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Allen
teutschen Mädchen
und
Weibern
gewidmet.
In einem Jahrhundert, in welchem Kultur, Aufklärung und Verfeinerung zu einem so hohen Grade gestiegen sind, sollte man natürlicherweise den Einfluß davon auch auf das andere Geschlecht bemerken. Man könnte erwarten, unter den Weibern mehr Ausbildung des Geistes, und richtigere Begriffe von ihren Pflichten und von ihrer Bestimmung zu finden. Sie, welche in alle Verhältnisse des bürgerlichen Lebens verflochten sind, deren Einfluß sich von den einzelnen Theilen auf das Ganze erstreckt, sind noch weit entfernt, den Platz auszufüllen, welchen sie in der bürgerlichen Gesellschaft einnehmen. In der großen Welt sind die Weiber in ihren Sitten, Ton und Manieren verfeinert; allein an wahrer Geisteskultur fehlt es ihnen. Doch über diese Sphäre hat der Luxus zu sehr seine verderblichen Fittige ausgebreitet, als daß man hier hoffen könnte, durch heilsame, aber einfache Wahrheiten, Gutes stiften zu können. Ich wende mich also an Euch, meine Mitbürgerinnen, die ihr nicht zu der Klasse gehört, in welcher die Bildung des Aeußern der letzte Zweck der Erziehung zu seyn scheint, und wo auf bel esprits, von allen Weibern die schädlichsten; weil durch sie Kenntnisse im Weibe lächerlich gemacht werden, da doch Kenntnisse das Weib, so wie den Mann, vervollkommen.
In der Zweyten Erziehungsklasse wird das Weib zur Hausfrau gebildet: da findet man gute Wirthschafterinnen; aber wie wenig für den, der den ganzen Umfang der Pflichten des Weibes kennt! O, wie wenige Weiber giebt es, welche wahrhaft aufgeklärt über ihre Pflichten und Bestimmung mit ausgebildetem Geiste und edlem Herzen auf der Bahn, auf welcher sie wandeln, alles das Gute und Nützliche stiften, welches innerhalb ihres Wirkungskreises liegt! Und o, meine Mitbürgerinnen, warum sollten Sie nicht Alle von dem Stolze beseelt seyn, sich über die Schranken zu erheben, welche Alltagsmeynungen Ihrem Geschlechte setzen? Warum sollten Sie das
Die Nachsicht, mit der man ein Werk aufgenommen hat, welches der erste Versuch einer jugendlichen Feder war, macht es mir zur Pflicht, die Gründe darzuthun, welche mich bewogen haben, Elisa, in jedem Moment ihres Lebens, gerade so, und nicht anders, darzustellen. Ein Ideal kann nur einmahl seyn, sagt man, und dieses ist wahr; allein ich wollte nur zeigen, wie in einzelnen Fällen, das Weib wohl am besten handeln würde. Freylich hat jede individuelle Lage ihre eigenen Verpflichtungen;
Man hat es Unrecht gefunden, daß die sterbende Elisa Zweifel gegen die Unsterblichkeit der Seele hegte. Es war meine Absicht, daß reine Moral die Bewegungsgründe zu Elisa's Handlungen ausmachte, und keine Grundsätze der positiven Religion, welche nur zu oft schwankend werden. Dann aber mußte Elisa über positive Religion ganz aufgeklärt seyn, oder sie war nicht das Weib, wie ich sie schildere. Und sie, welche ihr ganzes Leben hindurch, Hoheit des Geistes und Festigkeit zeigte, hätte nicht sagen können, daß sie sich schon die Zerstörung ihres Wesens gedacht hätte? Mit der Erkenntniß, daß wir von einer Fortdauer nach dem Tode nichts wissen können, ist schon der Gedanke von der Zerstörung unsers Wesens verbunden, und viele Menschen müssen ihn schon gedacht haben. Ich wollte zeigen, daß die Ruhe im Tode wohl hauptsächlich aus der Ueberzeugung entspringt, auf der Erde unsere Pflichten erfüllt zu haben; weiter hinaus ist
Ich übergebe also meinen Mitbürgerinnen Elisa noch einmahl in derselben Gestalt. Selbst
Dieses war mein Zweck, als ich dieses Buch meinen Mitbürgerinnen weihete. Mögen Andere diesen Zweck durch kräftigere Mittel erreichen, mögen edle Männer es sich zur Pflicht machen, durch ihr Verhalten die Weiber zur Tugend zu erziehen, jedes edle Weib wird ihnen danken! Und die Verfasserinn der Elisa wird gern ihr Buch der Vergessenheit übergeben, wenn sie hoffen darf, daß das System, welches Elisa befolgte, in den Herzen unserer meisten Weiber eingeprägt ist.
Um diesem musterhaften Buche, welches bereits in tausend Händen ist, den möglichsten Grad von Vollkommenheit zu geben, schrieb ich nach Erscheinung der vortreflichen Rezension über Elisa (in der A. L. Zeitung 1797 S. 381) an die verehrungswürdige Verfasserinn, sandte ihr dieses Blatt und bat, wo möglich die Wünsche und Winke des Rezensenten zu erfüllen, und zu benutzen, da ich im Begriffe sey, eine N. Auflage zu machen; zugleich forderte ich sie abermals auf, mir zu erlauben, doch itzt ihrem Buche ihren Namen vordrucken zu dürfen, weil ein großer Theil ihrer Leser und Leserinnen wünschten, die Verfasserinn der Elisa wenigstens dem Namen nach zu kennen. Ueber alles dieses erhalte ich folgenden Brief, der als Neue Vorrede der Verfasserinn gelten mag.
Elisa unterzöge. Es ist ein Zug in meinem Charakter, daß ich mich ungern, und nicht mit glücklichem Erfolge, mit einem schon beendigten Werke noch einmal beschäftige, es fehlt mir hierzu an gehöriger Anstrengung, und es kostet mir viele Mühe, einen Faden wieder anzuknüpfen, den ich seit vielen Jahren fallen ließ.
Als ich Elisa schrieb, gehörte es in meinen Plan, sie sterben zu lassen. Ich wollte die Ruhe schildern, welche das tugendhafte Weib bis ins Grab begleitet. Ich legte ihr meine Ueberzeugungen in den Mund, wie ich es in dem ganzen Buche gethan hatte, ohne zu wähnen, daß man hieran den mindesten Anstoß nehmen könnte; denn die sterbende Elisa sagt ja nicht: Ich glaube an keine Unsterblichkeit der Seele, sie sagt nur: Die Zukunft sey wie sie wolle, ich sterbe ruhig, weil ich mit dem Bewußtseyn sterbe, meine Pflichten erfüllt zu haben. Ich finde dieses Gefühl in dem tugendhaften Sterbenden
Alle diese hier von der Verfasserinn selbst aufgestellten Gründe – die Nothwendigkeit der baldigen Erscheinung dieser dritten Auflage, da ich kein einziges Exemplar mehr hatte, und die Nachricht, daß in Mannheim ein elender Nachdruck existire, bestimmten mich, auf alle Umänderung Verzicht zu thun. Mit hin tritt Elisa blos verschönerter, und völlig von allen kleinen Fehlern frei, zum Drittenmale auf, und in dieser Gestalt ist sie auch zum Behuf für Lernende der französischen Sprache, in dieser Sprache übersetzt worden. – Heil und Segen der würdigen Verfasserinn; denn ihre Lehren und ihre aufgestellten Beyspiele der Tugend müssen hundertfältige Früchte bringen.
So sprach auf seinem Sterbebette der Baron von Hohnau zu Elisa, seiner dreyzehnjährigen Tochter, und starb bald darauf. Seine Worte prägten sich tief in ihr Herz; sie fiel nieder bey der Leiche ihres Vaters, küßte seine erstarrte Hand, und sprach: Vater, ich will stets Deine Tochter seyn! Lange blieb sie sprachlos bey dem entseelten Leichnam liegen; ihre junge Seele faßte ganz den Schmerz der Trennung. Elisa trauerte lange um den Verlust ihres Vaters, aber im Frühlinge des Lebens ist der Schmerz nicht dauernd, er sollte es am Abende auch nicht seyn. – Elisa hörte auf zu weinen, aber sie vergaß nicht die Lehren ihres Vaters; sein Bild umschwebte sie, und seinen Schatten zu verehren, bildete sie ihre Seele zu jedem Guten. In einer der größten Städte Deutschlands hatte der Baron von Hohnau mit seiner Familie gelebt. Sie bestand aus seiner Frau und zwey Töchtern, von welchen Elisa die älteste war; ihre Mutter verließ die Stadt nach dem Tode ihres Mannes, und begab sich auf das Land.
Die Baroninn von Hohnau verband mit einem guten Herzen und einem richtigen Verstande vieleCaroline, ihre jüngere Schwester, vor, welche fast ganz das Ebenbild ihrer Mutter, nur böser, als jene, war.
Elisa besaß eine Freundin, ihr Name war Henriette von Wanberg; sie war einige Jahre älter als Elisa, eine Waise und dürftig. Die Baroninn von Hohnau erlaubte, daß sie die Gesellschafterinn ihrer Töchter wurde, und bot ihr ihr Haus zu ihrem Aufenthalte an.
An der Seite ihrer theuren Henriette verlebte Elisa die ersten Jahre ihres angehenden Frühlings. Sie ordnete ihre allzu feurige Einbildungskraft, durch welche die junge Elisa hätte irre geleitet werden können. Am Grabe ihres Vaters wiederhohlte ihr Henriette oft seine Lehren, und gerührt erwiederte ihr einst Elisa: Ja, unvergeßlich sind mir seine letzten Worte, unvergeßlich ist mir seine Tugend, seine Größe der Seele! Ach, Henriette! ich versprach es seinem Schatten, ihm ähnlich zu werden, sage, hielt ich mein Versprechen?
Henr. Liebe Elisa, es zu wollen, ist schon Tugend.
Elisa. Nein, nein, weg mit jener Gemeintugend, weg mit jenen guten Vorsätzen, welche unausgeführt bleiben! Sieh, Henriette, den reinen heitern Himmel, er soll immer das Bild meiner Seele seyn, ewig rein und unbefleckt!
Henr. Wohl Dir dann, meine Freundin, wenn dieses stets so ist. – O, daß Kummer immer so entfernt von Dir seyn mag, als es das Laster gewiß seyn wird!
Elisa. Warum diese Betrachtung, Henriette? Ich kann erwarten, daß ich den Kummer nicht kennen werde. Ich kenne nur ein Glück, Liebe und Tugend können es gewähren. Mit einem edeln Manne verbunden zu seyn, ist das einzige Gut, nach welchem ich strebe; es wird mir zu Theil werden, und an seiner Seite werde ich jedes Ungemach ertragen.
Henr. Warum nur unter dieser Bedingung, Elisa? Wer hat Dir Dein Loos gesagt? Keine Schwärmerey! Sie wird Dich elend machen. Den Mann nach Deinem Herzen findest Du nicht. Sanfte, gefühlvolle, erhabene Seele, Du lebtest nur in der Einsamkeit, Du weißt nicht, wie in der Welt Leidenschaften und entgegengesetztes Interesse mit einander kämpfen, wie bald die Tugend unterliegt, wie besonders jene Delikatesse, jene
Elisa. Dieses waren seine Worte; glaube nicht, daß ich sie vergessen werde. Ach, Henriette! führe, leite mich. Ich kann es mir oft nicht vorstellen, daß die Menschen nicht eben so dächten, eben so empfänden, als ich. Alles Große und Schöne erregt ja ein so erhabenes Gefühl in uns, gefällt, so bald wir es erkennen, und erzeugt das Verlangen, es zu erreichen.
Henr. Wohl wahr, meine Freundinn, wenn alle Menschen so wie Du und ich Zeit hätten, auf ihre inneren Gefühle zu merken. Wenn sie nicht vom Strome der Leidenschaften und von tausend Begebenheiten hingerissen würden, welche es ihnen. unmöglich machen, richtig zu urtheilen; und wenn endlich, noch ehe sie denken konnten, nicht schon ihr Geschmack eine falsche Richtung bekommen hätte, wo sie nicht mehr fähig sind, weder das Schöne zu erkennen, noch Gefühl dafür zu haben.
Elisa.
Henr. Nein, ein so trauriges Bild wollte ich nicht in Dir erregen. Fliehen sollst Du die Menschen nicht, nur keine überspannten Begriffe von ihrer Tugend haben. Jede gute Seele wird Dich verstehen (und deren giebt es noch viele), wenn Du nicht Vollkommenheit von ihnen heischest. Nein, die Tugend selbst hörte auf, es zu seyn, wenn sie nicht mit Menschen leben könnte; und welche gefühlvolle Seele wünschte nicht lieber von Menschen hintergangen zu werden, als nur in sich verschlossen zu leben?
Elisa. Ich fühle die Wahrheit Deiner Worte, auch erwarte ich nicht, mich in jedem Menschen zu finden; aber es giebt doch deren gewiß, welche eben so denken, eben so empfinden, als ich.
Henr. Weit entfernt sey es von mir, die menschliche Natur so zu erniedrigen, um das Daseyn schöner Seelen zu bezweifeln. Ja, sie sind noch, die, welche das Gute nur um seiner selbst willen lieben, die uneigennützig edel handeln, die Wohlwollen und Liebe für jedes Wesen empfinden.
Aber, ob Du sie antreffen wirst, Elisa? Ob sie sich nicht in der Menge verlieren werden, und Du
Elisa. Mein Herz! – Es wird sie finden!
Henr. Liebenswürdige Schwärmerinn! oft wirst Du glauben, sie gefunden zu haben, und wirst dann trauern, wenn Du Dich hintergangen hast!
Elisa. (Sie umarmend.) Henriette, so wirst Du mir doch bleiben! aber warum zerstörst Du immer die süßen Bilder meiner Einbildungskraft?
Henr. Weil es Bilder sind, und Du sie als Wirklichkeit betrachtest. Elisa, ich schwärme vielleicht auch, aber meine Einbildungskraft zeigt mir Dich, als das Ideal weiblicher Vollkommenheit, und ich will, daß Du es erreichen sollst.
Elisa. Ich, Vollkommenheit erreichen, so weit sie ein Weib erreichen kann? O, Henriette, dieser Gedanke erhöht mein ganzes Selbst!
Henr. Und er schmeichelt meinem Stolze, wenn ich denke, daß auch ich daran arbeite. Doch, ich täusche mich. Wenn Elisa die Vollkommenste ihres Geschlechts wird, so ist sie es durch ihren Vater, durch sich selbst geworden.
Elisa. Vollkommenheit! hoher, erhabener Begriff, den wir kaum fassen können, dir werde ich mich nicht nähern! aber gut will ich werden, und hierzu, meine Henriette, bedarf ich Deiner Hülfe!
Henr. Ja, Elisa, nie werde ich schweigen, wenn Du fehlst, nie Dir die Wahrheit verhüllen.
Elisa. Liebes Mädchen! Sey versichert, von heute an bilde ich mir keine Menschen mehr, Du zeigst mir, daß ich Unrecht hätte, wenn ich mehr suchte, als ich schon gefunden habe. –
Elisa und Henriette umarmten sich, wie nur reine Seelen sich umarmen können, welche der Tugend Bund beschwören. Stummes Entzücken, und Ergießung des Herzens, war in dem Kusse der Freundschaft. Eine sahe in der Andern die liebevolle, erhabene Seele, und beyde liebten sich um so mehr. So verflossen noch einige Jahre, in welchen Elisa, immer noch von ihrer feurigen Einbildungskraft geleitet, das Ideal des Schönen und Großen nicht mehr in Andern suchte, sondern in sich zu erreichen sich bestrebte. Sie gewöhnte sich, Dinge und Menschen zu betrachten, wie sie wirklich waren. Den schönen Traum von Tugend; Freyheit, Gleichheit unter allen Menschen, träumte sie zwar auch, sahe auch ein, daß es möglich werden könnte, und daß, wenn die Menschen besser wären, sie auch glücklicher seyn würden; allein dieses wurde zu ihrer Zeit so viel gesagt und geschrieben, ohne daß die, welche es am häufigsten sagten, bey sich selbst diese große Verbesserung anfingen. Elisa sagte es nicht, aber sie wollte es sich durch sich selbst beweisen.
Elisa. (Henrietten, welche ihr entgegen kommt, freudig umarmend.) O, wie wohl ist mir, Henriette, daß ich wieder bey Dir bin!
Henr. Habe ich diese Freude Deiner Liebe zu mir, oder der Langenweile, die Du empfandest, zu verdanken?
Elisa. Beydem, liebes Mädchen! doch ich gestehe es Dir, in diesem Augenblicke mehr noch der letztern. (Sie gähnt.) O, es ist unerträglich langweilig, mit Leuten umzugehen, welche aufgehört haben, die Sprache der Natur zu sprechen; die alle vor Verlangen brennen, ein wenig Witz und einige seichte Kenntnisse zu zeigen, und aus allzu großer Gelehrsamkeit oft Ungereimtheiten sagen.
Henr. Du sprichst so? Du, die Du in den Unterhaltungen des Geistes Dein größtes Vergnügen findest, und mit Entzücken die Schriften großer Männer liefest?
Elisa. Ja, Henriette; ich verehre wahre Gelehrsamkeit, aber ich verachte eben so sehr jeden Schein derselben, den nur unwissende Pedanten annehmen, um sich verächtlicher zu machen. – Großes Wesen! wenn es der edelste Vorzug des Menschen
Henr. Liebe Elisa, bist Du nicht allzu strenge gegen diese armen Würmer der Gelehrsamkeit, welchen, sich hinaufzuschwingen, Flügel fehlen?
Elisa. Nein, Henriette, ich verlange nur, daß man seine Ohnmacht fühle, daß man einen Blick in sich selbst thue. Wüßten alle schöne Geister und philosophirende Damen, wie thöricht sie durch das Bestreben werden, mit der Oberfläche von Kenntnissen zu glänzen, welche nur ihre Unwissenheit beweist, sie würden ihrer Eitelkeit bald eine andre Richtung geben, und aufhören, Kenntnissen und Gelehrsamkeit den Anstrich des Lächerlichen zu geben.
Henr. Aber, meine liebe Moralistin, Sie schelten auf philosophirende Damen, und philosophiren doch selbst so gern.
Elisa. Henriette! ich bin doch keine Pedantinn. Unglücklich wäre das Weib, wenn es zur Unwissenheit
Henr. Ich höre Dich mit Vergnügen, meine Freundinn! Nein, die Mode-Thorheit unsers Zeitalters wird für Dich nicht ansteckend seyn! Du hast ins Innere geblickt, und den Schein von der Wirklichkeit
Elisa. Ich fühle es auch, Henriette, wie leicht selbst ein kluges Frauenzimmer durch ihn verführt werden kann; und die Männer, welche das pedantische, das gelehrte Weib tadeln, sind doch selbst die Ursache des gelehrten Paroxismusses, der jetzt unter unserm Geschlechte so herrschend ist. Warum geben sie uns Beyfall, indem sie uns verdammen? Durch Lob und Eitelkeit verblendet, sehen wir nur den Beyfall, und hören nicht den Tadel, und nun verdoppelt sich das Bestreben, größern Beyfall zu erhalten. Ich bedaure immer das Frauenzimmer, welche stets bereit ist, ihre höhern Kenntnisse zu zeigen, und um sich eine Schaar Bewunderer zu sehen glaubt; gern möchte ich ihr zurufen: Ein Heer der Spötter versammelst du um dich! Suche Bewunderung durch Tugend, nicht durch Gelehrsamkeit zu erlangen!
Henr. Billigest Du auch nicht, wenn ein wirklich kluges und bescheidenes Frauenzimmer die Gesellschaft gelehrter Männer sucht, nicht um zu glänzen, sondern um zu hören?
Elisa. Dieses ist der Strand, an dem die Bescheidenheit scheitert, und Eitelkeit und das Verlangen zu glänzen, sich ihrer Seele bemächtigen. Ich verlange nicht, daß ein Frauenzimmer sich das Vergnügen einer klugen Unterhaltung untersagen soll; sie soll den klugen Mann nicht meiden, sie kann
Henr. O, meine Elisa! daß doch unsere Schwestern, welche aus Verblendung irren, Deinen Zuruf gehört hätten! Sie halten jene gelehrten Clubs für ganz unschädlich.
Elisa. Sie glauben vielmehr, Veredlung des Geistes da zu finden. Es wird da so viel über Tugend, über unsere Gefühle und Leidenschaften moralisirt. Die großen Worte: Philosophie, Religion, Naturalismus, Toleranz und Menschenliebe, werden so oft wiederholt, daß man das, was man hört, zu seyn glaubt. Schöne, erhabene Gedanken, welche in einer Versammlung gelehrter Männer gewiß oft statt finden, werden zwar mit Begeisterung angehört, aber das Verlangen, selbst Bewunderung zu erregen, erlaubt dem Verstande nicht, sie richtig zu fassen, sie sich verständlich zu machen, und sie bleiben ohne Nutzen. Ja, ich behaupte, daß selbst Männer diese Clubs ohne Nutzen besuchen; denn ein jeder kömmt nur hin, sich selbst und nicht Andere zu hören. Hier, wo nur Stolz und Selbstbewunderung die Versammlung beschäftiget, werden sich die Begriffe nicht erweitern. Im freundschaftlichen Gespräche, im Zirkel einiger denkenden Köpfe, welche ohne Prahlerey versammlet sind, nicht Gelehrsamkeit zum Zwecke haben, ist es, wo durch Mittheilung der Gedanken, Beobachtungen über Gegenstände unserer Aufmerksamkeit würdig, neue Begriffe in unserer Seele entstehen, sich erweitern, sich mit jenen verbinden, und unser Geist aufgeklärter wird. Und dieses Vergnügen ist auch für die Wenigen unsers Geschlechts, welche durch höhere Begriffe, bessere Handlungen, sich über die gewöhnlichen Weiber erheben. Ja, meine Schwestern!
Henr. Laß Dich umarmen, meine Elisa! O, ihr Weiber; lernt, wie sie, denken! dann werdet Philosophinnen, Gelehrte, ihr werdet unter jedem Namen verehrungswürdig seyn. –
So war Elisa, als Herrmann von Birkenstein seine Mutter besuchte, welche ohnweit Hohnauschloß, (Rittersitz der Baronin von Hohnau) auf einem einsamen Landgütchen lebte. Die Baronin von Hohnau kannte die Frau von Birkenstein nicht; sie war arm, ihre Familie hatte ihren alten Glanz verloren, und Frau von Hohnau würdigte sie nicht eines Besuchs. Aber Elisa und Henriette waren ihr oft (da beyde Güter an einander grenzten) auf ihren einsamen Spaziergängen begegnet, hatten in ihr Edelmuth, sanfte Gefälligkeit und wahre Güte wahrgenommen, und eilten zuweilen, wenn Caroline sie nicht begleitete, nach Birkenstein, wo nicht der finstre Ernst einer alten Matrone, sondern die mütterliche Zärtlichkeit einer erfahrnern Freundinn sie aufnahm. Bey einem dieser Besuche war es, wo Herrmann und Elisa sich zuerst sahen; sie war mit ihrer Freundinn, ihrer Gewohnheit nach, nach Birkenstein gegangen;
Elisa. Und Eure Dankbarkeit und Eure Liebe? Nicht so?
Die Mädchen. O gewiß! gewiß!
Elisa. Nun, gute Mädchen, das ist ein köstliches Geschenk, und sie wird gewiß sich dessen freuen. Aber, wollt Ihr uns wohl mitnehmen?
Die Mädchen. Herzlich gern! Sie lieben ja auch unsere gute Mutter.
Elisa. Komm, Henriette, laß uns ihr auch Blumenkränze bringen!
Schnell riß Elisa den Hut vom Kopfe, bekränzte ihr Haar mit Blumen, gürtete ihr Kleid auf, und erhielt von den gutherzigen Landmädchen den schönsten Blumenkranz. Henriette folgte ihrem Beyspiele, und nun führten Beyde den Zug an. Schon in der Ferne erblickte Elisa Frau von Birkenstein, welche vor ihrem Hause unter dem Schatten einer Linde saß. Elisa verdoppelt ihre Schritte; ihr warmes Gefühl
Alles drängte sich nun um Frau von Birkenstein, ein Jeder wollte ihre Hand, ihren Rock ergreifen; man legte die Blumen zu ihren Füßen, man küßte den Saum ihres Kleides. Mit freudigem Wohlwollen blickte sie auf die guten Geschöpfe. Ich danke Euch, meine Lieben, sprach sie mit sanftem Tone, ich werde mich bemühen, Eure Liebe zu verdienen. O, gnädigste Frau, beste Gebieterinn! rufen Alle wie aus Einem Munde, wie können wir Ihnen vergelten.... Genug, genug, fällt Frau von Birkenstein ein, wir wollen uns immer gegenseitig lieben, gegenseitig dienen. – Elisa hing noch immer an ihren Blicken, und bemerkte nicht Herrmann, der neben seiner Mutter stand. Aber seine Blicke waren unverändert auf sie geheftet; er sahe nicht die freudige Menge, welche um seine Mutter sich versammelte, nicht die mit Blumen geschmückten Mädchen; (Sie wendet sich zu Henrietten.) Wer mag der junge Mann dort seyn?
Henr. Ich habe ihn schon lange bemerkt; seine Bescheidenheit, glaube ich, erlaubt ihm nicht, sich näher mit uns bekannt zu machen.
Elisa. Ich sahe noch nie so interessante Züge, als die seinigen.
Henr. (Lächelnd.) Auch noch nie würdigtest Du einen Mann so vieler Aufmerksamkeit.
Hier wurden sie von Frau von Birkenstein unterbrochen,
Herrmann und Elisa begrüßten sich mit Verwirrung. Kommen Sie aus B...? fragte sie ihn endlich mit bewegter Stimme. Ja, mein Fräulein, war seine ganze Antwort, und nun hatte die Unterredung ein Ende. Ich weiß nicht, Herrmann, hub Frau von Birkenstein an, wie du mit einemmale geworden bist? Du warest noch vor wenigen Augenblicken so heiter, aufgelegt, und nun bist Du still, kopfhängerisch.
Herrm. Liebe Mutter, Ueberraschung, Freude über diesen Tag, der Sie werden ließ, um mich durch die beste Mutter zu beglücken. O, hätte ich nicht empfinden sollen, da hier alles empfand, nicht zehnfach diese Empfindungen der Liebe und Dankbarkeit hegen sollen? – Mit Inbrunst drückte er hier seiner Mutter Hand an seine Lippen; ein Lächeln mütterlicher Zärtlichkeit war ihre Antwort. Tief wurde Elisa durch diese Scene kindlicher und mütterlicher Liebe gerührt; denn ach! sie kannte das Glück nicht, von einer Mutter mit Zärtlichkeit geliebt zu werden; sie dachte an ihren Vater, und eine helle Thräne glänzte in ihrem schönen Auge. Aber Henriette sahe, daß Elisa's Gegenwart die Wärme erzeugte, mit welcher Herrmann sprach; sie sahe ihre
Herrm. Nur wenn ich schwach empfinde, drücke ich meine Empfindungen durch Worte aus, und dieses ist heute nicht der Fall.
Henr. Gut, nun wir davon unterrichtet sind, sehen wir Ihr Stillschweigen als das größte Compliment an.
Herrm. Ihnen kann man nie ein Compliment machen.
Henr. O, Herr von Birkenstein, man merkt es, daß Sie aus B... kommen; aber wir Landmädchen können Ihnen hierauf nicht antworten.
Fr. v. B. Im Gegentheil, liebe Henriette, scheint mein Sohn heute sogar unter uns Landleuten verlegen.
Herrm. Liebe Mutter, häufen Sie doch nicht so viele Beschuldigungen gegen mich! Wie werde ich mich gegen Sie Alle vertheidigen können?
Elisa. Um Verzeihung, Herr von Birkenstein, Sie haben es nur mit zweyen zu thun; ich nahm keinen Antheil an der Beschuldigung meiner Freundinn.
Herrm. (Ihre Hand an seine Lippen drückend.) Ihr huldreicher, sanfter Blick läßt mich hoffen, in Ihnen eine Beschützerinn zu finden.
Elisa. Sie rechtfertigen in diesem Augenblicke, was Ihnen meine Freundinn zuvor sagte.
Herrm. O, gewiß nicht, gewiß nicht! Meine Mutter kann es Ihnen sagen, schon als Knabe entfernte ich mich nie von der Wahrheit.
Fr. v. B. Auch glaube ich mit Dir, Herrmann, daß Elisa und Henriette nur die Wahrheit hören können, wenn ihnen Lob ertheilt wird.
Henr. Frau von Birkenstein, Sie treten zu seiner Parthey über; Elisa erklärt, daß von ihrer Seite kein Anariff geschehen ist; ich sehe mich also allein auf dem Kampfplatze, und wohl oder übel, muß ich nun wohl Friede machen.
Die scherzhafte Wendung, welche das Gespräch nahm, stimmte Herrmanns und Elisa's Empfindungen zu dem vertraulichen Tone der Freundschaft um. Gleich edel, gleich gefühlvoll für das Schöne, empfanden sie, daß sie sich verstanden, und verbannt war zwischen ihnen jenes steife Ceremoniel, welches
Frau von Birkenstein schlug vor, die jungen Mädchen hier unter der großen Linde tanzen zu lassen. Elisa, Henriette und Herrmann freueten sich dieses Einfalls, riefen den jungen Mädchen und Burschen, und tanzten selbst im Reihentanze mit. O, sagte Elisa zu Herrmann, nachdem sie sich wieder gesetzt hatten, wie angenehm ist das Bild der Freude, und wo wird es treuer dargestellt, als auf ländlichen Festen!?
Herrm. Wohl wahr! die Erinnerung an dieselben rührt mich oft, wenn ich in B... die Säle der Langeweile besuchen muß, zu denen man, als den Schauplätzen des Vergnügens hineilt.
Elisa. Das lebhafte Gefühl für die Natur ist gewiß das seligste, das beglückendste! Ich freue mich, wenn ich es antreffe; denn der Mensch, in dem es wohnt, ist gut, wie die Natur.
Herrm. Sie beweisen dieses! Ja, nur mit einer schönen, erhabenen Seele konnte man so, wie Sie, mit den Bäuerinnen tanzen.
Elisa. Schmeicheln Sie mir nicht, Herr von Birkenstein, aus Ihrem Munde könnte mir das Lob gefährlich werden; denn ich würde geneigt seyn, es zu glauben.
Elisa erröthete, nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte; sie schätzte Birkenstein, und nicht gewohnt,
Elisa. (Nach einer Pause.) Wo ist denn Ihre Mutter und Henriette?
Herrm. Mich dünkt, sie gingen dort jenen bedeckten Gang.
Elisa. Lassen Sie uns zu ihnen gehen.
Nun gingen Beyde, schweigend, zu Henrietten und Frau von Birkenstein. Liebe Elisa, sprach Henriette, weißt Du wohl, daß es schon acht Uhr ist? und eine Stunde gehen wir von hier bis Hohnauschloß.
Elisa. Schon so spät? Aber in Birkenstein beflügelt Freude die Zeit.
Herrm. (Lebhaft.) Nicht in Birkenstein, sondern da, wo Sie sind! sie ist mit den Grazien, ihren Schwestern, immer in Ihrem Gefolge.
Verwirrt schlug Elisa die Augen nieder: mit Entzücken heftete Herrmann seine Blicke auf sie; lose lächelte Henriette, und Frau von Birkenstein betrachtete
Elisa lächelte, und Beyde nahmen nun Abschied von der Frau von Birkenstein. Herrmann bat, daß sie ihm erlauben möchten, sie zu begleiten, und Elisa und Henriette, Beyde so gewissenhaft in der Beobachtung äußerer Anständigkeit, hielten doch dieses nicht für unschicklich, sondern Elisa reichte ihm ihre Hand. Man sprach wenig auf dem Wege; Henriette bemühete sich vergebens, die Unterhaltung lebhaft und allgemein zu machen; es gelang ihr nicht. Vor Hohnauschloß trennten sich die beyden Freundinnen von Herrmann. Er blieb stehen, bis daß er sie aus dem Gesichte verloren hatte, und ging dann nachdenkend nach Birkenstein zurück. Was wird Deine Mutter sagen, sprach Henriette, nachdem Herrmann sie verlassen hatte, daß wir so spät zu Hause kommen?
Elisa. Ich weiß nicht, ich fürchte ihren Anblick.
Ihr Herz schlug ihr, als sie in die Thüre trat; man sagte ihnen, daß Frau von Hohnau mit ihrer Tochter schon im Speisesaale wären; zitternd eilten sie hinein. Der Blick der Frau von Hohnau war finster. Warum, sprach sie, kommt ihr so spät zurück?
Elisa.
Caroline. (Welche die Uhr an ihrer Seite erblickt, spöttisch.) Warum hattest Du denn die Uhr mitgenommen, Schwester?
Elisa. (Verwirrt.) Ich? die Uhr? Ich hatte nicht weiter daran gedacht.
Fr. v. Hohn. Warum bist Du denn so verlegen? Ich will wissen, wo Du gewesen bist?
Carol. (Immer spöttisch.) Hätte sich etwa ein junger Nachbar eingefunden, der sie auf ihren Spaziergängen überrascht, und ihnen die Zeit verkürzt hätte?
Röthe überzog Elisa's Wangen, allein ihre Stimme wurde fester; Carolinens unedles Betragen gab Elisa'n die Würde der Tugend, und frey antwortete sie ihrer Mutter: Wir sind in Birkenstein gewesen.
Fr. v. Hohn. Ich werde Euch bitten, nicht mehr ohne mich Besuche abzustatten.
Elisa bat ihre Mutter um Verzeihung, daß sie, ohne es zu wollen, sie beleidigt habe, und Frau von Hohnau antwortete ihr kalt, es wäre schon gut. Caroline lächelte spöttisch, Elisa klagte nicht, zurück in ihrem Zimmer unterhielt sie sich nur mit Henrietten, von Birkenstein und Herrmann. Henriette benachrichtigte sie, daß Herrmann schon seit einem Jahre in B... beym Kammergerichte angestellt wäre, und Hoffnung habe, bald eine Stelle zu bekommen.
Elisa. Ich werde mich dessen freuen. Der junge Mann verdient gewiß glücklich zu seyn. Er hat eine solche offene Physiognomie, seine Züge sind so sanft, sein ganzes Wesen zeigt Güte und Menschlichkeit.
Henr. Dein Urtheil ist sehr schnell, liebe Elisa, Du sahest ihn nur einmal.
Elisa. O, hätte ich ihn nur einen Augenblick gesehen, er wäre hinreichend gewesen, mich zu überzeugen!
Henr. Das sagtest Du nicht im Ernste. Ich will Dir zugestehen, daß Herrmanns Ansehen für ihn spricht; aber Du bist zu klug, um deswegen von seiner innern Güte überzeugt zu seyn.
Elisa. Ach, Henriette! wenn unser Herz ein günstiges Urtheil fällt, ist es dem Verstande nicht erlaubt, dessen Ausspruch anzunehmen?
Henr. Wenn Du jetzt bey dieser Frage nicht interessirt wärest, wie würdest Du sie beantworten?
Elisa. (Nach einer Pause.) Ich erkenne es, Henriette, Du hast Recht! Erst will ich Herrmann beobachten, und allein meine Erkenntniß soll das Urtheil fällen. –
Auch Herrmanns Herz urtheilte günstig von Elisa, und ihre Gestalt schwebte ihm im Traume vor. Er eilte gleich am andern Morgen unter die Linde, wo er sie am vorigen Tage zuerst gesehen hatte, und seine Mutter fand ihn im tiefen Nachdenken versunken.
Herrm. Mutter, ich liebte noch nie; ich glaube auch nicht, daß ich jetzt schon liebe, aber ein Mädchen, wie Elisa, sahe ich noch nie.
Fr. v. B. Sey vorsichtig, Herrmann! Nie kann Elisa die Deine werden! –
Herrmann und Elisa begegneten einander nach einigen Tagen; er war entschlossen, sein Herz vor der Liebe zu bewahren, und Elisa wollte ihn beobachten. Kalt und mit Zurückhaltung redeten sie einander an; dieser Zwang war Beyden lästig, der feurige Jüngling konnte ihn nicht länger ertragen. Elisa, rief er aus, fehlt Ihnen etwas? Habe ich Sie beleidiget?
Elisa, (Mit sanfter Stimme.) Nein, lieber Birkenstein, aber Sie selbst sind ja verändert.
Herrm. (feurig.) Ich, verändert? gegen Sie? Ha! ...
Henr. (Einfallend.) O, des brausenden Menschen! Sagen Sie mir nur, warum Sie in so heftige Bewegung gerathen?
Herrm. Ach, verzeihen Sie, Elisa! Ich bin seit einigen Tagen so unruhig. Kommen Sie, lassen Sie uns auf jene Anhöhe gehen; mich dünkt, man athmet freyer, wenn man die Erde unter seinen Füßen sieht, und sich den Wolken nähert.
Elisa. (Nachdem sie einige Zeit in stummer Betrachtung da gestanden hatte.) Wie schön ist es hier! Ihr, die ihr unzufrieden mit dem Schicksale seyd, kommt hierher! Seht, wie schön die Erde ist! Seht jenen Wald, der auch für euch seine Schatten ausbreitet! Sauget der Blumen Balsamdüfte, die auch für euch da stehen! Sehet im Werke des Allmächtigen die Spur der Menschenhände, welche auch eure Brüder sind!
Herrm. (Feyerlich.) Allgütige Natur, Mutter aller Freuden, laß uns dieses Augenblicks nie vergessen! Sollten wir je des Schicksals Härte empfinden, so erinnere uns, daß in deinem Schooße uns der Freuden Fülle noch bleibt!
Alle waren bewegt; langsam richtete Elisa ihre Augen auf Herrmann. O, wie schön schien er ihr in diesem Augenblicke! Würde und Sanftmuth war in seinen Blicken vereiniget, Größe lag in seinen Zügen. Sie reichte ihm ihre Hand. Wohl! wohl! sprach sie, wollen wir des Augenblicks immer gedenken, um selbst bey Widerwärtigkeiten noch glücklich zu seyn!
Eine Thräne entschlüpfte bey diesen Worten ihrem Auge. Herrmann schlang seinen Arm um ihren Leib. Elisa kann nie unglücklich seyn, rief er; und nun riß er sich von ihr los, und eilte hinweg. Staunend
Elisa. Zum wenigsten einen großen Theil derselben; sein Betragen war sehr sonderbar.
Henr. (Lächelnd.) War sehr natürlich.
Elisa. Du scherzest jetzt immer, Henriette, und nie war ich weniger zu scherzen aufgelegt, als jetzt.
Henr. Sage auch, nie war ich so ungerecht, zu verlangen, daß Anderer Launen sich nach den meinigen richten sollten, als jetzt.
Elisa. Verzeihe, liebe Henriette! und tausend Dank Dir, daß Du mir meine Fehler sagest. – Ohne Dich würde ich ein albernes Mädchen werden.
Henr. Das nicht, liebe Elisa! ich verbessere nur hin und wieder kleine Flecken, um den Glanz noch zu erhöhen.
Elisa. Mein Herz sagt mir in diesem Augenblicke, daß ich Dein Lob dießmal nicht verdiene. Aber komm, laß uns zu Hause gehen, es wird kalt! –
Elisa wurde nun nachdenkender; sie lächelte seltner; oft saß sie in Gedanken verloren, und Herrmann
Henr. Er glaubt vielleicht, daß deine Mutter ihn nicht gut aufnehmen würde.
