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In einem Lande, dessen Name sich längst aus der Welt und also auch aus der Geographie verloren hat, herrschte einst ein Streit, der anfänglich bloß die Hauptstadt desselben beschäftigte und zuletzt ein allgemeiner Streit des ganzen Landes wurde. Eigentlich entstund er unter den Neowi, den Priestern der herrschenden Religion, und da es unmöglich ist, daß Neowi sich zanken
– sollte es auch nur um eine Silbe sein –, ohne daß ihr Gott in eine von beiden Parteien gezogen wird, so ist es kein Wunder, daß eine Privatuneinigkeit, die noch dazu aus sehr verächtlichen Ursachen entstand, eine öffentliche Angelegenheit wurde. Jeder Einwohner, besonders der Hauptstadt, nahm Anteil daran, und wenn er nichts von der Sache wußte oder verstund und nicht selbst geschäftig dabei sein konnte, so lobte oder schmähte er doch.
Die herrschende Religion des Landes war die Religion des großen Tun, der unter einem alten irdenen Bilde verehrt wurde, dessen Figur die Länge der Zeit und verschiedene er selbst; und dabei genossen sie den Vorteil, einander aus den niederträchtigsten Bewegungsgründen hassen und verfolgen zu können und noch obendrein gerühmt zu werden, daß sie zur Ehre des großen Tun eines seiner vorzüglichsten Gesetze übertraten, welches Liebe und Duldung war.
Unter der Menge Priester, die dem öffentlichen Gottesdienste vorstunden, waren vier Se-Neowi oder Oberpriester, und dem Ältesten darunter mußten alle übrige eine gewisse Unterwürfigkeit bezeugen. Deswegen wurde er niemals geliebt und sehr selten bloß gehaßt und nicht verfolgt.
Der Erste Oberpriester, der bei gegenwärtigem Streite dieses Amt führte, war der beste Mann von der Welt, so ehrlich im Herzen wie im Gesichte: liebreich, gefällig und nachgebend, solange er den Rechten des großen Tun und der Vernunft nichts zu vergeben glaubte. Sein Hauptfehler war ein liebenswürdiger Fehler – er war zu freigebig und hatte dadurch seine häuslichen Umstände so verwickelt gemacht, daß er zu verschiedenen Malen in der Gefahr des Bankeruttes sich befand. Demungeachtet mußte der gute Mann sich wegen dieser übertriebnen Tugend, die nicht einmal vorsetzlich, sondern eine Folge seines Temperamentes war, in allen Gesellschaften einen Verschwender, einen unordentlichen Schwelger nennen lassen, weil er, um andre glücklich zu machen, unglücklich geworden war. Selbst Fehler, deren ihn niemand, der ihn kannte, fähig hielt, wurden ihm als Ursachen
Der Zweite übertraf ihn an Güte und Freundlichkeit mit dem Gesichte und noch mehr mit den Reden; er war ein gleißender Betrüger, eine Schlange, die sich künstlich in den Busen eines jeden stahl und dann unversehens, oft aus bloßem tückischem Mutwillen, ihn biß. Ein mehr als priesterlicher Stolz und die unumschränkteste Herrschsucht lauerten in seinem Herzen wie in einem Hinterhalte, um diejenigen, die das Unglück hatten, ihm zu mißfallen, hinter der freundlichen Miene zu überraschen und zu überwältigen. Seine Schwäche nötigte ihn, besser zu sein, als er sein wollte; auf jedem Throne wäre er ein Nero gewesen – und vielleicht noch mehr.
Jedes Volk war das, was es seinen Gott sein ließ, und jeder einzelne Mensch ist den Vorstellungen gleich, die er sich von seinem Gotte macht. Schon aus diesem Grunde hätte man den rachsüchtigen, gewalttätigen Charakter dieses Mannes vermuten können, da er die Bildsäule des großen Tun für die Abbildung eines Tigers erklärte und in seinen Reden bei öffentlichen Feierlichkeiten ihn stets als einen zornigen, strafenden Tyrannen abmalte, der niemals die Donnerkeile aus der Hand legte. Daher sah er auch die Erhöhung an der einen Seite des Bildes für einen Donnerkeil an, da hingegen der Erste Oberpriester es für einen Blumenkorb hielt, der ausgeschüttet werden sollte, wodurch nach seiner Meinung die immer wirksame Wohltätigkeit des großen Tuns abgebildet wurde.
mit Willen böse zu sein, und alles im übrigen, wozu man ihn machte. Wer ihn zuerst für sich einnahm, dessen Freund war er, und widerstund der andern Partei mit der friedlichsten Hartnäckigkeit. Seine phlegmatische Anhänglichkeit an dem Gewohnten machte es in den öftern Kriegen seiner Mitbrüder, denen, die sich Neuerungen widersetzten, ungemein leicht, ihn zu gewinnen. Er war zufrieden, wenn man sich zankte, und zufrieden, wenn man ruhig war. Wenn ja zuweilen sein kaltes Blut durch gewisse Vorstellungen einige Grade erwärmet wurde, so war doch sein Eifer allemal unwillkürlich, und wenn er aus irgendeiner geheimen Leidenschaft für die ungerechte Sache nach seiner Art eiferte, so begegnete ihm weiter nichts, als was uns armen Erdenbewohnern alle Tage widerfährt – er handelte aus andern Bewegungsgründen, als er glaubte. Er fand in dem Bilde des großen Tun eine Schnecke.
