ihrem Herzen kam, und sah nach den überstandenen Schmerzen der Trennung, in eine freudige Zukunft; ihre Augen strahlten wirklich von Vergnügen, wenn sie sich unsre Tochter, mit allen Colifichets
Es war ausgemacht, daß meine Frau Julchen nach Berlin begleiten sollte, um sie der Erzieherinn selbst zu treuen Händen zu übergeben, und zugleich meinen Fritz auf ein dortiges Gymnasium zu bringen. Sich von zwei so lieben Kindern zugleich trennen zu müssen, thut dem Vaterherzen weh. Der Abschiedsmorgen war schwer; meine Kinder hingen weinend an mir, und als der Knecht vorfuhr, schrie Julchen laut auf. Ich küßte sie und meinen guten Jungen schweigend, und dann trug die Mutter sie halb ohnmächtig in den Wagen. »Bleibt fromm, und haltet euch recht, liebste Kinder! Leb wohl, Weib! mags dich nie gereuen, Julchen
Grünthal fand jetzt, als er nach der Uhr sah, daß er schon einen Theil der Nacht verplaudert hatte, wünschte dem geistlichen Ehepaar eine gute Nacht, und versprach die Fortsetzung seiner Erzählung auf den Freitag. – Sie werden, denk ich, den Zweck Ihrer Erzählung wohl bei mir wenigstens erreichen, lieber Amtmann, sagte Seelmann, denn ich habe mich sehr lebhaft in die Trennungsstunde von einem lieben Kinde versetzt, und möchte diese meinem Herzen schwerlich zumuthen. Nein, Lottchen bleibt
Grünthal ließ sich an dem dazu festgesetzten Abend nicht lange erwarten. Er kam noch vor Abend zu seinen Freunden, und versprach, daß wenn er heut mit seiner Erzählung nicht fertig würde, er künftig alles, was ihm noch auf den Herzen bliebe, aufschreiben wolle, um es seinen Freunden so mitzutheilen. Der Pastor besorgte das gesellige Pfeifchen, die Pastorinn nahm das
Meine Kinder sind nun abgereist; das wissen Sie. Mein Haus war mir seitdem wie ein Grab, alles öde und überall bei jedem Tritte hohltönender Nachhall. Kein Essen schmeckte mir; ich vermißte meinen ehemaligen glücklichen Hausstand aller Orten. Indeß meine Frau in Berlin war, brachte ich meine unbesetzten Stunden mehrentheils bei Eichen, unserm Prediger zu. Diesem jungen würdigen Manne durfte ich zu ganzen Stunden von meinen Kindern vorschwatzen, ohne zu besorgen daß er es lästig finden würde. Wenn ich trauerte, tröstete er mich damit, daß die Anstalt, worin Julchen gethan würde, einen entschiednen guten Ruf habe, daß Männer von Gewicht sie öffentlich empfohlen
Nach vierzehn ewig langen Tagen kam endlich meine Frau wieder. Mir blutete von neuem das Herz, als ich sie ohne unsre Kinder sah; sie aber war fröhlich und guter Dinge, und voll von dem Glanze der Residenz, deren Anblick sie sich schon längst im Stillen gewünscht hatte. Sie hörte nicht auf von den prächtigen Equipagen, von dem Hofe, den sie nicht gesehen, von Soupees, denen sie nicht beigewohnt hatte, zu erzählen: ihr armes Köpfchen, das auf ihrem Dorfe dergleichen Herrlichkeiten auch nicht einmal geahnet hatte, war durch die Überraschung ganz davon eingenommen. Darüber Brennfeld, (das ist die Frau Erzieherinn) in der Welt nichts ging. Überhaupt, meinte sie, sey es nicht so ordinair, wie sie es sich vorgestellt hatte, da sie hörte, daß es nur eine Deutsche wäre. (Das sprach der Geist der Gnädigen im Dorfe aus ihr.) Denn wahr und gewiß, liebes Männchen, sagte sie lobpreisend, es sind Fräulein, ja sogar eine Comtesse dort in der Pension, die sich gegen unser Julchen gar nicht hochmüthig betrugen. – Desto schlimmer, desto schlimmer, sagte ich den Kopf schüttelnd. – Du glaubst mir nur nicht, lieber Mann, weil du dagegen eingenommen bist, fuhr meine Frau sehr freundlich fort; da lies Julchens Brief, den sie mir an dich mitgegeben hat. – Rasch erbrach
Mir schien das alles nun freilich nicht so lieb und gut, wie meinem armen Weibe, dem nur die sauber lakirte und polirte Außenseite ins Auge stach. Zu allem Unglück hatte Mad Brennfeld es höflich gefunden, sich dem Vater, ihrer neuen Zöglingin schriftlich zu empfehlen, und zwar in einem Briefe, den meine Frau gradezu für entsetzlich schön und gelehrt erklärte, weil sie ihn durchaus nicht verstand. Das lag aber nicht an dem recht guten schlichten Verstande meiner Frau, sondern an dem ungereimtesten Galimathias, der nur je aus der Feder einer Pretiösen geflossen war. Sie wollte sich einst – so hieß es unter andern die Grundsätze besprechen, nach welchen Mamsell Grünthal erzogen werden sollte. Rousseaus Methode habe zwar einiges Gute; dann aber müßten freilich die Kinder noch nicht verbildet seyn. Mein Julchen, das ganz schlichte Kind, verbildet! Allein es sey wohl besser, wir gingen das ganze Revisionswerk durch, das sey wie eine Musterkarte zu betrachten, wo man für alle Naturen das Aussuchen habe u.s.w.
Nun flog mir so eine Ahnung von einer femme savante durch die Seele, daß mir ordentlich die Haut griselte. Gott im Himmel, wenn die grade Seele meiner Tochter so verschroben werden sollte! Wenn sie gegen die Früchte meiner sorgsamen Aufsicht, kauderwelsches Geschwätz eintauschte, sinnleere Phrasen auskramen, und mit hoch tönendem Schall um sich werfen lernte ihre Zeit abzusehen im Schilde führen. O die Weiber! die Weiber! – Sie hat mich gegen meine beßre Überzeugung von meinem Vorhaben abzulenken gewußt.
Nach acht Tagen kamen Briefe von meinen Kindern. Mein Sohn war, das sah ich, zweckmäßig in einer respektablen öffentlichen
»Ach meine geliebten Eltern! Ich werde die Trennung von Ihnen wohl nie ertragen lernen, denn noch sind meine Augen immer naß. Es wird mir, denk' ich, gar nicht möglich seyn, ohne Sie zu leben. So lange die liebe Mutter noch hier war, ging alles gut, nun sie aber fort ist, weiß ich gar nicht an wen ich mich halten soll. – Die Leute sind hier gar nicht so treuherziggemeines Volk.
Jetzt kam ein recht freches Stubenmädchen herein, und sagte: Monsieur Magot ist da, er hat nicht lange Zeit. Ich erschrack, und dachte nicht anders, als daß schon so früh ein Besuch käme; aber aus den Antworten der Fräulein merkte ich wohl, daß es der Haarkräuseler seyn müßte. Drauf fuhren die Langschläferinnen in die Kleider, und dabei mußt ich wieder an Sie, meine liebe Mutter, denken; denn ich sah wie unglücklich die Fräulein waren, keine liebe Mütter zu haben; in der Eil, mit der sie die Kleider überwarfen, rissen sie Bänder und Schleifen ab, steckten die Röcke mit Stecknadeln zu, zogen Strümpfe mit großen Löcher an, die dann ein seidner kaum bedeckt waren, trat Monsieur Magot herein. Ich schämte mich, weil ich noch nicht ganz angekleidet war, und zog mich in den finstersten Winkel des Zimmers zu rück. Aber meine Gefährtinnen waren durch die Gewohnheit schon dreister als ich, denn sie saßen mit ganz bloßer Brust, und ließen sich das nicht anfechten. Magot sah nicht aus wie ein Mensch, der andre bedient; ich habe eine so schöne Mannsperson noch gar nicht gesehen. Er wußte den Fräulein viel Höfliches und dabei auch Spaßhaftes vorzusagen, und da eben die andren nicht hinsahen, warf er der, die er grade frisirte, einen Brief in den offnen Busen, so daß mir das Gesicht vor Schaam ordentlich brannte. Von meinem Vetter, sagte sie ganz gelassen, als sie bemerkte, daß ich es Ma chere Madame stellte sich in den Kreis, den wir um sie schlossen, und die sous-gouvernante die ganz taub ist, und der Schwäche wegen sitzen mußte, las einige französische Gebete, die aber, da sie zahnlos ist, ganz unvernehmlich waren. Sie unterbrach sich oft, um durch Mienen anzuzeigen, welche Eleve sich grade halten sollte. Die Größern lachten, und gaben sich allerlei schalkhafte Winke. Ich aber mußte wieder weinen; denn mir fielen unsre lindenauischen Morgenandachten ein, wie fromm unser treuherziges Gesinde um Sie herumstand, und auf Ihre rührenden Worte so merkte, als wollten sie sie auswendig lernen. Dabei war mir immer so, als ob Poulet (so heißt die französische Lehrerinn) ainsi soit il, Amen! gesagt, (denn so enden alle diese Gebete), so fragte sie mich, ob ich so wie ich da wäre, in die Kirche zu gehen gedächte? Ich wurde roth, und sagte: Das wäre mein bestes Kleid. Sie meinte, an sich wär' es eben so übel nicht; es wäre nur die Frage, ob die Fräulein so mit mir gehen würden. Und dann die Haare! das ist doch gar zu dorfmäßig. Magot mag sie ihr verschneiden und auflocken, sagte Mad. Brennfeld nachläßig, Kaffee ists; ich versichre sie, recht guter Kaffee, sie werden ihn noch anders zu trinken bekommen. Ach meine gute nahrhafte Milchsuppe in Lindenau! dacht' ich wieder.
Um neun Uhr wurden wir in die Kirche geführt, und zwar durch die Untergouvernante in eine französische zur Übung der Sprache. O mein Gott, wie fremd blieb das alles meinen Herzen! Wenn ich in unsre kleine reinliche Dorfkirche trat, und die lieben Landleute stimmten so ein herzliches Lied an, überlief mich's recht, indecent, und ich sah nun meiner Nachbarinn ins Buch; aber gesungen habe ich nicht. Als der Prediger auf die Kanzel trat, ja Väterchen, erhaltnen Sieg; und nun froh und freudig auf den Kirchhof geeilt, wo der Prediger, der ein Neveu der Gouvernante ist, schon unserer wartete: Eine der größern Fräulein nekte ihn mit seiner Predigt, aber er war der erste, der sich darüber lustig machte; überhaupt war er ganz so schäkernd und spaßhaft, wie der Friseur. Das ging den ganzen Weg so fort, denn er ging mit dem ganzen Zuge junger Mädchen zu Hause. Mit den Vornehmsten unter uns, that er
Den Mittag und Nachmittag fuhren die jungen Damen eine hier, die andre dorthin; sie waren so schön und so geputzt, als ich in meinem Leben noch niemand gesehen habe. Ich und die andern welche zu Hause geblieben waren, wurden von der alten Französinn auf die Promenade geführt. Das ist aber ein erbärmliches Promenade, damit man sich bei dem Worte Spatziergang, nicht etwa betrüge, und Vergnügen erwarte. Wir wurden in einer staubigen Allee auf- und abgetrieben. Keine darf stillstehen, oder sich umsehen, denn das ist wider den Wohlstand. Da ist an kein Vergnügen zu denken, und es vergeht einem auch wohl, wenn man in seinem besten Staate, der recht geschont und vor Flecken bewahrt werden soll, eine halbe Meile auf dem Steinpflaster gegangen ist, ehe man aus der ungeheuren großen Stadt hinaus kömmt. Einige von uns drückten die neuen Schuhe so, daß sie fast ohnmächtig wurden. Dabei liefen die armen Mädchen immer, damit ich zurück bleiben sollte; denn sie schämten sich meiner, weil ich nicht nach der hiesigen Mode angezogen
Der Anblick so vieler wohlgekleideten Menschen war mir wohl neu, aber ganz und gar nicht angenehm. Wie gern wäre ich dafür auf unsrer schönen Wiese im Birkengrunde gewesen, und hätte in meinem leinenen Röckchen, mit meinen Brüdern und Schulzens Louischen getanzt. So aber habe ich meinen armen Fritz noch nicht einmal gesehen. Ach Gott! wie das alles so fatal und gezwungen ist! Mit seinem Bruder an einem Orte zu wohnen, und ihn nicht einmal zu sehen! Nehmen Sie mich ja recht bald aus dem fatalen Orte weg, der mich so mißvergnügt macht! Liebe Eltern, Sie können mirs glauben, ich habe hier noch nicht ein einzigesmal recht von Herzen gelacht. Ich küße Ihnen
Ihre
gehorsame zärtliche Tochter
Juliane.«
Dieser Brief, fuhr Grünthal fort, indem er denselben mit sichtlicher Rührung wieder in seinen Umschlag legte, muß Sie überzeugen, was für eine liebe, zarte, unverdorbene Pflanze ich in dies Berlinische Treibhaus gegeben hatte. Freilich hatte ich das arme kleine Ding, nur in der beschränkten Sphäre unsers sehr einfachen häuslichen Lebens gesehen. In unserm Herzen schlummern, so lange wir einsam leben, tausend Triebe und Neigungen, und erwachen vielleicht nie, wenn das Geräusch der großen Welt oder des vornehmen Lebens sie nicht weckt. Der, welcher sich deswegen aus
Und weiter preise ich die Eltern seelig, die, in mannichfaltigen Verhältnissen, den geheimsten Keim eines Hanges den Seelen ihrer Kinder entlocken können! Im Kreise stiller häuslicher und ländlicher Freuden, hätte meine Tochter ihre Bestimmung sicher nicht verfehlt, denn zu diesem ihrem wahrscheinlichsten Berufe hatte ich sie zu bilden gesucht. – Mögen großstädtische Eltern ihre Töchter für großstädtische Verhältnisse bilden! – Einigermaßen beruhigte mich ihr Brief; allein es blieben noch immer Gründe genug zu traurigen Besorgnissen, und ich fühlte nun die Lücken, die ich in ihrer Ausbildung gelassen hatte, sehr schmerzlich.
Meine Frau begriff nicht, daß das Mädchen nicht über alles, was sie sahe und hörte, entzückt war. »Sie muß sich das chere mère ihr im Herzen wohl that, daß sie wie ein Kind dabei kicherte. Unserm rechtschaffnen Pfarrer Eiche wagte ich nicht die schnellen Fortschritte des Mädchens mitzutheilen, weil ich mir innerlich vielleicht selbst noch schmeichelte, daß ich ihr wohl zu viel thun möchte, und auch gern meiner Frau schonen wollte. Also blieb mir nur der Trost, an Julchen diesen Brief zu schreiben.
Welcher Geschmuck soll nicht auswendig seyn mit Haarflechten und Goldumhängen oder Kleiderumlegen; sondern der verborgne Mensch des Herzens, unverrückt mit stillen sanften Geiste, das ist köstlich vor Gott. Mein Töchterchen! du wirst hoffentlich diese Ermahnung, darum, daß ein Apostel sie giebt, niemals zu altvätrisch finden; sie paßt für jegliches Zeitalter, für das jetzige aber ganz besonders.
Auch ist es mir nicht lieb, daß du die gute ländliche Sitte des Frühaufstehens, so nicht erzogen, meine Tochter. Du hast früh gelernt, dich vor dieser trostlosen Vergessenheit deiner Bestimmung zu hüten. Es ist dir aus übelverstandner Schamhaftigkeit nicht verschwiegen du zu den Pflichten der Gattin und Mutter bestimmt bist. Sey dessen fleißig eingedenk, und versäume keine Gelegenheit, das zu lernen, was zu diesem Endzwecke führt. Aber die Vielwisserei (du wirst mich verstehen) fliehe wie die Unwissenheit. Die kluge Frau von Lambert sagt in dem Rath, den sie ihrer Tochter giebt: mais songés que les filles doivent avoir sur les sciences une pudeur presque aussi tendre, que sur les vices.
In allem, was die Stadt Plaisirs nennt, empfehle ich dir eine besondre Nüchternheit. Du würdest dir durch den Genuß geräuschvoller Vergnügen, den Geschmack an den einfachen Freuden der schönen Natur verderben, zu welchen man doch zu seiner Zeit wieder zurückkehren muß. Deinem Geschlecht insonderheit stehen Jahre bevor, wo die Männer von euren Personen
Ich bin ernster geworden als ich es wollte. Beruhige mich, und schicke mir bald dein versprochenes Tagebuch zu, damit ich mich mit meinen Augen überzeuge, daß du meiner Liebe werth bist.«
Mein gutes braves Weib, (denn das
Den 12. August.
Mein lieber Vater wünscht, ich soll frühe aufstehen, wie in Lindenau; ja, wenn er nur wüßte, er würde es selbst sehen, daß es hier gar nicht angeht! Wir gehen vor zwölf Uhr nicht zu Bette. Gestern Abend zum Beispiel haben wir mit dem jungen Prediger, dem Neveu der Gouvernante, allerlei witzige Pfänderspiele gespielt. Erst war ich Mariane von Lindenfels mich du nannte, und recht familiär mit mir that; nun werdens die andern auch wohl thun, denn Mariane ist die älteste und schon Braut.
Beim Schlafengehen war mir, von allem Lachen und Schäkern der Kopf so wüst und hohl, daß ich schlechterdings nichts Ernsthaftes denken, viel weniger aus dem Herzen beten konnte; ich gestehe,
Heute am 13. erwachte ich so spät, und war so dämisch, daß ich wieder keinen Augenblick zu irgend einem ernsthaften Gedanken fand. Die Maitres kamen, und ich habe die erste Tanzstunde bekommen; aber o weh! ich dachte immer ich sey gut genug gewachsen, Monsieur Belair schüttelte mich aber so zusammen und riß mir die Schultern so zurück, daß ich vor Schreck und Schmerz laut aufschrie. Die Füße wurden mir dabei in einem sogenannten Fußbrett so auswärts gedreht, daß ich sicher glaubte, sie wären
Am Abend tanzten wir erst, und dann laß ich Madame Brennfeld etwas aus einem Buche vor, das Lessings Fragmente heißt. Ich verstand zwar nicht viel davon; Madame aber ist entsetzlich gelehrt, und wie mir Mariane sagt, eine Philosophin. Zuweilen soll ihr Vetter, ein junger Kandidat, herkommen,
Den 14.
Ich habe meine Trägheit diesmal glücklich überwunden, und bin um fünf Uhr aufgestanden. Ich wußte aber nichts mit mir anzufangen, denn hier, wo nur alles mit Zwang geschieht, habe ich an nichts eine rechte Freude; darum macht mir auch mein bischen Klavierspielen kein Vergnügen mehr. Da soll ich immer Sonaten und Bachsche Sachen spielen, von denen ich nichts verstehe. Zuweilen, wenn es niemand hört, spiele ich meine alten Stückchen, der lieben
Den 15.
Ach Gott! wie bin ich innerlich beschämt! Ich suchte einige Blumen und Bänder für meine Haare, und da fiel mir das neue Testament in die Hände, das die gute Mama hineinlegte, und zwar noch ganz so eingewickelt. Ich ward,
Wie gefällt Ihnen das, Pasterchen? unterbrach sich der Amtmann, und wischte sich den Angstschweiß ab. Es ist lange her, aber Gott weiß, das Herz im Leibe wendet sich mir bei solchen Schlechtigkeiten um. – Nun weiter.
Zuletzt als wir uns ganz müde gesehen und gelaufen hatten, fuhren wir auf Bauernwagen zurück. Mir hüpfte recht das Herz vor Freude, als ich den Korbwagen bestieg. Wenn es so nach Lindenau ginge, dacht' ich, und doch wars auch als wäre mir bei der Vorstellung ein wenig bange. Vom Thor an gingen wir durch die Lindenallee zu Hause. Da stand ein Mann mit einem Raritätenkasten, der Kaiser und Könige auf seine eigne Art reden ließ. Mit einemmal aber hieß es: »da werden sie sehen den Herrn Christum am Kreuz!« und alles lachte und belustigte sich daran. Mein Gott, ich habe das schon so oft bemerkt, daß sich die Leute hier nicht so recht viel aus dem Herrn Christus machen. Das
Ach! ich bin recht entsetzlich erschrokken! Ich und alle Pensionnairen sind zu einem Ball, bei dem Vater der Fräulein Lindenfels, eingeladen; er will ihren Geburtstag feiern. Ein Ball! in meinem Leben habe ich nicht geglaubt, auf einen Ball zu kammen. Es muß etwas erstaunlich Schönes seyn, denn sie sind Alle ganz außer sich. Ich würde mich auch noch mehr darüber freuen, wenn ich gewiß wüßte, daß mein lieber Vater es gern sähe. Wenn er doch recht ausdrücklich beföhle, wie ich mich in gewissen Fällen verhalten soll! Ich vermag es nicht, zu läugnen, daß ich den morgenden Tag kaum erwarten kann; und die Ungewißheit, ob ich recht thue mich zu freuen, ist mir ordentlich zur Last, so daß ich die Andern beneide, wie die sich
Den 19ten.
Drei Tage habe ich Dich nicht angesehen, Du mein ehrliches Tagebuch! Jetzt will ich alles nachholen, und so thun, als ob ich meinen lieben Eltern selbst erzählte, wie mir auf dem Balle zu Muthe gewesen ist. Von meinen Gedanken und Empfindungen werde ich aber wenig Rechenschaft ablegen können, denn in meinem Kopfe ging alles bunt durch einander. So viel erinnre ich mich wohl, daß bei dem Schönen auch viel Nichtschönes ist, was man von fern nicht entdeckt. Erst hatte ich mich gefreut, wie ich geputzt seyn, und mir das so hübsch je ne scais quoi fehlen, das ich doch für mein Leben gern hätte, wenn ich nur erst recht wüßte, was es wäre. Wenn ich also das je ne scais quoi nicht ertappe, hilft mir alle die Marter im Fußbrett, alle das Schmerzliche Auseinanderrecken in der Tanzstunde nichts. Ich fühlte mich so gedemüthigt und niedergeschlagen, daß ich nun schon lieber zu Hause geblieben wäre; um so mehr, da die adelichen Mitschülerinnen heute ganz fremd gegen mich thaten, und sich unter einander schon immer im Voraus ma chère fröle, und mich Mamsell Grünthal nannten.
Meine lieben Eltern haben mich gelehrt, ich solle mich allenthalben mit anständiger Mon dieu, quel visage! Prenez garde à ce que vous faites, Julie.«
Des Fräuleins Tante, eine bejahrte aber sehr munter gekleidete Dame, machte die Wirthin. Es ist vielleicht nicht Gemahlin (auf dieses Wort legte sie einen besondern Nachdruck) vorstellen. – »So?« sagten verschiedene alte Damen zugleich; »und wer ist sie, wenn man fragen darf?« – Eines ehrbaren Handwerkers Tochter; ich glaube Steinmetz oder Kupferstecher war der Vater. Er hat bei dem Bau im neuen Schlosse viel verdient. Sie nannte ihn, ich habe aber den Namen nicht behalten. Darauf sagte eine angenehme Dame von mittlern Jahren: »O, das ist ja der berühmte Bildhauer! Da freue ich mich, dessen Tochter zu sehen;« aber die vornehme Erzählerin bemerkte es kaum, und fragte: ist Bildhauer und Steinmetz nicht einerlei Handwerk? – dann fuhr sie fort: »sie soll eben nicht häßlich aussehen; hat Frau Räthin schön herausstaffirt. Nun, der Rath mußte wohl aufs Geld sehen; er war ein armer Schlucker, und wenn mein Bruder ihm nicht fortgeholfen hätte« – – »Ich erinnere mich – fiel hier eine ganz alte verzerrte Oberstin ein – wenn ich nicht irre, ist bei dem Mädchen 'mal so etwas passirt; so etwas Kleines, von einem Offizier. – – Ja, wenn die Bürgermädchen ein bischen gut aussehen, so wird so viel Aufsehens gemacht, indeß manches Fräulein aus dem besten Hause sizzen bleibt.« – Mariane winkte mir boshaft zu, und blickte auf ihre Tante; ich fand das alles nicht hübsch, und sah wo anders hin. – »Neveu, fuhr die Tante fort, indem sie einem jungen Offizier eine Tasse reichte, ich dächte, Sie gäben uns die Farce, den jungen Ehemann So eben sprachen wir von Ihnen, meine charmante Räthin, schrie das alte Fräulein, und ihre Augen funkelten so, als wenn unser schwarzer Mausekater im Dunkeln sitzt; dabei eilte sie ihr mit offnen Armen entgegen. (Wie konnten diese guten Leute es sich wohl träumen lassen, daß sie einen Augenblick vorher so jämmerlich waren zerrissen worden?) »Ich achte es für ein Glück, daß es mir vergönnt ist, der Gesellschaft ein so würdiges Paar vorzustellen.« Die alte Dame, die von dem Kleinen gesagt hatte, mußte sich doch noch schämen können; denn sie sah aus wie das böse Gewissen,
Bald nachher fingen sie an zu tanzen. Menuet's tanzten nur einige bejahrte Herren und Damen, und die jungen Tänzer standen schon Paarweise bereit, ihre muntern Tänze anzufangen. Diese begannen denn auch so rasch, daß sie bald, wie die Bindermädchen hinter den Mähern, glühten. Einige Stundenlang tanzten die Adlichen erst nur unter sich; mir fing an die Zeit lang zu werden, obschon ich im Grunde froh war, daß man mich vergaß. Mir fiel ein, was mein Vater einst zur Mutter sagte, Bleib' bei Deinen Genossen, so wirst Du nicht verstoßen.« Das hat, glaub' ich, Luther einmal gesagt.
Als ich mich des Tanzens schon begeben hatte, die Fräulein aber nicht mehr recht fort konnten, kam Marianens Bruder, und zog mich aus meinem Winkel hervor. Die junge Räthin hatte es abgeschlagen, weil sie heute gar nicht tanzen würde. Jetzt verging mir vor Blödigkeit beinahe Hören und Sehen. Ich habe noch nie anders, als einige Menuets auf meiner Cousine Hochzeit, getanzt, und dazu munterte mich mein lieber Vater selbst auf. Die starr auf mich gerichteten Blicke meines Mittänzers brachten mich vollends aus der Fassung, und Eiche, hereinträten, wie würd ich ihnen wohl in der Stellung erscheinen?« Ich sah in dem Augenblicke, als ich so dachte, gewiß recht einfältig und weinerlich aus, als ich darauf meinem Moitie in die Arme eilte, und dahinschwebte, indem er mich im betäubenden Kreisel wie davon trug. IchMon dieu,Julie, que cela sent le village! N'apprendrez vous donc jamais, ce que c'est qu'un badinage?« Wär' ich doch nur zu Hause bei der tauben Französin geblieben! sie ist wenigstens gutmüthig, und beschämt einen nicht vor den Leuten. Der ganze Ball war so einen Verdruß nicht werth. Das soll mir nicht wieder begegnen.
Das hieß doch aber im Ernst, seine Zeit verschleudert! einen Tag um die Anstalten zum Ball, Haarkräuseln und hundert Kleinigkeiten zu machen; dann der Ball selbst, und den dritten Tag das Dämischseyn. Aber so ermüdet ich war, schwebte mir doch, ich möchte sagen um so lebhafter, die Musik und das ganze bunte Gewirr vor, und, wie mich dünkt, in weit schönerer Gestalt, als es wirklich gewesen war. Selbst wenn ich mich
Das geht! Aus einer Lust in die andre! An dieser Freude wird mein Vater gewiß nichts auszusetzen haben; er, der selbst Musik über alles liebt! Ich bin in einem Konzert gewesen. Madame Brennfeld erwartete eine gelehrte Gesellschaft, die sie gern ungestört genießen wollte; darum erlaubte sie uns allen, einigen hier, andern dort hinzugehen. Ich fuhr, zu meinem unaussprechlichen Vergnügen, mit Fräulein Mariane und ihrem Vater, dem alten Baron, ins Konzert. Sie gaben Erwin und Elmire, da hätte mein Vater die Arie: »Ihr verblühtet, süße Rosen, etc.« von der Mama einmal beruhigt wurde, als sie ein starkes Fieber hatte, hören sollen! Wenn es wahr ist, daß die Seligen musiziren, so muß es gewiß in solchen
Allein auch dieses Vergnügen ging nicht ohne alle Unannehmlichkeit ab. Unterweges, als wir hinfuhren, war das Fräulein sehr freundlich gegen mich; auch der alte Herr fragte mich so gutmüthig nach allerlei Dingen, von Lindenau, schön auf mich gezogen hatte. Allein nach dem Konzert, da sie der alte Herr, den sie Excellenz nannte, herausführte, ließ sie mich auf gut Glück zurück, ohne sich nur ein einzigesmal nach mir umzusehen. Ich drängte mich in der Angst mit Gewalt durch, kam aber doch zu spät, denn eben rollte der Wagen fort. Da stand ich nun weinend, in Angst und Verwirrung, als plötzlich, wie ein Engel, mir Marianens Bruder erschien, und mich dadurch, daß er mich zu Hause führte, aus der größten Verlegenheit riß, in der ich in meinem Leben gewesen bin. Mariane war schon lange vor mir dummes Thier kann doch wohl gewiß für geschimpft gelten. Ich sei der Ehre nicht werth, sagte sie, die mir ein Fräulein von solchem Stande erwiesen habe. Zuletzt kam es noch darauf hinaus, daß ich förmlich abbitten mußte! O wie wehe that mir diese schreiende Ungerechtigkeit; eine solche Behandlung habe ich noch nie erfahren. Ich litt alles ganz still, hielt es aber, als wir allein waren, Marianen vor. Sie umarmte mich, weinte, und bat, ich
Lieber Amtmann, begann in der Pause, die jetzt Grünthal machte, die Frau Pastorin, ich gestehe Ihnen gern, daß in dem allen viel Abschreckendes für Eltern liegt, die ihre Kinder außer dem Hause wollen erziehen lassen. Aber sagen Sie nur, wie sollen die Kinder Französisch, und was sonst noch zur feinen Ausbildung gehört, lernen? denn heutiges Tages gehört doch das Französische zu den ganz unentbehrlichen Dingen. Unentbehrlich? rief der Amtmann; nennen hundert Frauenzimmern drei, denen es unentbehrlich wäre! Sie verstehen es, aber wozu? ich will nicht ehrlich seyn, wo sie seit dem Pensionsleben fünf Worte in dieser Sprache von sich gegeben haben. Der Bücher, des Lesens wegen? Haben wir denn etwa der deutschen Bücher, und der gewiß guten Übersetzungen nicht genug? Als ich noch Student war, kam ich einst zu einer Frau Professorin, die im Rufe der Gelehrsamkeit stand. Sie las in einer englischen Ausgabe, von Thomsons Jahrszeiten; ich gab zu erkennen, daß ich es nicht im Original gelesen hätte; so, sagte sie, also hat man das auch deutsch? Wer hier die Pedanterie nicht mit Händen greift, muß Handschuhe von englischen Sohlleder tragen.
Gesetzt nun, die französische Sprache wäre, wie Sie glauben, unentbehrlich, giebt
Grünthal sprach so eifrig, daß er nicht merkte, wie schläfrig seine Zuhörer waren, bis die Pastorin das Signal zum Aufbruch durch ein unverhaltenes Gähnen gab. Grünthal
Ich erhielt Julchens Tagebuch, oder wie ich es sonst nennen soll, da meine Frau sich eben nicht zu Hause befand. Wie mir dabei zu Muth war, kann sich nur der vorstellen, dessen liebste Hoffnungen schon getäuscht wurden. Kaum ein Vierteljahr aus dem väterlichen Hause, und schon mehr als die ersten Spuren offenbarer Verirrung! O der armen zerbrechlichen Menschheit! Mein gutes Weib kam, und ich mußte wohl sehr wild aussehen, denn sie erblaßte, und fragte zitternd: was mir widerfahren sei? Da, lies nur, sagt' ich; hier ist was von Julchen. – dieser Tanz und diese Stellungen, und das ganze süße Geschwätz des jungen Menschen ihr nicht ganz vorzüglich wieder einfallen werden. Das sind eben die Szenen, die sich ihrer Einbildungskraft immer verschönert wieder darstellen; das sind die Vergnügen, gegen welche ihr das Landleben armselig erscheint. Ein großer Kenner des menschlichen Herzens, Cervantes, setzte ich hinzu, läßt den Sancho sagen: »Wenn ein Jüngling einem Mädchen nur ein einzigmal sagt: ich liebe Dich, so flüstert der Teufel es ihr wohl hundertmal ins Ohr, bis sie über und über in Liebe auflodert.«
»Großer Gott!« seufzte meine Frau erschrocken, und faltete ihre Hände. Hinterher An sich, da hast Du recht, mein liebes gutes Lieschen, und wie Du getanzt hast. Das geschah bei sittlichen Familienfesten; da tanztest Du eine ehrbare sein Geld das Recht erkauft, sich so lustig zu machen, als es die Umstände nur immer zulassen, und die Mädchen, welche sich zu dieser Lustbarkeit einfanden, nach Belieben wacker herumzuschwenken. Da werden rasche, wilde, ja tolle Tänze getanzt, welche die Sinnlichkeit unfehlbar auf regen. Wie steht es da um die jungfräuliche Würde, mit der ein Mädchen die Zudringlichkeit dreister Männer zurückweisen soll? und hat sich das Mädchen nicht schon zum Theil solo-tout und sechs Matador in der Hand haben, so mag indeß die Tochter sich dem Ersten dem Besten überlassen. – Von solchen Tänzen, sagte meine Frau, habe ich freilich keinen Begriff; ich gab ihn ihr, so gut sich das thun ließ, und zeigte ihr den Takt und die Stellungen, die in den neuesten Tänzen vorkommen. Das mochte sich nun freilich in meinem nicht ganz makellosen Schlafrocke, und mit der großen Troddelmütze ganz wunderlich ausnehmen; denn sie gerieth in ein so unmäßiges Gelächter, daß es schlechterdings unthunlich war, wieder auf etwas Ernsthaftes einzulenken.
vor
nehmen Freundschaften, über deren Unzuverlässigkeit sie nun schon einige bedeutende Erfahrungen gemacht hatte; denn es ist immer Hundert gegen Eins zu wetten, daß es für bürgerliche Personen in adlichen Gesellschaften selten ohne Demüthigung abgeht, ob ich schon, zur Steuer der Wahrheit, hinzusetzen muß, daß sich der Brandenburgische Adel durch Humanität auszeichnet, weil er für ächte Geistesbildung Sinn, und das trefliche Beispiel der ersten Personen im Lande
Zugleich schrieb ich an die philosophische Bonne, ersuchte sie in den höflichsten Ausdrücken, meine Tochter, die nie auf Reichthum zu rechnen habe, nur bürgerlich leben zu lassen, und sie, so viel möglich, für diese ehrenvolle Klasse zu bilden! Ich hätte freilich so meine ganz eigenen Grundsätze in Ansehung öffentlicher Lustbarkeiten, und fügte schließlich, zur Unterstützung meiner ganz gehorsamen Bitte, ein Fäßchen Butter, und was sich sonst noch so an Küchenpräsenten transportiren ließ, dem Briefe bei.