Elisa. O, dann kennt er sich – dann weiß er nicht, wie einnehmend er ist: (Henriette lächelt. Elisa erröthend nach einer Pause.) Ich gestehe, ich bin feurig in seinem Lobe; wenn ich ihn sehe, schwindet der Vorsatz, ihn zu beobachten; mich dünkt, ich beleidige die Menschheit und die Natur, wenn ich bey seinem Anblicke noch zweifle, daß er Einer der Besten unter den Sterblichen ist. Sein Ausruf, seine Anrede auf dem Berge an die Natur, wie ungekünstelt! wie feyerlich! Henriette, ich hätte mögen Tage da stehen, und ihn betrachten!
Henr. So ist es denn wieder ein Ideal von Schönheit und Vollkommenheit, welches Dich zu Herrmann hinreißt?
Elisa. Kein Ideal, welches in meiner Einbildungskraft entsprang. Seine Zärtlichkeit für seine Mutter, seine Ehrfurcht für die Tugend, sein lebhaftes Gefühl für die Natur, dieses alles ist Wirklichkeit; und wehe den kalten Seelen, welche diesen Eigenschaften nicht Achtung zollen! –
Noch an eben dem Tage ließ sich Herrmann bey der Baroninn von Hohnau melden. Elisa's Wange
Herrm. (Nachdem er sich gesetzt hatte, zur Baroninn von Hohnau.) Gnädige Frau, die Bitte eines Unglücklichen führt mich zu Ihnen, ein Bauer aus Birkenstein ...
Baroninn v. H.
(Einfallend.) Ich hoffe nicht, Herr von Birkenstein, daß Sie sich dieses Diebes annehmen wollen?
Herrm. (Sanft.) Er ist ja ein Mensch, und ist unglücklich, sollte ich ihm denn nicht beystehen, wenn er meiner Hülfe bedarf?
B. v. H. Sie aber nicht verdient.
Herrm. (Mit Wärme.) Wann hört der Beystand auf, den der Mensch dem Andern leisten soll, wer wagt das zu bestimmen? – Doch erlauben Sie mir, gnädige Frau, Ihnen sein Verbrechen und die Veranlassung dazu zu erzählen, und Sie werden sehen, daß hier Gerechtigkeit Härte seyn würde. Vor zwey Jahren starb der Vater des jungen Harberg; auf seinem Sterbebette sagte er seinem Sohne, daß er seit vielen Jahren einem andern Bauer zwanzig Thaler schuldig wäre; er habe aber die Schuld abgeschworen; doch nun erwache sein Gewissen, und er könne nicht ruhig sterben, wenn er ihm nicht verspräche, die Schuld zu bezahlen. Harberg hinterließ zwar seinem
B. v. H. Ich werde an den Richter schreiben; allein in der Folge wird selbst Ihre Fürbitte den Dieben nichts helfen; das Laster muß bestraft werden.
Herrm. Ist Armuth, worein Edelmuth stürzte, Laster? O, gnädige Frau! der gerechteste Richter ist die Stimme der Menschlichkeit!
B. v. H. Mit diesen schönen Phrasen, wenn sie in Tribunälen gälten, würde der Staat sehr schlecht verwaltet werden.
Herrm. O, daß doch so wenig Menschen sich überzeugen können, daß Güte und Menschlichkeit mehr Tugenden bewirken, als Strenge! Was hilft es, daß wir es in allen Schriften lesen, so lange wir noch Härte in den Herzen der Menschen finden! Nein, gnädige Frau, wenn erst Billigkeit, Untersuchung der Thatsache, und Nachsicht mehr, als ungerechte Gesetze, gelten werden, dann erst kann man hoffen, die Menschen besser und glücklicher zu sehen!
Elisa. (Leise zu Henrietten.) Edler Mann! Höre ihn, Henriette, welche reine Menschenliebe aus ihm spricht!
Die Unterhaltung nahm nun eine andre Wendung; die Baronin von Hohnau hatte sich durch seine Worte beleidiget gefunden; er bemerkte es, und es that ihm wehe. Er wollte nicht ihrem Stolze schmeicheln, aber er konnte Elisa's Mutter nicht auf sich zürnen sehen. Gnädige Frau, sagte er endlich mit einer Freymüthigkeit, welche in Elisa's Augen ihn noch erhabener machte, ich sprach zuvor mit Eifer, die Sache der Menschheit flößt ihn mir immer ein; meine Worte aber waren nicht an Sie gerichtet; denn mußte ich nicht voraussetzen, daß das sanfte weibliche Herz jede Aeußerung der Güte und Liebe billigte?
Die Baroninn von Hohnau ward beschämt durch Herrmanns Betragen. Wir verstanden einander nicht recht, anwortete sie; wie könnte ich in Ihnen Menschenliebe tadeln? Nur muß sie recht geleitet werden.
Bald darauf brach Herrmann seinen Besuch ab; er hat um die Erlaubniß, ihn wiederholen zu dürfen, und erhielt sie.
B. v. H.
(Nachdem er hinaus war.) Ein artiger junger Mann!
Carol. Nur etwas zu frey.
Elisa. (Mit sanftem Tone.) Du tadelst beständig Schwester!
Carol. (Spöttisch.) Und Dir gefällt man sehr leicht.
Elisa. (Erröthend.) Ich sagte ja nicht, daß mir Herr von Birkenstein gefiele.
Carol.
Glücklicherweise bemerkte die Baroninn von Hohnau diese Unterredung nicht; Elisa war so schüchtern, daß sie den ganzen Abend nicht mehr sprach, und dieses gab Carolinen immer mehr Stoff zu ihren Spöttereyen; die sanfte, geduldige Elisa ertrug sie gelassen. Sie sagte oft: es ist eine der ersten unter den geselligen Tugenden, Anderer Schwachheiten ertragen, und das sicherste Mittel, sie für sich unschädlich zu machen.
Herrmann kam nun oft nach Hohnauschloß; er und Elisa kannten keine höhere Wonne, als sich zu sehen. Das gefühlvolle Mädchen glaubte, Achtung und Freundschaft wären ihre Empfindungen für den liebenswürdigen Jüngling, und er, ach! er fühlte wohl, daß Elisa ihm Alles war; aber er wagte es nicht, sich selbst seine Empfindungen zu gestehen. – So waren vierzehn Tage seit seinem ersten Besuche in Hohnauschloß verflossen, als an einem Morgen plötzlich ein junger Bauer in Elisa's Zimmer trat. Es war Harberg. Gott grüß Sie, schönes Fräulein! Verzeihen Sie, daß ich gerade in die Stube komme: war seine Anrede.
Elisa. Das hat nichts zu sagen, mein Freund, entdecke Er mir nur sein Verlangen.
Harb. Ich wollte Sie bitten, daß Sie möchten Gevatter bey meinem Mädchen stehen. Ich bin so arm gewesen, daß ich bis jetzt nicht habe können taufen(Er zieht einen Brief aus der Tasche.) Hier ist ein Brief von der gnädigen Frau, sie bittet auch für mich.
Harb. (Nachdem Elisa gelesen hatte.) Verzeihen Sie, daß ich so frey bin, Sie so geradezu zu bitten; aber als ich Sie auf unserer gnädigen Frau Geburtstage sahe, wie Sie so freundlich gegen uns arme Leute, und so voll Liebe gegen unsre gute Mutter waren, ach! da kann ich gar nicht sagen, wie mir war! Ich hätte mögen zu Ihnen rennen, und Ihnen den Rock küssen, wenn es sich so geschickt hätte!
Elisa. Ich danke ihm für seine Liebe. Ich werde kommen, wenn meine Mutter es erlaubt. Aber, ist seine Frau nun wieder besser?
Harb. Ja, Gott und unserm gütigen Herrn sey Dank! O, was ist das für ein Herr! Ich war in seiner Jugend sein Spielkamerad; die gnädige Frau sagte dann immer: Herrmann, sey höflich und gefällig gegen Jürgen, er ist so gut, wie du! Und wenn wir uns stritten, und Herrmann hatte Unrecht, so mußte er mich um Verzeihung bitten, und die gnädige Frau achtete mich dann weit mehr, als ihn, bis daß er sein Unrecht erkannte. Aber ihre Lehren haben auch geholfen; er ist ein Engel geworden.
Elisa. (Schnell einfallend.) O, erzähle Er mir doch etwas von ihm. (Sie holt einen Stuhl.) Setze Er sich, lieber Harberg, Er wird müde seyn?
Harb. O, das ist zu viel! das ist zu viel! Liebes Fräulein, machen Sie doch nicht so viel Umstände mit mir armen Manne!
Elisa. Er erzeigt mir einen Gefallen, wenn Er sich setzt; ich habe es nicht gern, wenn die Leute vor mir stehen.
Harb. (Setzt sich.) So ist unser gnädiger Herr eben! Als er des Abends zu mir kam, wie meine Frau noch krank war, und im Bette lag, und ich nur einen einzigen Schemel hatte, so mußte ich sitzen und er stand. Er sagte: Harberg, Er hat gearbeitet und ich nicht, Er muß nun ruhen! Er kam wohl viermahl des Tages, wie meine Frau so schlecht war, um zu sehen, ob sie die Arzney ordentlich bekam, welche er vom Doktor verschreiben ließ, dem er täglich dafür, daß er aus der Stadt kam, einen Thaler gab, und dann nahm er noch ein Weib an, welche meine Frau und mein Kind warten und pflegen mußte. Ach, und wie ich das Gras gestohlen hatte, was gab er mir da für Lehren! Harberg, sagte er, wie Er durch eine einzige Handlung sich unglücklich gemacht hat! wäre er zu mir gekommen, und hätte mir sein Leid geklagt, ich hätte ihm geholfen, und wäre ich noch nicht hier gewesen, so hätte es meine Mutter gethan; denn ehrlichen Leuten steht man immer bey. Nun kann Er aber ins Gefängniß kommen, und dann bleibt seine ganze Wirthschaft den Sommer über liegen, und Er wird dadurch an den Bettelstab gebracht.
Elisa. (Mit angenommener Gleichgültigkeit.) Wie ist sie denn!
Harb. Unser junger Herr ist doch in Berlin in Diensten, und da ist in demselben Fach noch ein Herr, der ist neidisch auf ihn gewesen, weil er so geschickt ist, und der Minister so viel aus ihm machte; er hat ihn also nicht leiden können, und immer Böses von ihm zum Minister gesprochen. Endlich sollte unser junger Herr eine Stelle erhalten; allein der Andere hat so lange gemacht, bis daß er es verhindert hat. Dieß alles hat nun unser junger Herr wohl gewußt; allein er hat sich nichts merken lassen. Bald drauf wird der Andre krank, und da er immer sehr lustig lebt, so hat er kein Geld, und Verwandten hat er auch nicht in Berlin, da geht es ihm nun sehr schlecht; dieß erfährt unser junger Herr, der
Harberg stand nun auf, er bat Elisa'n noch einmal, zu ihm zu kommen; sie versprach es ihm, und er verließ das Zimmer.
Elisa. (Nachdem Harberg hinaus ist, indem einige Thränen ihre Wangen herabrollten.) Herrmann! edler, guter Jüngling! Ja wohl, möchtest Du unaussprechlich
So blieb sie noch lange sitzen, dachte nur an Herrmann, und rief in ihr Gedächtniß alles zurück, was Harberg ihr gesagt hatte. Sie erhielt von ihrer Mutter die Erlaubniß, nach Birkenstein zu gehen, und nun beschäftigte sie sich, für Harbergs Tochter einen Anzug zu verfertigen. Ihre liebende Seele dachte sich die Freude der Mutter, wenn sie das kleine Geschöpf so geschmückt sehen würde, es war ihr süß, diese selbst zu bereiten. Henriette wollte Elisa'n begleiten, allein sie befand sich am andern Morgen nicht wohl, und Caroline sagte, sie hielte es nicht für eine Ehre, die Gevatterinn eines Bauern zu seyn, also fuhr Elisa allein nach Birkenstein. Herrmann erwartete sie schon vor dem Dorfe, und führte sie zu seiner Mutter. Beyde konnten kaum die Freude verbergen, sich zu sehen. Ihr Schweigen, Herrmanns trunkene Blicke, und Elisa's stärker klopfender Busen, Alles entdeckte ihre Empfindungen, und Frau von Birkenstein las in ihren Herzen. Ach, könnte ich sie doch einmal als Tochter umarmen! sprach sie zu sich selbst.
Sie gingen nun zusammen zu dem ehrlichen Harberg, und die feyerliche Handlung nahm ihren Anfang. Elisa hielt das Kind über die Taufe; sanfter Ernst und Wohlwollen war während dieser Zeit auf
Harb. (zu Herrmann, nachdem die Taufe vollzogen ist.) Gott weiß es, gnädiger Herr, Sie haben mir viel Gutes gethan, und was ich empfinde, kann ich Ihnen nicht sagen! (Er wischt sich einige Thränen von seinen Wangen.) Aber kann ich Ihnen mahl mit meinem Leben dienen, so befehlen Sie! Weib und Kind will ich vergessen, und für Sie sterben! Sie haben sie mir erhalten, und haben mich wieder zum ehrlichen Kerl gemacht!
Herrm. (Gerührt.) Ich freue mich, Harberg, Ihn wieder glücklich zu sehen! Sey Er immer gut, dann wird Er das erste auch seyn.
Harb. Das weiß ich nun schon aus Erfahrung, und wer in Birkenstein mehr als einmal sündiget, der muß ein Schurke seyn!
(Zwey Bauern, die gegenwärtig sind.) Da spricht Er ein wahres Wort! Wo eine gute Herrschaft ist, die einen unterstützt, da sind gewiß nicht viel schlechte Kerl! Das können Sie uns glauben, gnädige Frau, wir ließen Alle unser Leben für Sie; aus Liebe für Sie, möchten wir nichts Böses thun!
(Alle Anwesende.) Nein, gewiß, gewiß nicht!
Gerührt dankte Frau von Birkenstein Allen für diese Aeußerungen der Liebe. Seyd gut! seyd glücklich! sprach sie, dann werde ich es auch seyn!
Elisa.
F. v. B. Ja, liebe Elisa, des Bild des Glücks und der Ordnung gefällt uns immer; gern verweilen wir bey demselben; aber doppelt süß ist es, sich als Schöpfer desselben zu sehen. Die Freude erscheint uns dann noch in einem hellern Gewande, und die Tugend noch größer. Man schreyet über das Verderben der Menschheit, und wie leicht kann man den Menschen das Gute liebenswürdig und annehmlich machen, wenn man jede seiner Pflichten erfüllt. Dieses ist mein einziges Verdienst. Einfach, von der Natur selbst eingegeben, sind die Mittel, welche ich anwende, das Gute zu befördern, und Freude zu verbreiten. Ich liebe die Einwohner von Birkenstein, und unterstütze sie; denn ihre Bedürfnisse sind so klein, daß, ob ich gleich nicht reich bin, ich sie doch befriedigen kann. Dieses gewann mir ihre Liebe, und ihr Bestreben, mir zu gefallen. Ueberzeugt, daß sie stets auf meinen Beystand rechnen können, wenden sie keine unrechtmäßigen Mittel an, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Sie thun das Gute, weil es zu ihrem Nutzen gereicht, und lieben einander, weil kein Eigennutz sie trennt. So leicht kann man den großen Haufen zum Guten gewöhnen, wenn man Mangel von
Harberg und sein Weib zogen nun Herrmanns und Elisa's Aufmerksamkeit auf sich. Er hielt sie lange umarmt, und rief endlich; Hanne, wie glücklich bin ich, daß ich dich wieder habe! – Sie weinte, blickte auf ihn, und auf das Mädchen, welches in ihrem Schooße lag, und drückte sie wechselsweise an ihren Busen. Es ist für dein Kind, sprach sie, daß ich so viel ausgestanden habe; meine Liebe hat mir alles überstehen helfen. Gott gebe uns nur seinen Segen, daß unser Mädchen fromm und groß werde! Bey diesen Worten reichte sie ihm seine Tochter; er nahm sie in seine Arme, drückte Mutter und Kind an sein Herz, und vergoß Thränen der Freude. Auch Herrmanns und Elisa's Augen füllten sich mit Thränen, leise Seufzer drängten sich aus ihrer Brust. Sie fühlten Beyde die Allgewalt der Liebe und der Natur, und Beyder Herzen sprachen leise: In Herrmanns, in Elisa's Armen, würde auch ich so glücklich seyn! – Mit diesen Empfindungen verließen sie diese Wohnung
Herrm. Bin ich schuldig?
Elisa.
Herrm. (Sie feurig umarmend.) Nein, meine Elisa, das sind wir nicht! Wir gehorchen der Stimme unsers Schöpfers, der aus Liebe uns schuf, durch Liebe uns werden ließ, und durch sie uns beglücken wird!
Elisa. (Ihren Kopf an seine Schulter lehnend.) O, Herrmann! –
Herrm. Meine Elisa, wie glücklich machen Sie mich! Ich wagte nicht, es zu glauben – Liebe! Liebe! wie groß sind deine Freuden!
Elisa. (Gen Himmel blickend.) Dank dir, mein Schöpfer, daß du mich ihn finden ließest, diesen Mann, der allein dieses selige Entzücken mich fühlen lassen konnte! (Sie reichte ihm ihre Hand.) Herrmann, Ihre Liebe macht mich stolz, macht mich glücklich!
Herrm. (Kniet vor Elisa'n, und hält lange ihre Hand an seine Lippen.) Himmlisches Mädchen! ich vermag es nicht, meine Gefühle auszudrücken!
Bey diesen Worten sank er in ihre Arme, und Beyde schwiegen nun. Die Sprache des Gefühls ist zu mächtig, zu trunken das Wonnegefühl der Liebe, um durch Worte sie auszudrücken. Ihre Blicke nur sagten sich ihr Glück.
Elisa. (Nach einer langen Pause.) Herrmann, die Sonne ist untergegangen, wir müssen zurückgehen.
Herrm. O, daß ich eine Ewigkeit hier sitzen könnte!
Elisa. Lassen Sie uns hoffen, nie getrennt zu werden! Ach, ich könnte den Gedanken, ohne Sie zu leben, nicht ertragen!
Herrm. Und ich ihn nicht fassen! Ohne Sie kann mir kein Glück mehr werden!
Elisa. Wir wollen ihn nicht denken, mein Herrmann; das Schicksal ließ uns einander finden, unsere Liebe wird uns auf ewig vereinigen!
Herrm. Süßes, liebevolles Geschöpf! Dank dir, gütiger Vater, du ließest mich einen Engel finden!
Ein holdlächelnder Blick, ein Kuß, den sie erröthend auf seine Lippen drückte, war Elisa's Antwort. Schnell eilte sie nun fort; doch Herrmann erreichte sie bald wieder. Im tiefen Schweigen war schon die Natur versenkt; allein ihre Liebe belebte Alles, oder vielmehr hörten sie auf, andere Gegenstände zu bemerken. In der ganzen Natur sahe Herrmann nur Elisa, und Elisa nur Herrmann. Zum Erstenmale erblickte sie ohne Entzücken den gestirnten Himmel, den aufgehenden Mond; zum Erstenmale hörte Herrmann nicht die Schallmeye des fröhlichen Hirten, welche in der Ferne erschallte, und welche er sonst mit Vergnügen belauschte. Im stummen Entzücken gingen sie fort, nur Seufzer der Liebe weheten die Lüfte ihnen nach. Frau von Birkenstein erwartete sie am (Elisa nähert sich ihr verwirrt.) Sind Sie schon fertig, liebe Mutter?
Fr. v. B. Es freuet mich, daß Herrmann Sie so gut unterhalten hat, daß Sie den Verlauf zweyer Stunden nicht bemerkt haben.
Elisa. (Immer verwirrter, sieht erröthend nach der Uhr.) In der That, es ist schon spät. Wir sind weit gegangen....
Herrm. Mutter, unsere Unterhaltung war die, welche Jahre zu Minuten macht!
(Elisa verbirgt ihr Gesicht am Busen der Frau von Birkenstein, welche sie umarmt.)
Fr. v. B. Erröthen Sie nicht, meine Freundinn! Herrmann ist Ihrer Liebe würdig; und Liebe in solchem Herzen, als das Ihrige, ist Engelgefühl!
Herrm. (Kniet nieder, vor Elisa und seiner Mutter.) Meine Elisa! Hier, vor meiner Mutter, gelobe ich Ihnen Liebe und Treue, und bekenne, daß Sie mir das Heiligste auf der Erde sind!
Elisa
(Ihn aufhebend.) Und hier eröffne ich Ihnen ganz mein Herz. Unaussprechlich, Herrmann, liebe ich Sie; nur unbedingte Pflicht kann mich je von Ihnen reißen, und nie wird ein Mann, so wie Sie, meine Liebe besitzen!
Fr. v. B.
(Beyde umarmend.) O, meine Kinder! möchte doch Eure Liebe Euer Glück und meine Freude im Alter machen!
Henr. Heute sagt mir es Dein Mund; aber Deine Blicke sagten es mir schon lange.
Elisa. Meine Blicke? Nein, Henriette, noch fühlte ich nicht wie jetzt! Hätte ich Liebe fühlen können, wenn ich entfernt von Herrmann war? Hätten meine Blicke beredt seyn können, ehe seine Küsse mir Leben und Feuer einhauchten?
Henr. Elisa, auch auf Dich wirkt der Zauber der Liebe so heftig?
Elisa. O! Henriette, Du kennst nicht seine Macht! – Als ich an deiner Seite saß, Herrmann, als deine feurigen Blicke, deine stammelnden Lippen mich das seligste Gefühl kennen lehrten; als vor mir alle Gegenstände schwanden, ich nur dich sahe, nur dein und meines Herzens Klopfen hörte; als der erste Feuerkuß meine Lippen berührte, dein erstes Geständniß das Blut in meinen Adern stärker wallen ließ: da hätte ich die Frage für unmöglich gehalten?
Henr. Schwärmerinn!
Elisa. Immerhin, Henriette, will ich umherschwärmen in dem Gebiete der Liebe; ich habe die Tugend und Herrmann zu meinen Gefährten. O, daß Du heute nicht mit uns warest, Henriette! Nicht sahest unsere Liebe, nicht fühltest unser Glück!
Henr. Elisa, Deine allzufeurige Einbildungskraft ließ mich immer die Liebe für Dich fürchten.
Elisa. Fürchten? Warum denn fürchten? Sonst dachte ich nicht oft an die Liebe; ich begehrte nicht, sie zu kennen; doch ich glaubte nicht, daß man sie zu fürchten brauche. Aber, nun ich sie an deiner Seite, in deinen Augen, durch deinen Händedruck, Herrmann, kennen lernte; nun ihre Entzückungen meinen Busen heben, und ich durch sie dich, edelsten Mann, beglücken kann: nun dünkt mich Furcht vor ihr, so wie Furcht vor der Sonne, die Alles belebt, wie Furcht vor dem Urquell aller Wesen, der Allen Daseyn gab!
Henr. Daß sie Dir immer diese Wonne gewähren möge!
Elisa. Sie wird es! Das Andenken ihrer vergangenen Freuden wird in trüben Tagen mich aufrichten! Werde ich meinem Herrmann entrissen, so wird banger Kummer mein Loos! Aber die Erinnerung unsrer Liebe wird mich durch das Leben begleiten, und mir noch in den letzten Augenblicken süß seyn!
Henr. (Lächelnd.) Wer würde in dieser Heftigkeit die sanfte Elisa erkennen? Nein, liebes Mädchen, die Liebe muß Dich nicht umschaffen! Sollte sie Dich allein unvollkommener machen?
Elisa. Nein, Henriette, das soll sie nicht! Mein Herrmann ist so edel, so gut; er würde mich nicht mehr lieben, wenn ich aufhörte, es zu seyn!
Henr. Du würdest also endlich die Tugend nur um Herrmann lieben?
Elisa. Das nicht, Henriette! Ja, ich fühle es, ich würde ihr selbst meine Liebe aufopfern! aber – doch warum diese Frage? – Sprich, Henriette, versäume ich meine Pflichten seit dem Tage? – Ach, ich liebte ihn schon damahls, als meine Augen ihn zuerst erblickten!
Henr. Elisa, Du bist unruhig! Laß uns von andern Gegenständen reden.
Elisa. Ich kann nicht, Henriette. Herrmann schwebt vor meinen Augen, sein Bild ist in meinem
Henr. Elisa, ich hörte Dich so oft sagen: Nie müsse man sich irgend einer Leidenschaft mit Heftigkeit überlassen.
Elisa. Wahr, Henriette! ich fühle noch die Richtigkeit dieses Satzes; allein Herrmann, und eine Vereinigung mit ihm, erfüllt so ganz jeden Begriff, den ich von Glückseligkeit hatte, welchem ich zwar nicht nachhieng, weil ich ihn nie erfüllt zu sehen glaubte; aber nun ich ihn kenne, den Mann – Ach, Henriette! nun kann ich der Liebe nicht widerstehen!
Henr. Liebe Elisa, mein Wunsch war stets, Dich glücklich zu sehen. Wirst Du es durch die Liebe, so werde ich den Tag segnen, an welchem die Natur und Dein Herrmann sie Dich zuerst kennen lehrten.
Elisa. (Henrietten umarmend.) O, Freundschaft! Auch du hast deine Freuden! Stärker, als je, Henriette, schlägt mein Herz heute für Dich.
Henriette erwiederte den freundschaftlichen Kuß; lange hielten sie sich umarmt. Möchte uns doch das Schicksal nie trennen! riefen Beyde aus: O Herrmann! o Henriette! sprach Elisa, an Eurer Seite meine Tage verleben! – Gott! das wäre mehr, als eine Sterbliche erwarten könnte! das kann nicht geschehen!
Aber auch Herrmann empfand wechselsweise Entzücken, Hoffnung, Zweifel und Furcht; er eilte am andern Tage nach Hohnauschloß. Wie schlug nun Elisa's Herz, als er sich ihr näherte! Wie zitterte nun seine Hand, als er die ihrige berührte! – Leise sprach er zu Henrietten: Henriette, wissen Sie mein Glück?
Henr. Ja wohl sind Sie glücklich, Birkenstein; denn Elisa's Herz schlägt nur für Sie!
Herrm. O, daß ich ihr gleich zu ihren Füßen danken, vor der ganzen Welt bekennen könnte: Elisa, ich liebe Dich!
Henr. Nicht so heftig, lieber Birkenstein, noch müssen Sie sich nicht verrathen.
Er entfernte sich von ihr, und augenblicklich kam Elisa und fragte: Was sagte er Dir?
Henr. Er sprach, wovon die Geliebten gewöhnlich sprechen, von seiner Liebe.
Elisa. O, nein, er spricht nicht wie Andere, laß mich jedes Wort hören!
Henr. Man bemerkt uns, Elisa, Du mußt vorsichtig seyn.
Elisa. O, des unerträglichen Zwanges! Wie kann man seine Empfindungen verbergen? –
Frau von Birkenstein, welche nichts unterlassen wollte, Herrmanns und Elisa's Glück zu befördern, hatte ihrem Sohne aufgetragen, die Baroninn von Hohnau um Erlaubniß zu bitten, ihr ihre Aufwartung machen zu dürfen. Die Baroninn konnte dieses nicht abschlagen, und nach einigen Tagen stattete die Frau von Birkenstein einen Besuch in Hohnauschloß ab, welchen die Baroninn von Hohnau erwiederte; und nun erhielten Elisa und Henriette die Erlaubniß, zuweilen nach Birkenstein zu gehen. Fast täglich sahen sich nun Herrmann und Elisa; ihre Liebe wuchs mit jedem Tage; ihre Besorgnisse schwanden; sie tranken nun aus dem Kelch der Liebe und der Freude. –
An einem Nachmittage ging Elisa allein in einen kleinen Birkenwald, welcher zwischen Hohnauschloß und Birkenstein lag. Ihr begegnete Herrmann; sich einander sehen, und einander in die Arme fliegen, war immer das Werk eines Augenblicks. Herrmann war einige Tage abwesend gewesen, also noch feuriger war heute ihr Kuß. O, mein Herrmann, fieng endlich Elisa an, wie sehr habe ich Ihre Abwesenheit empfunden! Wie öde schien mir der Wald, da ich wußte, Sie athmeten nicht in seiner Nähe!
Herrm. Auch mir bot die Natur vergebens
Elisa. Anmuthiger lächeln nun wieder die Gefilde. – O Natur! alle deine Werke ließ der Hauch der Liebe werden!
Herrm. (Nach einer Pause.) Kannst Du es fühlen, Elisa, das Entzücken, welches meine Brust belebt; kannst Du sie begreifen, die unnennbaren Empfindungen, welche durch meine Nerven beben, wenn ich Dich höre die Liebe preisen, und mir dann sage: Ich schuf dieses Gefühl in ihr; ich belebe das Feuer ihrer Augen; ich röthe ihre Wange; ich laß ihn stärker sich heben, diesen klopfenden Busen? – Kannst Du es, Elisa? O! dann ist dein Gefühl das Gefühl eines Gottes, der Welten voller Wonne um sich schafft!
Elisa. Bist denn nicht auch Du der Schöpfer meines Glücks?
Herrm. (Sie an seine Brust drückend.) Gott! diese Worte aus Deinem Munde! – Welchem Fühllosen würden sie nicht Gefühl einhauchen!
Elisa. Wie heftig, Herrmann! Kommen Sie, lassen Sie uns unter den Schatten jener lieblichen Birken setzen, und erzählen Sie mir da von Ihrer Reise.
Herrm. Von meiner Reise? O! ich will Ihnen Alles sagen, was ich sahe und hörte. Unter jeder Linoe sahe ich meine Elisa; die Winde weheten mir
Herrm. (Bleibt liegen zu ihren Füßen.) Elisa, verzeihe! Ach! wer kann der Allgewalt der Schönheit widerstehen!
Elisa. (Ihn umarmend.) O, mein Herrmann! Dank sey der gütigen Vorsicht, daß ich Kraft hatte, mich Deinen Armen zu entreißen! Jetzt weine ich
Herrm. Edle Seele! Nur an Deiner Seite kann mir der Wollust Reiz gefährlich werden; aber auch Du kannst ihn mich besiegen lehren!
Elisa. O Tugend! Diese Gewalt verdank' ich dir! Nie werde du von mir entweihet! Lassen Sie uns nicht öfter der Gefahr trotzen, Herrmann. Ach, im Arme der Liebe ist die Tugend so wankend! – Nie wollen wir uns mehr allein sehen.
Herrmann schwieg, sein Herz murrte; aber er verehrte Elisa'n, und jeder ihrer Aussprüche war ihm heilig. Er sahe in ihren Blicken die heitre Zufriedenheit, welche jede edle That gewährt, und sie schien ihm schöner, als da zum Erstenmale ihre Lippen ihm Liebe stammelten. Nur der Wollüstling wird trauren, daß das Mädchen nicht in seinen Armen Unschuld und Tugend zurückließ, nicht der Mann von Gefühl. Auch die besten Menschen können straucheln; auch ihnen zeichnet die Leidenschaft ihre Zauberbilder vor, und so verblendet, reißt sie sie mit sich fort; aber bald läßt Gefühl für das wahre Schöne sie ihren Irrthum erkennen; sie kehren zurück, und freuen sich ihres Sieges. So freuete sich auch Herrmann, als er seine Elisa noch in der vollen Blüthe der Unschuld, und mit dem süßen Bewußtseyn, die heftigste Leidenschaft besiegt zu haben, vor sich erblickte. Die Stärke des Gefühls ließ ihn ausrufen: Nein, Elisa, selbst
Elisa. (Mit thränendem, gen Himmel gerichtetem Blick.) Wohl mir, Tugend, du bist kein Traum! Du lebest in der Brust des edelsten Mannes! Und dieser Mann ist mein! liebt mich – werde mein Loos nun, welches es wolle! Ich habe des Glücks Größtes gekannt!
Herrm. O, Elisa! Warum kann ich nicht alle Mädchen der Erde um Dich versammeln, Dich ihnen zeigen, und ihnen sagen: Werdet wie Elisa, und Welten werden euch verehren!
Elisa. Enthusiastischer Schwärmer! – Auch dem Weisesten hält die Liebe ihr Vergrößerungsglas vor.
Herrm. Nicht dem, der Dich liebt, Elisa! Deine Strahlen blenden nicht; nur nach und nach erblickt man den Glanz, der Dich umgiebt.
Elisa. (Legt ihre Hand auf seinen Mund.) Still, Herrmann. Sie wissen, aus Ihrem Mund ist das Lob mir gefährlich! Ich könnte mich erheben, und – lassen Sie mich immer Ihrer würdig bleiben.
Herrm. Welch ein Ausdruck! – Doch Sie sollen nicht allein die Stufen der Vollkommenheit ersteigen; auch ich will hinanklimmen, und durch Ihren Anblick gestärkt, mich bestreben, dem Gipfel mich zu nähern.
Elisa. Dieser Vorsatz veredelt uns, mein Herrmann, und macht uns des Glücks würdiger, welches
Herrm. Elisa, warum mischen Sie diesen bittern Gedanken in den Kelch der Freude?
Elisa. Ach, er drängt sich zuweilen mit aller Gewalt in mein Herz, um es mit Angst zu erfüllen! (Eine Pause.) Doch es ist unweise, sich der Zukunft wegen zu ängstigen; sie liegt ja im Schleyer verborgen, und wir können ihn doch nicht aufheben! – (Sie küßt Herrmann.) Lassen Sie mich von Ihrer Stirne die trüben Wolken wegküssen, welche ich aufsteigen ließ!
Herrm. (Sie mit Wehmuth an seine Brust drückend.) Ach, Mädchen! Du lässest mich fühlen, daß Trennung von Dir mehr als zehnfacher Tod wäre!
Elisa. Nicht weiter davon, mein Herrmann. Noch bin ich Dein, und mein Herz sagt mir, Dein werde ich bleiben.
Herrm. Holdes Geschöpf! Mögest Du wahr reden! –
Sie waren jetzt am Eingange von Hohnauschloß, und mußten sich trennen. Heiter kehrte Elisa zurück; ihr Gefühl war Freude, und edle Selbstzufriedenheit; die süßeste Belohnung, welche Tugend gewährt.
Elisa hielt ihr Versprechen, und sahe Herrmann nicht anders, als in Henriettens Begleitung.
Elisa. Und was empfand ich da! Menschensprache kann dieses nicht ausdrücken!
Es glänzten Thränen der Freude im Auge der Frau von Birkenstein. Ich habe schon viel der Freuden gekannt, sprach sie; aber die größte, gütigste Vorsicht, bereitest du mir noch! Das Glück meines Sohnes, meines Lieblings, kann ich noch sehen! – O, Elisa! wenn Sie werden Mutter seyn, werden Sie diese Empfindung begreifen!
Elisa erröthete, und lebhafter drückte Herrmann ihre Hand.
Fr. v. B. Gefühlvolles Mädchen, viele Freuden warten Ihrer noch! Aber alle werden sie aus der Hand der Tugend gegeben. Wäre Ihre Seele nicht der Abdruck der Tugend und der Unschuld, Ihre
Herrm. Ihnen verdanke ich dieses, meine Mutter!
Elisa. (Eine Thräne im Auge.) Und ich Dir, heiliger Schatten meines unvergeßlichen Vaters! Du leitetest mein Herz zu jedem Guten! Deine letzten Worte waren Lehren der Tugend! Du warest es, der durch sie mir meinen Herrmann gab!
Mit Entzücken drückte sie dann Herrmann an seine Brust, und Frau von Birkenstein freuete sich ihres Glücks.
Die Baroninn von Hohnau kam zurück; mit ihr zwey Herren von Wallenheim, welche sie bey ihrer Schwester gesehen hatte. Sie waren Vettern; der Eine war der einzige Sohn eines reichen Vaters; der Andere der Neffe des alten von Wallenheim, ohne Vermögen, und ganz abhängig von dem Willen seines Onkels. Sie erregten Elisa's Aufmerksamkeit nicht; nur mit Herrmann beschäftiget, bemerkte sie
B. v. H.
(Nach dem ersten Morgengruße.) Wie gefällt Dir Karl von Wallenheim? (Es war der Sohn des noch lebenden Wallenheim.)
Elisa. Er scheint sehr finster, sehr in sich verschlossen zu seyn.
B. v. H. Er soll Dein Gemahl werden.
Elisa. (Stutzt. Nach einer Pause.) Meine Mutter, ich muß den Mann erst kennen, dem ich meine Hand gebe.
B. v. H. Du wirst ihn kennen lernen. Allein Dein Urtheil über ihn sey, welches es wolle, so erwarte ich Gehorsam.
Elisa. Und ich kann hoffen, daß meine Mutter mich nicht wird unglücklich machen wollen.
B. v. H. Kein Romanengeschwätz! Wenn Du Deine Pflichten erfüllst, wirst Du nicht unglücklich werden.
Elisa. Ich würde es, wenn ich Ihrem Willen gehorchen müßte. Denn – theure Mutter, verzeihen Sie mir mein Geständniß: Ich liebe....
B. v. H.
(Spöttisch.) Der Gegenstand Deiner Liebe wird wohl so edel seyn, als es Deine Denkungsart ist.
Elisa. Er ist edel durch sein Herz, durch seine Gesinnungen, aber auch durch seine Geburt. Ich liebe Herrmann von Birkenstein!
B. v. H. Nie hätte ich in eine Verbindung mit ihm gewilliget, wenn ich auch nicht wichtige Ursachen hätte, Dich mit dem Herrn von Wallenheim zu verheyrathen.
Elisa. (Mit Thränen im Auge.) O, meine Mutter! Können Sie so mit kaltem Blute das ganze Glück meines Lebens aufopfern?
B. v. H. Willst Du mir das Meinige rauben? Wisse, Caroline liebt Philipp von Wallenheim mit einer Heftigkeit, welche mich für sie fürchten läßt, und sein Oheim, aufgebracht, daß sein Neffe, und nicht sein Sohn, das reiche Mädchen heyrathen sollte, verbot ihm, Carolinen wieder zu sehen; Caroline wurde krank; ich fuhr selbst zum alten Wallenheim; nichts konnte ihn bewegen, bis daß er endlich hörte, daß ich noch eine Tochter hätte; da versprach er, seine Einwilligung in seines Neffen Verbindung mit Carolinen zu geben, doch unter der Bedingung, daß sein Sohn Dich heyrathen würde. Ich fürchte, meine Caroline zu verlieren, wenn ihr Wunsch nicht erfüllt wird, und Du würdest es seyn, welche meinem Herzen diese Wunde schlüge!
Elisa. Das soll nicht geschehen, meine Mutter! Schreiben Sie Herrn von Wallenheim, ich entsage meinem ganzen Vermögen; sein Sohn soll der
B. v. H. Nie soll Birkenstein mein Sohn werden! Dein Vorschlag kann nicht angenommen werden; Du mußt Wallenheim Deine Hand geben.
Elisa. Meine Mutter, lassen Sie mich an Herrn von Wallenheim schreiben. Vielleicht wird er gerührt durch die Schilderung meines Kummers. Vielleicht schreckt ihn der Gedanke, zwey schuldlose Geschöpfe unglücklich zu machen. –
B. v. H. Elisa, so viel Widersprüche bin ich nicht gewohnt!
Elisa. (Wirft sich zu den Füßen der Baroninn, und ergreift ihre Hände.) O, meine Mutter! ich bestrebte mich immer, meine Pflichten zu erfüllen; jeder Ihrer Winke war mir Befehl, welchen ich nie uberschritt, und mein ganzes Leben soll Gehorsam gegen Sie seyn! – Ich entsage Birkenstein, aber ich kann keinem andern Manne meine Hand geben!
B. v. H.
(Entzieht Elisa'n ihre Hände, und wendet sich von ihr.) Du sollst sie Wallenheim geben! – Caroline liebte nicht; versprach sich nicht wider meinen Willen; ich werde sie Dir nicht aufopfern.
Elisa.