Der Unterste war ein junger, ziemlich feuriger Mann, der noch zu wenig Bekanntschaft mit der Welt hatte, um nicht allezeit auf der Seite desjenigen zu sein, der ihn am listigsten hintergehn konnte. Übrigens hatte er den Charakter eines Mannes, dem man, bei einer guten, aber noch unausgebildeten Anlage, ins Gesicht gesagt hat, daß er ein vollkommner Mann ist. Anfangs wollte er – aus Bescheidenheit oder warum sonst, weiß ich nicht – kein Urteil über die Statue des Tun wagen, aber endlich entschied er – es wäre ein Trampeltier.
In dieser ehrwürdigen Gesellschaft herrschte äußerlich, kleine Scharmützel ausgenommen, ein beständiger Friede, und in den Herzen war ein ununterbrochner Krieg. Man wunderte sich überaus, daß Neowi in einer solchen Einigkeit leben konnte, und schloß aus diesem Vorfalle, der sich seit der Stiftung dieses Ordens nicht zugetragen hatte, als aus Laum sich näherten, welches nach einer alten Tradition der Zeitpunkt sein sollte, wo dieser Staat von innrer und äußrer Sklaverei befreit werden und den höchsten Gipfel seiner Glückseligkeit erreichen sollte. Die Hoffnung, diese Epoche vielleicht noch zu erleben, tröstete die geringen Einwohner und verschaffte ihnen die Geduld, mit welcher sie ihr Joch trugen.
Aus den vorhergehenden Schilderungen wird man schon vermuten können, bei welchem unter den vier Oberpriestern die innerlichen Gärungen des Hasses den ersten Ausbruch gewinnen mußten. Der Zweite war es, Y-Zingu genannt. Alle übrige würden geruhet und sich wenigstens mit einer kollegenmäßigen Kaltsinnigkeit weder geliebt noch gehaßt haben, wenn dieser sie nicht in Feuer gesetzt hätte.
Er haßte den Ersten Oberpriester, den Tsi-gar, schon seit dem Antritte seines Amtes, doch nur heimlich und aus keiner andern Ursache, als weil dieser der Erste und er nur der Zweite Oberpriester war. Dieser Haß wuchs um die Hälfte, als Tsi-gar anfing, einen dicken Bauch zu bekommen, welcher an einem Priester allgemein für ein besondres Merkmal von der Gewogenheit des großen Tun angesehn wurde. Man sagte daher im Spotte von Tsi-gar, es wäre kein Wunder, daß ihm der große Tun gewogen sei, da er seinen Bauch mit seinem ganzen Vermögen ausgepolstert hätte. Sobald dieser erhabne Vorzug sichtbar zu werden anfing, verriet die Freundlichkeit des Zweiten Oberpriesters gegen ihn schon mehr den Zwang, den er sich dabei antun mußte; seine Komplimente wurden häufiger und studierter und eben daher verdächtiger; er widersprach, wo er sonst nur Zweifel erregt, er tadelte laut, wo er sonst nur Bedenklichkeiten geäußert hatte: Kurz, der Friede war dem Bruche nahe, und es fehlte, um ihn völlig zu bewerkstelligen, nichts weiter, als daß eine Gelegenheit die Art des Angriffs an die Hand gab. – Der unselige Bauch!
Die feierlichen Gebräuche, die man gleichfalls darinne zu finden vorgab, hatten teils durch die Veränderung des öffentlichen Geschmackes, der Denkungsart, der Sitten usw., teils durch die ungeschickte Vermischung des Alten und Neuen auf einmal glatt polieren wollen. Geduldig muß man reiben, bis allmählich der Rost sich verliert, und dann kann man getrost aus der Sache machen, was man will.
Aus diesem weisen Grundsatze hatte er nach verschiednen gelungnen Unternehmungen mit Unbeträchtlichkeiten in der Periode, da sich die Gewogenheit des großen Tun an seinem Bauche zu offenbaren anfing, einen Versuch im größern gewagt. Er hatte ein Gebet, das zu den Zeiten, als das Land noch seine eigne Regenten hatte, und in einer Pest eingeführt worden war, das Ausdrücke enthielt, die er teils dem großen Tun, in Friedenszeiten, ohne Undankbarkeit nicht sagen zu können glaubte, teils, wenn man etwas dabei denken wollte, bei der gegenwärtigen Lage der Sachen gar keinen Sinn hatten – hatte außer diesem Gebete eine Verwünschung eines benachbarten Volks, das unterjocht und also auf keine Weise mehr gefährlich für das Land war, an dem Feste Te-salu zum ersten Male aus Liebe zur Vernunft und Menschlichkeit weggelassen, doch mit vorhergegangner Einwilligung seines Obern, des allgemeinen Hauptes aller Priester im ganzen Lande, welches Iwal genennt wurde.