Dies that seine gehörige Wirkung; ich Julchens Madame geschickt.« Dafür wurde denn die treuherzige Mutter immer mit einem Lobspruche auf das gute Betragen der Tochter erquickt. Auch hatte das Mädchen wirklich so erstaunlich profitirt, daß ich sie hin und wieder schon auf mancher
Einst an einem schönen Morgen kam unser Pastor Eiche zu mir. Ich sah es seinem offnen Gesichte bald an, daß er etwas auf dem Herzen hatte; es wollte sich irgend eine wichtige Mittheilung davon losarbeiten. Für's erste kam es heraus, daß er, ganz ohne sein Mitwirken, einen Ruf nach Berlin bekommen hatte. Zweitens den kennen, dem es mit ganzer Seele angehangen haben würde! – Wenn nun aber das Mädchen in der Stadt eitel wird, und ihr Herz verplempert? rief ich ungeduldig;
Jetzt leuchtete es mir plötzlich ein, weshalb er es gern sah, daß das Mädchen in der Stadt bliebe. Die Freude, und der frohe Blick in die Zukunft, die in meinen Augen alles wieder gut machte, hatte die üblen Eindrücke gegen die Pension bei mir verwischt; denn ich muß es nur gestehn, wenn es meine Freunde noch nicht selbst bemerkt haben sollten, daß ich mich, wie alle Schwächlinge, leicht von plötzlichen und augenblicklichen Eindrücken lenken lasse. Dabei kam es mir auch selbst beinahe so vor, als ob zur Bildung einer Stadtpfarrerin, noch dazu in dem superfeinen Berlin, etwas mehr gehöre, als ich meiner Tochter auf dem Lande zu verschaffen im Stande wäre: worin ich aber ganz Unrecht hatte; denn ich habe nachher
Indeß nahm ich mir vor, ihre Neigungen auszuforschen. Ich schrieb deshalb an Madame Brennfeld, ob sie mir meine Tochter zu Weihnachten wohl zukommen lassen wolle? Wie mich das verdroß, daß ich mich in die Nothwendigkeit gesetzt hatte, von einer Fremden Vaterfreuden zu erbetteln! Ich erhielt bald eine bejahende Antwort, daß nicht allein Julchen, sondern auch die Frau Erzieherin selbst, nebst einem Schwarm kleiner gnädigen Gänselein entschlossen wären, während des Festes meine arme Landhütte mit ihrer hohen Gegenwart zu beehren.
Das war mir nun äußerst fatal; denn ich wollte meinen Fritz auch holen lassen, Eiche würde mein Schwiegersohn werden. »Ei, Mann, so lustig habe ich Dich ja in mancher Zeit nicht gesehen! was giebts denn?« fragte mein Weib. – Lieschen, studiere Du nur fleißig in Deinem Kochbuche; aufs Fest bekommen wir vornehme Gäste. – Nachdem ich sie eine Weile hatte herumrathen lassen, überraschte ich sie mit der Nachricht: Julchen käme herunter. Die ehrliche Seele weinte laut vor Vergnügen, und küßte mich wohl hundertmal in der Freude ihres Herzens. Bei der Gelegenheit mußte ich mir alle Gewalt anthun, daß ich nicht mit meinem Geheimniß, nämlich Eichens Absichten auf Julchen, herausplatzte, so sehr war mein meine Lieben sie damit aufzieht.
Je näher Weihnachten heranrückte, je lustiger wurden wir, und waren am letzten Advent beinahe ausgelassen. Meine Frau war bei ihren Zurüstungen so flink und munter, wie ein Mädchen, das sich vor seinem Liebhaber sehen läßt. Ich pfiff oder trallerte, wo ich ging und stand. Eiche nahm stillschweigend Theil an unserer frohen Erwartung, und es müßte einem Dritten einen sonderbaren Anblick gewährt haben, zu sehn, Gürgen sich recht stattlich ausputzen, damit die feinen Stadtdamen an dem ländlichen Aufzuge nicht zu viel Ärgerniß nehmen möchten, gab ein Reitpferd für meinen Fritz mit, und predigte es dem ehrlichen Dorfkutscher hundertmal ein, er solle ja hübsch behutsam fahren. Meine Frau gab ihm so viel Pelze und Fußkörbe mit, als ob die Reise nach Nova-Zembla ginge.
Mein Fritz kam einen Tag früher, als die Frauenzimmer, an. Der Junge war in dem halben Jahre beinahe einen Kopf gewachsen, seine Seele war tadellos, wie ich ihn von mir gelassen hatte; aber er hatte sich bei einer Schrittschuhparthie eine Heiserkeit zugezogen, die von Folgen zu seyn
Nun hielt ich mich aber nicht länger,
Sobald mich Julchen ansichtig wurde, Lindenfels war mitgekommen, ihre Cousine, die Forstmeisterin, zu besuchen, und hatte sich gleich dahin
Nun erst, als wir mit unserer Tochter allein gelassen waren, bemerkt' ich, daß sie nicht mehr so offen und zwanglos mit uns umging, wie ehedem. Es verdroß mich, daß sie sich nicht, wie ich's erwartet hatte, nach allen alten Bekannten auf dem Lande, bis auf Hund und Katze, erkundigte, sondern, vollgepfropft von Stadtneuigkeiten, mich mit lauter fremden und vornehmen Namen unterhielt. Da war alles so ex
cellent; wir hatten ganz und gar keine Idee, wie herrlich oder göttlich diese oder jene Lapperci war. Ihre Beschreibungen übertrieben in Allem; wenn ihr der Zwirn riß, so machte sie das ganz erstaunend unglücklich; so verzweifelte sie ganz und gar. Mögen doch die lebhaftern Franzosen tout-à-fait désolé seyn, wo wir uns höchstens nur ein wenig ärgern, oder désespéré werden, wo wir kaum trübe blicken! Uns kältere Deutsche kleidet der pretiöse Ton nicht; er liegt nicht in unserm Karakter, nicht im Genius unsrer energischen Sprache. Ich unterdrückte jedoch jeden Tadel, der mir oft entwischen wollte, theils, um der entzückten Mutter die Freude nicht zu verderben, die mit einer Art von Ehrfurcht die Tochter betrachtete, theils auch, um Julchen nicht zurückhaltend zu machen, wodurch ich meine Hauptabsicht verfehlt haben würde. So oft aber ein solcher, mir in der Seele widerstehender Ausdruck vorkam, blieb mir's gleichsam in der Kehle stecken; ich hustete oder räusperte.
Spät erst führte die Mutter Julchen in
Hier sei meinen Freunden ein Ruhepunkt vergönnt; ist ihnen die Fortsetzung nicht zu langweilig, so wird sie nächstens erscheinen.
am folgenden Morgen stand ich und meine Frau, wie gewöhnlich, sehr früh auf; aber bei unsern Stadtdamen war noch tiefe Nacht. Ich hustete ein paarmal scharf genug vor Julchens Thür; – alles mäuschenstill. Endlich wurde mir die Zeit zu lang; einfach zu bezeichnen pflegen. Bald nach ihr erschienen nun auch die andern; alle sehr nachlässig, und einige sogar – locker. Ich halte es für Pedanterie, an allem, was Mode und Zeitgebrauch heischt, tadeln zu wollen, besonders wenn sie, so wie jetzt, sich immer mehr und mehr einem bessern Ideale nähern; aber tadelswerth hat mich jederzeit das leichtsinnige Wechseln derselben gedünkt; dieses allein hat schon manchen ehrlichen Mann um Haus und Hof, und um Ehre obendrein gebracht. Ich verbiß meinen Unwillen, wenn ich auf meine Frage nach diesem oder jenem Kleidungsstücke meiner Tochter zur Antwort Das war ja schon aus der Mode.« Ich scheute mich nun, nach meiner Tochter Frömmigkeit und Sittsamkeit zu fragen, vielleicht hätte die Antwort auch gelautet: »Mein Herr, die sind ja längst aus der Mode.« – Nach dem Frühstück beschäftigten sich meine Damen mit dem, was man in der Kunstsprache Toilette machen heißt. Ich dachte in allem Ernst, Julchen hätte sich wieder ins Bett gelegt, weil sie gar nicht wieder zum Vorschein kam. Freilich mochte sie bei der kopfbrechenden Arbeit mein wiederholter starker Stiefelgang vor ihrer Thür vorbei in Angst gesetzt haben. Sie erschien endlich ganz erhitzt, und in so feinen durchsichtigen Kleidern, daß ich eine Wielandsche Grazie vor mir zu sehn glaubte. Ich läugne nicht, daß der griechische Schnitt des Rocks des Mädchens Gestalt ungemein verschönerte; nur
Es war nicht ganz Scherz, als ich Julchen, gar zierlich ihre Hand auf meinen Rockzipfel gelegt, zum Kanapee führte. Ihre Schönheit und Grazie hatten mich dummen Dorfkerl seltsam überrascht; ich neigte mich beinahe unwillkührlich vor meinem eigenen Fleisch und Blut. Das arme Kind aber nahm's für Satyre, und die Thränen traten ihr bei meiner Galanterie in die Augen. Ich fand nicht für gut, ihr ihren Irrthum zu benehmen; allein die Mutter, der die Augen vor Entzücken funkelten, war weniger zurückhaltend, und drückte ihr Wohlgefallen in den stärksten Worten aus. Da gab sich mein armes Putchen ein Ansehen, und nannte der Mutter so viel Moden und Journal des Luxus und der Moden, daß meine Frau, vor höchster Bewundrung, gar nicht wieder zur Sprache kam. Dagegen nahm ich das Wort, und schüttete aus, was mir so lange schon gegen dieses unvaterländische Buch, ich meine dieses Luxusjournal, auf dem Herzen liegt. Daß es so lange besteht, und länger als so manche würdige Zeitschriften, ist zwar allerdings ein Zeichen, daß es seinen Saamen in sehr empfänglichen Boden ausstreut; welches besonders an solchen Orten der Fall ist, wo die erforderlichen Nippes und Zeuge gleich bei der Hand sind. Ich kann es auf Ehre betheuern, daß ich, in Leipzig besonders, Väter und Männer bittere Beschwerden über dieses Buch habe führen hören. Sobald es in dem Buchladen angekommen ist, sieht man die Schneider, mit dem magischen Büchelchen
Nach und nach hatten nun auch die andern Damen ihre Toilettengeschäfte beendigt. Die Erzieherin erschien, völlig so jugendlich angethan wie ihre Zöglinge. Hier gab es ekelerregende Nuditäten, wie sie die ländliche Sittsamkeit, selbst bei säugenden Müttern, unserm Blicke vorenthält. Fräulein Mariane bezeichnete durch ihren Anzug die verwegenste Üppigkeit, ganz wie sie sich zu der Art mich zu unterhalten, hätte ich mich beinahe durch die pomphaften Ausdrücke und scientifischen Worte verblüffen lassen, wäre es mir nicht durch einige ihrer Urtheile, die Veredlung, Madame. Nur daß die feine Politur nicht ganz das Originalgepräge mit fortnehme. Dieses habe ich immer sorgfältig bei einem jeden meiner Kinder sichtbar zu erhalten gesucht; ich ja zu sagen, wo ihr Herz nein sagte, habe ihnen Widerspruch gegen die elterlichen Meinungen erlaubt; denn ich habe mir nie eingebildet, daß sich die väterliche Autorität über den Geist mei ner Kinder erstreckte, und immer fest an dem Glauben gehangen, daß es in England deshalb so viel Originalität der Karaktere gebe, weil die Kinder früh wie Menschen behandelt, und nicht alle auf einer Drehbank zu gleichförmigen Marionetten gedrechselt werden. – Wir müssen uns indeß doch nach den einmal eingeführten Gebräuchen richten, wenn wir uns nicht lächerlich machen wollen, entgegnete die Madame. – In so fern sie vernunftmäßig, und dem Bedürfnisse jedes Individuums angemessen sind. – Aber wir entfernen uns zu sehr von unserm Zwecke;
Madame hatte mich nur so lange sprechen lassen, um eine Rede zu komponiren, worin sie mir bewies, daß ich von dem allen nichts verstände; daß ich, als ein Landwirth, Rousseau gelesen, und, wie sie sich schmeichle, den Kant nicht fruchtlos studiert. Nun kamen die großen Worte »Moral-Prinzip, Kritik der Vernunft,« u.s.w., wie am Schnürchen; bei der Gelegenheit nannte sie sich selbst einigemal eine Freidenkerin, und dankte dem Himmel, daß sie sich von allem religiösen System losgerissen habe, und nun wie ein ausgescheuertes Gefäß sei. – Sie brachte dies alles in einem so hochfahrenden Tone vor, daß ich sehr froh war, als die jungen Mädchen sie um Erlaubniß baten, der Frau Amtmannin die letzte Komödie, die sie aufgeführt, zu rezitiren. »Gott behüte!« entfuhr mir's; »auch Komödie wird gespielt! –
»Gebe Gott, daß sie nie so weit komme!« erwiederte ich mit einem Stoßseufzer. – Was könnten Sie gegen kleine theatralische Übungen einzuwenden haben? Herr Amtmann! – fragte Madame sehr suffisant. – Durch nichts erwerben junge Damen mehr Grazie und Anstand, sich zu präsentiren.
Den jungen Berlinerinnen, die sich unaufhörlich und überall präsentiren, mag es Bedürfniß geworden seyn, es mit Anstand und Grazie zu thun, damit diese Alltagsvögel, deren Gesichter durch das stete Präsentiren allen Reiz der Neuheit verlieren, doch etwas zum Ersatz auszubieten haben. Aber für was tauschen diese Komödienspielerinnen diesen Anstand wohl ein? Zu einer Zeit, wo sie einen Vorrath von soll. Julchen – indem ich meine Tochter bei der Hand nahm –
Bei meiner Zurückkunft sah ich sogleich, daß Julchen geweint hatte. Wie? Thränen im väterlichen Hause? Thränen statt der Freude des Wiedersehens? – Ich forschte, was es war, und es kam heraus, die Mutter hatte der Tochter das Leid geklagt, daß Fritz ein ordinärer Spießbürger werden wollte.
Dies waren nun keine andern, als meine adlichen Dorfgenossen und mein lieber Pastor Eiche. Sobald die Duenna einen Gelehrten witterte, nahm sie weiter keine Notiz von mir armen Laien, sondern bestürmte den guten Mann mit Fragen: ob er dieses oder jenes neue Buch gelesen habe? brach die Gelegenheit vom Zaun, eine Abhandlung über die Juden zu halten, und ob diese im Staate zu dulden seien? bei welcher Gelegenheit sie mit ihrer Aufklärung und Toleranz zu prunken gedachte. Sie wurde äußerst entrüstet, als ich plumperweise äußerte, die Modewelt beweise ihre Toleranz vorzüglich darin, daß sie sich den gutgarnirten Tisch und Keller der reichen jüdischen Häuser gefallen ließe; und der jüngere und galante Theil suche den Umgang romanhafter
Indeß dieses Paar wüthend auf einander losging, und dabei des Weines nicht schonte, suchte Fräulein von Lindenfels den rühmlichen Entwurf auszuführen, sich mit den sanften sittsamen Eiche eine Lust zu machen, die darin bestand, daß sie ihm eine ganze Armade ihrer Reize entgegenstellte, und ihr Netz auswarf, um, wie Julchen es nachher berichtete, die platte Landparthie dadurch einigermaßen pikant zu machen. Dieses Fräulein Eiche, der ihr gegenübersaß,
Was läßt wohl ein Mädchen von sich denken, dessen unsittlicher Anzug selbst Männern eine Schamröthe abnöthigt? das Stirn genug hat, die Blicke dreister Jünglinge nicht etwa bloß zu ertragen, sondern durch Stellung und Blick zu noch größern Frechheiten zu reizen? Mariane that alles, was grobe Sinnlichkeit erregen, aber rechtschaffne Männerherzen gegen sie empören mußte. Eiche wendete sich verächtlich von ihr, indeß sie ihn, als einen unempfindlichen Pedanten, fahren ließ, und nun auch aus Rache derb auf das insipide Landleben schmähte. Sie Dich schon ergriffen, der Herz und Geist tödtende Spieldämon! Nun, dann fahre wohl sittliches Gefühl, und alles, was das Weib zum Weibe stempelt! Diese Gier, dieses Erpichtseyn aufs Spiel macht die Weiber unausstehlich, und richtet die Familien zu Grunde. Die Immoralität weiblicher Spielsucht springt so stark in die Augen, daß ich kein Wort darüber zu verlieren nöthig habe.« – Julchen wendete ein, sie spiele nur der Madame zu Liebe, und diese habe es überhaupt für nöthig erachtet, sie mit den gangbaren Spielen bekannt zu machen, weil man ohne diese jetzt eine Null in Gesellschaften sei. Ich ließ das hingehen, weil ich nicht gern mit meiner Herzenstochter, von der ich noch viel Freude erwartete, zürnte. Auch die Mutter redete für das Beste ihres Kindes, und entfernte sich bald darauf mit demselben in ein andres Zimmer.
Eichen auf die Seite, und fragte ihn um seine offenherzige Meinung von Julchen. Er sah sie schon halb mit Bräutigamsaugen, das heißt, er bemerkte nur die rosenfarbene Seite. Überall Vollkommenheit, sich entfaltende Geistesblüthen, liebenswürdige Offenheit, und noch gar schöne Dinge, die ihn zum glücklichsten Manne machen würden. So verschönernd war zwar meine Brille nicht; allein es that mir doch im Herzen wohl, Julchen loben zu hören, und ich fing an, mich selbst für zu strenge und partheiisch zu halten. Nun fragte ich ihn, ob es nicht besser sei, dem jungen Dinge etwas von seinen Absichten merken zu lassen? er aber bestand darauf, ihr Herz müsse sich noch einige Jahre überlassen bleiben; indeß wolle er sie nach und nach daran gewöhnen, ihn als ihren treusten Freund anzusehn. Denn, – setzte er hinzu, – er
Diese Unterredung stimmte mich so gut, daß ich den übrigen Theil des Abends mit leidlichem Anstande der faden Unterhaltung beiwohnte. Freilich war's kein Schatten von dem Vergnügen, das mir dieser Besuch meiner Tochter eigentlich gewähren sollte; doch, genug von diesem Tage! Der folgende
So verstrichen die Tage, auf deren Genuß ich mich so innigst gefreut hatte, in einem ununterbrochenen Wirbel von Faseleien und Kleinigkeiten. Er war so ansteckend, daß keiner von uns an ein herzliches Gespräch Lindenfels hatte in ihrem Leben noch nicht daran gedacht, woher die Wolle käme; sie war außer sich vor Verwundrung, daß die einfältigen Schafe doch so nützlich wären! – Von der Baumwolle habe ihr maître de géographie ihr gesagt, sie wüchse en Italie an sehr hohen Bäumen. Wenn ich dem Äffchen dann erklärte, wie es mit diesem oder jenem zuginge,
Sultan, der alte respektable Haushund, sprang Julchen freudig entgegen, als er sie ansichtig wurde. Er war, so zu sagen, ihr Milchbruder; denn bei ihrer Geburt hatte er der Mutter den Überfluß an erster Kindesnahrung abgesogen. Sie erwiederte seine Liebkosung, wie seine lang bewährte Treue es verdiente. »Fi, Julie,« – rief Madame, indem sie selbst mit allen ihren jungen Gänschen, Whist spielen!) – Laut sagt' ich: nun, das freut mich doch, daß Julchens Sinn für diese kleinen schuldlosen Freuden noch nicht abgestumpft ist! Was das Fade betrifft, so kann man Friedrich den Zweiten, der sich viel mit Hunden abgab, wohl eben nicht beschuldigen, daß er so gar fade gewesen sei. Wenn Julchen nicht so viel Zeit auf Spiel oder zweckloses Umherstreifen verschwendet, wird sie immer Zeit genug behalten,
Diese ganze Apostrophe diente zu nichts, als die Madame zu überzeugen, ich sei ein einfältiger Landtropf, dem es nicht der Mühe werth sei, die Schätze ihres besseren Erkenntnisses zu eröffnen. Da es des Tages nur zu viel Auftritte der Art gab, war ich beinahe ich sie gelehrt hatte, zu halten, und sich nie von dem Modeton, der nach einer gemißbrauchten Jugend ein freudenleeres Alter gebiert, hinreißen zu lassen. Laß es, sagt' ich, mich nie bereuen, daß ich mir meine Einwilligung habe abschwatzen lassen. Wär' es nach mir gegangen, wir verlebten hier noch stille, frohe Tage mit einander. Julchen war nicht ungerührt, aber doch fühlt' es mein, auf die Liebe dieser Tochter eifersüchtiges, Herz, daß sie uns nicht mehr so ungern verließ. Die scharfäugige Erzieherin hatte sich bei meiner Frau besonders beliebt zu machen, und, als wahre, schlaue Kennerin, ihre Schmeicheleien an dem rechten Orte anzubringen gewußt. Auch hat sicherlich jedes höchst unglücklich, uns schon verlassen zu müssen, und auch wieder so sehr glücklich, unsre interessante Bekanntschaft gemacht zu haben; dann machte sie wieder das Abschiednehmen so unglücklich, und bald darauf war sie so glücklich, sich mit der Hoffnung, uns bald in der Stadt zu sehen, trösten zu können. – So ging es in einem Athem fort. Julchen wollte noch einmal kindlich an mein Herz eilen; aber ihre Mariane rief: »Komm, Liebe! was machst Du Dir das Herz schwer?« Julchen folgte ihrem Ruf, stieg in den Wagen, warf mir noch einen Kuß, ganz im neuesten Styl, zu,
Bis jetzt war die Bildung und Erziehung meiner Kinder meine größte Sorge, und mein Hausstand beinahe ununterbrochen glücklich gewesen; unsre stillen genügsamen Herzen hatten auch den bösen Tag für gut genommen, weil der Herr beide werden läßt. Jetzt sollten wir auch Menschentücke erfahren. Meine Frau war von einer ihrer alten Tanten zur Erbin eingesetzt worden; ein anderer Verwandter protestirte dagegen, und da mir nun die Erwerbung dieses Vermögens ganz rechtmäßig schien, hielt ich's, meiner Kinder wegen, für Pflicht, mein Recht zu behaupten. Auf diese Art wurde ich in einen weitläuftigen und kostspieligen Prozeß Eiche war schon, seit Ostern, in seine neue Stadtpfarre eingezogen. Seine Stelle bei uns war mit einem jungen Manne besetzt, der den Bauern für sein Leben gern Freiheit und Gleichheit gepredigt, und die französische Vernunftreligion gelehrt hätte, wäre die liebe Obrigkeit und der Landrath nur nicht gewesen, der die Kantons fleißig bereisete. Marat war sein Heiliger, und Robespierre mordete noch nicht genug. Oft ging er bei Wind und Wetter dem Zeitungsboten Meilen Weges entgegen. Meinethalben mochte er, wenn er mir nur auch meinen Sinn verstattet hätte; aber dieser Enragé schlug oft in seinem revolutionnairen Eifer mit der Faust auf den Tisch, und weckte meine arme
Der Tod meiner Frau gab meiner damaligen Empfindungsart eine ganz entgegengesetzte Richtung. Meine liebsten Zeitvertreibe wurden mir gleichgültig, und selbst das sonst immer rege Gefühl für meiner Kinder Wohl schien darunter zu leiden. In Ansehung meiner Tochter beruhigte ich mich eine Zeitlang gänzlich mit den Nachrichten, die sie mir selber von sich gab, und die Eiche mehrentheils bestätigte. Es ging aber dem redlichen Manne, wie es vielen jungen und auch wohl alten Gelehrten geht, es fehlte ihm an Weltkenntniß und hinreichenden Eiche sah und urtheilte mit dem partheiischen Blicke der Zuneigung; sein wohlwollendes Herz ließ ihn nur die gute Seite erblicken, wie ich schon an ihm gewohnt war, und wodurch er mein strengeres Urtheil zur Partheilichkeit hinneigte. Ich nahm mir von Zeit zu Zeit vor, nach Berlin zu reisen, und selbst zu sehen; es kamen mir aber so mancherlei Hindernisse in den Weg, daß gegen anderthalb Jahr verstrichen, ehe ich meinen Vorsatz ausführen konnte. In dieser Zwischenzeit verlor ich meinen Prozeß, und ließ meinem, noch immer wunden Herzen eine zweite Ehe aufschwatzen. Ein reiches Mädchen nahm die Stelle meiner geliebten Frau, zwar nicht in meinem Herzen, doch aber in meiner Haushaltung ein. Nur der offenbare Verfall alles dessen, was die geliebte
Zuerst die Fragmente ihres Tagebuches, wie sie es zu verschiednen Zeiten über ihr Herz gehalten hat.
Vom März.
Ich nähere mich der heiligsten und ehrwürdigsten Handlung meines Lebens. soll anders werden, und dazu wird die heilige Handlung mich stärken.
Am Charfreitags-Abend.
Noch schwimmt meine Seele in den erhabenen seligen Gefühlen, von welchen
In diesem Tone der größten Exaltation, fuhr sie acht Tage lang fort. Die feierliche Handlung hatte auf ihre Imagination so lebhaft gewirkt, daß sie sich in ihrer Moralität, auf welche ihr würdiger Religionslehrer sie aufmerksam gemacht hatte, hinlänglich gegründet zu seyn dünkte. Sie hielt sich in allem Ernst über die sie umgebenden Thorheiten erhaben. Wie es aber den bloßen Empfindungschristen mehrentheils geht, das Köpfchen kühlte sich nach und welches ein heiliges Band zwischen ihr und ihrem Schöpfer seyn sollte, eine traurige Lücke. Und das mußte so seyn, wenn ich den Einfluß mit in Anschlag bringe, welchen der strafbare Leichtsinn ihrer Aufseher sowohl als ihrer Gespielinnen, auf das junge unerfahrne Mädchenherz natürlich haben mußte. Ich erfuhr nachher durch besondre Veranlassung, daß die philosophische Madame Brennfeld nebst ihrem philosophirenden Vetter, dem Kandidaten, Julchen zur Gesellschaft mit zum Abendmahl gegangen sei, weil das junge Ding so viel Muthlosigkeit gezeigt hatte. Vor- und nachher hatte der Herr Kandidat seine, vom Doktor Bahrdt geschöpfte, Weisheit ausgekramt, und der lieben Jugend insonderheit die Auferstehungslehre nach Bahrdtischen Grundsätzen erklärt,
Im August schrieb sie wieder an dem Buche:
Mein Vater (bemerken Sie, lieber Seelmann, sonst hatte sie mir immer zärtliche Beinamen gegeben; hier hieß es schon schlechtweg »mein Vater«) wird mich vielleicht in diesem Herbste besuchen. – Was ist das? Was ist denn in der Vorstellung, das mich erbeben macht? Freude ist dies nicht; denn was weiß Freude von Furcht? – Mein Vater wird kommen, und nach dem Zustande Eiche. Ich gestehe, daß ich die Rechtschaffenheit dieses Mannes verehre; und ich würde allerdings mehr Zutrauen zu ihm gefaßt haben, hätte mich die liebe lose Mariane nicht mit ihm aufgezogen. Auch scheint mir sein Leben so streng,
Den 24sten.
Guter Gott! Was ich mir auch sagen mag, und so gern ich mich betäuben möchte, so fühle ich doch im Innersten, ich fühle es recht bitter, daß etwas in mir liegt, womit ich nicht werde bestehen können, wenn mein Vater mich zur Rechenschaft auffordert! Mein Vater! sage ich? – Ach! wenn's der nur wäre! aber eine Stimme, tief in meinem Innersten, ruft mir zu: »Du bist nicht, was Du seyn sollst! wiege Dich nicht in betäubenden Schlummer ein!« Was Madame Falk in der deutschen Kirche. In der französischen, in die uns Madame Poulet zur Sprachübung hineintreibt, bin ich gar nicht andächtig; die Sprache kommt mir nicht so feierlich vor, die Gesänge erbauen mich nicht, und die geschwind gesagte Predigt verstehe ich nicht. Darüber habe ich mich beinahe schon gewöhnt, die Kirche als einen öffentlichen Ort zu betrachten, wo wir unsern Putz auslegen, um ihn sehen zu lassen. Wie wurde ich nun durch das schöne Lied von Gellert plötzlich getroffen: »Nach einer Prüfung kurzer Tage,« u.s.w., und dann Eichens Predigt, über die Rechenschaft, die wir von dem Gebrauch mich, und es war mir, als wäre allein unter allen Zuhörern ich der ungerechte Haushalter. Meine Thränen flossen reichlich; denn ich versetzte mich zurück in die Tage meiner kindlichen Unbefangenheit, wenn Eiche in unsrer Lindenauischen Kirche so sanft und herzlich wie zu Brüdern und Schwestern sprach. Damals war ich eine treue fleißige Haushälterin, unter dem Schutz und Schirm meiner liebenden Eltern! – Ich verlor mich ganz in diesen Betrachtungen. Auf einmal wurde ich den Kornet Lindenfels gewahr; er hatte seine Augen starr auf mich geheftet, und flüsterte mir im Vorbeigehen zu: »Heilige Juliane, bitte für uns!« Ich kam aus meiner ernsthaften Fassung, es durchlief mich wie ein Feuer, meine Gedanken
Nach der Predigt war Eiche bei der Cousine. Seine Güte beugte mich diesmal; ich wagte es kaum, ihn anzusehen. – Er kann Dir in der Seele lesen, – dacht' ich, und das peinigte mich so, daß ich mich nicht lange aufhielt, sondern unter einem Vorwande zu Hause ging. Da fand ich den leichtfertigen Kornet, der den ganzen Auftritt schon erzählt hatte. Madame Brennfeld lächelte, und sagte: »Ihrer Jugend kann man wohl den Irrwahn zu gute halten; ihr guter Kopf läßt mich hoffen, daß sie einst selbst denken, und etwas mehr als bloß empfinden wird. Ihr Kopf ist noch ganz unphilosophisch dunkel, und mit verworrnen »Vive le vin, vive l'amour,« etc. Nun ich wieder allein bin, fühle ich, daß ich nicht verdiente, ausgelacht zu werden. Die Leute haben aber so etwas Überredendes: Madame mit ihrer Gelehrsamkeit wohl eben nicht; aber Lindenfels mit seinen brennend schwarzen Augen, die einem immer ins Herz blitzen, so daß ich oft meine eignen und gewiß nicht schlechtern Einsichten verläugnen kann.
Späterhin bekam ich noch einige Briefe von Julchen, über ganz allgemeine Gegenstände, und in einem kalten, zurückhaltenden Tone abgefaßt. Dagegen empörte sich mein ganzes Vaterherz. Der Erwerb in der Wirthschaft Juliette?« – sagte die Alte betreten – »mais vous savez, qu'elle n'y est pas!« Wo ist sie denn? schrie ich, als stände ich auf dem Wollmarkt. »Sie is gegange sik promenir,« antwortete die Alte, auf deren grundehrlichem Gesicht ich die gesagte Unwahrheit sehr deutlich sah. – Das ist mir sehr unangenehm: ich werde sie also wohl erwarten müssen; – sagt' ich verdrüßlich. »O, da würden Sie Fi donc, wer wird so arg Du nannte. »Bist Du toll, Alter? Deine Tochter so auf den Tod zu erschrecken! Glaube mir, Deine Galanterie schmeckt nach der Amtsstube! Armes, armes Julchen! Und der Louis ist vor Schreck wohl gar davon geflogen?« – So ging's in einem Athem fort, indeß Julchens vermeinte Ohnmacht wohl funfzig Riechfläschchen in Bewegung gebracht hatte. Sie stand wie im Platzregen; die jungen Herren wollten durchaus das Verdienst ihrer Herstellung haben. Ich stellte mich dabei ganz munter und lustig, machte so tiefe Bücklinge und Kratzfüße, entschuldigte mein unverhofftes Eindringen wider meine eigene Erwartung so manierlich und kaltblütig, daß die Gesellschaft, nachdem einige junge Herren, die vielleicht die Unternehmer des Pickenik's seyn mochten, die Köpfe zusammengesteckt hatten, endlich ganz herablassend beschloß, Lustbarkeiten eine der ächten Freuden des Lebens, oder auch nur seine häusliche Bequemlichkeit aufopfert. Es wurde auch kein gescheutes Wort, kein einziger, auch nur einigermaßen witziger Einfall vorgebracht; gar nichts, das des Belachens werth gewesen wäre. Wer einen sogenannten Scherz, der nur Persiflage war, vorbrachte, mußte seinen Einfall auch zuerst belachen; dann erst stimmten wohl einige aus Höflichkeit, wenn der Witzling eine betitelte Person war, mit ein. Bei den Zweideutigkeiten, deren gar Deutschheit seyn soll; wie denn leider! so viel Mißgriffe in dieser Hinsicht gemacht werden, und Rohheit oft für Deutschheit gelten muß. Daß dieser
Nach Verlauf einer Stunde hatte ich das alles satt und übersatt. Mariane, als sie sah daß ich mich mit Julchen entfernen wollte, nahm mich schmeichelnd bei Seite, und strich mir die Backen. »Liebes Väterchen, Du sagst doch der Frau Sirach (sie meinte die Erzieherin) nicht, daß Julchen hier mit mir gewesen ist?« – fragte sie sehr naïv. Tröstend war mir's, zu hören, daß Madame Brennfeld an diesem Unfuge unschuldig, und von den Mädchen hintergangen war. Mariane hatte vorgegeben, sie führe mit Julchen nach einem nahgelegenen Lustschlosse; das war in so fern unschuldig, obgleich Marianens Führung nie unschuldig seyn konnte.