B. v. H. Eine widerstrebende, ungehorsame Tochter!
Elisa. O, meine Mutter! mit der Vernunft gab mir der Schöpfer das Recht, selbst mein Glück zu wählen. Indem ich Ihnen gehorche, widerstehe ich dem ersten Gebote der Natur, welches mich zum Glücke ruft!
B. v. H. Das erste Gebot der Natur ist kindlicher Gehorsam.
Elisa. Ich weiß es! Allein er hört da auf, wo das ganze Glück des Lebens, wo die Tugend selbst auf dem Spiele steht, ohne daß die Urheber unserer Tage Vortheil davon ziehen. Werden Sie glücklicher seyn, wenn Sie mich unter der Last des Kummers gebeugt sehen werden? Wird Ihr Ohr, ermüdet von meinen Seufzern, noch den Tönen der Freude offen seyn?
B. v. H. Und wenn mir dieses alles Caroline auch sagte?
Elisa. That ich Ihnen nicht einen Vorschlag, welcher uns Beyde befriedigen könnte? Nehmen Sie ihn an! Und wenn ihn Wallenheim ausschlägt, kann Philipp nicht den Tod seines Oheims erwarten?
B. v. H. Sein Oheim ist noch nicht alt, und er drohet ihn in ein Kloster zu stecken, wenn er Carolinen
Elisa. Meine Lage rechtfertigt ihn, und fremdes Urtheil ist mir gleichgültig, wenn ich weiß, daß ich recht handle.
B. v. H. Allein, hoffe nicht Birkensteins Weib zu werden!
Elisa. (Mit erstickten Thränen.) Ich habe Ihnen schon gesagt, meine Mutter, ich entsage ihm! – (Nach einer Pause.) Darf ich schreiben?
B. v. H. Du erzwingst meine Einwilligung! Schreibe!
Elisa verließ das Zimmer, wankend ging sie in das ihrige, und sinnlos warf sie sich in einen Sessel. Lange saß sie da; betäubt waren ihre Empfindungen, und trocken ihr Auge. Nur Seufzer drängten sich aus ihrem Busen; ihr Auge war gen Himmel gerichtet, und schien Hülfe von der unbekannten Macht zu erflehen. Ein Ring von Herrmanns Haaren geflochten, und den sie erst am vorigen Tage von ihm erhielt, erweckte endlich ihre Empfindungen. Ihr Blick fiel auf ihn, sie drückte ihn mit Inbrunst an ihre Lippen, und eine Fluth von Thränen rollte von ihren Wangen. Sie weinte lange. Herrmann, rief sie endlich aus, so habe ich dir denn entsagt! So habe ich denn mit einem Worte alle Freuden von
»Mein Herr,
Unbekannt werden Ihnen diese Züge seyn, wie mir bisher Ihr Name war! Ihr Name, den ich nun zitternd ausspreche! – Doch nein, voll des Vertrauens auf die Güte, welche der Schöpfer in jedes menschliche Herz pflanzte, nähere ich mich Ihnen, und wage, Sie, jetzt Gebieter meines Schicksals, um Mitleiden anzuflehen! – Ohne mich zu kennen, glaubten Sie mich würdig, die Gattinn Ihres Sohnes zu werden. – Ich erkenne es in seinem ganzen Umfange, dieses edle Vertrauen, und wäre mein Herz frey gewesen, so würde ich mich bestrebt haben, es zu verdienen. Aber schon lange fesselt mich Uebereinstimmung der Neigungen und der Denkungsart an einen edlen Jüngling. Und wie kann ich nun, mit einem Herzen voll unaussprechlicher Liebe gegen ihn, Ihrem Sohne die Hand geben, mich schuldig, und ihn unglücklich machen? Das kann ein Vater nicht wollen. Er darf nicht die Mutter seiner Kinder unglücklich machen, sonst würden einst Ihre Enkel Ihnen meine Thränen vorwerfen! Aber Sie verlangen, mich als Gattinn Ihres Sohnes, oder das Band zerrissen zu sehen, welches meine Schwester an Ihren Neffen knüpfte! Sie wollen sie trennen, sie, welchen
Elisa von Hohnau.«
Diesen Brief brachte sie ihrer Mutter, und bat sie zugleich, in ihrem Zimmer bleiben zu dürfen, bis daß sie eine Antwort von Herrn von Wallenheim würde erhalten haben. Die Baroninn von Hohnau erlaubte es ihr, verbot ihr aber, an Herrmann zu schreiben, und auch Henriette erhielt Befehl, nicht ohne Carolinen das Haus zu verlassen. Beyde gehorchten; die sanfte Elisa murrte nicht, auch klagte sie nicht länger vergebens; sie bestrebte sich, ihren niedergeschlagenen Geist wieder aufzurichten. Unaufhörlich war sie beschäftiget; sie suchte jedes Gfühl zu betäuben; las ernste philosophische Schriften, um ihre Gedanken von Herrmann und von ihrer Liebe abzuziehen. Oft hatte sie sonst gesagt: Ein jeder Mensch wird physikalisch und moralisch gezwungen, sich dem Gesetze der Nothwendigkeit zu unterwerfen; aber nur der Weise erkennt es, und ergiebt sich ihm ohne Murren und Widerstand; denn er weiß, daß keine
Ihre Mutter hatte ihren Brief dem Herrn von Wallenheim geschickt, und am sechsten Tage nach seiner Absendung, erhielt Elisa eine Antwort. Die Baroninn von Hohnau brachte sie ihr, und Caroline begleitete sie. Elisa war bey ihrer Freundinn; zitternd erbrach sie den Brief; er enthielt folgende Worte:
»Gnädiges Fräulein,
Ich konnte Sie nicht zwingen, die Gattinn meines Sohn's zu werden; aber nie werde ich in die Verbindung meines Neffen mit Ihrer Schwester willigen. Ich beharre stets auf meinem Entschluß, und was ich einmal für gut erkenne, das ändere ich nie. – Die Welt würde mich als den eigennützigsten Mann betrachten, wenn ich Ihr Geld annähme; das kann also nicht geschehen. Und da mein Sohn nicht das Glück gehabt hat, Ihnen zu gefallen, so soll er unverzüglich mit meinem Neffen zurückkommen.
Ihr
ergebener Diener,
Franz von Wallenheim.«
Elisa sank auf einen Stuhl, nachdem sie ihn durchgelesen hatte; sie reichte ihn ihrer Mutter: Er enthält meinen Tod, sprach sie.
Caroline. (Nachdem auch sie den Brief gelesen hat.) Nein, meine Mutter, Philipp soll mich nicht verlassen!
B. v. H. Elisa, Du mußt Dich entschließen....
Elisa. (Wirft sich der Baroninn und Carolinen zu Füßen.) Meine Mutter! Caroline! Ach, Mitleid! Mitleid! Tausendfache Leiden zerreißen meine Brust!
B. v. H. Elisa, Deine Mutter bittet Dich!
Caroline. (Umarmt Elisa'n.) Schwester, Du machst mich unglücklich!
Elisa. Ach, Caroline, hast Du nur Gefühl für Dein eignes Unglück? Könntest Du einem Andern die Hand geben, in dem Augenblicke, da Du Philippen entsagen müßtest?
B. v. H. Dein Zaudern würde nur Deine Verbindung mit Wallenheim aufschieben, aufheben nicht, so lange Caroline lebt. Was würde es Dir helfen, täglich ihre und meine Thränen zu sehen. Du würdest durch sie nicht glücklicher; denn Birkenstein soll nie der Deine werden. – Fluch würde dann mein letzter Gedanke an Dich seyn; Fluch der Tochter, die das Herz ihrer Mutter zerriß!
Elisa. Gott!
Caroline. O, daß jede meiner Thränen höllische Martern in Deine Brust gießen möge!
Elisa. Halt ein, Caroline! Ach, Muttersegen, Mutterfluch, beyde machen mich elend! – Und nirgends ein Ausweg für mich, nirgends mehr Hülfe!
B. v. H. Noch in Deinem Gehorsam, Elisa.
Caroline. Noch in dem Wonnegefühl, wie Du es nennst, Andere glücklich zu machen. Oder hättest Du nur gelernt, schön zu sprechen, und – schlecht zu handeln?
B. v. H. Sprich, Elisa, was ist Dein Entschluß?
Elisa. (Mit schwacher Stimme.) Zu sterben, aber Ihnen zu gehorchen.
Caroline. (Wirft sich Elisa'n um den Hals.) Elisa, Elisa, was soll ich thun?
Elisa. Mir nicht danken. Dein Dank, Deine Freude läßt mich mein Unglück fühlen! (Nach einer Pause.) Nur eine Bitte, meine Mutter, gewähren
Hier sank sie wieder kraftlos in einen Sessel, und verhüllte ihr Gesicht in ein Tuch. Henriette eilte zu ihr, faßte sie in ihre Arme; aber vergebens waren ihre Bemühungen, sie aus der Betäubung zu ziehen. Die Baroninn von Hohnau und Caroline verließen das Zimmer, und die Erstere sagte Henrietten, sie willige in das Verlangen ihrer Tochter. Henriette weinte. Grausame Mutter, sprach sie, um die Leidenschaft deiner einen Tochter zu befriedigen, opferst du die Ruhe der Andern auf? – Ach! mögest du nie dein Verbrechen empfinden!
In Elisa's Seele kehrte nun das Andenken ihrer letzten Worte zurück; sie erhob ihren Kopf, und sahe die weinende Henriette an ihrer Seite. Auch Dich, meine Freundinn, sagte sie, mache ich unglücklich! O, meine Mutter! daß auch diese Thränen Dir mögen vergeben werden!
Henr. (Für sich.) Die edle Seele! wie entfernt ist Zorn von ihr!
Elisa. So werde ich dich auch nicht mehr lieben dürfen, mein Herrmann? Ach, Henriette! Das war mein Trost, als ich ihm entsagte, daß mein Herz ihm doch immer bleiben würde, und nun soll ich sein
Henr. Ich erwarte Stärke von deiner Tugend.
Elisa. (Nach einer Pause, fällt auf ihre Knie.) Ewige, unsichtbare Macht, dein erster Wille lenkte die Begebenheiten aller Zeiten hindurch; auch ich bin mit begriffen in dem Gesetze ewiger Nothwendigkeit; ach, laß mich immer überzeugt seyn, daß es so am besten in der Reihe der Dinge war! (Sie läßt ihren Kopf auf Henriettens Schooß sinken) Henriette! ich wollte ihn aussprechen den Schwur, nicht mehr zu lieben. – Ich kann nicht!
Henr. (Hebt sie auf.) Fasse Dich, meine Freundinn! Du mußt nun Dein Glück allein in der Tugend suchen.
Elisa. Sprich nicht von Glück, Henriette; erflehe nur Ruhe für mich; dem Glücke habe ich entsagt!
Sie schwieg nun; ruhig war ihr Blick und alle ihre Bewegungen. Henriette sagte ihr, daß ihre Mutter ihr ihre Bitte gewähre; ein Seufzer war ihre Antwort. Ach! sprach sie endlich, daß Herrmann mich vergessen möge, daß er nur möge glücklich werden! Eine Thräne zitterte bey diesen Worten in ihrem Auge: aber Elisa unterdrückte jeden Ausbruch des Schmerzes.
Täglich war Herrmann in den Birkenwald gegangen,
Herrm. Gott! was ist das? Elisa, Dein Herz schlägt heute so schwach gegen das meinige?
Elisa. (Entreißt sich seinen Armen, mit angenommener Standhaftigkeit und fester Stimme.) Herrmann, wir sehen uns heute zum letztenmale!
Herrm. (Blickt sie starr an; Elisa hält ihre Hand vor die Augen; er fällt endlich zu ihren Fußen.) Elisa, sprichst Du mein Todesurtheil?
Elisa. Herrmann, erschwere mir meine Pflicht nicht; ich wollte bey Dir Standhaftigkeit suchen.
Herrm.
Elisa. (Mit sanfter, einschmeichelnder Stimme.) Höre mich, mein Herrmann! Mutterbefehl entreißt mich Dir! Ach, ich würde in Deinen Armen nicht mehr glücklich seyn, wenn meiner Mutter Fluch auf mir ruhete!
Herrm. Elisa, warum bist Du so vollkommen, und ich so unglücklich? O, Mädchen! wärest Du in den Tiefen eines Abgrundes gewesen, an dessen Rande tausend Dolchstiche meine Brust zerfleischt hätten; mit dem Tode ringend wäre ich zu Dir geeilt, hätte Dich in meine Arme genommen, wäre gestorben, aber wäre glücklich gewesen! – Ach, Elisa, ich kannte nur Leben und Glück, seit dem Augenblicke, da ich Dich sahe! Nein, ich hatte kein Daseyn zuvor! Und nun stößest Du mich zurück in ewige Finsterniß! – O, welche herrliche Aussicht lag vor mir! Wie ergötzte ich mich oft, wenn ich in die Zukunft blickte! Elisa gab Licht und Leben allen Gegenständen, die ich sahe! – Und nun? – Schauder ergreift mich – meine Tage werden öde seyn – kein Gefühl kenne ich mehr – Nun wird Verzweiflung mir süß und Raserey mein Loos seyn.
Elisa. Halt ein, Herrmann! Du zerreißest mein Herz. – O Mutter! Mutter! Mögen seine Flüche nie über Dich kommen! (Sie sinkt nieder auf
den Rasen.) Wo soll ich Kraft hernehmen, seinen Schmerz zu tragen?
Herrm. (Setzt sich neben sie, und umarmt sie.) Elisa, Weib meines Herzens, Du willst mich verlassen?
Elisa. (Ein Strom von Thranen rollt von ihren Wangen; sie legt ihren Kopf auf seine Schulter; nach einer Pause.) Herrmann, ich bin doppelt unglücklich! Ich muß einem Andern meine Hand geben; Du darfst mich lieben; ich muß Dich vertilgen, aus diesem Herzen, in welchem Du herrschest. – Aber, schwuren wir uns nicht oft, der Tugend treu zu bleiben? Mein Herrmann, gedenke des Tages, an dem Du sagtest, wir wollen zusammen die Leiter der Vollkommenheit ersteigen. – Wollen wir nur auf der untersten Sprosse stehen bleiben?
Herrm. (Seinen Kopf auf seine Hände gestützt.) Gott! ich soll sie verlieren? O! wie werde ich Kraft zum Leben behalten?
Elisa. Blicke um Dich, mein Herrmann, die Natur verläßt keines ihrer Kinder; in ihrem Schooße wirst Du Balsam für Deine Wunden finden.
Herrm. Vergebene Hoffnung! mit Dir schwindet jeder Genuß; alles ist nun todt für mich!
Elisa. Aber ich bin ja noch; meine Ruhe hängt von der Deinigen ab! Herrmann! Herrmann! könnte ich mit diesem Leben Dein Glück erkaufen! – Ach! schone meiner!
Herrm.
Elisa. Ach, Herrmann, wie schwer machest Du mir den Kampf zwischen Liebe und Pflicht!
Herrm. Hat denn die Liebe nicht auch ihre Pflichten?
Elisa. Wäre ich Dein Weib geworden, ich hätte sie alle erfüllt; aber Herrmann, ich bin das versprochene Weib eines Andern.
Herrm. Schreckliches Wort! Der Gedanke »Zernichtung,« ist es weniger als Du!
Elisa. Laß uns nicht mit allem Gefühl des Schmerzes an diesem Augenblicke hängen! – Herrmann, viel werden Deiner Tage noch seyn; wende sie an zum Wohl Deiner Brüder; werde groß und gut; streue Segen um Dich her! – Du bist Mann; weit kann Dein Wirkungskreis werden; viel des Guten, welches Du stiften kannst! Blicke dahin, solltest Du da nicht Trost finden?
Herrm. An Deiner Seite hätte ich mich hinauf schwingen wollen zu jeder edlen That; hätte handeln wollen, wie ein Mann von Ehre und Gefühl! Meine Ruhe hätte ich meinen Pflichten, Vergnügungen meinen Geschäften aufgeopfert. Dein Lächeln hätte mich belohnt. Ach, es wäre der
Elisa. Nicht so, mein Herrmann! Wenn ich Dir nicht mehr zulächeln kann, so bleibt Dir doch die innere Stimme Deines Herzens, die Dir lohnen, zehnfach lohnen wird! Es bleibt Dir das selige Gefühl, Dich des Glücks zu freuen, welches Du schufest!
Herrm. (Mit aufgehabenen Händen.) Ach, jedes ihrer Worte läßt mich die Stärke meines Unglücks fühlen! (Er läßt seinen Kopf auf ihren Schooß sinken.) Elisa, Engel, ich koste Dir Thränen! – Was soll aus mir werden!
Elisa. (Umarmt ihn.) Sey standhaft, mein Herrmann! Verdopple meine Leiden nicht; ich muß unterliegen, wenn ich Deinen Schmerz sehe!
Herrm. Aber, Elisa, wie konntest Du auch so bereit seyn, Deiner Mutter zu gehorchen?
Elisa. Herrmann! Du weißt nicht, wodurch ich dahin gebracht wurde! Meiner Schwester, meiner Mutter Glück fordert es von mir. Wenn ich Wallenheim meine Hand gebe, darf meine Schwester Philippen von Wallenheim, den sie liebt, heyrathen. Dieses ist der Wille des alten Wallenheim, und meine Mutter drohte mir mit ihrem Fluche, wenn ich ihrer Tochter den Geliebten raubte.
Herrm. Grausame Mutter, Dich opfert sie also auf?
Elisa. Schweig, Herrmann! Liebe ist unwillkührlich. Eine ihrer Töchter mußte sie zum Opfer bestimmen; wie natürlich also, daß es die wurde, welche ihrem Herzen am wenigsten theuer ist.
Herrm. Wie bereit Du bist, sie zu entschuldigen! O Elisa! liebtest Du wie ich, Du könntest es nicht!
Elisa. Herrmann, werde nicht unbillig! Du warest sonst so edel! O, wenn ich gegen meine Liebe kämpfen, wenn ich heiße Thränen des Schmerzes weinen werde, daß sie stärker als Vernunft und Tugend in mir ist, dann laß mir den Trost, in meiner Liebe die Entschuldigung zu finden, daß ich den edelsten Mann liebe!
Herrm. Gott! welch ein Weib! O, daß Wallenheim ganz ihren Werth erkennen möge! (Er drückt sie mit Wehmuth an seine Brust, mit erstickten Thränen.) Meine Elisa, werde glücklich, vergiß Deinen Herrmann!
Er steht schnell auf, und lehnt sich an einen Baum; Elisa nähert sich ihm, nimmt seine Hand, und drückt ihre Lippen auf die seinigen. Herrmann, bleibe mein Freund; ich bleibe ewig Deine Freundinn! – Nun entfernte sie sich mit starken Schritten; Herrmann wandte sich um, er sieht sie forteilen, und fast sinnlos sinkt er an den Baum zurück. Elisa! Gott! ruft er aus. Sie sieht sich noch einmal um, und mit schwacher Stimme ruft sie ihm zu: Er gebe Dir
Am Arme ihrer Freundinn ging Elisa zurück. Sie kam vor ihrer Mutter Zimmer vorbey! sie hört Wallenheims Stimme, und schaudert. Gott! sagt sie voller Schrecken, bald bin ich sein Weib! In düstre Schwermuth stürzt sie diese Betrachtung; ihr Schweigen war schrecklich; ihre Blicke drückten Verzweiflung aus.
Henr.
Elisa. Ich Elende! Alles, was mich liebt, mache ich unglücklich!
Henr. O, meine süße Elisa, wer würde nicht gern mit Dir leiden, wenn man von Dir geliebt wird?!
Elisa. (Mit aufgehobenem und thränenvollem Blicke.) Ach, in den bittersten Stunden unsers Lebens giebt es noch süße Augenblicke! Nie fühlte ich so, wie jetzt, die Seligkeit der Freundschaft!
Henr. Nie, meine Elisa, warest Du mir so theuer! O, könnte ich Glück und Leben geben, und Dich glücklich sehen!
Elisa. Dank Dir, Henriette! Du lässest mich empfinden, daß es noch Freuden für mich giebt.
Henr Liebes Mädchen, die Zukunft wird Dir noch mehrere bereiten!
Elisa. Ach, wenn mein Herrmann nur nicht so unglücklich wäre! Wie gerne wollte ich leiden, wie willig Alles tragen, was die Hand des Schicksals mir auferlegte, wenn ich wüßte, daß er frey von Kummer, sorgenlos und heiter wäre, wie am Tage, da ich ihn zuerst sahe. Ich raubte ihm jede Freude des Lebens! Ich verbitterte seine Tage; ich machte ihn namenlos elend! – O, Henriette, als ich ihn verließ, da stand er an einen Baum gelehnt, hatte nicht die Kraft, mich zurückzurufen!
Henr. Ja, sein Schmerz wird groß, wie seine Liebe, seyn; aber, liebe Elisa, er wird ihn bekämpfen, und wird einst, so wie Du, auch wieder Ruhe finden!
Elisa. Wollte der Himmel, mein Andenken erlöschte heute in seinem Herzen! – Ich wollte mich freuen, wenn ich von ihm vergessen würde! Zwar ist mir der Gedanke, von ihm vergessen zu seyn, schmerzhaft; aber mein Herrmann würde ruhig seyn; sein Bild voll Jammer umschwebte mich dann nicht mehr! – Könnte ich ihn nur noch einmal mit dem heitern Lächeln auf den Lippen, mit der edlen Zufriedenheit auf der Stirne sehen, mit welcher er an meiner Seite saß, als am Geburtstage seiner Mutter die Bäuerinnen unter der großen Linde tanzten!
Henr. Warum rufst Du diesen Tag in Dein Gedächtniß zurück? Elisa, Du mußt nun Deine Blicke von der Vergangenheit abwenden!
Elisa. Ach, ich weiß es, daß ich ihn nicht mehr lieben darf! ich will sie auch bekämpfen, diese Leidenschaft. – Aber noch einmal will ich sie zurückrufen, alle Scenen der Wonne, alle seligen Augenblicke, welche ich mit meinem Herrmann durchlebte. – Ihr Andenken soll mich stärken, den dunkeln Pfad zu betreten, der vor mir liegt. Ich will denken: Einst war ich glücklich!
Henr. Wie wenig Kraft wirst Du dann haben, wenn Du diese Liebe zu Herrmann unterhältst!
Elisa.
Henr. Das ist ein Opfer, welches Du der Tugend machest; sie wird Dich nicht unbelohnt lassen!
Elisa. (Nach einer Pause.) Dieses Wort erweckt jede schlummernde Kraft meiner Seele. (Sie reicht Henrietten die Hand.) Dir, Henriette, gelobe ich es, bey dem Andenken meines Herrmanns schwöre ich es, Alles, was Tugend von mir heischt, will ich erfüllen! – O, dann werde ich stark seyn, alle Widerwärtigkeiten des Lebens zu ertragen!
Henr. (Elisa'n umarmend.) Ja, meine Freundinn, dann wird Glück und Zufriedenheit Dich bis zum letzten Hauche Deines Lebens begleiten! O, daß Dein Vater seine Tochter sehen, daß er das edle Geschöpf an seine Brust drücken könnte, in welches er den Keim zu jeder Tugend, und dadurch den Grund dauerhafter Glückseligkeit für sie legte! –
Elisa seufzte noch; aber sie fühlte sich stärker; fest war sie entschlossen, ihren Widerwillen gegen
Lange noch stand Herrmann in der Stellung, in welcher Elisa ihn verlassen hatte; Schmerz war jeder Ausdruck seiner Züge, Verzweiflung das einzige Gefühl, das ihn belebte. So kehrte er zurück nach Birkenstein; aber noch heftiger ward sein Schmerz, als er sich der Linde näherte, unter welcher er seine Elisa zuerst gesehen hatte. Gott! ruft er aus, und wirft sich unter ihren Schatten, hier hub ein Tag des Glücks, und eine Ewigkeit von Qualen für mich an! Frau von Birkenstein, welche alle Abende unter dem wohlthätigen Schatten der Linde verweilte, kam nun auch; hier freuete sie sich immer des verlebten Tages, wenn sie vom Unglücklichen den Kummer verscheucht, und statt dessen sanfte Freude in seinem Herzen verbreitet hatte. Noch heute hatte sie das Glück zweyer Geschöpfe befördert, indem sie ein junges Mädchen der Gewalt einer Stiefmutter entriß, welche Tyranninn gegen sie war, und ihr eine Ausstattung gab, welche sie in den Stand setzte, dem Mann, den sie liebte, ihre Hand zu geben. Noch begleitete sie der Segen des liebenden Paars; da dachte sie an Herrmann, und an seine Liebe, und Thränen der Freude, Thränen des Danks gegen die gütige Vorsicht, die unter den Leiden, welche die Sterblichen sich bereiten, so mannichfaltige Freuden auf sie schüttet, rollten von ihrem Auge. So erblickt sie Herrmann; er
Fr. v. B. Herrmann, was ist Dir?
Herrm. (Steht auf.) Sie hier, meine Mutter?
Fr. v. B. Warum sind Deine Blicke so fürchterlich? Du bist blaß, Du zitterst? O, mein Sohn! welch ein Unglück droht Dir?
Herrm. Das schrecklichste, Mutter, welches den elenden Erdensohn treffen kann! Elisa ist verloren, ewig verloren für mich!
Fr. v. B. Herrmann, sey ein Mann!
Herrm. Ich fühle, daß ich es bin. Denn der Schmerz dringt langsam, aber desto tiefer in meine Nerven, und Verzweiflung rollt wild in meinen Adern!
Fr. v. B. Unglücklicher Herrmann! Deine Liebe zu mir führte Dich hierher, und hier mußtest Du die Quelle Deines Grams finden!
Herrm. O, hätte ich es gewähnt, als ich Elisa'n hier zum Erstenmale erblickte, ich wäre geflohen, ich hätte ihren Zauberblicken mich länger nicht genähert! Aber wer hätte ihr widerstanden? Wer Unglück geahndet in der Gesellschaft eines Engels? – So liebevoll schmiegte sie sich an Ihren Busen, so sanft blickte sie auf mich, so offen, so vertraulich war ihr Gespräch! – O, Augenblicke der Wonne, nie kehret ihr mehr zurück!
Fr. v. B. Aber woher entstand diese plötzliche Veränderung?
Herrm. Von der Grausamkeit ihrer Mutter; sie opfert sie Carolinen auf; sie muß einem reichen Herrn von Wallenheim ihre Hand geben, damit Caroline dessen Vetter heyrathen kann, welches sonst der Vater nicht zugegeben hätte.
Fr. v. B. Das arme Mädchen, wie viel wird ihr Herz leiden!
Herrm. Ach, Mutter, und ich mache sie so unglücklich! Hätte sie mich nicht gesehen, hätte ich ihr meine Liebe nicht entdeckt, nicht Alles angewandt, die ihrige zu gewinnen, so wäre sie jetzt ruhig, so gehorchte sie jetzt willig dem Befehle ihrer Mutter! – Und nun – Ach, wie sie kämpfte, wie sie litt!
Fr. v. B. O, daß ich Eure Liebe so tief Wurzel fassen ließ! Daß ich Dich nicht wegschickte, Herrmann, ehe dieses alles so weit kam!
Herrm. Mutter! machen Sie sich keine Vorwürfe, daß Sie nicht der Zukunft Schleyer enthüllen konnten! Sie wollten mein Glück, von fern ließ das Schicksal es mich erblicken, um es mir zu entreißen!
Fr. v. B. Herrmann, muß Erfahrung Dich erst lehren, daß der unaufhörliche Wechsel der Freude und des Leidens das ewige Loos aller Sterblichen ist? Der gemeine Haufen der Menschen erwartet Trost von der Hand der Zeit, aber der Weise kömmt ihr durch Standhaftigkeit zuvor.
Herrm. Ach! Mutter, Sie verloren nicht alles, was das Leben Ihnen theuer machte!
Fr. v. B. Ich verlor es einst. Aber keine Trennung hebt je unsere Pflichten als Mensch auf, darum müssen wir uns fassen, um fortwirken zu können.
Herrm. Ich fortwirken? Nein, Mutter, der Unglückliche hört auf zu wirken!
Fr. v. B. Mein Sohn, mein Herrmann, verdrängte die Liebe zu Elisa'n jede andere Liebe aus Deinem Herzen? O, es giebt noch ein Wesen, dessen Wohl ganz von dem Deinigen abhängt!
Herrm. Theure Mutter! – Ach, verzeihen Sie dem ersten Ausbruch meines Schmerzes – Ich fühle es, das Glück meines Lebens ist dahin!
Fr. v. B. Aber Deine Ruhe muß es nicht seyn! – Komm mit mir in das Haus, weine an meinem Busen; ich bin nicht unempfindlich gegen Deinen Schmerz.
Herrmann folgte seiner Mutter; aber Ruhe war diese Nacht von seinem Lager verscheucht. Er durchstrich am andern Morgen früh alle Gänge, welche er einst an der Hand seiner Elisa durchging. Ich kann nicht länger in Birkenstein bleiben, rief er endlich aus; hier, wo ich sie nie mehr sehen werde, ist das Leben mir eine unerträgliche Qual! Gefaßt war nun sein Entschluß, das Königreich wollte er verlassen, und weit von seinem Vaterlande Ruhe oder den Tod suchen. Er entdeckte diesen Vorsatz seiner Mutter; sie widersetzte sich ihm nicht; denn sie wußte, daß
»Verehrungswürdige Frau,
Mit welchem Gefühl soll ich heute mich Ihnen nähern, da ich bisher gewohnt war, Sie als Mutter zu betrachten, zu verehren? Welcher Worte soll ich mich bedienen, Ihnen zu sagen, daß das Band zerrissen ist, welches meinem Herzen so theuer war? – O, ich wähnte es nicht, als ich das Letztemal von Birkenstein ging, daß ich es nie wieder betreten würde! Denn – verzeihen Sie mir, meine Mutter, (noch sprechen meine Lippen unwillkührlich diesen Namen aus), ich darf nicht mehr nach Birkenstein kommen; ich darf nicht den Abschiedskuß auf Ihre Lippen drücken; ich würde auf ihnen die Spur von Herrmanns Küssen suchen. – Ach, es war eine Zeit, da umschlossen Ihre Arme uns Beyde! – Sie ist dahin, und das Andenken an sie ist nun Verbrechen für mich. – Oft ermahnten Sie mich zur Tugend; seine
Elisa von Hohnau.«
Frau von Birkenstein benetzte diesen Brief mit ihren Thränen; sie gab ihn Herrmann. Ich noch dein Herrmann? rief er aus, nachdem er ihn durchgelesen hatte. Einziges Mädchen! Das Andenken. Deiner Liebe soll mir Trost seyn. – Ach, Wallenheim ist noch unglücklicher als ich! (Zur Frau von Birkenstein.) Meine Mutter, lassen Sie mir diesen Brief; er ist der letzte Beweis ihrer Liebe. Wenn stiller Kummer an meinem Herzen naget, dann will
»Theure Elisa!
Welch ein Ausdruck soll Ihnen die Empfindungen meines Herzens bekannt machen? – O, meine junge Freundinn, ich fühle Ihren Schmerz, ich sehe Herrmanns Leiden, und weine um den Verlust einer Tochter! – Jede freudige Hoffnung meines Alters ist ver schwunden. – Doch gerne wollte ich die Ruhe meiner übrigen Tage dahingeben, wenn ich sie dadurch in Ihr Herz zurückrufen könnte. Ich klage mich jetzt an, wegen der Nachsicht gegen meinen Sohn, daß ich seine Liebe duldete; aber ich war Mutter, und wünschte sein Glück, und meine Zärtlichkeit sprach lauter, als die Klugheit, welche mir hätte vorhersagen können, daß Elisa von Hohnau nie das Weib meines Sohnes werden würde. Verzeihen Sie mir dieses, Elisa! – Ach, wer kann Sie kennen, und nicht wünschen, Sie Tochter zu nennen! – Mein Herz ist zerrissen, bey dem Gedanken, daß ich Sie nicht mehr sehen soll; und doch erkenne ich, daß dieses nothwendig ist. Ihre Lage würde mich zittern machen, wenn Sie eines der gewöhnlichen Weiber wären! Mit einem Herzen voll Liebe gegen einen Andern einem Manne, den Sie nie kannten, Ihre Hand zu geben! – Wie viel Standhaftigkeit
Kunigunde von Birkenstein.«
Herrmann sagte seiner Mutter, daß er am andern Tage von Birkenstein abreisen, und nur dann zurückkehren wolle, ihr das letzte Lebewohl zu sagen,
Elisa hatte indeß Alles angewandt, um ihren Schmerz zu bekämpfen. Henriette verließ sie nicht; aber Elisa versagte sich den Trost, an ihrem Busen zu weinen; sie sprach den Namen ihres Geliebten nicht mehr aus. Oft suchte sie Zerstreuung an ihrem Clavier; aber sie sang nicht mehr die Arien, welche ihr Herrmann gern hörte. So vergingen ihr vier Tage; am fünften kam ihre Mutter am Morgen zu ihr. Sie schien die Blässe auf Elisa's Wangen nicht zu bemerken, und nach dem Morgengruße sprach sie zu ihr: Elisa, wann wird es Dir endlich gefällig seyn, den Herrn von Wallenheim zu sprechen?
Elisa. Wenn Sie es befehlen, meine Mutter.
B. v. H. So geschehe es noch heute; man merkt es, daß Deine Krankheit nur vorgegeben ist, und dieses ist nicht sehr schmeichelhaft für Deinen künftigen Gatten.
Elisa. Weiß er es denn nicht, daß blos unbedingte Nothwendigkeit mich zwingt, ihm die Hand zu geben?
B. v. H. Ich habe es ihm nicht gesagt; ich schrieb gleich nach Deiner Einwilligung an seinen Vater, und sagte ihm, daß Du nur einige Tage
Elisa seufzte, die Baroninn von Hohnau befahl ihr, beym Mittagsmahle zu erscheinen, und verließ das Zimmer. Gott! was waren da Elisa's Empfindungen! Sie stand lange unbeweglich da, bis endlich Henriette hinein kam.
Elisa. Ach, Henriette, heute soll ich ihn nun sehen! Werde ich stark genug seyn, seinen Anblick zu ertragen, den Antrag zu hören, den er mir machen wird?
Henr. Frägt Elisa mich das, welche immer stark zu Allem war, was Pflicht von ihr heischte?
Elisa. Ach, bisher war es mir so leicht, gut zu seyn; ich folgte nur dem Hange meines Herzens. Aber nun empören sich alle meine Empfindungen gegen meine Pflichten.
Henr. Und nun wirst Du beweisen, daß feste
Elisa. O, meine Freundinn! ich fühle es, daß diese Anhänglichkeit zum Guten mir jetzt Trost giebt; ich müßte unterliegen, wenn nicht der Gedanke mich unterstützte: Ich thue meine Pflicht!
Henr. Er begleite Dich beständig, meine holde Freundinn, und Du wirst erfahren, daß der Satz wahr ist: daß für den Rechtschaffenen der Freuden mehr, und der Leiden weniger in der Welt sind.
Elisa umarmte ihre Freundinn mit einem Seufzer; ihr Bestreben war nun, die erforderliche Gemüthsruhe zu erlangen, um mit Wallenheim zu sprechen. Bisher hatte sie Herrmanns Gemählde an ihrem Halse unter dem Tuche getragen, heute band sie es ab, küßte es, benetzte es mit ihren Thränen, und verschloß es. O, daß ich zugleich meine Liebe aus meinem Herzen verbannen könnte! sprach sie. Einige Augenblicke hieng sie dem Gedanken an Herrmann nach; aber dann entriß sie sich ihm, ergriff ein Buch, und las mit anstrengender Aufmerksamkeit, bis daß Henriette ihr rief, mit ihr zu Tische zu gehen. Blässe überzog jetzt ihre Wangen; aber sie faßte sich schnell, und trat voller Würde in das Zimmer. Wallenheim näherte sich ihr augenblicklich, und fragte nach ihrer Gesundheit. Höflich, aber kurz,
Er küßte bey diesen Worten die Hand, welche er hielt.
Elisa. (Mit einem Tone voll Würde) Mein Herr, man hat mich bestimmt, Ihre Gattinn zu werden; es ist der Wille Ihres Vaters und meiner Mutter. Ich gehorche ihm – aber ich werde den Mann nicht betrügen, dessen Gattinn ich werden soll. Ich liebe, mein Herr; edel und gut ist der Jüngling, den ich allen Andern vorziehe; allein ich weiß, daß meine Liebe nun zum Verbrechen wird, und ich will sie bekämpfen; ich will mich bestreben, die Gesinnungen zu erlangen, welche ich Ihnen schuldig bin. Wenn Sie nach diesem Geständnisse mich noch würdig finden, Ihre Gattinn zu werden, so sey mein ganzes künftiges Leben angewandt, Ihre Liebe zu verdienen.
Elisa schwieg; Wallenheim sahe sie staunend an; sie schien ihm so edel, und dieses machte ihn verlegen; endlich sagte er stotternd: Glauben Sie, mein gnädiges Fräulein, daß ich bis jetzt nichts hiervon gewußt habe; es wird mir nun schwer werden, meiner Hoffnung zu entsagen.
Elisa. Aber darf ich hoffen, daß, wenn ich gleich nicht Ihre Gattinn werde, Sie von Ihrem
Wallenh. Dieses kann ich nicht versprechen: jede Mühe, welche ich anwenden würde, würde vergeblich seyn.
Elisa. Nun dann, mein Herr, so stehe ich nicht länger an, Ihre Hand anzunehmen.
Wallenh. Mein Fräulein, darf ich wohl hoffen, Sie des glücklichen Mannes vergessen zu machen?
Elisa. Ich werde es nie vergessen, daß ich Ihre Gattinn seyn werde.
Nun stand Elisa auf, und sprach von andern Gegenständen. Unbefangen und ruhig war ihr Wesen, aber auch ruhig war ihre Seele; zwar schien ihr Wallenheim nicht liebenswürdig; zwar entflohen ihr Seufzer, sobald sie an Herrmann dachte, und sie dachte nur ihn; allein ein Blick, den sie auf ihre Mutter und ihre Schwester warf, gab ihr das Wonnegefühl der Tugend, und dieses Kraft, ihren Schmerz zu tragen. Sie war voller Aufmerksamkeit gegen Wallenheim; er begegnete ihr höflich; sie erwartete nicht seine Liebe; aber seine Achtung wollte sie verdienen, und nichts verrieth ihm den Widerwillen, den sie im Herzen gegen ihn hegte. Vier Wochen vergingen so, und der Tag kam endlich, der sie mit Wallenheim, und ihre Schwester mit Philippen vereinigen sollte. Welch ein Tag war dieses für Elisa'n! Kaum hatte er angefangen, so eilte sie hinaus, ins freye Feld,
Sie stand nun auf und fühlte sich gestärkt; sie kehrte zurück; ihre Schwester kam ihr entgegen, und umarmte sie. Ach, Elisa, heute werde ich ganz glücklich! Elisa's Augen füllten sich mit Thränen; sie suchte sie zu unterdrücken. Mögest Du es immer seyn! sprach sie, und entriß sich ihr; sie eilte zu ihrer Henriette, welche, voller Besorgnisse für ihre Freundinn, diese Nacht schlaflos zugebracht hatte.
Elisa. Was ist Dir, Henriette, Du bist so blaß?
Henr. Elisa, Dein Hochzeittag ist mir so traurig.
Elisa. Gutes, theilnehmendes Geschöpf! Aber, liebe Henriette, ich habe gebetet, ich habe es mir vorgenommen, meiner Pflicht getreu zu bleiben. – O, ich fühle es, ich werde standhaft seyn!
Henr. Aber Du leidest, meine Freundinn!