Jedermann billigte diese Veränderung oder hielt sie wenigstens nicht für tadelnswürdig, wenn er sie auch nicht lobte. Selbst ein großer Teil des gemeinen Volks fand nichts dawider einzuwenden, aber desto mehr der Zweite Oberpriester. Er hatte sich schon einen kleinen Anhang gemacht und
Geradesweges ging der heuchlerische Oberpriester zu seinem Feinde hin und wünschte ihm mit Tränen Glück, daß er von dem weisen Iwal zum Werkzeuge einer Religionsverbesserung gebraucht worden sei, und beschloß mit den nämlichen Worten, mit welchen er seinen Sermon bei dem Iwal geendigt hatte. Der Erste Oberpriester umarmte ihn, und jener nahm seine Umarmung mit verstellter Hitze an; doch konnte er sich nicht enthalten, als er sich dem Bauche seines Nebenbuhlers nahte, einen lauten Seufzer zu tun, und da er, aller Vorsicht ungeachtet, in dem Feuer der Verstellung sich vergaß und den verhaßten Bauch berührte, so empfand er einen so heftigen Schmerz in dem großen Gallengange, daß er laut schrie, zurücksank und in eine Art von Betäubung geriet.
»Was widerfährt dir?« fragte der bekümmerte Tsi-gar, als jener wieder zu sich zu kommen schien.
»Ach«, antwortete er mit einem tiefen Seufzer, »die Gaben des großen Tun sind alle herrlich und dankenswert; aber mir gab er ohne Zweifel im Zorn über meine Vergehungen ein zu empfindliches Herz. Jede Empfindung, die andern Menschen
Der ehrliche Tsi-gar, dessen Herz, mit Erlaubnis des großen Tuns, wirklich etwas zu empfindlich geraten war, dankte ihm mit der größten Rührung für seine freundschaftlichen Gesinnungen und bereute es bei sich herzlich, daß er sich gegen einen solchen Mann einen geheimen Argwohn hatte erlauben können; ebenso unwillig gegen sich, warf er die ganze Schuld auf seine Übereilung, daß er von etlichen zweideutigen Handlungen eines solchen Mannes intoleranterweise so geurteilt hätte, als wenn es auf ihn gerichtete feindliche Anfälle gewesen wären. Er hatte sogar die Unvorsichtigkeit guter Seelen und legte ihm ein Bekenntnis seines vermeinten Versehens und seine Reue darüber ab, bat ihn um Verzeihung, ersuchte ihn um seine Freundschaft und Beihülfe bei der vorhabenden Religionsverbesserung, entdeckte ihm seinen darüber gemachten Entwurf und – tat noch vieles, wovon ich ihm wohlmeinend abgeraten hätte, wenn ich sein Freund gewesen wäre. Alles dieses war so gut, als hätte er seinem verstellten Gegner den ganzen Operationsplan zu seinen künftigen Verfolgungen in die Hände gegeben und zu ihm gesagt: So mußt du den Degen führen, wenn du, ohne daß ich's gewahr werde, mich durchstoßen willst.
Tsi-gar freute sich triumphierend, durch Sanftmut und Güte es dahin gebracht zu haben, daß niemand mehr in seinem Orden sein Feind war, faßte neue Entschlüsse zu Verbesserungen, die er unter diesem neuen Beistande auszuführen gedachte, ohne zu argwohnen, daß man nur einen
Durch einen Zufall, den niemand erforschen konnte oder vielmehr nicht erforschen wollte, weil es jedermann für eine außerordentliche Wirkung des großen Tun ansah, war das Stück seiner Bildsäule, welches nach der Erklärung des Zweiten Oberpriesters einen Donnerkeil bedeutete, abgebrochen und wurde nirgends gefunden – weil es die untern Priester aus einer priesterlichen Vorsicht beiseite geschafft hatten. Der Iwal stellte Bußtage an und versagte sich vier Wochen lang den besten Tisch, den er allein im Lande führte, um durch Hunger und armselige Nahrungsmittel den Zorn des großen Tun zu versöhnen. Durch eine ganz natürliche Folge verschwand bei dieser Fastendiät zusehens sein ansehnlicher Bauch, und die Gewogenheit des großen Tun war mit ihm verloren. Er grämte sich darüber, daß er nur, da alle Iwal die auserwähltesten Lieblinge des großen Tun gewesen waren, der einzige Verworfne sein sollte, und grämte sich so sehr, daß er immer hagrer wurde und – starb.
Tsi-gar, der Erste Oberpriester, der es sich eine Vorschrift sein ließ, Meinungen, die in das Glaubenssystem eines ganzen Volks verwebt waren, nicht geradezu umzustoßen, sondern, wenn er auch gleich ihre Falschheit gewiß erkennte, mit einer erlaubten, heilsamen Verstellung sie zum Nutzen eines jeden anzuwenden, stellte aus diesen Gründen an einem von den angestellten Bußtagen dem Volke vor, daß der große Tun aus Mißfallen über die Vergehungen des Landes seinen Blumenkorb verborgen habe und daß er ihn reichlicher als zuvor angefüllt wieder zum Vorschein bringen und über das ganze Volk ausgießen werde, sobald ein jeder den ernsten Vorsatz fassen würde, besser zu leben. Er wußte zwar von dem Betruge der untern Priester nichts, allein, er
Y-Zingu, der Zweite Oberpriester, prophezeite in seiner Rede mit der größten Zuverlässigkeit, daß das ganze Land in kurzem durch Erdbeben, Überschwemmungen und andere gräßliche Plagen untergehen werde, weil der große Tun seinen Donnerkeil zu ihrer Bestrafung nicht hinlänglich befunden und ihn deswegen im Zorne weggeworfen habe.