List und unwürdiges Beneh
men verzeihen, wenn Du es vergessen kannst, daß Du mich und Deine Aufseherinnen hintergehst, so will ich's zu vergessen suchen, daß Du der Liebling meines Herzens gewesen bist. – Während dieses, meinem Herzen so schmerzlichen Dialogs waren wir vor Karolinens Wohnung angekommen. – Julchen weinte laut und trostlos; ich sprach ihr einigen Muth ein, denn sie jammerte mich innigst, und beschloß, den Vorgang niemanden merken zu lassen. Karoline bewillkommte uns, wie ich's an ihr gewohnt war, mit unendlicher Gutmüthigkeit; als sie Julchen aber so gebeugt und niedergeschlagen sah, erwähnte sie, zu des Mädchens großer Pein, daß sie mir's wohl abgerathen habe, Falk, Karolinens Mann, gefiel mir nur halb; er schien mir auch ein schwankendes, karakterloses Wesen zu seyn. Karoline liebte ihn zärtlich, und ich hätte es keinem gerathen, gegen ihren Karl etwas einzuwenden. Nun wurde Eiche eingeladen, und so blieb Julchens Niedergeschlagenheit unter dem lauten Jubel des Wiedersehens ziemlich unbemerkt.
Gegen zehn Uhr brachte ich meine Tochter nach Hause. Das schon erwähnte schnippische Hausmädchen kam uns entgegen, und entschuldigte Madame Brennfeld damit, daß sie schon schliefe; flüsterte aber Julchen laut genug zu, daß ich's hören konnte: »der Vetter ist drinn, und lieset noch.« Ich legte
Ein nicht aufzuschiebendes Geschäft fordert meine Gegenwart, ich behalte mir daher die Fortsetzung auf gelegnere Zeit vor.
Sie erfolgte diesmal in mündlicher Unterredung in Seelmanns Pfarrhause. »Der Herr Amtmann blieben da, wo Sie Ihre Tochter von dem Pickenik holten,« fing die Frau Seelmann das Gespräch an. – Ganz Falk meinte, das Beste sei: der sorglosen Erzieherin den Kopf tüchtig zu waschen, und Julchen in eine andere Pension zu bringen. Nein, sagte Karoline, Julchens guter Name würde darunter leiden, wenn sie so plötzlich wegkäme. Und was würde dabei gewonnen werden? Die Mängel, welche der Onkel mit so vielem Rechte zu Herzen nimmt, sind nicht der Brennfeldischen Anstalt allein eigen, sie liegen in der Sache selbst. Mir ist kein Beispiel bekannt, daß ein Frauenzimmer ein solches Institut aus Gefühl ihres innern Berufs zum Erziehungsgeschäft errichtet hätte; es ist bei ihnen nur Erwerbssache. Zwar giebt es hier Anstalten, wo beide Absichten so glücklich verbunden sind, daß man versucht wird, Liebe zur Sache für die Haupttriebfeder zu halten; diese sind aber leider! mehr für das erste Geschlecht, als für das
In meinem Kopfe ging's jetzt herum, ob ich nicht besser thäte, Julchen ohne alle Umstände nach Lindenau zu nehmen? aber, ach Gott! wie hätte es da um den lieben Hausfrieden gestanden! Meine Frau zitterte vor Ärger, wenn sie nur das Wort Stieftochter hörte. Julchen, glaubte sie, hätte von der der Lage mußte ich mir allerdings den Vorschlag, als den besten, gefallen lassen.
Als nun alles dahin Gehörige fein ordentlich verabredet war, eilte ich zu Eichen, ihm diesen Plan mitzutheilen. Er nahm ihn mit aller Freude eines vernünftigen Mannes auf, der nun der Erfüllung seines Wunsches entgegensieht. Um Julchens Vermögensumstände hatte er mich nie gefragt, obobgleich die seinigen nicht die besten waren, und sein Einkommen größtentheils von den guten Gesinnungen seiner Gemeine abhing. Wir rechneten auf die Genügsamkeit meiner Tochter und Karolinens guten Rath. Mit
Ich ging da ohne alle Umstände in die Lektionsstube. Der Herr Kandidat, der die jungen Damen mit sehr vieler Artigkeit Christenthum, Geschichte, Naturhistorie, Erdbeschreibung, Logik, Deutsch, Anfangsgründe der Geometrie, Briefstyl, und beiher auch etwas Englisch lehrte, war so eben dabei, den Kindern den eigentlichen Sitz der Denkkraft zu beschreiben. Er hatte, wie's aus den griechischen und lateinischen Benennungen klar war, chirurgische und medizinische Kollegia gehört, und wurde, da meine Gegenwart ihn nun noch aufmunterte, so entsetzlichDanksagung an eine Fürstin, die der Briefschreiberin ein Geschenk gemacht hatte.« Die Briefe waren steif und geziert; dennoch fand sie der Herr Kandidat, bis auf die Fehler gegen die Rechtschreibung, vortrefflich. Mir wurde siedend heiß, als er Julchens Brief zur Durchsicht nahm; denn sie schrieb wahrlich! in ihrem zwölften Jahre besser, als er je geschrieben hatte. Er fand ihren netten natürlichen Brief trivial, aber doch nicht ganz schlecht. Nun gab er den kleinen Mädchen auf, wobei achtjährige waren, einen Aufsatz über den Stolz auszuarbeiten. Lieber Seelmann, kleinen Kindern, über den
Nach diesem erschien der Klaviermeister, ein kleines luftiges Männchen, in schöngewesenen Kleidern und schmutziger Wäsche. Er warf sich nachlässig neben Julchen auf einen Stuhl vor dem Klaviere, ließ sie eine Weile ein schweres Bachisches Konzert hacken, wobei dem armen Mädchen die Schweißtropfen von der Stirn flossen, tändelte indeß mit Julchens herabhängenden Locken, oder spielte mit dem kleinen Hunde, und sang passagenweise aus voller Kehle mit. Durch das schwere Allegretto mußte Julchen sich allein, ohne seine Hülfe, durchklappern; denn der Musikmeister hatte sich indeß in ein weitläuftiges Gespräch mit einem der jungen Mädchen über das gestrige Konzert eingelassen. Julchens stümperhaftes Spielen tönte nicht vermochte, und bei der ich zehnmal dachte: schade um ihre schönen natürlichen Anlagen, um die Herzlichkeit die sie, schon als erste Anfängerin, in kleine Lieder von Reichard zu legen wußte. – Zu meinem Trost war diese Stunde gewiß keine 60 Minuten lang. Ich hatte sie bewundernswürdig schnell überstanden; allein das heißt nun Unterricht in der Musik, den wir armen Eltern so theuer bezahlen! – Mit der Zeichenstunde hatte es, wie ich nachher erfuhr, eben dieselbe Bewandtniß. Den Mädchen, welche der junge Zeichner besonders wohl wollte (das waren denn immer die hübschesten), mahlte er die Zeichnungen aus, und die kleinen Lügnerinnen etwas rechtes lernen sollen!
Seelmann lächelte, und sagte, indem er seine Frau schalkhaft ansah: »Nehmen Sie sich in Acht, lieber Grünthal, meine Frau ist zwar nicht in Berlin, aber doch in einer Stadtpension erzogen.« – »Ja, Herr Amtmann, das bin ich!« fiel die Frau Pastorin ihrem Herrn ins Wort, – indem sie ihr artiges Köpfchen trotzig in die Höhe warf, – »und ich denke, mein Mann hat noch nicht Ursache gehabt, auf die Pensionen zu schmähen. Nicht wahr, Männchen?« – Seelmann war ein höflicher Mann, er wich der Antwort aus; auch ließ ihm Grünthal nicht gebildeten Frau
gelehrten Pedantin, die ich für das gelbe Fieber weiblicher und männlicher Gesellschaft halte. In eben dem Maße ekelt mich vor Roheit und grober Unwissenheit, der Mutter so manches Lasters, und des dümmsten Aberglaubens, wo weder gesunde Vernunft die Gefühle des Herzens veredelt, noch sie auf die edlern Gegenstände des Lebens hinlenkt. Diese Ausbildung wird aber nie die Frucht einer Pensionsschule seyn; und, aufrichtig gesagt, ich halte dafür, daß, je mehr dergleichen Anstalten ausposaunt werden, je mehr Vorwand giebt dies eitlen oder trägen Müttern, sich der Erziehung ihrer Kinder zu entledigen, um sie mit schweren Kosten einer Fremden aufzutragen, die es wenig oder gar nicht interessirt, ob die Kinder einschlagen, oder nicht; wenn nur übrigens, so lange sie unter ihrer Aufsicht sind, nichts Lautbares vorfällt, das ihrer
Ich wohnte, wie ich schon erwähnt habe, einigen Lehrstunden bei. Es fiel mir besonders auf, daß keine von den Gouvernantinnen, deren doch drei waren, wenigstens der Form wegen zugegen war. Es ist wahr, von Zeit zu Zeit ging die alte taube Französin,
Die drei Gouvernantinnen hatten die Geschäfte auf folgende Art unter sich vertheilt: Madame Brennfeld, – als Prinzipalin, – hatte Einnahme und Ausgabe, theilte den Unterricht und die Lehrstunden nach ihrer Bequemlichkeit ein, spürte allenthalben nach den wohlfeilsten Lehrern umher, denen sie monatlich für alle Schülerinnen nur so viel bezahlte, als etwa zwei oder drei derselben dazu beitragen mußten. Sie besorgte ferner grosse bête unter die bürgerlichen größern Mädchen ausgetheilt; denn die Adlichen hatten auch hier ihr Privilegium, ungeahndet arrogant zu seyn, nicht umsonst.
Die erste Untergouvernante war eine geborne Pariserin, stocktaub, und sprach nur einige Worte gebrochnes Deutsch. Ihr Amt war, die Kleinen französisch buchstabiren und
Die dritte Figur war nur eine Art von Kammerjungfer, spielte aber doch bei der Bildung der Jugend eine wichtige Rolle: sie lehrte sie Putzmachen, oder vielmehr die Kunst, sich zu putzen. Überdies mußte sie, geschickt oder ungeschickt dazu, die Arbeiten übernehmen, die Madame Brennfeld nicht anrühren mochte. Sie war geschmeidig, wie dergleichen Personen, welche sich durch die Vertraulichkeit Vornehmerer ernähren, immer zu seyn pflegen. Sie ließ sich von den jungen Damen zu allerlei Dienstleistungen gebrauchen, sagte ihnen Schmeicheleien vor, und versicherte, dieser oder jener vornehme
Noch hundert Kleinigkeiten der Art könnte ich Ihnen zu Rechtfertigung meiner Abneigung erzählen, besorgte ich nicht, Ihnen durch diese Weitläuftigkeit Langeweile zu machen. Also zu meinem Geschäft bei Madame Brennfeld. Ich sagte ihr, daß ich gesonnen wäre, nach einem halben Jahre meine Tochter nach Hause zu nehmen; auch bat ich, sie nicht zuviel ausgehn zu lassen, weil ich darin meine eignen Grillen hätte. Übrigens würde ich für die Mühe, die sie sich mit der Bildung meiner Tochter gegeben hätte, ewig dankbar seyn. Ihr Gesicht hatte sich zu Anfang meiner Anrede in hundert grämliche Falten gezogen, und ich war auf eine vulkanische Eruption gefaßt; aber bei dem Worte dankbar seyn ging mir plötzlich das helle Sonnenlicht
Nach diesem ging ich mit Julchen in ein besonderes Zimmer, und kündigte ihr meine Absicht mit ihr an, doch ohne ein Wort von Eichen zu sagen. Sie wurde blaß und zitterte, daß sie sich nicht aufrecht halten konnte; dann sagte sie mit gedämpfter Stimme etwas von Gehorsam und Folgsamkeit her, wobei ihr die heißesten Thränen über die Wangen liefen. – Was ist das? Mädchen! (fragt' ich) weißt Du noch, wie Du mich batest, Dich recht bald von diesem häßlichen, zwangvollen Orte wegzunehmen? O, Du bist ein verwahrlosetes Geschöpf! – hängst Dich auch leicht an etwas; nicht wahr? – Zeige mir doch, wenn Du noch nicht alle Zucht aufgegeben hast, die Briefe, die der Friseur Dir heimlich zusteckt. – Nun wechselte auf ihrem Gesicht Todtenblässe mit dem höchsten Karmin ab; sie war unschlüssig, ob sie läugnen oder bekennen sollte. Mein Herz litt bei dieser Strenge kaum weniger als das ihrige. Liebe war in meinen Augen nie Verbrechen; aber hier war doch die Operation nothwendig, so schmerzvoll sie dem guten Kinde auch war. Als sie immer noch ihre Rechte fühlen; deren Gefühl kein Wörtchen für die arme Menschennatur spricht! Das gute Julchen hielt meine gewiß nicht strengen Blicke nicht
Gestimmt zu den süßesten Regungen gingen wir nun beide zur Nichte, wo wir den Tag in stiller Heiterkeit zubrachten. Nachher stellte auch Eiche sich ein; mein volles Herz trieb mich unzählich oft an, seine und meiner Tochter Hände in einander zu legen, aber Eiche selber hielt mich durch die ehrerbietige Entfernung, in der er von dem Mädchen blieb, davon zurück.
Jetzt nahm ich auch gelegentlich eine Musterung mit meiner Tochter Kenntnissen vor, die mir, den Aufwand in Kleidern ungerechnet, 800 Thaler kosteten; aber ich bemerkte bald, daß sie, in mancher Rücksicht, wirklich zurückgegangen war. In ihrem Kopfe war ein Chaos von gar mancherlei; die Begriffe schwankten und schwammen durch einander; weil's nicht virtuosenmäßig wäre. Gott! wie so oft waren wir überirdisch froh bei unserm und ihrem einfachen ländlichen Gezwitscher gewesen!
Gegen Abend, da wir recht lustig zu werden begannen, kam ein Bote von Hause, mit der Nachricht, daß meine Frau von einem todten Sohn entbunden sei. Sie vermisse mich sehr zur Unzeit im Hause, ließ sie mir sagen; ich mußte mich also geschwind aufmachen. Meiner Tochter hinterließ ich meinen herzlichsten Segen, übergab sie im Voraus der Falkschen Familie zur künftigen Hausgenossenschaft, führte sie auch Eichen zu, der ihr mit einem herzlichen Handschlag zusagte, als ihr bester Freund für ihre Zufriedenheit sorgen zu helfen. »Du lieber, guter Mann!« dacht ich, »Dein Wille ist
Jetzt knallte grade Gürge mit der Peitsche vor dem Pfarrhause, und erinnerte Grünthalen, daß es jetzt auch Zeit sei der Heimat zuzueilen. Der Amtmann brach für diesmal ab, und wünschte seinen Freunden eine gute Nacht.
Nun erhielten Seelmanns von Grünthal, zur Ergänzung der Begebenheiten, die Briefe nach ihrer Zeitfolge.
»Ganz etwas Neues, mein Liebchen! Ich heirathe; – es ist unique! – aber nicht den Herrn Bräutigam, den Du die Ehre hast zu kennen: dem hab' ich in Gnaden seinen Abschied ertheilt. Denk' Dir den Biedermann von dreihundert Jahren her, der sich einfallen ließ, von Einschränkungen neuerfundener Bedürfnisse, von süßem Genuß häuslicher Glückseligkeit, wie er die Monotonie des Ehestandes zu nennen beliebt, und dergleichen altfränkischen Jargon mehr, mir vorzureden! Auf Ehre, der Mensch kann kein Edelmann seyn! – Sein Vater war sicher ein Gewürzkrämer, oder irgend ein Federkäuer. – Nein, mein häuslicher Herr Baron, ich bin des Zwanges herzlich müde, den mir mein übel disponirter Papa und seine fette Dulzinne in Chaqu'un à son tour.
Doch zum neuangeworbenen Promis. Du wirst Dich zu Tode lachen; denn es ist kein andrer, als der, ich denke sechszigjährige Herr von K .., über dessen Gurkengesicht und Spindelbeine wir so oft unser Späßchen hatten. Der Herr hat gütigst bemerkt, daß Fräulein Mariane schön und witzig ist, daß ein junges galantes Weib seinem baufälligen Ansehn ein Rélief geben würde, und darauf war denn Fräulein Mariane so großmüthig, sich seine wirklich fürstlichen Geschenke gefallen zu lassen; aber Juliette, der Ring war auch dabei. Der Ring! – Bei allem Muthe seufzt' ich doch. Wie? wenn das verwünschte Rund ewig hieße? wenn die baufällige alte Burg auf festerem Grunde stände, als unser eins ihr zutraut? – Gut, gut, auch Falk meine ich. Mein Spindelfüßchen wird Dir sein Kompliment machen. Wenn der Geck nur nicht so verliebt thäte! Das verwünschte Deutschschreiben wird mir blutsauer! – A dieu, chère amie! Komm' hübsch bei Zeiten zu Deiner
Mariane v. L..«
(Julchens Antwort.)
»Wie glücklich sind Sie, Mariane! Ihre muntere Laune verläßt Sie auch bei den Sie? Sie werden glücklich seyn; aber ich? ach! ich werde es nie werden! Der arme Baron! Seine Leiden gehen mir zu Herzen! Er hat Sie redlich geliebt! – Spotten Sie meiner Cousine nicht; wollte Gott ich wäre eine Betschwester, wie sie es ist! Sonst war ich auch wohl fromm; aber jetzt! – Wenn Sie wüßten, wenn ich Ihnen sagen dürfte – – doch ich komme immer wieder auf den Baron. Er dauert mich von Herzen! Kein Leiden geht über gekränkte Zärtlichkeit. Leben Sie wohl, mein Fräulein! Ich bin so ganz verstimmt, daß ich besser thue ich breche ab.
Julie Grünthal.«
Mariane beantwortete diesen Brief in dem muthwilligsten Tone; Julie (glaubte sie) hätte wahrscheinlich in einer alten Postille,
»Sie haben wohl recht, meine Beste. Ich quäle mich selbst, und ändre nichts damit. Mein Herz geht seinen Weg unaufhaltsam fort, wenn gleich die Vorurtheile meiner ersten Erziehung mir zuweilen wie Gespenster erscheinen, und meine Seele mit Schrecken erfüllen. Sollte das Sünde seyn, was der Schöpfer selbst mit glühenden Buchstaben in unsre weiblichen Herzen schrieb? War es denn Sünde, daß mein Vater meine Mutter liebte, ehe sie die Seinige wurde? Er ward glücklich; sollte denn ich es nicht auch werden können? – Warum hat er mir doch so ängstliche
(Zur Erlangung dieser Einsichten war ihr nicht sowohl Fräulein Mariane, als die alte unwissende taube Französin behülflich gewesen; denn da Madame Brennfeld es zu sehr unter ihrer philosophischen Würde hielt, sich mit solchen Kleinigkeiten zu befassen, als die Zeitverkürzungen junger Mädchen sind, hatte die alte Frau sich gern ihrer Jugend erinnert, indem sie mit ihren Untergebenen ihre Lieblingslesereien wieder einmal aus dem alten morschen Koffer, der alles war, was sie auf dieser Welt besaß, hervorholte. Diese bestanden nun in nichts anderm, als der Prinzessin von Kleve, dem glücklich gewordenen
»Und doch, Mariane, wäre es vielleicht besser, ich wüßte von dem allen nichts. Mich grauet, wenn ich mir die einfachen, herzlosen Auftritte des häuslichen Lebens denke, wenn ich mir die niedrigen, elenden Geschäfte einer bürgerlichen Wirthschaft vorstelle, zu welchen ich wahrscheinlich bestimmt bin. Ich weiß nicht gewiß, was für Absichten mein Vater mit mir hat; aber etwas ahne ich davon, und ich wollte lieber sterben als es eingehen. – Mariane, ich stehe an, Ihnen mein Herz zu entdecken; aber es geht in sich selbst zu Grunde, wenn
Nun folgt eine unendlich lange Zergliederung der süßen, namenlosen Gefühle, welche ihr Herz durchschauert, als sie Marianens Bruder zuerst gesehen. Als sie auf dem ersten Balle den Walzer mit ihm getanzt, habe unnennbare Wonne durch ihr ganzes Wesen gezuckt. Sie schildert mit vieler Lebhaftigkeit und sehr romanhaft alle die Kämpfe, die es ihr gekostet; die sie nämlich hätte bestehen sollen, aber mit keinem Gedanken bestanden hat. Erst war sie zu schüchtern gewesen, seine, ihr durch den Friseur zugestellten, Briefe anzunehmen; dann, wenn sie wieder bedacht hätte, daß Andre, die besser geachtet würden, als sie, nicht so viel Umstände machten, hätte sie einen den dachte, gegen den ihr Herz sie so unwillkührlich fortriß, ihn sich mit aller der Liebe, in all' seinen Reizen dachte, da tausend Vorstellungen dieser Art sich allmächtig vor ihrer Seele drängten, in einem solchen Moment zerknickte das Siegel (ganz von ohngefähr, wie sie betheuerte; – vermuthlich haben die Küsse es zerschmolzen), und nun tränkte sie ihr Herz tropfenweise mit allen den Süßigkeiten, mit welchen der verführerische Bube ihre müssige, weichliche, und
»Am Montage war ich bei Falk's gewesen. Bei dem rührenden Anblick des Glücks, das Karoline in ihrer Liebe zu ihrem Karl findet, wurde mein Herz ungewöhnlich erweicht. Voll dieser Empfindungen kam ich nach Hause, und begab mich in das Kabinet neben der Lektionsstube. Der Mond dämmerte durch die Weinreben am Fenster. Ich warf mich auf einen Stuhl. Mein Herz war voll und gepreßt. Ich dachte nichts Bestimmtes; ein dunkles Sehnen stimmte mich zur Wehmuth. Thränen brachen unwillkührlich heroor; ich erschrak über die neue Heloise. Jedes Wort war mir aus der Seele geschrieben, jedes schrieb sich glühend in mein Herz. Sogar Übereinkunft der Namen. Julie! – Die Stimme versagte mir zuweilen, wenn ich ihn aussprechen sollte! – Es war als hört' ich ihn jemand anders rufen. Ich versetzte mich leicht in Juliens Lage; und gewiß, ich glühte über und über. Wir lasen bis zwölf Uhr; und ich hätte, ohne müde zu werden, wieder bis zwölf Uhr gelesen. Jetzt zu Bette zu gehen, war mir unmöglich. Meine Seele war wie aufgelöset; tausend Bilder umschwammen mich. Ich war Julie, und – o Mariane, haben Sie Mitleiden mit mir; ich darf Ihnen nie wieder ins Gesicht sehen – meine Einbildungskraft war aufs höchste gespannt. ein mal zu dem schwächsten Kampfe hervor. Fragen Sie nicht, was ich schrieb. Es war alles Herz, alles Feuer und Seele, was ich in vollen Strömen auf das Blatt vor mir goß; und nun ging ich, wie entledigt drükkender Bande, zu Bett. Meine Phantasie war aufs lieblichste angeregt. Ein sanfter Rosenschimmer umfloß mich, Nachtigallen sangen ein himmlisches Chor, und feierten die erste Liebe meines jungfräulichen Herzens. Ich schwärmte mit meiner Phantasie in der Laube, in welcher Julie ihrem St Preux feierlich den ersten Kuß gab; ich war – – o Mariane, hätte mein Vater, hätte Gott vor mir gestanden, das zauberische er sollte ihn lesen. O Gott! – Indem trat Magot ins Zimmer. Mein Muth, der schon im Sinken war, verließ mich nun vollends; nie werd' ich mich diesem fremden Menschen anvertrauen können! dacht' ich. Magot stand im Begriff zu gehen; noch war der
Nun hat Louis den Brief, er und Sie werden mich verachten, und ich werde das elendeste Geschöpf auf Gottes Erde seyn.
Diesen Brief wird Ihnen Monsieur Belair zustellen. Lassen Sie mir ein paar Zeilen Antwort zukommen. O, wie beb' ich, sie zu erhalten! Mir wird das Gesicht vergehn, finde ich den Namen Louis; und finde ich ihn wieder nicht, so – – o, ich Ärmste! mir ist nicht zu helfen. Heute soll ich an meinen Vater schreiben; Gott weiß, wie ich das machen soll! Es ist, als
Sie sehen, lieber Seelmann, wie mein armes Mädchen sich selbst täuschte, und ihre traurige Entfernung von dem Vaterherzen nicht in sich, sondern in meiner zweiten Heirath zu finden meinte. Ich erstaune, wo ich den Muth hernehme, Ihnen alle diese Umstände, die mein Herz so ganz zerbrochen haben, zu wiederholen. Marianens Antwort war völlig so, wie sie sich von einem so verzerrten Karakter erwarten läßt. Julchen, – schrieb sie, – würde sich durch ihre alberne Bedenklichkeiten noch völlig unglücklich machen; das wären die tristen (traurigen) Früchte der pedantischen Erziehung, die ihr Vater ihr, zu ihrem Unglück, gegeben hätte. Die würden ihr, wenn die feinste Berlinische Welt noch hundert Jahre an ihr bildete und deniaisirte, immer noch ankleben. Was
Julchen hatte nun den ersten, viel kostenden, Schritt gethan; der zweite, den sie zu ihrem Verderben that, war der Besuch, welchen sie bei Marianen abstattete, und wozu sie von ihrer sogenannten Aufseherin um Moral und Moralität fleißig im Munde führte. Bei diesem unseligen Besuche wurde das arme verblendete Mädchen ganz zu den elenden Grundsätzen des Bruders und der Schwester hingerissen. Sie kamen über den Ort ihrer Zusammenkunft überein, verabredeten alle die Ränke, durch welche die Aufseherin und der arme leichtgläubige Vater hintergangen werden sollten; und wenn der Pfaffe (Eiche) sich d'rinn zu mischen gedächte, so sollten junge Offiziere, des Kornets Spießgesellen, dies durch irgend eine öffentliche Beleidigung rächen. So war denn alles Freude Eiche sei; sie wollte aber bemerkt haben, daß Julchen diesem absichtlich mit der äußersten Kälte chère madame so annehmlich fand. Ich setzte mich aber in der ersten Hitze hin, schlug beiden alles ab, und das in Ausdrükken, wie meine Mißbilligung sie mir eingab; wobei ich mich gern jeder Gefahr aussetzte, was die beleidigte Philosophin mir dagegen für Ehrentitel würde geben wollen. Meiner Tochter antwortete ich mit ungewohnter Strenge, so daß sie mich gewiß einen grausamen Vater genannt haben wird. Ich schrieb ihr, sie sollte keine Stunde über das bestimmte Vierteljahr in dem verwünschten
»Was soll aus mir werden, Mariane? Mein Vater begegnet mir grausam; unsern Plan verwirft er gänzlich. Mit ganzer Seele würde ich mir den unangenehmen Beruf einer Unterhofmeisterin haben gefallen lassen, weil der Lohn so unaussprechlich süß gewesen seyn würde. Wenn ich nun aber bei Falk's bin: ach, dann ist es beinahe ganz unmöglich, daß ich meinen Geliebten sprechen kann! Karoline ist so strenge, ihr werde ich mein Herz nie entdecken können; mir bleibt denn nur die Kirche übrig, und auch dahin wird die ehrliche Plagerin mit mir gehen. Ich hasse schon in Voraus alles, was mir im Wege steht. Zuweilen werde ich zu Madame Brennfeld gehen. Sie wird ihm gewiß erlauben,
Ihnen, Mariane, darf ich es wohl gestehn, daß ich oft, mitten im höchsten Rausch der Liebe, innerlich leide. Marternde Erinnrungen, o, wie verbittern sie mir jugendlichen Genuß! Sie werden darüber spötteln, Mariane; allein im Herzen sind Sie mir doch gewogen, und verstatten mir, um mein selbst willen, die Erleichtrung des Mittheilens.
Gestern suchte ich etwas unter meinen Papieren, Sie rathen wohl was? Da fiel mir Wir wenden alles an Dich, mein bestes Kind,‹ heißt es darin, ›damit Du uns einst Ehre und Freude machen sollst. Bleib' ja fromm und rechtschaffen; behalt' Gott im Herzen, wie Du es uns so heilig versprochen hast. Es
würde mein Tod seyn, wenn Dein Vater mir mit Recht Vorwürfe machen könnte, daß ich an Deinen Aufenthalt in Berlin Schuld bin.‹ Ach Gott! wer so, wie ich, den sanften, herzeindringenden Ton ihrer Bitten kannte! O, ich kann, ich kann diese so einfachen, rührenden Worte nicht
In eben dem Kästchen, worin der theure Brief lag, fand ich auch den Anfang eines Tagebuchs, das ich in verschiedenen Absäzzen, auf Anrathen meines Vaters, über mein Herz hielt. Mariane, es war nichts geringeres als ein feierlicher Bund, den ich, nach Anleitung des frommen Doddridge, mit Gott errichtet hatte. Ich habe eine feierliche Zusage, immer fromm und rechtschaffen zu seyn, aufgesetzt, und eben gestern war es ein Jahr, daß ich diese Zusage that. Ach, guter Gott, ich habe seitdem mit keiner Wie ist mein Herz so fern von Dir, etc.; da kamen Thränen, mein Herz öffnete sich, und ich weinte bitterlich. Vorsätze dämmerten in meiner Seele auf; aber die Dämmrung wurde nicht Licht, eine trübe Wolke düstern Unmuths umhüllte sie, es folgte bald ein Zustand der Erschöpfung, und ich verfiel in Gedankenlosigkeit und Zerstreuung. Im ganz gut, oder ganz dem Leichtsinne gelebt. O, diese Rückfälle, sie sind tödtlich! Noch wenige Jahre, und die Rosenzeit ist dahin! Jahre, ach Gott! eine Krankheit, ein bleichender Kummer, und dahin ist sie! Mariane, schelten Sie nicht, wenn ich Ihre frohen Augenblicke trübe; ich werde mich bemühen, heiterer zu schreiben. Für diesmal meinen Gruß und Kuß.«
Bald nachher schrieb sie wieder:
»Noch immer keine Sylbe von meiner neu vermählten Freundin! Haben Sie mich vergessen, Mariane? verdrängen interessantere, neuere Bekanntschaften die arme Julie? – Ihr Bruder ist auch noch nicht von seinem Urlaub zurück. Liebte er wie mein Herz ihn liebt, würde er dann so lange säumen? O, trösten, trösten Sie Dörte habe recht. Er lobte die blendende Weiße meiner Haut, und nannte mich ein reines Maienblümchen. Bald nachher schimpfte die Madame auf meinen faden
Auch fordert sie jetzt beinahe niedrige Dienstleistungen von mir, und giebt mir Tagaufgaben, die ich schlechterdings nicht bestehen kann. Mir einige Erleichterung zu verschaffen schenkte ich ihr das Tischgedeck, was mir meine liebe selige Mutter zuletzt schickte; aber wenn ich dergleichen Liebesproben nicht alle Tage geben kann, bin ich wenig gebessert. Unter dem Vorwande, mich in Wirthschaftsgeschäften zu üben, schafft sie eine Arbeiterin nach der
Endlich antwortete Mariane:
»Um des Himmels willen, Liebe, quäle nicht auch mich noch mit Deinen trübseligen, schwärmerischen Grillen! Findest Du Dein Glück in dem andächtigen Gewinsel: gut, so winsele Du; aber mich verschone damit. Warum sollte man sich, wenn die Rosenzeit (wie Du sie nennst) da ist, und der Himmel schöne, gedeihliche Frühlingstage giebt, sie mit Vorstellungen und Besorgnissen es giebt der Töffel mehr, die besser sind als et Legt die insolente Schulmeisterin Dir ihre üble Laune in den Weg, so lache sie aus und wirf ihr Deine Geschenke vor. Daß sie eifersüchtig über Dein wunderschönes Lärvchen ist, habe ich längst bemerkt. Du hast so ein süßes Idyllengesichtchen, das besonders den jungen gefühlvollen Theologen zuzusagen pflegt und bei welchem sie in eine elegischpoetische Stimmung gerathen; aber dergleichen verzeihen diese Sentenzenkrämerinnen nicht. Sie wird Dich mit ihren Orakelsprüchen bas plagen; doch hör' nicht d'rauf, sondern singe Dir eins, und kucke aus dem Fenster. Besser kann ich Dir nicht rathen. Mir geht es auch nicht nach Wunsch, aber so bald lasse ich
Als ich aus dem lustigen Stadtgewühl plötzlich in diese ländliche Einöde versetzt ward, wurde mir bei aller meiner Keckheit doch ein wenig bange um's Herz; denn was die Dichter auch über das Landleben so blumenreich phantasiren, mir ist ein Baum ein Baum, und die Strohhütte das traurigste Asyl auf Erden. Üble Laune ergriff mich wider meinen Willen, und der Herr von L.. wurde mir mit seiner bräutigamsmäßigen Zudringlichkeit unsäglich zuwider. Ich mußte meine ganze Politesse zusammennehmen, um ihn nicht bei jedem Worte, bei jeder Schmeichelei, womit er mich peinigte, anzufahren. In der Stadt, wo man von ganzen Schwärmen lieber Jungen umflattert wird, merkt man nicht so ganz die Lästigkeit eines solchen Amanten; une folle.