Elisa. Meine Schwester begegnete mir, und sagte mir, sie würde heute ganz glücklich. Dieses
Henr. Ich danke dem Himmel für Deine Ruhe! O, meine süße Elisa, ich zittere nicht länger für Dein Glück; eine Seele, wie die Deinige, muß es stets finden!
Elisa. Mein künftiges Loos soll mich länger nicht beschäftigen. Ich erwarte keine Freuden mehr; ich will nur Leiden tragen lernen, nur lernen, Andere glücklich machen. O, daß es mir vergönnt seyn möge, Heiterkeit auf die Tage meines Gatten zu streuen, und oft von der Wange des Unglücklichen die Thräne des Kummers abzutrocknen; dann will ich den meinigen vergessen, vergessen, daß ich dem Glücke entsagen mußte, und nur mich freuen, daß mein Herz der Empfindungen der Menschenliebe und des Wohlwollens fähig ist!
Elisa seufzte hier, und thränenvoll richtete sie ihren Blick gen Himmel. Sie fuhr fort nach einer Pause: Aber etwas ist noch, welches meinem Herzen wieder Freude geben könnte, und das wäre, Versicherung zu erhalten, daß Herrmann wieder glücklich ist. Nenne mir nie seinen Namen; aber wenn Du weißt, daß Freude wieder um ihn lächelt, dann sage es mir.
Da lag schon der hochzeitliche Schmuck, der heute sie zieren sollte; sie kleidete sich an, mit einem Herzen voller Wehmuth; schon hörte sie auf dem Schloßhofe die Wagen rollen, die Gäste versammelten sich, auch der alte Wallenheim war zu diesem Tage gekommen, und noch immer zögerte sie, sich in das Gesellschaftszimmer zu begeben; endlich erschien sie, schön wie die Göttinn der Jugend, aber traurig und voll sanften Ernsts. Sie sprach es aus, das Ja, welches sie ewig mit dem Manne verband, gegen den sie, ungeachtet aller ihrer Bemühungen, nur Widerwillen empfand. Allein sie war standhaft, und keiner ihrer Züge entdeckte dem Zuschauer, was in ihrem Herzen vorging.
Wallenheim bekleidete eine ansehnliche Stelle in B...; allein er besaß auch noch ein Landgut, wo er oft im Sommer einige Wochen zu verweilen pflegte, und dorthin wollte er für das erste seine Gemahlinn führen. Philipp, welcher bisher die Aufsicht auf den Gütern seines Oheims gehabt hatte, sollte nun mit Carolinen in Hohnauschloß wohnen bleiben, weil die Mutter sich nicht von der Tochter trennen wollte. Henriette wünschte ihre Freundinn begleiten zu können, und nicht minder wünschte Elisa, ihre theure Henriette zur Gesellschafterinn zu behalten. Sie hoffte es auch gewiß, daß ihre Mutter ihr diese
Elisa. Wenn meine Mutter befiehlt, daß Henriette in Hohnauschloß bleiben soll, so weiß ich, daß es meine Pflicht ist, nichts weiter dagegen zu sagen; Aber, theure Mutter, vergönnen Sie sie mir nur auf einige Zeit. Ich komme in eine ganz fremde Welt, mein Mann selbst ist mir fremd. – O, das geringste Geschöpf hat ja noch einen Freund, mit dem es vertraulich schwatzen kann, soll ich denn ganz verlassen seyn?
Carol. Es ist Dir gut, wenn Du nicht mit Henrietten so viel von Birkenstein plaudern kannst, dann wirst Du ihn vergessen.
Elisa. Caroline, sollte das Glück hartherzig machen?
B. v. H. Mir ist Henriettens Gegenwart oder Abwesenheit gleichgültig; allein Du, Elisa, kömmst nach B... und wirst dort mehr Gesellschafterinnen finden, als Carsline hier in einigen Jahren siehet.
Elisa. Aber keine Freundinn, meine Mutter. Und Caroline bleibt hier in der Gesellschaft einer geliebten Mutter, und eines Gatten, den sie liebt.
Carol.
Ein Blick voll Verachtung war Elisa's einzige Antwort.
B. v. H. Caroline, vielleicht kennst Du ein junges Mädchen, welches Dir Henriettens Stelle ersetzen würde? Laß sie mit Elisa'n ziehen, sie liebt Sie ohnehin mehr als Dich.
Carol. Aber mir gefällt Henriette. Ich verlange keine andere Gesellschafterinn, und sehe Elisa's Forderung als eine Unbilligkeit an.
B. v. H. Nun denn mag Henriette hier bleiben. (Zu Elisan.) Du wirst es selbst einsehen, Elisa, daß ich Carolinen dieses nicht wohl abschlagen kann.
Elisa. Sie wissen, meine Mutter, daß Ihr Wille mir immer heilig ist.
Elisa verließ hierauf das Zimmer; weinend ging sie zu ihrer Henriette; sie umarmte sie, und hieng lange an ihrem Halse.
Elisa. (Nachdem sie sich wieder aufgerichtet hat.) Auch diese Wonne ist mir versagt, meine Henriette, Du darfst nicht mit mir gehen.
Henr. (Thränen rollten von ihren Wangen.) Elisa, ich soll Dich verlassen?
Elisa. Es ist meiner Mutter und Carolinens Wille.
Henr. Zum erstenmale empfinde ich mit Schmerz meine Abhängigkeit.
Elisa. Ach, es ist hart, sich von Allem zu trennen, was einem theuer ist!
(In diesem Augenblicke tritt Wallenheim herein.)
Wallenh. Haben Sie schon alle Anstalten zu unserer Abreise getroffen? Ich werde morgen früh wegreisen.
Elisa. (Trocknet ihre Augen.) Ja, mein Bester, ich werde Sie gewiß nicht auf mich warten lassen.
Wallenh. (Spöttisch.) Und ich besorgte fast, Sie würden mir gar nicht folgen können?
Elisa. Warum das?
Wallenh. (Im vorigen Tone.) Ihre Augen lassen mich muthmaßen, daß Sie die Trennung nicht ertragen werden?
Elisa. Können Sie es mir verdenken, Wallenheim, daß ich Schmerz empfinde, indem ich meine Mutter, die Gespielinn meiner Jugend, und den Ort verlasse, wo ich bisher so glücklich war?
Wallenh. Sie brauchten ihn mir aber doch nicht in seiner ganzen Stärke zu zeigen?
(Wallenheim entfernte sich jetzt, Elisa seufzte und schwieg.)
Es war am sechsten Tage nach ihrer Verbindung mit ihm, als sie Hohnauschloß verließ. Sie umarmte ihre Mutter und Carolinen, und benetzte ihre Wangen mit ihren Thränen; aber als sie Henrietten in ihre Arme schloß, da schlug ihr Herz heftiger, ihr Schmerz war stumm, und ihr Mund sprach das Lebewohl nicht aus. Auf dem Schloßhofe waren alle
Ernst und finster waren Wallenheims Blicke; Elisa sucht ihn aufzuheitern, keine Thräne entschlüpft mehr ihrem Auge, sondern nur beschäftigt ist sie, die Wolken von der Stirne des Gatten wegzutreiben. Allein es gelang ihr nicht; denn Wallenheim war stets in sich verschlossen. Nie hatte sich sein Herz der Freundschaft
Sie langten am zweyten Tage ihrer Reise in Wallenthal an; (so hieß das Landgut Wallenheims.) und nach einigen Tagen schrieb Elisa folgenden Brief an ihre Henriette:
»Meine theure Henriette!
Auch entfernt von Dir ist mir Deine Freundschaft noch Trost. Ach, ich kenne jetzt nur die Sprache des Zwanges! Wie wohl ist mir, daß ich einmal wieder die der Freyheit sprechen darf! Du lasest stets in meiner Seele, und Du allein sollst auch noch ihre geheimsten Gedanken wissen. Nein, diese meine Offenherzigkeit gegen Dich kann nicht strafbar seyn! Du bist verschwiegen, und was ich der Freundschaft entdecken darf, soll für jeden Andern tief in meiner Brust verschlossen bleiben. – O, Henriette, sollte ich Dir jetzt meine Empfindungen schildern, oder vielmehr würde ich es können? – Doch eine Beschreibung von Wallenthal wird Dir einen Begriff von meiner jetzigen Lage geben. Das Wohnhaus, oder das Schloß, wie es die Einwohner nennen, ist in einiger Entfernung vom Dorfe; hohe Linden und Kastanienbäume beschatten den grünen Hofplatz, und verdunkeln die großen, gewölbten Zimmer des Hauses,
Oft wurde Elisa durch ähnliche Betrachtungen in Traurigkeit versenkt, aber immer entriß sie sich ihr. Aufrichtig war ihr Bestreben, eine stets gleich heitere Laune zu erhalten; nie sahe Wallenheim auf ihrem Gesichte die Spur von Thränen, welche sie oft in der Einsamkeit vergoß, und doch blieb er, ungeachtet aller Bemühungen seiner Gattinn, mürrisch und in sich verschlossen. Elisa scherzte um ihn, und kaum lächelte er; sie suchte jene Vertraulichkeit gegen ihn anzunehmen, ohne welche selbst die Liebe bald erkaltet, aber Wallenheim erwiederte sie nicht. Er fuhr fort seine Tage auf der Jagd zuzubringen, oder Besuche in der Nachbarschaft zu machen, doch nie in Elisa's Begleitung. Die ziemlich späte Jahrszeit, denn schon näherten sie sich der Mitte des Herbstes, erlaubte Elisa'n nur selten noch spatzieren zu gehen, und sie brachte Tage zu, ohne ihr Zimmer zu verlassen. Sie waren bereits zwey Wochen in Wallenthal, als ein schöner Herbstmorgen den braunen Tannenwald vergoldete. Die Sonne schien noch einmal der Erde zuzulächeln, prachtvoll warf sie ihren Glanz auf die gelben Blätter, welche der Herbst gefärbt hatte. Elisa ergötzte sich an diesem Anblicke. Natur, rief sie aus, selbst wenn du dahin sinkest, bist du schön! Sanfte Freude liegt noch auf dir verbreitet! O, daß ich auch einst, in meinen letzten Tagen, so
Wallenh. (Kalt.) Sie thäten wohl, wenn Sie lernten die Pflichten der Menschlichkeit mit den Pflichten gegen Ihren Gatten vereinigen.
Elisa schwieg; sie unterdrückte selbst einen Seufzer,
Er ging fort, und Thränen strömten von Elisa's Wangen. Welch eine Zukunft stellte sich ihr dar, und o wie bitter waren ihre Empfindungen! Sie wollte sie unterdrücken, und ging an ihren Schreibtisch, um an Henrietten zu schreiben. In einem Kästchen verschlossen lag da Herrmanns Gemählde. Noch hatte Elisa das Kästchen nicht geöffnet, seit dem Tage, an dem sie das Gemählde hineingelegt hatte. Heute öffnet sie es unwillkührlich, und der Anblick des Gemähldes verdoppelt ihren Schmerz. Sie nimmt es heraus, sie küßt es: Ach, Herrmann, sprach sie, du hättest mir nicht so begegnet! Bewegt legt sie es weg, bald ergreift sie es aber wieder: Ich will nicht strafbar werden, ruft sie aus, ich will es Henrietten schicken, aber noch einmal will ich diese Züge betrachten, die ich nie wieder sehen werde! Zu bewegt, um schreiben zu können, ging sie in den Garten, indem sie noch das Gemählde hielt. Noch erwärmte die Sonne die Atmosphäre, und Elisa setzte sich, beleuchtet von ihrem milden Strahl. Alle Scenen der Vergangenheit stellten sich ihr jetzt lebhaft dar, und bey jeder Rückerinnerung benetzte Elisa das Gemählde mit ihren
Elisa. Herrmann, besser wäre es für uns, wir hätten uns nie gesehen!
Herrm. Elisa, gönnen Sie mir nicht einen Augenblick Erleichterung meiner Leiden?
Elisa. O, Herrmann! Diese Sprache darf ich nicht mehr hören! Sie wissen nur zu gut, wie sehr Ihr Kummer mich schmerzt!
Sie wischte bey diesen Worten eine Thräne aus ihren Augen, welche sie vor Herrmann verbergen wollte; er sahe sie aber, ergriff ihre Hand, und drückte sie an sein Herz.
O, meine sanfte, meine süße Elisa, Sie lieben mich noch; ich fühle in diesem Augenblicke keinen Kummer! Ich nehme den Trost mit mir, daß Sie mein bleiben, mein, durch das Band ewiger Liebe, das kein Mensch trennen soll!
Elisa. Halten Sie ein, Herrmann, ich bin Gattinn; mein Bestreben ist, Sie zu vergessen! – Wollen Sie mich strafbar machen, Sie, für den mein Herz so warm noch schlägt? O nein! Lassen
Herrm. Kann meine Elisa fürchten, daß ich ihre Ruhe aufopfern will? Und weiß ich nicht, daß sie diese nur in der Tugend findet? Verzeihen Sie, wenn mich die Liebe auf einen Augenblick hinriß! – Ach, kann ich vergessen, daß vor wenig Monden –
Hier schwieg er, ihre Blicke begegneten sich, sie seufzten Beyde, und Thränen rollten von Beyder Wangen.
Elisa. (Nach einer langen Pause.) Herrmann, der Vergangenheit dürfen wir nicht mehr gedenken, sie verschwand mit ihren Freuden! – Und in künftigen Jahren werden auch diese Tage voll Kummer nur noch in unserm Gedächtnisse leben; neue Freuden, vielleicht auch neue Leiden, werden ihr Andenken verdrängen. O, daß wir es jetzt schon thun könnten! Mein Herrmann, vergessen Sie, daß Sie mich liebten! Denken Sie nicht immer an Elisa, entreissen Sie sich jeder Erinnerung an sie, die Ruhe wird Ihnen dafür lohnen.
Herrm. Wohl, Elisa, ich will Ihrer würdig bleiben! Ich will eine Leidenschaft bekämpfen, durch welche ich einst glücklich war. – O, sagen Sie mir nur noch, daß Sie nicht unglücklich sind, dann will ich mich vergessen, dann soll der Kummer nicht mehr an meinem Herzen nagen, Ihr Glück wird mir Trost seyn!
Elisa. Ich suche meine Pflichten zu erfüllen, urtheilen Sie selbst, ob ich unglücklich bin?
Herrm. Aber Sie weinten, Elisa, als ich Sie überraschte?
Elisa. (Reicht ihm das Gemählde) Dieses war die Ursach meiner Thränen, Uebereilung und Zufall hatten mir es wieder in die Hände gegeben, und – ich bin noch nicht stark genug, um bey dem Anblicke desselben gleichgültig zu bleiben.
(Herrmann ergreift das Gemählde, und bleibt mit seinem Kopfe auf Elisa's Hand liegen.)
Elisa. (Nach einer Pause, zieht ihre Hand zurück.) Herrmann, wir müssen uns trennen, auch Sie können meinen Anblick nicht ertragen!
Herrm. Elisa, heute zum Letztenmale. O, nur noch einige Augenblicke!
Elisa. Wie, und warum kamen Sie hierher?
Herrm. Ich war in Birkenstein gewesen, um von meiner Mutter Abschied zu nehmen, denn auch sie werde ich nicht mehr sehen. O, Elisa! wenn Sie nach Hohnauschloß kommen, besuchen Sie die unglückliche Mutter, trösten Sie sie wegen des Verlustes ihres Sohnes – sie liebt Sie ja als ihre Tochter! – Ich verlasse mein Vaterland, vielleicht sehe ich es nie wieder. Ich suche nicht Glück unter einem andern Himmelsstriche, aber Ihre und meine Ruhe, welche wir nicht erlangen würden, wenn nur wenige Meilen uns trennten. Aber mich ewig von Ihnen
Elisa. Herrmann, ich entferne Sie von Freunden und vom Vaterlande? – Edler Jüngling! Sie suchen meine Ruhe? O! möchte ich nie sie finden, wenn Sie nicht glücklich werden!
Herrm. Nichts davon, Elisa! Ich will nicht murren, nicht klagen an Ihrer Seite. – Mein künftiges Schicksal sey welches es wolle! – Ich konnte nur ein Gut verlieren – und ...
Elisa. Auch ich verlor das einzige Gut, Herrmann, und wir müssen Beyde lernen, den Verlust ertragen.
Herrm. Schreckliche Nothwendigkeit! Warum stellten Sie sie mir in diesem Augenblicke vor?
Elisa. Weil ich nicht vergessen darf, was ich bin! Wollen Sie zürnen, Herrmann, daß ich meine Pflichten mehr liebe als Sie?
Herrm. Weib! Weib! Eben Deine Tugend macht meine Liebe unauslöschlich!
Elisa. Aber die Tugend soll sie auch heiligen, soll sie nicht zur verzehrenden Flamme machen. Sie soll wieder Frieden in Deine Seele gießen. (Elisa's Augen füllen sich mit Thränen, eine Pause, sie reicht ihm
ihre Hand) Reisen Sie jetzt, Herrmann! Zeit und Zerstreuungen werden Ihre Wunde heilen, und nach Jahren vielleicht werden wir uns wieder umarmen können!
Mit stummen Schmerze drückte Herrmann sie an sein Herz. Lebe wohl! rief er aus, theures ewig geliebtes Weib!
Elisa. Noch eine Bitte, Herrmann, gewähren Sie mir. Nehmen Sie dieses Gemählde mit, ich darf es nicht länger besitzen – Aber Ihr Bild soll als das Bild eines theuren Freundes ewig in meinem Herzen leben!
Er nahm es, seufzte, drückte noch einen Kuß auf ihre Lippen, und flog fort! Ihre Blicke folgten ihm, und ihre Thränen flossen, als er vor ihnen verschwand. Erst einige Augenblicke war Herrmann fort, als Elisa Wallenheim kommen sahe; er war an diesem Tage früh zurückgekehrt, und hatte Herrmann aus dem Garten kommen sehen, er fand Elisa'n weinend.
Wallenh. Wer war das, der so eben von Ihnen ging?
Elisa. Birkenstein.
Wallenh. Sie scheinen es vergessen zu haben, daß Sie mir einst sagten, Sie würden sich immer erinnern, daß Sie meine Gattinn wären! Oder denken Sie nur daran in meiner Anwesenheit, und glauben
Elisa. Ich scheine diesen Vorwurf zu verdienen, und doch, Wallenheim, bin ich noch eben so schuldlos, als da Sie mich verließen.
Wallenh. Vielleicht hatten Sie auch da schon Ihren Geliebten bestellt.
Elisa. Diese Vermuthung ist demüthigend für mich; nie glaubte ich Sie dazu berechtiget zu haben. Birkenstein kam, um Abschied von mir zu nehmen, weil er sein Vaterland verläßt, und wenn ich schuldig bin, so bin ich es nur, daß ich litt, daß er so lange hier verweilte.
Wallenh. Weil dieses verursachte, daß ich ihn gesehen habe, und Sie nun Ihre Zusammenkünfte werden einstellen müssen.
Elisa. Diese Worte kränken mich nicht, Wallenheim, das Gefühl der Unschuld läßt sie mich ertragen.
Wallenh. Ich bin solche schöne Phrasen von Ihnen gewohnt, und um daß Sie diese erhabene Theorie desto leichter in Ausübung bringen mögen, so verbiete ich Ihnen, so lange wir noch in Wallenthal sind, Ihr Zimmer zu verlassen: Ihre Spatziergänge geben Anlaß zu Begebenheiten, welche nicht meinen Beyfall haben.
Elisa. Könnte ich doch durch die willige Aufopferung dieses Vergnügens Ihnen beweisen, wie
Wallenh. (Kalt.) Heute haben Sie dazu den Anfang nicht gemacht; doch soll es mich freuen, wenn es in der Folge geschieht.
Er verließ hierauf Elisa'n, und sie ging zurück in ihr Zimmer; sie sahe ihn an diesem Abend nicht mehr, und am andern Morgen reiste er weg, ohne Abschied von ihr zu nehmen, und war einige Tage abwesend. Geduldig ertrug sie diese Begegnung. Es waren noch einige schöne Herbstage, sie genoß ihrer nur an ihrem Fenster, aber sie murrte nicht; sie schrieb hierüber folgendes an ihre Henriette:
»Noch einmal habe ich Herrmann gesehen, noch einmal mich von ihm getrennt! O, Henriette! ich konnte den Schmerz nicht unterdrücken, ich konnte nicht gleichgültig scheinen, aber doch dachte ich an meine Pflichten, und gewiß, Empfindungen, die wir nicht zu erregen suchen, die wir aber doch unwillkührlich hegen, können uns nicht schuldig machen! Herrmann wird mir immer der theuerste von allen Männern seyn. Meine Leidenschaften werde ich bekämpfen, aber das innige Gefühl der Achtung, ein lebhaftes Interesse an seinem Schicksal werden immer gleich stark in mir seyn. Und doch werde ich mich als Gattinn nicht schuldig finden, weil ich stets über mich wachen werde, um diese Empfindungen nicht zu stark werden zu lassen. Sie sind unwillkührlich, sie
Wallenheim glaubt mich schuldig, er hat Herrmann weggehen sehen, und hat mir verboten, mein
Ich kann Dir nicht sagen, mit welcher Empfindung ich jetzt an meinem Fenster die Luft einathme, welche ich unter dem freyen Himmel nicht genießen darf. Es ist ein gemischtes Gefühl von Ruhe und Traurigkeit; eine dunkle Empfindung von Abhängigkeit, und dann wieder das Bewußtseyn: ich verdiene diese Begegnung nicht. O, dann scheint mir der Himmel heiterer zu seyn! Mein Herz schlägt mir vor Freude, es erhebt sich, es blickt mit Gleichgültigkeit
Mit eben der Ruhe empfing Elisa ihren Gatten, als er zurück kam; sie freuete sich in der That, ihn wieder zu sehen, und ihre Blicke sagten es ihm. Sie verdoppelte nun ihr Bestreben, ihm zu gefallen, und jeden Argwohn von ihm zu entfernen; aber kälter, als sonst, war jetzt Wallenheim gegen seine Gattinn! Nach einigen Wochen schrieb Elisa wieder an Henrietten:
»Ich habe Dich immer von meinem Schmerz unterhalten, nimm auch heute Theil an meiner Freude. Henriette, es öffnen sich mir Aussichten des Glucks! Ich kann noch wieder vergnügt und heiter werden, wie ich es in meinen glücklichen Tagen in Hohnauschloß war. – Doch ich muß Dir die Veranlassung meiner Freude erzahlen. – Wallenheim war, seitdem
Gestern Abend war er mürrischer als gewöhnlich zurückgekommen; stumm und verdrüßlich saß er in meiner Stube auf dem Sofa, und schien mich kaum zu bemerken; ich ging an das Clavier, spielte und sang eine Arie, deren Melodie sanft, einnehmend un fröhlich war; sie erregte Wallenheims Aufmerksamkeit. Als ich dieses bemerkte, wiederhohlte ich sie, und er stellte sich nun hinter meinen Stuhl. Wie ich geendigt hatte, bat er mich fortzufahren. Man kann Sie nicht ohne Vergnügen hören, sprach er. Ich wählte nun lauter Stücke von gefälliger Melodie, und bestrebte mich, meinen Vortrag angenehm zu machen; er blieb neben mir stehen, wurde heiter, wir scherzten zusammen, endlich umarmte er mich, und
Ich lächelnd. Und glauben Sie nicht, Wallenheim, daß ich nicht auch auf die Ihrige rechne? O, ich bin zu eigennützig, um etwas unentgeldlich zu geben!
Er lachte, küßte mich und sagte; Ich kenne Sie und mich genug, um muthmaßen zu können, daß ich Ihr Schuldner bleiben werde. So scherzten wir noch einige Zeit; wir setzten uns auf den Sofa, und zum Erstenmale wurde unser Gespräch vertraulich. Ich hatte schon lange einen Plan gehabt, zu dessen Ausführung aber ich Wallenheims Einwilligung bedurfte; ich entdeckte ihn ihm, und er willigte in mein Verlangen. O, wie viele Freuden schenkte er mir mit dieser Einwilligung! Du weißt, Henriette, daß es immer mein Wunsch war, die Zahl der Unglücklichen vermindern zu können; meine Lage setzt mich in den Stand, ihn zum Theil in Erfüllung zu bringen, und ernstlich dachte ich, seitdem ich in Wallenthal bin,
Einen Theil dieser Kinder will ich dem Verderben entziehen, und sie zu nützlichen Mitbürgern machen.
Aber auch das sinkende Alter will ich unterstüzzen; Ruhe will ich auf die letzten Tage des Greises verbreiten. Er soll noch einmal lächeln, der Unglückliche, welcher sein Leben durchweint hat! – Ich lasse in Wallenthal noch ein Haus bauen, welches zehn Stuben enthalten soll; alte dürftige Männer und Weiber nehme ich hier auf; zu jeder Stube soll ein kleiner Garten seyn, und alle Woche werde ich ihnen alles, was zu ihrem Unterhalt erforderlich ist, austheilen lassen, und jedesmal, wenn durch den Tod eines von ihnen eine Stelle ledig wird, soll ein anderer Unglücklicher sie ersetzen. Ich selbst werde die Aufsicht über dieses alles haben; ich selbst werde das Lager des Greises, und die Wohnung der Kinder besuchen.
Und dieses alles auszuführen, hat mir Wallenheim erlaubt; im künftigen Frühjahre werden die Gebäude fertig seyn, dann eile ich nach Wallenthal, und im Schooße der gütigen Natur will ich, indem sie Segen auf alle Sterblichen schüttet, am Glücke Einiger mei ner Mitmenschen arbeiten.
Lebhaft und innig war mein Dank gegen Wallenheim; seitdem ich Hohnauschloß verließ, brachte ich
Zwar besitze ich zu solchen Geschäften weder Erfahrung, noch die erforderlichen Kenntnisse; allein Ordnung, Achtsamkeit und Fleiß sollen sie, bis ich sie erlangt habe, ersetzen. Die Aufsicht auf die häuslichen Angelegenheiten ist eine der ersten Pflichten des Weibes. Wenn ich in der Reihe der Geschöpfe keins erblicke, dessen Daseyn ohne Nutzen ist, und ich sehe dann so viel Weiber, welche nichts zu dem großen Zwecke der Schöpfung, Nutzen zu verbreiten, beytragen, welche unbekümmert ihrer selbst, ihrer Familie
Wir bleiben bis im December hier, und – so schrecklich mir diese Einsamkeit auch im Anfange war, so ist es mir doch jetzt angenehm, daß wir unsern Aufenthalt noch nicht sobald verändern. Diese Stille stimmt mit meinen Empfindungen überein; mich dünkt, ich bin hier freyer und heiterer, als ich es
So blieb Elisa sich stets gleich; immer bestrebte sie sich, auch die kleinsten ihrer Pflichten zu erfüllen, und nie dehnte ein Weib solche mehr aus, als sie. Ihre Aufmerksamkeit, ihre Gefälligkeit gegen Wallenheim, vermehrte sich mit jedem Tage, und mit Wachsamkeit und thätigem Fleiße ordnete sie ihre innere Wirthschaft und alle häusliche Angelegenheiten. Innere Ruhe und das Vergnügen, Wallenheim weniger mürrisch, weniger unzufrieden zu sehen, waren ihr Lohn. So reisten sie nach B... Stolz,
Man sahe bald, daß Elisa ihrem Gatten gleichgültig war, und ungeachtet aller ihrer Aufmerksamkeit gegen ihn, bemerkte man doch, daß auch sie nicht viel mehr für ihn empfand. Elisa war jung, schön, und wurde von ihrem Gatten vernachlässiget; wie viel Gründe, um bald ein Heer junger Stutzer um sie zu versammeln, und auch den gefühlvollen Mann zu ihr zu führen, der den Werth des liebevollen Weibes erkannte, und – empfand. Allein Elisa, welche ihre Pflicht als Gattinn, selbst in Herrmanns Anwesenheit nicht vergessen hatte, entfernte durch Ernst und Würde diejenigen, welche ihr den Hof machten. Sie hielt diesen Zeitvertreib, wenn er auch nicht zu sträflichern Folgen leitete, doch eines Weibes unwurdig. Die kleinen weiblichen Coquetterien machen das Weib zum Zeitvertreib des Mannes; aber sie entsagt durch sie der Achtung, auf die sie Anspruch machen kann. Bald hört sie auf die Männer zu belustigen, allein das
»Meine Henriette, schon bin ich vier Wochen in B...., und noch habe ich Dir keine Nachricht von mir gegeben. Glaube aber ja nicht, daß die rauschende Lebensart, welche ich hier führe, mich Dich vergessen läßt O, nein, meine Henriette! Eben in den glänzenden Zirkeln empfinde ich recht
Weniger als je herrscht diese Freundschaft, diese Vertraulichkeit zwischen Wallenheim und mir; wir sind einander hier wieder so fremd, er sieht mich so wenig, und diese Entfernung von einander erzeugt in ihm wieder die Kälte gegen mich, welche in Wallenthal sich zu verlieren schien. Männer, welche es sich zum Geschäft machen, gleich einer Biene um jede Blume zu sumsen, haben mich trösten wollen; selbst einige, welche Verdienste besitzen, und nicht, gleich den Gecken, jedem Frauenzimmer den Hof machen, aber doch der Denkungsart der großen Welt beytreten, welche die Liebeshändel einer Frau mit dem Namen Galanterien belegt, und diese ganz untadelhaft findet, haben auch die Zahl meiner Anbeter vermehrt. Aber, Henriette! Herrmanns Bild, mit so starken, so liebenswürdigen Zügen in meinem Herzen eingegraben, läßt mich nicht fürchten, daß ich meine Pflichten vergessen werde! Zwar hoffe ich, daß, wenn ich auch nicht so liebte, daß keine andere
Elisa verlebte nun den Winter auf die Art, wie sie ihn angefangen hatte; Wallenheim und sie veränderten Beyde nichts in ihrem Betragen; er abwechselnd freundlich, mürrisch, kalt; sie immer aufmerksam, ihm zu gefallen, immer sich bestrebend, jedem seiner Wünsche zuvorzukommen; nie hörte er von ihr eine Klage oder einen Vorwurf, nie sah er Ihre Stirne sich runzeln; er fand immer in ihr das gelassene, heitere, gefällige Weib, und oft sagte er es sich, daß Elisa die Erste der Weiber wäre. Der Frühling kam; Elisa bat ihren Gatten, mit ihr nach Wallenthal zu reisen, damit sie dort die erste Einrichtung ihrer wohlthätigen Anstalten treffen könnte.
Elisa. Bleib er sitzen, guter Alter, er scheint müde zu seyn, er muß erst ausruhen.
Greis. (Seufzt.) Ach, gnädige Frau, ich werde wohl hier die ewige Ruhe finden! Ich habe lange genug gelitten, und doch, wenn der Himmel
Elisa. Er ist unglücklich, guter Mann, o, sage er mir, was Menschenhülfe thun kann, ihn zu unterstützen? und ich will suchen, die letzten Tage seines Lebens frey vom Kummer zu machen!
Greis. (Faltet seine Hände.) Gott, ich danke dir, du sendest mir einen Retter! (Zu Elisa'n.) O, gnädige Frau! noch nie flehete ich um Allmosen, aber heute, heute muß ich. – (Er bricht in Thränen aus, welche ihn verhindern weiter zu sprechen.)
Elisa. (Gerührt, setzt sich neben ihn.) Beruhige er sich, guter Alter! Es ist ja keine Schande, dürftig zu seyn!
Greis. Ach, gnädige Frau! und doch blicken so viel Menschen auf den Armen mit Verachtung! – Aber meine Tochter, wenn ich nur die retten könnte!
Elisa. Wo ist sie, mein Freund, ich will sie holen, ich will ihr Hülfe ertheilen.
Greis. Wir wohnen anderthalb Meilen von hier, nahe bey Dunkelwalde; schon seit acht Tagen ist meine Tochter krank, und seit einigen Tagen so schlecht, daß ich gestern glaubte, sie würde sterben. Da wollte ich nun heute in die Stadt gehen, zu dem Doctor, und auf den Knien ihn bitten, zu meiner Tochter zu kommen; aber es ist noch eine Meile von hier, und ich habe gestern
Neue Thränen hemmten wieder seine Sprache. Elisa sprang auf. Bleibe bey ihm, Henriette, ich bin gleich wieder hier. Sie eilte nun zu Hause, ließ einen Wagen anspannen, befahl, daß sogleich ein anderer in die Stadt fahren sollte, um den Arzt zu holen, nahm eine Bouteille Wein und Brod mit sich, und kehrte zu dem Greise und Henrietten zurück.
Elisa. (Schenkt ein Glas Wein ein, und reicht es dem Greis.) Trink er, guter Alter! Ich habe auch etwas Brod mitgebracht, stärke er sich erst; dann wollen wir zusammen zu seiner Tochter fahren, und sie hierher holen, ich habe auch schon nach dem Arzte geschickt.
Greis. (Nimmt das Glas.) Gnädige Frau, ich kann Ihnen nicht danken. – Aber, Gott! Du siehest mein Herz!
Elisa. Guter Greis, wenn nur seine Tochter wieder hergestellt wird, und er noch einige Zeit zufrieden in unserm Dorfe lebt, das wird mir Danks genug seyn!
Greis. (Blickt dankbar gen Himmel.) Gütiger Vater, ich will nicht mehr klagen, da es noch solche gute Menschen auf deiner Erde giebt!
Der Greis fühlte sich gestärkt; die Hoffnung, seine Tochter ins Leben zurückzurufen, belebte ihn. Er stand auf, Elisa leitete ihn selbst zum Wagen,
Elisa. (Nach einer Pause.) Guter Alter, ich segne heute meinen Spatziergang! O, wie will ich mich freuen, wenn wir erst bey seiner Tochter seyn werden! – Aber – sage er mir, ist er schon lange mit der Dürftigkeit bekannt?
Greis. Ueber die Hälfte meiner Tage waren Tage der Leiden für mich! Die Geschichte meines Lebens mag dieses beweisen, wenn die gnädigen Frauen sie anhören wollen?
Elisa und Henriette. (Zugleich.) Gern, guter Alter.
Greis. Mein Vater war Kaufmann in B..., von Geburt ein Franzose, welcher aus Liebe zu meiner Mutter, durch welche er auch in den Besitz eines geringen Vermögens gekommen war, sich in B... niedergelassen hatte. Sein Handel war nicht sehr ausgebreitet, und seine Vermögens-Umstände nur mittelmäßig; er machte also keine Einwendung gegen mein Verlangen, das Tischlerhandwerk zu erlernen, zu welchem ich viel Neigung hatte; denn er war nicht reich genug, mich zum Handel bestimmen zu können, da ich nicht sein einziger Sohn war, sondern noch einen Bruder und eine Schwester
Elisa. (Ihn bey der Hand fassend.) Guter Greis, seine Tochter kann ja noch gerettet werden. Mangel an Hülfsmitteln und gehöriger Pflege haben vielleicht ihre Krankheit so schlimm gemacht, und diese Ursachen sollen nun aufhören.
Nun erblickte sie in der Ferne das Haus, welches der Greis bewohnte; er wurde unruhiger, je mehr er sich demselben näherte. Ach, meine Tochter, werde ich dich noch sehen? rief er, als der Wagen stille hielt. Angst und Liebe gaben ihm Kräfte; er ging schnell in das Haus, Elisa und Henriette folgten ihm. Ein Tisch, zwey Betten und zwey Stühle war alles, was in der Stube stand, und alles, was der Greis besaß. Er warf sich auf das Bette seiner Tochter, sie lebte noch; sie schlief, aber sie schien eine brennende Hitze zu haben. Sie erwachte bald; allein sie bekam einen heftigen Paroxysmus, aus welchem
Elisa
(Zu Henrietten, nachdem sie aus dem Hause der Kinder gekommen ist.) Liebe Henriette, was ist es
Sie fanden diese alle vor dem Hause versammelt; auch Lotte war herausgekommen, um der schönen Frühlingsluft zu genießen, ob sie gleich noch nicht völlig hergestellt war.
Elisa. (Nähert sich ihnen.) Guten Tag, meine Lieben! Seyd Ihr alle noch wohl, noch zufrieden?
Einige. Ach, gnädige Frau! Ihre Güte –
Elisa. Ihr könnt doch wohl noch einige Bedürfnisse haben, die ich nicht kenne, und die ich leicht befriedigen könnte?
Einige. Einen Wunsch haben wir noch; aber den kann nur der Himmel erfüllen. Er ist für Ihr Glück.
Elisa. Ich danke Euch, meine Lieben! (Eine Pause.) Ich kam hierher, um von Euch Abschied zu nehmen, ich reise morgen weg. (Alle sehen sich betrübt an, Elisa wendet sich zu Martin.) Guter Greis, Er wird doch wohl nun auch bey uns wohnen bleiben? Er sieht unsre Einrichtung. Seine Tochter braucht nun
Greis. (Thränen strömen von seinen Wangen.) O, gnädige Frau! Sie retteten sie vom Tode, Sie senkten Ruhe auf meine alten Tage, durch Sie kann ich mich meiner letzten Lebenstage freuen! – Nein, keine Worte können Ihre Güte und meinen Dank ausdrücken!
Alle zugleich. Ach, Sie haben uns alle glücklich gemacht!
Elisa. (Gerührt.) Es freut mich, meine Lieben, wenn es mir gelungen ist, Euch zufrieden gemacht zu haben. Ihr könnt glauben, daß ich glücklich dadurch werde. Lebt nun in Eintracht unter einander, und wenn ihr etwas verlanget, so sagt es dem Herrn Prediger, er wird es mir schreiben, und ich werde es euch gewähren, wenn ich kann.
Alle weinten jetzt, alle schlossen einen Kreis um Elisa'n, sie reichte einem Jeden die Hand. Lotte warf sich zu ihren Füßen. Gott, ihr deinen Segen; stammelte ihr Vater. – Lebt wohl, meine Freunde! rief Elisa, ich werde euch nicht verlassen! Sie wollte nun gehen, aber noch hielten einige ihr Kleid, einige ihre Hand. Süße Thränen der Empfindung und der belohnten Tugend glänzten in Elisa's Auge. Liebevoll blickte sie noch auf einen Jeden, und riß sich
Henr. (Nachdem sie einige Zeit schweigend fortgegangen sind.) O! meine Elisa, empfange meinen Dank, daß Du mich zur Zeuginn Deines Glücks machtest!
Elisa. (Umarmt Henrietten.) Deine theilnehmende Freundschaft erhöht jedes mich beseligende Gefühl, und Dir verdanke ich sie auch, Du lehrtest mich meine Pflichten erfüllen!
Henr. Nein, meine Elisa, die Vernunft gab Dir die Kraft, eine Leidenschaft zu besiegen, und die Natur dieses richtige Gefühl für das Gute und Schöne.
Elisa. Ja! Dank der gütigen Vorsicht, daß ich beyder Stimmen hören konnte, und daß nichts außer mir sie übertäubte! Sie schenken dem Sterblichen, der auf sie hört, die seligsten Freuden!
Henr. Du kannst Dir nicht vorstellen, Elisa, wie sehr, seitdem ich hier bin, mein Glaube an Tugend und an die Glückseligkeit, die sie gewährt, gestärkt ist! – Es ist mir so süß, Deine Seelenruhe zu sehen, ich fühle es überzeugend, daß Du glücklich bist, und glücklich durch die Ausübung Deiner Pflichten!
Elisa. Ja, meine Henriette, ich bin es! Mein
Henr. Ja, meine Elisa, auch ich fühle es, daß die Summe Deines Glücks sich mit der Summe Deiner Pflichten vermehrt. Edles Weib! Dank sey der Tugend, daß sie Dich belohnt für die Opfer, die Du ihr brachtest!