Nach einer Gewohnheit, die – ich kann nicht sogleich umständlich erklären, warum – den größten Teil der Menschen fesselt, fanden die fürchterlichen Vorstellungen des letztern viel mehr Beifall und Überzeugung als die liebreichen Ermahnungen des erstern. Man glaubte und fürchtete; in allen Gesellschaften waren die bevorstehenden Unglücksfälle die einzige Unterhaltung; jedermann dichtete neue hinzu und fand ein grausames Vergnügen daran, andere und sich selbst durch seine Erzählungen zittern zu machen. Da in diesem Lande das Licht des Verstandes nur noch eine kleine Lampe war, die erst zu brennen anfing, so ist es um soviel weniger verwundrungswürdig, daß die Sache gerade so und nicht anders vorging.
Überhaupt war die politische Verfassung einer vollkommnen Aufklärung des Verstandes und einer allgemeinen Erleuchtung nicht günstig, sondern schränkte vielmehr die Verfeinerung des ganzen Volkes auf eine gewisse Mittelmäßigkeit ein, die es ewig nicht überschreiten konnte. Die Vornehmen besaßen das Mark des Landes und ließen dem Mittelstande und dem Geringern nichts als die Knochen übrig, um daran zu nagen. Die letztern lebten in einer völligen bürgerlichen Sklaverei; sie waren ein Teil von dem Vermögen der Großen, wurden als angewiesne Lasttiere mit den Gütern verkauft und gekauft. Die wenige Zeit, die ihnen ihre mühselige Arbeit zum Denken übrigließ, war nicht zureichend, Bürger, aber schlechte Menschen. Die ihr gutes Einkommen aus der Handlung oder dem Besitze eignen Vermögens über jene Notwendigkeit hinwegsetzte, ihrem Gehirne um des Unterhalts willen Gewalt anzutun, waren sogar ohne die Politur, die manchen unter unsern jungen Leuten ein dreijähriger Aufenthalt auf der Akademie allein geben muß; sie waren leere Köpfe, gegen Vornehmere plump, gegen Ärmere stolz und gegen jedermann -grob. Die Vornehmen, die den Ton ganz allein angaben, waren, diejenigen ausgenommen, denen ein kurzer Aufenthalt am Hofe die grobe, rohe Hülse heruntergerissen hatte, im Grunde von den letztern nicht viel verschieden. Sie hielten sich alle im Herzen für Götter und taten äußerlich wohl zuweilen als Menschen; doch trugen sie auch kein Bedenken, andern ihre vermeinte Götterschaft geradezu fühlen zu lassen, wenn es die Umstände mit sich brachten. Ihre einzige Beschäftigung war die cura habendi, die Wirtschaft,
Diese Abschilderung war nur nötig, um sich eine Vorstellung von dem gesellschaftlichen Tone der Hauptstadt zu machen und zu begreifen, wie man vier Wochen lang in allen Gesellschaften von nichts als von der Prophezeiung des Zweiten Oberpriesters reden, sie nicht bloß als eine in Form einer Prophezeiung abgefaßte Drohung ansehn und dafür zittern konnte. Die Sache war: Es tat dem Gespräche ebendie Dienste als Wasser einem Mühlrade, da man ohnehin, wenn die Wetteraspekten erschöpft, der kleine Vorrat von glücklichen und unglücklichen Stadtbegebenheiten und törichten Handlungen – die es teils waren, teils durch eine sinnreiche Auslegung dazu gemacht wurden – ausgeleert war, sich in allen Gesellschaften die Kinnbacken wund gähnte. Y-Zingu tat hierbei sein möglichstes, die Vorstellung des Ersten Oberpriesters insgeheim zu verschreien und – viel fehlte nicht! – gar zu verketzern.
Dieser hingegen hielt sich für verbunden, dem reißenden Strome der Furcht Einhalt zu tun. Er tat es in der nächsten öffentlichen Rede, die er ans Volk halten mußte, und tat es auf
Der gute Mann! – Denselben Tag, als er seine Rede hielt, langte ein neuer Taschenspieler an, der ganz unerhörte, Zaubereien ähnliche Dinge machte. Jedermann brannte von Verlangen, ihn zu sehn und, wenn er ihn gesehn hatte, von einem gleichen Verlangen, andern zu erzählen, was er gesehn hatte; die völlige Aufmerksamkeit des Publikums stahl der Taschenspieler weg und ließ den Oberpriestern, ihren Segen und ihren Verwünschungen, nicht ein Plätzchen in einem Kopfe übrig, und um soviel weniger hatte man itzt Lust, sich vor seinem Untergange zu fürchten, weil der Taschenspieler eine Ursach mehr war, sich seines Lebens zu erfreun. Kurz, der Taschenspieler tat alles und die Rede des Tsi-gar gar nichts.