Und d'rauf der Hochzeittag, mein Kind. Meine Kleider hast Du gesehn. Ohne Eitelkeit, ich gefiel mir. Rosen und Myrthenfestons im silberglänzenden Flor. Leicht schwebte der Myrthenkranz auf meinem braunen lockigen Haar. Alles schön, nur der Bräutigam nicht; sein Haar dünn und beinahe schon ehrwürdig, sein Teint gelb und Oliven; doch Du kennst ihn ja. Wie viel Paar Strümpfe er mochte angezogen haben, um nur eine Art von Verhältniß zwischen Bein und Körper herauszubringen, kann ich nicht sagen. Ein Hochzeitgast vis-à-vis gemacht, und mich durch sein possenhaftes Mienenspiel aufgemuntert, ich glaube, mir wäre übel geworden; denn es ist bei dem allen doch ein fürchterlicher Auftritt. Die Fête nahm sich für eine Dorfgala nicht übel aus. – Nun hör', was weiter geschah: Kein Mensch außer meiner Nanette wußte um mein Vorhaben. Als man uns mit den gewöhnlichen steifen Zeremonien in die Brautkammer geführt hatte, ließ ich meinen alten Geck seine veraltete Zärtlichkeit herperoriren; dann trat ich mit schalkhaftem Lachen vor ihm hin, machte ihm meinen besten Kniks, und sagte: mein Herr von L.., wenn Sie geglaubt haben, sich eine nächtliche Gesellschafterin an mir zu erheirathen, so verstanden Sie eine Mauer trennt uns. Ich wünsche Ihnen angenehme Träume von Ihrer schönen Braut. Ich öffnete das Nebenzimmer, und ließ ihm mein Bette, meinen Nachttisch, und was sonst noch zum Schlafzimmer gehört, sehen. Ich ging, und warf meine Thür ins Schloß. Er verhielt sich ganz stille. Ich plauderte noch mit meiner Jungfer, und bald nachher, als ich sie entlassen hatte, dünkte es mich als hörte ich ihre Stimme in dem Zimmer meines Gemahls; es war mir sogar, als ob ich sie lachen und meinen Namen nennen hörte. – Zur Gewißheit habe ich indeß diesen Argwohn nicht gebracht; ich möchte die Närrin nicht gern erzürnen.
Die Folgen dieses Einfalles hatte ich zuerst eine gute Nacht, und ging ganz freundlich in sein Schlafzimmer. – Der hämische Kerl! wie gleichgültig er meine Verachtung ertrug! – Schon gut, dacht' ich; es wird denn doch etwas zu erfinden seyn, das Dich verdrießt. Ich that schön mit seinen hübschen Bruder; aber auch das verschlug ihm nichts. So verhetzten wir uns acht Tage lang gegen einander, bis die Gesellschaft sich nach und nach verlor, und ich mit meinen zärtlichen Gatten allein
Was fange ich nun an, mein Schatz? Setzt mir Herr von L.. ein gutes Jahrgeld aus, so ist meine Absicht erreicht. Ich habe an meinen gewesenen Bräutigam geschrieben, und ihm alles vergeben; (kannst Du mir nicht sagen, Julchen, was er gethan hat)? Ich habe ihn ersucht herzukommen; vielleicht kommt er. Lieber todt, A dieu, cher coeur.
Mariane.
N. S. Schick' mir doch die hochgepriesene Heloise. Bis jetzt habe ich mich nie an ein Buch gewagt, das mehr als fingerdick war. Schick' mir auch von den neuesten Hüten. Und Du, Kind, hüte Dich vor den andächtigen Rückfällen; Du ververbitterst Dir Dein Leben. Nenne mich doch Du. Schönheit adelt und macht alles A dieu, à dieu, die Langeweile macht mich zur Briefstellerin. Je t'embrasse de tout mon coeur.«
Julchen fand das Benehmen ihrer Freundin gegen ihren Mann höchst witzig und lose. In allen Gesellschaften, sagte sie, würde davon, als von einer bonne plaisanterie gesprochen. Madame Brennfeld gedenke nie ohne Lachen des Auftritts in der Brautkammer. Mariane sei schon immer ein loser Schelm gewesen. Von Louis, schrieb sie ihr, sei noch keine Nachricht da. Der Urlaub sei seit drei Wochen verflossen. Es sei schon vom Regimente an den Großonkel, wo er sich aufhalten solle, geschrieben. Da wäre er gar nicht gewesen. Sie habe auch nun, vor Unruhe und Besorgniß, gar keine bleibende Stelle mehr; sie wanke rastlos umher. In vierzehn Tagen ziehe sie zur Cousine. Eiche war in der Gesellschaft. Das Dorf war freundlich und gut, wie mein Geburtsort. Wie frisch lebten da alle meine ersten Jugendgefühle in mir auf! wie gern hätte ich mich so meines Lebens wie damals erfreut! aber Gott weiß es, was für ein banges drückendes Gefühl sich den helleren Vorstellungen Eiche ist ein sehr rechtschaffner Mann, und ich glaube er ist auch schön, wenn man keinen andern kennt. Er ist aber so sehr zurückhaltend, Eiche schien besondern Vorstellungen nachzuhängen; das ist indeß
Zu Hause ward ich sehr unfreundlich empfangen; Madame Brennfeld sagte, das späte Ausbleiben schicke sich nicht (es war noch nicht zehn Uhr, so genau pflegt sie es sonst nicht zu nehmen). Ich antwortete nicht, und dachte: die kurze Zeit will ich still seyn und dulden. Ich habe doch in ihrem Hause manche Freude genossen: ihr habe ich Sie zu verdanken; Ihnen den Geliebten. Sie hat Gefühle, die verworren in mir lagen, entwickeln helfen; sie hat mir Schätze des herrlichsten Geistesgenusses geöffnet, die ich in dem einförmigen Kreise der häuslichen Geschäfte und des trocknen Umganges mit meinen Verwandten nie kennen gelernt hätte. Wie hätte ich auf dem Lande von dieser rüder Mann! – Nie ist's mir so einleuchtend gewesen, als da ich ihn zuletzt sah. Gott, wie unempfänglich jedem sanftern Eindruck! Ich war halb ohnmächtig, wenn er in so wenig gewählten Ausdrücken alle Einrichtungen unseres Instituts tadelte, und sie Wind und zwecklose Zeitverschleuderung nannte. In seinen Augen geht nun einmal nichts über eine gute Wirthin und Kindermutter. – Lieber Gott! ich denke das ist alles recht gut und schön zu seiner Zeit; aber da wäre unserm Geschlechte ein recht elendes Loos zu Theil geworden, wenn es bloß dem Manne Essen und Wäsche besorgen sollte, und sich mit den Kindern zu quälen hätte. Gott weiß, wie vis-à-vis zweier Eheleute seyn, welche sich die interessanten Ereignisse ihrer häuslichen Einrichtung mittheilen: um wieviel Zeit die Köchin vom Markte gekommen ist? und ob die bunte oder die schwarze Henne legt? Karoline ist ein braves Weib, aber für eine so junge Frau ungemein ernsthaft; und wenn sie lieset, sind es ernste Bücher, die ein Kirchenrath lesen könnte, und die sie wie ein Magister beurtheilt. Künftig werde ich dabei sitzen, und wehmüthig in die frohe Zeit zurückblicken, die ich in dem bunten Kreise junger munterer Leute in stets abwechselnder Unterhaltung verlebte; in die Wonnezeit, da ich täglich einen süßen Beweis der Zärtlichkeit von dem Geliebtesten unter allen Menschen an meine Lippen drückte, u.s.w.«
Liebe, die so oft aus Affen Menschen, und Menschen zu Affen macht. – Dieses hätte aber eben so gut im Dorfe als in der Stadt eintreten können. Setzen Sie indeß einmal den Fall, daß ein Mädchen, welches die allerersten Eindrücke außerhalb dem elterlichen Hause erhalten, und beinahe schon mit der Milch die Maximen der sogenannten verfeinerten Lebensart eingesogen hat; das man, ehe seine Begriffe sich noch entwickelten, seine wahren Empfindungen unter nur eines, das eine gute Gattin und Mutter geworden wäre, so will ich sagen: geben Sie Ihre Tochter hin, vielleicht thut Gott ein Wunder, und bewahrt ihr Herz vor Eitelkeit. Denken Sie sich nur, daß die armen jungen Geschöpfe sich nie unterstehen dürfen, nach ihrem eigenen Gefühl zu sprechen; daß die Aufseherinnen nie einen eigenen Gedanken bei dem Kinde aufkommen lassen; daß die Gouvernante, wenn man ihren Zögling um etwas fragt, sogleich ins Wort fällt, ihren eigenen Witz anbringt, und ein Kompliment herleiert, welches das arme kleine Ding oft mit weinerlicher Stimme nachbetet. – Müssen dadurch nicht falsche Menschen gebildet
Aber wo gerathe ich hin! Doch Wahrheit steht immer am rechten Orte; und weil ich einmal dabei bin, Seitensprünge zu machen, so erlauben Sie mir, noch einen Mißbrauch zu rügen, der – mit Erlaubniß, Frau Pastorin, – ihrem ganzen Geschlechte als Erbübel eigen ist: ich meine die Schwachheit, einen ausgezeichneten Werth auf körperliche Vorzüge zu legen. In einem gesunden Leibe kann eine gesunde Seele wohnen. Sie thut's nicht überall und jederzeit, aber der Satz ist richtig; und daher ist alle Pflege, die auf Gesundheit des Körpers abzweckt, höchst vernünftig. Die weibliche Aufsicht geht indeß gemeinhin nur auf Schönheit aus, und das ist nicht recht. Schon in meinem Knabenalter fiel mir's besonders auf, daßIst sie hübsch? Ist sie gut gewachsen?« Ich habe nachher in allen Frauengesellschaften die nämliche Bemerkung zu machen Gelegenheit gehabt. Nie wird gefragt: ist sie sittsam? ist sie häuslich? hat sie weibliche Geschicklichkeiten? etc. – Ihr glaubt's nicht, liebe Weiberchen, welchen Eindruck das auf Eure Töchter von früher Jugend an macht. Natürlich denken sie: Schönheit, und alles, was diese geltend macht, sei des höchsten Bestrebens werth; um so mehr, wenn sie bemerken, daß gute liebe Mädchen, welche die Natur nicht begünstigte, oft sogar von ihren Eltern zurückgesetzt werden. Die Schönheit ist ein dankenswerthes Geschenk der Natur, doch aber nicht das erste und vorzüglichste; wozu sie freilich dann erhoben ihren Werth, aber nicht den Preis; und damit sei es für heute genug.
Ich hatte in langer Zeit nur drei oder vier Briefe von Julchen bekommen. Es war mir nicht möglich, ihr keine Vorwürfe deshalb zu machen, wobei mir Anspielungen auf den wahren Zustand ihres Herzens entfallen seyn mochten. Sie beantwortete dies in einem beleidigten Tone, der mich das sanfte, folgsame Mädchen gar nicht wieder erkennen ließ. Dabei entschuldigte sie sich
»Dein Brief, liebe Juliette, hat mich ungemein amüsirt. Hab' ich's Dir nicht schon lange gesagt: der Pfaffe hat ein Auge auf Dich? Um alles in der Welt, mein Schatz, werd' mir keine Priesterfrau! Hörst Du? werd's ja nicht! Das sind die Unausstehlichsten aller Unausstehlichen! – Du schickst Dich nicht dazu; denn Du bist in allem Ernst demüthig und bescheiden, verstehst Dich schlecht auf Geträtsche, und bist bei weitem nicht eitel und abgeschmackt genug, Dir auf fremdes Verdienst etwas zu gute zu thun. Ich habe einen wahren Gräuel an dem niedrigen Stolze dieserC'est un mariage, que de n'en aimer qu'un!
Deine Heloise ist unleidlich. Tugend und Liebe, und Liebe und Tugend, das einem die Ohren weh thun! Hier ist sie zurück. Schick' mir Komödien von der sauersüßen Gattung, hörst Du? Was doch in aller Welt mit dem Louis seyn mag! A dieu, portez vous bien!
Mariane.«
(Julchen an Marianen.)
»Ich bin verloren, Mariane! Unglücklicher ist noch kein Mädchen in der Welt gewesen! Ihr Bruder ist fort. Man hat Nachricht, daß er sich, unter fremden Namen, in Hamburg aufhält, und daß er da mit den dänischen Werbern umgeht. O, es kommen entsetzliche Dinge heraus! Ich wage es kaum, seinen Namen zu nennen,
Schon seit einiger Zeit fuhr ich immer zusammen, wenn ich Magot kommen sah. Es fehlte mir an Muth, ihn nach – o, wie nenn' ich ihn jetzt? – zu fragen, und doch wenn der Mensch fort war, und nichts von ihm gesagt hatte, war ich den ganzen Tag wehmüthig. So hofft' ich von einem Morgen zum andern. Vorgestern bemerkte ich, daß Magot mit der Madame angelegentlich sprach. Ich hörte einigemal den Kornet nennen, und sah, daß sich Madame entsetzte. Ich zitterte am ganzen Leibe. Beim Herausgehn nahm Magot seine Zeit so gut wahr, daß er mir einen Brief, oder
›An Mademoiselle Grünthal.
Liebenswürdigstes Mädchen! Der Mensch, den Sie mit Ihrer Liebe beglückten, ist derselben, wie er selbst gesteht, nie werth gewesen. Seine verzweiflungsvolle Lage hat ihn genöthiget, sich vom Regimente zu entfernen. Die ungeheure Verschwendung seiner Mätresse, der Figurantin
Der Lieutenant, Graf von ***.
N. S. Magot wird mich Ihnen näher bekannt machen, englisches Mädchen.‹
Fühlen Sie die entehrende Demüthigung, Mariane? Ich bin tief, tief an meiner Ehre gekränkt. Wie verabscheue ich ihn! ihn, mich, und alle, alle die dazu beitrugen, mich elend zu machen! Gott, wäre ich nur schon aus diesem Hause! Der Fußboden brennt unter mir! Könnt' ich mich in die Erde verkriechen! O! und habe ich ihn nicht so treu, so einzig geliebt? Mehr als mein Leben hätt' ich für ihn hingegeben; und er? eine liederliche Tänzerin, ein wollüstiges Judenmädchen neben mir! – Ein armes, unerfahrnes, liebevolles Mädchen so zu hintergehen! – Ich werde sterben, Mariane. Wünschen Sie mir's. Ich verachte ihn, und kann ihn doch nicht hassen. Arme Schwester, ich bedaure Sie! Gott beruhige Ihr Herz!«
»Das ist bei dem allen ein böser Streich von Louis! Wo es mich nicht geahnet hat! Hätte er nur auf v. L.. keine Schulden gemacht! Dieser Unhold wird's mich nun entgelten lassen. Es ist schlecht von meinem Bruder, das gesteh' ich. Sonst wundre ich mich, liebes Kind, daß Du wegen der kleinen Seitensprünge des losen Vogels so außer Dir bist. In der That, ich glaubte Du wüßtest das alles. Du hast sie auf den Pickenik gesehn, von welchen Dein Vater Dich heimholte. So auch sein Rachelchen, von der vermuthlich die rabenschwarze Locke ist, die, – ich muß wahrhaftig lachen, ich kann mir nicht helfen – drollig genug, grade in Deine Hände gerathen mußte. Ich rathe Dir, nimm es heut' zu Tage mit den Männern so genau nicht. Wir lassen sie machen, und Du en vogue gebracht? Übrigens sterben wirst und mußt Du nicht. O weh, wie viele Leichen würde es geben, wenn man von fehlgeschlagenen Liebeleien stürbe! – Übel disponirt hat mich indeß das Geschichtchen doch. Schreib mir bald, ob der Graf Dich getröstet hat. Adieu, armes Mädchen, leidende Schöne! Wie interessant Du seyn wirst! Geh', ich beneide Dich! bin aber doch Deine Freundin
Mariane.«
Nach diesem Vorfalle blieb meine Tochter noch ohngefähr acht Tage in der Pension, Eichen zu sehn bekam. Sie war unablässig geschäftig, Zeitvertreibe und Zerstreuungen für sie zu erfinden, suchte sie nebenher in häusliche Arbeiten zu ziehen, und bei ihr den Geschmack an den Geschäften des häuslichen Lebens wieder zu wecken. Sie gab, wider ihre Gewohnheit, Besuche, veranstaltete kleine Lustbarkeiten und Fahrten aufs Land, und ließ sich durch die kalte, beinahe unfreundliche Art, mit der das Mädchen ihre Liebe aufnahm, im geringsten nicht abschrecken, in ihrem edlen Eifer fortzufahren. Sie erreichte aber ihre Absicht so wenig, daß das undankbare Mädchen vielmehr, verdrießlich darüber, folgendes an Marianen schrieb:
»Wenn ich's den Leuten nur sagen dürfte, wie sehr mich ihre Zudringlichkeit wartert! Es liegt ein recht peinigendes Gefühl darin, daß ich ihre Freundschaft nicht erwiedern diesen Gesellschaften und jenen muntern, ungezwungenen gewöhnen können, deren Seele eine Mariane war, und ein – ach, daß er so liebenswürdig seyn mußte! – Da kommen denn die förmlichen deutschen Degenknöpfe, mit ihren Frau Gemahlinnen am Arm, und unterhalten die Damen mit Politik oder den Ereignissen bei der letzten l'Hombreparthie. Noch nie befand ich mich in einer so unangenehmen Lage. Es ist mir alles verdrießlich; es ekelt mich alles an; es kostet mir Überwindung, den Leuten auch nur höflich zu begegnen. Und wenn ich zuweilen ein einsames Stündchen erhasche, so kömmt die dienstfertige Karoline, und zeigt mir die
Es sollte mir sehr leid thun, meine Beste, wenn Sie meine Unbehaglichkeit einem Rückfalle von Liebe zuschrieben. Ich verachte sein Andenken; aber er füllte meine Seele so ganz, er war mir ein langer zusammenhängender Gedanke, ein Begriff, auf den ich alles bezog. Und nun plötzlich so schmerzhaft abgerissen! Es ist als hätte ich aufgehört zu leben; ein Stillstand aller meiner Kräfte, eine entsetzliche Lücke, eine düstere Todtenstille herrscht in meiner Seele!allein nicht mehr zum Leben genug! Wohl Ihnen, Mariane, daß Sie so leichtes Blut haben, und so frohen Herzens sind! Ich irre unstät umher, und suche ängstlich etwas, das die Gefühle der Vergangenheit in meiner Seele erneuen soll. Es wäre mir alles willkommen, wenn nur diese Stille, diese Öde nicht wäre. Einmal bin ich bei Madame Brennfeld gewesen, aber auch dort befriedigt mich nichts mehr. Ich bin aus dem liebenswürdigen Kranze hinweggepflückt, und habe aufgehört dort einheimisch zu seyn; ach! in dem Hause, das mir so lieb wie das väterliche, ja noch lieber geworden war!«
Dies sind die merkwürdigsten Stellen ihres Briefes, die den unlustigen widrigen Zustand
Ich hoffte indeß alles von Karolinens Verstande und trefflichem Herzen, auch von Eichens naher Bewerbung um Julchen. Ich dachte: wenn er ihrer Zuneigung gewiß ist, soll in anderthalb Jahren die Hochzeit seyn. Gern hätte ich die Heirath früher vollzogen gesehn; ich konnte es aber nicht Eichen mit vorzüglicher Achtung begegne; jetzt aber betrage sie sich sehr sonderbar gegen ihn, nehme ihn auf einen gewissen leichten Fuß, und beantworteBiron zu beherzigen geben, damit sie sähen, welcher redlichen Offenheit sich dieser weibliche Engel befliß! Aber der Grandison wird jetzt verlacht, weil ihn niemand mehr kennt; einer betet dem andern mechanisch nach, und spottet eines Werkes, das ihm kaum durch Hörensagen bekannt ward. – Grandison wird verspottet, weil einige Narren ihn mißverstanden und mißbrauchten. Die hohen Urbilder haben des Kontrastes wegen, den sie so grell bemerkbar machen,
Ich antwortete Eichen: er müsse sich Falk es sich angelegen seyn ließ, der jungen Hausgenossin die Zeit zu vertreiben. Er führte sie beinahe täglich ins Schauspiel; denn wo auch nur eine Geige gestrichen wurde, da war er abonnirt. Er veranstaltete Lustbarkeiten, und führte Julchen in Gesellschaften ein, die keinen andern
Karoline konnte unmöglich mit dieser Einrichtung zufrieden seyn. Sie äußerte Eichens Absichten auf Julchen Hindernisse in den Weg legte. Zuweilen wurde sie auch wohl böse, wenn Falk ihr im scheinbar scherzhaften Tone antwortete: was der Pedant mit dem hübschen Mädchen solle? die sei für ihn zu gut. Es fiel der ehrlichen Seele, der Karoline, wohl zu spät auf, daß es für eine Frau immer eine mißliche Lage ist, wenn der Mann stündlich Gelegenheit hat, neben ihr ein schönes Mädchen zu sehen, – ihre bloß häusliche Nettigkeit mit der raffinirten Zierlichkeit zu vergleichen, in der das junge Äffchen täglich erscheint, weil es kein wichtigeres Geschäft kennt, als auf neuen Putz zu sinnen. Karoline setzte ein
Julchens Brief anführe, der die Spuren trauriger Selbstvergessenheit immer deutlicher an sich trägt, muß ich ein Wort von Eichen sagen, um die thörigte Blindheit des irregeführten Mädchens in ein noch helleres Licht zu setzen.
Weil jedem Mädchen die Außenseite das wichtigste ist, so will ich bei dieser anfangen. Als der Rechtschaffene um Julchen warb, war er zwei und dreißig Jahr alt. Seine Größe übertraf etwas die gewöhnliche Mannslänge; sein Wuchs war schlank und zierlich; er trug seinen wohlgebildeten Körper wie ein feiner Weltmann, doch ohne in gesuchte Manieren zu fallen. Sein Gesicht war regelmäßig, sein Auge schön und seelenvoll. Bei ruhiger affektloser Stimmung war heitrer Ernst darin ausgedrückt; lächelte er, so war's das Lächeln der Vernunft und eines wohlwollenden Herzens; zuweilen
So gut und edel war der Mann, den meine arme unbesonnene Tochter in ihrem jugendlichen Übermuthe abwies. Auf meine ihm gegebene Versicherung, das Mädchen sei ihm gut, war er, wie ich schon gesagt habe, in seiner Bewerbung um sie ernstlicher geworden; der Wunsch, über eine Sache, die ihm so sehr am Herzen lag, Gewißheit zu haben, war sehr natürlich. Er schrieb also mit dem vollsten Ausdruck der Liebe an meine Tochter, und trug es Karolinen auf, Julchen den Brief zu übergeben. Sie that es, und das arme verlorne Mädchen drückt sich im folgenden Briefe an Marianen höchst lieblos darüber aus.
»Ich würde glauben Sie wären gestorben, meine beste gnädige Frau, hätte ich nicht den Maskenhabit gesehen, welchen Annetten, bei deren Namen mich noch schaudert, eine schöne Equipage geschenkt, und wohnt mit ihr in einem Garten. Vielleicht ist Ihnen diese Nachricht nicht ganz angenehm, denn Sie werden nun wahrscheinlich wenig von der Stadt genießen. Ihr Herr Vater verhält sich sehr ruhig, weil das Podagra ihn an seinen Lehnstuhl fesselt, u.s.w.
Das sind freilich trübselige Dinge, aber dafür nun auch etwas Lustiges. Was Sie weißagten ist erfüllt. Seine Hochehrwürden, Herr Eiche, haben sich ganz förmlich als meinen – Liebhaber? o nein, dazu sind wir zu fromm! – als meinen
Freyer erklärt. Karoline hat mir einen Brief von ihm gegeben, der ein wahres Original in seiner Art ist. Er that mit zu wissen, daß er, von meinem Herrn Vater aufgemuntert (ich dächte doch, man fragte erst die Tochter, ob auch sie aufmuntern will), es wage, um meine Freundschaft – nur Freundschaft, wie genügsam! – und – um meine Hand zu bitten. – Sie sehen, die Heiligen machen nicht viele Umstände. – Dann folgt eine weitläuftige Berechnung aller Freuden, die unser Hausstand gewähren würde, – die mir Blödsichtigen aber gar nicht einleuchten. – Endlich – im Ernst, er ist bei allem dem entsetzlich kühn – erklärt er mit dürren Worten, wie ich mich, als Frau eines Geistlichen und als seine geliebte Hälfte, – oho! so weit sind wir, dem Himmel sei Dank! noch nicht; – zu betragen hätte. Er liebe
Falk, wie er nun so ein drolliger allerliebster Mann ist, räth mir, ich soll Eichen einige Zeit in Ungewißheit hinhalten; das will ich auch, der komischen Auftritte wegen, die das geben muß. Karoline behandelt die Sache so ernsthaft, als wäre von ihr selbst die Rede. Als sie mir den Eichen, nicht so die mich nothwendig unglücklich machen müßte. – Unglücklich? Cousine, Sie bedenken nicht was Sie sagen! Wird es Sie nie gereuen? – Da kam mir der lose Einfall, daß man den steifen Freyer wohl für seine kecke Anmaßung ein wenig züchtigen könne. Ich zwang mich in einen recht treuherzigen Ton hinein, und bat Karolinen, man möchte mir Bedenkzeit verstatten. Karoline dankte mir so ehrlich, daß es mich beinahe gejammert hätte. Sie umarmte mich; und so endigte dieser feierliche Anwerbungsaktus wie er begonnen hatte, – mit einer Umarmung.
Selmar, ich liebe Dich, etc.; von der Gewalt der Worte und der Musik ergriffen, verhallte unser Gesang, und lösete sich in ein leises Lispeln auf; seine Wange ruhete an meiner Wange, wir weinten die wonnigsten Thränen, und ohne daß wir es selbst wußten, hatte sich seine Hand um meinen Leib geschlungen. In diesem Moment der wunderbarsten Trunkenheit war unbemerkt Karoline hereingekommen. Falk sprang betroffen vom Stuhle auf, und ich sah, glaub' ich, entsetzlich einfältig vor mir auf die Noten hin. – Wie Du einen erschreckst! sagte Falk, Du schleichst so leise.
Ich verstummte, und wußte nichts dagegen zu sagen, nahm mir aber heilig vor, Karln in Zukunft aus dem Wege zu gehn. Karoline jammerte mich sehr, denn ich fühlte, daß Karl mich ihr vorziehn muß; als aber der erste lebendige Eindruck dieser Unterredung allmählig schwächer wurde, konnte ich's wieder nicht über mich gewinnen, ihm wehe zu thun. Soll er denn gestraft werden, wenn sein Herz unwillkührlichen Eindrücken, die zu nichts Bösem führen, nachgiebt? Schon einigemal hat er mich recht wehmüthig gefragt: was er mir zu
Es ist beinahe unglaublich, daß mein armes Mädchen so schnell jede Stufe moralischer Verwilderung erreicht haben konnte. Bei einer erwachsenen und vollendeten Person würde es indeß mehr Ursache zum Erstaunen geben, als bei einer jungen empfänglichen Seele, deren Erwartungen besonders waren erregt worden, die in einer ihr unbekannten Zone vom Glanze des Neuen und Ungewohnten geblendet wurde. Und wäre dies alles nicht, so konnten Weichlichkeit und Müssiggang ohnmöglich ihres Zwecks verfehlen; denn dem, an wahre Thätigkeit gewöhnten, Mädchen mußten die kleinen Seyn vorschwatzen. Und das möchte noch hingehn, wenn sich nicht eine überwiegende Sinnlichkeit, eine Leidenschaft dazwischen gestellt hätte, welcher denn allerdings kein Begriff willkommner war, als der von selbstständiger Unabhängigkeit, der die altväterische Frömmigkeit im Wege stand, und die alles hinwegräumte, was ihren Ausbrüchen hinderlich seyn konnte. Wie so einfach und ruhig wäre des Mädchens Leben im väterlichen Hause dahin geflossen! Rein und voll Unschuld hätte ich sie der Liebe eines braven Mannes hingegeben, und meine gut erzogenen Enkel hätten meinen Grabhügel mit Rosen umpflanzt! Jetzt – – Grünthal verbarg sein Gesicht, und vermochte lange nicht,
Julchen bildete sich wirklich ein, es sei Herabwürdigung ihrer Reize, wenn ein Mann wie Eiche, dem blendendes Glück und volltönende Titel fehlten, der nicht in poetischen Phrasen sprach, sich einfallen ließe, sein Auge zu ihr zu erheben. In Gesellschaften war ihr mancher Unsinn vorgesagt worden, der ihrer Eitelkeit so wohl that; und das Mädchen, welches bis ins funfzehnte Jahr die Ehrlichkeit selbst war, hatte eine Fertigkeit erlangt, ihre wahre Herzensmeinung hinter leere Worte zu verstecken, und in ihren Antworten so vielseitig zu seyn, daß sie auf mehr als eine Art verstanden werden Eiche, und der ehrliche Mann war so wenig mit den Ränken kleiner weiblichen Seelen bekannt, daß er, was sie ihm sagte oder geschrieben hatte, ganz treuherzig für eine Einwilligung hielt, die sie, sittsam verschleiert, ihm zu verstehn gebe. Diesem zu Folge betrug er sich wie ein Liebhaber, der nun bald in die Rechte des Bräutigams treten wird. Sie hatte ihm ihr Stammbuch gegeben, – eine Mode, welche eben zu der Zeit Ton unter den jungen Mädchen war, – er gab es ihr bei dieser Gelegenheit zurück, und, statt sich durch ein Reimlein ihren albernen Freunden zuzugesellen, hatte er ein schönes feurigzärtliches Gedicht hineingelegt. Das gefiel dem eitlen Dinge; denn von ihren hirnlosen Verehrern konnte sie dergleichen nicht erwarten. Sie dankte ihm sogar schriftlich, in Ausdrücken, die ihm, im gegenwärtigen Verhältnisse
Indeß vertraute sie es großen Kotterieen junger Mädchen, daß Eiche ihr einen Heirathsantrag gemacht hätte, Falk erzählte es dem Departement bei welchem er angestellt war, und Eichens Gedicht lief in Abschrift umher, ehe noch der redliche arglose Mann eine bestimmte Antwort erhalten hatte. Endlich bat er in den feinsten Ausdrücken um eine solche. Dies bewog Julchen, der Sache früher, als es ihr Wille war, ein Ende zu machen. Karoline bat sie aufs rührendste, nicht übereilt zu handeln; ich drang mit größter Zärtlichkeit darauf, daß sie uns alle durch einen vernünftigen Entschluß glücklich machen möchte; aber vergebens! – Sie gab Eichen einen förmlichen Korb, versicherte, wie die Mädchen denn wortreich sind, wenn sie einen dummen Streich beschönigen wollen, sie schätze ihn ungemein hoch, sie würde untröstlich seyn, wenn er aufhörte sie mit seiner Freundschaft zu beglücken; aber in ein näheres Verhältniß mit ihm zu treten, sei ihr schlechterdings unmöglich. Warum? könne sie nicht sagen. – Wahrscheinlich weil sie es selbst nicht wußte. Mit diesem Gänsegeschnatter wurde einer der würdigsten Männer abgefertigt. Was die eitle Thörin und ihr elender Rathgeber gehofft hatten, geschah nicht. Sie glaubten, er solle nun noch lange winseln, flehen, und so des übermüthigen Geschöpfes Triumph recht vollständig machen; allein acht Tage nachher schrieb er mir mit einer Ruhe, die seiner würdig war: die liebliche Täuschung sei vorüber, – Julchen liebe ihn nicht, – die so lange freundlich genährte Hoffnung sei dahin, – sein Herz ihr Glück läge ihm mehr als sein eigenes auf der Seele; doch besorge er, sie sei nicht auf dem rechten Wege, es dauerhaft zu gründen. Jetzt wäre es ihm Pflicht, das theure Bild aus seinen Herzen zu verwischen. Heirathen würde er nun vielleicht nie. Diesen Entschluß müsse er um so eher fassen, da er durch einen Todesfall in seiner Familie zu Pflichten der Mittheilung aufgefordert würde. Er bat mich, ihn mit meiner Freundschaft zu trösten und zu unterstützen, wenn ich je Rückfälle einer unglücklichen Neigung bei ihm bemerken sollte, u.s.w.
Jede Zeile dieses Briefes grub sich in mein bluten des Herz wie mit Dolchstichen. Ich ärgerte mich, daß er die Sache so gleich aufgab, und beschuldigte ihn der Fühllosigkeit. Dann konnte ich ihn auch wieder meine Hochachtung nicht versagen, daß er sich
Die junge Dame in der Stadt bekam Eiche sei ein trübseliger Theologe, der über und über nach alter Orthodoxie rieche. Julchen habe doch nun schon hellere Begriffe bekommen, und könne daher mit ihm auf keine zufriedene Ehe rechnen.