Elisa. Gewiß, Henriette, das thut sie immer, wenn die Menschen dieses nur versuchen wollten. O, es ist so etwas Beruhigendes, so etwas Seliges in dem Gedanken: ich erfülle alle meine Pflichten; und je schwerer sie sind, desto mehr erhebt er uns in unserer eignen Meynung, desto mehr Kraft finden wir in unserm Selbstgefühl, blos nach den Gesetzen des Guten und Edlen zu handeln, selbst mit Aufopferung unserer liebsten Neigungen, um in uns die höchste Stufe menschlicher Größe zu erblicken; denn Eigenliebe und Stolz bleiben doch immer mächtige Triebfedern unserer Handlungen. – Ja, Henriette, oft denke ich, wie weit entfernt ich noch von jener himmlischen Tugend bin, welche immer sich gleich, stets
Henr. Meine edle Freundinn, keine Blicke in die Vergangenheit! Freude und Leid ertheilte das Schicksal Dir in diesem Jahre, muthlos und traurig
Elisa. Besorge nichts, Henriette! Hast Du vergessen, daß ich mir auch Gegenmittel bereitete? O, ich darf nur an meine Einwohner in Wallenthal denken, ich darf nur durch meine Bemühungen Wallenheim zufrieden und freundlich sehen, dann verliert das Andenken von seiner Stärke, und ich werde wieder ruhig.
Henr. Ja, diese Ruhe wird unvergänglich wie Deine Tugend seyn!
Elisa. Enthusiastische Lobrednerinn! Vergißt Du mein voriges Geständniß?
Henr. Du selbst, Elisa, tadelst Du Dich dessen?
Elisa. Ich habe Dir schon gesagt, daß diese fortdauernde Liebe zu Herrmann mich von meinen Pflichten abziehen könnte, und also finde ich sie verwerflich. Allein mir selbst kann ich bezeugen, daß ich diese Liebe zu schwächen mich bestrebe, daß ich nie vergesse, daß ich Gattinn bin, und daß ich noch aufmerksamer auf mich seyn würde, wenn Herrmann gegenwärtig wäre – und endlich, daß ich in ihm die Tugend liebe, und daß zugleich seine liebenswürdigen Eigenschaften es mir ohnmöglich machen, ganz aufzuhören, ihn zu lieben!
Henr. Du entschuldigest Dich also?
Elisa. Ich kann über mich keinen Ausspruch thun, ich habe Dir mein Herz geöffnet.
Henr. In jeder gemeinen Seele würde ich so viel Liebe gegen einen Andern verdammen; aber mit Deiner Standhaftigkeit, mit Deiner Anhänglichkeit an Tugend, wird sie für Dich unschädlich!
Elisa. Glaubst Du, Henriette, daß das Weib, welches gewohnt wäre, alle ihre Begierden zu befriedigen, so lieben könnte, als ich?
Henr. Wahr, Elisa! Du läßt mich fühlen, daß keine gemeine Seele so lieben würde.
Elisa. Ach, ich mag mich nicht entschuldigen! Ich fühle ja, wie theuer mir Herrmann noch ist; allein wenn es nicht in meiner Gewalt ist, meine Neigung ganz zu unterdrücken, so sind doch meine Handlungen in derselben, und nie leitete Leidenschaft diese, sondern Erkenntniß des Guten.
Henr. Ja, Dank dem Urheber Deiner Tage!
Elisa. Wohl, Dank ihm! Bey seinem Andenken schwur ich, der Tugend treu zu bleiben, auch bey dem Andenken des liebenswürdigsten Mannes, und nun bald werde ich es schwören, bey dem heiligen Namen Mutter, den ich erlangen werde! – – Könnte ich wohl einen dreyfachen Meineid begehen?
Henr. O, Tugend! wie erhaben machst du! welch ein seliger Anblick, den Sterblichen zu schen, in dessen Herzen du wohnest!
Elisa.
Henr. Vielleicht kannst Du Wallenheim bewegen, einen Theil des Sommers hier zuzubringen.
Elisa. Vor der Jagdzeit wird er nicht herkommen, und dann fängt die Natur schon an zu trauern. Und das Andenken an den vorigen Sommer wird in B... gewiß mir trauriger seyn, als es mir hier seyn würde.
Henr. Fast sollte ich glauben, daß die Einsamkeit und die Spatziergänge es lebhafter in Dir erwecken, und Dich folglich trauriger machen würden.
Elisa. Nein, Henriette; hier beschäftigen so viele andere Gegenstände meinen Kopf und mein Herz. Selbst wenn ich auf unsern Spatziergängen an Herrmann, an die Liebe und an ihre Freuden dachte, so zerstreute mich das Vergnügen, welches ich immer im
Henr. Es sind aber auch keine Gegenstände da, welche Dich auf diese Erinnerungen leiten.
Elisa. (Lächelnd.) Dann werde ich nichts mehr von meiner Liebe für Herrmann fürchten, wenn ich an ihn erst muß erinnert werden. (Sie seufzt.) Und jetzt – wo jeder Tag mir die Vergangenheit zurückruft! – Doch laß uns hievon abbrechen, Henriette; ich habe schon das Gesetz, welches ich mir machte, überschritten. –
Sie gingen nun schweigend nach Hause. Dieser Abend war für Beyde traurig, denn Beyde empfanden aufs Neue den Schmerz der Trennung. Indeß freuete sich doch Elisa, ihren Gatten wieder zu sehen; ihre Abneigung gegen ihn hatte sie überwunden, und nach ihren Grundsätzen konnte der Mann, der ihr Gatte war, der Vater ihres Kindes seyn würde, ihr nicht gleichgültig seyn. Sie hatte ihm geschrieben, und ihm den Tag bestimmt, an welchem sie zurückkommen würden; allein sie fand ihn nicht zu Hause. Erst um Mitternacht kam er zurück; sie eilte ihm entgegen und umarmte ihn.
Wallenh.
Elisa. In der That bin ich etwas müde; allein ich wünschte doch, Sie heute noch zu sehen!
Wallenh. (Küßt ihre Hand.) Elisa, Sie sind zu gütig!
Ein Lächeln, und der sanfteste Händedruck war ihre Antwort. Wallenheim war gerührt über ihre Aufmerksamkeit, ihre Nachsicht gegen ihn, in dem Augenblick, da er ihr den empfindlichsten Beweis seiner Kälte gegeben hatte. Den ganzen folgenden Tag war er äußerst gefällig gegen sie; allein der Eindruck verlosch wieder, und sein Betragen gegen sie blieb dasselbe. – Erst in der Mitte Augusts reiste Wallenheim mit seiner Gattinn nach Wallenthal. Wie im vergangenen Jahre war dort die Jagd seine einzige Beschäftigung, und Elisa der Einsamkeit überlassen; allein ihre Beschäftigungen machten ihr diese süß. Unaufhörlich mit dem Glücke der Einwohner Wallenthals beschäftiget, vergoß sie oft Freudenthränen, wenn sie auf so vielen Gesichtern Zufriedenheit und Freude las. Täglich besuchte sie die Kinder und die Greise, und der Anblick aller dieser Geschöpfe war eine unerschöpfliche Quelle des süßesten Vergnügens für sie. Auch war sie jetzt nicht blos ruhig und heiter, sondern lustig und froh. Selbst Wallenheim theilte sie diese Heiterkeit mit; oft vergaß er des
Elisa. O, Carl! dann wäre ja mein heißester Wunsch, Sie heiter und glücklich zu machen, erfüllt!
Wallenheim. O, daß ich eine Seele hätte, wie die Ihrige; so empfänglich für jedes Gute, so wohlwollend, so frey von Fehlern, damit auch Sie in der Uebereinstimmung mit mir, so glücklich würden, als Sie es verdienen!
Elisa. Glauben Sie mir, Wallenheim, ich bin es schon durch Ihren Beyfall, Ihre Zufriedenheit, und die Liebe, welche alle diese guten Leute gegen mich hegen.
Wallenheim. (Umarmt sie.) Vortreffliches Weib! –
So nannte Wallenheim stets seine Gattinn, wenn er von ihren Tugenden gerührt war; allein der Eindruck davon war nicht von Dauer. Von Natur
»O, meine Henriette, laß mich Dir das süße Gefühl mittheilen, welches mich jetzt so unaussprechlich glücklich macht! Ich schreibe Dir, neben der Wiege meines Sohns, fast in jedem Augenblicke meine Blicke auf ihn richtend, mein Herz ihm entgegen klopfend. – Wie sanft er ruhet! – O, Henriette! mächtig drängt sich der Gedanke mir auf: Immer wird er so ruhen, wenn Du sein Herz zur Tugend bildest! – Ach! seit dem Augenblicke seines Daseyns fühlte ich diese Verpflichtung, und zitterte, daß ich zu ohnmächtig seyn würde, sie ganz erfüllen zu können! Wie kann man noch leichtsinnig seyn, nachdem man Mutter ist? Wie kann es noch Weiber geben, welche bey dem Gedanken nicht erschüttert werden: Dieses Geschöpf ist deiner Sorgfalt anvertrauet, du kannst vielleicht durch die guten, oder die schlechten Eindrücke, die es durch dich empfängt, das Glück oder das Unglück seines Lebens bestimmen? Und dieses Geschöpf, dessen Schicksal vielleicht in
Ich werde diesen Winter wenig ausgehen. Wie froh bin ich, daß ich von dem Zwange und der lästigen
Ja, Elisa erfüllte sie treu, die Pflichten der Mutter; sie wurde ihres Sohnes erste Erzieherinn, und schon mit dem ersten Augenblick seines Daseyns weihete sie ihm ihre ganze Sorgfalt. Sie hatte es von Wallenheim erlangt, daß, auch nachdem sie aufgehört hatte, ihn zu stillen, sie doch nicht mehr so viel in Gesellschaft zu gehen brauchte, und nachdem Carl ein Jahr alt war, nahm sie ein Frauenzimmer von mittlerm Alter und guter Erziehung zu sich, welcher sie den Plan ihrer Erziehung mittheilte, ihr Verhalten gegen ihn bestimmte, unter deren Aufsicht er blieb, wenn sie abwesend war.
Im Sommer ging Wallenheim mit seiner Gattinn wieder auf einige Wochen nach Wallenthal, und Henriette, welche sie nun über ein Jahr nicht gesehen hatte, erhielt von der Baroninn von Hohnau und Carolinen die Erlaubniß, ihre Freundinn dort
Elisa. (Nach einer Pause, indem Wallenheim noch seinen Arm um sie geschlungen hat, und seinen Sohn liebkoset.)
Wie glücklich unser Carl ist, wenn er zwischen uns Beyden ist!
Wallenh. (Nimmt das Kind auf seinen Arm.) O, Carl, sey Du immer mein Fürsprecher bey Deiner Mutter!
Elisa. Und der Meinige bey Deinem Vater!
Wallenh. (Nimmt ihre Hand und küßt sie.) Nein, meine Elisa, Ihre Tugenden sind das! –
Nun drückte er sein Weib und seinen Sohn noch einmal an seine Brust, und ging hinaus.
Henr. (Nachdem er hinaus ist.) Vortrefliches Weib! Wie rührend, wie erhaben war Deine Sanftmuth, Deine Zärtlichkeit, Deine Güte!
Elisa. Sage auch Wallenheims Vaterliebe, das schweigende Bekenntniß seines Unrechts.
Henr. Jeder Deiner Blicke mußte es ihn ja fühlen lassen. O, er hätte aufhören müssen, ein Mensch zu seyn, wenn Deine Sanftmuth, Deine Zweifel, indem Du wußtest, daß Du Recht hattest,
Elisa. Zu sehr, meine Henriette, erhebt Deine Freundschaft mein Verdienst. Eine Frau sollte, ohne die Zustimmung ihres Mannes, keine Anordnung in ihren häuslichen Angelegenheiten machen; nur weil Wallenheim sich so wenig um die Seinigen bekümmert, und mir oft, wenn ich ihn um Rath frage, antwortet: »Thun Sie, wie Sie wollen!« bin ich genöthiget, fast immer nach meinem eignen Gutdünken zu handeln. Doch selten thue ich es, ohne es ihm zuvor gesagt zu haben; allein als ich diese Anordnung traf, über die er unzufrieden war, war er abwesend, und sie schien mir so nothwendig zu seyn, daß ich weiter kein Bedenken darüber hatte. Allein, aus welchem Rechte konnte ich verlangen, daß Wallenheim sie aus eben dem Gesichtspunkte betrachten sollte, als ich? Es war also meine Pflicht, sie ihm in demselben zu zeigen; aber nicht in einem entscheidenden, seines Rechts sich bewußt, und es behauptenden Tone; dieser erzeugt Erbitterung, und auf der andern Seite auch Behauptung des Willens; sondern Gründe der Vernunft, Sanftmuth und Zweifel über die Gerechtigkeit unserer Sache, müssen wir anwenden, wenn wir überzeugen und uns rechtfertigen wollen. Wer kann ihnen widerstehen? Der Vernunft
Henr. Möchten doch alle Weiber Alles in einem solchen Lichte betrachten, als Du, und solche richtige Folgerungen machen, wie viel seltner würden in den
Elisa. Gewiß, Henriette, wenn Gatten es sich zum Gesetze machten, nur der Vernunft zu folgen, so würde fast immer Uebereinstimmung zwischen ihnen seyn. Wenn entgegengesetzte Meynungen sie von einander entfernen, so muß Vernunft der Mittelpunkt seyn, der sie wieder vereiniget. Von ihrer Fackel erleuchtet, müssen sie unparteyisch die Gründe für und wider untersuchen, und von denen sich leiten lassen, welche sie für die besten erklärt. O, daß wir uns doch gewöhnten, daß wir doch unsre Kinder gewöhnen möchten, von Jugend an nach Gründen zu handeln! Wenn ein Weib in jedem Augenblicke ihrem Gatten sagen könnte: warum sie so gehandelt habe, warum sie so handeln will? – Wenn sie dieses mit Sanftmuth thäte, und Vernunft und Wahrheit wären auf ihrer Seite, würde er wohl da noch zornig seyn, noch hartnäckig seinen Willen behaupten? Allein gesetzt, er fände das Gegentheil für besser, dann ist es ihre Pflicht, seinem Willen gemäß zu handeln, wenn dieses nicht gegen die ersten Pflichten, gegen die Pflichten als Mensch streitet. – Hätte mir Wallenheim heute, nachdem ich ihm meine Gründe vorgestellt hatte, gesagt: Ich finde diese Ursachen nicht hinreichend, und ich will, daß dieses anders eingerichtet werden soll, – so hätte ich seinem Willen gefolgt, ohne ihm weiter etwas zu sagen. Aber auch
Henr. Ich höre Dich mit Vergnügen. O, wenn man diese Grundsätze den jungen Mädchen ins Herz prägte, wenn man sie es empfinden ließe, es ihnen anschaulich machte, welchen erhabenen Platz sie in der Schöpfung einnehmen könnten, wenn ihr Gatte, ihre Kinder, die Unglücklichen, deren Wohlthäterinnen sie waren, und künftige Generationen noch, sie als die Stifterinnen ihres Glücks verehrten, würden sie um diesen Preis nicht den so wenig befriedigenden, so schnell vorübergehenden Vergnügungen, den Künsten der Coquetterie, und das Wohlgefallen daran, welches sie verächtlich macht, entsagen?
Elisa. Ja, Henriette, die wahre Bestimmung des Weibes ist edel, und wer dieses recht empfindet, wird gewiß suchen, sie zu erfüllen. Allein lehrt man sie diese kennen? – In den großen Städten, in der großen Welt, wird der Werth des Weibes in Annehmlichkeit und Grazie gesetzt; zu glänzen, dieses ist der Zweck ihrer Erziehung; hierauf wurden alle Fähigkeiten ihres Geistes gerichtet. Mit dem Verlangen
Kaum hatte Elisa aufgehört, zu sprechen, als Wallenheim mit einem andern jungen Manne hereinkam; er nahm ihn bey der Hand, und führte ihn zu seiner Frau: Liebe Elisa, sprach er, Herr von Felsing ist seit Kurzem unser Nachbar geworden; er ist einer meiner besten Freunde, und er wünschte, die Gattinn seines Freundes kennen zu lernen. Elisa begrüßte ihn freundlich. Felsing blieb zu Mittage bey ihnen; er hatte nicht das Rauhe von Wallenheim, sondern etwas Sanftes und Einnehmendes in seinem Wesen. Die Gewohnheit, sich von ihrer ersten Jugend an zu sehen, hatte Felsing und Wallenheim zu Freunden gemacht; denn Beyder Landgüter gränzten an einander; allein Felsing war erst seit einigen Wochen, nach dem Tode seines Vaters, Besitzer desselben geworden; sein Vermögen war indeß nur mittelmäßig. Er kam oft nach Wallenthal, Henriette gefiel ihm; Elisa sahe mit Vergnügen ihre gegenseitige Neigung. Oft wenn Felsing und Henriette traulich beysammen gingen, dachte sie an Herrmann, an ihre Liebe, und dieses Andenken erpreßte ihr Thränen. Sie verließ sie dann, eilte zu ihrem Carl, drückte ihn an ihren Busen, und rief aus: Du bist Wallenheims Sohn! Mütterliche Liebe unterdrückte das zu lebhafte Andenken an ihren Geliebten,
Elisa. Schon längst billigte ich sie, meine Henriette, und freuete mich, daß durch sie wir nun nicht mehr so viel getrennt seyn würden.
Felsing. O, meine gnädige Frau! könnte ich ihnen die Größe meines Glücks schildern! Noch immer zweifelte ich, ob meine Henriette meine Liebe erwiedern würde. Oft hoffte ich es, wenn ich sahe, daß erröthend ihre Blicke sich von mir wandten, und doch hatte ich nur erst heute den Muth, ihr meine Seele zu öffnen.
Elisa. Einer meiner heißesten Wünsche war Henriettens Glück, und seine Gewährung erfüllt mich mit Freude.
Gerührt umarmten sich Elisa und Henriette. Felsing nahm Beyder Hände und küßte sie; endlich schlang er seinen Arm um Henrietten: O, Henriette! sprach er, ich empfange Sie aus der Hand Ihrer Freundinn! Und jetzt empfand Henriette die ganze Größe des Opfers, welches Elisa der Tugend gebracht hatte; sie empfand, wie viel sie gelitten hatte, und ihre Augen füllten sich mit Thränen. Auch
Felsings Mutter lebte noch, und wohnte bey ihm in Felsingburg. Als Felsing ihr seinen Entschluß eröffnete, Henrietten zu heyrathen, fragte sie gleich: wie viel Vermögen Henriette besäße? Und erklärte ihrem Sohne, nachdem dieser ihr gesagt, daß sie gar nichts besäße, daß sie nie in die Heyrath willigen würde, da sein verstorbener Vater es ihr anbefohlen hätte, keine Heyrath ihres Sohnes mit einem armen Mädchen zu gestatten, weil noch Schulden auf Felsingburg hafteten, welche, wenn nicht ein Theil davon bezahlt würde, vielleicht Felsing in der Folge nöthigen könnten, das Gut zu verkaufen, und er wollte nicht, daß es je aus seiner Familie kommen sollte. Alle Versicherungen Felsings, nie Felsingburg zu verkaufen, sondern durch Sparsamkeit und gute Wirthschaft die Schulden in der Folge abzutragen, konnten Frau von Felsing nicht bewegen, ihren Entschluß zu ändern. Nie, sagte sie, wirst Du mit meiner Einwilligung Fräulein von Wannberg
Niedergeschlagen kam also Felsing am andern Tage nach Wallenthal, und entdeckte Henrietten und Elisa'n die Widersetzung seiner Mutter gegen seine Verbindung, und ihre Gründe dazu. Allein die Gesetze, sprach er zu Henrietten, machen mich unabhängig von dem Willen meiner Mutter; ich bin frey, und nichts soll mich hindern, Sie, liebenswürdige Henriette, die Meinige zu nennen!
Henr. Felsing! Nie werde ich es ohne die Einwilligung Ihrer Mutter! Ich weiß, daß Kinder nicht genöthiget sind, dem Eigensinne ihrer Aeltern ihr Glück zu opfern, daß sie es selbst nicht müssen, wenn nicht unbedingte Nothwendigkeit, oder die dringendsten Ursachen sie dazu bewegen. Allein ich will nicht die Ursache Ihres Ungehorsams gegen Ihre Mutter seyn, durch mich soll das heiligste Band der Natur nicht zerrissen, und Mutter und Sohn nicht getrennt werden.
Nun wandte Felsing auch bey Henrietten vergebens seine Beredtsamkeit an, ihren Entschluß zu ändern; sie beharrte auf ihrem Vorsatz. Elisa versprach Felsingen, am folgenden Tage mit Wallenheim nach Felsingburg zu kommen, und Alles anzuwenden, seiner Mutter Einwilligung zu erhalten. Sie erfüllte ihr Versprechen; allein ihre Bemühungen waren umsonst. Frau von Felsing erklärte; Hätte Henriette
Wallenh. Ich werde Sie nie verhindern, die uneingeschränkte Sachwalterinn Ihres Vermögens zu seyn, es ist das Ihrige; ich bin reich; was Sie verschenken, ist Ihr Verlust!
Lebhaft dankte ihm Elisa; sie konnte kaum ihre Freude verbergen, als sie Henrietten die abschlägige Antwort der Frau von Felsing mittheilte. Am andern Morgen gingen die beyden Freundinnen, wie
Henriette war sehr niedergeschlagen, ihre Blicke weilten auf Elisa'n, welche mit dem vollen Ausdrucke mütterlicher Zärtlichkeit und mütterlicher Freude ihren Sohn anlächelte, der an ihrem Busen lag. Henriette dachte an Felsing, an den Abend, da er ihr hier seine Liebe gestand, und mit dieser Erinnerung verbanden sich dunkle Vorempfindungen von Freuden, die sie gehofft hatte, und welche Elisa's Anblick in ihr erregte. Ihr selber unbewußt, rollten Thränen von ihren Wangen; die aufmerksame Elisa erblickte sie, sie reichte ihrer Freundinn die Hand. Henriette, sprach sie, Dir verdank' ich größtentheils das Glück meines Lebens! Als der Tod mir meinen Vater entriß, und meine Mutter und Caroline nur Gleichgültigkeit gegen die Tochter und die Schwester empfanden, da warest Du mir Alles! Du warest das einzige Geschöpf, welches mich liebte, das Einzige, in dessen Arme ich mit Zuversicht mich werfen konnte! Aber Du befestigtest mein Glück, als Du meine Einbildungskraft ordnetest. Auf wirkliche Gegenstände geleitet, lernte ich durch Dich die wahren Verhältnisse kennen, und die Pflichten, die sie heischen; ich
Henr. Ich verstehe Dich nicht, Elisa.
Elisa. Darf ich Dir nicht einen von den unzähligen Vortheilen zurück geben, welche ich durch Deine Freundschaft erhielt?
Henr. Liebe Elisa, gewährte mir denn die Deinige nicht eben so viel, als Dir die Meinige?
Elisa. O, wenn das ist, meine Henriette, wenn Du fühlst wie ich; dann wirst Du mir meine Bitte nicht abschlagen!
Henr. Und du könntest zweifeln, daß ich etwas Dir versagen würde, was Dir Vergnügen machet?
Elisa. Verzeihe mir, meine Henriette! Aber Du kannst mich so glücklich machen.
Henr. Du spannst meine Erwartung auf das Höchste, so sprich doch!
Elisa. (Umarmt sie) Sey groß genug, meinen Dank nicht auszuschlagen! Erröthe nicht, ein Geschenk von der Freundschaft anzunehmen!
Henr. (Verwundernd.) Was willst Du thun?
Elisa. Dir Deinen Felsing geben! (Sie giebt ihr ein Blatt Papier, welches die Verschreibung der sechstausend Thaler ist.) Hier sind sechstausend Thaler, sie gehörten mir, jetzt Dir!
Henr. Nein, Elisa, Deine Großmuth verschweigt Dir die Größe dieses Geschenks!
Elisa. So siegt falsche Delicatesse über mich, über die Freundschaft? So glaubt Henriette, daß sie größer handelt, wenn sie mich kränkt, als wenn sie mich ihres Glücks genießen ließe? O, Henriette, wir waren ja lange schon über den Werth des Geldes einig, wir sahen es als ein Mittel an, diejenigen Güter zu erlangen, welche viel zum Glücke des Lebens beytragen. Vergnügen und Freuden müssen die Zinsen seyn, welche wir aus dem todten Metalle ziehen; und welch ein reineres Vergnügen könnte ich genießen, als wenn ich meine Henriette glücklich in den Armen eines geliebten und würdigen Gatten sähe, und mir sagen könnte; auch ich arbeitete an ihrem Glück? Welch ein seliges Gefühl, wenn wir uns gegenseitig als die Schöpferinnen unserer Freuden betrachten, und desto inniger uns lieben, wenn wir
Henr. (Wirft sich Elisa'n um den Hals) Elisa, Du hast gesiegt! Ja, ich will Dir jede Freude meines Lebens verdanken!
Elisa. Dank Dir, meine Freundinn! Ganz erkenne ich Deine edle Seele! –
Als Felsing am Nachmittage kam, sagte ihm Henriette, welches Geschenk sie von ihrer Freundinn erhalten hatte. Ich habe nicht erröthet, es anzunehmen, Felsing, setzte sie hinzu; ich kenne die edle Seele meiner Freundinn, sie will nicht Verbindlichkeiten auflegen, sie will Glückliche machen. Sie fühlte, daß ihr Anerbieten mich demüthigen könnte, und sie machte es mir, indem sie selbst demüthig bat, und meine Freundschaft beschwor. O, meine Weigerung würde unedel gewesen seyn! Es hätte geschienen, als setzte ich Mißtrauen in diese schöne Seele; ihr und mir war ich schuldig, ihr diesen Beweis meiner Achtung zu geben!
Felsing bewunderte beyde Weiber, er dankte Elisa'n, sie gab ihm seine Henriette. Nach einigen Tagen lud Wallenheim die Frau von Felsing mit ihrem Sohne zu Mittage ein; sie hatten verabredet, ihr zu sagen, die Baroninn von Hohnau habe Henrietten sechstausend Thaler zu ihrer Aussteuer geschenkt,
Felsing versicherte ihr, nie ihrem und seines verstorbenen Vaters Willen entgegen zu handeln.
Fr. v. F. Nun so heyrathe sie, da sie doch jetzt einiges Vermögen hat!
Felsing umarmte seine Henriette, und führte sie zu seiner Mutter. Nie, sprach Henriette, indem sie die Hand der Frau von Felsing ergriff, nie hoffe ich, werden Sie mich des Namens Ihrer Tochter unwürdig finden! Frau von Felsing umarmte sie: Sie scheinen ein gutes Mädchen zu seyn, sagte sie, und ich freue mich über die Wahl meines Sohnes!
Mit gerührtem Entzücken betrachtete Elisa diesen Auftritt; Henriette blickte auf sie, sie las ihr eignes Glück in ihrer Freundinn Augen, sie flog an ihren Hals, Beyde verstanden ihre gegenseitige Empfindungen, und ihre Umarmung war die Ergießung ihrer Seelen. –
Elisa. (Nachdem siewieder einige Fassung gesammlet hat.) Ach wie froh bin ich, daß sich meine Mutter nicht gleich fand, und einige Augenblicke meinen Empfindungen
Henr. (drückt ihr mitleidsvoll die Hand.)
Elisa. Du bist immer so nachsichtig, Henriette, und ich noch immer so schwach! Aber, ich konnte hier das Andenken an ihn nicht unterdrücken, wo Alles es erweckt! Indeß, fürchte nichts für meine Ruhe, Henriette, ich hatte ja die Kraft mich ihm zu entreißen, sollte ich nicht auch die haben, mich hier, wo Alles meines kurzen Glücks mich erinnert, meiner Tugend zu freuen?
Henr. Ja, Elisa, ich weiß, daß Deine Ruhe erschüttert, nie zernichtet werden kann!
Jetzt hörte man Geräusch im Hause, Elisa konnte nun mit Fassung ihrer Mutter entgegen gehen, und diese freuete sich, sie zu sehen. Caroline empfing ihre Schwester mit Gleichgültigkeit, und Felsing und Wallenheim bezeugten ihr Ehrerbietung. Auch Caroline war Mutter, sie hatte eine Tochter. Allein Elisa bemerkte, daß die Liebe zwischen Wallenheim und seiner Gattinn erkaltet war; Caroline ließ auch ihn die Heftigkeit ihres Charakters empfinden; fast täglich war ein Streit zwischen ihnen, und selten war bey ihnen Uebereinstimmung. Elisa bestrebte sich, ihre gewöhnliche Ruhe und Heiterkeit wieder anzunehmen; sie ging nicht allein spatzieren, und vermied die Spatziergänge, wo sie Herrmann am häufigsten gesehen hatte. Einst fragte
Elisa. Ja, meine Mutter.
B. v. H. Dem Himmel sey gedankt! Deine Schwester lebt fast in beständiger Uneinigkeit mit ihrem Manne, und schon warf ich es mir vor, Deine Neigung gezwungen zu haben, da doch Caroline dadurch nicht glücklich geworden ist.
Elisa. (Gerührt.) Dieser Gedanke beunruhige Sie nie, meine Mutter! Ich besitze die Achtung meines Gatten, und bestrebe mich, sie zu verdienen, und finde mein Glück in den Bemühungen, meine Pflichten zu erfüllen.
B. v. H.
(Mit einem Seufzer, umarmt Elisa'n.) Elisa, ich verkannte Dich!
Sie verließ hierauf das Zimmer. Elisa sahe, daß ihre Mutter ihre vorige Härte gegen sie bereuete, sie wollte sie darüber keinen Schmerz empfinden lassen. Heiterer als zuvor wurde nun ihre Miene; sie scherzte froh mit den Uebrigen, und durch das Bestreben, ihre Mutter von ihrer Zufriedenheit zu überzeugen, vergaß sie, daß in Hohnauschloß sie einst zerstört wurde.
Henriette war nun seit zwey Tagen Felsings Gattinn, und der vierte Tag nach ihrer Hochzeit war zu ihrer und Elisa's Abreise festgesetzt. Elisa konnte aber Hohnauschloß nicht verlassen, ohne noch einmahl die Frau von Birkenstein zu sehen. Sie ging
Fr. v. B.
(Sie noch einmal in ihre Arme drückend.) Elisa, wer einmal meine Liebe erhielt, verliert sie nie.
Sie gingen nun in ein Zimmer; ruhiger Ernst verbreitete sich allmählig wieder auf Elisa's Gesicht.
Fr. v. B.
(Nachdem sie einige Zeit von gleichgültigen Dingen gesprochen haben.) Liebenswürdige Elisa, Sie haben einen meiner heißesten Wünsche erfüllt! O, so oft regte sich das Verlangen in mir, Sie noch einmal zu sehen!
Elisa. Beste Frau, wie hätte ich können in Hohnauschloß seyn, und nicht nach Birkenstein kommen? Nein, das Andenken an Ihre Güte, Ihre Liebe wird nie in meinem Herzen erlöschen!
Fr. v. B. O, meine theure Freundinn, ich freue mich, daß ich in Ihrem Herzen fortleben werde! Die liebenswürdige Henriette verläßt nun auch Hohnauschloß – nun kann ich der Freundschaft, der Liebe Aller, die mir theuer sind, nur noch in Ihrem Andenken genießen.
Elisa. (Eine Thräne im Auge, drückt der Frau von Birkenstein die Hand, nach einer Pause.) Erlauben Sie mir eine Frage, aber ihre Beantwortung kann mich ruhiger machen. – Ist Herrmann wieder glücklich?
Fr. v. B.
(Mit einem Seufzer.) Er ist Geheimderath in D **, und beschäftiget sich, seine Mitmenschen glücklich zu machen, und dem Staate nützlich zu seyn. Diese Arbeit bleibt nicht unbelohnt; sein Glück ist das Glück des Rechtschaffnen; allein sein Herz ist noch das eines Jünglings.
Elisa. Männertugend wird es mit männlicher Kraft erfüllen, und ihn über des Jünglings Empfindungen siegen lassen, und glücklich dann durch sich selbst, glücklich durch den Sieg über Leidenschaft, wird sein Glück erhaben, wie seine Tugend seyn! Ja, diese Hoffnung erfüllt mich mit Freude! Ihr Sohn ist wieder ruhig, dreyfach bin ich es nun!
Fr. v. B. Dank sey der Vorsicht, welche mir noch die Erfüllung meines Wunsches gewährte! Ich lese auch auf Ihrer Stirne Ruhe und Heiterkeit, selbst Ihre Thränen verwischten diese Züge nicht, sie scheinen mit Ihrem Wesen eingewebt zu seyn. – Sie sind also glücklich, meine Elisa! Und Zufriedenheit des Weisen wird vielleicht bald meines Sohnes Eigenthum! Und dieses für Sie Beyde zu erlangen, hätte ich gerne die Ruhe meines Alters aufgeopfert, und neue Beschwerden, neue Trübsale unternommen!
Elisa. (Umarmt sie mit Lebhaftigkeit.) O, noch einmal wieder meine Mutter! Durch Ihre Liebe meine Mutter! – Ja, Sie sehen mich glücklich! Zwar ist Ihr Sohn noch von allen Sterblichen mir der Theuerste, und wird es immer seyn; – allein ich erfülle meine Pflichten, und mein Herz hegt die Empfindungen der Gattinn und Mutter. –
F. v. B. Beyde Nahmen verehren Sie immer, sie sind die ersten Titel des Weibes! Weil Sie ihren Werth recht erkannten, blieben Sie tugendhaft, und wurden glücklich in einer Lage, in welcher die meisten Weiber sich entweder dem Laster oder der Verzweiflung in die Arme werfen.
Elisa. (Drückt Carln an ihren Busen.) Ach, die kennen nicht Muttergefühl!
Fr. v. B. Meine Elisa, mögen Sie eine glückliche Mutter werden! (Sie nimmt Carln und küßt ihn.)
Nun stand Elisa auf; ihre Trennung von der würdigen Frau wurde ihr schwer; auch Henriette vergoß Thränen am Busen der Frau von Birkenstein. Sie drückte Beyde in ihre Arme. Ich werde es nie vergessen, sagte sie, als sie nun sich von ihr losgerissen, daß Sie Beyde am Abend meines Lebens mir manche Stunde erheiterten!
Elisa. (Mit einem Seufzer.) Ach ich verbitterte Ihnen so viele!
Fr. v. B. Nein Elisa, das ewige Verhängniß that es! Menschen müssen wir dieses nicht zurechnen.
Elisa und Henriette ergriffen nun noch einmal ihre Hand, drückten sie, und eilten fort. Sie kamen vor Harbergs Wohnung vorbey. O wie viele Erinnerungen wurden da wieder bey Elisa'n lebhaft! Ich möchte gerne wissen, sagte sie zu Henrietten, wie es dem guten Manne gehet? Komm mit mir hinein!
Harberg saß mit seinem Weibe und mit seinen Kindern am Tische beym Nachtessen. Freudig erschrack er, als er Elisa'n erblickte: Ach gnädige Frau, sind Sie einmal wieder hier gewesen? Ach wie wird sich unsere gnädige Frau gefreut haben!
Elisa. Auch ich habe mich gefreuet, einmal wieder in Birkenstein zu seyn. Wie ist es ihm denn immer gegangen, lieber Harberg?
Harb. Gott, und unserm guten jungen Herrn sey Dank, ich habe nicht Noth gelitten! Wir leben zufrieden! meine Hanne und ich. Aber es betrübt uns oft, daß unsere gute gnädige Frau immer so traurig ist. Ach es ist ganz anders! seitdem Sie und der junge Herr nicht mehr hier sind!
Elisa. Wie so, lieber Harberg? Herr von Birkenstein war ja nur eine so kurze Zeit hier, und ich habe nie einmal die Gelegenheit gehabt, Euch meine Bereitwilligkeit, Euch zu dienen, zu beweisen.
Harb. Wir freueten uns doch, Sie zu sehen. Freylich wir haben noch unsere gute Herrschaft behalten; aber die armen Bauern in Hohnauschloß – Ach, die trauern noch immer, daß Sie nicht mehr da sind!
Elisa. Ich konnte ihnen auch nicht viel helfen, als ich noch zu Hause war.
Harb. O, liebe gnädige Frau, eine kleine Unterstützung ist für einen Armen immer viel! Doch wer weiß, wie es uns noch gehen wird? Man sagt, der junge Herr wird gar nicht wieder ins Land kommen. Wie er hier war, da freueten wir uns immer in ihm! Ich habe oft die alten Bauern weinen sehen, wenn er so recht freundlich und herzlich mit ihnen gesprochen hatte. Gottlob! sagten sie denn, unsere Kinder werden es so gut haben als wir! Aber wenn nun unsere gute Mutter stirbt; ach, dann verlieren wir alles mit ihr!
Harb. Ach, gnädige Frau, ist das Ihr Kind? O, erlauben Sie mir, den kleinen Junker einen Augenblick auf den Arm zu nehmen!
Elisa. I, ja, guter Harberg.
Harb. (Nimmt Carln auf den Arm und küßt ihn.) Hanne, weißt du wohl noch, wie der junge Herr und die gnädige Frau bey unserm Mädchen Gevatter standen, da sagte ich dir noch am selben Abend: Ihre Kinder wollen wir einst recht lieben und ehren, und Gut und Blut für sie lassen.... Ach, da dachte ich, es würde anders kommen! – Doch, wie Gott gewollt hat! Die Kinder unsers jungen Herrn werde ich vielleicht nimmermehr sehen; aber zwischen Ihnen Beyden machten wir keinen Unterschied, und so bin ich doch so glücklich gewesen, und habe Ihren Junker auf meinem Arme gehabt. – (er küßt ihn noch einmal.) Alle Tage will ich zu Gott beten, daß er möge groß und glücklich werden, und Sie recht viel Freude an ihm erleben!
Elisa.
Caroline war hart, selbst Armuth konnte bey ihr nicht Anspruch auf Schonung machen, und ihre unfreundliche Miene entfernte von ihr den Unglücklichen, der es nicht wagte, ihr seine Noth zu klagen. Wallenheim war nicht genug mit dem Zustande der armen Einwohner bekannt; es war also keiner, der sie gegen Carolinens Härte schützte, keiner, der ihrem Mangel abhalf. Elisa unterrichtete ihre Mutter von den Beschwerden und Unterdrückungen, die sie litten, und bat sie, ihnen beyzustehen; die Baroninn von Hohnau versprach es ihr, und vergnügter verließ am andern Tage Elisa Hohnauschloß; denn sie nahm das Bewußtseyn mit, auch hier Gutes gestiftet zu haben.