Doch seinem Feinde, dem Y-Zingu, spielte der Künstler einen noch schlimmern Streich: Er machte, daß niemand mehr seine Verkleinerungen des erstern anhören wollte noch konnte. Das beste dabei war, daß die Ankunft des Taschenspielers die Furcht der gesamten Einwohner vom Grund aus heilte.
Der so vermeinte gute Erfolg seiner Rede schien dem Ersten Oberpriester eine neue Auffoderung zu sein, in seinen angefangnen Verbesserungen fortzufahren. Er wagte einen leichten, aber nach der damaligen Verfassung des Menschenverstandes gewiß kühnen Schritt. An den öffentlichen Festen sang das ganze Volk zum Schlusse des Opfers Gnaseg-chub, ein paar Worte, die gegenwärtig wegen Abänderung der Sprache keine Seele mehr verstand und keine Seele mehr erklären konnte. Um einer so unvernünftigen Verehrung abzuhelfen, machte Tsi-gar mit einer leichten Veränderung aus Naseg-rub, welches in der damaligen Sprache ohngefähr: Erhöre uns! bedeutete. Er beratschlagte sich mit seinen Kollegen darüber; alle fanden die Verbesserung vortrefflich, und keiner erteilte ihm so viele Lobsprüche darüber als der Zweite Oberpriester. Er mußte!, weil der vermaledeite Taschenspieler ihn aus seiner vorteilhaften Stellung herausgetrieben hatte.
Es wurde dem Volke bekanntgemacht, und der größte Teil war es zufrieden, sagte wenigstens nichts mehr, als was die Leute bei jeder neuen Sache sagen -ein paar leichte Einwendungen, um doch zu zeigen, daß man Verstand genug hat, Einwendungen zu machen. Alle Zungen waren in Bereitschaft, Naseg-rub bei dem nächsten Feste, dem größten im Jahre, auszurufen.
Mittlerweile fiel es der Frau des Zweiten Oberpriesters ein, daß die Sachen ihres Mannes sehr langsam fortschritten und die ganze Maschine einen neuen Stoß brauchte, um in eine schnellere Bewegung gebracht zu werden. Sie nahm sich also vor, diesen Stoß zu tun.
Am vorhin gemeldeten großen Feste tanzten die Weiber der Oberpriester einen gewissen feierlichen Tanz, den das Altertum geheiligt hatte und wobei die Erste Oberpriesterin ungemeine Vorzüge genoß. Sie allein tanzte mit bloßen Brüsten und bloßen Füßen auf einem seidnen Teppiche, der über einen Rasenplatz gebreitet war, und die übrigen durften bei der härtesten Strafe diesen Teppich nicht berühren, sondern mußten um denselben herum in einer leinenen Hülle tanzen, die den ganzen Körper vom Kopf bis auf die Füße bedeckte. Wenn der Tanz vorüber war, erschienen die sämtlichen Oberpriester, knieten am Rande des Teppiches hin und küßten die Brüste und die Füße der Ersten Oberpriesterin, die sich zu einem jeden deswegen herabbeugte. Je seltsamer dieser Gebrauch war, je mehr tat man ihm, da er zur Religion2
Auf diesen Schlag hielt sich noch eine Menge andrer Erklärungen in den Köpfen der Einwohner auf, wovon aber zuverlässig keine einzige in dem Kopfe des ersten Urhebers gewesen war. – Wer die Geschichte der christlichen Kirchen studiert hat, wird sich leicht vorstellen können, wie die Sache beschaffen war.
Lange schon hatte die Zweite Oberpriesterin dieses Vorrecht der Ersten mit neidischen Augen angesehn, und keinen Tag im Jahre brachte sie mit so vielem Mißvergnügen zu als dieses Fest, ob es gleich nach seiner ersten Bestimmung ein Tag der allgemeinen Freude sein sollte. Demungeachtet hatte sie ihren Mann die Ursache ihrer Betrübnis nicht merken lassen, sooft er sich auch darnach erkundigte. Doch itzt, da sich das Fest wieder näherte, fand sie sich nicht stark genug, ihr Anliegen länger zu verhehlen. Doch die Art ihrer Entdeckung war sehr alltäglich: Sie stellte sich krank,
Daß der Oberpriester am Ende der Konferenz versprach, die Stolze auf das empfindlichste zu demütigen, und daß er versprach, es zur Ehre des großen Tuns zu tun, das wird wohl jedermann selbst raten.
Das Fest erschien, der Tanz ging vor sich. Der Erste Oberpriester verrichtete seinen demütigen Kuß an den Brüsten und Füßen seiner Frau. Der Zweite näherte sich, sie reichte ihm die Brust, und – ach! schrie sie laut und sank auf den Teppich hin – er hatte sie in die Brust gebissen.