Der armen Karoline widerfuhr die Kränkung, daß der Tadel den das Mädchen verdiente, zum Theil mit auf sie fiel; denn ihre Gutmüthigkeit duldete keine nachtheilige Urtheile über Julchen, so sehr sie selbst mit ihrem Betragen unzufrieden war, und so viel Achtung sie für Eichen hatte. Die Welt glaubte in ihr Julchens Rathgeberin und Vertraute zu sehn, und tadelte sie mit Bitterkeit; selbst diejenigen, die den Leichtsinn
In der ersten Aufwallung war ich selbst unbillig genug, ihr Vorwürfe zu machen. Sie beantwortete sie sanft, und sagte: sie leide selbst viel dabei, und habe nun den Verdruß, daß Eiche ihr Haus meide, um Julchen nicht zu sehn. Über Julchen schrieb sie mir: sie wage es kaum, etwas Entscheidendes über ihren Karakter zu sagen; sie besorge aber in der That, daß sie nur durch herbe Prüfungen von der Bahn des Leichtsinnes und der Zerstreuung zurückgebracht werden könne. Doch Sie hören vielleicht lieber Karolinens eigene Worte; hier ist ihr Brief:
»Ich bin noch zu jung, und zu weich von Natur, als daß ich mir ein zurechtweisendes darin ein wenig wunderlich, und will sich nichts einreden lassen. Sonst war er gern zu Hause, und wir verlebten manchen schönen Abend bei einem guten Buche oder bei traulichen Gesprächen; jetzt hat er sich aber dadurch, daß Julchen Unterhaltung finden soll, so in Gesellschaften verwickelt, daß ich ihn wenig mehr sehe, viel weniger zum Gespräch mit ihm komme. Wäre unsre Ehe nur mit einer einzigen süßen Hoffnung
Was das gute Weib mir nur wie durch einen Nebel zeigte, verstand ich erst, da die unselige Entwicklung nicht mehr zu hintertreiben war; was ich aber davon fassen konnte, brachte mich so außer Fassung, daß ich mich auf der Stelle entschloß, meine Tochter aus der Stadt zu holen, und sie bei meinen Schwiegereltern unterzubringen, weil meine Frau sie durchaus nicht um sich haben wollte. Die Anstalten zu meiner Abreise betrieb ich mit großem Eifer, ob ich mich gleich sehr krank fühlte, und Fieber und Krampf durch meine Nerven wühlten. Meine Frau widerrieth mir die Reise, sie sah mit Schrecken, wie bleich und schwankend ich umherging; aber ich dachte es durchzusetzen. Als ich den Wagen bestieg, fiel ich in Ohnmacht, und
»Sie antworten mir nicht, beste Mariane! Was ist das? – Haben Sie mich vergessen, so muß ich Sie wohl an Ihre Juliette erinnern, und Ihnen einiges von ihrer gegenwärtigen Lage mittheilen.
Den verdrießlichen Freyer habe ich geschwinder abfertigen müssen, als ich wollte. Darüber ist mir mein Vater entsetzlich hart
Ich wüßte wohl einen, den mein Herz mit innigster Liebe umfassen könnte, der meine ganze Seele füllen würde, hielten nicht unselige Bande – – ›Wie grausam das Geschick Seelen trennt, die es doch für einander geschaffen hat!‹ sagte Falk gestern bei einer gewissen Veranlassung. – Der Schöpfer sollte nicht hart und ungütig seyn, wenn er anders sich überhaupt um uns bekümmert. – Karoline ist eine fromme, andächtige Seele; gleich fährt ihr Herz ängstlich zurück, wenn sie Religionsspott ahnet: was sie nämlich so dafür hält. Falk ist nun einmal ein loser lieber Mann. Er zog sie letzthin mit ihrem frommen Eifer auf, und war so witzig, daß ich wider diese Gattung von Leichtsinn schon aufgenommen! O Julchen, möchte doch Gott Ihr Herz in seine Hand nehmen! Sie sind auf bösem, bösem Wege; Sie Arme!‹ – Ich kann nicht leugnen, daß mir ihr andringender Ton auffiel, und ich ihr, vielleicht etwas trotzig, zur Antwort gab: Das, Cousine, überlassen Sie nur getrost meinem eignen Gewissen; denn vermuthlich werde ich für mich selbst Rechenschaft geben müssen. Ich schämte mich ein wenig, als sie mir darauf die Hand freundlich mit den Worten darreichte: ›Nicht böse, liebes Mädchen; ich hatte nichts Arges im Sinn.‹ Das hat die gute Seele freilich niemals; aber dem ungeachtet stehn wir seit der Zeit auf einem feierlichen Fuße mit
Meine Brüder melden mir, daß mein Vater krank ist. Gern wäre ich bei ihm; aber die ewigen Vorwürfe schrecken mich ab. Er mag wohl sagen: es ist alles eitel; er hat von allem gekostet. Und doch würde ich mich über seine Strenge wegsezzen, wenn meine Stiefmutter sich artiger gegen mich betrüge. Unmöglich kann ich ihr den ersten Besuch geben. Ich bin kein Kind mehr, und es ist wohl an ihr, mich aufzusuchen.
Mir fällt zuweilen ein, Sie könnten wohl krank seyn, und dann schaudre ich vor Schreck zusammen. Ich wäre untröstlich; auf den Flügeln der heißesten Liebe würde
Hören Sie wohl, lieben Freunde, wie Julchen sich über ihren todtkranken Vater ausdrückt? Wie sie die Abneigung gegen seine Warnungen und gegen ihre Pflicht mit einem kindisch-preciösen Wesen entschuldigt? wie sie ihr Herz geflissentlich gegen ihn verhärtet? wie warm hingegen, und mit welcher Herzlichkeit sie über Marianens muthmaßliche Krankheit spricht? Ein eigner karakteristischer Zug unsrer Zeit, die nahe liegenden Pflichten mit Füßen zu treten, und sich entferntere selbst zu schaffen, bei deren Erfüllung der Eitelkeit geschmeichelt wird; seine Freunde in Europa zu verstoßen, um in Amerika zum Wohl der Menschheit mitzuwirken. – Freilich muß man an diese heißen Freundschaften nicht immer glauben;
Grünthal seufzte tief, und ließ seinen Kopf schwermüthig in seine Hand sinken. – Nach einer Weile sagte er matt: hier ist Marianens Antwort.
»Ja, Juliette, ich bin krank, und zwar sehr ernstlich. Dieser Zustand ist mir äußerst neu. Mich wundert, daß Sie es nicht wissen; ich habe doch einen Arzt aus der Stadt holen lassen. Freilich, für die Stadt bin ich längst todt; sie ist eine leichtsinnige,
Das Schreiben fällt mir sehr schwer, auch hat der Arzt es mir verboten; aber es wäre schon ein herber Vorschmack des Todes, wenn ich mich nicht mehr mit der einzigen Freundin, gegen die ich mein Herz darf reden lassen, unterhalten sollte. Julchen, liebstes Julchen, Krankheit ist ein sehr nachdrücklicher Lehrer! Ich habe diesen so oft wiederholten Gemeinspruch nie recht verstanden; jetzt wird er mir in seiner ganzen fürchterlichen Bedeutung erklärt. Julchen, wenn ich dürfte, wenn es mich grade nicht zu schlecht kleidete, ich würd' Ihnen sagen: lassen Sie sich durch mein Beispiel warnen. Ach, ich achte der Lehre zu spät!
Dieser ernste Ton, der für diesmal nicht Persiflage ist, muß Sie erschrecken. – Ich seyn. Wenn in einzelnen Minuten die Phantasie mir ihre bunten Bilder einer hellen Zukunft vorzaubert, dann spott' ich des Grabes, und versetze mich aufs neue in jene frohen Szenen, welchen ich meine Gesundheit aufopferte. Meine Lage ist sonderbar schwankend.
Nachmittag um 4 Uhr.
Was ich diesen Vormittag geschrieben habe, ist alles närrisches, melancholisches Zeug! Ich war so engbrüstig, und hutte viel Blut ausgeworfen, da wähnt ich mich schon an der schwarzen Pforte des Todes. Noch dazu war ich drei Tage hindurch ganz alleinge wesen, und hatte niemanden gesehen, als den alten Pfarrer, der wohl
Nun wirst Du allerdings auch wissen wollen, was es mit mir gegeben hat, und wie ich in einen so ungewohnten Zustand gerathen bin. Hör' an, und merke Dir's. Das Maskenkleid hast Du gesehn, und wirst also errathen haben, daß es in meiner Nachbarschaft einen Ball geben sollte. Du hast keine Idee, welchen trefflichen Effekt meine Figur in dieser Kleidung machte. Ich gefiel mir, und gewiß auch andern.
Als eine Pause, ich weiß nicht wodurch? eintrat, sprang ich auf; mit dem Wesen, das Du kennst, riß ich mir einen aus dem Kreise meiner Bewunderer heraus, und kreiselte mit ihm im raschen Walzer, bis
Der Prediger des Orts fügte diesem ununvollendeten Briefe folgendes Blatt bei:
Vor einer Stunde rief sie mich an ihr Bette. Sie lag mit gefalteten Händen. Ich mußte mich zu ihr hinabneigen, denn ihre Stimme ist schwach und gebrochen. Lieber, guter Mann, – sagte sie, – ich glaube Ihnen, ich habe es sonst schon gehört,
Julchen flog auf den ersten Wink zu ihr. Kaum nahm sie von Karolinen Abschied. Für mich hinterließ sie einen trockenen Zettel, der mir übergeben werden sollte, wenn ich anfinge mich zu bessern. Er enthielt nur Worte und Komplimente, die das Vaterherz von einer nur zu geliebten Tochter zu tief verwundeten, als daß ich sie wiederholen könnte. Herr von L.. weigerte sich standhaft, Marianen noch einmal zu sehen. Er würde sich vielleicht entschlossen haben, ihrer Bitte zu willfahren; – denn hassen konnte er so wenig als lieben, dazu sind diese Weltmenschen meist zu karakterlos, – aber
Nach einigen Monaten wich die Krankheit von mir, aber meine Nerven waren so geschwächt, daß ich nur wenige Personen um mich leiden konnte. Der leiseste Fußtritt schien mir zu hart, die bedächtlichste Bewegung zu jähe. Alle Vorstellungen der letzten Ereignisse vor meiner Krankheit waren wie weggewischt aus meiner Seele. Mit desto frischeren Farben mahlte dagegen meine Imagination die Bilder meines vormaligen glücklichern Zustandes mir vor, besonders die
»Bester Onkel! Sie werden hoffentlich weder den Entschluß, von dem ich Ihnen jetzt Nachricht geben will, noch die Empfindungen, die ihn veranlaßten, überspannt finden, wenn ich Ihnen eine treue Darstellung meiner, oder besser, unsrer Lage werde vorgelegt haben. Da Sie selbst mich sonst schon die Besonnene-zu nennen pflegten, so werden Sie es jetzt meinen reifern Jahren nicht zutrauen,
Sie können sich vorstellen, lieben Freunde, unterbrach sich hier Grünthal, daß diese Vorrede, die mich auf etwas Außerordentliches und Unerwartetes vorbereiten sollte, mich fast vernichtete. Doch schlüpft' ich leise darüber weg, um nur das Wesentliche zu erfahren.
»Ich gestehe,« (fährt Karoline fort), »daß mir, als ich meiner Cousine mein Haus anbot, kein Schatten von einigem Mißtrauen gegen ihr Betragen und meines Mannes Grundsätze in die Seele kam. Ich glaubte an seine Liebe, weil ich die meinige zu ihm kannte. Vielleicht wäre ich auch nie aus dem süßen Traume geweckt worden, hätte wollte gefallen.«
Hier schildert nun meine Nichte die Fortschritte der gegenseitigen Leidenschaft bei Beiden, wie sie solche hat bemerken können. – Der Brief ist lang; ich übergehe, was dir zum Theil schon selbst haben bemerken können, und einige lebhafte Auftritte, welche das Verhältniß anschaulich machen, die Sie in Julchens Briefe an Marianen gelesen haben.
»Gott weiß es,« – schreibt nun die Nichte weiter, – »daß mir nicht ein Wörtchen, nicht eine Klage, die Unmuth oder Bitterkeit verrieth, entfuhr. Ich duldete und
Ich war mit Anstalten zu Julchens Reise beschäftigt; denn ich nahm ihr immer gern ab, was sie ungern selbst that. Als ich damit fertig war, suchte ich sie, wegen noch einiger Verabredungen, in ihrem Zimmer auf. Ich fand sie nicht. Mein Hausmädchen sagte mit schlauem bedeutendem Blicke: ›Mamsell Grünthal ist bei dem Herrn; sie lesen wieder mit einander.‹ Ich unterdrückte den Unwillen, der in mir aufstieg, und ging, so gefaßt als es mir nur möglich war, dahin. In meines Liebste?‹ – ›Nein, nein, sie wird, sie kann es nicht!‹ – ›O, glauben Sie mir, Theuerste, das gute Weib liebt mich zu innig, als daß sie sich meinem wahren Glücke in den Weg stellen sollte. Ihre Begriffe von Edelmuth und
Es wird Sie in Erstaunen setzen, lieber Onkel, daß ich Muth genug hatte, einen solchen Auftritt auszuhalten. – Ungewöhnliche Vorfälle geben der Seele ungewöhnliche Kräfte, so wie auch die physischen Kräfte bei gewaltsamen Zumuthungen des Schicksals sich auf einen wirkenden Punkt konzentriren, und oft wundervolle Stärke äußern. ein Kampf, tausend, die ich vielleicht in der Folge nicht immer bestehn würde. Oder sollt' ich ruhig seiner Wiederkehr warten? zufrieden seyn mit dem Theile seines Herzens, welcher der Hausfrau bliebe, wenn irgend Krankheit oder Unfall ihn der Geliebten gleichgültig gemacht hätte? – Sein Glück ist mir theurer als mein eignes; ich will ihm das Opfer ruhig und freiwillig bringen. Er gehöre der Geliebteren. Ich wagte aber nicht, den im Tumulte so mannichfacher Leidenschaften gefaßten Entschluß auszuführen, bis er durch öfteres Beschauen und kaltes Betrachten zu besserer Reife gediehen war. Doch, er siegte in allen Prüfungen, und jetzt erwartete ich nur eine schickliche Gelegenheit, um ihn den Hauptpersonen mitzutheilen. Sie ereignete sich einige Wochen nach Julchens Abreise.
Mein Mann war nicht zu Hause, als ein Brief von Julchen an ihn ankam. Ich Juliane abzutreten, grade nur so viel, daß er dann um so schicklicher zu einer Lobeserhebung meiner Seelengröße, und zu einem Dank, worin sich die glühendste Leidenschaft für meine Nebenbuhlerin ergoß, übergehen konnte. Ich läugne nicht, daß ich betroffen und höchst bewegt wurde, da er anfing die Trennung von der juristischen Seite zu betrachten, und unter einigen Punkten, welche sie erleichtern würden, auch den meiner schwächlichen Gesundheit anführte, die mich zur Bestimmung des Weibes, im weitern Umfange, unfähig machte; aber diese Bemerkung diente
Unschicklich wär's auf jeden Fall, wenn Julchen jetzt in unserm Hause lebte; darum ist beschlossen, daß sie sich bis zur Entscheidung bei ihrer Madame Brennfeld aufhalten soll. Wenn Sie bedenken, daß sie nun mit einemmal den Gefahren entrissen wird, so muß das einen Stein von Ihrem Herzen wälzen. Der arme Eiche! wie wird sein ehrliches Herz von neuem bluten! – Man wird freilich in Gesellschaften diesen seltenen Fall beträtschen; aber irgend ein Wochenbett oder neues Schauspiel wird auch diese neue Mähr verdrängen. Ich füge noch hinzu – denn, erfahren müssen Sie's doch: – mein Mann hat geeilt, die Sache unwiderruflich zu machen. Die Scheidepunkte sind schon eingegeben. Gott stärke uns alle! etc.«
unwiderstehlichen Drange gleichgestimmter Seelen, zu müssen, und von der höchst traurigen Nothwendigkeit, der besten, edelsten Frau einen geliebten Mann zu rauben. – Meine Freunde, erlassen Sie mir eine zergliederte Erzählung meines Jammers. Ich eile über diesen Zeitpunkt leise hinweg; es ist der schmerzlichste Theil meiner Wunde. Diese, meinen Abscheu erregenden, Briefe beantwortete ich gar nicht. Die Scheidung ging bei Zustimmung der Partheien leicht vor sich. Indeß war Julchen von Marianen zurückgekommen. Das arme, von Grund aus verwahrlosete Geschöpf war den jammervollen Tod gestorben, der die unausbleibliche Folge schwankender Begriffe über die Zukunft, und eines tief verletzten Gewissens ist. In den Augenblicken, wo sie sich mit der Rückkehr ins Leben geschmeichelt hatte, waren ihre guten Entschlüsse und ihre
Dehors gerettet würden; denn im Grunde (glaubte sie) käme doch alles nur auf die Meinung der Welt an, und ständen wir bei dieser gut, so sei unsre Wohlfahrt fest genug gegründet. Übrigens könne man es einem so liebenswürdigen Manne nicht verdenken, wenn er sich von der Himmelsstürmerin (Karolinen) lossagte. Diese Heiligen, die bei jedem Schritte zusähen, ob sie auch nicht fallen würden, wären ihr in der Seele zuwider. Julchen habe außerordentliche Fortschritte in dem Gebrauch ihrer Vernunft gemacht, und sie sei doch nun endlich ein selbstständiges Wesen geworden, das die traurige Anhänglichkeit an verjährte Eiche und einige ganz vertraute Freunde bewunderten die Größe ihres Entschlusses, und ihre edle Beharrlichkeit, die um so rühmlicher war, da sie, ihres Mannes und ihrer Nebenbuhlerin zu schonen, alle diese schiefen Urtheile hinnahm, ohne ein Wort zu ihrer Rechtfertigung zu verlieren. In dieser unglücklichen Zeit erhielt ich viele Briefe von Eichen, in welchen er, bei dem redlichen Bestreben, mich zu trösten, mit großer Delikatesse über die traurige Angelegenheit sprach, die er freilich ohne Affektation nicht ganz mit Stillschweigen übergehn konnte; aber aus der Heiterkeit, die er vorgab und mir mitzutheilen
Die Heirath, die ich mehr als den Tod verabscheute, ward durch einen Vorfall beschleunigt. Madame Brennfeld hatte in einem schwachen Augenblicke vergessen, daß ihr an der Meinung der Welt alles liegen müsse. Jetzt wurde sie von einem Vorfalle überrascht, der, so klein er war, doch gewaltig viel Lärmen machte. – Unverblümt: – sie genas eines kleinen Weltbürgers, den sie, zufolge ihres hellen vorurtheilfreien Geistes, der sich über die Fesseln hergebrachter Konvenienzen zu erheben wußte, mit herzlicher Freude aufnahm. – Nur der Umstand störte ihre Mutterfreude, daß der Ritter sich durchaus nicht zur Vaterschaft verstand, sondern sie einem jungen Israeliten zuschob,
Indeß war die Welt weniger tolerant, als die Dame vermuthet hatte. Sie, die für jedes Laster, jede Abweichung von dem Wege des Guten einen toleranten Spruch hatte, wurde jetzt mit unerbittlicher Härte verdammt, und die Eltern nahmen in möglichster Eile ihre Kinder zurück. Auch Falk, diesem tugendhaften Manne, gab dies einen erwünschten Vorwand; er eilte, sein Julchen zu holen, und, um den Wohlstand zu retten, ließ er sich, in Gegenwart einiger der Schlag war mir nichts desto weniger höchst unerwartet und betäubend, da ich das Ehepaar in den öffentlichen Blättern als Verschwender bekannt gemacht fand. Dieser Umstand entflammte meinen ganzen väterlichen Zorn aufs neue. Nun, (dacht' ich) wenn ich denn züchtigen soll, so sei es; ich will den Elenden sehn, und meine Vorwürfe sollen ihn bis aufs Blut martern. Ich warf mich aufs Pferd, ohne meiner Frau Bescheid über mein Vorhaben
Nur die Furcht, mich zu verrathen, hielt mich bei Anhörung dieser zermalmenden Erzählung aufrecht. Gott! Gott! meine arme tief gesunkene Tochter! – O, der heillosen Leichtgläubigkeit, die sich durch schwache und kurzsichtige Freunde hinhalten ließ, bis das Übel zu dieser fürchterlichen Größe anwuchs! Unerfahrner Eiche! Leichtgläubige Karoline! Doch Ihr meintet es gut; ich, ich allein
Aus der Alten, die mir diese Nachrichten mittheilte, brachte ich noch Tag und Stunde ihrer Abfahrt heraus. Ich lief, ich flog auf die Post, und erfuhr, daß um die bezeichnete Stunde der russische Fürst *** abgereiset war. Ich ging nicht lange mit mir zu Rathe, schrieb meiner Frau kurz weg: meine Angelegenheiten erforderten eine weite Reise; dann aber nahm ich Extrapost, und verfolgte ihre Spur bis in Liefland. Der Fürst hatte sich einige Tage bei einem Verwandten aufgehalten, und in Riga war ich ihnen schon nahe auf der Ferse. Durch einen zurückgelaßnen Jäger hatten sie erfahren,
Seelmann und seine Frau lasen den Brief stillschweigend. Grünthal verbarg indeß sein Gesicht, und schluchzte laut.
»Ich weiß, daß mein Vater mich einzuholen sucht. Was soll ihm eine Tochter, die seine Tochter nicht mehr seyn kann, da sie so entstellt ist? – Dem mit Recht erzürnten Vater auszuweichen, würde ich bis an's Ende der Welt flüchten. Tief im entferntesten Rußland werde ich meine Schande vergraben. – Des Vaters Strafe und seine Güte würden mich in gleichem Grade elend machen. – Ich bin ja nicht mehr
Juliane.«
Nach langer, ängstlicher Pause brach Grünthal, als er sprechen wollte, wieder in einen Strom von Thränen aus. Ich fand ihre Spur nicht wieder; ich habe nie erfahren – – sprach er aus tief beklommener
Minna und ihre Freundin genossen nach einem schwülen Tage die Kühle des Abends, unter der Linde vor dem angenehmen Landhause, welches die Freundin bewohnte, und in dessen Nähe Minna ein mäßiges Gütchen besaß. Schweigend sahen beide in den Mond, der freundlich durch die schöne Akazie blickte, die ihnen gegenüber rauschte. Es wetterleuchtete in fernen grauen Streifwolken. Sie lauschten, ob ein Donner ihnen ein gefürchtetes Gewitter drohe; als plötzlich Minna's Löwenhündchen von ihrem Schooße stürzte und bellend in die Nachtviolenhecke fuhr. – Eine männliche Gestalt näherte sich, und sagte den beiden Erschreckten mit bescheidner Stimme: »meine gütigen Damen,
Die Stimme des Bittenden nahm für ihn ein, und beide Frauen waren geneigt den Müden zu erquicken. Minna antwortete zuerst: meine Freundin ist hier selbst ein Gast; aber meine eigne Wohnung ist nicht fern, diese hat Obdach und bequeme Ruhestätte für jeden Rechtschaffnen. Gehe er dort links, mein Freund; sage er: ich schicke ihn; mein Mann wird ihn gewiß gastfreundlich aufnehmen.
Der Wanderer war indeß ihnen näher getreten, und der Mond schien ihm eben silberhell ins Gesicht. Ida, Minna's Freundin,
Als am folgenden Tage die Sonne hinter den Wald gesunken war, und die Dämmerung eintrat, fanden sich unsre Freundinnen wieder unter der freundlichen wirthbaren Linde ein. Ida fragte sogleich mit sichtlicher Bewegung, was aus den Wanderer geworden wäre? Gern hätte sie ihn noch einmal gesehen. – Er zog heut früh mit der Sonne seine Straße, nachdem wir ihm gütlich gethan. Ihre Ursachen mögen seyn, welche
»Der liebenswürdige Sonderling von Genf schrieb seine Confessions, vermochte aber nicht ihre Bekanntwerdung bei seinem Leben zu ertragen. Ich stehe im Begrif weit beschämendere Bekenntnisse abzulegen: zwar nicht vor dem Publikum, aber die Beichte ist demohnerachtet immer ein Punkt, der große Ueberwindung kostet. Wo werd' ich Stimme, wo Kraft hernehmen, sie, selbst gegen eine liebende Freundin, auszusprechen? wo die Ehrlichkeit, da ohne Schminke zu erscheinen, wo die scheue Weiblichkeit sich gern
Sie wird, ja sie ist entschlossen zur entschiedensten Nachsicht! Ach, wem sollt' ich nicht nachsehen müssen! seufzte Ida gerührt, und legte ihre Hand auf Minna's gefaltete Hände. Diese trocknete einige Thränen, und begann:
Ich bin die Tochter des Bürgermeister Rosenau, in der angenehmen Provinzstadt A. Mein Vater war ein Mann von Kopf und Herz, und seine Berufsgeschäfte ließen ihn Muße genug, sich oft Tage hindurch seinem Lieblingsstudium, der Geschichte und den alten Klassikern, vorzüglich aber der neuen schönen Litteratur zu widmen. Diese
Hieraus können Sie schließen, daß die Lebensweise im älterlichen Hause höchst einfach und patriarchalisch war; – und noch blicke ich, mit herzlichem Wohlgefallen, in
Eine solche Stimmung der Gemüther machte sie, schon ihrer Natur nach, für die Eindrücke zärtlicher Gefühle unempfänglich. Ob schon eine Menge junger Personen beiderlei Geschlechts zusammen kamen, hatte doch nie die Liebe sich ins Spiel gemischt.
Mich verdroß und störte das weiter nicht in meiner überirdischen Freude an diesen
Den Genuß meiner jugendlichen Freuden unterbrach aber der Tod meines vortreflichen Vaters. Ich fühlte diesen Verlust so tief, als man so etwas im eilften Jahre zu fühlen im Stande ist, das heißt: ich weinte ungestüm, und wurde im Herzen halb getröstet, wenn ich mir die prunkenden Trauerkleider, die mich zur erwachsenen Person in meinen Augen erhoben, recht lebhaft dachte. Dann weinte ich wieder, wenn die gute Mutter weinte, und rührend über ihren Wittwen- und unsern Waisenstand sprach. Wenn ich aber hörte, daß wir nun unser
Aber es kam gar anders; diese schönen Dinge, an denen mein Herz hing, wurden nicht verkauft. Es ereignete sich etwas, das, wie ich es damals verstand, besser, in der That aber schlimmer war, als Garten-und Feldverlust, – ich bekam einen Stiefvater, der an Witz und übler Laune seines gleichen suchte. Doch das muß ich in der Ordnung erzählen.
Herr Moorheim, ein Rechtsgelehrter, folgte meinem Vater in der Justizbürgermeisterstelle. Er war ein treflicher Kopf; aber sein Herz? – nicht ein Schatten von dem Herzen meines Vaters. So bald er von Berlin im Städtchen angekommen war, erschien er bei uns. Meine Mutter war immer noch eine Frau, die gefallen konnte; in
Es fehlte wenig, daß mein Herz sich nicht von meiner Mutter abgewandt hätte. Ich war in meines Vaters Seele eifersüchtig; aber ich that ihr Unrecht. Sie hatte ihren Gatten nicht vergessen; es fehlte ihrem ruhigen Sinne nur an dem Grad von Wärme und lebhafter Vorstellungsgabe, die uns auch für nicht mehr anwesende Gegenstände befeuern. Sie war an einen gewissen Wirthschaftsschlendrian gewöhnt, in welchen sie, weil sie nun Leere fühlte, wieder einzutreten
Da ich mir aber vorstellte, daß es meiner Mutter im Herzen bald gereuen würde, so söhnte ich mich wieder mit ihr aus, und mein Mitleid sowohl, als gemeinschaftliche Leiden, gaben meiner Liebe zu ihr neue Schwingen. Ach, Ida! was erfuhren wir von diesem herrischen Manne, diesem Hausdespoten! Es hieß bald an allen Orten: Herr Moorheim sei sehr hypochondrisch! Dies pflegt eine Rubrik zu seyn, die jede Ungezogenheit, jede Verwahrlosung des Herzens, jede Grobheit aufnehmen muß. Hat einer sich gewöhnt, den Eindrücken übler Laune nachzugeben, plagt er seine Hausgenossen Herr hieß. Nie ist der süße Vaternahmen gegen ihn über meine Lippen gekommen; wie denn auch er mich gegen meine Mutter nie anders als Deine Tochter zu nennen pflegte.
Ein übellauniger Hausgenosse gehört wahrlich zu den größern Trübsalen des Hausstandes. Wenn ihm aber noch der beissendste Witz zu Gebote steht, so ist kein Hauskreuz diesem zu vergleichen. Mein Stiefvater hatte Verstand wie ein Engel, und dieser gab ihm die Gewalt alle Herzen zu gewinnen. Aber er handelte unwandelbar Oberherrn daran sind. Diesem zu Folge, war kein Wetterhahn veränderlicher als er in seinem Betragen gegen uns. Abends scherzte er, und man widerstand der Annehmlichkeit seines Umganges mit Mühe. Am folgenden Morgen erschien er steif, feierlich, auffahrend bei Kleinigkeiten; alles an ihm verkündigte einen nahen Orkan. Zu Mittage schlich jedes still und ängstlich zu Tische, und stand ehrerbietig, bis der Herr uns mit kalter Höflichkeit gegrüßt hatte. Herr Moorheim schnitt Brodt; das Messer glitt von der harten Rinde ab: – Wo hat der Schurke Johann das Brodt geholt? Immer läßt sich der Tölpel altgebacknes in die Hand stecken. – Keiner wagte zu äussern, daß das Brodt nicht alt sei. Warum thut denn Niemand den Mund auf? zu sagen,
Ausbrüche so pöbelhafter Laune entwischten dem sonst klugen Manne sehr oft, und wurden, oft noch acht Tage nachher, durchgeknetet, bis ich nich mit verbißnem Ingrimm herabließ, wie er es verlangte, mich zu demüthigen, und kniend Abbitte zu thun. Dies gab dann meiner armen Mutter den Frieden wieder; wenn es dem Haustyrannen nicht gefiel, mich zu verstoßen und kniend liegen zu lassen. Aber ich wende mich von den empörenden Scenen hinweg, deren ich auch im Greisen Alter nie ruhig werde gedenken können.
Was in dem durchaus versäumten Karakter Wesen lehrte, war die Gottesverehrung in unserm Hause eine erweckende, freudenvolle Sache, woran jeder gern Theil nahm, weil er sich durch sie froher und glücklicher fühlte, und einer noch froheren Zukunft entgegen zu leben glaubte. Auch meiner Mutter Gottesfurcht war heiter, und unsern kindischen Begriffen mit großer Klugheit angepaßt. So aber nicht mein Stiefvater. Sein Frommsein mußten alle Hausgenossen entgelten, denn sie sollten's nach seiner überspannten Weise seyn. Am liebsten schreckte er uns mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der die Missethat der Väter an den Kindern bis ins vierte Glied heimsucht. Diese altjüdischen Begriffe waren wie für das Schreckenssystem, Herrn gefallen würde, seine profane Lektüre abzubrechen.
Durch diese Behandlung war es ihm gelungen, die Religion, welche bis dahin die freundliche Führerin meiner Kindheit und ersten Jugend gewesen war, in das traurigste und peinigendste Ding, das dem Menschen zu seiner Qual gegeben ist, zu verwandeln. Der Gott, den ich, wenn gleich unter höchst verworrenen Begriffen, als meinen eigentlichen Vater geehrt und geliebt hatte, war mir jezt ein immer strenger und zürnender Herrscher, der ganz menschlicher Weise, immer im Zorn aufzulodern pflegte, und Gott nannte, durch das Lesen einer Predigt, oder mit sonst etwas Geistlichem, abgefunden hatte.
Wer darf sich wundern, wenn eine solche Religion dem Menschen etwas ganz von ihm isolirtes ist? Denn wo ist eine Freude, ein Genuß, der sich mit dem Begrif eines immer finstern und scheltenden Wesens vereinigen ließ, eines Wesens, das im seinem Grimm endlich nur durch Blut zu besänftigen
Glücklicher Weise waren diese Begriffe von der Art, daß man sie gar nicht aufs gewöhnliche Menschenleben übertragen konnte. Wenn dergleichen feierliche Handlungen überstanden
Die Lebensweise in unserm Hause war seit meines Vaters Tode gar nicht mehr dieselbe. Unsere Lesereien hatten eine andere Wendung bekommen. Herr Moorheim zwang uns seinen Geschmack auf, daher denn ein jeder gern für sich las. Mir waren bei der Gelegenheit, daß meines Vaters Bibliothek geordnet wurde, einige Bücher in die Hände gerathen, die der sorgsame Vater
Als ein blühendes, schnell herangereiftes Mädchen stand ich nun auf dem schlüpfrigen Scheidewege, und man fing an, mich zu bemerken. Der uns gegenüber wohnende Lieutenant von Sonnenstern fing an, sein Auge auf mich zu richten, und ließ sich herab, um die Langeweile der Garnison zu verkürzen, einen Entwurf zu einem Roman mit des Bürgermeisters Minna zu machen, der mit beständigem Herübersehen und Komplimentiren hinter'm Rücken der Mutter begann. Bei dem ersten bedeutenden Blicke flog ich scheu zurück, glühte vor Scham, vielleicht auch vor Freude, die ich mir selbst noch nicht gestand, wie eine Purpurrose, und
Der junge Nachbar verstand sich auch sehr gut auf diese Kennzeichen. Noch glüht meine Wange bei der Erinnerung an diese jugendliche Unbesonnenheit. Als ich eines Abends mit einem unsrer Dienstmädchen eine häusliche Besorgung hatte, steckte sie mir einen Brief in die Hand. – ›Vom hübschen Nachbar!‹ – sagte sie. Noch wachte der Keuschheitswächter, jungfräulicher Stolz, über mein Herz. Ich fuhr das Mädchen an, und wies den Brief zurück. Indem ließ sich die Mutter hören, und die erfahrne Magd ließ den Brief schnell in mein Busentuch schlüpfen.