Sie begleitete Henrietten nach Felsingburg, und blieb einige Tage in Wallenthal. Henriette wollte auch, wie ihre Freundinn, Wohlthäterinn der Menschen werden. Zwar war ihr Vermögen nur eingeschränkt; allein dem wahren Menschenfreunde bleiben Kräfte und Hülfsquellen genug, seinen Mitbrüdern beyzustehen. Sie schlug ihrem Felsing, welcher immer die wohlthätigen Anstalten Elisa's bewundert hatte, vor, zwey Häuser nach eben dem Plane erbauen zu lassen; allein dieß sollte erst in den beyden folgenden Jahren geschehen, weil die Ausgabe für
Elisa war nun wieder in B... Unverändert blieb ihre Art zu handeln, unverändert ihre Sanftmuth, ihre Gefälligkeit, ihr Wohlwollen. Die Geschäfte ihrer Haushaltung, die Besorgung aller häuslichen Angelegenheiten, die Erziehung ihres Sohnes, die Erwerbung höherer Kenntnisse, die Ausbildung ihres Verstandes, die Uebung ihrer Talente, dieses waren ihre Beschäftigungen; zu allen hatte sie Zeit, und stets war sie bereit, ihren Gatten, so oft er es verlangte, in Gesellschaft oder zu Lustpartien zu begleiten, oder in ihrem Hause Gesellschaft zu sehen. Wallenheim fand immer in ihr die muntere Gesellschafterinn, deren Bestreben es war, ihn aufzuheitern, ihn zu ergötzen; aber sie war auch seine Rathgeberinn, seine Freundinn. Ernsthaft, scharfsinnig und klug, wenn er von Geschäften mit ihr sprach, liebevoll und sanft, wenn er verdrießlich war, oder eine Unannehmlichkeit erfahren hatte, und scherzhaft, wenn seine Seele Aufheiterung gebrauchte. Innere Zufriedenheit, Ruhe und Heiterkeit waren mit der Tugend
Stets bestrebte sich noch Elisa, ihren Wirkungskreis zu erweitern; nie glaubte sie, dem Nutzen, welchen sie stiften könnte, Gränzen setzen zu können. Hörte sie von einem Unglücklichen, so eilte sie zu ihm, und bemühete sich, seine Leiden zu vermindern. Anderer Wünsche zu gewähren, Anderer Bedürfnisse zu befriedigen, ruhige Ergebung, aufrichtige Liebe zum Guten in Andern zu befördern, dieses waren ihre Bemühungen, und waren selten fruchtlos, weil sie immer die besten Maaßregeln ergriff. Unter diesen Beschäftigungen verlebte sie jeden ihrer Tage.
Carl war zwey Jahre alt, da wurde Elisa zum zweytenmahle Mutter, und Mutter einer Tochter;
Carl und Henriette machten nun Elisa's süßestes Vergnügen; ihrer Erziehung widmete sie alle ihre Sorgfalt. Als Carl vier Jahr alt war, sagte einst an einem Morgen Wallenheim zu seiner Gattinn: Ich bin entschlossen, Carln in eine öffentliche Erziehungs-Anstalt zu bringen; die Erziehung der Söhne im väterlichen Hause taugt selten etwas.
Elisa. (Erschrocken.) Jetzt schon wollen Sie ihn aus dem Hause bringen?
Wallenh. Warum nicht? Je früher in der Erziehung der Anfang gemacht wird, desto leichter wird sie nachgehends, und desto besser ist ihr Erfolg.
Elisa. Sie haben Recht. Und ich habe mich bemühet, seit der Geburt meines Sohnes diesem Grundsatze gemäß zu handeln. Aber könnten wir ihn nicht noch ferner in unserm Hause erziehen?
Wallenh. Unter ihrer Aufsicht allein?
Elisa. Nein, Wallenheim; ich besitze nicht alle die Kenntnisse, die er einst wird haben müssen, und ich allein kann seine Erziehung nicht vollbringen. Allein wir wollen einen geschickten Erzieher nehmen, und gemeinschaftlich an seiner Erziehung arbeiten.
Wallenh. Sie erzeigen den Hofmeistern viel Ehre, wenn Sie sie Erzieher nennen. Dieses ist eben das, was sie nie sind, und aus eben der Ursache bin ich entschlossen, nie Einen zu nehmen.
Elisa. Es ist der Aeltern Schuld, wenn sie dieses nicht sind; wir wollen ihn dazu bilden. O, Wallenheim, wie kann man sich wundern, daß die Hofmeister nicht Erzieher sind, da die Aeltern selbst es nicht sind? Man betrachte das Betragen der Aeltern gegen ihre Kinder, und gegen denjenigen, denen sie ihre Erziehung anvertrauet haben, wie zwecklos, wie planlos! Der Erzieher sollte der erste Freund der Aeltern seyn; er ist ja ihr Gehülfe bey der moralischen Bildung ihrer Kinder, eben bey dem, was eigentlich sie zu Menschen macht; er theilt ja mit ihnen ihre Mühe für ihr Wohl; ein Zweck, ein Plan, ein Interesse, so viel es seyn könnte, sollte sie verbinden. Man sollte durch Liebe, durch Achtung, durch das Versprechen, ihn Lebenslang zu besolden, ihn zum Mitglied der Familie machen. Dann, Wallenheim, dann würden sich auch Erzieher finden. – Die meisten, welche es jetzt sind, werden, indeß sie eine Stelle bekommen, Hofmeister, um sich ihren Unterhalt zu verschaffen, und werden auch in den meisten Häusern als die ersten Bedienten behandelt. Sie sind jung, sie haben nie über Erziehung nachgedacht, selten darüber gelesen; sie konnten nicht ein eignes Studium daraus machen, weil sie wußten,
Wallenh. Zu allem diesen habe ich nicht Zeit; dieser schöne Plan wird also wohl müssen unausgeführt bleiben.
Elisa. O, so vertrauen Sie mir das Geschäft! Es wird mir zu wichtig seyn, als daß ich es je vernachlässigen sollte! Glauoen Sie denn, Wallenheim, daß Fremde mit mehrerer Aufmerksamkeit über Ihren Sohn wachen werden, als ich, seine Mutter? Glauben Sie, daß ihre Bemühungen für seine Erziehung ernstlicher seyn werden, als die meinigen? Doch vielleicht könnte es mir noch an hinlänglicher Kenntniß fehlen; allein auch die will ich suchen zu erlangen. Sie sollen den Entwurf zu seiner Erziehung beurtheilen, so viel Zeit werden Sie ja wohl haben? Er soll mit dem übereinstimmen, was hierüber am besten gesagt und geschrieben worden ist, und vorzüglich, er soll dem Charakter meines Sohnes angemessen seyn. Versuchen Sie es doch nur! Ueberlegen Sie doch nur meine Gründe!
Wallenh. Welche haben Sie denn gegen die Erziehung außer dem Hause?
Elisa. Beyspiele haben mir so oft gezeigt, daß sie von allen die schlechteste ist; denn sie wird gewiß immer am meisten vernachlässiget. Die Kinder sind ja fast nur in den öffentlichen Lehrstunden unter Aufsicht; auf ihre Handlungen wird nicht gemerkt; man sucht nicht Begierde nach Kenntnissen in ihnen zu erregen, und die Bildung ihres Herzens wird gänzlich unterlassen.
Wallenh. Allein sie lernen Menschen- und Weltkenntniß; sie lernen mit Menschen umgehen, und die Regeln der Vorsicht praktisch ausführen.
Elisa. Sollte man in der Privaterziehung nicht auch diesen Vortheil erlangen können, wenn man Proben veranstaltete, welche die Kinder Erfahrung lehrten? und gesetzt, man erreichte dieses nicht ganz in dem Grade, sollte der kluge, einsichtsvolle, mit festen Grundsätzen begabte Jüngling, wenn er in die Welt tritt, nicht bald lernen, den Regeln der Klugheit und der Vorsicht gemäß zu handeln? Man lehre ihn beobachten, und er wird bald die Menschen und die Welt kennen lernen; und seine Beobachtungen werden für ihn von doppeltem Nuzzen seyn, da er sie nicht unter fremder Leitung, sondern mit dem recht angewandten Gebrauche seiner reifern Vernunft anstellte.
Wallenh. Um eben dieser kluge, einsichtsvolle Jüngling zu werden, will ich ihn in eine öffentliche Erziehungs-Anstalt bringen.
Elisa. Und dieser Zweck wird da vielleicht am ersten verfehlt. Wie kann man über den Vorzug, den die Privaterziehung vor der öffentlichen hat, noch einige Zweifel haben? Man wendet ja auf die erste weit mehr Sorgfalt? Kennt man den Lehrer, dessen Privat- Aufsicht man in einer öffentlichen Erziehungs-Anstalt die Kinder übergiebt? Weiß man, ob er sich ihre Erziehung angelegen seyn läßt? Kann man ihn beobachten? – Nein, man setzt sich außer Stand, die Erziehung seines Kindes selbst zu ordnen, das Fehlerhafte davon zu entdecken, und ihm abzuhelfen. Man weiß vielmehr, daß das Kind meistens sich selbst überlassen ist, daß es mit so vielen die Bemühungen des Lehrers theile, daß es diesem unmöglich ist, seine Beschäftigungen und seine Aufmerksamkeit nur einem zu widmen; man muß es also auf das Ohngefähr ankommen lassen, ob das Kind zum guten oder zum schlechten Menschen, zum nützlichen Bürger, oder zum ausschweifenden Thoren gebildet werde. Allein wenn wir unsern Sohn im Hause behalten, so können wir ja alle Sorgfalt auf seine Erziehung wenden; er bleibt unter beständiger Aufsicht. Und wenn auch Sie, lieber Wallenheim, diesem Geschäfte keine Zeit widmen können, so werden doch die Bemühungen zweyer, die, eines geschickten
Wallenh. Elisa, Sie sollten wissen, daß ich nie von einem einmahl genommenen Entschluß abgehe. Carl soll außer dem Hause erzogen werden.
Elisa. Lieber Wallenheim, ich bitte Sie ja nur, meine Gründe zu prüfen. Carl ist noch so jung, und erhält jetzt dadurch noch keinen Vortheil, wenn er auch in die beste Erziehungs-Anstalt gebracht würde. Sein Alter hingegen erfordert noch so viel Sorgfalt, ist noch so vielen Unfällen ausgesetzt, daß nur älterliche Zärtlichkeit diese von ihm wenden, und jene ihm widmen können. Versuchen Sie also den Plan, den ich zu seiner Erziehung entworfen habe; lassen Sie ihn bis in sein zwölftes Jahr unter unserer Aufsicht in unserm Hause erziehen, und glauben Sie dann
Wallenh. Elisa, ich verlange keine Widerrede mehr; ich habe Ihnen nicht meinen Willen bekannt gemacht, um Widersprüche zu hören.
Elisa. Ach, verlangten Sie mein Glück, mein Leben von mir, Sie sollten sie nicht von mir hören! All in es gilt das Glück meines Sohns – Auch mir gebot die Natur, es zu befördern; sie machte mich zu seiner ersten Versorgerinn, und ich fühle es, daß ihm kein Anderer meine Stelle ersetzen könnte. Auch kann ich mir selbst bezeugen, daß ich bisher die Mutterpflichten gegen ihn treu erfüllte, und dieses Bewußtseyn läßt mich hoffen, daß ich immer im Stande seyn würde, es zu thun. Verzeihen Sie mir also, Wallenheim, meine Einwendungen, da ich sehe, daß Sie im Begriff sind, von einem Ohngefähr die moralische Bildung, und mithin das Glück Ihres Sohnes abhängen zu lassen, indem ich glaube,
Wallenh. Ihre Beredsamkeit ist diesesmahl umsonst! Sagen Sie mir kein Wort mehr, sondern suchen Sie sich in Absicht Carls zu beruhigen; ich werde schon gehörige Sorge für ihn tragen, und bemühen Sie sich, die Trennung von ihm gelassen zu ertragen!
Elisa. (Sie unterdrückt eine Thräne.) Wallenheim, o dann gewähren Sie mir nur eine Bitte! Erlauben Sie mir zum wenigsten, Sie und Carln zu begleiten, damit ich selbst die Personen sehe und kennen lerne, deren Aufsicht mein Carl anvertraut wird, um, wo möglich, ihnen meine Liebe, meine Sorgfalt einzuflößen, und eine Mutter dort bey der Liebe zu
Wallenh. Dieses Alles wird nicht nöthig seyn; ich bin Carls Vater, und werde wohl selbst gehörige Maaßregeln ergreifen können, damit er gut gehalten werde. Auch würden Sie wohl noch wollen Henrietten, ihre Wärterinn und die Mamsell mitnehmen, und mit solchem Gefolge liebe ich nicht zu reisen. Setzen Sie also Carln nur in den Stand, in einigen Tagen mit mir wegzureisen, ohne sich wider meinen Willen zu meiner Gesellschafterinn aufzudringen.
Er verließ hierauf das Zimmer; Elisa war sehr gerührt; sie drückte ihren Sohn mit inniger Wehmuth an ihre Brust. O, mein Carl! rief sie aus, du sollst nicht länger an dem mütterlichen Busen ruhen! – Wallenheim, ich ertrug Alles; aber daß du mich meines Kindes beraubest, daß du mich außer Stand setzest, an seiner Erziehung, an seinem Glücke zu arbeiten, dieses zu ertragen, dazu gehört eine höhere Kraft! – (Eine Pause.) allein er ist Gatte und Vater, und auch hier ist es meine Pflicht, geduldig seinem Willen ergeben zu seyn. Nein, ich will nicht murren, nicht mit ihm zürnen, sondern jedes sanfte Mittel, jede vernünftige Vorstellung noch anwenden, um ihn von seinem Entschlusse abzubringen. Ich will seinen Zorn gelassen ertragen; ich spreche ja für das Wohl meines Kindes, und zu dem Vater desselben. – Und reißt er dich doch aus meinen Armen! – (Sie drückt Carln wieder mit Heftigkeit an ihre Brust.) O, mein Kind, mögest du edel und gut wer den! – Ach, Wallenheim, daß du mich dieses nicht bewirken lassen willst! –
Elisa trocknete indeß ihre Thränen wieder, und erwartete Wallenheim mit heiterer Miene; allein alle ihre Versuche, ihn zu bewegen, Carln nicht aus dem Hause zu bringen, waren vergebens; er beharrte auf seinem Entschlusse. Elisa verbarg zwar vor ihm ihre Thränen; allein es war ihr doch unmöglich, so heiter zu seyn, als sie gewöhnlich zu seyn pflegte. Indeß schien Wallenheim ihre Traurigkeit nicht zu bemerken, sondern reißte mit Carln am vierten Tage, nachdem er Elisa'n seinen Vorsatz entdeckt harte, ab, und brachte ihn nach D**. Diese Trennung von ihrem Sohne war Elisa'n sehr schmerzhaft; allein ihr Betragen gegen Wallenheim blieb dasselbe, blieb gleich sanft und freundlich. Sie reiste nach Wallenthal, um in den Umarmungen der Freundschaft Erleichterung ihres Kummers zu suchen. Felsing und Henriette lebten einig und glücklich; Henriette hatte sich ihre Freundinn zum Muster genommen; sie besaß ihre
Zum Drittenmahle wurde Elisa Mutter. In Wallenthal war es, wo sie, ein Jahr nach Carls Entfernung aus dem Hause, niederkam, und einen Knaben zur Welt brachte. Er war acht Tage alt, und man hatte noch keinen Namen für ihn bestimmt. Wie wollen wir denn unsern Knaben nennen? fragte Wallenheim seine Gattinn, als er mit Henrietten an einem Morgen an ihrem Bette saß.
Elisa. Er mag Herrmann heissen! Sehen Sie Wallenheim, seine große Augen, wie offen sein Blick einst werden wird! O, gewiß, ein süßes Vorgefühl sagt es mir, er wird ein biederer Junge werden, und dieser Name ihm am angemessensten seyn!
Wallenh. (Lächelnd.) Nun, er mag ihn erhalten; denn Sie scheinen sich viel von dem Namen zu versprechen.
Auch Elisa lächelte, und bald darauf ging Wallenheim hinaus.
Henr. (Nachdem Wallenheim das Zimmer verlassen hat.) Elisa! So soll Dein Sohn Dich denn in jedem Augenblick an Deinen Geliebten erinnern?
Elisa. Nenne ihn nicht mehr so, Henriette; als Mutter dreyer Kinder bin ich nun wohl ganz Wallenheims Gattinn. Herrmanns Andenken kann mich nicht mehr schmerzen, kann keine andere Empfindungen,
Henr. (Lächelnd.) Ich erkenne Dich so ganz wieder Elisa! Noch immer ist Dein Gefühl für jedes Gute und Edle schwärmerisch.
Elisa. O, Henriette, in der Liebe schwärmt man immer, so auch in der Liebe zur Tugend! Doch hüte man sich, so viel man kann, vor dieser Schwärmerey! Leicht kann man durch sie die wahre Tugend verkennen, und empfindsame Hirngespinnste an ihre Stelle setzen. Wer wahrhaft warmes Gefühl für Tugend hat, der lasse auch in den Augenblicken der Begeisterung die kalte, prüfende Vernunft seine Führerinn seyn.
Herrmann wurde nun, ohne daß sie es selbst ahndete, seiner Mutter, und bald auch seines Vaters Liebling; allein der Knabe rechtfertigte diesen Vorzug. Er war erst einige Jahre alt, und man bemerkte schon ihn ihm ein gutes fühlendes Herz, und jede Anlage zum großen Geiste. Mit Entzücken drückte ihn oft Elisa an ihre Brust, und sagte dann: O, er wird Dir ähnlich seyn, Herrmann! mein Sohn, mein Herrmann, ich werde dich verehren, wie ihn!
Es waren nun sechs Jahre, daß Elisa in Wallenthal die zehn Kinder angenommen hatte. Sie waren alle sechszehn Jahre alt, und ein jedes hatte gelernt, durch seiner Hände Arbeit sich seinen Unterhalt zu verschaffen. Sie sollten nun eingesegnet werden, und dann das Erziehungshaus verlassen. Elisa reiste zu der Zeit nach Wallenthal, und wohnte der Einsegnung bey. Nach dieser Feyerlichkeit bestellte sie sie auf das Schloß; sie empfieng sie auf dem Hofe; gerührt näherten sich ihr die Jünglinge und Mädchen.
Elisa. Steht auf, meine Kinder, und setzt Euch hier neben mich. (Alle gehorchten, und setzten sich auf die Bänke, welche Elisa für sie hatte hinstellen lassen. Sie fährt fort.) Wir werden uns vielleicht nun nicht mehr oft sehen; es ist vielleicht heute das Letztemal, daß wir hier alle versammelt sind, und glaubt mir, meine Kinder, die Trennung von Euch geht mir nahe; denn Euer Wohl liegt mir am Herzen! – Doch sie ist nothwendig. Ihr seyd nun in einem Alter, in welchem Ihr Euch selbst Euren Unterhalt erwerben könnt, und es ist meine Sorge gewesen, Euch in den Stand zu setzen, dieses thun zu können. Nun ist es Eure Pflicht, für Euch selbst zu sorgen. O, meine Kinder, Ihr nahmt heute die Verbindlichkeit auf Euch, gute Menschen zu seyn; vergeßt dieses nie, wenn Ihr wollt, daß es Euch wohl gehen soll! Seyd treu in Eurem Dienste, arbeitsam, geduldig und liebreich gegen Eure Nebenmenschen; dann werden Eure Herrschaften Euch lieben und Eure Treue belohnen, und diejenigen, mit denen Ihr umgeht, Euch gerne Gefälligkeiten erweisen. Lebt aber auch ordentlich und eingezogen; denn eine liederliche Lebensart stürzt in Unglück, Krankheit und Laster, und seyd versichert, daß, wenn Ihr Euch gut aufführt, Ihr immer in mir eine Mutter finden werdet, die bereit seyn wird, Euch zu helfen. Kommt nur zu mir, wenn Ihr in Mangel oder in Elend gerathet,
Alle weinten, und fielen wieder zu Elisa's Füßen, die nächsten umfaßten ihre Kniee. O, gnädige Frau, o, unsere liebreiche Mutter! nimmer! nimmer!
Elisa. Wenn das ist, meine Kinder, so werde ich Euch ruhiger von hier ziehen sehen; und solltet Ihr auch einmahl einen Fehltritt begehen, so verliert doch nicht Euer Zutrauen zu mir, kommt auch dann noch zu mir, auch dann werde ich Euch aufnehmen, Euch zurecht weisen; denn nie werde ich aufhören, Euch zu lieben! – Sollten jetzt einige von Euch seyn, welche noch keinen Dienst haben, oder noch kein Mittel wissen, sich ihren Unterhalt zu erwerben; so können sie, bis sie einen Dienst bekommen, hier in Wallenthal auf dem Schlosse bleiben, und indeß für uns arbeiten. –
Nun ging Elisa zu einem jeden, richtete ihn auf, drückte ihm die Hand und gab einem jeden zwey Thaler. Dank strahlte aus aller Augen, und ein Jeder versprach es sich selbst, seiner Wohlthäterinn würdig zu bleiben. Elisa las es in ihren Herzen, sie sahe ihren Vorsatz, er erfüllte sie mit
Nun ging Elisa wieder hinunter; ihr Blick schien der Blick eines Engels, und über ihrem ganzen Wesen lag holde Milde verbreitet. Auch schlugen alle Herzen voll Liebe für sie. Es waren auf dem Hofe viele Einwohner des Dorfs versammelt, und alle sagten unter einander: O, wie schön ist unsere gnädige
Elisa hatte für alle Kinder, welche an diesem Tage eingesegnet worden waren, eine Mahlzeit bereiten lassen; sie ließ nun auf dem Hofe einen Tisch decken, und sie mußten sich an denselben setzen. Fröhlichkeit herrschte bey diesem Mahle, und Elisa genoß mit Entzücken den Anblick unschuldiger, jugendlicher Freude. Der kleinen Henriette trug sie auf, zu Allen zu gehen, zu fragen, was sie verlangten, zu sehen, was sie wünschten, und es ihnen dann zu bringen; sie wollte sie jung gewöhnen, Vergnügen in Dienstleistungen, und in der Austheilung von Geschenken zu finden. Die folgenden Tage war Elisa beschäftiget, zehn andere Kinder anzunehmen, welche die Stelle der Erstern ersetzten, und reiste dann wieder zurück nach B...
In dieser Zeit starb Elisa's Mutter, und sie erbte nun ein ziemlich ansehnliches Vermögen; allein gleich einfach blieb sie in ihrer Kleidung, und in ihrer Lebensart; gleich aufmerksam in der Besorgung ihrer Wirthschaft und allen ihren häuslichen Angelegenheiten. Wallenheim hatte indessen schon einen großen Theil seines Vermögens im Spiele durchgebracht, und Elisa's Bemühungen, ihn von dieser Leidenschaft zu heilen, waren vergebens. Auch wollte er
Waldin. Der Dank der Edelsten Ihres Geschlechts ist viel werth, gnädige Frau, und doch wird er nur eine meiner geringsten Belohnungen seyn! Lassen Sie mich Herrmann zum Mann bilden, und ich darf sagen, mein Gefühl wird dem Ihrigen gleich kommen, es wird in sich seine Belohnung führen!
Elisa. Es wird noch erhabener seyn, Herr Waldin. Alles, was ich thue, heißt Muttergefühl mir, und Mutterfreuden werden mich belohnen; aber Ihre Bemühungen sind eben so uneigennützig, als sie groß sind!
Waldin. Und rein wird meine Freude einst seyn! O, gnädige Frau, Sie nur können die Gedanken und alle die seligen Empfindungen begreifen, welche in seinem Gefolge sind! Den Gedanken: ich habe einen Menschen gebildet, ich habe ihn zum nützlichen Mitgliede der Gesellschaft gemacht, ohne irgend ein anderes Interesse als das, Gutes thun zu wollen, ohne irgend einen andern Antrieb als den, meine Pflicht und den erhabensten Beruf zu erfüllen! Alles Gute, welches dieser Mensch thut, fällt mir, als dem ersten Urheber desselben, zu! Wenn er seine Mitbürger beglückt, und sie ihn segnen, so segnen sie mich! Wenn er glücklich durch seine Tugend ist, so ist er es durch mich, und ich zehnfach durch ihn! – Ich arbeitete an dem Glücke der würdigsten Mutter; jede
In diesem Augenblicke kam Herrmann angelaufen; er warf sich auf den Schooß seiner Mutter, und schrie in einem freudigen Tone: Liebe Mutter, ich bin recht vergnügt!
Elisa. Das freuet mich, mein Herrmann; aber was macht Dich denn so vergnügt?
Herrm. Ich gieng vor die Thüre, liebe Mutter, eben als Sie mir die Kirschen und das Brod gegeben hatten, und da saß ein kleiner Junge; er weinte so sehr, und ich fragte ihn weswegen? Er sagte mir, ihn hungerte sehr, und seine Aeltern könnten ihm heute den ganzen Tag nichts zu essen geben; da gab ich ihm meine Kirschen und das Brod. Ich war zwar auch hungrig, und ich hatte mich sehr auf die Kirschen gefreuet; aber ich dachte nicht mehr daran. Ich habe ihm auch gesagt, er sollte auf den Abend wieder kommen, ich wollte ihm mein Abendbrod geben; ich kann ja morgen essen, und des Nachts fühle ich den Hunger nicht. O da war er recht vergnügt, als ich das sagte; er sprang und rennte freudig weg, und das machte mich auch lustig!
Bey diesen Worten hüpfte der Knabe aufs neue. Elisa blickte auf Waldin; inniger Dank war ihr Blick, und eine Thräne der Freude rollte über ihre Wange; sie nahm ihren Sohn in ihre Arme. Waldin verstand den Blick; ihn ganz will ich verdienen,
Elisa. (welche noch immer Herrmannen auf ihrem Schooße hält.) Jedesmahl, mein lieber Herrmann, wenn du den Armen etwas geben, oder etwas thun wirst, was ihnen Freude macht, wirst du so vergnügt seyn.
Herrm. Jedesmahl, liebe Mutter? Und Sie werden mich dann auch immer lieben wie jetzt?
Elisa. Gewiß, Herrmann, ich werde dich jedesmahl mehr lieben.
Herrm. O wenn doch recht oft kleine Jungen kämen, welche hungerten, ich wollte ihnen immer geben, was ich hätte!
Elisa. Weißt Du kein Mittel, Herrmann, wodurch dieses geschehen könnte?
Herrm. Keins, Mutter. – (Es sinnt nach.) Doch etwas fällt mir ein, ich könnte, wenn ich spatzieren ginge, die kleinen Jungen, welche traurig und schlecht angezogen sind, fragen, ob sie hungrig sind? und dann sie mit mir nehmen.
Elisa. Ja, das geht an. Aber sage mir, sagte der kleine Knabe, mit dem du heute sprachest, daß er oft hungere?
Herrm. Das habe ich ihn nicht gefragt. Doch ich weiß schon, was ich thun werde, ich werde ihm
Elisa. Thue das, Herrmann, er soll dann jedes mahl neben dir mit uns am Tische essen.
Herrmann fällt seiner Mutter freudig um den Hals. Neben mir? und ich werde auch essen? O, das ist herrlich! – (Nach einigem Besinnen.) Doch, liebe Mutter, er hat nur so ein schlechtes Kleid an, es ist so schmutzig und so zerrissen.
Elisa. Der arme Knabe, wie mag ihn im Winter frieren?
Herrm. Ach ja! und dann kann er so nicht mit uns am Tische essen.
Elisa. Warum nicht, Herrmann? Dein Kleid ist oft schmutzig, und das deines Vaters und das Meinige sind stets rein; wenn wir dich nun mit dem beschmutzten Kleide nicht wollten an den Tisch nehmen?
Herrm. O liebe Mutter, das wäre hart! Ich kann oft nicht dafür, daß mein Kleid beschmutzt wird; es geschieht auf den Spatziergängen, und wenn ich im Garten arbeite, ohne daß ich es weiß.
Elisa. Der arme Knabe kann noch weniger dafür, daß seine Aeltern ihm kein gutes Kleid kaufen können.
Herrm. Nein, gewiß nicht.
Elisa. Ist denn nun sein Kleid ein Hinderniß, daß er nicht mit uns essen kann?
Herrm. (Beschämt.) Nein, liebe Mutter. – (Er wird nachdenkend, nach einer Pause.) Aber, wenn er doch nun für den Winter ein andres Kleid hätte, damit er nicht zu frieren brauchte?
Elisa. Und gewiß haben auch seine Aeltern nicht einmahl Holz, um einheitzen zu können?
Herrmann, der bisher noch immer im Nachdenken versunken war, springt freudig auf, und klatscht mit den Händen. O, liebe Mutter, mir ist etwas eingefallen; o, er wird nun nicht so frieren!
Elisa. Wie wirst du dem abhelfen können?
Herrm. Ich will ihm eins von meinen Kleidern geben. O, wie vergnügt er seyn wird, wie er springen wird! –
Er läuft freudig fort. Waldin geht ihm nach, ihn zu beobachten. Elisa mit freudigem Entzücken: Herrmann, dein Geist ruht auf ihm! Er wird einst edel seyn, wie Du, und ich werde einst noch in meinem Sohne Dich lieben!
Auf diese Art beschäftigte Elisa sich mit ihren Kindern; täglich wuchs ihre Zärtlichkeit gegen sie, und vorzüglich gegen Herrmann. Carl besuchte seine Aeltern alle Jahre, und jedesmahl vermehrten sich Elisa's Besorgnisse um ihn. Zwar besaß er innere Güte; allein sein Charakter blieb schwankend. Er liebte das Gute, und ließ zum Bösen sich hinreissen;
Ludwig. Ihr Gnaden, er war dicht am Thore, es kann ihm unmöglich mehr etwas zugestoßen seyn.
Elisa. O, es muß doch seyn! Warum würde er aussen bleiben? Er war ja diesen Abend nicht
Ludwig. Ich bitte um Verzeihung, Ihr Gnaden, es ist heller Mondschein.
Elisa. O, es wäre doch möglich! Ich kann unmöglich länger ruhig seyn! Reite er wieder bis an den Ort hin, wo er ihn verlassen hat, Ludwig, ziehe er Erkundigungen von ihm ein, und bringe er mir bald Nachricht von ihm.
Ludwig erfüllte ihren Befehl; allein er kam zurück, ohne ihr eine befriedigende Antwort zu bringen, er hatte nichts von seinem Herrn gehört. Elisa's Unruhe stieg nun immer höher. Sie lief alle Augenblicke an das Fenster, um ihn um so eher zu erblicken; allein der Wächter rief zwölfe, und Wallenheim kam nicht; er rief eins, und Wallenheim war noch nicht da. Endlich hört Elisa das Traben eines Pferdes: O, das ist er! ruft sie froh, und eilt hinaus. Er war es; doch wild und zerstört war seine Miene. Elisa empfängt ihn an der Treppe, und umarmt ihn freudig. O, Wallenheim, wie froh bin ich, daß ich Sie sehe! Ich dachte, ein Unfall wäre Ihnen begegnet, ich konnte mir Ihr langes Aussenbleiben nicht erklären!
Wallenh. (Kalt, erwiedert ihre Umarmung nicht.) Es wäre natürlicher gewesen, wenn Sie geglaubt hätten, Einer meiner Bekannten wäre mir begegnet,
Elisa. (Lächelnd.) O, wer kann immer der geschäftigen Einbildungskraft Einhalt thun, wenn Besorgnisse über einen theuren Gegenstand in uns erregt sind!
Wallenh. (Im vorigen Tone) Es thut mir leid, daß Sie meinetwegen, und ohne Noth diese Besorgnisse gehabt haben. Ersparen Sie sich dieselben in der Zukunft! Ich liebe es ohne dieß nicht, ausgespähet zu werden, und von jedem meiner Schritte Rechenschaft geben zu müssen.
Er wandte sich hierauf weg, und ging in sein Zimmer; auch Elisa ging in das Ihrige, und gab ihren Thränen ungehindert Lauf. Am andern Morgen erwachte sie früh; sie hatte leise das Fenster geöffnet, und stand an demselben, die Morgenluft einzuathmen. An der einen Seite ihres Schlafgemachs war das Zimmer ihrer Kammerjungfer; auch dort waren die Fenster offen. Elisa hört Ludwig hineintreten. Friederike ruft ihm entgegen. Geh er sachte, Ludwig, die gnädige Frau schläft noch, sie ist gestern Abend spät zu Bette gegangen.
Ludw. Unsere gute, gnädige Frau! Sie jammerte mich gestern recht! Wie bekümmert sie war! O, hätte ich ihr nur die Augen öffnen dürfen! Doch aus Liebe zu ihr möchte ich es ihr nicht sagen.
Frieder. Was meynt er, Ludwig?
Ludw. Sie wissen also nicht, Mamsell Friederike, was in der ganzen Nachbarschaft schon längst von unserm Herrn bekannt ist?
Frieder. Ich habe wohl was sprechen hören, doch nichts Bestimmtes. Ich bekümmere mich um dergleichen Geschwätze nicht; der gnädigen Frau darf ich von keinem Menschen, am wenigsten von unserm Herrn etwas erzählen. Sie hat mir gleich gesagt, sie hasse das Klatschen, sie wolle mir alle meine Fehler verzeihen; allein merke sie diesen an mir, so entließe sie mich ihrer Dienste.
Ludw. Die rechtschaffene Frau! Und eine solche Buhldirne muß ihr bey unserm Herrn den Rang ablaufen! Ich ärgere mich jedesmahl, wenn ich mit ihm zu ihr gehen, oder ihr die prächtigsten Sachen hintragen muß. Auch glaubte ich es gestern gleich, daß er bey ihr seyn würde, und die Versicherung davon erhielt ich jetzt von ihrem Bedienten, der so eben einen Brief von ihr brachte.
Frieder. So vornehm ist sie also?
Ludw. Durch unsern Herrn geworden. Allein ein gemeines Mädchen war sie nicht. Sie heißt Mamsell Werner; sie ist eines Mahlers Tochter, und ist viel mit ihrem Vater gereist, der vor zwey Jahren gestorben ist, worauf sie diese Lebensart angefangen hat. Allein jetzt, glaube ich, gehört sie nur unserm Herrn allein, der sie stets seine schöne Rosalie nennt, und bis zum Sterben in sie verliebt
Nicht ein Wort dieses Gesprächs blieb von Elisa'n ungehört; ihr selbst unbemerkt, rollten Thränen von ihren Wangen. Sie machte das Fenster wieder leise zu, um nicht gehört zu werden, und an demselben Tage schrieb sie folgenden Brief an Henrietten.
»Meine Henriette!
Jahre verflossen mir in ruhiger Heiterkeit; glücklich in meinen Kindern, ahndete ich keinen andern Schmerz, als ihren Verlust. Noch gestern glaubte ich nicht, daß ich heute Thränen gekränkter Liebe vergießen würde – Doch, was klage ich? – O, Henriette! wir werden unbillig, wenn wir lange glücklich sind! Wir fordern dann, daß kein Wölkchen den heitern Himmel trüben soll. Doch ich will es nicht seyn, ich will auch jetzt meine Empfindungen unterdrücken – Henriette, Wallenheim liebt, liebt eine Buhlerinn, und diese ist jetzt seine Maitresse. Ein Zufall machte, daß ich heute eine Unterredung zwischen Friedriken und Ludwigen hörte, welche mich hiervon unterrichtete. Ich gestehe Dir, Schmerz war meine erste Empfindung; ich vergoß einen Strom von Thränen. Zwölf Jahre eines traulichen Umgangs, zwölf Jahre durch Ein Interesse verbunden, zwölf Jahre er und die Beförderung seines Glücks
Nun ist es schon ein Jahr, meine Henriette, daß ich Dich nicht gesehen habe! Sehnlich wünschte ich einmahl wieder nach Wallenthal reisen zu können; allein ich darf es jetzt wohl nicht hoffen. Es sind vier Wochen, daß ich Wallenheim mein Verlangen äußerte; allein er antwortete mir, daß seine Geschäfte ihm nicht erlauben würden, diesen Sommer einige Wochen von B ... abwesend zu seyn. Er will sich nicht von Rosalien trennen, und ich will nicht ohne ihn hinreisen; heftiger würde sonst seine Liebe zu ihr, da nichts ihr das Gegengewicht halten würde; allein ich will alle meine Bemühungen anwenden, ihn zu bewegen, mit mir nach Wallenthal zu reisen. Sein Aufenthalt dort würde ihn vielleicht eher zu mir zurückbringen. Abwesenheit würde ihr Bild schwächen, ländliche Stille seine von Leidenschaft berauschte Seele wieder in Ruhe einwiegen, und die natürlichen Empfindungen der Gatten-und Vaterliebe, im Schooße der Natur, vielleicht stärker wieder erregt werden. O, ich kann noch nicht die Hoffnung aufgeben, einmahl wieder seine Liebe zu gewinnen! – Noch sind ihm seine Kinder nicht gleichgültig, Herrmann wird ihm täglich theurer. O, Henriette, wenn Du den Knaben siehest, wirst Du Dich mit mir über ihn freuen! Der Keim jeder Tugend scheint in des Knabens Seele zu seyn. Täglich ruft er mir Birkensteins
An eben dem Tage, als Henriette diesen Brief empfieng, erhielt Felsing folgenden von Wallenheim:
P. S. Zeige diesen Brief nicht Deiner Gattinn.«
»Eilen Sie zu meiner Rettung, Wallenheim!
Bestürzt stand Elisa nach Lesung des Briefes. Thränen rollten von ihren Wangen. Wie zärtlich wird sie geliebt! sprach sie. Sie machte den Brief wieder zu, und legte ihn in Wallenheims Zimmer. Er soll ihn erhalten, sprach sie, nachdem Rosalie schon wird gerettet seyn. Elisa fürchtete, daß Wallenheim
Wallenh. (wird blaß.) Himmel! da ist mein Weib! Was bedeutet das?
Rosalie. (erschrocken.) Ihre Frau? Ich zittere! Ihr ist gewiß der unglückliche Brief in die Hände gerathen, den ich Ihnen am Morgen schrieb?
Wallenh. Wie! wäre das möglich? sie eröffnet meine Briefe nie! Doch welche Absicht es auch sey, welche sie hierher leitet, sie kann nicht anders als gut seyn. Sie kennen das Weib nicht, alle ihre Handlungen sind die eines höhern Wesens.
In diesem Augenblicke kam ein Bedienter herein, und meldete Rosalien eine Unbekannte, welche sie bitten ließ, ihr eine Unterredung einer halben Stunde zu gewähren.
Rosalie. Ich kann sie nicht annehmen!
Wallenh. Nehmen Sie sie an, Rosalie, ich bin Bürge, daß Sie keine Beleidigungen zu befürchten haben, und ich würde es auch zu rächen wissen!
Rosalie. (zum Bedienten.) Nun, so führe er die Dame in mein Zimmer! (Der Bediente geht hinaus) Aber wo bleiben Sie, Wallenheim?
Wallenh. Ich werde hier in dieses Kabinet gehen.
Rosalie. O, entfernen Sie sich nur nicht weiter! Gott! was wird das für eine Unterredung seyn!
Wallenh. (küßt sie.) Werden Sie nicht muthlos, Rosalie, die Liebe wird Ihnen beystehen! – Er ging hinaus, und Elisa trat in das Zimmer.
Elisa. (Nachdem sie eine Verbeugung gemacht hat.) Verzeihen Sie, Mademoiselle, mein Besuch ist vielleicht unbescheiden, allein eine wichtige Angelegenheit führt mich zu Ihnen.
Rosalie. (Verwirrt. Sie ist dieses während der ganzen Unterredung.) Gnädige Frau, in der That kann ich nicht begreifen, wodurch ich die Ehre Ihres Besuchs erhalte, da ich nicht die Ehre habe, von Ihnen gekannt zu seyn?
Elisa. Ich fühle es, ich bin zudringlich, ich muß um Ihre Nachsicht bitten! Der Titel einer Unbekannten, und meinen Namen kann ich Ihnen nicht entdecken, giebt mir keinen Anspruch, von Ihnen gehört zu werden, wenn Sie mir dieses nicht aus Güte gewähren.
Rosalie. Gnädige Frau, Sie setzen mich in Erstaunen –
Elisa. (Einfallend.) Ich werfe mir Ihre Verwirrung vor ... allein, (Sie ergreift ihre Hand.) können Sie einer Unbekannten eine Bitte gewähren?
Rosalie. Ich kann es nicht versprechen, wenn ich nicht ihren Inhalt weiß.