Unterderhand waren Leute von dem Boshaften abgerichtet, welche sogleich durch ihre Auslegung von dem Vorfalle dem Erstaunen des Volkes die Richtung geben mußten, die es nach seiner Absicht nehmen sollte. Sie zischelten ihren Nachbarn ins Ohr, der Zorn des großen Tun habe sich an dieser Unwürdigen offenbart. – Sie wußten in der Geschwindigkeit
Man foderte allgemein, daß das Fest den folgenden Tag noch einmal gefeiert und die Zerimonie noch einmal von der Zweiten Oberpriesterin verrichtet werden sollte. Es geschah zu ihrer großen Zufriedenheit.
Als bei dem Schlusse des Opfers die Reihe an den obengedachten Ausruf kam, rief ein kleiner Haufe das alte verstandlose Gnaseg-chub, und ein unendlich größrer überstimmte ihn mit dem verbesserten Naseg-rub. Der Erste Oberpriester freute sich insgeheim, und der Zweite ärgerte sich, daß er glühte.
An gewissen vernünftigen Sachen leuchtet die Vernünftigkeit mit einer so unwiderstehlichen Kraft in die Augen, daß auch der finsterste Kopf davon erhellt wird; aus diesem Grunde mochte das Volk diesmal so klug handeln, da doch die Ereignis mit der Oberpriesterin auch auf ihren Mann und auf Sachen, die von ihm herrührten, einen Schatten geworfen hatte und nach der listigen Veranstaltung des Zweiten Oberpriesters geworfen haben mußte.
Gleich den Tag nach ihrem Tode empfing der Hinterlaßne aus dem Serail des Regenten eine andre Frau; denn nach den Gesetzen des Landes und der Religion durfte kein Priester länger als höchstens zwei Tage unverheiratet sein; auch wurde bei ihrer Wahl die Tüchtigkeit zum Ehestande als das hauptsächlichste Erfodernis angesehn – und daß diese Frau aus dem Serail kam, das ging so zu.
Die gegenwärtigen Regenten hatten bei der Eroberung des Landes, in welchem alles das Erzählte vorging, für sich, ihre Erben und Erbnehmer in infinitum eine Art von Leibeigenschaft des weiblichen Teiles im ganzen Lande eingeführt. Jedes Mädchen gehörte vom zwölften Jahre an dem Regenten: War sie hübsch, so mußte sie unnachbleiblich in das Serail des Hofes geliefert werden; war sie häßlich, so konnten die Eltern gegen Erlegung einer Summe, die nach den Bedürfnissen des Staates gemindert oder gesteigert wurde, das Eigentumsrecht über sie erkaufen, und die Veranstaltung war so weislich geordnet, daß keine schöne nicht ausgeliefert und keine häßliche nicht losgekauft wurde. Aus dieser Sammlung von den auserlesensten Früchten des ganzen Landes wurden alle Kandidaten des Ehestandes versorgt
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oder vielmehr mit Weibern belehnt, welches höchst notwendig war, da Überdruß und Vergänglichkeit, diese zween Feinde der weiblichen Reize, nirgends mehr als in einem Serail wüten.mußten und die übrigen Einwohner so ekel waren, entweder gar ledig zu bleiben oder sich mit den natürlich häßlichen zu befriedigen; doch auch diesem Mißbrauche wurde im kurzen durch eine harte Auflage auf dergleichen gesetzwidrige Heiraten anderweitig abgeholfen.
Alle Weiber der obern und geringern Priester hatten daher die Miene und die Sitten des Serails, und die itzt der Erste Oberpriester empfing, war eine Spröde, die Tages, vorher erst in Ungnade gefallen war. Doch da sie viele Verdienste besaß, die ihr eine vorzügliche Tüchtigkeit zum Mitgliede eines Serails verschafften, so erhielt sie auch in ihrem neuen Stande noch viele heimliche und öffentliche Besuche von ihrem ehmaligen erhabnen Liebhaber, und je hartnäckiger ihre Sprödigkeit wurde, je hartnäckiger wurde die Liebe des Prinzen.
Der Zweite Oberpriester, der als ein Weltkenner allerhand nachteilige Folgen für das alte Gnaseg-chub aus dieser Verbindung besorgte und doch nach der bekannten Beobachtung, daß ein gelungner Versuch allen unsern übrigen noch so unbedeutenden Projekten, die nur einigen Zusammenhang mit jenem haben, eine Elastizität gibt, durch den für ihn glücklich ausgeschlagnen Biß angespornt wurde, sich dem Naseg-rub mit doppelter Stärke zu widersetzen -dieser Mann, sage ich, hielt es für außerordentlich nötig, eine Gegenmine anzulegen. Der böse Streich, den ihm das Volk spielte, da es bei seinem Ausrufe der Verbesserung des Oberpriesters folgte, zog Neid, Stolz, Rachsucht und sein ganzes Priesterherz mit ins Spiel. Eine solche Gegenmine glaubte er am besten bei dem neuen Iwal anzubringen. Dieses war ein guter, ehrlicher Mann, von einem planen, nicht gesunden
In seiner Unterredung mit dem Ersten Oberpriester darüber widerlegte dieser zwar mit vieler Richtigkeit und Deutlichkeit die Anschuldigungen seines Verleumders, besonders die, daß er seine Verbesserung ohne die Einwilligung seiner erste Eindruck die Herrschaft über ihn behielt, die Überzeugung von der Wahrheit dessen, was der ehrliche Tsi-gar für sich anführte, zwar nicht ganz hinderte, aber sie doch hinderte, auf seine Entschließung zu wirken. Er verwies den Ersten Oberpriester zur Ruhe und untersagte ihm nachdrücklich jede künftige Veränderung.