Im Herzen war ich froh, denn ich glaubte daß der Brief nun ohne mein Zuthun mein geworden war. Ihn zu lesen, fand ich den ganzen Abend keinen Augenblick. Aber wie
Die ersehnte Schlafstunde half mir nichts, denn ich schlief mit meinen Geschwistern zusammen. Ich legte den Brief als ich schlafen ging an mein lautklopfendes Herz. Die innere Unruhe verstattete mir keine Minute Schlaf. Mit der frühesten Morgendämmerung schlug ich leise, leise den Brief auseinander, den ich bei ruhigerer, uneingenommener Stimmung ganz unausstehlich schlecht gefunden haben würde; so aber überlas ich unzählichemal den unorthographischen, gekleksten schönster Engel!‹ zu stoßen. – Nichts, nichts von diesem allen vermochte meine Freude an dem einzigen, nie wiederkehrenden Moment meiner Rosenzeit zu schwächen. Verargen Sie mir's nicht, meine Ida, daß ich, bei aller Mißbilligung der Sache an sich, jetzt noch mit frohklopfendem Herzen auf diesen Punkt meiner Existenz sehe, wo eine süße ahnungsvolle Dämmerung die Seele umfließt, wo rosige Gemälde lächelnd im Hintergrunde stehn, und zu hochgestimmten Phantasieen bezaubern. Gott! welche Seligkeit, wenn das junge weibliche Herz sein Daseyn zu ahnen beginnt, und sich, jungfräulich verschämt, vor sich selbst verbirgt! –
Die Zusammenkunft war dem poetischen Schwunge meiner Imagination sehr ungünstig; denn es gab wahrlich! in der ganzen Provinz keinen prosaischern Junker, als den Lieutenant von Sonnenstern. Der einzige Brief, den ich ihm geschrieben hatte, wimmelte von Amor'n und Zephyretten, die damals nach der Lektüre von Gleim's und Jakobi's Briefen in meinem Gehirn noch obenauf schwammen. Sein herber bäurischer Styl stach seltsam dagegen ab. Die erste Anrede geschah mit ›mein Engel!‹; sie
Zu eben der Zeit wurde ich in der Religion unterrichtet. Zufällig – nein, wohl nicht bloß zufällig, – sprach der Geistliche in einer bald darauf folgenden Stunde über Reinheit des Herzens und Sinnes, und der bestimmte Ausdruck: ›selig sind, die reines Herzens sind!‹ ergriff mich. Ich las damals gerade die Schriften der Frau le Prince de Beaumont, die, bei allen ihren
Doch war's ein saurer Gang, als mich am folgenden Morgen meine Mutter nach stundenlangem Harren abrief. Gütig und Trost einsprechend unterstützte mich die fromme, vor innerer Angst und Beklemmung
Als er dies gesagt hatte, glaubt' ich mich absolvirt, aber nein, er hatte nur diese, ihm passend scheinende Stelle anbringen wollen; denn nun wendete er sich zur Mutter, und sagte: ›Was meinst Du, Louischen, das wir thun?‹ Sie stand verlegen da, und ließ es auf ihn ankommen. ›Andere Eltern,‹ – fuhr er in einem rauhen Tone fort, – ›würden so ein ungerathnes Kind verstoßen; aber ich bin entschlossen, sie nach Berlin zu meiner Schwester, der Räthin Brennfeld, zuBrennfeld?« unterbrach Ida ihre Freundin. »Brennfeld? doch nicht die Erzieherin?« – »Eben die; das ist sie aber erst geworden, als ihr Mann sich von ihr schied.« Minna bemerkte nicht, wie sehr Ida bei diesem Namen erblaßte, und fuhr in ihrer Erzählung fort.
»Wie, mein Lieber?« – sagte meine kluge Mutter, – »Sie werden doch meine arme Minna nicht aus dem Hause stoßen, und Gelegenheit zu allerlei Gerüchten geben?« – »Nennst Du das verstoßen, Louischen, wenn sie die Ehre hat, Gesellschafterin meiner Schwester zu seyn, die ein treffliches und geehrtes Weib ist?« – »Das bestreite ich nicht, lieber Moorheim,« – erwiederte meine Mutter mit ihrer süßen, reinen Stimme; – »aber ich dächte, Minna verdiente jetzt auf ihr freiwilliges, edles Geständniß den Lohn des unbedingten Zutrauens. Von
Was er in diesem Tone sprach, war unwiderruflich. Das wußte meine Mutter so gut als ich; Thränen drängten sich aus den Augen der Schweigenden, und sie winkte mir zu, nicht weiter mit fruchtlosen Bitten in ihn zu dringen. Es wäre auch vergeblich gewesen; denn er entließ uns, um auf der Stelle an seine Schwester zu schreiben.
Von diesem Augenblicke an war der Frohsinn meines Jugendlebens dahin; selbst in Gegenwart meiner so geliebten Mutter fühlte ich mich gedrückt. Zufälliger Ernst schien mir Strenge, und die sanfteste Zurechtweisung ein Vorwurf. Ich versagte mir jeden Genuß, um ihr Mißtrauen nicht zu erregen. O, Bewußtseyn, wie unläugbar bist Du der
Ida war am folgenden Abend heiter genug, ihre Freundin mit dem Scherz zur Fortsetzung ihrer Erzählung aufzufordern, daß sie dieselbe ihre Scheherazade nannte. Minna wußte genau, wo sie abgebrochen hatte, und fing folgendermaßen an: – Die auserlesenste Güte meiner Mutter
Jetzt traf diese Heftigkeit ein geliebtes Kind, den lebendigen Abdruck eines, in ihrem stillen Herzen noch lebenden, geliebten Gatten. Unser Verhältniß wurde mit jedem Tage gespannter, so, daß es uns allen Wohlthat war, als ein Brief von der Räthin Brennfeld ankam, der mir Aufnahme in ihrem Hause zusicherte.
Meine kleine Reiseequipage war bald zusammengebracht. Die gute Mutter besorgte
Ich war ohne Fassung, als die Stunde
Der Frühling hatte sich eben in seiner ganzen verherrlichten Gestalt entfaltet. Über die Fluren wallte ein mildes Grün; an allen Wegen war Blüthenduft und Vogelgesang. vornehme und geehrte Person sei, erweisen müsse, wobei der Handkuß nicht vergessen wurde. Durch alle diese Vorspiegelungen suchte er in mir das demüthige Gefühl meiner Unbedeutsamkeit zu erwecken, und es gelang ihm nur zu gut. – Mein kleiner Ehrgeiz war empört; ich haßte im Voraus die Menschen, die mich so zu nichts machen würden, und verwünschte von ganzer Seele meinen künftigen Wohnort, als er sich mir unerwartet von einer Anhöhe darstellte. So nahe waren wir ihm schon.
Da lag nun vor mir, von der Abendsonne übergoldet, die schöne Königsstadt mit ihren hohen Thürmen und vielen tausend pralenden Dächern. Ich brach in einen Strom von Thränen aus, und machte meinem Herzen durch Äußerungen des heftigsten Widerwillens
Mit lautem Herzklopfen betrat ich dieses Haus, im bangen Vorgefühl alles Ungemachs, das mich hier erwartete. Ein junges geschniegeltes Hausmädchen empfing uns, und berichtete mit affektirtem Schnarren: die Frau Räthin seien nicht zu Hause, würden aber unfehlbar zum Abendessen erwartet. »Meine Schwester vermuthete unsere Ankunft doch?« – fragte mein Stiefvater. »Ja; aber die Frau Räthin sind schon seit vierzehn Tagen beständig engagirt gewesen. Heute ist Thee dansant bei – – ich weiß nicht mehr wem? Sie konnten es nicht abschlagen.«
Das schnippische Mädchen musterte mich
Das Wohnzimmer der Dame, in welches man uns eintreten ließ, war kalt und unfreundlich, und noch naß vom Scheuern, weshalb uns auch das Mädchen die Weisung gab, uns ja auf den von Leinwand gelegten Fußsteigen zu halten. In diesem unwirthbaren Zimmer sah man keine Spur einer weiblichen Niederlassung, außer einem mit Büchern bepackten Sopha, und einem mit Visitenkarten eingefaßten Spiegel.
Nach einer halben Stunde erschien zuerst Herr Brennfeld, ein Mann von mittlern Alter, dem Frieden und Vollgenuß im angenehmen Gesicht saß. Er hieß uns liebreich willkommen, und entschuldigte die Abwesenheit seiner Frau, so gut es anging. Der Ton seiner Unterhaltung war ungekünstelt, treuherzig und Zutrauen einflößend; ich glaubte meinen seligen Vater zu hören. Der gütige Mann gab mir Gelegenheit zu
Um Sie durch Weitläuftigkeiten nicht zu ermüden, eile ich zur Zuhausekunft der Frau Näthin, die erst nach einer guten Stunde erfolgte. Mir schlug das Herz, als ich auf der Treppe eine hohltönende weibliche Stimme fragen, oder vielmehr schreien hörte: »Wo ist mein Bruder? wo ist er?« Die Thür flog auf, und eine hagre Gestalt stürzte mit theatralischem Anstande dem Bruder in die Arme. Statt der Rührung empfand ich Widerwillen gegen diese Art, Freude auszudrücken; denn der Ton ihrer Stimme war nicht der Ton der Freude und schwesterlichen Liebe, er war rauh und unbiegsam, und es schien mir eine Lieblingsmelodie, der ein fremdartiger (heterogener, würde
Mein Stiefvater hatte versichert, daß seine Schwester das unnütze Geschöpf loswerden solle, weil er mir befehlen würde, es sogleich abzuschaffen. Ich seufzte tief. So unbedeutend an sich dieser Vorfall ist, so war er mir ein klarer Beweis, wie wenig Nachsicht und Schonung die kleinen unschuldigen
Madame Brennfeld war hagerer Gestalt, mit schlangenartiger Biegsamkeit begabt; in der Sprache der feinen Welt nannte man sie degagirt. In ihrem damals noch jugendlichen Gesichte lag eine Härte, die mir gleich gar nicht zusagte. Sie galt im Ganzen für hübsch; bei genauerer Untersuchung fand man aber, daß es der feine, überlegt gewählte Putz war, der jeden Theil des Gesichts und der Gestalt in sein vortheilhaftestes Licht setzte. Ich habe dagegen nichts einzuwenden, auch nicht gegen das wenige Roth, welches sie auflegte, die bleichste Gesichtsfarbe zu heben; denn in meinen Augen hat Rothauflegen und Puder in die Haare streuen eine Absicht, und beides ist als Verschönerungsmittel gleichgültig, in so fern die Gesundheit nicht darunter leidet. In ihrer
Die Frau Räthin hätte sich gewiß weder ihres Bruders, noch viel weniger meinetwegen in Kosten der Unterhaltung gesetzt; denn ihr Bruder schien ihr in der kleinen Stadt verspießbürgert, und mir traute sie nicht einmal zu, daß ich Notiz von mehr
Der junge Mann war nicht uneben, jagte nach Witz, den er oft glücklich genug erhaschte, und da die Frau Räthin sich trefflich auf Eitelkeit verstand, so schmeichelte sie der seinigen sehr angenehm damit, daß sie ihn bat, von seinen Gedichten vorzulesen. Er hatte ein ganzes Volumen davon bei sich, und deklamirte sehr niedliche Sächelchen, die selbst mein Stiefvater, kein übler
Zu meinem Troste erschien der Bediente, der uns zu Tische rief. Noch gedenke ich mit Widerwillen jener Abendmahlzeit, als der drückendsten, der ich je beiwohnte. Ich fühlte, daß ich in dieser Familie nie einheimisch Fi donc, mon cher, Sie werden doch nicht« – – mißfällig bemerkte.
Gegen Mitternacht hatte ein jeder die Freiheit, sich in sein Zimmer zu begeben. Auch der Raum, wohin man mich wies, hieß hier ein Zimmer. Wie ich überhaupt schon bemerkt hatte, daß es hier zum Tone gehörte, die gemeinsten Dinge mit schönen Namen zu putzen, so nannte man bei Tische à la daube,« gemein gekochte Krebse »à la dauphine,« einen, an der Treppe stehenden, baufälligen Kleiderschrank »eine Garderobe,« u.s.w. Dieses Zimmer denn also, welches mir zur Wohnung angewiesen wurde, war ein Gegenstück zu den Zimmern in der Bastille, und an der Beschaffenheit des darin befindlichen Mobiliars merkte ich bald, was ich in dieser Familie seyn würde.
Statt mich niederzulegen, setzte ich mich auf den einzigen alten Stuhl, der vorhanden war, und weinte bitterlich. In einem Nebenzimmer hörte ich meinen Stiefvater, auf und abgehend, mit lauter Stimme ein Abendlied singen. Diese bekannten Töne, die ich so oft, in Gegenwart meiner guten Mutter, gehört hatte, durchdrangen mein Innerstes aufs schärfste. So saß ich traurend, bald mich selbst, bald mein Hündchen
Und das wollen wir jetzt auch thun. Sie husten, meine Ida. Die Nacht ist kalt. Bis auf frohes Wiedersehn!
Der folgende Abend brachte die Freundinnen wieder zusammen, und Minna setzte ihre Erzählung also fort:
Die Frau Räthin, die ich am folgenden Tage sah, als sie um zehn Uhr aufgestanden war, schien mir eine ganz andre zu seyn, als die, der ich Abends zuvor eine gute Nacht gewünscht hätte. Sie zankte mit ihren Mägden; und als eine arme Frau ihr Handbesen verkaufte, drückte diese elegante Dame das arme Weib, um zwei Pfennige weniger
Ich übergehe die unlustigen anderthalb Jahre, die ich in diesem Hause der Zwietracht und der Widerwärtigkeit verlebt habe, und erwähne nur noch einer Szene, wodurch Madame bis zu Thränen gedemüthigt wurde, und die mir unvergeßlich geblieben ist. Zu den Abendessen, welche sie ihre gelehrten Donnerstage hieß, fanden sich immer viele junge Herren, die Schöngeisterei trieben, ein. Ihr Liebling und erklärter Verehrer war ein junger Edelmann aus der Provinz, den sie so verstrickt hatte, daß er seinem Berufe nicht mehr oblag, und seine mehrste Zeit in behaglichem Müssiggange zubrachte. An einem schönen Donnerstage – Madame war so besonders guter Laune, daß sie sogar mich, der armen Lastträgerin, eine Stelle in der
»Wohlgebohrne Frau! (wahrhaftig, eine vielversprechende Überschrift!) Meine Verwandte, die mit Ihnen an einem Orte sich befinden, haben mir einen hohen Begriff von Ihrem Verstande, (o! sehr gütig!) aber zugleich auch von Ihrem Talente, junge Männer – – (des Barons Stimme stockte; die Räthin rief: so lesen Sie doch!)
Das ging der Dame bitter ein; sie war einer Ohnmacht nahe, und hätte besonders mich gern mit den Augen getödtet, weil ich mich unterstand zugegen zu seyn. Ich saß da wie auf Kohlen, und wünschte mich weit weg. Mir traten Thränen in die Augen; denn es war wirklich schrecklich, diese stolze Frau so aufs Blut gedemüthigt zu sehen. Dieser Vorfall, – sollten Sie's glauben? Ida! – verschaffte mir die Verehrung eines Mannes, der nachher mein Gatte wurde. Er, dem es bekannt war, wie die Räthin mich zu mißhandeln pflegte, hatte mich beobachtet, ob ich triumphirend auf sie hinblicken würde; als er aber das Gegentheil sah, dachte er gut genug von meinem Herzen,
Seit diesem unseligen Auftritte ließ es sich die Räthin immer deutlicher merken, wie sehr ich ihr zuwider sei, und wie gern sie mich los zu seyn wünsche. In dieser Rücksicht beförderte sie die Bewerbung des Rath Thalheim aufs eifrigste. Ich hatte nichts entgegenzusetzen, als daß mein Herz ihn gar nicht auszeichnete; er war mir, wie alle übrigen Männer in der Welt, gleichgültig. Von dieser Seite war ich völlig frei und unbefangen. Der Wunsch meiner redlichen Mutter, mich versorgt zu sehn, wurde durch meine Zustimmung aufs vollständigste erfüllt; denn Herr Thalheim hatte nicht nur ein einträgliches Amt, sondern auch eigenes Vermögen, und machte einen an ständigen Aufwand. Seine Person war nicht übel; sie streifte an die damalige Art von Eleganz,
Sobald ich die Einwilligung meiner Mutter wußte, zögerte ich nicht mein Jawort zu geben; die Anstalten wurden eifrig betrieben, und meine gütige Mutter kam bald mit der schon fertigliegenden Ausstattung an. Sie war sehr zufrieden mit ihrem zukünftigen Schwiegersohne, und gab uns ihren Segen, als die priesterliche Hand uns zusammengefügt hatte.
Bis jetzt, meine Ida, haben Sie mich als der Geliebte war es jedoch nicht, den ich eigentlich meinte. Ein Besserer würde mir besser gefallen haben; aber der, an dem ich meine Schwungkraft übte, war mir der Nächste, und lief mir in den Weg. Ach, ich fühlte mich so ganz geschaffen, durch Liebe zu beglücken, und beglückt zu seyn; aber ich sollte auf anderem Wege die Glückssonne finden, welche die zweite Hälfte meines Sommers erwärmt!
»Der zweite Akt, liebe Minna, der zweite Akt! Ich bin begierig, die Räthin Thalheim kennen zu lernen!« – rief Ida.
Ich hatte meine neue Haushaltung mit dem festen Vorsatze betreten: im ganzen Umfange des Worts Hausfrau zu seyn. Diese Pflicht, dacht' ich, wird ja wohl mit Weltgenuß nicht unvereinbar seyn? – Ich will haushälterisch mit meiner Zeit umgehn, und mir nur dann erst Erholung verstatten, wenn Bekanntschaft machen. Dies fand ich sehr langweilig. Durch die Gastgebote, die dem jungen Paare zu Ehren veranstaltet
Die ganze Unterhaltung bei Tische lief auf Gemeinplätze hinaus; aber der artige Styl des Vortrags bestach mein Urtheil, und ich hielt es für ganz hübsch. Indeß fühlte ich recht gut, daß ich hätte mitsprechen können, aber ich wagte mich nicht hervor. Meiner Sprache fehlte die Geläufigkeit des Ausdrucks und der Wendungen; auch entging ihr das Gepränge gewisser Modewörter, ohne welche sie nur falsche oder abgesetzte
Die ältliche Frau, welche den Fragern die Bahn gebrochen hatte, blieb zu meiner Gesellschaft allein übrig. Sie war noch immer unersättlich in ihrer Wißbegierde, aber leider! war jetzt mein Mund wie versiegelt. Als dieser Abend nun auch überstanden war, bat ich meinen Mann, mich fernerhin nicht mehr so traurigem Vergnügen auszusetzen. Er fragte mich lachend: ob mir in meinem
Von dieser Zeit fing ich an auf den Ton auszugehn, und alles dafür zu halten, was von dem Gewohnten abstach. Das Geräusch der Kokette, womit sie Aller Augen auf sich zu ziehen suchte, die Pedanterie der Anspruchvollen, die mit studiertem Ausdruck ihre Belesenheit auskramte, jede Besonderheit hielt ich für das rechte. So wurde ich immer ungewisser in dem, was ich eigentlich seyn müßte; und erst lange nachher, als ich zu vergleichen Gelegenheit und Reife genug hatte, fand ich, daß ich einem Phantom
Nach langem Umherschwirren und lästigem Selbstbewirthen wurden wir endlich zu einer Gesellschaft solcher Männer eingeladen, die ich aus ihren Schriften, gleich unsichtbaren wohlthätigen Gottheiten, verehrt hatte. Bei der Vorstellung, daß ich diese erhabnen Wesen jetzt in der Nähe von Angesicht zu Angesicht sehn würde, ergriff mich ein heiliger Schauer, mein Geist neigte sich ehrfurchtsvoll, und ich besorgte, mit meinen fünf Sinnen die Weisheit nicht auffassen zu können, die mir zu hören bevorstand. Ich ging, und hörte an dem Ausdruck: »wir
Rezensenten« – – sehr bald, wer die meisten dieser Herren waren. Da gedachte ich eines französischen Reimleins, was mein Vater einst bei einer sehr hämischen Rezension sagte:
»Ich habe die Vorrede gelesen,« sagte einer, »das Buch soll nicht sonderlich seyn; ich werde es schön kappen!« – Dann ein anderer: »Haben Sie meine Rezension von dem – – in dem – – gelesen? Ich habe mir einen Spaß mit dem Verfasser gemacht. Das Ding ist eigentlich ganz gut; aber so einer – – muß nicht aufkommen. Hat der Mensch sich's nicht beikommen lassen, unser Journal zu bekritteln?« – Von einem liebenswürdigen
Die Frauen nahmen auch hier, so wie in den andern Gesellschaften, keine Kunde von der Unterhaltung der Männer, und flüsterten einander ihre kleinen Unbedeutsamkeiten zu. Ich verließ auch diesen Zirkel unbefriedigt, weil ich zu hohe Anforderungen gemacht hatte; aber diese Namen, dieser Ruf, berechtigten doch zu etwas mehr als dem Gewöhnlichem! Mein Mann nahm mir's übel, als ich meinen Widerwillen gegen den Rezensentenklub zu erkennen gab. »Sollte sich denn nirgends Genuß für meine achtzehnjährige Philosophin finden?« sagt' er verdrießlich. »Heut' führ' ich Dich in's Schauspiel; und gewährt Dir dieses nichts, so muß ich's wohl aufgeben, Dir Freuden
Ich rechne mir es nicht zum Verdienst an, daß ich im Schauspiele ein Vergnügen fand, das mich ganz an sich zog. Ifflands Jäger fesselten mich durch ihre Wahrheit und reine Natur, die ich kannte. Iffland ist der Stolz und die Ehre der Nation; seinen vielfachen Werth nicht fühlen wollen, eine Zusammenkunft unter Gottes freiem Himmel, – ein Liebhaber, dessen Plumpheit meinem Gefühle widerstand! – wer weiß, was schon damals aus dem unbesonnenen Mädchen geworden wäre, wenn die Mißverhältnisse nicht so gar grell ins Auge gefallen wären. – Ich war überdem zur Schamhaftigkeit erzogen, und hatte aus
Ich kehre zu meinen Bekenntnissen zurück. Das Schauspiel fesselte mich so, daß ich gleichsam in eine idealische Welt versetzt war. Meine Phantasie hatte einen so lebhaften Schwung bekommen, daß mir die kältern Verhältnisse meines Hausstandes zum Ekel wurden. Der ruhige, bloß freundschaftliche Umgang mit meinem Manne schien mir träge Abspannung zu seyn; mich grauete vor aller häuslichen Beschäftigung; ich verrichtete sie obenhin und mit Widerwillen. Das Leben im Hause war mir ein bloßer Mittelstand, welchen ich ertrug, in so fern et Zubereitung zu der bessern Existenz im Schauspielhause war.
Anfänglich lächelte mein Mann, wenn er meine Extase über alles, was auf Schauspiel Bezug hatte, bemerkte. Ach, möchten
Ein Gewitter, das sich durch schreckliche Blitze verkündigte, unterbrach die Freundinnen; sie kamen erst nach vielen Abenden wieder auf ihrem schönen heimlichen Plätzchen zusammen.
»Wir verließen Sie neulich im Kindbett. – Wie vermochten Sie damals diese Einsamkeit zu ertragen?« – fragte Ida.
Die Leiden meines neuen Standes – fuhr Minna fort, – wirkten allerdings einige Rückkehr zu mir selbst. Nach meinen, in dem Städtchen, oder vielmehr vom Stiefvater mir eingebläueten, Begriffen nahm ich mir vor: den strengen Herrn wieder gut zu ma chen, und geistliche Bücher zu lesen. Systeme de la nature; mein armer, schwacher Kopf hatte keine Widerlegung zur Hand, ich nahm blindlings an, was ich mit
Ihretwegen, ja, nur ihretwegen wird mancher Aufwand gemacht, ihretwegen werden die Wohnungen so oder anders geordnet, ihre kindischen Reden werden ganzen Gesellschaften wie Orakelsprüche wiederholt; und das alles, weil der alte Bürger von Genf einst gesagt hat: die Mütter sollen Mütter seyn. – Ja, hätte er den Müttern seine Hände auflegen und seinen Geist mittheilen können! Was fruchtet es, daß die Mütter ihre kleinen Äffchen unaufhörlich verhätscheln? Lieben etwa jetzt Kinder die Eltern mehr als ehedem? Ach! die öffentlichen Blätter beweisen es nicht, worin oft trostlose Eltern die ungezähmten, entlaufnen Söhne flehentlich einladen, nur wiederzukehren, und in rührenden Ausdrücken dem Flüchtlinge die erwartete Nachsicht und Verzeihung betheuren!
Die ungewohnte Regelmäßigkeit, die sich während dieser Ereignisse gleichsam von selbst im Hauswesen eingefunden hatte, machte meinem Manne Langeweile, und scheuchte ihn fort. Er besuchte täglich eine Gesellschaft,
In meinem Hause ging es während dieser täglichen Auswanderungen kraus und bunt durch einander. Die Domestiken, welche es sehr gut wußten, daß ihre Frau zu gewissen Stunden abwesend war, machten ebenfalls ihre Parthieen in und außer dem Hause, spannen Liebeshändel an, und belogen und betrogen mich an allen Ecken. – Meinem Kinde wurde ich fremd, der Knabe war mir abgeneigt; denn wenn das arme verwahrlosete Geschöpf weinte, wurde es mit der Mama bedroht. »Sie kömmt, sie soll Dich schon strafen!« hieß es; und dadurch war ihm Mama so sehr zum Popanz geworden, daß es sich ängstlich verbarg, sobald es nur meine Stimme hörte.
Das rührte mich aber nicht, wie es wohl
Das schöne baare blanke Geld, welches mir mein Mann gab, um den Domestiken ihren Lohn auszuzahlen, jammerte mich, und ich hatte von ganz gut renommirten Frauen gehört, daß sie ihren Mädchen, statt der versprochnen Münze, alte abgelegte Kleider gaben. Das schien mir nachahmungswürdig; ich sichtete meinen Kleidervorrath, fand viel Veraltetes, legte es in bester Gestalt auf Stühlen aus, machte unmäßige Preise, und rief meine Mädchen herein. Die jüngste, ein eitles, thörichtes Ding, haschte gierig nach dem modischen Plunder, ließ sich jeden Preis gefallen, und die Frau Räthin strich richtig die blanken Thaler ein. Bald nachher strotzte sie in dem zusammengestoppelten Flitterstaate, und ich beging nun noch die
Ein zweites Wochenbett, worin ich meine Tochter gebahr, war mir eine unangenehme Unterbrechung meiner Lebensweise. Ich nahm eine Amme, um geschwinder loszukommen.
Noch war es nicht zu spät umzukehren, hätte mein Mann nur ein Fünkchen Glauben an stille häusliche Zufriedenheit gehabt. Kam die gewohnte Stunde zur Abendgesellschaft, so war's als würden wir mit einem Schlage beide elektrisirt. War zu dieser Zeit jemand bei uns, so wurde es auffallend und lächerlich, unsre Zerstreuung zu bemerken, zu sehn, wie wir einander winkten, und die Sprache nur dann erst wiederfanden, wenn der Gast Miene machte, gehn zu wollen.
Weib entwickelt ihn mit schneller Fertigkeit!« Sollte es aber nicht ein Fehler der gewöhnlichen Mädchenerziehung seyn, daß man den Begriff von Tugend uns zu sehr vereinzelt, und beinahe die Keuschheit ausschließend darunter versteht? Diese an sich so schöne, so göttliche Tugend muß dann oft bei wahren Hausdämonen für den Mangel aller übrigen schadlos halten. Mich dünkt, es war Anna von Bretagne, die böse und geizig, aber sehr keusch war, von welcher ihr Gemahl sagte: »ich wollte, sie wäre etwas weniger keusch!«
Liebe gewesen; zwar kindliche, aber dennoch immer Liebe! Auch meinem Gatten hätte ich gern aus vollem Herzen Liebe gegeben, wäre sie nur seinem Herzen werth gewesen. Ach! Liebe will Gegenliebe; sie will empfunden, gewürdigt, erwiedert seyn! Ihm war aber die Liebe, – an welcher sein Herz nicht Theil nahm, – zur Gewohnheit, zu einem Zeremoniel geworden, wobei er kalt blieb, und womit er mein heißes Gefühl zur kalten Gefühllosigkeit herabstimmte. In meinem Herzen blieb eine Leere, welche auszufüllen ich mich dunkel sehnte. Noch erlaubte ich mir auch nicht das fernste Hindrängen zum andern Geschlecht; allein Erfahrung hat mich beinahe überzeugt, daß die unzählichen Gelegenheiten
Allein man sehe nur, mit welchen Prätensionen die Modefrauen in Gesellschaften erscheinen! Jede zeigt sich so liebenswürdig, so sonntagsmäßig! Die schönsten Seiten werden im schönsten Lichte producirt! Dagegen
Aber Ida, der Vollmond steht hoch über uns; es muß über Mitternacht seyn! Ich sehe, es ist Ihnen jetzt Bedürfniß zu ruhen, und nicht zu hören.
Wenn bei des Vollmond's Dämmerlichte,« etc. Ihr Blick hing bethränt an dem Monde. Es war sichtbar, daß schwerer Kummer, Erinnerung oder ahnendes Vorgefühl an ihrem Herzen nagten. Minna hatte der schönen Stimme gelauscht; küßte dann freundlich die Thränen von ihrer Wange, nahm die Mandoline, und sang ihrer Lieben die Abendempfindungen von Schlegel: »Hinaus, mein Blick, hinaus in's Thal!« etc. – Ida horchte auf die beruhigenden Töne; ihre Stimmung ging in sanfte Heiterkeit über, und die Unterredung wurde bald auf den eigentlichen Gegenstand ihrer Zusammenkunft geführt.
»Sie haben mir,« fing Ida an, »etwas
Was soll ich sagen? Vielleicht gedeiht ächte, hingebende Liebe nie im Geräusch der großen Welt, und eine Liebe, wie der Mann und das Weib der Zerstreuung sie fühlen, ist bloßes Bedürfniß der Langenweile. Eine solche findet auch am Spieltische statt. Ein von ganzer Seele liebender Mann würde der jetzigen Mode zu leben ein seltnes Schauspiel gewähren, und sich in den Augen der persiflirenden Menge zum Narrenhause qualificiren; kaum duldet man ihn ja noch in
Es wird alles gut gehn, sagte Ida; sehn Sie nur unverwandt auf die größere Masse des Guten und Besseren hin. Wir sind fortgerückt. Ungern ließe ich mir die herzerhebende Vorstellung von Menschenglück durch fortschreitende Vervollkommnung rauben. – Diese Betrachtungen haben uns aber himmelweit von Ihrer Erzählung abgebracht; ich bitte um die Fortsetzung.
Ich gehe willig Ihren Bemerkungen nach, – entgegnete Minna, – weil ich Sie gern so lange als möglich von dem Zeitpunkte
Unsre fortwährende zerstreute Lebensart erforderte einen Aufwand, der vermuthlich meines Mannes Einkünfte übersteigen mochte. Er fuhr gleichwohl fort, täglich zu spielen, und verlor Summen, deren Größe ich selten erfuhr. Das veranlaßte Einschränkungen im Hauswesen, die mir lästig fielen, weil sie mich zu mehrerer Thätigkeit aufforderten. Wenn mir mein Mann, nach zehnmal vergeblichem Fordern, das Geld, seine elend versorgten Kinder zu kleiden, mürrisch hinwarf, so mußten mir wohl die schönen Dukaten einfallen, die das l'Hombrehinwegraffte. Wurde ich unmuthig genug, eine solche Bemerkung laut werden zu lassen, so bekam ich den Vorwurf
Jungen Weibern fehlt es nie an spähenden Beobachtern, deren Scharfblicke das eheliche Verhältniß nicht entgeht. Sobald Kälte eintritt, fangen die galanten Kaper an zu kreuzen, und mehrentheils ist ihnen ein solches Weib eine gute Prise.
Schon längst war mir's heimlich aufgefallen, daß meine sehr artige Figur und jugendliche Frischheit so wenig Sensation erregte, indeß Weiber von ganz gemeinem Ansehn es durch die Kunstgriffe der Toilette dahin brachten, für schön zu gelten, und Liebhaber an sich zu ziehn. Bei der jetzigen Lage
Ein junger Mann, von schönem Äußern und schwarzer Seele, war mir auf allen meinen Irrwegen unbemerkt nachgeschlichen. – Ihm, dem Weiberkenner, war die Revolution in meinem Putze nicht entgangen, und er hatte ihre Bedeutung richtig zu entzieffern verstanden. Nicht auf einmal, sondern wie der Tyger sich seinem Raube nähert, näherte eben jetzt bewies, ja selbst die tausend kleinen Aufmerksamkeiten, mit denen man mir entgegenkam, und die zu sagen schienen: »jetzt ist sie worden wie unser
Aber der Zustand der innern Selbstverachtung peinigte mich doch oft aufs schmerzlichste. Ein liebkosendes Wort, selbst die Benennung Mutter von meinen Kindern, ein Brief von meiner nun sehr kränklichen Mutter, erschütterten mich gewaltsam. Dann hätte ich mich in meines Herzens Beklommenheit gern an ein höheres Wesen gewendet, die brennende Unruhe durch Gebet und Hingebung gelindert; aber der Bösewicht, der meine Ehre zu Schanden machte, hatte mich
Ein schwacher Überrest von Ehrgefühl oder Stolz hatte mich abgehalten, meine Domestiken zu Vertrauten meines Liebeshandels zu machen. Der hereinbrechende Winter erschwerte unsre Zusammenkünfte. Mein Verderber gab darüber viel Traurens vor. Als ich in ihn drang, mir seine Meinung über unsre Zusammenkunft zu sagen, gab er zu verstehn: uns sei geholfen, wenn ich ihn hinreichend liebe, mich über einige kleine Vorurtheile hinwegzusetzen. Ich machte mich anheischig, ihn jeden Beweis meiner Zuneigung zu geben, den er nur fordern würde; und so geschah es, daß ich mich zu Zusammenkünften in einer abgelegenen Straße bei
Die Elende, die sich für Geld zu einem so niedrigen Gewerbe hergab, bediente ihre Gäste mit theuren Leckerbissen, die nicht abgelehnt werden durften, wenn das Siegel ihrer Verschwiegenheit halten sollte. Diesen Aufwand zu bestreiten, reichte der Finanzbestand meines – ach, daß ich ihn Verführer nennen dürfte! – nicht zu. Er ließ es, mit gewissen Winken begleitet, merken, die ich nur zu geschwind verstand. Ach Ida! auch hier muß ich es wiederholen: der Mensch sinkt von einer Stufe des Verderbens zur andern, sobald er seine Moralität nicht an ein religiöses Interesse knüpft, oder die Ahnung der bürgerlichen Gesetze zu fürchten hat! Die Tugend, die sich durch sich selbst belohnt, mag starken, denkenden Köpfen, oder kalten, leidenschaftlosen Temperamenten Diebin! ich bestahl meines Mannes Kasse! – Sie werden blaß, Ida! die Dämmrung hindert mich nicht, es zu bemerken. – Ida antwortete mit Thränen: »Ich bedaure Sie von ganzer Seele! Es hat einst jemand gesagt: ›man erkennt die Geliebte in dem Liebhaber.‹ Ein tugendhafter Mann hätte Sie zum Engel erhoben.