Elisa. Mademoiselle, unwillkührlich, und durch einen Zufall, bin ich die Inhaberinn eines Ihrer Geheimnisse geworden. Werden Sie nicht unwillig darüber! Ich bin benachrichtiget worden, daß Sie dreytausend Thaler schuldig sind, und daß Sie diese gleich bezahlen sollen; ich wußte, daß Sie sie schleunig verlangten, und dieses bewog mich, Ihnen meine Juwelen anzubieten, deren Werth sich auf diese Summe beläuft. (Sie zog bey diesen Worten das Kästchen mit den Juwelen aus ihrer Tasche.) Ich hoffe von Ihrer Großmuth, daß Sie sie nicht ausschlagen werden. Ich kann sie entbehren; doch wollen Sie sie nicht annehmen, so betrachten Sie sie als eine Schuld, welche Sie abtragen können, sobald es Ihre Umstände erlauben. Nur eine Bitte wage ich hinzu zu setzen: sagen Sie keinem Menschen, auch dem Herrn von Wallenheim nicht, daß Sie diese Juwelen erhalten haben!
Rosalie. (bestürzt.) Wissen Sie meine Verbindung mit Ihrem Gatten?
Elisa. Er liebt Sie. Ich wünschte stets sein Glück, o, möchte er es doch finden, selbst in den Armen einer Andern! Ich kann nur bedauern, daß ein unglückliches Verhängniß es ihn fern von mir suchen ließ, ohne ihm andere Fesseln anlegen zu wollen, als die der Liebe! (mit immer steigender Wärme; sie ergreift
Rosaliens Hand.) Werden Sie ihm also, was ich seinem Herzen nicht werden konnte, vergelten Sie ihm wieder Liebe, lassen Sie sie aber nicht bloß in sinnlichen Freuden bestehen, sondern lehren Sie ihn auch das Glück kennen, welches zwey Wesen in der Uebereinstimmung ihrer Seelen finden; daß er mit Entzücken fühlen mag, daß ein Wesen mit ihm verbunden ist, welches jedes Gefühl mit ihm theilt; daß er in dieser Empfindung jede Zufriedenheit, jede Freude des Lebens finden mag! O, darum seyn Sie ihm Geliebte und Freundinn! – –
(Sie will das Zimmer verlassen, Wallenheim eilt aus dem Kabinet, und wirft sich zu ihren Füßen.)
Wallenh. Elisa! edles, großmüthiges Weib!
Elisa. (bestürzt, nach einer Pause.) Wallenheim, Sie hier? Und in welcher Stellung? O, stehen Sie auf!
Wallenh. (immer zu ihren Füßen,) Ich will Ihre Verzeihung erflehen! O, Elisa! mein Herz ist nicht ganz ohne Gefühl! Ich kann den Adel Ihrer Seele empfinden, und in diesem Augenblicke fühle ich keinen andern Schmerz, als daß ich Ihnen keine so erhabene,
Elisa. (gerührt, umarmt ihn, und hebt ihn auf.) Wallenheim, Sie werden mir stets so theuer seyn, als jetzt, und kann ich einst Ihre Liebe erhalten, so wird diese mich zum glücklichsten Weibe machen!
(Thränen glänzen in Wallenheims Auge, er küßt mit Inbrunst Elisa's Hand.)
Rosalie. (nähert sich Elisa'n.) Gnädige Frau, mit dem Bewußtseyn meiner Schuld hätte ich vom ersten Augenblicke an nicht Ihren Anblick ertragen können, wenn Ihre holdselige Güte mir nicht Muth eingeflößt hätte. Ich flehe nicht um Ihre Verzeihung, es ist unter Ihrer großen Seele, solche zu ertheilen, Sie konnten nicht zürnen. Ich habe die Tugend in ihrer ganzen Größe gesehen, und in ihr meine eigne Niedrigkeit erblickt. Mich wieder über mich selbst erheben, und die Wollust fliehen, soll von heute an das Bestreben meines Lebens werden. Ich verlasse morgen B .... Nehmen Sie aber Ihre Juwelen zurück, gnädige Frau, Sie sehen, daß, wenn ich alle diese Sachen verkaufe, die nur Bedürfnisse des Luxus sind, und mir unnöthig werden, ich meine Schuld bezahlen kann. Ich opfere diese Sachen auch nur meinem eignen Stolze; denn sie würden mir unaufhörlich zurufen: Wir sind der Lohn deiner Schande!
Elisa. Wohl Ihnen, Rosalie, Ihre Seele ist unverdorben geblieben! Sie war von der Natur zur (sie ergreift Rosaliens Hand.) Sie sollen der Tugend nicht Ihre Gemächlichkeit opfern, Ihre Rückkehr zu ihr soll Ihnen durch Entbehrung des Angenehmen nicht schmerzhaft werden, Sie sollen nicht in Mangel gerathen; Ihre Phantasie könnte Ihnen sonst Ihre vorige Lage mit verschönerten Farben wieder vorstellen, und sie Sie zurückwünschen lassen. Sie sollen empfinden, daß man im Schooße der Tugend jedes Gute doppelt genießt. Behalten Sie also von Ihren Sachen, was Nothwendigkeit Ihnen nicht heischt, zu verkaufen, und – (sie wendet sich gegen Wallenheim.) Wallenheim, Sie erlauben mir doch, Rosalien meine Juwelen, als ein Geschenk anzubieten?
Wallenh. Sie allein können nur über alles, was Sie besitzen, gebieten, und ich kann nur Sie bewundern!
Elisa. (Erröthet, und mit dem ganzen Ausdruck der Liebe blickt sie auf Wallenheim, zu Rosalien.) Um der Tugend willen also, schöne Rosalie, nehmen Sie mein Geschenk an!
Rosalie. O, gnädige Frau! wollen Sie denn nur allein so großmüthig seyn?
Elisa. Rosalie, in Ihrer gegenwärtigen Lage ist es eben so großmüthig mein Geschenk anzunehmen.
Rosalie. Ich sehe es, es wäre Beleidigung, Sie glauben zu lassen, ich hätte Sie mißverstanden!
Alles, was Sie hier sehen, nehme ich als ein Geschenk von Ihnen an; aber von Allem soll dieses mir das Theuerste seyn. Ich werde es ansehen, als hätten Sie es mir gegeben, um mich zur Tugend zu ermuntern. Es soll gerade über meinem Bette hängen, und an jedem Morgen wird es bey meinem Erwachen das Erste seyn, was ich erblicken werde: ich werde in der Tugend Ihre Züge zu erkennen glauben, und mich dann erinnern, daß ich Ihnen gelobte, zu ihr zurückzukehren.
Elisa. Welche feine Züge des Schönen liegen in Ihrer Seele, Rosalie! sie sind Ihrer äußern Bildung gleich. Seyn Sie unverzagt; einmahl zur Tugend zurückgekehrt, werden Sie ihre Anhängerinn bleiben; da Sie sie jetzt schon verehren, werden Sie sie lieben, wenn Sie sie näher kennen werden! – (Sie umarmt sie.) Leben Sie wohl! Meine besten Wünsche werden Sie begleiten. –
Elisa verließ nun das Zimmer. Wallenheim ergriff Rosaliens Hand, drückte sie an seine Lippen, und rief; Leben Sie wohl, Rosalie! Nach meiner
Wallenh.
Elisa. Ich besitze ja noch mein ganzes Vermögen, theurer Wallenheim. Lassen Sie uns morgen Ihre Angelegenheiten untersuchen, ich werde Ihre Schulden bezahlen, und bleibt uns nicht viel übrig, so wollen wir nach Wallenthal ziehen; unser Aufenthalt dort wird weniger kostbar seyn, als in B...
Wallenh. Elisa! Weib! Ich raubte Dir die Freuden Deiner Jugend. Ich streuete Gram auf den Pfad Deines Lebens; und nun soll ich Dich auch noch Deines Eigenthums berauben? Nun sollst Du in die Einsamkeit fliehen, mit dem Manne, den Da nicht lieben kannst? Nun sollst Du büßen für meine Schuld? –
Elisa. Nicht doch, lieber Wallenheim! Das Vergangene ist nicht mehr. Ich hatte auch Freuden an Ihrer Seite. Wie oft waren wir froh, wenn unsere Kinder um uns spielten! – Da unser Erstgebohrner zum Erstenmahle in meinem Schooße ruhete, o, da umarmten Sie mich mit der innigen Zärtlichkeit des Gattin und des Vaters! – Seitdem wuchs meine Liebe zu Ihnen, und ich darf sagen (Sie ergreift Wallenheims Hand.) O, mein Wallenheim! diese Aussicht ist nicht so trübe!
Aus Wallenheims Augen stürzten Thränen, er umarmte mit Heftigkeit seine Gattinn: Elisa! Elisa! Der Mann, der sie verdient hätte, wäre der glücklichste Sterbliche gewesen! Nach diesen Worten flohe er aus dem Zimmer.
Elisa eilte nun, den Zustand von Wallenheims Vermögen zu untersuchen; alle Gläubiger mußten sich melden, und Elisa fand, daß ihr ganzes Vermögen zur Bezahlung der Schuld erfordert wurde. Sie gab es hin, ohne Klagen, ohne Murren; sie vermied es, mit Wallenheim über seine Angelegenheiten zu sprechen, und nachdem sie in Richtigkeit gebracht waren, ging sie zu ihm, brachte ihm alle Papiere, welche sie hierüber hatte, und gab sie ihm mit den Worten: Wallenthal bleibt uns. – Wallenheim antwortete nicht, er umarmte seine Gattinn, und benetzte sie mit seinen Thränen. Schon seit einiger Zeit hatte Wallenheim den Dienst verlassen, und seinen Abschied genommen, um unabhängiger zu seyn. Er konnte also B.... verlassen. – Dieses geschahe bald. Nicht ganz gleichgültig verließ Elisa B..., sie mußte dem Umgange einiger Personen entsagen, welche ihr theuer waren. Zwar hatte sie ungern in der großen Welt gelebt; allein kleine Gesellschaften
Es war in den ersten Tagen des Märzmonaths, als Wallenheim mit seiner Familie aus B... reiste. Schon hatte die Natur ihr weißes Gewand abgelegt, freundlicher blickte aus Osten die Sonne, und schien den Sterblichen wieder neue Freuden zuzulächeln. Es war über ein Jahr, daß Elisa nicht in Wallenthal gewesen war, über ein Jahr, daß sie der ländlichen Freuden nicht genossen hatte, und sie vergaß, als sie die ersten Spuren des herannähernden Frühlings sahe, alle traurige Empfindungen, welche sie bey ihrer Abreise aus B... gehabt hatte, und überließ sich der Freude, welche sie stets im Schooße der Natur empfunden hatte. Sobald sie in Wallenthal waren, war ihr erstes Bestreben, ihre innere Wirthschaft so viel als möglich einzuschränken, ohne dieses jedoch Wallenheim empfinden zu lassen. Er entbehrte keine seiner vorigen Bequemlichkeiten; zwar herrschte
Wallenheim war nun mit seiner Familie fünf Monathe in Wallenthal, als an einem Abende Elisa allein vor der Thüre auf dem Hofe saß. Sie hörte das Traben eines Rosses, schlug die Augen auf, und erblickte einen Mann, den ihr Herz augenblicklich erkannte; sie flog ihm entgegen, und umarmte ihn mit der ganzen Unbefangenheit ihres Herzens. Schweigend schloß sie Birkenstein in seine Arme, er fühlte sein Herz klopfen, und er empfand, daß dreyzehn
Elisa. (Nach einer Pause.) Willkommen, Birkenstein, willkommen mir! O, wie sehr freue ich mich, Sie zu sehen!
Birk. (Küßt Elisan die Hand.) Indem ich in mein Vaterland zurückkehre, konnte ich nicht unterlassen, derjenigen zuerst meine Aufwartung zu machen, deren Andenken ich stets verehrt habe.
Elisa. Sie kehren also zurück zu Ihrer Mutter? Ich habe lange nichts von ihr gehört.
Birk. (Indem eine Thräne in seinem Auge glänzt.) Ihr Tod ruft mich zurück.
Elisa. (Mit Rührung.) Sie ist todt? – O, würdige Frau! Möchtest Du doch noch jenseits des Grabes diese Empfindungen kindlicher Liebe erblicken können, welche für Dich mein Herz so warm, so innig hegte!
Birk. Dank Ihnen, Elisa, für diese Thränen, welche Sie dem Andenken der beßten Mutter weihn.
Mit stiller Wehmuth gingen Herrmann und Elisa, Hand in Hand den Hof herauf, bis an die Stelle, wo Elisa gesessen hatte. Elisa fühlte, daß ihre Lage in der jetzigen Stimmung ihrer Seele gefährlich war; sie unterbrach das Schweigen, welches so empfindungsvoll war.
Elisa. Birkenstein, werden sie nun wieder Ihr Vaterland verlassen?
Birk. Meine guten Bauern in Birkenstein glauben, durch nichts über den Verlust meiner Mutter getröstet werden zu können, als wenn ich bey ihnen wohne. Sie haben die ersten Ansprüche auf meine Beschützung, auf meine Sorgfalt, und ich darf sie ihnen nicht versagen.
Elisa. Sie sind gewohnt, Glückliche zu machen, Sie werden in dieser edlen Bemühung fortfahren!
Birk. Bisher erfüllte ich nur meine Pflichten; dem Staate, der mich unterhielt, war ich meine Dienste schuldig, und um seine Wohlfarth zu befördern, suchte ich seine Einwohner der Armuth zu entreissen.
In diesem Augenblicke kam Henriette zu ihrer Mutter gelaufen; sie stutzte, als sie einen Fremden erblickte.
Birk. Ihre Tochter, Elisa? O, lassen Sie mich sie an mein Herz drücken! (Er umarmt Henrietten; nach einer Pause.) Nennen noch mehr solcher holdseligen Geschöpfe Sie Mutter?
Elisa. Ich habe noch zwey Söhne, der Aelteste ist nicht in unserm Hause, der zweyte, v. Birkenstein, das ist ein lieber Knabe!
Sie erblickte ihn in der Ferne, und rief ihm zu: Herrmann, Herrmann, komm her! und erröthete, als sie diesen Namen aussprach. Birkenstein bemerkte es; er freuete sich, daß sie ihrem
Elisa. Es ist ein alter Bekannter von mir, Herrmann, der bisher weit von hier gewesen ist.
Herrm. (reicht Birkenstein mit naiver Gutherzigkeit die Hand.) Wenn sie ein Freund meiner Mutter sind, so bin ich Ihnen auch gut!
Birk. (schließt ihn in seine Arme.) Liebenswürdiger Knabe! Sey immer so offen wie jetzt! – O, Elisa! Diese Kinder sagen mir, Sie werden eine glückliche Mutter werden.
Elisa. (gerührt.) Es ist das Einzige, was ich von der gütigen Vorsicht erbitte; jede ihrer Fügungen sind mir willkommen, mögen meine Kinder nur gut und glücklich werden! Es ist mein Bestreben, daß sie das Erste werden, ich weiß, daß man das Zweyte dann ist.
Die Kinder haben sich indeß entfernt; Herrmann ergreift Elisa's Hand: Gefühlvolles Weib! Und wie erhaben in jedem Deiner Gefühle! O, dieser Knabe! Er ist der Abdruck Deiner Seele, seine Züge sind so edel, und doch so sanft das Feuer, das in seinen Augen glühet.
Elisa. Herrmann, kein so feuriges Lob, ich bin jetzt Gattinn.
Birk. O, ich verehre diesen Titel in Ihnen! – Und, meine Elisa, doch auch eine glückliche Gattinn?
Elisa. (Mit Ernst.) Ja, Birkenstein, Wallenheim liebt mich.
Birk. Elisa, ich wollte Sie nicht beleidigen! Leidenschaft lodert nicht mehr in mir; allein warme, innige Freundschaft, diese erlauben Sie mir doch, für Sie zu fühlen?
Elisa. (reicht ihm lächelnd die Hand.) O, nie hörte ich auf, diese für Sie zu hegen! Ich hätte nicht einmahl den Gedanken ertragen können, daß ich Ihnen gleichgültig geworden wäre! O, Birkenstein, zu einer höhern Empfindung, als die brausende Leidenschaft des Jünglings ist, können wir uns erheben! Freundschaft, uneigennützige Freundschaft und wahre Hochachtung wird und soll uns vereinigen.
Birk. (läßt seinen Kopf auf ihre Hand sinken.) Diese Versicherung fehlte mir noch zu meinem Glücke; nun bleibt mir kein Wunsch mehr übrig.
(Jetzt sahe Elisa Wallenheim kommen, sie stand auf, und ging ihm mit Herrmann entgegen.)
Elisa. Lieber Wallenheim, ich stelle Ihnen hier den Herrn von Birkenstein vor, einen Mann, den ich freudig willkommen hieß, weil ich ihm schon seit
Wallenh. (verlegen und kalt.) Ich freue mich, mein Herr, die Ehre zu haben, Ihre Bekanntschaft zu machen.
Birk. (offen, und mit edlem Anstande.) Verbannen Sie jedes Mißtrauen, mein Herr! Es ist wahr, ich liebte sonst Ihre Gattinn; allein meine Liebe zu Ihr entfernte mich von Ihr. Ich kehre jetzt zurück, weil Verehrung Ihrer Tugenden das einzige Gefühl ist, welches ich jetzt für Sie hege, und indem ich nach Wallenthal kam, wollte ich nicht minder mich um Ihre Freundschaft bewerben, als Ihre Gattinn um die Ihrige bitten.
Wallenh. Ich sehe es, daß solch ein Mann von meiner Gattinn geliebt werden mußte.
Elisa. (umarmt Wallenheim.) Lassen Sie uns doch vom Vergangenen nicht mehr reden. Birkenstein, Wallenheim, Sie sind mir Beyde theuer, und dieses muß Sie vereinigen, dieses muß Sie zu Freunden machen.
Birk. (reicht Wallenheim die Hand.) Wollen wir nicht den Willen derjenigen erfüllen, die wir Beyde verehren?
Wallenh. (umarmt Birkenstein.) Der Freund meiner Elisa kann nicht anders als auch der Meinige seyn! –
Birkenstein wollte nun Wallenheim und seine (Nach einer Pause, im erhabensten Tone.) Nein, Herrmann könnte an jedem Tage mir zur Seite seyn, ich würde mich bewachen, so wie heute würde ich an jedem Abend mein Herz befragen, und
Elisa fand ihren Gatten im tiefen Nachdenken; sie flog an seinen Hals. Mein Wallenheim, Birkensteins Besuch hat doch Ihre Ruhe nicht gestört? Gewiß, er würde sich dieses vorwerfen, wenn er es glauben könnte, und mich würde der Gedanke schmerzen! Ja, wenn ich auch einst Birkenstein liebte, so fühle ich doch jetzt zu gut, daß ich Ihre Gattinn bin, und er mir nur Freund ist!
Wallenh. (drückt Elisa'n an seine Brust.) Bestes, edles Weib! Dieser Mann ist ganz Ihrer Liebe würdig!
Elisa. Ja, Wallenheim, er ist edel, und ich schätze ihn, ich liebe ihn als den theuersten meiner Freunde. Aber jene Liebe unserer Jugendjahre – (lächelnd.) o, die ist längst erloschen, und wird nicht wieder angefacht!
Wallenh. Es war nicht dieses, was ich fürchtete. Der einzige Gedanke, der mich beunruhigte,
Elisa. (scherzhaft.) O, weg mit diesen Grillen! Ich stelle mich sonst morgen verliebt in Birkenstein; denn gestraft müßten Sie doch für diesen Gedanken werden.
Wallenh. Er hat also keine Wirklichkeit?
Elisa. (mit Ernst.) Sehen Sie mich an, Wallenheim! Lesen Sie je Unwahrheiten in diesen Blicken?
Wallenh. Nein!
Elisa. Nun dann, wenn diese Augen nie Ihnen logen, so werden sie die Wahrheit meiner Worte bestätigen: daß noch nicht der entfernteste Gedanke von dem, was Sie besorgten, in mir aufgestiegen war.
Wallenh. (umarmt Elisa'n mit Herzlichkeit.) Nun, meine Elisa, bin ich Deinem Birkenstein noch einmahl so gut! –
In der That empfieng Wallenheim am andern Morgen Birkenstein mit einer weit offenern und heiterern Miene, als er am vorigen Tage gehabt hatte. Elisa war hierüber sehr vergnügt, und empfieng Birkenstein mit noch mehrerer Herzlichkeit. Wallenheim wollte seiner Gattinn beweisen, wie entfernt er von jeder Eifersucht sey, und verließ sie und Herrmann bald nach dem Frühstücke. Einige Stunden flohen ihnen nun in traulicher Unterhaltung, in welchen Beyde sich glücklich fühlten. Birkenstein
Birk. Ja, meine süße Elisa, der Tugend Werth lehrt uns erst eigene Erfahrung! Wohl der Jugend, wenn sie sich entschließt, sich selbst davon zu überzeugen! Man mache es sich nur zum Gesetze, sich nie von dem, was Recht ist, zu entfernen, und die schwersten Opfer werden uns dann belohnt, so wenig wir auch in jenen Augenblicken Schadloshaltung für möglich halten. Als das Schicksal mich von Ihnen riß, als ich Birkenstein verließ, da betrachtete ich die ganze Welt nur als eine Wüste, in welcher jede Freude für mich erstorben war. Ich war überzeugt, ich würde mein ganzes Leben hindurch elend seyn, ich würde ihn immer fühlen, den nagenden Schmerz, der mir fast alle Denkkraft raubte. Indeß gewohnt, den Gesetzen des Guten zu folgen, war ich stark genug, mir ihren Anblick zu versagen, welcher mir doch das einzige für mich übrig gebliebene Glück zu seyn schien. Ich sagte mir es nicht; allein das Bewußtseyn blieb mir, daß ich doch noch nützlich seyn könnte, und so suchte ich Dienste außer meinem Vaterlande. Jeder Ort war mir gleich, ich fühlte nur meinen Schmerz, ich kam zuerst nach D ...., und blieb dort. Fleiß, und einige gute Anschläge, welche ich gab,
Elisa. (drückt Herrmanns Hand, eine Thräne glänzt
in ihrem Auge.) O, wir hielten das Gelübde, welches wir einst im Feuer unserer Liebe thaten, stets auf der Tugend Pfad zu wandeln! und wir wurden glücklich! Vereiniget, Herrmann, wäre dieses vielleicht nicht gewesen.
Herrmanns Kopf sank auf Elisa's Hand, sie blieben einige Augenblicke in dieser Stellung. Endlich sagte Elisa: Auch ich, Herrmann, suchte in einer kleinen Sphäre für Menschenwohl zu arbeiten: Kommen Sie! ich will Sie zu meinen angenommenen Kindern, und zu meinen Greisen führen, vielleicht können Sie noch einige Verbesserungen in meinen Einrichtungen treffen.
Herrmann folgte Elisa'n: sie gieng mit ihm in das Erziehungshaus, und in das Pflegehaus der Greise. Er bewunderte, wie mit so vieler Einfachheit sie für das Glück so vieler Menschen arbeitete. Diese Kinder bekamen durch Sie einen Platz in der bürgerlichen Gesellschaft, und am Rande des Grabes fand hier der Unglückliche noch Unterstützung; und dieses waren keine vorübergehenden Wohlthaten, nein, ein ganzes Menschenleben hindurch wurden hier Menschen beglückt. Und dieses geschahe so ganz ohne alles Gepränge. O, Tugend, fuhr Herrmann fort, als er aus dem Pflegehause der Greise ging, hier strahlst Du in Deinem wahren Glanze, erhaben und einfach! Hier sollte eine Welt niederfallen, und Dich verehren!
Elisa hatte ihm gesagt, daß Henriette unweit von Wallenthal wohne, und er beschloß, sie zu besuchen. Nach geendigter Mittagsmahlzeit, nahm Herrmann von Wallenheim und seiner Gattinn Abschied. Er schloß Elisa'n in seine Arme, und fühlte eine Thräne seine Wangen hinabrollen, und sahe auch die Ihrige in ihrem seelenvollen Auge; fest drückte er den jungen Herrmann an seine Brust, der zu ihm sagte, Lieber, fremder Mann, besuche uns doch bald wieder! Herrmann lächelte, küßte ihn noch einmahl, und eilte hinaus. Wallenheim begleitete ihn, Herrmann umarmte ihn noch einmahl. Ich scheide doch als Ihr Freund von Ihnen?
Wallenh. (drückt ihm die Hand.) Ja, Birkenstein, mein Weib ist zu tugendhaft, Sie zu edel, als daß Ihr Besuch Besorgnisse in mir erweckt hätte, Ich habe Sie kennen gelernt, und liebe Sie.
Birk. Ich danke Ihnen, Wallenheim, für dieses edle Vertrauen! Nie werde ich es mißbrauchen, ich fühle mich stark genug, den Anblick Ihres Weibes zu ertragen, und doch – nur in vielen Jahren sehen wir uns wieder!
Nun schwang er sich auf sein Pferd, und eilte fort. Elisa sahe ihm nach, und trocknete ihre Augen. Herrmann erblickte bald den Thurm von Felsingburg; er ließ sich bey Henrietten melden. Birkenstein? fragte sie staunend, und schon sahe sie ihn den Hof heraufkommen. Sie ging ihm entgegen: Staunen und Freude, Sie zu sehen, Birkenstein, machen mich fast unfähig, Sie zu begrüßen!
Birk. (Küßt ihr die Hand.) Welch ein süßes Vergnügen ist mir dieses, mir schmeicheln zu können, daß ich noch unter die Zahl Ihrer Freunde gehöre?
Henr. (Lächelnd.) Sie trauen also der Abwesenheit nicht viel?
Birk. So nicht, gnädige Frau! Bey Gott, ich fühle es, es giebt Verbindungen, welche durch nichts geschwächt werden, und so war auch die Unsrige!
(Jetzt begleitete Birkenstein Henrietten in ihr Zimmer, Felsing war abwesend; doch erwartete ihn Henriette am Abend.)
Birk. (Nach einer Pause.) Ich komme von Wallenthal!
Henr. O, hätte ich doch dem ersten Augenblicke Ihres Wiedersehens mit Elisa'n beywohnen können!
Birk. Wir freueten uns Beyde, unsere Beyder Herzen schlugen heftiger. O gnädige Frau, Jünglingsfeuer rollt nicht mehr in meinen Adern; allein wärmer schied ich doch von ihr, als ich bey meiner Ankunft war.
Henr. Sie lieben sie noch?
Birk. Ueberzeugt, daß ich nur warme, innige Freundschaft für sie empfand, kam ich nach Wallenthal. Ihr Anblick rufte in mir die Scenen der Vergangenheit zurück, ich umarmte meine vorige Geliebte; aber dieser Name konnte nur auf einen Augenblick mein Herz erschüttern, ich war gewohnt, sie mir als Wallenheims Gattinn zu denken; allein Elisa'n sehen, ihre Tugenden bewundern, sie geliebt zu haben, und nur ihr Freund bleiben – nein, Henriette, das vermag ich noch nicht! Welche sanfte Gefälligkeit hat sie gegen ihren Gatten, wie geflissen war sie, durch ihr Betragen ihm jeden Verdacht gegen sich und mich zu benehmen! Ihr Lächeln, jede ihrer Mienen spricht ihm Liebe, und doch mir so zugethan, so unverstellt, so offen in ihrem Betragen gegen mich. Indem sie nur jedes Verlangen ihres Gatten aus seinen Augen zu lesen schien, um diesem zuvorzukommen, indem sie uns auf die angenehmste Art unterhielt, wendete sie doch eine beständige Aufmerksamkeit auf ihre Kinder; Keins ihrer Worte entging ihnen, und ich sahe, daß Elisa in keinem Augenblicke aufhörte, ihre Erzieherinn zu seyn. Und
Henr. Und Sie sahen sie nur einen Tag, Birkenstein? Wenn man ihr aber in jedem Auftritte ihres Lebens folgt, wie viel größer erscheint sie dann! Der erste Augenblick, in welchem Wallenheim sie in seine Arme empfing, war für sie abscheulich, und doch von diesem Augenblicke an, versagte sie sich jeden Gedanken an Sie. Der rauheste, der mürrischste Mann, den ich je sahe, war Wallenheim,
Birk. Wie vortrefflich schildern Sie Ihre Freundinn, Henriette! Und wie nahe müssen Sie selbst dem Bilde kommen, dem Sie so aufrichtig ihre Verehrung zollen!
Henr. Die innigste Freundschaft vereinigte uns ja stets; schon in unsern Frühlings-Tagen machte mich der Gedanke stolz, daß die, welche ich so sehr liebte, sich vielleicht einst dem Gipfel weiblicher Vollkommenheit nähern würde.
Birk. O, Henriette, welche Tage rufen Sie zurück! Doch, meine Elisa wäre nicht das Muster weiblicher Tugend geworden, wäre sie nicht die Gattinn des Mannes geworden, vor dem sie Widerwillen empfand.
Henr. (Nach einer Pause.) Also ersetzte noch kein Weib Elisa's Stelle in Ihrem Herzen?
Birk. Keins, und wird es nie; denn Elisa ist einzig. Zwar sahe ich manches liebenswürdige Weib; allein Elisa's Bild, ob ich gleich nicht mehr liebte, entfernte doch jede andere Liebe von meinem Herzen. Sie war die Erste, die dieses Gefühl mich kennen lehrte, und das in seiner ganzen Reinheit. Elisa vereinigte Alles: Verstand, Reitze, Tugend, Liebenswürdigkeit, und nur die höchste Liebe konnte man für sie empfinden. Nie wird eine zweyte Liebe in meinem Herzen Platz finden, und der Gedanke erregt mir Widerwillen, mein Schicksal mit einem Weibe zu vereinigen, welches ich nicht so lieben könnte, als
Henr. Aber, Birkenstein, fürchten Sie nicht, einst eine Leere in Ihren Herzen zu finden, wenn kein Gegenstand es fesselt, keiner Ihre liebende Seele erfüllt?
Birk. Nein, Henriette! Die Unglücklichen sollen mich fesseln! Die, deren Loos ich verbesserte, meine Seele erfüllen! Ich werde für sie arbeiten, ich werde suchen, frohe Menschen um mich zu versammeln, und ich werde glücklich seyn! Ich werde Elisa's wohlthätige Anstalten nachahmen, ich werde Menschen erziehen, und auch in Birkenstein soll, wie in Wallenthal, das dahin sinkende Alter Unterstützung finden. Wie viel Gegenstände, Henriette, welche mein Herz erfüllen werden! und dann, Elisa und ihre Kinder – Elisa, welche mir immer theuer seyn wird, und in deren Gesellschaft ich künftig manche Stunde verleben will! Wundern Sie sich nicht über diesen Vorsatz, Henriette, jetzt reise ich weg, und
Henr. (gerührt.) Herrmann! Elisa! Möchten doch eure Namen in den Annalen der Tugend aufgeschrieben werden!
Herrm. (drückt Henriettens Hand.) Ja, Henriette, wünschte ich, daß er je unvergeßlich würde, so wäre es dort!
Herrmann und Henriette schwiegen, und dieses Schweigen war feyerlich und ernst; ein Wagen, der daher rollte, weckte sie aus ihrem Nachdenken, und Felsing trat herein. Herrmann und Felsing wurden Freund, und erst am andern Tage schied Herrmann von ihm und seiner Gattinn. Viel sprachen Elisa und Henriette bey ihrem Wiedersehen von ihrem Freunde; allein Henriette sahe bald, daß Elisa über ihr Herz gewacht, und jede aufkeimende Empfindung darin unterdrückt hatte. In der That suchte Elisa, seitdem Herrmann in Wallenthal gewesen war, ihrem Gatten noch mehr Liebe zu beweisen. Er sahe diese Bemühung, schätzte sein Weib um so mehr, und Beyde waren glücklich.
Es war ein Jahr, daß sie nun in Wallenthal waren, da wurde Herrmann krank; man fing bald an, für sein Leben besorgt zu seyn. Elisa zitterte, sie verließ sein Bette nicht, ihre Augen füllten sich mit Thränen, wenn sie auf ihren Sohn blickte, und doch wollte sie sie vor ihrem Gatten verbergen, der trostlos
Elisa weinte, sie umarmte ihren Gatten. Lassen sie uns stark seyn, Wallenheim! Wir dürfen ihm nicht unterliegen, dem Schmerze! Wir müssen – (hier stockte ihre Stimme, und ihre Thränen flossen häufiger) wir müssen für unsere andern Kinder leben!
Wallenheims Thränen verdoppelten sich, er verließ das Zimmer; da sank Elisa auf ihre Kniee, sie nahm des Knaben Hand, ihr Kopf sank auf dieselbe: O, Herrmann, mein Sohn, bald wirst du nicht mehr seyn! Im stummen Schmerze blieb sie liegen. Endlich stand sie auf, blickte gen Himmel, umarmte dann Herrmann: Ach, seitdem er lebt, hat er mein Herz mit Freude erfüllt! so manchen süßen Augenblick gewährte er mir! Dank dir, mein Sohn! Dank Dir, gütige Vorsicht, die mich acht Jahre durch ihn eine glückliche Mutter seyn ließ! Ich will sie nicht (sie bricht aufs neue in Thränen aus.) O, mein Herz ist zerrissen! Aber meine Standhaftigkeit soll mich nicht verlassen! – Dir, gütige Vorsicht, opfere ich meine Leiden, opfere ich den Schmerz, der jetzt in meinem Busen wühlt – Beym Eintritte in die Welt, harrten meiner Leiden und Freuden! – Ich will sie tragen die Leiden, ich genoß ja die Freuden! – (sie wirft sich wieder auf Herrmanns Bette.) O, Herrmann, mein Sohn, du wirst nicht mehr seyn! – Aber, Elisa, deine Pflichten hören nicht auf! Dein Gatte, deine übrigen Kinder leben, du mußt an ihrem Glücke arbeiten! Dazu berief dich die Natur! Und ehe sie mich nicht zurückruft, vom Schauplatze des Lebens, eher darf ich nicht aufhören zu wirken! Dazu muß ich stark seyn! – (sie fällt nieder auf ihre Kniee, und hebt die Hande gen Himmel.) Ja, ich will es seyn! – Ich will mit ruhiger Ergebung das größte der Leiden tragen – ich will ihn bekämpfen, den Schmerz – ich muß Wallenheim trösten – O, Wallenheim! Du sollst nicht zu gleicher Zeit deine Gattinn und deinen Sohn verliehren!
Nun stand Elisa auf, und setzte sich wieder neben ihrem Herrmann; er war schon seit zwey Tagen ohne Empfindung. Sie nahm ihn oft in ihre Arme, weinte; aber eben so oft blickte sie empor zum Himmel, und rief aus: Du wirst mich stärken, großes Wesen!
Elisa. Ja, mein Wallenheim, suchen Sie auf einige Stunden zu ruhen. Unser Sohn stirbt noch nicht! Noch ist der Faden seines Lebens nicht durchschnitten! Vielleicht! – doch gehen Sie jetzt, Ihre Gegenwart hier würde mich noch mit mehrerer Besorgniß erfüllen, ich würde auch für Sie zittern!
Wallenheim umarmte sie, weinte, und verließ das Zimmer. Elisa glaubte, daß Herrmann in dieser Nacht sterben würde, und sie wollte nicht, daß Wallenheim diesem traurigen Auftritte beywohnen sollte. Wallenheim ging zu Bette, von Gram und Thränen abgemattet, schlossen sich seine Augen. Er war eine Stunde weg, da hörte Elisa ihren Sohn leise röcheln; das Röcheln nahm zu, sie sah mit unverwandtem Blick auf ihn, ihr Busen hob sich hoch und heftig, Schmerz wüthete in ihrem Innern. Jetzt drängt sich das letzte Röcheln aus Herrmanns Brust, seine Seele entfliehet, seine Augen sind auf ewig geschlossen! Elisa sinkt auf den todten Leichnam, sie heftet ihre Lippen auf die entseelten Lippen ihres Kindes, hier bleibt sie eine halbe Stunde liegen; man will sie wegbringen. O, laßt mich, ruft sie aus, meinen Schmerz
Wallenheim hatte einige Stunden geschlafen; allein schon lange hatten ihn bange Besorgnisse geweckt. Indeß herrschte eine Stille im ganzen Hause, und diese ließ ihn nichts Böses ahnden. Endlich klingelt er; da trat Elisa herein, warf sich in seine Arme, und rief aus: O, mein Wallenheim! er ist nicht mehr! – Ach, wir verbanden uns, Freude und Leid zu tragen!
Wallenh. Herrmann? Elisa! Herrmann? –
Elisa weinte. Auf ewig, auf ewig Dich verlohren? rief Wallenheim.
Elisa. (drückt Wallenheim an ihren Busen.) Mein Wallenheim, mein Gatte, laß uns stark seyn!
Lange weinten nun Beyde; endlich sagte Elisa! Trocknen Sie Ihre Thränen, Geliebtester, kommen Sie, beym entseelten Körper meines Sohns wollen wir Standhaftigkeit schwören!
Wallenh. Elisa, Du bist ein Weib, Du bist Mutter, und Du kannst? –
Elisa. Ach, Wallenheim! mein Herz ist zerrissen; aber ich habe gelernt Leiden zu tragen!
(Sie steht auf und ergreift Wallenheims Hand.) Wallenheim, laß uns weinen um unsern Sohn; lange werden meine Thränen noch fließen; aber daß der Schmerz uns nicht unsere Pflichten versäumen lasse.
Nun riß sie ihn mit sich fort, ging zu Henrietten, tröstete sie. Bald kam Felsing mit seiner Gattinn. Mit inniger Theilnehmung umarmte Henriette ihre Freundinn. Komm auf einige Tage mit deinem Gatten und Henrietten nach Felsingburg, sprach sie zu ihr, Waldin und Felsing werden alles besorgen!
Die Scenen des Kummers, die Zurüstungen trauriger Obliegenheiten zu vermeiden, ist Pflicht, wenn man sich ihrer entziehen darf. Dieses wußte Elisa, und sie folgte ihrer Freundinn. Die Beerdigung ihres geliebten Sohnes wurde nun Felsings und Waldins Geschäft, und nach sechs Tagen kehrte die Wallenheimsche Familie nach Wallenthal zurück. Wallenheim und seine Gattinn setzten ihrem Sohne kein Denkmahl; sie wußten, er wurde in ihren Herzen fortleben; aber sie wollten durch keinen sinnlichen Gegenstand ihrem Schmerze Nahrung geben.
Gleich nach Herrmanns Tode hatten Wallenheim und seine Gattinn Carln kommen lassen. Die Natur erwachte jetzt aufs neue aus ihrem Schlummer; das grüne Gewand der Erde ging wieder aus ihrem Schooße hervor; aber die blühende, lachende Natur goß neue Traurigkeit in Wallenheims und seiner Gattinn Herzen. Ach, sagte Elisa, Alles bluhet, und
Wallenh. (nimmt Henrietten wehmüthig in seine Arme) Armes Mädchen! (er weint.)
Ja, Elisa, jeder Baum im Tannenwalde hat mich an den Knaben erinnert! Wenn ich mit ihm auf die Jagd ging, und er dann vergnügt an meiner
Elisa. (drückt Wallenheim die Hand und trocknet ihre Augen; nach einer Pause.) Meine Wallenheim, blicken Sie um sich, die Natur ist noch immer schön! Zwar ein großer Theil unsers Glücks, unserer Freuden ist uns entrissen; aber viel bleibt uns noch übrig! Unsere Kinder werden wieder lustig werden, sie werden, hoffe ich, gut werden, und uns noch manche Freude gewähren! Wir werden noch manchmahl hier der sanften Freuden der Natur genießen! Sehen Sie das lachende Grün, hören Sie das frohe Zwitschern der Vögel! O lassen Sie Ihr Herz die Uebereinstimmung, die Harmonie der Natur empfinden, und wenn wir dann um unsern Herrmann weinen, so lassen Sie uns auch empfinden, daß in der Schöpfung doch noch Freuden für uns sind!