Diese Zurückweisung reizte den Stolz des Tsi-gar: Er hätte ein unempfindlicher, schläfriger Mann sein müssen, wenn diese Reizung bei der Anschwärzung einer so offenbar gerechten Sache außengeblieben wäre. Er schlug also, um seine Absichten seinem Verleumder zum Trotze durchzusetzen, einen Weg ein, dessen Wahl freilich nur insofern zu billigen war, weil ihn die feste Überzeugung von der Güte und Nützlichkeit seiner Unternehmung dazu bestimmte und er löbliche Absichten darauf zu verfolgen suchte.
Er gab seiner Frau den Auftrag, sich ihrer ehmaligen Vertraulichkeit mit dem Regenten zunutze zu machen, zu ihm zu gehn und ihn zu bitten, daß durch seinen ausdrücklichen Befehl das Gnaseg-chub förmlich des Landes verwiesen würde. Sie willigte gleich darein – denn sie war der Zweiten Ober-priesterin schon im Serail gram gewesen, weil sie einmal um ihrentwillen eine harte Demütigung ausstehn mußte. – Die gerechte Sache ward ihre Sache; sie ging geradesweges zum Regenten, stimmte ihre Sprödigkeit etliche Töne herunter, tat darauf ihre Bitte – »Herzlich gern!« war die Antwort. »Gleich soll mein Edikt auf allen Gassen und Kreuzwegen des Landes öffentlich abgesungen werden.«
Es geschah. Tsi-gar freute sich und lobte den großen Tun, daß er der guten Sache abermals aufgeholfen hätte.
Unterdessen hatte Y-Zingu auch die übrigen Oberpriester er nicht der Urheber davon war. Jener eiferte auf der Stelle darwider und ließ es dabei bewenden; dieser lärmte wie ein kleiner mutwilliger Bologneser und biß endlich gar zu. Sie taten vereinigt dem Iwal eine Vorstellung wider den Befehl des Regenten, und dieser nahm es sehr übel, daß man seinen Regenten bewegt hatte, etwas ohne sein Vorwissen zu befehlen. Sie gewannen ihn ganz.
Der Iwal wußte wohl, daß Befehle des Regenten nur öffentlich abgesungen würden, um beizeiten den Leuten zu melden, daß man darauf sinnen müsse, wie man sie nicht halten und doch nicht bestraft werden könne, und war also wegen der Haltung dieses Ediktes nicht in der mindesten Unruhe: In zween Tagen hatte Regent und Untertan vergessen, daß es gegeben worden war. Er ließ deswegen bei der abermaligen Annäherung des größten Festes ein anders von seiner eignen Erfindung machen, worinne gerade das Gegenteil geboten wurde. Etliche alte Leute, die noch aus den vorigen einfältigen Zeiten übrig waren, hielten sich für verbunden, allein dem Befehle des Fürsten zu folgen; hingegen der erleuchtete Haufe richtete sich ohne fernere Nachfrage nach dem letzten Befehle, rühre er doch her, von wem er wolle.
Hieraus entstund ein allgemeiner Streit. Es wurden Parteien, die zwar nicht zu öffentlichen Tätlichkeiten griffen, aber doch in Privatgesellschaften einander mit den bittersten Anzüglichkeiten verfolgten. Wenn jemand um seine Tochter zur Ehe angesucht wurde, so war seine erste Frage, ob sein künftiger Schwiegersohn an dem größten Feste im Jahre Naseg-rub oder Gnaseg-chub ausrief, und sein Ja oder sein Nein richtete sich darnach, ob dieser ebenso ausrief als er selbst. Diese beiden Worte knüpften und zerrissen Freundschaft,
Da die Hauptstadt nur eine mittelmäßige, beinahe kleine Stadt war, so kann man sich leicht einbilden, daß man in kurzem lächerliche und traurige, ungereimte und artige Geschichtchen auf Unkosten des Ersten Oberpriesters aussann, die sich so weit, als man nur vom Gnaseg-chub etwas wußte, schnell ausbreiteten; aber allezeit wurde der gute Mann in einem nachteiligen Lichte vorgestellt, weil er die unterliegende Partei war.
Man sagte, der große Tun habe ihn für seine Verwegenheit des Nachts gezüchtigt und ihn mit einer großen Narbe über der Nase gebrandmalt – die er doch seit seinem fünften Jahre von einem üblen Falle hatte.
Die sich klüger dünkten, erzählten sich mit vieler Ernsthaftigkeit, seine gegenwärtige Frau habe ihn zu dem Nasegrub verleitet und dieses sei eine Bedingung gewesen, unter welcher sie versprochen habe, ihm in ihrer Ehe treu zu sein. – Warum? fragten Leute, die klug waren. Man verwunderte sich über ein solches übel angebrachtes Warum und ließ es bei der Versicherung bewenden, daß die Sache ihre völlige Richtigkeit habe – ohne sich an den chronologischen Einwurf zu erinnern, daß man schon Naseg-rub ausrief, ehe die gegenwärtige Frau seine Frau war.