Sie setzen das Unmögliche, Ida; erwiederte Minna. Ein besserer Mann würde nicht sein strafbares Auge auf seines Freundes Weib geworfen haben. Aber lassen Sie mich leise über diese noch immer schmerzhafte Narbe meines Gewissens wegeilen. – Wir lebten von diesem Blutgelde – es war aus einer Depositenkasse von Kindergeldern, – herrlich, aber wahrlich! nicht in Freuden; denn so oft ich die unselige Schwelle betrat, bemächtigte sich ein entschiedner Trübsinn meiner Seele, der beinahe Verzweiflung wurde, als ich einst bemerkte, daß ich nicht die einzige Frauensperson sei, welche dieses Haus in verbotener Absicht besuchte. Eine Figur, verhüllt in einen Florschleier, schlüpfte bei einer Glasthür vorüber. Das Kleid, die Leibbinde und den farbigen Handschuh
Einst ging ich, um kein Aufsehn zu machen, in einem schlichten Anzuge früher in das unselige Haus. Die Domina führte mich in ein unteres, mir unbekanntes Zimmer, weil, wie es hieß, das gewöhnliche vom Reinigen naß sei. Mit klopfendem Herzen ging ich, im Vorgefühl der mir bevorstehenden Katastrophe, auf und nieder. Ich blieb lange allein, bis sich hörbar ein männlicher Tritt der Thür nahete. »Hier in diesem Zimmer find' ich sie?« hört' ich die, mir nur zu gut bekannte, Stimme meines Mannes
Mein Mann stand vor mir, in ungewisser Haltung und mit Verlegenheit im Gesicht. »So ganz ohne Muth? Sie sind eine erbärmliche Sünderin, Madame!« sagte er bitter; »was werden Sie jetzt beschließen?« – So übel ihm, dem nicht minder Strafbaren, dieser Ton auch anstand, drang er doch tief in mein zermalmtes Herz. Weit von allem Trotze entfernt, rief ich, weinend und vor ihm hinknieend: »Ich beschließe, hier nicht eher aufzustehen, bis ich Deine Vergebung erflehet habe, bis Du mein
Dieses Bekenntniß ist mir über alle Beschreibung schwer geworden. Ich fühle mich nicht im Stande, heute mehr zu sagen; meine Kräfte sind alle von dieser entsetzlichen Erzählung erschöpft. Ach Ida, möcht' ich jetzt einen Blick in Ihr Herz wagen dürfen! –
»Die Minna, welche ich liebe, ist nicht mehr die Gefallene; nein, das schöne Antlitz der edelsten Menschheit ist ganz wieder in ihr hergestellt! Diesen Glauben an Ihre wieder in die alten Rechte eingetretene Würde sollen Sie selbst mir nicht rauben können!« sagte Ida schwärmerisch. »Doch, kein Wort weiter; Sie bedürfen Schonung und Ruhe.«
Das tête-à tête, – fing Minna am folgenden Abend ihre Erzählung an, – welches mir mit meinem an seiner Ehre gekränkten Manne bevorstand, erforderte einen Muth, zu dem meine gebeugten Kräfte sich nicht erheben konnten, obgleich seine eigene unrühmliche Absicht mich hätte aufrecht halten
Das, wodurch die brennende Wunde meines Gewissens Linderung erhalten sollte, wäre mir zur andern Zeit ein entsetzliches Übel gewesen. Ich verfiel nämlich in ein hitziges Fieber, welches lange anhielt, und Ich gebe mich, ich bin verloren! Rette Deine Mitgift.« – Keinen Heller! nicht einen, so weit es nur immer zum Ersatz zureichen mag: rief ich standhaft zusammengenommen. In diesem kritischen Moment zeigte sich mir in der Ferne ein großes Mittel, mich wieder zu einiger Würde und einigem Verdienste um meinen Mann zu erheben; ich fühlte Muth und Entschlossenheit, mit zu tragen und mit zu leiden. Was steht uns bevor? was müssen wir thun? rief ich stark und entschieden. – »Dieses Haus räumen, Minna, und es mit allem was es enthält, den Defekt zu decken, hingeben. Mich wird man, bis zur ausgemachten Sache, festsetzen und kassiren. Dann werden wir uns klein, sehr in's Kleine zusammenziehen müssen, und ich werde, wenn mir besondere Gnade widerfährt, vielleicht ich wußte genau, daß ich nicht thatenleere Worte hinprunkte.
Es traf alles genau so ein, wie mein Mann gesagt hatte. Uns widerfuhr das strengste Recht. Auf Mitleiden durften wir nicht rechnen; denn er hatte die Schwachheit krasse Bürgerliche wollen es dadurch der vornehmern Klasse gleichthun, und es hat doch weder Art noch Geschick. Es geschieht ihnen ganz recht.« – So sprachen die, welche wahrlich nicht scheel sahen, als der edle Rheinwein ihnen in unsern Gläsern zublinkte. Wie liebkosend hatten jene Herren oft die Hand geküßt, an welcher der beneidete Brillant einst schimmerte! und nun waren. sie emsig, die Sinkenden noch tiefer
Jetzt wurde ich auch mit Entsetzen gewahr, wie sehr meine armen Kinder durch meinen Leichtsinn verwahrloset waren, und dies war's eigentlich, was mich bei unsrer Armuth tief in den Staub beugte. Die Folgen dieser Verwahrlosung konnte ich gar nicht berechnen. Meinen Sohn hatte ich, ehe er noch ein Jahr alt war, einem jungen, und, wie es sich zeigte, liederlichem
Nach dem Tode meines unglücklichen Kindes fiel ich in einen Zustand von Gemüthsschwäche, die mich für jeden Eindruck äußerst empfänglich machte. Unter so großen Leiden hatte meine Seele eine gewisse Schwungkraft erhalten, durch welche sie über sich
So ließ ich mich einst von dem kleinen Dienstmädchen (denn nun hielt ich keine stattliche Jungfern mehr) bereden, eine Wahrsagerin kommen zu lassen, die aus Karten und Kaffee die Zukunft in bunten lustigen Bildern zu sehen vorgiebt. Das Weib, welches ich in meines Mannes Abwesenheit zu mir kommen ließ, war eine der listigsten und
Eines Abends kam mein Mann ungewöhnlich heiter von dem Buchdrucker, dem er Korrekturen gebracht hatte, zurück. Ich sah ihn forschend an. »Liebes Weib,« – rief er mir so munter, wie er lange nicht gewesen war, zu, – »es hat sich ein helles Wölkchen an unserm Horizonte gezeigt. In der Buchdruckerei traf ich den Sekretär des *** von ****; er sagte mir: es sei eine Stelle bei dem ** schen Departemente offen, die sein Herr vielleicht nicht abgeneigt seyn würde mir zu geben, nur müßte ich schriftlich deswegen einkommen.« Daß bei diesen
Still und bekümmert verstrich uns dieser Tag. »Eine mühselige Korrektur!« – seufzte mein Mann einigemale 'bei seiner Arbeit. »Der Nähnadelverdienst ist's nicht minder!« – antwortete ich, mit ebenfalls beklemmtem Herzen. – »Denke daran, daß wir unser Gutes genossen haben, Minna.« – »Ach freilich, freilich, mein Lieber! wiewohl nur eine kurze Zeit.« – »Wir haben unsren guten Tagen selbst ein Ende gemacht, Minna.« – »O, das ist die tief einschneidende Seite meines Grams; und dann: daß ich ihn nicht mit dem kindlichen, hingebenden Zutrauen auf Vorsicht und Menschheit tragen kann! Den Glauben raubte mir frecher Witz. Die spottende, leichtsinnige Welt spielte mir tändelnd einen festen, haltbaren Stab aus der Hand, und gab mir
Still für mich stellte ich diese Betrachtungen an, und brach dann noch einmal in die Worte aus: »O, daß ich diese Stadt und diese Menschen nie mit Augen gesehen hätte!« – »Minna,« sagte mein Gatte, »laß uns nicht ungerecht seyn! Laß uns nicht diese gute Stadt anklagen, weil wir sie mißbrauchten! Vielleicht giebt es wenig große Städte, die so viele öffentliche und Privattugenden aufzuweisen haben; aber sie zu finden, muß man freilich nicht den Weg einschlagen, den wir wählten. Die Trefflichen und Guten lauern nicht am breiten Wege der üppigen Freuden, daß der Vorübertaumelnde sie wild an sich reiße. Im
Dieser Tag war einer der bittersten meines Lebens. Ob schon unsre Lage sich im Wesentlichen um nichts verschlimmert hatte, so war ich doch um eine Hoffnung ärmer geworden, und damit war jede, schon mehr
Bei einem solchen Vorfalle mich gehörig zu betragen, fehlte es mir an Gegenwart des Geistes. Ich drückte mich in aller Stärke meines Verdrusses aus. Zuerst kroch er wie ein gemißhandelter Pudel; zuletzt aber wurde auch er aufgebracht, und spielte auf meine unglückliche Begebenheit an, die, wie er sagte, ihm Muth gemacht hatte, auf ähnliche Gefälligkeit gegen ihn zu rechnen.
Diese Äußerung erregte mir den bittersten Schmerz. Ich hatte gehofft ich sei vergessen, und jetzt sah ich deutlich, daß meine Vergehen noch in regem Andenken standen. O, nie, nie wird des Guten so lange und lebhaft. gedacht! – Indeß gelang es mir
Bald nachher kam mein Mann in sehr düsterer Stimmung nach Hause. Ich sagte ihm, wer bei mir gewesen war, und erwähnte, als Zweck dieses Besuches, der Nachricht, die den Sekretär betraf. »Also auch ein Schurke!« sagte mein Mann bitter. »Und wir sollen darum, daß sie's überall sind, kummervoll darben? Mein Freund, der Buchhändler, sagte mir eben: nehmen Sie doch, als ein erfahrner Mann, die Welt, wie sie ist; wir werden sie nicht reformiren, wohl aber untergehen, wenn wir nicht mit dem Strome schwimmen. – So sei es, Minna! Laß uns, was wir aus dem verschuldeten Schiffbruche retteten, was wir für den Nothfall hinlegten, laß es uns einpacken. Dies sei der Nothfall, für den wir's aufbewahrten!
Ein Ring, eine Dose, nebst einigem Silbergeschirr, die Pathengeschenke meiner Tochter, wurden in eine modische Tabatière, mit 30 Dukaten gefüllt, umgeschaffen. Meine Hände zitterten beim Einpacken, nicht darum, weil es das Allerletzte war, was wir aufzubringen vermochten, und einem Raube an meiner Tochter glich, sondern, weil ich mir dachte: das ist Bestechung! O pfui, des schändlichen Weges! Wie? wenn der Mann nicht ganz so schlecht ist, und schleudert's uns verächtlich zurück! Ist der nicht auch schlecht, der die Frechheit hat, Bestechung anzubieten? – Diese meine Besorgniß war vergebens. Die Antwort auf die Bittschrift erfolgte sehr schnell, ohne jedoch des beigefügten Opfers zu erwähnen. »Die Sache,« hieß es, »solle nächstens zum Vortrage würdigen Familie wieder aufzuhelfen,« u.s.w.
Nun wiegten wir uns aufs neue in Träumen süßer Hoffnung; die hellere Zukunft schien uns näher gerückt; wir waren wie neu belebt. Die Arbeit ging rasch und flink von statten, und wir sprachen viel und oft von dem sehnlichst erwarteten Ausgange der Bittschrift, welcher bald genug erfolgte. Mein Mann wurde durch einige Zeilen zum Sekretär gefordert. Lesen, ankleiden und wegeilen war das Werk einiger Minuten. Ich blieb, bebend vor Furcht und Hoffnung, zurück, und lief unthätig umher; denn um die Welt hätte ich keine Arbeit anrühren können. Ich wankte bald zum Fenster, bald zur Treppe, dem Manne die Nachricht, noch ehe er spräche, aus dem Gesichte zu lesen. Er kam, und ich las sie wirklich von Weitem
Allein ein Herzleid sollte uns doch noch widerfahren, ehe wir von dannen schieden. Ich war gegen Abend ausgegangen, um einige Kleinigkeiten anzuschaffen, und war nicht lange ausgeblieben. Bei meiner Zurückkunft fand ich meinen Mann in ausnehmender Bewegung; er fuhr ungestüm auf mich los, einen Brief in der Hand haltend. »Weißt Du davon? Minna!« (fragte er); »weißt Du um diese Schandthat?« – »Wie? was hast Du? Ich begreife Dich nicht!« – »Nicht? so lies!« – Er reichte mir ein Billet hin; es war vom Rath ***,
Da der Mann sich in seinem Billet genannt hatte, so schickten wir Brief und Päckchen mit einem, der Sache angemessenen, Schreiben an ihn zurück. Wir haben nachher nie wieder seinen Namen gehört, als da sein, im sechs und vierzigsten Lebensjahre an Entkräftung erfolgter, Tod in den öffentlichen Blättern bekannt gemacht wurde.
Nun waren wir endlich frei, und leicht genug, unsern Weg nach der neuerwählten Heimat anzutreten. Unser Gepäck war klein, unser Geldvorrath gering; aber freudiger
Wir legten frisch die Hände ans Werk. Ich miethete ein Mädchen aus dem Dorfe. Mein Mann pflückte und schüttelte das Obst, ich und meine kleine Tochter lasen es auf, und suchten es aus; mein Dienstmädchen trug es zu Markte. Dies wechselte mit Arbeiten, die unsrer Weichlichkeit freilich etwas härter fielen; aber der gute Wille half, und es ging. Jetzt kamen mir meine, in der frühen Jugend erworbenen, wirthschaftlichen
An unsre kleine Besitzung, die wir in Pacht genommen hatten, gränzte die eines Mannes, eines Weisen, für den meine Dankbarkeit noch keine bezeichnende Benennung gefunden hat. Auch er hatte sich von denden klugen Herrn; die Frauen aber sagten immer von ihm: der gute Herr. Die Kinder standen, wenn er sich zeigte, ehrfurchtsvoll, und nahmen ihre Mützen ab; er beschenkte sie, und erlaubte daß sein alter Bedienter, Gottfried, ihnen etwas erzählen, und sie belehren durfte, wobei sie stricken uns wurde. Er hatte von uns gehört; unser Entschluß, uns auf uns selbst zu verlassen, hatte ihn für uns eingenommen; er sah uns; wir waren so glücklich, ihm zu gefallen; auch unsre Einrichtungen hatten seinen Beifall. Er kam nun öfterer zu uns, arbeitete mit uns, und nie ging er, ohne uns irgend einen guten anwendbaren Rath oder eine ausführbare Angabe hinterlassen zu haben; immer fühlten wir unsern Muth gestärkt, und der Wunsch, ihn recht bald wieder zu sehen, blieb beständig bei uns rege.
Sein scharfer Blick hatte leicht meine schwankenden Begriffe von dem, was mir das Wichtigste seyn mußte, erspäht. Ich
Die strenge Arbeitsamkeit, zu der unsre Armuth uns verpflichtete, befestigte meine Gesundheit. Ich blühete, so zu sagen, von Neuem wieder auf; denn das ewigbewährte Rezept gegen die Üppigkeit, Armuth, hatte auch bei uns seine Dienste gethan. Auch mein Mann und meine Tochter genossen einer Stärke der Gesundheit, von der sie bis dahin durch sich selbst keinen Begriff gehabt hatten. In unsern Mußestunden, deren wir aber nur wenige hatten, lasen wir aus dem Büchervorrathe unseres Freundes; da ich mich aber in allem Ernst vor dem Bücherlesen fürchtete, so schränkte
Unser kleines Hauswesen gedieh so gut, daß wir uns in kurzer Zeit schon nach Erweiterung des Raumes, den wir inne hatten, umsahen. Uns war so wohl, wir dachten so wenig an die Welt, die wir, oder vielmehr die uns verlassen hatte, zurück, daß es uns beinahe eine schmerzliche Nachricht war, als meines Mannes Tante starb, und uns eine gute Erbschaft hinterließ. Die Eingeschränktheit hatte uns in steter Spannung und Thätigkeit erhalten; ich fürchtete jetzt den Wohlstand wie eine Hyäne. Allein wohl mir! meines Mannes Gefühl war gereinigt, Der kluge, gute Herr, dem wir unsre bessere Existenz verdanken, ruht dort unter den beiden Linden, über welchen die vergoldete Kirchthurmfahne hervorragt. Ich gehe den Hügel, der seine theure Asche deckt, nie vorüber, ohne meine Tochter dabei verweilen zu lassen, das Andenken dieses unsres Heiligen zu segnen, und mir den Spruch zu wiederholen, den ich oft von seinen werthen Lippen gehört habe: »Wo Tugend und
Arbeitsamkeit herrschen, da wohnt auch das Glück.«
Minna schwieg als sie ihre Erzählung geendigt hatte, und Ida saß tief in sich versenkt, mit zurückgelehntem Kopfe. – Also Armuth und strenge Arbeitsamkeit wurde Ihnen der Weg zum Glücke! Gut, das braucht man ja nur zu wollen! Arbeiten, o ja, arbeiten ist sehr gut! Nüchternheit reinigt die Seele, sagt man. – So redete sie in abgebrochnen Sätzen, als wenn sie allein wäre. Minna erschrak, und schlug ihren Arm liebend um der Freundin Nacken. – Was bewegt Sie so sonderbar, meine Liebe? meine Erzählung hat Sie empört. Nicht wahr? Sie sinnen, wie Sie nur ein Herz von sich entfernen wollen, das Ihrer Liebe nicht immer werth war. – O nein, nein! rief Ida, und
Ida, welche etwas schreckliches besorgt
Sie hat einen ungemeinen Ruf, sagte Minna; ich kenne sie selbst noch nicht, aber meine Auguste hat ihre Bekanntschaft schon gemacht, und erhebt sie bis in den Himmel, wegen ihrer Güte. Allein, damit wir doch endlich etwas beschließen, liebe Ida, Sie müssen also das grüne Zimmer, des alten Hausfreundes wegen, der mit kommt, räumen.
Ida bezog die kleine freundliche Wohnung auf dem Berge, und genoß in Gesellschaft der treuen Freundin, der schönen weiten Aussicht, als sie eine Reise Equipage in dem Edelhofe ankommen sahen. Ida schauerte zusammen, ohne sich Rechenschaft geben zu können, was die ankommende Familie des Herrn von Auerfelde auf ihr Gefühl zu wirken habe. Die Entfernung war zu groß, als daß sie etwas anders, als zwei Herren und zwei Frauenzimmer, welche ausstiegen, hätte bemerken können. Bald erschien einer der Herren im Hofe, besah die Wirthschafts Gebäude, und kam den Garten hinab, bis auf
Liebster Mann!
»Du wünschtest, ich möchte Dir schreiben. Ich würde Dir gar nichts zu sagen haben, als daß die große englische Henne ihre Küchelchen
Aussicht umher, und stritten um die Lage der Örter. Nein: das ist Ruheim, nein: das ist nicht Ruheim, das ist Vogelfelde mir weiter nicht bemerkenswerth schien. Aber Ida sah mehr, sie that einen kläglichen Schrei, faltete die Hände vorwärts hingegestreckt,
Nachdem wir über eine Stunde so zugebracht hatten, erlangte sie etwas mehr Fassung. Ich äußerte, sie könne auch wohl irren; es gebe täuschende Ähnlichkeiten. O nein! nein! er ist's, erwiederte sie: ich habe es nicht aus dem Herzen gelassen, das liebe redliche Gesicht, das so freundlich war, und ach! jezt mir so schrecklich ist! Ich suche ihn, aber so plözlich, so überraschend, wollt' ich ihn nicht finden. Erst wollt' ich sein Herz erforschen. Ach! er wird es mir auf immer verschlossen haben. Und doch, war er nicht selbst da noch Vater, als die
Was nun erfolgte, wirst Du Dir, mein Lieber, leicht denken. Eine Bitte, um meine Vermittlung. Nach einigem Bedenken übernahm ich's; denn sie jammerte mich von Herzen; und wir mischen uns ja für unser Leben gern in fremde Händel. Je intrikater, je lieber!
Das erste was ich in der Sache that, war daß ich mich bei dem Verwalter erkundigte, wer der mitgekommene Fremde sei? Es war richtig der Amtmann Grünthal. Nun ging ich einigemal in dem Garten umher, mich zu dem nicht leichten Geschäfte zu sammeln. Als ich mich hinlänglich vorbereitet glaubte, schickte ich den alten Freund Schulz ab, mich bei Herrn Grünthal zu melden. Ich wurde angenommen, und in das untere Zimmer geführt, das Ida, nun werden verzeihen. – Kennen auch Sie mich schon so gut? – Hat sie Ihnen denn schon gesagt? – Sie hat mir nichts gesagt, als daß sie Ursach hat zu verzweifeln; und doch ohne Sie versöhnt zu haben, nicht leben kann. – Er stand still in sich gekehrt, unentschlossen und wiederholte für sich: nein, nein, verzweifeln soll sie nicht. Dann war er wieder still. – Herr Grünthal, fing
Er flog voran, indem ich mir fast die Lunge zersprengte ihm zuzurufen, mit dieser Hast, und diesem Überraschen könne er seiner Tochter den Tod bringen. Die Eil war ohnedem vergeblich; denn es hatte sich indeß etwas ereignet, das uns beide gleich unvermuthet und schreckhaft überraschte. – Ida, nicht doch, – Julchen, hatte, von banger Erwartung gefoltert, meine Zurückkunft
Da mein Brief zu einer solchen Länge herangewachsen ist, breche ich hier ab; künftig lernst Du den Gutsherrn kennen. – Auguste küßt Dir kindlich die Hände; ich umarme Dich zärtlichst und bin ewig die Deine.
Wilhelmine.«
Minna zur Fortsetzung.
»Deine Abwesenheit, mein Lieber, macht mich zur gewaltigen Schreiberin. Verzögert sich Deine Zurückkunft, so fürcht' ich gar ein Buch zur Welt zu bringen. Ich stelle mir vor, daß Dich die Geschichten, die hier zu Lande vorgehen, sehr interessiren,
Ich bin, wenn Du Dich erinnerst, noch mit der Dame auf dem Wege nach ihrer Wohnung. Sie fragte beim Eintritt in das Haus, wo ihr Mann wäre? Der Herr Oberst sind in ihrem Zimmer und schreiben, sagte der Jäger. Sie war so matt, daß sie ein Glas Wasser foderte. Sie sehen mich in einiger Verlegenheit, fing sie an, als sie sich etwas erholt hatte: – mein Mann ist groß und gut, aber er hat seine eigne Arten. Von dem armen verirrten Julchen wollt' er nie hören, weil er meinem Onkel so sehr gut ist; er wird ihr den Kummer schwerlich verzeihen können, den sie seinem Freunde gemacht hat. – Ich gestehe, daß mir selber bange wurde, wie Nachsicht brauchen? ich will ja was Du willst. Bist Du doch die Beste von der Welt. Aber – was ist geschehen? – Lieber Mann, wir haben einen Gast bekommen. – Ist er Dein Gast,Die ist es? hat der Dame beliebt, einmal wieder aufzutauchen? Hm hm? – O sprich nicht so lieber Auerfelde. Dein Herz sagt anders. – Nein, beim Teufel, in meinem Herzen steht sie auf dem schwarzen Register. So einem Vater, wie der Grünthal ist, zu entlaufen. Ich vergeb's der Landstreicherin in meinem Leben nicht: hol mich der Teufel, wo ich's ihr vergebe. – Liebster Mann, sagte nun Karoline ihm sanft schmeichelnd, der Onkel hat ihr aber schon verziehen. –
Während dieser Debatten hatte Grünthal sich dem Hause mit der Tochter genähert, er stekte den Kopf zur Thür hinein, und fragte mit freundlichem Gesicht, welchem etwas eingemischt war, was ich Blödigkeit nennen möchte: nun wie stehts? darf ich sie Ihnen bringen, Neffe? Des Obersten Antwort fing mit einem bedenklichen, je nun! an, welches seine Frau mit einem Kuß, und einem, ich bitte, mein
Als die erste lärmende Bewillkommung überstanden war, gelangten alle wieder zu ruhiger Fassung. Wir sezten uns im Kreise, Grünthal hatte die Hand seiner Tochter in der Seinigen liegen, als ob sie ihn noch einmal wieder genommen werden könnte. Nicht wahr? sagte er einmal – heut darf ich nach nichts fragen? Wir sind noch alle zu voll, zu froh! – Sie sollen alles erfahren, liebster Vater, antwortete Julchen: so weh es thut, sich selbst anzuklagen, fügte sie leise hinzu, so haben Sie doch ein zu entschiedenes Recht, alles zu wissen. – Einmal entwischte es mir, sie Ida zu nennen:
Die Frau von Auerfelde war so erschöpft und angegriffen, daß der Oberste auf frühen Abschied und Trennung drang. Uns, mit den starken Nerven, sagte er, wird's freilich nichts anhaben; aber da die Armen,
Wilhelmine T.«
Fortsetzung.
»Wir versammelten uns zum Frühstück in der Jasmin Laube, in der ich so manche fremdes mit, Du verstehst mich. Du sollst mit allem, was Dir fehlt, reichlich versorgt werden. Sie bückte sich auf seine Hand und küßte sie dankbar.
Mühmchen, fing der Oberst an, daß
Ich war Kommandeur des Regimentes, welches in in Garnison liegt. Meine Lebensart war die eines Garçon, der gutes Leben und wenig zu thun hat, ich schlief, ging auf die Parade, nahm einen Schnaps in der Apotheke, wenn die Wachparade abgeführt war, ging in mein Quartier, blätterte in Büchern und Landkarten, aß mit den Offizieren meiner Eskadron, schlief dann wieder, ließ den Braunen satteln, ging mit meinem Tiras auf die Jagd, aß wieder und ging zu Bette. Diese Lebensweise
Einst erscholl im Örtchen plözlich die Nachricht, es sei eine fremde Dame angekommen. Sie beziehe ein Haus und Garten in der Vorstadt, und so reich sie auch sei, würde sie doch aus wohlthätigem Hange, eine Erziehungsanstalt errichten. Da war nun mit einem Male eine neue Erscheinung, auf die nicht nur alle Augen des Örtchens, sondern der umliegenden Gegend soll so oder so seyn; denn noch hatte Niemand die liebe Lina gesehen. Als dies so eine Zeitlang gewährt hatte, erkaltete die thätige Neugier, und es war nur noch die Rede von ihr, wie etwa von der weißen Frau: sie soll umgehen, aber keiner hat sie gesehen. Indeß wirkte die Gute doch schon wohlthätig im Stillen. Sie hatte Mädchen, das heißt, junge Bürgertöchter zu sich genommen, welche sie unentgeldlich in Arbeiten unterrichtete; und zu Kindermädchen bildete. Man fand die Sache lächerlich, – nimm mir's nicht übel, Lina, – sie lachten Dich aus, als ob einen das gelehrt zu werden brauchte. Zum Spaße versuchte die Gräfin von P. nach einem Jahr, ein Mädchen aus dieser Anstalt zu nehmen, und
Mein Kopf, und wie mirs beinahe vorkam, mein Herz war voll von dem, was Tramontane, und ich merkte bald. daß es so nicht bleiben konnte. Heirathen? hm! da werden Dich die jungen Lassen, die geschniegelten Offizierchen, auslachen. – Aber wie denn? Abschied nehmen? da ist aber wieder das Vaterland! Und kann dem Vaterlande denn nur mit dem Degen in der Faust gedient werden? Ist der Nährstand muß gehn! Georg, meine neue Uniform! die neue Feder auf den Hut! Der alte Oberste machte sich blank und schmuck; die braune Blesse mit der Revüeschabracke wurde vorgeführt, bestiegen, und so im anständigen Schritt in die Vorstadt. Angemeldet. Madame sei nicht recht wohl; sie bäte sich die Ehre auf ein andermal aus. O weh! eine so wohl geordnete Anrede steht einem
Kurz, die Audienz nahm ihren Anfang mit Komplimenten, und endigte mit einer förmlichen Erklärung. – Linchen saß da, ganz überrascht, aber doch nicht, wie ich gefürchtet hatte, unwillig. Und nun die Antwort auf meine Anfrage! Das zarte Stimmchen räusperte und stockte, fing an, und brach ab. Ich saß wie am Bratenfeuer. Endlich kam es heraus: gegen meine Person und Karakter könne sie vernünftiger Eiche zu verplempern, war mir schon an des Mannes festem Sinne gescheitert. – Nun denn, fuhr der Oberste fort, sobald ich des Onkels Brief mit der Einlage an Linen in Händen hatte, zog ich damit triumphirend in die Vorstadt. Die gute, liebe Frau wurde gar verlegen und roth, als ich ihr mein Kreditiv überreichte; sie hatte nicht bedacht, daß ein alter preußischer Soldat eine Belagerung nicht so leicht aufhebt. Sie las, und schien ihren Augen kaum zu trauen, als sie des Oheims förmliche der Seite hätten sich unsre Karaktere genähert. Sie lieben muntern Scherz, ich hasse ihn nicht; und wenn mir vielleicht das Talent fehlt, selbst anziehend zu scherzen, so bin ich doch gern bei Personen, die es besitzen. Es bleibt mir weiter keine Einwendung, als Ihre Geburt und Ihre Familie. – Während dieser Unterhaltung hatte sich die Liebe, bei aller ihrer Bedächtlichkeit, doch in so fern verschnappt, daß sie sich so ein ganz klein wenig nach meinen Sitten und Karakter erkundigt hatte. Das gab mir einen Muth, den alles, was sie sagte, mir nicht hatte geben können, und ich beantwortete ihre Einwürfe mit einer Forçe und Gründlichkeit, die mir wohl der liebe Gott eingeben mußte; denn das liebste Weib gab nach, und nun blieb nur noch die Auskunft wegen
mit ihr durchgehen; nur vermag ich nicht zu ertragen, daß es in meiner Gegenwart geschehe. – Sie wurde von Allen herzlich umarmt, und mit Nachsicht getröstet. Lieber Wilhelm, wenn alle Reuigen so aufgenommen würden, wäre es ein ordentliches Verdienst um die Menschen, zu fehlen, damit ihr Edelmuth ans Licht käme. Doch, ich habe meine Probe überstanden, und ich hoffe auch bestanden. Unsre Liebe ist befestigt, meine Auguste wird gut, was bleibt mir noch für ein Glück zu wünschen? Ich erwarte jetzt mit Sehnsucht Deine gesunde Rückkehr, um Dich in die ehrenwerthe Gesellschaft einzuführen. Lebe wohl! Ewig Deine
Wilhelmine.«
»Ja, liebster Freund, Sie haben wohl recht, wenn Sie voraussetzen, daß die Freude meinem alten, von Gram geschwächten Kopfe zu stark seyn dürfte! Die erste Freude war groß, übergroß, und ich glaube, daß ich mich dabei nicht ganz so benommen habe, wie es ein gescheuter Mann und ein tief gekränkter Vater gesollt hätte; aber es ist mir mein ganzes Leben hindurch nicht gegeben gewesen, in solchen Momenten abzuwägen, und meine Empfindungen unter Zucht und Scheere zu halten. Ich habe es freilich der Wiederkehrenden leicht, wohl gar zu leicht gemacht; aber die andern haben's ja auch um nichts gescheuter angefangen. Hat nicht Karoline, die am schwersten beleidigt ist, ihr gleich beim ersten Anblick mir alle Schuld beizumessen! Meine schwache Nachgiebigkeit bereitete ihr den Fall; und wenn es mir denn einfällt, was jetzt aus ihr werden soll? – wie in diesem irdischen Zustande nun weiter an kein wahres inneres Glück mehr für sie zu denken ist; wie das zerstörende Bewußtseyn sie noch am liebevollen Herzen der Ihrigen verfolgt; wie sie, im Schooße der Liebe und Freundschaft selbst, am meisten verzagen muß; wie jede Liebkosung sie martert; wie jeder noch so unbefangene Rückblick ihrer Lieben ihr Thränen ablockt; – lieber Eiche, die Freude des Wiedersehens, glauben Sie mir, hat alle Bitterkeit des Kummers, wenn nicht etwa Zeit und Gewohnheit ihren wohlthätigen Einfluß auf uns beweisen. Wir könnten hier ein paradiesisches Leben führen, in einer solchen Gegend, unter diesenTraubenheim zum Muster genommen, und führt aus, was hier zu Lande ausführbar und anwendbar ist. Wahrlich, wen Gott lieb hat, dem giebt er solch' ein Weib! – – Sie schafft mit Kopf und Händen; ihr Mann geht ihr treu zur Seite, und spart keinen Aufwand, ihre edle Thätigkeit zu unterstützen. Wie der elende Mensch, den Falk mein' ich, wie der dieses Kleinod verkannt
soll fortschreiten auf dem Wege der Rechtschaffenheit, und so weiß werden, wie sie gewesen ist. Ach, Lieber, sie ist sehr weich und demüthig! wo man sie nur anrührt schmerzt es ihr; jede Erwähnung einer bessern Tugend, als die ihrige gewesen ist, betrübt sie aufs empfindlichste. Da werden Sie sich vorstellen, daß an Vorwürfe nicht zu denken ist. Ich gedenke mir den Apostel Paulus, wie er vor dem Festus und der Drusilla von der GerechtigkeitDu bist der Ungerechte! Du bist die Unkeusche! Indem er ihr Selbstgefühl beleidigte, hätte er sie aufgebracht, aber der kluge Mann sprach von den entgegengesetzten Tugenden. Das soll mir ein Vorbild seyn. Aber meine arme Juliane ist doch bei weitem keine Drusilla!