Wallenh. (umarmt Elisa'n.) Sanftes, liebevolles Weib! Ja, ich fühle mich getröstet, ich fühle mich stärker, wenn ich bey Ihnen bin! –
Auf diese Art bestrebte sich Elisa, immer Wallenheims Gram zu mindern, und dem Ihrigen das Bittere desselben zu benehmen. Zwar trauerte sie lange
Jahre verflossen nun, ohne daß der Wallenheimischen Familie etwas Merkwürdiges begegnete. Henriette war der Gegenstand der Zärtlichkeit ihrer Aeltern geworden; allein Elisa hatte über ihre Liebe zu ihr gewacht, und hatte mit den Jahren ihre Sorgfalt für ihre Erziehung verdoppelt; und schon erkannte man in Henrietten die Tugenden ihrer Mutter. Herr Waldin war in Wallenthal geblieben, bis daß er einen Dienst bekommen hatte, welchen er durch Elisa's Bemühungen erhielt. Als er weg war, erhielt Henriette allein ihren Unterricht von ihrer Mutter, welche sich täglich um mehrere Kenntnisse bewarb, um den Verstand ihrer Tochter gehörig zu bilden. Uebrigens blieb Elisa sich gleich; der Jugend Blüthe war von ihr geschwunden, aber nicht der Reiz derselben; in keine ernstern Falten zog sich ihre Stirne; eben das ruhige, sanfte Lächeln thronte noch auf ihren Lippen, und eben derselbe liebevolle Blick, der einst Herrmann zuerst die Liebe kennen lehrte, begleitete noch jede ihrer Handlungen, und jedes ihrer Worte. Unaufhörlich blieb sie beschäftiget, die Summe des Glücks zu vermehren, und nachdem die Zeit und ihre Bemühungen den Schmerz über Herrmanns Tod getilgt hatten, rief sie die Freude zurück an ihre Seite, und verbreitete sie wieder über Alles, was
In seinem funfzehnten Jahre war Carl in den Militairdienst getreten; oft schon hatte Elisa bittere Thränen um ihn vergossen. Sein Charakter hatte keine Festigkeit bekommen, seine Leidenschaften, welche heftig waren, keine gehörige Richtung. Sie hatte Wallenheim oft ihre Besorgnisse mitgetheilt, ohne ihm indeß Vorwürfe zu machen; allein er wollte aus falscher Schaam es nie gestehen, daß sein Weib Recht habe, und nie hatte sie ihn bewegen können, in Absicht Carls andere Maßregeln zu nehmen. Er war nun vier Jahre beym Regimente, und überließ sich jetzt, da er sich frey glaubte, seinen Leidenschaften ohne Einschränkung. Das Spiel war fast seine einzige Beschäftigung, und die Stunden, welche er fern vom Spieltische zubrachte, verlebte er in den Armen feiler Buhlerinnen. Er war zwanzig Meilen von Wallenthal entfernt; allein Elisa ließ ihn beobachten, sie war von jeder seiner Handlungen unterrichtet; aber sie verschwieg ihrem Gatten seine Aufführung, um ihm die Vorwürfe, welche er sich machen könnte, zu ersparen, und auch, weil sie besorgte, daß er vielleicht, um ihn zu bessern, falsche Maßregeln ergreifen könnte. Sie wollte einige Zeit seine Leidenschaften ausbrausen lassen; sie glaubte, daß, wenn ein
Und Elisa reiste.
Sie trat in S.... in einem Gasthofe ab; sie verbarg ihren Namen; viel hörte sie von ihrem Sohn sprechen; er hatte zweytausend Thaler Schulden in S...., und täglich fand man bey ihm eine Versammlung von Spielern und Freudenmädchen. Inzwischen erzählte man sich auch Züge seines guten Herzens: Der junge Wallenheim, hörte Elisa einige Männer sagen, kann nur der Verführung nicht widerstehen; es ist zu viel Schwäche in seinem Charakter; ich weiß, daß er oft die besten Vorsätze nimmt, allein sie schwinden im andern Augenblicke, sobald einer seiner Freunde zu ihm sagt: komm mit mir zum Pharotische.
Aus allen diesen Reden schöpfte Elisa Hoffnung. Er ist noch nicht ganz verdorben! sagte sie zu sich selbst. Sie erfuhr, daß am andern Tage wieder eine Versammlung seiner Spielgesellen bey ihm seyn würde. Sie bat die Wirthin, bey welcher Carl wohnte, ihr für ein gutes Trinkgeld zu erlauben, während der Zeit, daß bey dem jungen Wallenheim Gesellschaft wäre, sich in dem Zimmer neben dem Seinigen aufzuhalten. Die Frau gestattete ihr dieses, und Elisa ging am Nachmittage dahin. Bald hört sie das wilde Jauchzen, die üppige Fröhlichkeit Carls und seiner Gesellschafter; sie unterscheidet unter ihnen zwey weibliche Stimmen, welche ihn zum Spiele
Wallenh. Schweig! es ist meine Mutter!
Nun wurde die Bestürzung unter Carls Gesellschaftern allgemein; alle schwiegen.
Elisa. (nähert sich ihm einige Schritte.) Carl, und du heißest mich nicht einmahl willkommen?
Carl. (bedeckt sein Gesicht mit seinen Händen.) O! meine Mutter!
Elisa. Carl! wenn die kindliche Liebe nicht in dir spricht, so spricht doch die mütterliche Liebe desto lauter in meinem Herzen! Komm in meine Arme, ich habe dich in so langer Zeit nicht gesehen.
Carl. (stürzt sich schluchzend in Elisa's Arme.) O, meine Mutter! darf ich Sie umarmen?
Elisa. Bist du denn mein Sohn nicht mehr? Carl! laß mir die Hoffnung, daß der Knabe, den ich unter meinem Herzen trug, nicht ganz aufhören kann, mein Sohn zu seyn!
Carl. Meine Mutter! Was kann ich Ihnen sagen? Ich kann mich nicht rechtfertigen, alles spricht hier gegen mich.
Elisa. Laß diese Zeugen deiner Handlungen in der Zukunft aufhören, und ich werde sie vergessen!
Carl. Ach, Mutter! ich fühle es, ich muß ein schlechter Mensch seyn, daß ich solch ein Wüstling wurde, und solche vortreffliche Mutter habe!
Elisa. Genug, mein Sohn, von dem Vergangenen. Laß mich hoffen, daß du dich in der Zukunft meiner Leitung überlassen wirst, und ich werde auch durch dich eine glückliche Mutter werden.
Carl. Mutter, wenn der Eindruck Ihrer Güte nicht fest in meiner Seele haftete, so müßte ich jede Empfindung verlieren, und aufhören ein Mensch zu seyn!
Elisa. (hebt Carln auf, und umarmt ihn.) Dank dir, mein Carl, für die süßen Hoffnungen, mit welchen du mich belebest. O, wenn du weise und gut seyn wirst, dann, dann drücke ich dich noch mit mehrerm Entzücken an mein Herz, als am Tage deiner Geburt!
Carl weinte am Halse seiner Mutter. Carl, sagte endlich Elisa, du vergissest deine Gesellschafter.
Aber unser Geld, Wallenheim? flüsterten ihm Einige leise zu.
Carl. Ich werde es euch zustellen! jetzt habe ich es nicht.
Baron von T...
(Der wildeste von Carls Gesellschaftern.) O, deine Mutter wird dich zum Heiligen machen, und dann wirst du eine Spielschuld nicht bezahlen, gieb sie nur lieber gleich!
Carl. Aber T..., ich habe sie nicht!
B. v. T... Na, Bruder, dann komme ich morgen früh wieder: denn länger warte ich nicht!
Elisa. (hat indeß ihre Uhr abgemacht, und reicht sie dem B. von. T...) Mein Herr, diese Uhr wird den Werth der Summe ausmachen, welche mein Sohn Ihnen schuldig ist!
Carl. O, meine Mutter!
Baron von T...
(verwirrt.) Ich kann warten, meine gnädige Frau!
Elisa. Einmahl muß die Schuld doch bezahlt werden.
Carl. Aber, liebe Mutter, Ihre Uhr!
Elisa. Ich bin nicht reich, Carl!
Carl, (schlägt sich verzweiflungsvoll vor die Stirn.) O, ich Elender!
Elisa. (zum Baron von T...) Ich bitte Sie, mein Herr, nehmen Sie die Uhr! Mir bleibt kein anderes Mittel, meines Sohnes Schuld abzutragen.
Baron von T...
(nimmt die Uhr gerührt.)
Alle entfernten sich, indem sie sich ehrerbietig gegen Elisa'n verneigten. Die beyden Freudenmädchen blieben. Mit frecher Geberde stellten sie sich an ein Fenster, und sprachen zusammen. Elisa that, als bemerkte sie sie nicht, und Carls Verwirrung stieg immer höher; endlich nähert er sich ihnen: Wollen Sie mich nicht auch jetzt verlassen? sprach er.
Nach erhaltener Bezahlung, Herr von Wallenheim, war Beyder Antwort.
Carl. Aber, Mädchen, ihr seyd ja noch für diese Nacht frey. Warum sollte ich euch bezahlen, da ich euch nicht von weiterm Verdienste abhalte?
Die Eine. Herr von Wallenheim, wir kamen unter der Bedingung, daß Sie jeder von uns fünf Louisd'or geben würden. Sie wissen, wir gehen nicht zu einem jeden.
Carl. Aber, Mädchen, ich habe euch nicht gebraucht!
Die Andere. (laut lachend.) Darum bleiben wir auch hier, um uns unser Geld noch zu verdienen.
Die Erste. Und genug, Herr von Wallenheim, wir geben nicht ohne Bezahlung.
Carl. (hitzig.) O, der unverschämten Geschöpfe!
Die Vorige. Keine Beschimpfungen, Herr von Wallenheim! Auch wir werden uns Recht verschaffen können; entweder bezahlen Sie uns, oder wir verklagen Sie morgen. Baron von T... ist Zeuge Ihrer Versprechungen gewesen, auf ihn berufen wir uns!
Carl. (für sich.) Was soll ich anfangen? (er wirft sich seiner Mutter zu Füßen.) O, meine Mutter, befreyen Sie mich!
Elisa. (geht zu den beyden Mädchen, und giebt jeder fünf Louisd'ors. Beyde entfernen sich augenblicklich.)
Elisa. (nachdem sie hinausgegangen sind.) Dieses sind also die Freuden, Carl, denen du deine Ruhe, dein Glück, deine Ehre opferst? Denn ein Mann von Ehre wird die Drohungen einer öffentlichen Buhldirne als einen Schimpf ansehen, den er nicht ertragen kann; ein Mann von Ehre wird nicht anderer Geld entwenden; denn Schulden machen, die man nicht bezahlen kann, ist doch wohl so gut als Raub? – Und diese Freuden erkaufst du mit den Thränen deiner Aeltern? Armer Jüngling, wie wenig mußt du mit den wahren Freuden des Lebens bekannt seyn, um diesen ein so großes Opfer zu bringen!
Carl lag noch auf seinen Knieen und weinte. Scham, Reue und Liebe zu seiner Mutter waren die
Carl richtet seinen Blick furchtsam auf seine Mutter; er hätte gewünscht in die Erde sinken zu können. Nun traten die Herren herein, und zogen Rechnungen und Schuldverschreibungen heraus. Was ist das, Carl, fragte Elisa? Nichts, gnädige Frau, antwortete jener Mann, welcher schon zuvor gesprochen hatte, als Rechnungen und Schuldverschreibungen, welche sich auf zweytausend Thaler belaufen, welche Ihr Herr Sohn uns schuldig ist.
Elisa. (erschrocken.) Gott! zweytausend Thaler? Wo soll ich die hernehmen?
Der Gläubiger. Gnädige Frau, richten Sie es ein, wie Sie können; nur soviel sage ich Ihnen, wenn wir nicht bezahlt werden, oder Sie uns nicht Bürge für die Bezahlung sind, so lassen wir den jungen Herrn nicht aus der Stadt.
Elisa. Meine Herrn, hier sind fünfhundert Thaler, in jedem der drey folgenden Jahre sollen Sie eine gleiche Summe erhalten, und im Vierten die Zinsen des Capitals. (Sie setzt sich hin und schreibt.)
(Sie zählt auf einen Tisch hundert Louisdo'r.)
Die Gläubiger nahmen nun mit vielen Complimenten von Elisa'n Abschied. Sobald sie das Zimmer verlassen haben, bricht Elisa in Thränen aus.
Carl. Meine Mutter, Sie weinen? O, ich Unglücklicher!
Elisa. Mein Herz ist zerrissen. Wozu habe ich mich anheischig machen müssen? Meinen Vergnügungen habe ich kein Geld bestimmt, ich kann also das Geld, deine Schulden zu bezahlen, nicht mir entziehen; denn ich habe keine andere Ausgaben für mich, als die, welche unbedingte Nothwendigkeit fordern. Und das Wenige, welches ich zur Annehmlichkeit deines Vaters und deiner Schwester bestimme, soll ich ihnen entziehen? O, ich werde die Klagen des Vaters über den Sohn hören müssen, der ihm nichts übrig ließ, als das bloße Stück Brod! Ich werde meine süße Henriette in den Jahren der Freude sehen, und ihr jedes Mittel zum Vergnügen entziehen müssen! Doch schwerer noch wird es meinem Herzen werden, dem Unglücklichen jede Hülfe zu versagen! Die Summe, welche ich den Armen gab, ist die einzige, über welche ich bestimmen kann, das Einzige, welches ich besitze. Armer, hülfloser Greis, wenn du nun vor meiner Thür vorbeyschleichest, darf ich dir nicht mehr ein Labsal reichen! Ich muß
Carl. (wieder zu den Füßen seiner Mutter.) Meine Mutter! O, wie groß ist meine Schuld! Ich fühle es, Sie können mich nicht mehr lieben!
Elisa. (Mit sanfter, rührender Stimme, indem sie ihn umarmt.) Du bist mein Sohn!
Carl weinte noch einige Zeit in ihren Armen; endlich sprach Elisa zu ihm: Ich wünschte, daß du mich begleitetest! Du bist in langer Zeit nicht in Wallenthal gewesen, siehe zu, daß du auf drey Monathe Urlaub bekömmst.
Carl erhielt diesen Urlaub. Elisa kehrte am Abend in den Gasthof zurück, und sagte ihm, daß sie ihn am andern Morgen erwarte, um mit ihm abzureisen. Carl kam am andern Morgen; er fand seine Mutter schon angekleidet; allein er sahe weder eine Kutsche, noch Pferde. Haben Sie die Postpferde schon bestellt? fragte er nach einiger Zeit.
Elisa. Ich habe kein Geld mehr, und ich mag
Carl. Meine Mutter! Sie, zu Fuße gehen, von hier bis Wallenthal; es sind ja zwanzig Meilen!
Elisa. Ich kann es nicht ändern, Carl. Freylich wird es langsam gehen; allein in sieben Tagen denke ich hinzukommen.
Carl. Meine Mutter, alle die Mühseligkeiten einer solchen Reise wollen Sie ertragen? O, ich bitte Sie, borgen Sie die Summe, welche zu Ihrer Reise erforderlich ist, und ziehen Sie es mir von meinem Taschengelde ab!
Elisa. Nein, mein Sohn, ich will deinen Bedürfnissen nichts entziehen. Laß mich zu Fuße gehen, du wirst sehen, ich werde es schon aushalten können.
Carl schwieg, er machte sich Vorwürfe, und verabscheuete seine vorige Aufführung. Elisa hatte nun alles zur Abreise bereitet; ein Bedienter hatte sie begleitet; sie versprach ihm, den Weg, den er mit ihr machen müßte, zu belohnen. Sie wollte durch dieses Mittel Carln lange seine Schuld empfinden lassen. Sie machten sich nun auf den Weg, Carl ging beschämt durch die Straßen; es demüthigte ihn, daß man seine Mutter und ihn in diesem geringen Aufzuge sahe. Er war auf dem ganzen Wege traurig und niedergeschlagen; oft weinte er, wenn er seine Mutter vor Hitze und Durst ganz abgemattet sahe, und sie dann ermüdet auf den Rasen sank, und nur nach einigen Stunden
Wallenheim eilt Elisa'n entgegen, und schließt sie in seine Arme. Aber, theure Elisa, wir haben kein Geräusch gehört, sind Sie denn nicht gefahren?
Elisa. Nein, Wallenheim!
Wallenh. (verwundert.) Warum nicht?
Elisa. Ich konnte nicht.
Wallenheim sieht sie voller Verwunderung an, und erblickt Carln, welcher verwirrt an der Thür stehen geblieben ist. Elisa wendet sich um. Wallenheim, ich habe Ihnen unsern Sohn mitgebracht. Carl warum begrüßest du nicht deinen Vater?
Carl nähert sich beschämt und verwirrt; Wallenheim empfängt ihn kalt; Henriette hat sich indeß in die Arme ihrer Mutter geworfen. Alle nähern sich nun Elisa'n und bewillkommen sie.
Birkenstein. Elisa, Sie sehen mich hier unter der Zahl ihrer Freunde, und gewiß nicht als einen der Letzten, der sich freuet, Sie zu sehen!
Elisa. Birkenstein, Sie können glauben, daß meine Verwunderung, Sie hier zu sehen, mir nicht unangenehm ist.
Birk. (Drückt Elisa'n die Hand.) Unsere Herzen verstanden sich ja immer, sie sind gewiß auch einstimmig im süßen Tone der Freundschaft!
Elisa erwiederte den Druck der Hand.
Birk. Ich bin jetzt Ihr Nachbar. Ich habe mir ein Haus im Städtchen R... gekauft, und von nun an verlebe ich hier die Hälfte des Jahrs.
Elisa. O welch ein herrlicher Einfall! Nun werde ich also stets im Kreise aller meiner Lieben seyn!
Birk. Konnten Sie denn glauben, daß ich mich stets Ihres Umgangs, Ihrer Freundschaft entziehen würde? Nein, Elisa! Jetzt können wir uns ohne Gefahr sehen, und jetzt wollen wir uns ruhig im Genusse unserer Freundschaft freuen.
Elisa. Dank Ihnen, Birkenstein, daß Sie durch Ihren Aufenthalt hier noch die Summe meines Glücks vermehren werden!
Birk. O, um diese Worte aus dem Munde des verehrungswürdigsten Weibes zu hören, lohnte es der Mühe, Leidenschaften zu bekämpfen, und weise zu werden!
Froh brachten Wallenheim und seine Gattinn mit ihren Freunden den Abend zu. Zwar war Elisa außerordentlich ermüdet; allein dieses blieb unbemerkt,
Ein ganz anderes Betragen hatte der junge Felsing; er war seit vier Jahren vom väterlichen Hause entfernt, und seit einem Jahre auf der Universität in G ...; jetzt war er während der Ferien nach Felsingburg gekommen, und wollte zwey Monathe dort bleiben. Seine Bildung war angenehm, und in seinem äußern Anstande vereinigte er mit dem Feuer der Jugend sanften Ernst. Mit Eifer und Fleiß ergab er sich den Studien, und diese Neigung entfernte ihn von Ausschweifungen. Mit trefflichen Anlagen war er auf der Schule unter die Aufsicht eines geschickten Mannes gekommen, welcher seiner Seele eine edle Bildung gab, und seine Leidenschaften auf
Doch fast eben so sehr als Carl beschäfftigte ietzt Henriette ihre Aufmerksamkeit. Henriette und Felsing hatten sich oft gesehen, und Elisa bemerkte, daß Henriette freudiger aufblickte, wenn Felsing in die Stube trat; daß sie roth wurde, wenn man von ihm sprach; daß ihre Blicke mit Vergnügen auf ihm verweilten, und daß Henriette in Felsings Abwesenheit nicht mehr so fröhlich, so heiter als ehedem, ja sogar unruhig war, wenn sie ihn erwartete. Aber auch in Heinrichs Augen glänzte ein höheres Feuer, wenn er mit Henrietten sprach, und es blieb Elisa'n nicht unbemerkt, daß ein sanfter Händedruck oft seine Begrüßung war. Mit doppelter Aufmerksamkeit beobachtete Elisa ihre Tochter, ohne sie dieses merken zu lassen, und beschäfftigte sie mehr als sonst, um sie jetzt nicht den Spielen der Einbildungskraft zu überlassen, welche bald jene aufkeimende Liebe zur lodernden Flamme werden läßt. Elisa theilte Wallenheim ihre Beobachtungen mit. Wird Felsing ein redlicher
Es war nun am Tage vor Heinrichs Abreise. Wallenheim war mit seiner Familie zwey Tage in Felsingburg gewesen, und er und Elisa baten beym Abschiede Felsing und seine Gattinn, den letzten Tag von Heinrichs Aufenthalte in Felsingburg, in Wallenthal zuzubringen. Henriette kam, wie gewöhnlich, nach dem Frühstücke schon angekleidet zu ihrer Mutter. Schwermuth lag in ihren Zügen, ihr Blick war trübe, und ihre Augen roth vom Weinen. Elisa that, als merkte sie dieses nicht, war noch liebevoller gegen sie, und umarmte sie mit inniger Zärtlichkeit. Henriette, welche in dieser Stunde stets ihrer Mutter aus philosophischen Schriften etwas vorlas, wobey Elisa fortfuhr, ihre Begriffe zu bilden und zu erweitern, ergriff auch heute ein Buch; allein sie war zerstreut, ihre Stimme zitterte, sie hörte nicht ihre Mutter, wenn diese sprach, und antwortete ihr nicht.
Elisa. Henriette, du bist heute vielleicht zum Lesen nicht aufgelegt. Du bist nicht wohl. Lege das Buch weg, meine Tochter; du mußt dir keinen Zwang auflegen!
Henriette. (Macht das Buch zu, erröthet, und schlägt die Augen nieder.)
Elisa. Komm zu mir, meine Henriette, setze dich hier neben mich. Du bist seit einiger Zeit nicht mehr so fröhlich als sonst, und dieses thut mir wehe! Das Glück meiner Kinder ist mein einziger Wunsch; alle meine Handlungen zielen dahin, und es schmerzt mich, daß ich diesen Zweck versehle!
Henr. (Wirft sich weinend in die Arme ihrer Mutter.) O, meine gütige, meine liebe Mutter!
Elisa. Besitze ich dein Zutrauen nicht? Ich würde doch so gern Alles thun, um die Ursache deines Mißvergnügens aufzuheben?
Henriette. Meine Mutter, ich hätte Ihnen schon lange alles gesagt, wenn ich nur recht gewußt hätte, was eigentlich in meinem Herzen vorginge; allein ... (Henriette erröthet, und wird verwirrt.)
Elisa. Liebe Henriette, ich errathe dich. Gieb mir die Hand, meine Tochter, erröthe nicht. Es ist das erste, das seligste Gefühl, welches die Natur in unsere Herzen legte, wir müssen es nur gehörig leiten, und dieses zu thun, versprich mir, meinen Beystand anzunehmen.
Henr. O, meine Mutter, leiten Sie mich! Gern, gern folge ich Ihnen, müßte ich auch meine Liebe zu Heinrichen aufgeben. Wenn Sie es wollten, so wüßte ich, es wäre gut.
Elisa. Dieses ist der seligste Augenblick meines Lebens! In meiner Kinder Herzen versprach ich mir den Lohn für jede meiner Handlungen, und Dank dir, meine Henriette, du hast meine Erwartung nicht betrogen! Du wolltest mir deine Liebe aufopfern? Ich weiß, was dieses deinem Herzen kosten würde. Und meine sorgfältigsten Bemühungen für dein Glück sollen mich deines unbeschränkten Vertrauens immer würdiger machen!
Henr. (Küßt ihrer Mutter gerührt die Hand.)
Elisa. Jetzt laß uns von deinen Angelegenheiten sprechen. Gestand dir Felsing seine Liebe?
Henr. Meine Mutter, ich will Ihnen Alles, Alles sagen, was zwischen uns vorgegangen ist. Ich hatte bisher auf meine Empfindungen nicht gemerkt; ohne es zu wissen, empfand ich Vergnügen in Felsings Gesellschaft. Felsing war so zuvorkommend gegen mich, er suchte mir immer Gefälligkeiten zu erzeigen, oder mir Vergnügen zu machen; sein Ton war so sanft, wenn er mit mir sprach; seine Worte hatten so das Gepräge der Innigkeit und Herzlichkeit, daß ich immer gerührt war, wenn ich einige Stunden mit ihm verplaudert hatte. Gestern auf unserm Spatziergange redete er mit mir von seiner Abreise; das machte mich (in einem ängstlichen Tone) meine Mutter, entscheiden Sie!
Elisa. Sey ruhig, liebe Henriette, du wirst stets Gebieterinn über dich selbst bleiben, nur du kannst über dich bestimmen! Aeltern haben bloß das Recht, ihren Kindern das Beste vorzustellen, ihnen die Mittel zu zeigen, durch welche sie glücklich werden können, die Wahl, welche sie ergreifen wollen, muß ihnen überlassen seyn. Hier hört das Recht der Aeltern auf; der Menschheit heilige Rechte nehmen ihren Anfang, und der Mensch muß es dem Menschen überlassen, welche Mittel zur Erreichung seines Glücks er nach seinen Empfindungen und Vorstellungen für die besten hält, und ihn diese ergreifen lassen. Ich will dir also meine Gedanken über eine Verbindung mit
Vergißt sich Heinrich in deiner Gegenwart, läßt er sich in deiner Gegenwart durch Schönheit, Annehmlichkeit oder Sinnlichkeit zu diesem oder jenem Weibe hinreissen, und giebt ihr durch sein Betragen den Eindruck zu erkennen, den sie auf ihn gemacht hat; so thue, als sähest du dieses nicht. Dein Ton, deine Laune, deine äußere Stimmung müssen dieselben bleiben; ohne den Schein davon zu haben, wetteifere in Annehmlichkeiten mit deiner Nebenbuhlerinn, und besonders hüte dich, weder öffentlich, noch allein mit deinem Gatten, ihm dann weniger Achtung, oder mehrere Gleichgültigkeit zu bezeigen. – Und bey dem allem, Henriette, kann dir sein Herz entrissen werden. Der Eindruck, den man auf den Jüngling macht, ist nicht dauernd: Oft die Sinnlichkeit befriediget, und die Liebe verfliegt. Es ist nicht das Alter, in dem der Mann geschickt ist, Gatte und Vater zu werden, und die vielen Heyrathen, welche jetzt von Jünglingen geschlossen werden, müssen das
O, wie viel anders ist es, wenn der Mann heyrathet, bey dem mit den Jünglings-Jahren auch die Jünglings-Leidenschaften aufgehört haben! Seine Gattinn ist nicht bloß der Gegenstand, der nur seine Begierden befriedigen soll; nein, er sieht zugleich in ihr seine Gesellschafterinn, seine Freundinn. Er hat jedes Vergnügen genossen, jetzt will er der Ruhe genießen, und sie soll sie ihm versüßen. Bleibend wird der Eindruck seyn, den das Weib seiner Liebe auf sein Herz gemacht hat, wenn sie diese zu erhalten weiß. Nicht wilder Ungestüm
Die Leitung eurer häuslichen Angelegenheiten mußt du allein übernehmen; genau mußt du, wenn du Heinrichs Gattinn bist, dich mit den seinigen bekannt machen; allein wider seinen Willen unternimm nichts! Bestrebe dich nur, daß jede Anordnung, welche du triffst, so und nicht anders am besten ist; dann wird Heinrich deine Maaßregeln billigen, und du überhebest ihn der kleinen häuslichen Sorgen, welche dem Jünglinge den Ehestand zuwider machen, woraus bald Gleichgültigkeit oder Abneigung gegen seine Gattinn, als die Ursache derselben, entspringt, und jedes häusliche Glück untergräbt. Allein, mehr als der Mann, hat der Jüngling Launen und Eigensinn; diesen gieb nach, und bestrebe dich nur, so viel als möglich, sie unschädlich zu machen!
Kannst du dieses alles erfüllen, Henriette? Nun, so werde Felsings Gattinn! Doch auch jetzt überlaß dich nicht ganz deiner Liebe! Heinrich sahe erst wenig Mädchen, jetzt erst hat sich sein Herz den Empfindungen der Liebe geöffnet, er sahe dich zuerst, und er liebte dich. Ob aber in deiner Abwesenheit
Henr. Meine Mutter, Heinrich ist kein gewöhnlicher Jüngling! Sie kennen seine edeln Grundsätze. Uebereinstimmung erzeugte unsere Liebe, und ich darf hoffen, daß er mich immer mehr als jedes andere Mädchen lieben wird! Doch, meine Mutter, der Tugend, so wie der Nothwendigkeit, werde ich immer meine Leidenschaft opfern können, und Sie und ich wollen über mein Herz wachen, daß sie nicht zu stark werde. Und meine Pflichten einst als Heinrichs Gattinn? – O, meine Mutter, ich erkenne ihren ganzen Umfang! Doch, Sie werden mich leiten durch Ihre Lehren; durch Ihr Beyspiel werde ich die Eigenschaften erlangen, welche mir noch fehlen!
Bey diesen Worten sank Henriette in die Arme ihrer Mutter, und in demselben Augenblicke traten Wallenheim, Felsing, seine Gattinn und Heinrich herein. Henriette erschrack! Kommen Sie, Felsing, sprach Elisa, Sie lieben meine Tochter? (zu Felsing und seiner Gattinn.) Henriette, Felsing, billigen Sie seine Liebe?
Henr. Deine Tochter die Meinige nennen zu können? O, Elisa, wie sehr wird dieses ein Glück erhöhen!
Elisa. Nun dann, Felsing, so empfangen Sie sie; mein Gatte williget in Ihre Verbindung! Aber in diesem Augenblicke, wichtig und feyerlich für mich, für meine Henriette, für Sie, lege ich Ihnen die Verbindlichkeit auf, sie glücklich zu machen! Ich habe ihr die Gefahren einer Verbindung mit einem Jünglinge vorgestellt, sie will sich ihnen aussetzen, sie will ihre Ruhe Ihrem Glücke aufopfern! Prüfen Sie sich jetzt, ob Sie ihr stets diese Liebe erwiedern können? Sie sind jung; nach dem Besitze Ihrer Gattinn werden Sie vielleicht anders denken, als jetzt. Sie werden es vielleicht bereuen, so jung Ihrer Freyheit und so manchem Vergnügen entsagt zu haben, welches für Sie, als Ehemann, als Hausvater aufhört! – Wenn dieses ist? O, so entsagen Sie meiner Tochter! Nähren Sie keine Liebe in Ihrem Herzen, welche sie unglücklich machen könnte; oder fürchten Sie zugleich die Vorwürfe einer Mutter, welche, indem sie Ihnen ihre Tochter giebt, Ihnen die Sorge für ihr Glück überträgt.
Heinrich. Gnädige Frau, ich sagte gestern zu Henrietten, ich wollte sie durch Tugend verdienen; dieses bleibt noch mein Vorsatz! Nach einigen Jahren
Elisa. (lächelnd.) Schöne Jünglings-Phrasen! Doch, (sie wendet sich gegen Wallenheim.) Wallenheim, unsere Tochter ist frey. – Sie mag entscheiden!
Heinrich und Henriette blickten sich an, und warfen sich zu gleicher Zeit in Elisa's Arme, indem sie ausriefen: O, meine Mutter, wir wollen stets gut seyn! Wir wollen Ihnen Freude machen, durch unsere Liebe, durch das Bestreben, uns gegenseitig glücklich zu machen!
Elisa umarmte sie Beyde: auch Wallenheim schloß seine Tochter in seine Arme; und gerührt drückte Henriette den Sohn an ihr Herz. Die süßen Namen: Vater, Mutter, Tochter, Sohn, erschollen aus jedem Munde, und Beyder Aeltern fühlten ihre Freundschaft durch die Liebe ihrer Kinder verstärkt.
Auch Birkenstein kam an diesem Tage nach Wallenthal; er theilte mit ihnen das Glück seiner jungen Freunde, und versprach Elisa'n, Heinrichs Bildung zu vollenden. Das erste Jahr, daß er in
Elisa dankte ihrem edeln Freunde. Vergnügt verlebte dieser Zirkel guter und glücklicher Menschen nun diesen Tag. Heinrich und Henriette dachten nicht an den Abschied, sie empfanden nur ihr gegenwärtiges Glück, und genossen des künftigen. Doch sie kam, die Abschiedsstunde; allein frühzeitig hatte Elisa ihrer Tochter Standhaftigkeit eingeflößt, und Henriette zeigte sich ihrer Mutter würdig bey der Trennung von ihrem Freunde. Thränen rollten zwar von ihren Wangen; allein sie flossen ohne Heftigkeit, und nach einigen Tagen hatte Henriette ganz ihre vorige Heiterkeit wieder. Elisa fuhr fort, sie sehr zu beschäftigen, und zu verhindern, daß Heinrich nicht stets der Gegenstand ihrer Gedanken sey; sie ließ sie jetzt selten allein, und ging
Elisa war glücklich in diesen Beschäftigungen, die guten Eigenschaften ihrer Tochter wurden mit jedem Tage erweitert, und durch sie Elisa's Glück erhöhet. Ihr mütterliches Herz kannte jetzt nur Freuden; auch in ihrem Sohne wurden ihre Bemühungen um sein Glück ihr belohnt. Carl hatte seinen Ausschweifungen auf immer entsagt; er näherte sich keinem Spieltische, ohne an die Aufopferungen zu denken, welche seine Mutter seiner Leidenschaft zum Spiele gemacht hatte, und diese Erinnerung trieb ihn weg vom Spiel. Er hatte in Wallenthal das Gute kennen und lieben gelernt, und jetzt bestrebte er sich, es zu befolgen. Er kam nach einem Jahre zurück nach Wallenthal; die Freudenthränen seiner Mutter flossen über seine Wangen, und der Jüngling fühlte, daß Tugend auch glücklich macht. Aber auch ihr zweyter Sohn, wie Elisa Heinrichen nannte, strömte Freude in ihr Herz. Birkenstein war auf ein Jahr sein Führer gewesen, und er versicherte Elisa'n von seiner guten Aufführung, und seiner edeln Denkungsart.
So flossen die Tage ihres Lebens jetzt froh und glücklich dahin. Immer noch beschäftiget, Gutes zu thun, und nützlich zu seyn, in der Mitte aller derer, welche sie liebte, und von welchen sie angebetet wurde, genoß Elisa eines Glücks, welches ihr doppelt süß war, da es nicht das Werk des Zufalls war, sondern sie es sich durch Tugend errungen hatte, und Tugend ihr den Genuß erhöhete. –
Jetzt hatte Heinrich sein zwey und zwanzigstes Jahr erreicht; er eilte nach Felsingburg. Henriette erröthete, als sie ihn jetzt wieder sahe. Elisa lächelte, und der Hochzeittag wurde festgesetzt. Auch Carl war nach Wallenthal gekommen, und Alles athmete Freude. Da wurde Elisa krank, und nach drey Tagen erklärte der Arzt, daß die Symptomen der Krankheit gefährlich wären, und daß er ihre Wiederherstellung bezweifelte. Schrecken verbreitete sich auf allen Gesichtern. Felsing, seine Gattinn, Heinrich, Birkenstein blieben Tag und Nacht in Wallenthal, und alle verließen kaum auf einen Augenblick Elisa's Bette. Elisa war ruhig, ohne Furcht fühlte sie die Abnahme ihrer Kräfte. Zwar füllten sich ihre Augen mit Thränen, wenn sie alle ihre Lieben 1
Ich habe mein Leben nicht unnütz zugebracht, ich habe zum Glücke einiger meiner Mitbrüder beygetragen, ich habe mich stets bestrebt, meine Pflichten zu erfüllen, und dieses macht jetzt meine Beruhigung, meine Freude. Mein künftiges Schicksal sey welches es wolle, ich sterbe mit dem Bewußtseyn, daß ich mitwirkte, die Summe des Guten zu vermehren, und meine Bestimmung als Mensch erfüllte, Und dieses Bewußtseyn? O, meine Freunde! es giebt ein unaussprechlich süßes Gefühl, welches selbst die Annäherung des Todes nicht zerstört, und über dessen Schrecken uns siegen läßt! Die Trennung von Euch ist jetzt der einzige Schmerz, den ich empfinde (hier füllten sich ihre Augen mit Thränen, sie umarmte Beyde.) O, ihr waret meinem Herzen so theuer! Doch auch euch kann ich ruhig verlassen! Ich kann nichts mehr zu eurem Glücke beytragen; ihr allein habt es jetzt in euern Händen; ihr kennt die Mittel dazu, wendet sie an, meine Kinder, und süßer Friede wird immer in euern Herzen wohnen! Dich erwarten nun bald neue Pflichten, neue süße Empfindungen, meine Henriette! Ich sehe dich schon im Geiste in den Armen deines Gatten, und dann darfst du meinem Andenken nur die ruhigen Thränen der Wehmuth widmen! Keine anderen Thränen, meine Freunde, müssen auf mein Grab fallen! Kommen Sie auch hierher, Heinrich! Sie sind
Elisa reichte einem Jeden nach der Reihe die Hand; ein holdseliges Lächeln begleitete ihre letzten Worte; man ehrte ihre Ruhe, und ein Jeder verbarg im Innern seines Herzens den Schmerz über den Verlust des holdseligsten Weibes.
Jetzt, am Rande des Grabes schon, war Elisa doch noch beschäfftiget, Gutes zu wirken, selbst nach ihrem Tode noch. Sie vermachte eine Summe für die Stiftungen der Kinder und Greise in Wallenthal, wel che von den Zinsen derselben, auf eben die Art wie bisher, unterhalten werden sollten, und trug Henrietten die Aufsicht über dieselben auf. Die Greise, die Kinder aus dem Erziehungshause, die Einwohner Wallenthals, viele der Unglücklichen, welchen sie geholfen hatte, Alle kamen auf das Schloß, und wollten noch einmahl ihre Wohlthäterinn sehen. Elisa sprach mit ihnen, dankte ihnen für ihre Liebe, und zeigte ihnen, daß Tugend, auch in den letzten schrecklichen Augenblicken, nicht aufhöre, glücklich zu seyn. So entschlief sie, unter den Segnungen derer,
Henriette bewies jetzt die Vortrefflichkeit der Lehren ihrer Mutter. Sie weinte; allein ruhig war ihr Schmerz, und aufrichtig bekämpfte sie ihn, ob sie gleich ihre Mutter anbetete. Nur Wallenheim fiel in eine düstre Schwermuth; nichts konnte ihn aus derselben reissen. Meine Freunde, sprach er, ihr Alle kennt nicht die Größe meines Verlustes! Was Elisa mir war, kann nur ich empfinden. Nur ich sahe sie in jedem Augenblicke ihres Lebens, und fand sie immer groß! Nur ich weiß, wie fest sie an jedem Guten und an ihren Pflichten hieng, wie unabläßig sie bemühet war, Glück um sich zu verbreiten, und besonders mich glücklich zu machen! Sie schuf in mir Gefühle, mein Weib machte mich zum Menschen! Sie lehrte mich die Güter des Lebens kennen und genießen! In ihren Kindern hat sie ihre Tugenden fortgepflanzt, sie können glücklich werden, wie sie war. Nur ich bleibe einsam zurück, – ich lebte nur durch sie, meine Gefühle sterben mit ihr! –
Und Lebenslang trauerte Wallenheim um sein Weib.
Lange beweinte sie Birkenstein, weil sie bis zu ihrem Tode der Inbegriff seiner wärmsten, seiner innigsten Tugend sey, und daß durch sie das Weib in jeder Sphäre Gutes wirken, und selbst Generationen beglücken kann.