Die witzigen Köpfe machten es sich zur Ehre, mit der ausgelassensten, oft ziemlich niedrigen Satire auf den armen ihn eine chronique scandaleuse; doch da es leidlicher ist, einfältige Sachen als fade zu hören, so möge die ganze Chronik meinetwegen in der Unbekanntschaft des Publikums bleiben.
Während dieser allgemeinen Bemühung, den armen Tsi-gar zu verkleinern, ermangelten die übrigen Oberpriester nicht, es auf ihre Art zu tun. Sie beschuldigten ihn verschiedener Irrtümer, die geradezu die Grundsäulen des Glaubenssystems umstießen. Selbst sein Naseg-rub war eine Erzketzerei, und hinter allem, was er tat, sollten böse, der Religion gefährliche, der Indifferentisterei, dem Synkretismus und andern polemischen Mißgeburten günstige Absichten lauschen, und – was gewiß die größte Verlegenheit in der Welt verursachen muß – er wurde genötigt, über Meinungen sich zu entschuldigen, die ihm als Irrtümer aufgebürdet wurden und vor seiner Vernunft die allein richtigen waren.
Neben der Frömmigkeit war in dem Herze des Iwals ein Kraut aufgewachsen, das gemeiniglich mit jenem in einem Boden fortkommt – der Stolz, und noch dazu die Art des Stolzes, die auf die äußerlichen Bezeugungen der Ehre und der Demütigung anderer ihre ganze Zufriedenheit beruhen läßt, Menschen als beifallswürdig oder als hassenswert dem Verstande vorstellt, nachdem sie sich durch äußerliche Unterwerfung mehr oder weniger erniedrigen, und nach diesem Maßstabe Gunst und Ungnade austeilt. Dem Y-Zingu kostete es bei seiner kriechenden, niedrigen Denkungsart nicht die geringste Überwindung, bei seinen Unterredungen mit dem Iwal nicht von der Erde aufzustehn, bei jedem Worte den Saum seines Kleides zu küssen und – welches das Zeichen der höchsten Ehrerbietung in diesem Lande war – den rechten Fuß dieses aufgeblähten Vorgesetzten bei dem Abschiede mit seiner Stirne zu berühren. Zu allem diesen konnte sich der Erste Oberpriester nicht verstehn: Er erwies
Der Iwal ging mit seinen Leidenschaften zu Rate. Die Frömmigkeit zwang ihn, sich der Sache anzunehmen, weil es eine Sache der Religion war, und sein Stolz faßte, ohne weitere Überlegung, das Urteil ab, daß der Erste Oberpriester unrecht haben müßte.
Dieses Urteil war der Leitfaden, den er bei seinen Untersuchungen darüber in die Hände nahm. Ein etwas klügerer Kopf tat den Vorschlag, beide Parteien, die nunmehr sehr erbittert gegeneinander waren und um soviel weniger nachgeben wollten, dadurch zum Stillschweigen zu bringen, daß er keinen von beiden recht behalten ließ: Er sollte weder Gna-seg-chub und Naseg-rub, sondern Ase-rub auszurufen befehlen, welches gleichfalls einen guten Verstand hätte, auf die Gelegenheit paßte und den Knoten der Uneinigkeit auf einmal entzweischnitte, besonders wenn man, wie es billig wäre, auf das übrige verleumderische Anbringen der Oberpriester, vornehmlich des Y-Zingu, weiter keinen Augenmerk richten und alle dergleichen in Zukunft verbitten wollte.
So gut der Rat war, so mißfiel er doch dem Iwal aus einem sehr menschlichen Grunde – weil er ihn sich nicht selbst gegeben hatte. Er setzte seine Untersuchungen unermüdet fort, scheute die Gefahr nicht, durch so viele Arbeiten sich um die
Nach drei Jahren Untersuchung, nach so vielen Feindseligkeiten, die die Priester sich angetan hatten, nachdem die öffentliche Meinung von dem ganzen Orden um vieles geschmälert, nachdem durch Zwiste das größte Fest im Jahr oft entheiligt worden war, befahl der Iwal, man sollte an dem größten Feste des großen Tuns singen – wie man vor tausend Jahren gesungen hatte.
»Wenn dieses die weiseste Entscheidung war, die man nach einer dreijährigen Untersuchung finden konnte, so hätte ich dem Iwal in einer Sekunde nach der Anlage des Zweiten Oberpriesters dazu verhelfen wollen«, sagte bei der Bekanntmachung dieses Befehles ein kluger Kopf.
»Ja, so hätte ja der Iwal die Ehre einer dreijährigen Untersuchung nicht gehabt«, sagte ein noch klügrer. Er untersuchte nicht, um entscheiden zu können, sondern – um zu untersuchen. –
So untersuche er dann in Ewigkeit! Der große Tun beschere ihm Uneinigkeiten und Priestergezänke genug dazu!