Ich gehe jetzt zu ihr, sie wird mir ihre wehmüthigen Aufsätze geben, und ich werde in Schmerz versenkt werden. Leben Sie wohl, und gedenken Ihres jammernden Freundes
Grünthal.«
Julchen an ihren Vater.
»Mein Herz wird schwach, und mein Muth verläßt mich, wenn ich an diese traurige Arbeit gehe. Wer vermag sein Innerstes Christin, hat mir verziehen; ihr holdseliger Mund wird die Unglückliche nicht mit dieser entsetzlichen Benennung brandmarken! Ach, und doch – – –
Ich wollte die Begebenheiten der Unglücklichen, nicht ihre Gefühle, die Martern ihrer Seele, erzählen. Diese folgten jenen mit entfetzlicher Eile auf dem Fuße nach. Jene habe ich, wie mir's vorkommt, nicht erlebt, sondern ich bin von einer fremden unwiderstehlichen Gewalt durch ein Labyrinth durchgerissen; meine Besinnung ist übertäubt; ich kann nicht sagen, wie mir in jedem einzelnen Falle zu Muthe gewesen ist. Von dem Augenblicke an, da der unselige Knoten unwiderruflich zusammengezogen war, da ich von dem Herzen des gütigsten Vaters mich losgerissen hatte, ergriff mich ein Taumel, dessen Betäubung ich ihn geraubt, so wurde er
In eben diesem, für mich so kritischen Zeitpunkte wurde in der Gesellschaft, die ich am häufigsten besuchte, weil sie, die Wahrheit zu sagen, aus jungen Weibern
Aufgemuntert durch diese entferntern Versuche, bemühte sich der Fürst, nach und nach seinen Absichten näher zu kommen. Auf einer Redoute war er mein Führer; dies erregte Neid, und ich fand mich geschmeichelt. Unter dem Schutz der Maske wurde er kühner, und ich nachgiebiger. Er sprach von Liebe, und ich setzte ihm nur Zweifel daran entgegen. Er betheuerte, und ich hörte ihn an. Er schlug
Meine häusliche Verfassung wurde von da an sichtlich immer mißlicher; man spielte in Gesellschaften darauf an, und gab mir Winke, die ich damals mir nicht erklären konnte. Meinen Hausgenossen sah ich zu selten, um Unruhe an ihm zu bemerken; doch fand ich eines Tages, daß er sehr thätig seine Schreibereien durchsuchte, und große Pakete im Kamin verbrannte. Ich fragte um die Ursache, und erhielt zur Antwort: es sind alte Scharteken, für die man, wenn
Mir blieb auch wenig Zeit zur Unentschlüssigkeit und Untersuchung übrig. Ein junger Mensch, dem ich einiges Gute erwiesen hatte, schickte mir einen Zettel, worin es hieß: Retten Sie sich sobald Sie können. Diesen Abend werden Sie an der Stelle Ihres Mannes, für den Sie mit Ihrer Habe haften sollen, arretirt. Ich nutzte den Wink, und spornte meine Thätigkeit zur Eile. – Nun erst vermißte ich Jungfer Babette, meine besten Kleider, und einige Juweelen; ich war aber bei diesem Verlust ganz gleichgültig, bei der Mutter des Fürsten sollte ich ja mit allem versorgt werden. Um 4 Uhr Nachmittags erwartete ich, zur Reise gerüstet, meinen Begleiter. Um 5 Uhr erschien sein Kammerdiener
Wir fuhren drei Tage Tag und Nacht, und rasteten endlich in einem Dorfe in Hinterpommern. Es war an einem Sonntage. Die Gemeinde stand in ihrem festlichen Anzuge, und erwartete den Prediger. Der Gottesdienst begann, und, angetrieben von einem unwiderstehlichen Gefühl, mischt' ich mich unter den Haufen, der zum Gotteshause wallte, und ging mit hinein. Der Gesang erschütterte mich; lange schon hatte ich keiner öffentlichen Versammlung beigewohnt, und nun unter diesen Umständen! Ich zerfloß in Wehmuth. Der bejahrte, ehrwürdige Prediger sprach mit Kraft undeinen Sünder, der Buße thut, als über neun und neunzig Gerechte.‹ Mancher gute Entschluß stieg in meiner Seele auf, und einmal flüsterte mein guter Engel mir zu: ›Kehre um, noch bist Du unentweiht!‹ – Aber wer wird's glauben? und zu wem soll ich gehn? – Jetzt trat der Fürst, der mich gesucht hatte, in die Kirche, von seinen Bedienten umgeben, in Anstand und Miene den vornehmen Mann, wenigstens mit dem angethan, was diesen Leuten das Bewußtseyn ihrer Überlegenheit giebt, und meine eitle Seele wurde wieder ganz leer von guten Gedanken. Seine Zärtlichkeit wirkte allmählig auf mein Herz, und – o, der Schande! – ich wurde von da an ruhig, und immer ruhiger, bis wir hinter Riga kamen, wo ich erfuhr, daß mein unglücklicher
Der Jäger, ein Stockrusse, sah mich weinen. Was weinst Du? sagte er in gebrochenem Deutsch; Du wirst hoch, sehr hoch kommen! Wenn Du Fürstin bist, da weinst Du nicht mehr. – Diese einfachen, herzlich gesprochnen Worte beruhigten mich in so weit, daß ich einen Brief an meinen unglücklichen Vater schrieb, der in Riga im Posthause abgegeben wurde. Mein Schmerz beim letzten Abschied, den ich ihm bot, gränzte nahe an Stumpfheit; er hatte die Höhe,
Von Riga bis Petersburg unterließ er nichts, was die feurigste Liebe zur Beruhigung der Geliebten zu ersinnen vermag; nur auf positive Erklärung ließ er sich nie ein, so vielen Muth ich auch nachher bekam, sie herbeizuführen. Endlich erklärte er sich, daß er in Petersburg meinem Schicksale eine günstige Wendung zu geben gedenke; ich solle mich auf seine Ehre, mehr aber noch auf seine Liebe verlassen.
Die unendliche Mannichfaltigkeit der Gegenstände zerstreute mich wider Willen. Mehr als alles zog mich der unaussprechliche Reiz der russischen Sommernächte an. Der sanfte Schimmer der kaum untergetauchten
Es war mir unmöglich, mich in dieser Pracht einheimisch zu fühlen; ich starrte einmal mich einer Täuschung werth? – Mein Prinz, wenn Sie zu der Wohlthat, mich aus den Händen der Gläubiger meines Mannes gerettet zu haben, auch die noch hinzufügen: mir eine, meinem Stande angemeßne, Bestimmung festzusetzen, so rechnen Sie auf das dankbarste aller Herzen. – Ida, wenn Sie mich lieben, so ist Ihr Loos auf immer
Bald nachher erschien der Prinz. Ich zwang mich, wenigstens still zu seyn. Nachdem ich eine Zeitlang geschwiegen hatte, zeigte ich auf das Portrait, und fragte: wer ist dies himmlische Gesicht? – Ein Ideal, Ida; was geht das Sie an? Sie sind tausendmal schöner. – Geht das Bild auch Sie nicht an? Prinz! – Er wurde roth. Ida, – stammelte er nach einigem Schweigen, ich sehe, ich bin verrathen; meine Verwandten haben mir eine Gemahlin aufgedrungen, die mich unglücklicher Weise bis zur höchsten Leidenschaft liebt. Dieser zu entgehn, verließ ich mein Vaterland, und gab alle Ansprüche auf Ehrenstellen auf, zu welchen mein Rang und Vermögen mich
Der Wink des Alten fiel brennend in meine Seele. – Ach, wenn ich beten könnte! aber wie kalt, wie durchaus entfremdet ist mein Herz diesen frommen Empfindungen! – Als ich allein war, falteten sich meine Hände von selbst, die beklemmte Brust arbeitete heiße Seufzer hervor, mein bethräntes Auge richtete sich zum Himmel, und ich wünschte mit unbeschreiblicher Angst, daß Gott mich hören, und mich erretten möchte. War dies Gebet, so ist nie ein brünstigeres emporgestiegen.
Mit ganzem Herzen stimmte ich in den Vorschlag des Prinzen. Sein Edelmuth überwältigte mich; nie war er in meinen Augen so liebenswürdig erschienen, und – daß ich alles sage, – in der tiefsten Falte meines Herzens regte sich etwas, das einem Unmuthe über diese freiwillige Entsagung glich. Mein Dank war so feurig,
Nach drei Tagen, in welchen ich den Prinzen nur auf kurze Augenblicke, Popoff aber beständig um mich hatte, verkündigte mir ein Getöse und Pferdetritte im Hofe des Pallastes die Ankunft der Fürstin. Ich kleidete mich anständig, und erwartete jeden Augenblick, daß sich etwas ereignen werden; allein es blieb diesen Tag und Abend still, selbst der alte Priester ließ sich nicht sehen. Erst spät nach Mitternacht wurde es ruhig im Pallaste. Ich blieb auf, und brachte den übrigen kurzen Theil der Nacht am Fenster zu. In diesen wollüstig-angenehmen Nächten verliert sich zwar in den Petersburger Straßen die geräuschvolle Thätigkeit, wird aber nicht, wie in Berlin, zur ich für Talente aufweisen? was für Geschicklichkeiten hatte ich mir erworben? Keine einzige, die mich über den Troß gemeiner Bedienten erheben konnte! O, weh mir, wie habe ich die goldnen Tage der Muße mit Armseligkeiten verschleudert! Ich fühlte es
Popoff begleitete mich. Ich wurde durch eine lange Reihe Gemächer geführt, deren Pracht mir imponirte. In einem der letztern fand ich die Prinzessin auf einem Sopha; eine ältliche, in Braun gehüllte, Gestalt vor ihr, bediente sie mit Chokolade. Die Fürstin sah ihrem idealischen Bilde vollkommen ähnlich. Eine schöne Spitzenhaube beschattete zum Theil das reizende Gesicht; ein großes, flatterndes, hinten aufgestecktes, buntseidenes Tuch gab ihr ein fremdes, höchst reizendes Ansehn, wozu ein, im orientalischen Geschmack gesticktes und geschnittenes, weites Gewand noch mehr beitrug. Am Eingang verneigte ich mich ehrerbietig, wie ich es auf dem Theater gesehn hatte. Popoff hielt mich, und führte nur eine Deutsche. Cet air, ce maintien, cette timidité, – sagte sie leise zur Fürstin, – zeigten sehr deutlich, zu welcher Nation ich gehöre. Was die Gebieterin antwortete, verstand ich nicht ganz; aber ich unterschied, zu meinem Trost, die beruhigenden Worte: très-aimable, und diese gaben mir Muth, mich gegen ihr Gewand hinzuneigen; sie reichte mir aber gütig die Hand zum Kuß. Ich ergriff sie, und küßte sie mit einer Innigkeit, die, so wie sie aus meinem Herzen kam, in das ihrige drang. Sie sah mich mit Wohlgefallen an, und
Allein jetzt wurde der Auftritt bänglicher für mein Herz. Die schöne Frau erkundigte sich nach meinem Vaterlande, meinen Eltern, meinen Verbindungen, und endlich – was ich mit großer Herzensbeklemmung erwartet hatte – um mein Verhältniß zum Fürsten. Ich entfernte mich in meinen Antworten, so wenig es sich thun ließ ohne anstößig zu werden, von der reinen Wahrheit. Als ich auf die Frage: ob ich noch Eltern habe? wehmüthig meinen Vater nannte, hieß sie mich mitleidig: arme Kleine; als ich aber auf die Erkundigung, ob ich mit dem Fürsten zusammen in einer Kutsche gereiset sei, Ja antwortete, umwölkte sich das schöne Auge, und sie sagte mit kleinmüthigem Tone zur Lebrün etwas, wovon ich nur das trop belle verstand. caquet? n' est ce pas? setzte sie in einer mehr boshaften als scherzenden Manier hinzu. Sie hatte leider! recht. Das gütevolle Herz der Fürstin sah meine Verlegenheit, und sagte schnell einfallend: Sie werden doch lesen können, mein Kind? Sie werden mir bei meinen kleinen Arbeiten vorlesen; meine arme Lebrün leidet ohnehin an den Augen. Freilich, erwiederte diese, werde ich nachgrade eine unnütze Dienerin meiner gnädigen Fürstin. – O, das nicht, liebe Lebrün, Du wirst meinem dankbaren Herzen nie entbehrlich seyn! Diese junge Person wird in ihren Funktionen von Dir abhängen; Deine Zurechtweisungen werden ihr nützlich seyn. –
Popoff, der ehrwürdige Priester, weinte Freudenthränen, als ihm sein schönes Werk gelungen war. Er segnete und küßte mich beim Abschiede, und ermahnte mich, dem heiligen Christ und meinem Schöpfer für mein Glück zu danken. Als er von mir ging, schenkte er mir ein schönes Kreuz, und befestigte es an meinem Halse, indem er sagte: gedenke Deines Erlösers, meine Tochter; aber bedenke auch, daß nicht immer Wunder zu Deiner Errettung geschehen werden. Damit verließ er mich.
ce fichu allemand! sagte.
Ich hatte nun schon eine ganze Woche mein Amt versehen, und täglich mehrere Stunden vorgelesen, aber noch immer hatte ich nicht bemerkt, daß der Fürst auch nur ein einzigesmal seine Gemahlin gesehn hätte. er soll sie sehn! Der traurige Brief war an den kaltsinnigen Gemahl gerichtet. Der Kammerdiener, der ihn überbracht hatte, brachte zur Antwort: Se Erlaucht würden noch diesen Vormittag aufwarten. – Die arme Dame gerieth in eine seltsame Bewegung, die sich erst in Thränenströmen Luft machte, und dann in eine wehmüthige, rührende Freude überging. Arme Eudoxia! rief sie einigemal wie aus der Tiefe ihres Grams. Sie wollte Toilette machen, unterließ es aber wieder, und brachte bloß etwas mehr Nachlässigkeit
so gesehen. Jetzt erschien er mir, mit allem Glanze seines Standes umgeben, leidend, und – meinetwegen! – Gesegnet sei die Vorsehung, die mich vor mir selbst rettete! denn nie war ein gefährlicherer Feind in meinem Innern gegen mich aufgetreten.
Ich wagte aufzublicken, und der Fürstin ins Auge zu sehen. Sie zwang sich sichtlich, Thränen zurückzuhalten; das Zucken ihrer niedlichen Lippe, die aufgespannte Stirn, alles zeugte davon. Sie hatte eben ihr Auge aufmerksam auf mich geheftet; aus ihrem Blicke sprach tiefe Bekümmerniß,
Ohne mich unbescheiden der Thür zu nähern, hörte ich die Gebieterin in einem wehmüthig-klagenden, und die Französin in einem heftigen, fast möcht' ich sagen gebietenden Tone sprechen. Es ahnete mich; das Resultat dieser Unterredung mußte mich betreffen; krampfhafte Angst umnebelte beinahe meine Sinnen. Wie heiß wünschte ich, diesen Pallast der Sorgen nie betreten zu haben! – Nach einer halben Stunde öffnete sich die Thür wieder; die Prinzessin befiehlt, Sie sollen zu ihr kommen! sagte Madame Lebrün gebieterisch; sie selbst ging zu einer andern Thür hinaus. Ich nahete mich langsam dem Zimmer, wo mir jetzt,
Jetzt kamen die Frauen der Fürstin, und kleidrten sie an; ich begab mich in mein Zimmer, und diesen und den folgenden Tag fiel weiter nichts vor.
Es schien mir am dritten Tage von übler Vorbedeutung zu seyn, daß Madame Lebrün mir schon früh sagen ließ, sie werde in meinem Zimmer frühstücken. Sie erschien mit einer Freundlichkeit, die ihr nicht natürlich war, und die mich auf etwas besonderes vorzubereiten schien. Nach dem Frühstücke fragte sie mich um Verschiednes aus meinem vorigen Leben, hielt sich besonders bei dem Umstande auf, daß ich eine verlaßne Frau sei, holte noch weiter aus, und dann lenkte sie plötzlich wieder mit der certaines gens, (gewisse Leute), die Monseigneur empfiehlt. Als die Alte mich tief genug gekränkt und gedehmüthigt sah, schien ihr Stolz befriedigt zu seyn, und sie sprach gelinder. Es hätte sich wirklich eine Parthie gefunden, welche die Fürstin für mich zu machen wünsche: ein junger hübscher reicher Mann, der mein Landsmann sei. Sie müsse nur sagen, daß er mir heute Abend vorgestellt werden sollte. Ich könne ihn doch wenigstens sehen, denn sonst müsse die Fürstin meine Weigerung auf eine gewisse Rechnung setzen. – – Mir ist nicht bange ihn zu sehn, Madame; wenn er hört, daß ich verheirathet bin, wird er nicht mein zweiter Mann seyn wollen. – Verheirathet? Hoho! ein entlaufner Mann ist kein
Die Französin betrieb ihr Werk so emsig, daß sie gegen Abend wirklich einen Mann bei mir einführte; (ich darf nicht übergehn, zu sagen, daß sie mich den Tag über offenbar absichtlich von dem Zimmer der Fürstin abgehalten hatte, unter dem Vorwande: diese Dame sei an den Hof gegangen). Der Mann ging strotzend, in schönen Kleidern, welche wie die abgelegte Garderobe eines Vornehmen aussahen; seine Haltung stand im auffallendsten Kontraste mit seinem Anzuge, welcher durchaus seinem Stande nicht zu entsprechen schien. Er fragte seine Führerin sogleich etwas ich verspreche Ihnen, während dieser Intervalle soll die Sache abgethan werden. – Herr Große, der Schneider, machte einen linkischen Bückling, und ich blieb allein; allein, in einem Augenblicke der entsetzlichsten Zerrüttung aller meiner Gemüthskräfte! – Ich sah kein Mittel, mich der Fürstin zu nähern, wenn die boshafte Französin mich von ihr entfernt wissen wollte. In zwei Tagen schon verreisete sie. Dem Fürsten mich zu entdecken, war gefährlich; Michael Popoff hatte ich lange nicht gesehen. Gott, welche Verwirrung! in einem fremden Lande! In der fürchterlichsten Angst meiner Seele Wie ich ihm dies Billet zustellen würde? wußte ich nicht. Jetzt hörte ich den Ofenheizer auf dem Gange; er war ein Kosake, mit der ehrlichsten Bildung; konnte aber kein Deutsch. ich nannte ihm den Namen Michael Popoff, er verstand mich, ich reichte ihm meinen Zettel, und zeigte ihm das Kreuz: er sollte um diesen willen mir helfen. Der ehrliche Mensch fiel demüthig auf seine Kniee, küßte die Erde, verrichtete eilig seine Arbeit, und eilte dann mit dem Zettel fort. Ich war voll Angst, wie das ablaufen würde. Nach einer Stunde kam der brave Priester selbst.
Spät, als ich nichts mehr hoffte, kam der ehrwürdige Mann zurück, und rief mir die frohe Nachricht entgegen, daß ich sogleich zur Fürstin kommen sollte. Ich folgte seiner Anweisung mit klopfendem Herzen. Die Fürstin saß halb entkleidet, und winkte mich liebreich an sich heran. – Du bist bekümmert? Tochter! O, Du mußt
Nach der Abendtafel befahl sie mir, ihr zu folgen. Die Lebrün war krank; ein Schälchen zu viel hatte ihr einen Krampf zugezogen. Wir bestiegen eine kleine Schaluppe auf dem Nevakanal; es begann ein Genuß für mich, dessen ich mich nie ohne Rührung erinnern werde. In dieser unbeschreiblich kann nicht seyn! ich muß Dich aufgeben! Erschrick nicht, meine Arme; ich baue mein Glück nicht auf Deinen Untergang. Ich habe eine Jugendfreundin in Deutschland, die Herzogin von ; ihr Gemahl vernachläßigt sie; Du sollst ihr Trost seyn. Ich schicke Dich zu ihr; Popoff begleitet Dich. Ich statte Dich aus, und Du bleibst, wenn gleich fern von mir, meinem Herzen stets theuer. –
Dies war die letzte Zusammenkunft, welche ich mit dem Fürsten gehabt habe. Ich habe ihn nicht wieder gesehen. Die Fürstin besorgte mütterlich meine Ausstattung, wie sie es nannte, beschenkte mich mit Kostbarkeiten von hohem Werthe, worunter
Den Abschied aus diesem Hause überhebe ich mich zu beschreiben. Ich schied wie von meinem eignen Herzen, als ich ihre Hand zum letztenmal an meinen Lippen fühlte. Da ich schon ihr Zimmer, aufgelöset in Thränen, verlassen wollte, hielt sie mich noch zurück; sie öffnete ein Kästchen, und überreichte mir ein Miniatürgemälde des Fürsten. Sie müssen ihn nicht vergessen, den Edlen, – sagte sie. Alexander war nicht tugendhafter, als er die Gemahlin des Darius zurückschickte! Sein Bild und das meinige müssen ungetrennt
Popoff, welcher diesem Auftritte beiwohnte, flossen die alten Augen über; er schob mich sanft zur Thür hinaus, und einige Stunden nachher traten wir unsere Reise an. Sie ging über Warschau, durch einen Theil von Preußen, die Neumark, u.s.w. Sobald ich mich den Gränzen meines Vaterlandes näherte, erwachte mein Herz zum Dankgefühl für so manche Rettung. O, mein Vater! ich vernahm, daß Sie lebten; daß Sie Ihre ungehorsame Tochter aufgegeben hätten; daß meine besseren Brüder die Flüchtige Ihrem Herzen tausendfach ersetzten! – O, was hört' ich
Wir setzten unsre Reise ununterbrochen fort, hielten uns nur auf, den Pferden die nöthige Erholung zu geben, und so kamen wir ohne merkwürdige Ereignisse in , an dem kleinen Hofe der Fürstin von an. Sie war durch Briefe der Prinzessin Eudoxia benachrichtigt, und günstig für mich eingenommen worden. Ganz das Gegentheil hatten aber diese Empfehlungen für mich bei ihrem Hofstaate bewirkt, insonderheit bei den Kammerfrauen, unter welchen mir eine Stelle angewiesen wurde. Sie haßten mich schon vorher, hatten sich vorgenommen, der Neueingetretnen das Leben sauer zu machen, und sie haben redlich
Diese Audienz endigte damit, daß ich zur Vorleserin bestätigt, und auf den Hofetat unter den Kammerfrauen aufgeführt wurde. Sobald diese es erfuhren, erstickten sie mich mit Liebkosungen und Umarmungen. Die Fürstin fand den Namen Ida süß und romantisch, und alle fanden es so, und nannten mich die schöne Ida. Was mir vor Augen geschah, hätte mich vergnügen sollen, aber ich war von Herzen betrübt; denn mein väterlicher Freund, Michael Poposf, hatte mich verlassen, und es war vorauszusetzen, daß ihn meine Augen nie wiedersehen würden. Da erst ekelte mich die Freundlichkeit der mir so fremden zu gütig gegen mich; aber dieser Güte fehlte das Herzliche und Rührende von Eudoxia's holdem Wesen. Oft las ich noch spät nach der Abendtafel, wenn die Fürstin sich schon zur Ruhe gelegt hatte; sie selbst suchte die Stücke aus, welche ich lesen mußte, und ich gestehe, daß es immer solche waren, welche die geheimsten Tiefen der Sinnlichkeit aufregten. Dann mußte ich mich ganz nahe zu ihr setzen, sie schlang ihren Arm fest um mich, und ließ ihre Finger sich so verirren, daß ich Fassung und Stimme verlor. Sie schmiegte ihr Gesicht an meinen Busen, und ließ sich
Unter ähnlichen Beschäftigungen und dem einförmigen Wogen des Hofgeräusches vergingen sechs Monate. Die Gunst der Fürstin und der Neid der andern nahmen zu. Ich fand meine Lage so widrig, daß ich schon mehr als einmal meinen Abschied fordern wollte, als ein unerwarteter Vorfall ihn mir plötzlich verschaffte. Die Fürstin war einige Tage kränklich, oder vielmehr in einem schmachtenden Zustande gewesen, wobei sie über Krämpfe klagte. Ich durfte ihr Zimmer und ihren Sopha keinen Augenblick, auch bei Nacht nicht, verlassen. Sie ruhete in meinem Arm, und ihr Benehmen
Ich brachte seit langer Zeit die erste, recht ruhige und vergnügte Nacht zu. Am frühen Morgen kam der Leibarzt, und bot mir zur Abreise die Gesellschaft seiner Frau an, die ins Bad reisete. Ich bedachte mich nicht lange, packte mit frohem Sinne meine Effekten zusammen, und fuhr ab, ohne die Fürstin noch einmal zu sehn. Ihretwegen hatte ich darum angehalten, aber ihre Weigerung war mit sehr angenehm; denn ich würde mich ihr nicht ohne Schaudern und Abscheu genähert haben. Wie so ganz
Von dem Örtchen, welches ich vorzugsweise vor der Hand zu meinem Aufenthalt wählte, erinnerte ich mich, in meiner Kindheit viel Gutes gehört zu haben. Die Vorsehung selbst hat mich in diese Gegend geführt, wo ich meine edle Verwandtin, und den über alles, alles theuren Vater so unverhofft angetroffen habe! Will er, der allerbeste und treuste, mich neben sich leben lassen, so soll jeder Augenblick meines Lebens seiner Pflege und Erheiterung geweihet seyn! Vielleicht duldet er mich! Die Großmuth der tugendhaften Russin setzt mich in die glückliche Lage, niemanden mit meiner Versorgung beschwerlich fallen zu dürfen. Wenn meine redliche Verwandte es vergessen können, daß mein Leichtsinn jede Andre dies vergessen könnten, so giebt es noch ein Glück für mich, in so fern das marternde Bewußtseyn der Fehlenden sie es genießen läßt.
Während ich dieses Heft übergeben habe, während es gelesen wird, wird mein Herz in Ungewißheit verzagen. Aber meine edle Minna wird mich vertreten; sie wird die
Grünthal an Eiche.
»Und nun, mein lieber Freund, wenn ich je in Ihrem Herzen zu lesen wünschte, so wäre es jetzt! Unwille, oder Mitleid? freilich, freilich; – – die Szene in Petersburg, mit dem Demetrius – sie ist ganz stark; aber doch, mir hat die Haut geschauert, ehe sie fiel, und sich den Kopf zerschlug. – Ich dachte wahrhaftig, sie würde ganz anders fallen. Es war ein glücklicher Fall, der sie wieder zu sich brachte. Eiche! Ich rede in der Freude meines Herzens! Wenn Sie könnten:
Bei dem Allen sind wir noch unentschlossen, wie wir leben wollen. Der Neffe und die Nichte wollen uns nicht lassen, und auch mir ists, als müßt ich hier bleiben, wo sie mir wiedergegeben ist. Da hat ihr der Neffe ein Haus und Garten geschenkt. Er sagt, sie sey im Grunde doch die unmittelbare Ursach, daß er seine Lina habe. – Nicht weit von uns wohnt die Frau Minna, die einen ganz gescheuten Mann haben soll. Mein Sohn, der Amtmann, ist auch nur ein vier Meilen von hier; nur dem armen Fritz, dem Tischler, kann ich nicht zumuthen, daß er Särge
Die jungen Leute rufen nach dem Alten; ich verlasse Sie, weil mir so wohl ist, daß ich mich ausjauchzen muß! Gott grüße und bewahre Sie.
Ihr
Grünthal.«
Eiche an Grünthal.
»Gott Lob, daß Ihnen wohl ist, mein Freund! Ihre Freude verbreitet einen heitern Schein über meine Tage; wie Ihr Kummer auch die meinigen trübte! Ich werde Sie so bald noch nicht sehen, weil mein Kollege verreiset ist; aber sobald er zurückkehrt, komme ich zu Ihnen, um mich
Gestern hatte ich einen Vorfall, der mich sehr sonderbar bewegt hat. Mein Aufwärter meldete eine Frau mit einem könne sie nicht abweisen, wenn sie Pension fordre; indeß wolle sie sich mit dem dürftigen Antheil, den ich ihr reichen könne, begnügen Ich hatte nichts zu vertheilen, und gab ihr aus meinen Mitteln; sie nahm es mit ihrem bekannten Übermuthe an; und that, als ob sie Wohlthat erwiese, indem sie Wohlthat empfing. – Ich hoffe nicht, daß ich diese unangenehme Erinnerung öfter sehen werde: sie ist mir ein Vorwurf meiner unbesonnenen Leichtgläubigkeit. –
Etwas Angenehmeres hoffe ich Ihnen in diesem dicken Pack von Ihrem guten Sohne Fritz zu überschicken; fällt Ihre
Eiche.«
Fritz Grünthal an seinen Vater.
Liebster Vater!
»Mein letzter Brief aus Neuwied benachrichtigte Sie, daß ich nächstens meine Rückreise aus Neuwied nach Berlin antreten würde. Der Abschied von einem Orte, und von Personen, bei welchen mir so mannichfaches Gute wiederfahren ist, war nicht leicht Auf meiner Heimreise wiederfuhr mir etwas Seltsames, lieber Vater. Nach einem heißen Tage zog ein Gewitter auf, und ich übernachtete auf einem Edelhofe,
Hier in Berlin bin ich wieder in meine alte
Wie ich nun zurückkam, fand ich die Meisterin als Wittwe wieder. Sie nahm mich freundlich bei sich auf, und übergab mir, gegen erhöhten Lohn, die Besorgung ihrer Geschäfte. Ich habe sie mit Fleiß und Treue betrieben; und es schien ein Seegen auf allem, was ich unternahm, zu ruhen. Vor einigen Tagen – es war eben ein Sonntag – ließ die Frau Hermannin mich zu sich rufen, und hieß mich neben sich setzen. Ich habs sonst nie gethan, denn ich respektire sie wie eine Mutter; sie redete mich so an. Mein lieber Monsieur Grünthal, Sie werden sich nicht wenig über das wundern, was ich Ihnen
Meine Bestürzung war groß, lieber Vater, aber auch meine Dankbarkeit. Ich kann mein Leben darauf lassen, daß die respektable Frau es so meint, wie sie es
Ich bitte mir also Ihren Willen aus, mein lieber Vater, nach welchem ich unbedingt handeln werde. Herr Eiche hat mir im Voraus seinen Seegen gegeben, hat sich aber, wie er mir sagt, enthalten, Ihnen umständlich darüber zu schreiben, weil
Mißbilligt aber mein bester Vater den ganzen Entwurf, so bin ich gewiß, daß er die verneinende Antwort so einkleiden wird, daß ich sie der gradsinnigen Frau mittheilen kann. Es würde ihr wackres Herz tief verwunden, wenn sie glaubte, ihr Vorschlag habe irgend eine lächerliche Seite. – Nehmen Sie mirs nicht ungütig, lieber Vater, daß ich so zutraulich und ganz schlicht weg schreibe; unser einer geht grade
Friedrich Grünthal.«
Grünthal an seinen Fritz.
»Da! da! Hier! nimm meinen Seegen, und herzliche Einwilligung; was denkst Du, Junge? Ich sollte eine lächerliche Seite an dem Benehmen der würdigen Frau auffinden? die meinem lieben Fritz so wohl will? Nein, mein gutes Kind! ich habe noch Glauben an Menschentugend, und ehre, wie Du weißt, die erwerbende und producirende Klasse von ganzem Herzen. Bringe Deiner neuen guten Mutter mein herzliches Ja! und Liebe und Dank daneben. – So giebt's denn aller Orten für mich Fried' und Freude, nach so mancher kummervollen Stunde. Komm zu
Dein guter Vater.
Grünthal.
Fritz ließ sich die Einladung nicht zweimal sagen, er schnürte seinen Reisebündel, und kam auf des Obersten Gute an. Der überraschende Anblick der Schwester machte einen seltsamen Eindruck auf den gutmüthigen Menschen. Erst wagte er sich nicht an sie heran. weil sie ihm zu vornehm vorkam; aber Julchen stürzte ihm um den Hals, Schwester und Bruder blieben sich nicht länger fremd, und wurden, wie in den ersten goldnen Tagen der Kindheit, wieder ein Herz und eine Seele. Grünthal blieb
Noch vor der Erndte reisten sie alle nach Berlin, Fritzens Hochzeit beizuwohnen. Eiche war mit seiner würdigen jungen Frau dabei, und verrichtete die Trauung. Daß er verheirathet war, milderte Julchens Verlegenheit in seiner Gegenwart. Der Oberst ließ sich's nicht nehmen, mit seinen alten steifen Reiterbeinen die Braut-Menuet zu tanzen: der alte Grünthal aber hielt's mit dem Kehraus, und sang dabei nach alter Sitte, wie er's sich vorgesetzt hatte:
Der schöne Tag brach an; ein heitrer wolkenfreier Himmel, und allenthalben heitre wolkenfreie Stirnen! Das Alter war zur Freude gestimmt, wie die Jugend. Grünthal sang von früh an, was er von Sommer- und Erndteliedern wußte: und ihm war's recht im Herzen wohl. Als die Nun danket alle Gott! angestimmt wurde. Grünthals Herz erlag der Allgewalt dieser Gefühle und Erinnerungen! Er